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Mai 2010, San Diego, Büro des Oberstaatsanwaltes Matt wand und krümmte sich innerlich und versuchte verzweifelt auf diesem winzigen Besucherstuhl in diesem ebenso winzigen Büro eine bequeme Sitzposition zu finden. Er fühlte sich gänzlich unwohl und wollte endlich wissen, warum er hier eigentlich saß. Sicher war er nicht der Einzige, dem es momentan so erging.

In diesem klaustrophobisch engen Büro des Oberstaatsanwaltes Jonathan Priest saßen neben Priest und Matt noch drei weitere Männer, allesamt ungeduldig wartend, was man unschwer erkennen konnte. Sein Freund und Chef Nick Cellino, der rechts neben ihm saß, hatte ihm gestern Abend gesteckt, dass sie heute Morgen einen Termin im Gebäude der Staatsanwaltschaft hätten. Genauere Fakten konnte er ihm keine nennen, da er selbst im Dunkeln tappte. Clarice Stark, die Sekretärin des Oberstaatsanwaltes hatte bei SECURNOW angerufen und mit dem Chef höchstpersönlich für heute einen Termin vereinbart. Sie hatte auf Geheiß der Staatsanwaltschaft um Nicks Anwesenheit und die eines weiteren Spezialisten seines Teams, bevorzugt mit Nahkampf-und Schusswaffenausbildung, gebeten. Jetzt saßen sie hier, und warteten darauf, dass Priest endlich die Katze aus dem Sack ließe. Der winzige, fensterlose Raum war über die komplette linke Seite mit Regalen bestückt, die bis unter die Decke mit Akten und Büchern voll gestopft waren. Ein alter, fast antik wirkender Schreibtisch bildete das Zentrum des Zimmers und auch dort türmten sich Aktenberge und Papiere, so dass Matt sich fragte, wie ein vernünftiger Mensch bei diesem Chaos überhaupt arbeiten konnte.

Hinter diesem Schreibtisch hatte Jonathan Priest Platz genommen. Der kleine, untersetzte Mann konnte gerade so eben noch über die Aktenstapel schauen, was Matt erheiterte. Er begann zu schmunzeln. An der rechten Wand hing eine für das Zimmer überdimensionierte Karte der Vereinigten Staaten. Direkt darunter stand eine Kommode, auf der sich lediglich ein großer Flachbildschirm befand, der in diesem antiquiert anmutenden Raum völlig fehl am Platz wirkte. Neben der Kommode lehnte ein massig wirkender Kerl, den man ihnen als Sidney Field vorgestellt hatte, und bewegte sich nicht. Links von Matt saß ein schlaksiger Kerl namens Wes. Der Typ hatte so lange Beine, dass sie Mühe hatten, ihre Knie nicht aneinander zu stoßen.

Nick Cellinos Firma SECURNOW hatte in San Diego und Umgebung einen sehr guten Ruf. Man rief bei Cellino an, wenn man das nötige Kleingeld besaß und sich seinen erstklassigen Service leisten konnte. Sein Klientel bestand hauptsächlich aus amtlichen Würdenträgern oder Vertreter aus Industrie und Politik. Ganz selten bekamen sie auch schon mal den Auftrag, einen Schauspieler vor einem Stalker zu schützen, aber um einen verrückten Fan abzuwehren, waren die meisten Personenschützer eher überqualifiziert. Bei SECURNOW einen Auftrag erfolgreich abzuschließen hieß, dass der Klient am Ende gesund war und lebte, während der oder die Angreifer nicht mehr ganz so angriffslustig waren. Auch die Staatsanwaltschaft hatte SECURNOW schon des Öfteren mit heiklen Schutzaufträgen beauftragt und Jonathan Priest kannte Nick schon einige Jahre. Matt dachte an den Tag zurück, als er sich mit Nick zum ersten Mal getroffen hatte. Matt hatte Nick morgens angerufen und Nick hatte ihm noch für den gleichen Tag nachmittags einen Termin gegeben. Sie wollten sich in einem Diner treffen. Diesen Treffpunkt hatte Nick vorgeschlagen, der wahrscheinlich dachte, dass es sich dann für Matt weniger wie ein Bewerbungsgespräch anfühlen würde, womit er auch goldrichtig richtig lag. Also hatten sie sich für vier Uhr nachmittags im Big Kitchen Diner in San Diego City verabredet. Nick saß schon an einem der Tische und hatte Kaffee vor sich stehen, als Matt den Diner betrat und sich mit einem kurzen

„Hallo“ zu Nick an den Tisch setzte. „Hi Ice“, lächelte Nick ihn an, „Was kann ich für dich tun?“ Matt räusperte sich und bestellte sich bei der Bedienung ebenfalls einen Kaffee. „Ich brauch ńen Job“, eröffnete Matt ohne viel Schnörkel sein Anliegen. „Ich will bei dir einsteigen und für dich arbeiten.“

„Mhm“, brummte Nick und trank gemächlich einen Schluck Kaffee. „Ich habe gehört, was mit dir los war.“ Nick zog die Augenbrauen zusammen. „Wie sieht es jetzt bei dir aus?“ Noch bevor Matt antworten konnte, eröffnete Nick ihm seinen Teil der Regeln. „Bevor du etwas sagst, was dir hinterher leid tut…“, begann er ernst,

„etwas, was ich unter keinen Umständen dulde, ist Unehrlichkeit. Haben wir uns verstanden?“ „Geht klar Mann“, gab Matt zurück und begann stockend, seine momentane Situation und sein kleines Suchtproblem zu schildern. „Mir ist klar, dass du ein Problem damit hast, dass ich mit Whiskey ein Jahresabo hatte, aber das ist ab sofort vorbei“, schloss er seine Ansprache und erwartete Nicks Reaktion. Als dieser ihn nur lange ansah, wurde Matt ungeduldig. „Es ist okay für mich, wenn Du das nicht verantworten kannst Nick, wirklich.“ Aber Nick, der ihn die ganze Zeit aufmerksam gemustert hatte, murmelte nur so was wie „Ich muss ein Idiot sein“, und winkte ab. „Du kommst morgen auf unser Übungsgelände“, teilte er Matt mit und warf ihm eine Visitenkarte zu. „Dort werden wir feststellen, wie fit du wirklich bist. Wenn du den Fitnesstest bestehst, bist du dabei.“ Nick grinste ihn an, legte etwas Geld auf den Tisch und verabschiedete sich. „Also dann, bis morgen. Und Matt! Keinen Absacker mehr, ist das klar?“

„Ja, Sir“, hatte Matt geantwortet. Wie vereinbart, hatte Matt sich am nächsten Tag am Treffpunkt eingefunden und es dann irgendwie geschafft, die Tests ohne große Ausfälle hinter sich zu bringen. Und er hatte es geschafft. Er war wieder zurück. Jetzt saß er hier neben Nick. Und Nick hatte ihn für diesen noch unbekannten Job als einer seiner besten Männer ausgewählt und hinzugezogen. Ja, dachte Matt, ich habś geschafft. Gleich zu Beginn seiner Anstellung hatte Matt Nick erklärt, dass sein Job bei ihm nicht für die Ewigkeit sein würde, sondern er nur bei ihm bliebe, bis er wieder festen Boden unter den Füssen hätte. Womit Matt nicht gerechnet hatte war, dass sich dieser Job extrem interessant und spannend gestaltete. Matt hatte durch SECURNOW wieder Freude gefunden, einen Anker bekommen und war nicht mehr heimatlos. Er war aus Nicks Team nicht mehr wegzudenken, denn als Freund, Taktiker und Schütze war Matt einfach unschlagbar.

