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San Diego

Charles Zertes steuerte seinen Wagen schnell durch die verstopften Straßen von San Diego. Sein Ziel war der Royal Oak Drive direkt in den Skyline Hills, dem nobelsten und vornehmsten Viertel San Diegos. Hier wohnten die Superreichen.

Die, die es geschafft hatten, auf welche Art auch immer. Auch der Drogenbaron Juan Puertes hatte hier sein Domizil. Ein riesiges Anwesen mit einer großen, weitläufigen Villa umgeben von einem kleinen Wäldchen und gut geschützt vor unwillkommenen Blicken Fremder. Charles wusste, dass er ohne Puertes Zustimmung niemals Zutritt erhalten würde und unbefugtes Betreten käme überhaupt nicht in Frage. Dazu hatte er einfach viel zu viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen.

Zahlreiche Wachen waren über das ganze Anwesen verteilt und kontrollierten das gesamte Grundstück. Der Garten und das Haus waren Video überwacht und Bewegungsmelder gab es sicher auch. Nein. Seine persönliche Einladung, so hoffte Charles, war diese letzte Information. Er würde Puertes persönlich mitteilen, dass er so schnell als möglich zuschlagen sollte, weil momentan nur drei Männer zur Bewachung der Kronzeugen abgestellt waren. Das Zeitfenster würde sehr eng sein. Trotzdem hoffte Charles, dass diese Information für Puertes wichtig genug war. Ansonsten würde Puertes in zerquetschen wie ein lästiges Insekt. Beides war möglich. Er hielt am Tor vor der Gegensprechanlage und wartete ungeduldig, bis er aufgeforderte wurde, sein Anliegen mitzuteilen. „Ich muss dringend zu Mr.

Puertes. Mein Name ist Charles Zertes. Mr. Puertes Anwalt ist mein Bruder. Ich komme mit wichtigen Neuigkeiten. „Warte.“ Die schnarrende Stimme klang mürrisch und kalt. Keine fünf Minuten später glitt das Tor mit einem leisen Surren zur Seite und er konnte passieren. Sein Herz schlug jetzt rasend schnell. Er steckte seine Glock in den hinteren Hosenbund, obwohl er sicher war, gefilzt zu werden.

Vor dem Haupthaus angekommen, parkte er sein Auto direkt vor der Einfahrt und schritt auf die riesige Eingangstüre zu, die von innen geöffnet wurde. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, aber er würde keine Angst zeigen. Zwei Minuten später war er seine Glock los und wurde in eine Art Herrenzimmer geleitet, an dessen Wänden sich unzählige verschiedene Schuss-und Stichwaffen befanden. Eine wirklich beeindruckende Sammlung. „Charles, was zum Teufel machst du hier?“ Die Stimme seines Bruders überschlug sich fast. Lawrence saß in einem antik wirkenden Ledersessel in der Mitte des Raumes. Auf dem niedrigen Beistelltisch stand ein Glas Whiskey. Gute zehn Meter entfernt thronte Juan Puertes hinter einem imposanten, aus dunklem Holz gefertigten Schreibtisch. Der Schreibtisch stand vor einem der fast mannshohen Fenster, die einen tollen Blick in den waldähnlichen Garten boten. Der Raum selbst wirkte antiquarisch und düster, fast unheimlich trotz seiner beachtlichen Größe. Puertes beobachtete ihn mit wachsamen Misstrauen und verfolgte jeder seiner Bewegungen. An der Tür hatten die zwei Gorillas Stellung bezogen, die Charles beim Hereinkommen gefilzt hatten. Einer der beiden Männer hatte Puertes Charles Waffe auf den Schreibtisch gelegt, die dieser jetzt in seinen Händen hin und her wog. „Ja, ich wüsste auch gerne, was zum Teufel sie hier machen, um es mit den Worten Ihres Bruders zu formulieren.“ Puertes Stimme war sanft und kühl, aber Charles wusste genau, dass dieser Mann von Sanftheit so weit entfernt war, wie er von China. Diese trügerische, zur Schau gestellte Ruhe konnte sich blitzschnell in eiskalte und effiziente Energie verwandeln. „Ich hab eine wichtige Information für Sie, Mr.

Puertes“, sagte er, direkt an Puertes gewandt und ging auf ihn zu. Als dieser fragend die Augenbrauen hob, hörte er seinen Bruder hinter sich unwillig knurren. „Die Sanchez-Brüder haben einen der vier Personenschützer ausgeschaltet und der Staatsanwalt benötigt wichtige Unterlagen, an die er momentan nicht drankommt. Dies verschafft Ihnen neben einem zeitlichen Vorsprung auch noch einen personellen Vorteil, Mr. Puertes.“ Charles grinste süffisant. Puertes Augen waren nur noch schmale Schlitze. Er schien angestrengt über das, was er eben gehört hatte, nachzudenken. Als er kaum merklich nickte, atmete Charles hörbar aus, was Puertes Aufmerksamkeit sofort wieder auf ihn fokussierte. „Wir werden sehen, was ihre Information taugt.“ Mit diesen Worten griff er zum Telefon auf seinem Schreibtisch und begann zu wählen. Lawrence blickte seinen Bruder an. „Du hättest nicht herkommen sollen.“ Seine Blicke signalisierten jetzt fast so was wie Besorgnis, was Charles überrascht registrierte. „Remir, alter Freund. Weißt du noch, den Gefallen, den du mir schuldest?“ Puertes Stimme war Zucker, als er den anderen am Telefon an seine Schuld erinnerte. „Du kannst ihn jetzt einlösen.“ Während Puertes seinem alten Freund vermittelte, was genau er von ihm wollte, behielt er Charles im Blick. Dieser ahnte, dass es schlecht um ihn stand, aber es war ihm egal. Nachdem er Clarice getötet und nach der Aktion mit Patty und Sarah konnte es gar nicht anders als schlecht für ihn ausgehen. Im besten Fall würde er überleben und lebenslang weißes Fleisch für Langzeitknackis sein. Vielleicht war es auch der beste Fall, hier zu sterben.

Kurz und schmerzlos den Abgang machen. Es war ihm schlicht scheißegal. Er würde kein Lakai mehr sein, nie mehr.