Maskenball

Mitternacht.

Lisa erwachte. Unsicher starrte sie in die Dunkelheit des Zimmers. Was hatte sie geweckt? Ihr war, als hätte sie ein Geräusch gehört. Das Knarren von Bodenbrettern. Den Schrei einer Eule. Das Schlagen der antiken Standuhr draußen im Treppenhaus.

Große Häuser stecken voller Geräusche. Unheimliche Laute, die einem bei Nacht keine Ruhe lassen. Niemand wusste das besser als Lisa und ihr Bruder Nils. Denn die beiden lebten im größten und gruseligsten Haus von ganz Giebelstein – im alten Hotel Erkerhof.

Das Hotel gehörte Lisas und Nils’ Eltern. Es lag ein wenig abseits der Stadt. Um es zu erreichen, musste man draußen vor dem Stadttor von der Hauptstraße abbiegen und einer schattigen Pappelallee nach Westen folgen. Das Hotel lag am Waldrand, finster und Ehrfurcht gebietend. Im achtzehnten Jahrhundert war es das Schloss eines Adeligen gewesen, dann, viel später, ein Irrenhaus. Vor über hundert Jahren schließlich hatte man aus dem Gemäuer ein Hotel gemacht.

Vier Stockwerke hoch wachte es erhaben über das grüne Hügelland. Man hatte es in Form eines Hufeisens angelegt. Seine steilen Dächer waren mit Moos und Flechten überzogen. Im Inneren erstreckte sich ein Irrgarten verwinkelter Korridore und hoher, leerer Zimmer.

Weil das Hotel Erkerhof das unheimlichste Gebäude weit und breit war, hatten die Kinder ihm den Spitznamen Kerkerhof gegeben. Lisa und Nils fanden das sehr passend, aber ihre Eltern hörten dieses Wort überhaupt nicht gern. Sie hatten genug damit zu tun, den Hotelbetrieb am Laufen zu halten. Vor achtzig, neunzig Jahren, als Giebelstein noch ein beliebter Ausflugsort gewesen war, war der Kerkerhof eine Goldgrube gewesen. Heute aber blieben die Gäste aus. Wenn vier oder fünf der über siebzig Zimmer belegt waren, war das fast ein Grund zum Feiern.

Auch gab es keine Angestellten im Hotel. Lisa und Nils mussten häufig mit anpacken, wenn ihren Eltern die Arbeit über den Kopf wuchs. Der Kerkerhof war ein reiner Familienbetrieb. Leider kein allzu erfolgreicher.

Zu allem Unglück hatten Lisas und Nils’ Eltern das Hotel nun auch noch für einige Tage schließen müssen. Eine entfernte Großtante von Lisas Mutter war gestorben, und die beiden waren zur Testamentseröffnung eingeladen worden. Vielleicht, so hatten sie bei ihrer Abreise gemutmaßt, würden sie ja so an das nötige Kleingeld kommen, um ein paar der dringend nötigen Reparaturen am Hotel durchführen zu lassen.

Lisa und Nils blieben derweil daheim. Sie hatten die Erlaubnis bekommen, ihre besten Freunde aus dem Dorf, Kyra und Chris, zum Übernachten einzuladen. Drei Tage und Nächte lang hatten die Kinder den Kerkerhof für sich allein.

Und was für ein Abenteuerspielplatz solch ein Gemäuer sein konnte! Zumindest tagsüber, wenn es hell war.

Nicht so im Dunkeln. Und schon gar nicht um Mitternacht. Dann nämlich gab es kaum einen Ort, der Furcht einflößender war.

Lisa schaute auf den Wecker neben ihrem Bett. Zehn nach zwölf. Sie fürchtete, nicht wieder einschlafen zu können. Sie hasste es, nachts wach zu liegen. Alles, was einem dann durch den Kopf ging, waren Dinge, die einem Angst einjagten. Oder, schlimmer noch, die einen traurig machten. Lisa hatte weder Lust auf das eine noch auf das andere.

Sie musste sich ablenken. Irgendwie.