Nick Cellino war 43 Jahre alt und selbst ausgebildeter Nahkampfexperte. Er konnte einen Menschen auf verschiedene Arten völlig lautlos töten. Matt und er waren von ähnlicher Statur, nur das Nick gut 10 cm größer war als Matt. Er war nicht im klassischen Sinne schön, dafür war sein Kinn zu eckig, seine Lippen zu schmal und seine Nase einmal zu oft gebrochen worden. Allerdings konnten seine haselnussbraunen, von Lachfältchen umrahmten Augen einfach bezaubern. Er hatte diesen gewissen jungenhaften Charme, auf den Frauen einfach flogen. Seine kurz geschnittenen, sandblonden Haare und seine sonnengebräunte Haut erweckten auf den ersten Blick den Eindruck des Beachboys, was man jedoch gleich revidierte, wenn man es mit Nick zu tun bekam. Seine schroffe Art ließ ihn für Außenstehende und Fremde kalt und hart erscheinen. Das dem nicht so war, erkannt man spätestens daran, wenn man Nick mit seiner sieben Jahre alten Tochter Sarah beobachtete. Nick liebte die Kleine über alles, doch seit der Trennung von seiner Ehefrau Patty vor knapp vier Jahren hatte er Sarah nur noch an jedem zweiten Wochenende bei sich. Diese knapp bemessene Zeit verbrachten sie immer zusammen und Nick tat alles dafür, sich diese Wochenenden auch frei zu halten.

Dann schob er alles Berufliche, soweit ihm das möglich war, beiseite. Und außer seiner Arbeit hatte Nick nicht viel. Matt wusste, dass Nick in den letzten Jahren nur wenige sexuelle Beziehungen hatte. Es war, als hätte er sich komplett seiner Firma verschrieben und schönen Frauen komplett abgeschworen. Keine seiner Bekanntschaften hatte länger gehalten als ein paar Wochen und da Nick immer noch seinen Ehering trug, vermutete Matt, dass er sich mit dem Ring allzu anhängliche Frauen vom Halse hielt. Anderseits konnte es auch gut möglich sein, dass Nick immer noch an seiner Exfrau hing, was er aber niemals zugeben würde.

Sidney Field räusperte sich leise und Matts Blick fiel auf ihn. Sidney, kurz Sid, war 2007 mit 44 Jahren aus dem San Diego Police Departement ausgeschieden und war nun unter anderem als freischaffender Sicherheitsberater für die Staatsanwaltschaft tätig. Außerdem hatte er die Lizenz zum Privatdetektiv und verdiente sich so seinen Lebensunterhalt. Priest hatte Nick und Matt erzählt, dass Sid einer von den Guten war. Sid hatte die Polizei verlassen, nachdem bei einem Schusswechsel mit zwei Drogenkurieren sein damaliger Partner getötet und er schwer verwundet wurde. Inzwischen war er wieder voll genesen und auf dem Damm, was sich jedoch nicht auf sein Fitnesslevel bezog. Er hatte eindeutig zu viel auf den Rippen und wirkte mit seinen knapp 1,80 Meter wie ein zu groß geratener Teddybär. Seinem Blick nach zu urteilen, war Sid ein eher ruhiger Zeitgenosse, seine ganze Körperhaltung strahlte Ruhe und Verlässlichkeit aus.

Mit seinen dunkelblauen Augen und dem verstrubbelten, dunkelblonden Haar wirkte er wie Kevin Kostner in XXL. Auch ihn schien es zu interessieren, was er denn hier zu suchen hatte, verkniff sich allerdings jede Bemerkung und wartete einfach stoisch ab. Sein Ruf beim Organisieren neuer Identitäten und Verwischen von Spuren war legendär. Menschen, die er hatte verschwinden lassen, konnten ziemlich sicher sein, eines natürlichen Todes zu sterben.

Der Vierte im Raum hieß Wesley Robards. Er war mit seinen 39 Jahren der Jüngste im Bunde und war US Marshal. Wes war mit 1,95 Meter der Größte, aber auch der schlankste der Männer. Seine Arme und Beine erschienen lang und feingliedrig, was ihm ein jungenhaft, schlaksiges Äußeres verlieh. Sein schmales, längliches Gesicht wirkte durch den kurz gestutzten Vollbart etwas voller als es wirklich war. Der Nasenhöcker und die leichte Linksbiegung seiner Nase ließ einen Faustkampf vermuten, dies tat aber seinem Aussehen keinen Abbruch. Dadurch wirkte dadurch er männlicher. Seine wachen, hellgrauen Augen verrieten viel Humor und Schalk. Er sah tatsächlich so aus, als brütete er bereits über seinem nächsten Streich. Alles in allem wirkte er wie ein gealterter Jugendlicher und, obwohl er völlig anders aussah, erinnerte Wes Matt an seinen Freund Joe. An den Matt immer noch dachte, wenn auch nicht mehr ständig. Matts Schuldgefühle waren mittlerweile soweit verblasst, so dass er nicht bei jedem Gedanken an Tammy oder Joe vor Scham versinken wollte. Matt war im Laufe der Zeit endlich klar geworden, dass er Joe nicht wirklich betrogen hatte. Er hatte sich selbst vergeben, insbesondere, weil Joe ihn, trotz dem Wissen, wie Matts Gefühle für Tammy waren, geliebt und respektiert hatte. Seine Verliebtheit und Schwärmerei für Joes Frau waren zwar ständig präsent gewesen, aber er hatte niemals auch nur Anstalten gemacht, irgendetwas davon in die Tat umzusetzen. Okay… Tammy war immer noch präsent, auch wenn er es sich nicht eingestand. Die Vorstellung, mit der Frau seines besten Freundes, seines toten Freundes, Bande gleich welcher Art zu knüpfen, war für ihn unvorstellbar gewesen. Eine Beziehung auf dieser Basis hätte niemals eine Zukunft gehabt, wäre einfach nicht richtig gewesen. Das hatte Matt sich immer wieder über viele Monate selbst gesagt und wurde sich schließlich darüber klar, dass er sich auf ihren Brief hin weder telefonisch noch sonst wie bei ihr melden durfte. Nein. Es nicht konnte. Matts Gedankenfluss wurde durch Jonathan Priests Räuspern unterbrochen, als dieser ansetzte, endlich sein Schweigen zu brechen. Konzentration und Aufmerksamkeit kehrten wieder zurück.

