10. KAPITEL
Sie führte ihn durch das Haus, das bis auf die Küche unbeleuchtet war.
„Melanie?“ fragte er.
„Sie ist nicht da.“
Er drückte ihr nur stumm die Hand.
Es schien ein langer Weg zu sein zu ihrem Schlafzimmer, für sie ein Lebensweg von zweiundzwanzig Jahren. Doch Michael war der Richtige, kein Zweifel. Die bewundernden Blicke anderer Männer bedeuteten ihr nichts. Michael faszinierte sie, aber es waren vor allem Kleinigkeiten, die ihr das Gefühl gaben, ihm sehr nahe zu sein. Beispielsweise seine Art, ihr entspannt und aufmerksam, auch amüsiert zu lauschen und das Aufleuchten der Augen bei manchen Bemerkungen. Zu sehen, wie er mit den Fingern das beschlagene Weinglas entlanggefahren war, hatte sie geradezu erregt.
Auch wenn sie ihre Hemmungen nicht ganz ablegen konnte, sehnte sie sich nach seiner Umarmung. Der Kuss hatte ihr schon ein wenig ihre Angst genommen.
In ihrem dunklen Zimmer angelangt, tastete sie automatisch nach dem Lichtschalter. Doch Michael hielt ihre Hand fest und küsste ihr jeden Finger einzeln.
„Deine Hände sind eiskalt. Frierst du?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Warte.“ Er ging zum Fenster und zog die Vorhänge zurück. Blasses Mondlicht erhellte den Raum und ließ sein weißes Hemd aufleuchten, dass es einen deutlichen Kontrast zur gebräunten Haut bildete. Überhaupt war er von Gegensätzen gekennzeichnet: hell und dunkel, sanft und stark. Sie hingegen schien nur aus Schatten und Geheimnissen zu bestehen. Es wird alles gut, beschwichtigte sie sich und dachte schuldbewusst an die Lügen, die sie ihm aufgetischt hatte. Sie würde ihm bald die Wahrheit sagen.
Erschrocken hörte sie das Aufziehen eines Reißverschlusses. Blitzartig tauchte das Bild von Lou Kopp vor ihr auf. Schaudernd wandte sie sich ab.
Michael streckte die Arme nach ihr aus, doch sie wich zurück. „Charlotte“, flüsterte er und wartete mit offenen Armen. Nackt, schlank und breitschultrig, die Haut tiefbraun, das lange wellige Haar auf die Schultern fallend, sah er fabelhaft aus. „Charlotte, du zitterst. Komm her, Querida.“
Seine zärtliche Aufforderung ließ die Erinnerung an Lou Kopp verblassen. Sie kam in Michaels Arme und umschlang ihn fest.
„Michael“, begann sie langsam. Die Lippen auf seiner Brust, spürte sie seinen Herzschlag. „Du solltest wissen …“
„Was, meine Süße?“ Er küsste ihr Stirn und Wangen.
Sie genoss die prickelnden Zärtlichkeiten und legte seufzend den Kopf zurück. „Ich habe es noch nie gemacht.“
Er wich leicht zurück und sah sie forschend an. „Was sagst du da? Du hast noch nie …“
„Nein, ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen.“
Er betrachtete sie einen Moment und konnte es offenbar nicht fassen. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Darling, das hätte ich nie für möglich gehalten. Bist du sicher?“
Sie kicherte. „Allerdings.“
„Nein, so war das nicht gemeint“, erwiderte er leise lachend. „Bist du sicher, dass du heute Nacht mit mir schlafen willst?“
Sie nahm sein Gesicht zwischen beide Hände und sah ihm in die Augen. „Ja, ich bin mir sicher. Es ist nur … ich weiß nicht, was ich tun soll … was du erwartest.“ Sie lachte leise. „Ich möchte, aber ich bin furchtbar nervös.“
Er presste ihren Kopf an seine Brust, drückte die Lippen auf ihren Scheitel und hielt sie einen Moment nur fest. Charlotte fühlte sich geliebt und geborgen.
„Lassen wir uns Zeit“, sagte er nur, doch seine Hände zitterten, als er ihr über Haare und Wange strich. Er öffnete die vielen kleinen Knöpfe ihres Kleides und schob es herunter. Liebevoll entkleidete er sie ganz. Sie senkte den Kopf, als er sie zum Bett führte.
„Sei nicht schüchtern“, bat er leise, „weißt du nicht, wie schön du bist?“ Sie hatte den zarten und doch üppigen Körper einer Verführerin, gepaart mit der Unschuld eines Mädchens, und Michael fragte sich, womit er so viel Glück verdient hatte.