Schlecht gelaunt setzte sie sich in ihrem Bett auf. Ihr Bruder Nils schlief im Raum nebenan. Kyra und Chris hatten zwei der Gästezimmer am anderen Ende des Flurs bezogen. Eigentlich hatten sie sich alle einen Spätfilm im Fernsehen anschauen wollen – Die Nacht der lebenden Toten, was wirklich verdammt interessant klang –, aber dann waren sie doch viel zu müde gewesen.

Jetzt überlegte Lisa, ob sie ins Fernsehzimmer gehen und sich den Schluss des Films anschauen sollte. Allerdings, einen Horrorfilm anzusehen, ganz allein, um diese Uhrzeit und vor allem in diesem Haus – nein, das schien ihr nicht gerade das richtige Mittel zu sein, um wieder einzuschlafen.

Dann also ein Buch! Sie stand auf und ging mit nackten Füßen hinüber zum Bücherregal. Ihr rot-weiß gestreiftes Nachthemd reichte nur bis zu den Knien. Es war kühl im Zimmer, und sie bekam eine Gänsehaut an den Beinen.

Sie hatte gerade die Hand nach einem Buch ausgestreckt, als sie etwas hörte.

Ein Flüstern, draußen auf dem Flur!

Schlichen die anderen etwa vor ihrer Tür herum? War sie davon aufgewacht?

Lisa lächelte. Vielleicht gelang es ihr ja, ihren Freunden einen Mordsschrecken einzujagen. Plötzlich war die Vorstellung, noch eine Weile lang wach zu bleiben, gar nicht mehr so übel.

Sie huschte lautlos zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit. Vorsichtig schaute sie hinaus. Der Korridor schien verlassen zu sein. Weit jedoch konnten die anderen noch nicht gekommen sein. Lisa hatte auch keine Türen scheppern hören; das bedeutete wohl, dass ihre Freunde noch immer durch die Gänge geisterten.

Ganz kurz überkamen sie Zweifel. Was, wenn die anderen ihr einen Schrecken einjagen wollten? Dann lief sie ihnen geradewegs in die Falle.

Aber, nein. Sie wären gewiss in ihr Zimmer gekommen und hätten sie schon beim Aufwachen erschreckt. Mit einer von Nils’ Monstermasken zum Beispiel. Oder mit dem Gestank einer der schrecklichen Teemischungen, die Kyras Tante Kassandra zusammenmixte.

Lisa schlich hinaus auf den Korridor und ließ ihre Zimmertür angelehnt. Sollte sie sich nach rechts oder links wenden? Zur Rechten lagen die Zimmer der anderen, zur Linken machte der Gang nach ein paar Metern eine Biegung – dies war die Richtung, um in die übrigen Flügel des Kerkerhofs zu gelangen.

Sie entschied sich für die zweite Möglichkeit. Wenn es Chris war, den sie hatte flüstern hören, würde er mit ziemlicher Sicherheit einen Abstecher in die Speisekammer des Hotels machen. Chris hatte ständig Hunger – und ungerechterweise wurde er kein bisschen dicker bei all seiner Esserei! Im Gegenteil, Chris blieb immer schlank und sportlich. Lisa fand, dass er ziemlich gut aussah.

Ob Kyra das auch fand? Lisa vermutete, dass Chris ein Auge auf ihre rothaarige Freundin geworfen hatte. Seit sie Chris beim Kampf gegen den mächtigen Hexenmeister Abakus kennen gelernt hatten, verstanden er und Kyra sich verdächtig gut – auch wenn sie nach außen hin nur zu selten einer Meinung waren.

Lisa erreichte die Stelle, wo der Flur eine Biegung machte. Zu beiden Seiten führten Türen in die leeren Hotelzimmer. In den meisten waren die Möbel mit weißen Staublaken verhangen – das waren die Räume, die seit Jahren niemand mehr betreten hatte.

Die Vorstellung, dass all diese Zimmer einmal Zellen gewesen waren, in denen die Insassen des Irrenhauses dahinvegetiert hatten, war kein erfreulicher Gedanke. Lisa hatte gelernt, die Geschichte des Kerkerhofs zu verdrängen. Meist gelang ihr das recht gut.