„Wir haben gestern Vormittag gegen die Brüder Ramon und Raul Sanchez und Juan Puertes Haftbefehle erlassen. Alle drei sitzen momentan im Central Jail in Untersuchungshaft, bis sie dem Haftrichter vorgeführt werden.“ Nach einer kurzen Pause fuhr Priest fort. „Die Anklage lautet für die Sanchez-Brüder auf Dreifachmord und Juan Puertes wird der Anstiftung dazu angeklagt.“ Die Männer starrten ihn wie gebannt an, gespannt auf die Hintergrundstory. „Wir haben zwei Augenzeugen für die Morde. Sie können unabhängig voneinander bezeugen, dass sich sowohl Puertes als auch die zwei Sanchez-Brüder zum Zeitpunkt der Morde am Tatort befunden haben. Einer unserer Zeugen hat darüber hinaus beobachtet, dass Puertes den Befehl zur Erschießung der drei Opfer Terry O´Donell, Marc Tracy und Gary Reilly gegeben hat. Ramon Sanchez benutzte für die Tat eine Browning 9 mm Halbautomatik mit Schalldämpfer. Die Waffe konnten wir bei der Hausdurchsuchung sicherstellen und diese wurde auch als Tatwaffe ballistisch identifiziert. Die Waffe des zweiten Schützen, die von Raul Sanchez, konnten wir bisher nicht auffinden.“

Jetzt war in dem kleinen Raum kein Geräusch mehr zu hören. Es herrschte angespannte Stille, jedem der Anwesenden war die Bedeutung dessen klar, was Priest ihnen eben erzählt hatte. Den Namen Juan Puertes kannte in San Diego jeder mit Aufklärung von Straftaten betraute Staatsbeamte und auch garantiert jeder Kriminelle, denn Puertes war hier in der Stadt bekannt als Der Puppenspieler. „Der Zeuge wird weiterhin aussagen, dass er gesehen hat, wie beide Brüder abgedrückt haben und unsere Ballistiker konnten zwei der Morde zweifelsfrei der Waffe von Ramon Sanchez zuordnen. Mit seiner Waffe wurden Terry O´Donell und Marc Tracy getötet. Das Opfer Gary Reilly wurde zwar auch mit einer 9 mm hingerichtet, aber die Kugel stammt definitiv nicht aus Ramons Waffe“, fuhr der Oberstaatsanwalt fort. Matt wurde schlagartig klar, warum sie sich hier versammelt hatten und wieso Nick, Sid und er selbst hinzugezogen worden waren.

Ohne Schutz würden die beiden Zeugen niemals den ersten Prozesstag erleben. Juan Puertes hatte seine Finger in fast allen illegalen Geschäften, die in San Diego über oder unter dem Ladentisch von statten gingen. Auf sein Konto gingen Drogenhandel, Prostitution, Waffenhandel und ganz sicher stand Bestechung von Staatskräften ebenfalls ziemlich weit oben auf Puertes TO DO – Liste. Das war gewiss auch der Grund, wieso die Staatsanwaltschaft nicht nur auf den langen Arm des Gesetzes zum Schutz der Zeugen vertraute. Puertes hatte so viele Kapitalverbrechen auf dem Kerbholz, dass es für zwei Leben Knast ausreichte.

Bisher jedoch konnte man ihm nie etwas nachweisen, weil entweder die Beweismittel kurz vor Eröffnung des Verfahrens auf wundersame Weise verschwanden oder die Zeugen einen Rückzieher machten, falls sie dazu noch in der Lage waren und nicht vorher einen Unfall erlitten. „Gentlemen, Ihnen ist der Ernst der Lage sicher bewusst. Die Staatsanwaltschaft wird Anklage erheben und hätte zum ersten Mal die Chance, mit Hilfe unserer Zeugen eine Verurteilung für Puertes zu erwirken. Die Sanchez-Brüder werden wir auf jeden Fall für lange, lange Zeit aus dem Verkehr ziehen, aber Puertes…? Das ist unsere Chance.“ Priest nahm eine Akte vom Schreibtisch, schlug sie auf, überflog kurz die ersten zwei Seiten und begann dann den Tathergang zu schildern.

„Vor zwei Tagen war eine Gruppe von fünf Kindern mit ihren zwei Betreuerinnen bei einem Tagesausflug im Sea World San Diego. Die Gruppe wollte gerade nach Hause aufbrechen. Sie befanden sich an der Wildwasser Raftinganlage Shipwreck Rapids als eine der Betreuerinnen und ein siebzehnjähriger Junge Zeugen dreier Erschießungen wurden. Es gab zwei Schützen, die von einem dritten Mann zu den Tötungen angestiftet wurden. Dies haben beide Zeugen mit angesehen. Der Mann, der den Schießbefehl erteilte hat, wurde von dem Jungen zweifelsfrei als Juan Puertes identifiziert.“ Als Priest nach dieser Ankündigung schwieg, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Keiner der Anwesenden schien zu atmen. Oh Gott. Matt knirschte vor Anspannung mit den Zähnen. Sein Magen rumorte, als er sich den Schock des Jungen und der Frau vorstellte, bei einer Hinrichtung Zeuge gewesen zu sein. Den anderen Männern schien es genauso zu ergehen wie ihm. „Die drei Opfer, allesamt Iren gehörten dem neuen irischen Drogenring an, der seinen Wirkungskreis langsam aber sicher immer weiter ausbaut. Wir versuchen seit Monaten, deren Bosse das Handwerk zu legen und sie dingfest zu machen.“ Priest seufzte. „Hoffen wir mal, dass sich diese Geschichte nicht zu einem Bandenkrieg ausweitet. Die Sanchez-Brüder werden bis zur Verhandlung in Untersuchungshaft bleiben, dort sind sie vor etwaigen Übergriffen sicher. Puertes wird sicher die Gerüchte seiner Beteiligung an der Hinrichtung sofort dementieren und Gegenklage wegen meineidlicher Falschaussage erheben.“ Priest seufzte erneut. „Keiner wird glauben, dass sich Puertes höchstpersönlich dazu hinreißen hat lassen, an einer fast öffentlichen Hinrichtung teilzunehmen oder auch nur anwesend zu sein.“

Nick rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, bis Priest endlich weiter sprach. „Ihnen ist klar, dass momentan unsere oberste Priorität dem Schutz unserer Zeugen gilt. Ms. Stevens und Manuel müssen unter allen Umständen und mit allen Mitteln geschützt werden.“ Priest rieb sich die Schläfen und schloss kurz die Augen. „Ohne diese zwei Zeugen wird Puertes davonkommen. Bei den Sanchez-Brüdern haben wir immerhin ballistische Beweise, mit denen wir die Tat einer der Waffen zuordnen können, aber bei Puertes…?“ Der Oberstaatsanwalt schüttelte resigniert den Kopf. „… bei Puertes haben wir nur die Aussagen unserer beiden Zeugen, die ihn am Tatort gesehen haben.“ Matt hatte aufgehorcht, als Priest den Namen der Zeugin nannte. Unter diesen Umständen wäre es sehr wahrscheinlich…!