Sie lag abwartend da, die Arme an den Seiten und merkte, dass er sich ihr zuliebe zurückhielt, während er ihren Körper mit sanften Küssen bedeckte. Sie flüsterte seinen Namen und entspannte sich, während er sie mit Händen und Lippen erkundete. Als er die empfindliche Region zwischen ihren Schenkeln berührte, sog sie scharf die Luft ein.
„Entspann dich, Liebes“, flüsterte er, „ich tue dir nicht weh.“ Er streichelte sie sanft und beantwortete ihr leises Stöhnen mit Küssen. Mit einem Gefühl, als rinne flüssiges Feuer durch ihre Adern, begann sie unwillkürlich die Hüften im Rhythmus gegen seine Hand zu bewegen, bis sie mit einem leisen, hohen Stöhnen ihren ersten leidenschaftlichen Höhepunkt erlebte.
Michael rang um Selbstbeherrschung, und sein Körper gehorchte widerwillig. Er hatte seine Erfahrungen in der Liebe gemacht, aber das hier war nicht bloßer Sex, und er war bei keiner Frau der Erste gewesen. Es sollte wunderbar für Charlotte werden und unvergesslich.
Er küsste sie sanft auf den Mund und ließ die Lippen hinabstreichen zu ihren Brüsten. „Sag mir, dass du mich willst“, flüsterte er und stützte sich auf einen Ellbogen.
Sie schlug die Augen auf und sah ihn fragend an.
„Sag es bitte.“
„Ich will dich“, flüsterte sie und schlang ihm die Arme um den Nacken.
Als er sich zwischen ihre Schenkel schob, spürte er ihre Anspannung, doch sie umschlang ihn mit ihren langen Beinen. Er bewegte sich nur vorsichtig und hielt inne, sobald er Widerstand bemerkte. Auf die Ellenbogen gestützt, sah er sie fragend an und wartete. Sobald sie ihm schwach lächelnd ihre Bereitschaft anzeigte, drang er weiter vor. Sie sog scharf den Atem ein und presste das Gesicht an seine Schulter.
„Querida“, raunte er und küsste sie tröstend. Nach einem Moment entspannte sie sich wieder, und er begann sich vorsichtig zu bewegen.
Charlotte umschlang ihn geradezu triumphierend. Sie hatte sich ihm bereitwillig gegeben und würde es nie bereuen. Es war richtig, es zu tun. Ihn zu spüren war ein unbeschreibliches Gefühl, das ihr allmählich die Fähigkeit zum klaren Denken raubte. Ganz auf ihre Empfindungen konzentriert, schmeckte sie das Salz auf seiner Haut und spürte seine raue Wange gegen ihre reiben. In dem leidenschaftlichen Feuer, das er schürte, schien ein Teil ihrer Vergangenheit – die Erinnerungen an die Demütigungen des hässlichen Mädchens – zu verbrennen.
Ihr war, als würde sie in diesem Feuer emporgehoben, etwas sehnsüchtig Erwartetem entgegen. Als der Punkt erreicht war, bäumte sie sich auf und stieß Michaels Namen aus.
Auch Michael hielt sich nicht länger zurück und gab der Glut seines Körpers nach. Auf dem Höhepunkt der Leidenschaft hatte auch er das Gefühl, es sei das erste Mal. So intensiv hatte er Liebe noch nie erlebt.
Erschöpft und glücklich sank er zusammen. Nach einer Weile spürte er Charlotte lächeln, sagte jedoch nichts. Als sich ihre Atmung normalisierte, richtete er sich ein wenig auf, strich ihr das feuchte Haar aus der Stirn und sah sie an.
„Michael“, begann sie leise und schob ihm eine Strähne aus den Augen. „Ich komme mir vor wie gerade getauft.“
„In einer Feuertaufe“, erwiderte er lachend, rollte sich auf die Seite und zog sie an sich. Er legte ihr das zerknautschte Laken um, nahm sie in die Arme und flüsterte: „Schlaf jetzt.“
Charlotte erwachte, als ihr die Sonne durchs Fenster in die Augen schien. Jeder Muskel tat ihr weh, doch es war ein angenehmer Schmerz. Sie fühlte sich wunderbar, streckte sich gähnend und schlug leicht desorientiert die Augen auf.
Plötzlich erinnerte sie sich. „Michael …“
Seine Bettseite war leer. Das konnte doch nicht wahr sein! Er konnte unmöglich einfach verschwinden. Sie hatte schon davon gehört, dass Männer nicht gern neben Frauen aufwachten, mit denen sie bedeutungslosen Sex gehabt hatten. Großer Gott, nein, dachte sie und fuhr sich mit der Hand durch das wirre Haar. Hatten sie heute Nacht bedeutungslosen Sex miteinander gehabt? Auf seinem Kissen war der Abdruck seines Kopfes zu sehen. Den Laken haftete sein Geruch an, doch sie waren kalt.