Nur jetzt nicht. Ausgerechnet in der Stunde nach Mitternacht.

Dies war die Stunde, in der die Vergangenheit die Hand nach dem Heute ausstreckte. Die Stunde rätselhafter Laute und eiskalter Luftzüge. Die Stunde der Angst.

Lisa schlich an den hohen Türen vorbei und hatte bei jeder das Gefühl, dass sie sich hinter ihrem Rücken öffnete. Doch immer, wenn sie über ihre Schulter sah, waren alle Türen geschlossen.

Auf den Fluren des Kerkerhofs brannte die ganze Nacht über eine Notbeleuchtung. Lisa wagte nicht, die Hauptlichter einzuschalten, weil das ihre Freunde gewarnt hätte. Dann wäre es vorbei mit der Überraschung – und mit dem Schrecken auf ihren Gesichtern, wenn Lisa sie aus dem Dunkeln ansprang.

Sie bog noch um zwei weitere Ecken, ehe sie die Balustrade erreichte, die sich im ersten Stock um die große Eingangshalle zog. Von dort aus führte eine geschwungene Freitreppe hinab ins Erdgeschoss. Am Tag war es eine Treppe wie aus einem Märchenschloss, bei Nacht aber glich sie eher den Stufen einer Spukburg.

Von ihren drei Freunden entdeckte Lisa keine Spur. Das wunderte sie ein wenig. Hatten die drei sie bemerkt und sich deshalb versteckt? Oder waren sie einfach nur schneller gelaufen als Lisa?

Sie blieb auf den oberen Stufen der Freitreppe stehen und lauschte erneut in die Nacht. Knistern und Knacken gehörte in einem so alten Haus zur üblichen Geräuschkulisse. Umso erstaunter war Lisa, als sie nicht den leisesten Laut vernahm. Kein Rascheln, kein Knarren. Rein gar nichts. Es war, als hätte man das gesamte Gemäuer mit Watte ausgestopft.

Da! Wieder das Flüstern!

Lisa hatte es genau gehört, aber sie konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde. Dennoch war ihr, als hätte sie ihren Namen herausgehört. Sprachen die anderen etwa über sie, wenn sie nicht dabei war? Das machte sie noch neugieriger und trieb sie eiliger die Treppe hinunter.

Die Eingangshalle war riesig. Ihre Höhe erstreckte sich über drei Stockwerke. Mächtige Säulen stützten die Decke. An den Wänden hingen gemalte Porträts und vergilbte Bilder aus den Anfängen der Fotografie. Ein gewaltiger offener Kamin befand sich auf der einen Seite, die Rezeption auf der anderen. Die Theke war säuberlich aufgeräumt und schimmerte frisch poliert.

Nirgends war eine Menschenseele zu sehen.

»Lisa!«

Sie schrak zusammen, als sie ihren Namen so deutlich hörte. Wieder war es nur ein Flüstern gewesen, scharf und zischelnd. Und es klang gar nicht weit entfernt.

Die Stimme war eindeutig männlich gewesen. Nils aber hörte sich anders an, selbst wenn er flüsterte. War es demnach Chris, der sie rief?

Irgendwie war das alles sehr sonderbar.

»Chris?«, fragte Lisa leise, als sie am Fuß der Freitreppe ankam. »Chris, bist du das?«

Schweigen. Niemand gab Antwort.

»Das ist nicht besonders witzig«, sagte sie, allmählich ein wenig ärgerlich.

Die Notbeleuchtung spendete gelbliches Zwielicht; sie schuf mehr Schatten, als sie vertrieb. Hin und wieder flackerte eine der alten Lampen, und in manchen waren die Glühbirnen gänzlich ausgefallen. Auch die Beleuchtung des Kerkerhofs hatte eine Generalüberholung nötig.

»Lisa!«

Schon wieder ihr Name. Was für ein Spiel trieben die anderen? Langsam wünschte sie sich, sie wäre im Bett geblieben. Verfluchte Neugier! Nun stand sie also hier, frierend, nur im Nachthemd und mit nackten Füßen, und sie fühlte sich plötzlich sehr allein. Schutzlos.