Nein, das konnte nicht sein. Er hoffte inständig, dass es nicht so war, es durfte einfach nicht sein. Eiskalter Schrecken kroch seine Wirbelsäule entlang und ließ ihn erschaudern. Bitte, bitte nicht, nein, das kann nicht sein, bitte nicht! Matt betete diese Worte immer und immer wieder vor, bis der der Oberstaatsanwalt eine Fernbedienung vom Schreibtisch aufnahm und eine Taste zweimal betätigte. Der Bildschirm des Monitors auf der Kommode wurde zuerst blau und dann erschien das Bild eines ernst blickenden Jungen. Er hatte schwarzes, etwas längeres Haar und dunkle, fast schwarz wirkende Augen. Sein Gesicht war schmal und besaß bereits die kantigen Züge eines jungen Erwachsenen. Dieser Junge hatte nicht mehr viel Kindliches an sich. „Das ist Manuel Calvas. Er ist siebzehn und unser Hauptbelastungszeuge. Manuel lebt seit einem Jahr auf dem Jugendhof Springfield in San Diego. Sein Vater ist vor fünf Jahren an einer Überdosis MET gestorben, seine Mutter vor drei Jahren an Krebs. Bis vor einem Jahr wurde der Junge von Heim zu Heim geschoben. Er galt als schwer zugänglich und teilweise aggressiv. Aber bis auf ein paar kleinere Diebstahldelikte ist seine Akte sauber, also alles in allem nichts Dramatisches. Dieser junge Mann konnte die Ereignisse sehr detailliert wiedergeben und hat die Sanchez-Brüder als Schützen und Puertes als Anstifter zu diesen Morden eindeutig identifiziert.

Seine Betreuerin in Springfield ist die Sozialpädagogin Tammy Stevens und sie ist unsere zweite Zeugin.“ Urplötzlich fuhren Matts Gefühle Achterbahn. Oh Scheiße. Als Tammys Bild auf dem Monitor erschien, stolperte sein Herz, nur um anschließend wie ein Hochgeschwindigkeitskolben zu schlagen. Matt brach der Schweiß aus allen Poren und ihm wurde schlecht. Nick warf ihm einen besorgen Seitenblick zu, aber Matt schüttelte nur schwach den Kopf. Heftig mit sich kämpfend tat er so, als nehme er eine andere Sitzposition ein und hüstelte leise. Wieder begann Priest Informationen runter zu rasseln, dieses Mal zu Tammy, während Matt versuchte, seine Atmung und den wahnsinnigen Puls zu normalisieren. „Dies ist Tammy Stevens, 34 Jahre alt. Ms. Stevens hat ihr Studium in Sozialpädagogik im Frühjahr 2007 abgeschlossen und arbeitet seit August 2007 auf dem Jugendhof als Betreuerin unter der Leitung eines gewissen Tim Noles. Zusammen mit der angehenden Sozialpädagogin Becky Travall betreut sie momentan fünf Kinder und Jugendliche im Alter von neun und siebzehn Jahren. Der Leumund von Ms. Stevens ist einwandfrei, es sind keinerlei Vorstrafen registriert, sie hat bisher noch nicht mal ein Bußgeld wegen Falschparkens oder zu schnellem Fahren erhalten. Ms. Stevens konnte die Ereignisse vor zwei Nächten fast fotografisch wiedergegeben. Ihr Gedächtnis für die Details war dabei gelinde gesagt, beeindruckend.“ Priest richtete sich nun direkt an Nick. „Nick, du wirst die Leitung des Zeugenschutzes übernehmen und zusammen mit Matt und Sid dafür sorgen, dass unseren Zeugen nichts passiert und zwar weder vor, noch während und auch nicht nach dem Prozess.“ An Sid gewandt meinte er, „Sid, du arbeitest bitte mit Nick und Matt Hand in Hand zusammen, deine Instruktionen erhältst du dabei direkt von Nick.“ Da Priest und Nick sich schon viele Jahre lang kannten und auch schon oft zusammengearbeitet hatten, war diese Entscheidung absolut nachzuvollziehen und Nick machte ein zustimmende Geste. „Du bist für den Datenfluss zuständig, wie zum Beispiel Satellitenüberwachung und GPS-Ortung“, wies Priest Wes an. Wieder an Nick gewandt, fuhr er fort, „Dein momentanes Hauptproblem ist im Moment Ms. Stevens selbst, denn sie weigert sich, bis zum Prozessbeginn den Kopf einzuziehen. Sie wird sich nicht von den Kindern trennen und es dir unter Garantie nicht einfach machen.“ Er ließ seine Worte erstmal sacken. „Ms. Stevens hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht mehr als Zeugin zur Verfügung stünde, sollten wir sie oder Manuel in Schutzhaft nehmen. Wir von der Staatsanwaltschaft haben ihr eindringlich erklärt, wie riskant es ist, sich nicht in Deckung zu begeben, aber sie bleibt hart, der Junge übrigens auch.“ Priest blickte die Männer einzeln an. „Diese Frau ist sehr deutlich geworden, wohin wir uns den Prozess stecken können! Euch ist klar, was das bedeutet! Es muss zuerst einmal ernsthaft Überzeugungsarbeit geleistet werden und falls das nicht fruchtet, werden wir härtere Geschütze auffahren müssen. Notfalls werden wir sie in Schutzhaft zwingen und gerichtlich dazu verdonnern lassen, ihren Pflichten als Zeugen der Anklage nachzukommen.“

Nick schüttelte bedächtig den Kopf und sprach aus, was Matt auch dachte. „Es wird nichts bringen, sie zur Aussage zu zwingen“, und fragte dann nach, „Wann können wir mit den beiden sprechen?“ Priest wollte gerade antworten, als sein Telefon klingelte. „Einen Moment bitte, es geht sofort weiter“, entschuldigte sich Priest und nahm das Gespräch an. Währenddessen fixierte Matt wie hypnotisiert den Monitor. Bereits eine ganze Weile konnte den Ausführungen des Staatsanwaltes schon nicht mehr folgen. Es war schlicht unmöglich, das durfte nicht sein, das gab es einfach nicht! Tammy lächelte ihn vom Monitor aus an und Matt war es, als wäre sie niemals weg gewesen. Als hätte er sie erst gestern gesehen. Schwups, einfach so. Der Paukenschlag, mit der die Vergangenheit ihn einholte, war lauter als das Blut, das in seinen Ohren rauschte. Verzweifelt hoffte er, nicht vor lauter Panik jetzt auf der Stelle ohnmächtig zu werden, denn sein Körper schien nicht mehr zu wissen, dass er atmen sollte. Er begann zu hyperventilieren, also senkte er seinen Kopf Richtung Knie und atmete bewusst.

Ein und aus, ein und aus und tatsächlich, es wurde besser. So viele Jahre hatte er sich von dieser Frau ferngehalten, nur um jetzt mit voller Wucht wieder ins totale Chaos gestürzt zu werden. Inständig hoffte er, dass nicht alle mitbekommen hatten, was gerade mit ihm passierte. Ihm war klar, dass er zumindest Nick nicht täuschen konnte, dafür kannte er ihn einfach zu gut. Die anderen Männer hatten zum Glück nicht auf ihn geachtet, sondern betrachteten ihrerseits das Bild auf dem Monitor. Wes und Sid unterhielten sich leise und als Matt mitbekam, dass sie sich über seine Tammy unterhielten, gefiel ihm das ganz und gar nicht. Sein Fokus richtete sich blitzartig wieder auf das Geschehen hier im Raum und er bekam gerade noch mit wie Wes zu Sid eine Bemerkung über rothaarige, sommersprossige Frauen fallen ließ, die mehr als nur ein bisschen unter der Gürtellinie war. Auch Nick hatte den Spruch mitbekommen und räusperte sich lautstark, was die zwei dazu veranlasste, ihr Gespräch zu unterbrechen.