„Michael!“ rief sie. Keine Antwort.
Sie stand auf und entdeckte die roten Flecken auf dem Betttuch. Die Wangen gerötet, warf sie sich den Bademantel über und lief hinaus in den Hof. Sein Wagen war fort, und Michael mit ihm.
Fröstelnd schlang sie die Arme um sich und stieß mit dem Fuß einen Kieselstein fort. Letzte Nacht in seinen Armen hatte sie sich geliebt und geborgen gefühlt. Was war nur los mit ihr, dass niemand sie wirklich lieben konnte? Lag es daran, dass sie nur eine schöne Hülle war? Er musste das instinktiv gespürt haben, wie hätte er sonst ohne ein Wort gehen können?
Sie wischte sich die Augen und ging zum Haus. Als sie die Tür erreichte, hörte sie das Knirschen von Rädern auf Kies und zwei kurze Huptöne.
Michael kam mit dem roten Lieferwagen, der aussah wie ein Blumenkarren. Über die Seiten hingen die dicken rosa Blüten des Magnolienbaumes und mehrere blühende Büsche. Die Ladefläche quoll über von Sommerblumen und Stauden. Ihm folgten zwei weitere Lieferwagen mit Erde und Männern in grünen T-Shirts mit dem Mondragon-Schriftzug darauf.
Michael sprang aus dem Wagen, lief auf sie zu, umarmte sie und gab ihr einen festen Kuss auf den Mund. Als er zurückwich, überreichte er ihr einen großen Blumenstrauß.
„Schade, dass du schon wach bist. Ich wollte dich überraschen, wenn du die Augen aufmachst. Schau, was ich dir mitgebracht habe.“ Er zog sie in jungenhaftem Eifer zum Lieferwagen. Offenbar gewöhnt, Befehle zu erteilen, gab Michael den Männern Anweisungen, die sie umgehend und respektvoll ausführten.
Charlotte sah, wie palettenweise Blumen abgeladen wurden, und legte lachend die Hände an die Wangen. „Mein Gott, so viel!“
„Und das ist erst der Anfang. Warte hier.“
Er führte seine Männer in den Garten und besprach die Skizzen mit ihnen. Die Mannschaft war gut organisiert, und bald wurden die ersten Schaufeln Erde hochgeworfen.
„Du hast viel mehr mitgebracht, als ich bestellt habe“, sagte Charlotte, als er zu ihr zurückkehrte.
„Ich hoffe, du erlaubst mir ein Geschenk.“
„Aber so viel … das habe ich kaum verdient.“
Er umarmte sie, fuhr ihr mit einer Hand den Rücken hinab und spürte, dass sie unter dem Morgenmantel nackt war. Er presste die Lippen auf ihren Kopf und raunte: „Du hast mir letzte Nacht das schönste Geschenk meines Lebens gemacht.“
Lächelnd erwiderte sie nah an seinem Ohr: „Das Vergnügen war ganz meinerseits.“
Er küsste sie auf den Mund und drückte sie an sich. „Du lernst schnell, Querida. Gestern noch Jungfrau und heute schon Verführerin.“
„Ich hatte einen guten Lehrer.“
„Dann bekommst du heute Nacht noch eine Lektion. Aber jetzt …“, er gab ihr einen Klaps auf den Po, „… muss ich mich mit meinen Männern an die Arbeit machen. Ich habe die Mannschaften von anderen Aufträgen abgezogen. Wird ‘ne ziemliche Rechnung. Also, wenn wir deinen Garten fertig bekommen wollen, ehe du zu deinen Dreharbeiten abreist, dann heute. Außerdem solltest du wirklich hineingehen und dich anziehen. Es wäre ein Jammer, wenn ich meine Leute entlassen müsste, weil sie dich mit Blicken verschlingen.“
An derlei Neckereien nicht gewöhnt, errötete sie heftig. Er liebte ihre Scheu. In mancher Hinsicht war sie immer noch wie ein Teenager, mit ihren langen schmalen Gliedmaßen und dem schüchternen Erröten. Und dann wieder überraschte sie ihn mit einer Reife und Weisheit, die weit über ihr Alter hinausgingen. Sie war ein vielschichtiges Wesen, mit dem ihm wohl nie langweilig werden würde. Er zog sie wieder in die Arme, legte die Hände auf ihren kleinen Po und presste sie an sich.