Ja, das war das richtige Wort. Die Frage war nur, vor wem sie eigentlich Schutz nötig hatte. Hier war doch niemand außer ihr selbst und ihren drei Freunden.

Oder?

Sei kein Feigling, schalt sie sich.

Also weiter.

Das letzte Flüstern war eindeutig durch die große Doppeltür an der Westseite der Eingangshalle gekommen. Dahinter lagen der Speisesaal, die ungenutzten Konferenzräume und, ganz am Ende des Gangs, der alte Ballsaal.

Die Küche, in der sie Chris vermutet hatte, lag in einer anderen Richtung. Was, zum Teufel, hatte er hier unten verloren?

Lisa gab sich einen Ruck und lief zu der Doppeltür. Sie stand ein Stück weit offen. Statt sie ganz aufzuziehen, zwängte Lisa sich lieber durch den Spalt. Das war unauffälliger.

Der Speisesaal war so menschenleer wie alle anderen Teile des Hotels. Die Stühle standen kopfüber auf den Tischen. Es gab mindestens zwei Dutzend Sitzgruppen in dem riesigen Raum, die meisten waren nur vage Formen im Schatten. Hinter jeder konnte sich ein Mensch verstecken. Zum ersten Mal, seit sie aufgestanden war, spürte Lisa, dass ihr Herz schneller schlug. Sie konnte es sogar pochen hören, tief in ihrer Brust. Sie war viel aufgeregter, als sie sich eingestehen wollte.

»Chris?«, fragte sie unsicher in die Dunkelheit. »Kyra?«

Niemand antwortete ihr.

Lisa durchquerte den Speisesaal um einiges schneller, als sie eigentlich vorgehabt hatte. Aber ihre Sorgen blieben unbegründet – niemand sprang zwischen den Tischen hervor, keiner überraschte sie mit einem plötzlichen »Buuuh!«.

Sie erreichte die nächste Tür und betrat den düsteren Korridor, von dem die Türen der Konferenzräume abzweigten. Leere. Stille.

Und dann wieder: »Lisa!«

»Ach, verdammt noch mal!«, fluchte sie und lief den Gang hinunter. »Ich weiß, dass ihr hier irgendwo seid. Okay, ihr habt mir Angst eingejagt. Reicht das? Dann kommt endlich raus!«

Aber das Kichern, das sie erwartet hatte, blieb aus. Auch traten keine Gestalten in Schlafanzügen aus den Schatten.

Spätestens dies wäre der Augenblick zur Umkehr gewesen. Aber Lisa wollte sich nicht so leicht geschlagen geben. Zudem war sie sicher, dass die anderen über sie herfallen würden, sobald sie ihnen den Rücken zuwandte.

Weiter. Bis ans Ende des Korridors.

Dort blieb sie vor dem hohen Portal des alten Ballsaals stehen. Hier hatten schon seit Jahren keine Feste mehr stattgefunden. Die blind gewordenen Spiegel an den Wänden, die verblichenen Deckenmalereien und Stuckschnörkel erinnerten an vergangene Zeiten, als hier noch rauschende Ballnächte veranstaltet wurden. Jetzt aber verrottete der Saal von Jahr zu Jahr ein wenig mehr. Ein trauriger Anblick. Keiner aus der Familie kam gerne hierher, am wenigsten die Kinder.

Die uralten Schwingtüren quietschten, als Lisa sie nach innen drückte.

Wie angewurzelt blieb sie stehen. Ihre Hände sanken kraftlos nach unten. Die Schwingtüren schlossen sich wieder, verbargen den Blick ins Innere des Ballsaals.

Aber Lisa hatte bereits etwas gesehen. Etwas, das es nicht geben konnte.

In ihrem Kopf schrillten hundert Alarmsirenen. Dreh dich um! Lauf weg! Verschwinde von hier!

Aber Lisa blieb stehen. Gab den Schwingtüren einen neuen Stoß.