Diese Augen, dieses freche Koboldgesicht und vor allem auch ihr Mund hatten ihn monatelang im Schlaf verfolgt und taten es in manchen Nächten immer noch.

Machten ihn völlig verrückt. Tammy sollte ihm eigentlich nichts mehr bedeuten, durfte ihm nicht mehr bedeuten. Matt lachte rau auf, so dass Nick ihm erneut einen schnellen Seitenblick zuwarf. Wem machte er sich eigentlich hier was vor?

Er hatte nie aufgehört, diese Frau zu lieben, obwohl er sie verdammt noch mal nicht haben konnte. Reiß dich zusammen, Mann, sagte er sich selbst und zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf den Fall zu konzentrieren. Vergebens. Mit aller Macht wurde ihm bewusst, dass er sich in all der Zeit nicht einmal bei ihr gemeldet hatte. Er war so mit sich, seinen Schuldgefühlen und seiner eigenen Trauer beschäftigt gewesen, dass ihm für eine Konfrontation mit ihr einfach die Kraft gefehlt hatte. Sie hätte von ihm keinen Halt bekommen und er wäre ihr keine Stütze gewesen. Im Gegenteil. Nein. Sei ehrlich zu dir. Er hätte es nicht mit ansehen können, Tammy um Joe weinen zu sehen. Wie oft hatte er den Mistkerl dafür verflucht, dass er ihn mit sich und seiner Trauer alleine zurückgelassen hatte. Seine Wut hatte sich so gesteigert, dass er Joe dafür fast gehasst hat.

Der Kerl hatte ihm so viel bedeutet. Aus reinem Selbstschutz hatte er Tammy aus seinen Gedanken zu verbannen versucht, es aber nicht mal ansatzweise geschafft.

Und jetzt war sie hier und schlug wie eine Bombe wieder in sein Leben ein.

„Konzentrier dich, Matt, verdammt noch mal.“ fuhr ihn Nick an, der Vorwurf in der Stimme war unüberhörbar und sein Freund hatte Recht. Priest legte den Hörer auf, machte schnell Notizen und begann dann damit, den Tathergang zu schildern.

„Die beiden Betreuerinnen Ms. Stevens und Ms. Travall waren mit allen fünf Kindern auf einem Tagesausflug im Sea World. Sie wollten sich gegen acht Uhr abends auf den Nachhauseweg machen, als es Jessie, dem 13-jährigen Mädchen der Gruppe so schlecht wurde, dass Ms. Stevens davon ausging, sie müsse sich übergeben. Also ging sie zusammen mit dem Mädchen und Manuel hinter einen geschlossenen Zuckerwagenstand. Es wurde gerade dunkel, aber durch die Beleuchtung der noch geöffneten Fahrgeschäfte war es auch abseits der belebten Budenstraße gut ausgeleuchtet. Jessie ging direkt zwischen den Rädern der Schießbude in die Hocke und Ms. Stevens hielt ihr Haar, während Manuel quasi Wache stand. Manuel bemerkte die Gruppe Männer bereits nach wenigen Sekunden.

Sie standen etwa 50 Meter entfernt zwischen zwei Wohnwagen, fuchtelten mit den Händen und redeten wie wild aufeinander ein. Aufgrund der Lautstärke der Musik aus den Fahrgeschäften war nicht zu verstehen, was genau gesprochen wurde, aber was es auch immer war, es reichte nicht aus, um die zwei Schützen, die dann ihre Waffen zogen, wovon auch immer zu überzeugen, sie am Leben zu lassen. Beide Waffen hatten Schalldämpfer. Dann wurden drei der Männer gezwungen, sich mit hinter dem Kopf gefalteten Händen auf die Knie zu begeben. Einer der Männer, der keine Waffe, trug signalisierte einem der Schützen eindeutig zu schießen, was dieser auch tat. Er trat vor und schoss hintereinander zwei der Männer in den Hinterkopf, woraufhin diese einfach nach vorne und seitliche wegsackten. Der dritte Mann wurde fast zeitgleich von dem zweiten Waffenträger hingerichtet, auch mit einem Schuss in den Hinterkopf. Ungefähr in diesem Moment erfasste Ms.

Stevens die Situation ebenfalls. Jessie, die mit ihrer Übelkeit kämpfte, bekam von all dem nichts mit, da sie mit dem Rücken zu den Männern kniete. Beide Zeugen sagen aus, es sei kein Schuss zu hören gewesen. Der als Puertes identifizierte Mann bemerkte die kleine Gruppe beim Wegggehen. Er hatte dabei direkten Blickkontakt zu Manuel und Ms. Stevens. Sie konnten nicht hören, was Puertes zu seinen Begleitern sagte, aber als einer sofort losrannte, reagierte Manuel fast gleichzeitig.“ Priest musterte die vier Männer um sich herum.

Angespannte Kiefer und atemlose Stille, er hatte die volle Aufmerksamkeit aller im Raum Anwesenden. „Manuel riss Jessie hoch und zog beide Frauen hinter sich her zurück auf die belebte Ladenstraße vor den Schaubuden. Er war so geistesgegenwärtig und stieß die beiden ins offen stehende Kassenhaus der Seeräuberschaukel. Das Fahrgeschäft war gut besucht und der Kassenwart bediente die Schaukel, die in vollem Betrieb war. Der Junge hat genau richtig reagiert in diesem Moment und so den beiden Frauen und sich selbst das Leben gerettet.“

Priest verstummte, er musste diese dramatische Situation auch erst mal sacken lassen. Dann atmete tief durch und berichtete weiter. „Manuel beobachtete durch einen Seitenschlitz des Kassenhäuschens wie der Kerl seine Waffe wegsteckte und sich suchend umgesehen hat. Dann war das Glück auf ihrer Seite, denn gerade als der Kerl sich ihrem Standort näherte, hielt die Schaukel an und die Menschen kamen herausgeströmt. Da hat er einfach aufgegeben und fluchend das Weite gesucht. Die drei blieben dann noch eine Zeitlang in dem Häuschen sitzen, bis der Kassenaufseher sie schließlich rausbugsiert hat. Als die wieder auf den Rest der Gruppe stießen, informierte Ms. Stevens Ms. Travall über den Vorfall und ließ Jessie bei ihr. Dann fuhren sie und Manuel mit dem Taxi zum nächstgelegenen Polizeirevier und schilderten die Vorfälle. Noch während die beiden den Tathergang so genau wie möglich wiedergaben, wurde eine Streife losgeschickt, um ihre Geschichte zu überprüfen. Man fand die drei Leichen genau dort, wo sie erschossen wurden.“ Es war totenstill im Raum. Alle warteten gespannt darauf, wie es weiterging. „Wie ihr wisst, sitzen unsere drei schweren Jungs seit gestern Mittag in Untersuchungshaft und Puertes wird morgen dem Haftrichter vorgeführt, um die Kaution festzulegen. Die Aussage der beiden Zeugen passt haarklein zum Fundort der drei Leichen und die Spuren am Tatort werden genügen, um eine Anklage wegen Mord und Anstiftung zum Mord zu stellen. „Oh Mann“, murmelte Sid, der sich jetzt die Hände in den Nacken geschoben hatte. „Das Gefängnis wird Puertes nicht aufhalten, ebenso wenig wie eine Kaution in Millionenhöhe!“ Er sprach aus, was die Männer im Raum dachten. Matt war blass geworden, ihm war schlecht und glaubte, jeden Moment vom Stuhl zu kippen, während Nick neben ihm keuchend die Luft ausstieß. „Verdammte Scheiße! Wo sind die beiden Zeugen jetzt?“ fragte Nick. Priest bedachte jeden der vier Männer im Raum mit einem langen Blick. „Ms. Stevens und Manuel sind hier im Gebäude. Wir werden sie gleich hereinbitten, falls ihr noch weitere Fragen an sie habt.