„Okay, hört auf damit, oder ihr riskiert da hinten einen Aufstand.“ Bobby schlenderte heran. Sein breiter Panamahut beschattete das lächelnde Gesicht. Zur hellen Leinenhose trug er ein mintfarbenes Hemd.
Kaum der geeignete Aufzug für Gartenarbeit, dachte Charlotte. Allerdings war er nach eigener Aussage ja nur als Berater tätig.
„Den Männern läuft bei Ihrem Anblick das Wasser im Mund zusammen“, neckte er sie.
Sie lachte.
„Nett, dass du kommst“, sagte Michael distanziert und ließ sie los. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, verwundert über die plötzliche Spannung. „Geh zu ihnen und sag ihnen, sie sollen sich um ihre Arbeit kümmern. Ich komme gleich.“
Bobbys Lächeln wurde härter. „Du bist der Boss.“ Er verneigte sich zwinkernd vor Charlotte und ging wieder.
„Mist.“ Michael stemmte finster die Hände auf die Hüften.
„Was ist los?“
„Nichts. Ich muss nach den Arbeitern sehen.“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss. „Wir reden später noch über deinen appetitanregenden Aufzug.“
Sie sah ihm nach, als er mit energischen Schritten zu seinen Männern und zu Bobby ging, der sich über die Skizzen beugte. Was mochte geschehen sein, dass sich die beiden Brüder so entfremdet hatten?
Ehe die Sonne sank, packten die Männer ihre Sachen zusammen und fuhren davon. Sie hatten einen ganzen Tag angestrengt gearbeitet. Bobby ging als Letzter und ließ ihr eine Hybrid-Teerose als Geschenk da.
„Gelbe Rosen stehen für Freundschaft“, erklärte er und drückte ihr die Rose mit dem rosa Blütenrand in die Hand. „Die roten Rosen überlasse ich unserem Romeo hier. Ich habe mir die Freiheit genommen, ein kleines Rosenbeet in der Ecke der Terrasse anzulegen. Der Platz ist ideal. Der Duft wird zu Ihnen hinüberwehen, wenn Sie dort sitzen.“ Er küsste sie auf beide Wangen. „Willkommen in Kalifornien.“
„Sie müssen nicht gehen“, sagte sie rasch. „Ich wollte gerade Wein anbieten. Möchten Sie nicht auf ein Glas bleiben?“ Sie sah Michael an, damit er ihre Einladung unterstützte, doch der hielt sich eigenartig zurück.
Bobby warf seinem Bruder einen raschen Blick zu und erwiderte: „Danke für die Einladung, aber es ist Freitagabend, und ich habe eigene Pläne. Ich bringe nächste Woche eine Wagenladung Mulch. Falls mein Bruder mir nicht zuvorkommt. Und irgendwie habe ich das Gefühl, er tut das.“ Michael ignorierte die Neckerei und blickte auf seine Schuhspitzen.
Nachdem Bobby fort war, brachte sie gekühlten Weißwein und frische Erdbeeren hinaus auf die Terrasse. Das Abendrot leuchtete um die Wette mit den Farben ihres neuen Gartens. Vorhin hatten sie einen Rundgang gemacht. Sie war begeistert gewesen über die asymmetrische, informelle Gartenanlage mit Blumen, Kräutern, Büschen und ausgesuchten Bäumen, die die harten Konturen der Landschaft milderten und dem Haus schmeichelten. Eine Oase der Ruhe und Entspannung.
Auf der Terrasse standen einige große Terrakottatöpfe für Melanies Kräuter. Dann und wann wehte der Wind Düfte von Rosmarin, Lavendel oder Rosen herüber.
„Du hast zu viel Aufwand getrieben“, sagte sie mit einem Blick auf ihren Garten im letzten Tageslicht. „Übertreibst du immer so?
„Nur bei dir. Ich will dich so verwöhnen, dass du für andere Männer verdorben bist.“
„Das ist dir bereits gelungen. Du darfst dich auf deinen Lorbeeren ausruhen.“
„Hm. Einen Lorbeerbusch muss ich noch pflanzen.“
„Hör auf, das reicht. Sonst gelte ich noch als ausgehaltene Frau, und Mrs. Delaney erhöht die Miete.“
Er zuckte die Achseln und schwenkte den Wein im Glas. „Dann sag ihr, es sind alles Sommerblumen. Wenn du ausziehst, verrotten sie. Sie sollte die Miete verringern, weil du ihr Anwesen verschönert hast.“
„Egal, ich bin einfach nur glücklich.“
„Ich auch“, erwiderte er wahrheitsgemäß.