Der Ballsaal war voller Menschen.

Frauen und Männer mit Masken.

Sie trugen altmodische Kleidung. Ballkleider wie aus Schwarzweißfilmen rauschten aufgebläht über das Parkett. Die Männer steckten im Frack oder in fantastischen Uniformen.

Und alle, bis auf den Letzten, verbargen ihre Gesichter hinter grotesken Maskeraden, bizarrer als alle, die Lisa je gesehen hatte. Sogar Nils’ Monsterköpfe konnten da nicht mithalten.

Die Schwingtür wollte sich erneut schließen, doch da wurden die Flügel schon von innen festgehalten. Zwei maskierte Butler (Butler? Hier im Hotel?) bedeuteten Lisa mit einer Verbeugung, in den Saal zu treten.

Wie in Trance folgte sie der Aufforderung. Niemand beachtete sie. Um sie herum drehten sich die Paare in ihren altmodischen Tänzen, und überall standen die Maskierten einzeln oder in Gruppen, nippten an ihren Gläsern und unterhielten sich.

Und trotzdem herrschte Stille. Kein Laut ertönte, nicht der geringste. Die Musik, zu der die Menschen tanzten, war nicht zu hören – und das, obwohl Lisa am anderen Ende des Saals ein maskiertes Streichquartett erkennen konnte. Auch die Gespräche blieben unhörbar. Gleichfalls die Schritte, das Rascheln der Ballkleider, das Knallen der Champagnerkorken.

Ich bin taub, dachte Lisa in Panik, und um sich zu vergewissern, sprach sie es laut aus:

»Ich bin taub!«

Sie konnte ihre Stimme ganz genau hören.

Lisa klatschte einmal in die Hände. Auch dieses Geräusch war für sie laut und deutlich zu vernehmen.

Und das Fest ging weiter. Stumm. Geräuschlos. Ein Geisterball.

Lisa wich zurück und stieß gegen die Schwingtür. Das kühle Holz vibrierte leicht in ihrem Rücken.

Zum ersten Mal besah sie sich die Masken genauer. Die meisten schienen Tiere darzustellen, allerdings auf groteske Weise verändert. Wie die traurigen Mutationen, die man manchmal im Fernsehen sieht: Strahlungsopfer, Missgeburten, gefolterte Versuchstiere. Seltsam verschoben, manche zu groß, andere zu klein. Mit Fangzähnen, wo keine hätten sein dürfen, oder gespaltenen Schlangenzungen, die aus den Mäulern von Säugetieren züngelten. Insektenaugen in den Köpfen von Reptilien, Katzenaugen in Vogelgesichtern. Fell und Schuppen auf ein und demselben Schädel. Haarlose Löwen, bärtige Eidechsen.

Geschöpfe aus einem Albtraum.

Jetzt sah Lisa, das manche von ihnen sabberten und spuckten. Einige hatten triefende Augen, ein Wolfskopf weinte sogar Tränen aus Blut.

Lisa war starr vor Grauen. Sie konnte sich nicht bewegen, obwohl sie es wollte. Ihre Muskeln gehorchten ihr nicht mehr.

Jenseits dieses wogenden Meers aus Schreckensschädeln stand einer, der besonders auffällig war. Er überragte alle anderen um mindestens einen Meter.

Es war ein Vogel, ein Storch. Sein Gefieder war schwarz wie das eines Raben. Gleich einem Schwert wies sein blutroter Schnabel auf Lisa. Beinahe anklagend.

Das Ungewöhnlichste aber waren seine Augen. Sie waren weiß und leer, ohne Pupillen.

Plötzlich teilte sich die Menge und bildete eine Schneise, die von dem schwarzen Storch bis zu Lisa führte. Und Lisa erkannte, dass unter dem Storchenkopf kein Mensch steckte. Er hatte den Körper eines Vogels! Ein Storchenleib mit Storchenbeinen, schwarz gefiedert und auf abstoßende Weise missgebildet. Er war über drei Meter groß, und seine Beine waren viel länger als üblich. Wie Spinnenbeine.

Lisa schrie auf.

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