Momentan sind die beiden im CESARS untergebracht und stehen dort unter Polizeischutz. Zivilbeamte versteht sich. Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut.“ Priest seufzte schwer und trommelte nervös mit einem Stift auf dem Schreibtisch herum. „Nick. Wes. Ihr werdet dafür sorgen, dass dies so bleibt und unsere Zeugen am Leben bleiben.“ Er blickte Wes und Nick nacheinander durchdringend an. „Darüber hinaus müssen wir einen Zeugenschutzplan erarbeiten, der bombenfest steht und absolut sicher ist“, fuhr er fort. „Tom Noles, der Leiter des Jugendhofes und der Chef von Ms. Stevens versucht gerade, eine neue Unterkunft in einem der anderen Jugendhöfe des Landes zu bekommen. Er kennt die Einzelheiten des Falles nicht, ihm wurde nur erzählt, dass Manuel und Ms.

Stevens Zeugen einer Straftat wurden und momentan in dieser Angelegenheit unter der Obhut der Staatsanwaltschaft stehen. Natürlich haben wir ihn um absolutes Stillschweigen in dieser Angelegenheit gebeten.“ „Das ist nicht Ihr Ernst! Wie zum Teufel sollen wir auf einem Jugendhof voller Kinder die Sicherheit der Zeugen und auch aller anderen Personen gewährleisten?“ rief Wes empört aus. „Das geht überhaupt nicht, schlicht unmöglich. Diese Frau wird ihre Meinung ändern müssen, was den Zeugenaufenthalt und die Unterbringung betrifft“, knurrte er, jetzt stinksauer. „Wes hat recht, wir können keinen Zeugenschutz auf einem Hof voller Kinder aufbauen, das ist ein Unding“, warf jetzt auch Sid ein. „Immer ruhig“, Matts drohender Unterton war nicht zu überhören. Er war ernstlich sauer über Wes Reaktion, obwohl er unter anderen Umständen genau das Gleiche gedacht und geäußert hätte. „Wir werden die Sache schon klären, wir sollten uns alle erstmal beruhigen.“ Sie konnten auf keinen Fall riskieren, auf einem Hof voller Kinder solch wichtige Zeugen unterzubringen. Es wäre nicht auszudenken, wenn es dort zu einer Schießerei kommen würde. Sie würden die Kinder und alle anwesenden Personen nur unnötigerweise in Gefahr bringen. Matt war absolut sicher, dass auch Tammy das so sehen würde und mit ihr darüber vernünftig zu reden war.

Gleichzeitig wünschte er sich, sie wäre niemals in diesen Vergnügungspark gegangen und müsste jetzt nicht diese verdammte Aussage machen.

„Bevor ich Ms. Stevens und den Jungen hereinbitte, muss Euch allen klar sein, auf was ihr euch einlasst. Wenn Einer von Euch anderweitige Verpflichtungen hat, oder sich der Aufgabe nicht gewachsen sieht, entbinde ich ihn von diesem Auftrag. Dieser Job wird nicht nur ein paar Tage dauern, das dürfte euch allen klar sein und dass wir absolutes Stillschweigen bewahren müssen, brauche ich hoffentlich nicht extra zu erwähnen.“ Priest schaute Wes direkt an. Er hatte dessen Einwand von vorhin nicht vergessen. Allerdings schüttelte Wes jetzt den Kopf und Priest nickte ihm leicht zu. „Das habe ich erwartet. Er nahm den Hörer seines Telefons ab und bat seine Sekretärin Ms. Stevens und Manuel rein zu bringen. Clarice erwiderte etwas, woraufhin Priest bejahte und den Hörer auflegte. „Manuel wird etwas später nachkommen, er führt gerade noch ein Gespräch mit Mr. Noles.“ Kurz darauf öffnete sich die Bürotüre und Priest stand auf, um Tammy in Empfang zu nehmen und zu begrüßen. Als Ms. Stark dicht gefolgt von Tammy das Zimmer betrat, beschleunigte sich schlagartig Matts Pulsschlag.

Die Aufmerksamkeit aller Männer im Raum war nun auf die beiden Frauen gerichtet.

Clarice Stark war eine sehr hübsche, schlanke Frau Mitte 30. Ihre dunklen Haare waren zu einem modernen Bob geschnitten und umrahmten weich das schön geschnittene Gesicht. Sie trug ein marineblaues Kostüm, dessen enger Rock kurz über den Knien endete und ihre langen, schlanken Beine betonte. Ihre Füße steckten in halbhohen Pumps. Ja, sie war ein wirklicher Augenschmaus. Und dieser Augenschmaus wusste ganz genau um der Wirkung auf das andere Geschlecht und setzte dies auch gekonnt ein. Ihr schnurrendes „Guten Morgen die Herren“ klang eher wie eine Wen-darf-ich-zuerst-vernaschen? - Ansage. Selbstsicher, fast arrogant wirkend, stand sie da und dass, obwohl selbst Matt sich in der Enge des Raumes nicht sonderlich wohl fühlte. Er hätte 100 Mäuse darauf verwettet, dass sie ein Tänzchen mit keinem der Männer hier im Raum abgelehnt hätte. Tammy dagegen wirkte neben dieser klassischen Schönheit auf den ersten Blick wie das genaue Gegenteil. Ihre Körperhaltung drückte ganz klar Unbehagen aus und ihr Blick unter der modischen, blaugrauen Brille wirkte ängstlich. Als sie jetzt, um sich größer zu machen, die Schultern zurücknahm, schob sich ihr sowieso schon beachtlicher Vorbau nach vorne und zog dabei blitzartig die Aufmerksamkeit der Männer hier im Raum auf sich. Sicher war ihr nicht bewusst, um wie viel weiblicher sie neben der eher flachbrüstigen Clarice wirkte. Es war definitiv ein Märchen und gelogen, wenn ein Mann von sich behauptete, einer Frau nicht auf die Brüste zu starren. Geschmäcker waren dabei zwar bekanntlich verschieden, aber fast alle Männer, die Matt kannte, fuhren auf volle, große Brüste ab. Matt vermutete, dass Tammy sich neben Clarice klein und unattraktiv vorkam und hätte wetten mögen, dass ihr dass öfter passierte. Sie schien zu denken, neben einer Frau wie Clarice keine Chance bei den Männern zu haben. Wie weit diese Annahme von der Wahrheit abwich entlockte ihm ein Lächeln. Vielleicht brauchten manche Männer bei Tammy einen zweiten Blick, um ihre Schönheit und ihren Sexappeal zu erfassen. Ihn hatte sie bereits vor langer Zeit beim ersten Blick verzaubert.

Fast schämte er sich ein bisschen für seine Geschlechtsgenossen, die sich von Clarices aufgesetzt wirkendem Lachen und ihrer schönen Verpackung manipulieren ließen. Tja, Männer waren nun mal so einfach gestrickt. Clarice warf Tammy einen abschätzigen Seitenblick zu und verließ mit einem koketten Lächeln den Raum.

„Gentleman, ich möchte euch Tammy Stevens vorstellen“. Der Oberstaatsanwalt stellte sich schräg hinter Tammy, legte ihr seine Hände auf die Schultern und schob sie weiter ins Zimmer hinein. Dabei blieb er so dicht hinter ihr stehen, dass Matt ein leises Knurren entfuhr. Nick, der das sehr wohl gehört hatte, sah ihn ruhig an und schüttelte dann unmerklich den Kopf, doch Matt hätte Priest am liebsten von Tammy weggerissen, so sehr störte ihn dieser enge Kontakt, den Priest sich in seinen Augen herausnahm.

Tammy stöhnte innerlich auf, als sich fünf Augenpaare auf sie richteten. In diesem winzigen Zimmer waren zu viele Menschen und dann auch noch ausschließlich Männer, was sie total verunsicherte. Ihr Puls schnellte in die Höhe, soviel Testosteron war sie nicht gewohnt und es schüchterte sie ziemlich ein. Ihr war klar, dass sich ihr Leben die nächste Zeit drastisch, um nicht zu sagen unwiderruflich, ändern würde. Manuel und sie würden wohl oder übel auf gewisse Schutzmaßnahmen nicht verzichten können. Allerdings hoffte sie ganz stark, dass sich dieser Schutz auf einen Streifenwagen auf der anderen Straßenseite beschränkte und es sich nicht um Personenschutz oder noch schlimmer, sogar um Schutzhaft handeln würde. Innerlich wappnete sie sich gegen das Bombardement an Fragen, das gleich auf sie hereinprasseln würde. Sie war es einfach leid, die Story immer und immer wieder durchzukauen. Tammy hatte die letzten beiden Tage so viele Fotos angeschaut und Fragen beantwortet, Täter identifiziert, wieder Fragen beantwortet und noch einmal den Tathergang geschildert, nur um dann noch mehr Fragen zu beantworten. Sie konnte einfach nicht mehr. Manuel, der sich wie ein erwachsener Mann verhalten hatte und eigentlich Trost und Halt von ihr hätte bekommen sollen, hatte sie mehr als einmal tröstend und beschützend in den Arm genommen und die Polizisten böse angefunkelt, wenn diese sie zum gefühlt tausendsten Mal mit Fragen bedrängt hatten. Ihr war klar, dass Manuel in diesem Stadium des zum Mann werden, niemals eine Schwäche oder gar Angst zugeben würde, koste es was es wolle. Manuel gab sich stark und furchtlos und er war ihr Beschützer. Natürlich wusste Tammy es besser, aber was hätte sie tun sollen, fühlte sie sich doch selbst so schwach und schutzlos wie noch nie. Sie hatte niemanden anrufen können, nicht einmal Becky. Keiner, der schützend seine Arme um sie geschlungen hätte. Niemand, der sie getröstet, zugehört oder wenigstens einfach da gewesen wäre. Man hatte Manuel und sie vorläufig in einem Hotel in der Innenstadt untergebracht, um sie dort besser unter Bewachung zu haben. Nun stand sie hier in einem Raum voller Fremde und erwartete wieder, dass von allen Seiten Fragen auf sie einstürmten. Ergeben seufzte sie, blickte auf und stellte sich tapfer, dem was kam. Matt war schlicht überwältigt. Sie hatte sich verändert. Aus dem quirligen Mädchen, das er vor Jahren das letzte Mal gesehen hatte, war eine Frau geworden. Sie trug einen rosafarbenen Pulli mit V-Ausschnitt, der ihr locker über die Hüften und den Po fiel. Ihre blauen Jeans und die pink und weiß gestreiften Turnschuhe rundeten ihre sportliche Erscheinung ab. Außer einem silbernen Armkettchen und einer feinen, silbernen Halskette mit einem kleinen Feen-Anhänger trug sie keinen Schmuck. Ihre rotblonden Haare waren jetzt kürzer, die Locken umschmeichelten ihr reizendes Gesicht und endeten ein gutes Stück über den Schultern. Rein äußerlich waren die Veränderungen nicht so riesig, nein, es waren ihre Augen. Der Ausdruck ihrer Augen erschreckte ihn, denn sie blickten müde und traurig. Er kannte Tammy nur strahlend und voller Lebensfreude, die Augen vor Freude blitzend und funkelnd.

Ihr wunderschöner Mund war fest zusammen gepresst, kein Lächeln erhellte ihr Gesicht. Man sah ihr die Anspannung und den Druck, unter dem sie stand, an. Matt konnte es fast körperlich spüren. Sein Beschützerinstinkt meldete sich schreiend zu Wort und das Bedürfnis, sie in seine Arme zu ziehen und festzuhalten, wurde fast übermächtig. Matt bemerkte den Augenblick sofort, als Tammy ihn erkannte.

Ihre gesamte Haltung änderte sich schlagartig. Einige Sekunden lang fixierte sie ihn. Aber dann, so plötzlich, wie diese Veränderung gekommen war, verschwand sie wieder. Tammy straffte die Schultern und ließ ihren Blick zu Nick schweifen.

Matt war absolut sicher, dass er nicht der Einzige war, dem diese kurze Veränderung in ihrem Verhalten aufgefallen war. Nick hatte definitiv etwas bemerkt, denn der hatte ein sehr sensibles Gespür für solche Schwingungen.

Außerdem wusste Nick um Matts Reaktion auf ihr Bild. Jedenfalls würde ihn Nick später deswegen nicht so leicht vom Haken lassen und Matt würde ihm reinen Wein einschenken. Priests Hände lagen immer noch fest auf Tammys Schultern, als seien sie dort angewachsen. Der Mistkerl ließ sie einfach nicht los, was Matts männlichen Besitzanspruch laut aufbrüllen ließ. Sämtliche Muskeln in seinem Körper spannten sich an und er musste die Zähne fest aufeinander pressen, um nicht aufzuspringen und zu tun, was sein Instinkt ihm gerade zubrüllte zu tun.

Wenn Priest seine Finger behalten wollte, sollte er sie gefälligst an sich nehmen.

Da saß er, einfach so! Ihre Anspannung entwich auf einem Schlag und ihre Knie begannen zu schlottern. Priest, der hinter ihr stand, bemerkte sofort, das was mit ihr nicht stimmte und griff fester zu. „Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte er sie und zog sie näher zu sich heran, was Tammy sehr widerstrebte. So viele Tränen hatte er sie gekostet, so viele wache Nächte voller Sorgen und verpasster Gelegenheiten. Ihre spontane Erleichterung ihn zu sehen, verpuffte jedoch so schlagartig, wie sie gekommen war, als sie erkannte, dass er alles andere als erfreut schien, sie zu sehen. Nein, er freute sich definitiv nicht, sondern wirkte regelrecht versteinert, starrte sie aus zusammengekniffenen Augen vorwurfvoll und erschrocken an. Er war völlig erschüttert, sie hier zu sehen und machte keinerlei Anstalten, ihr entgegen zu kommen. Seine offensichtliche Abneigung schmerzte so sehr, dass ihr ein kleines Keuchen entfuhr. Oh Gott, nein!! Hoffentlich hatte sie die Kraft, jetzt nicht hier zusammen zu brechen.

Auf keinen Fall würde sie hier vor den Männern zusammenbrechen und vor Matt schon zweimal nicht. Sie straffte sich wieder und richtete sich stolz kerzengerade auf. Okay. Wenn er so tun wollte, als würde er sie nicht kennen, konnte sie dieses Spiel auch spielen. Kein Problem. Das Herz tat Tammy weh und ihr war, als müsste sie an diesem Schmerz ersticken. Aber sie würde durchhalten.

Dieser verdammte Mistkerl sah einfach umwerfend aus. Matts schwarzes Haar war kurz geschnitten, an den Schläfen hatten sich einige wenige graue Strähnchen verirrt, wodurch er noch männlicher und attraktiver wirkte. Er musste jetzt 37

oder 38 Jahre alt sein, überlegte sie. Seine phantastischen blauen Augen waren umrahmt von Lachfältchen. Sie erinnerte sich daran, dass er ein wunderbares Lächeln hatte, doch davon würde sie wohl nicht sehr viel zu sehen kriegen.

„Tammy. Darf ich Ihnen Nicholas Cellino vorstellen. Er wird sich zusammen mit Matthew Cassidy, Sidney Field und Wesley Robards um Ihre und Manuels Sicherheit kümmern“, führte der Oberstaatsanwalt aus. Nick lächelte Tammy aufmunternd zu.

Sein Händedruck war kräftig und seine kühlen Hände beruhigten Tammys Nerven ein bisschen. „Schön, Sie kennen zu lernen, Tammy. Ich darf doch Tammy sagen? Bitte nehmen Sie doch Platz.“ Mit diesen Worten erhob sich Nick und bot ihr seinen Platz an, aber sie winkte ab. „Nein danke, behalten Sie bitte Platz und ja, Sie dürfen gerne Tammy sagen.“ Sie lächelte unsicher zurück und fühlte sich ein kleines bisschen weniger verloren. Wow, dachte sie, was für ein Charmebolzen.

Aber der Charmebolzen war verheiratet, was an seinem Ehering unschwer zu erkennen war. Jonathan Priest drehte sie an den Schultern in Matts Richtung und sie begann sofort, hektisch zu schlucken. Auch Matt schien Probleme damit zu haben, ihr die Hand zu reichen, denn er streckte ihr nur zögernd seine entgegen.

Als sie sie ergriff, durchzuckte es Tammy heftig und sie fühlte sich, als stünde sie unter Strom. Ihr wurde sofort heiß. Oh verdammt. Dieses Gefühl war ihr wohl vertraut. Sie kannte es von ihrem allerersten Treffen, auch da hatte es sie schon getroffen wie ein Blitz. Damals, spontan wie sie war, hatte sie sich ihm an den Hals geworfen, nur um dann festzustellen, wie verdammt gut er sich angefühlte und wie wahnsinnig toll er roch. Matt räusperte sich und entzog, nein, entriss ihr seine Hand. Die Kälte, die zurück blieb, jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken und beseitigte jedes angenehme Gefühl. Sie blinzelte und hoffte inständig, dass sie Matt nicht zu lange fixiert hatte und keinem der Männer ihre Reaktion sonderbar vorkam. Schnell wandte sie sich dem nächsten der Männer zu, der sie anerkennend musterte und ihr ein strahlendes Lächeln schenkte. Gleichzeitig stand der Oberstaatsanwalt noch so dicht hinter ihr, dass sie seinen Atem an der Halsbeuge spüren konnte. Sie fühlte sich bedrängt und … fast angewidert. Urplötzlich machte sie eine ruckartige Bewegung nach vorne und es gelang ihr, seine Hände abzuschütteln. Außerdem hatte sie durch ihre Aktion mehr Abstand gewonnen, was sie erleichtert aufatmen ließ.

„Mein Name ist Wesley, aber nennen Sie mich doch Wes!“ Wes grinste sie an und flirtete ganz offen mit ihr, was sie sofort abschreckte. Ihn schien es überhaupt nicht zu kümmern, dass sie sich nicht alleine im Zimmer befanden. Er hielt ihre Hand mit beiden Händen fest umschlossen und sah ihr dabei direkt in die Augen.

Sein Blick war hungrig und sie kam sich vor wie eine Vorspeise. Ob ihm aufgefallen war, dass ihre Hüften doppelt so breit waren wie seine?

Normalerweise hatte Tammy auf Männer nicht diese Wirkung, denn diese neigten eher dazu, sie zu übersehen. Gut, manchmal wurde sie kurz gemustert, aber eben nur kurz. Mann will seine Frau schlank und wohlproportioniert, also weiter zur schlanken Lady nebenan. So war es halt, nicht zu ändern. Das einzige, was Mann immer von ihr wahrnahm, war ihr enormer Vorbau, aber das war auch schon alles.

Wesley war sehr groß und zu dürr für ihren Geschmack. Was sie jedoch am meisten störte, war sein anzüglicher Blick und sie war heilfroh, nicht mit ihm alleine zu sein. Trotzdem zwang sie sich aus purer Höflichkeit ihn anzulächeln, was er sofort zurückgab und mit leicht geöffnetem Mund seine Zähne zeigte. Kein Zweifel, dieser Kerl würde gerne eine Runde Matratzentango tanzen und Tammy hoffte inständig, dass sie ihr Lächeln nicht noch irgendwann bereuen musste.

Matt hatte das Gefühl, einen Schlag in die Magengrube bekommen zu haben, so sehr schmerzte seine Brust. Wes flirtete ganz offen mit seiner Tammy und sie …

lächelte zurück. Jetzt schaute der Mistkerl ihr auch noch richtig tief in die Augen. Tammy musste ihre Hand förmlich aus seinem Klammergriff befreien und zog sie dann so ruckartig zurück, dass es Matt eine kurze Befriedigung verschaffte.

Dann stellte sie sich dem Letzten in dieser Runde vor. Dazu jedoch musste sie sich weit über Wes beugen, der das sichtlich genoss. Automatisch gewährte sie diesem Hund einen tiefen Einblick in den V-Ausschnitt ihres Pullovers und Matt schloss völlig entnervt die Augen. Als er sie wieder öffnete, leckte sich Wes gerade genüsslich die Lippen. Sein Blick war auf das Tal zwischen Ihren Brüsten gerichtet und Matts Blut begann zu kochen. Er wusste genau, was dieser Drecksack sich da gerade anschaute. Nick und Priest erhaschten derweil einen schönen Ausblick auf Tammys Hinterteil. Ihr Pulli hatte sich durch ihre Dehnübungen nach oben geschoben und gab den Blick auf ihren Wahnsinnshintern frei. In dieser eng anliegenden Jeans zeichneten sich diese köstlichen Kugeln derart provokant ab, dass Nick sich vernehmlich räusperte und Priest anfing, an seinem Schlips herum zu fummeln. Matt bedankte sich stumm bei Nick, der dezent zur Seite blickte und überlegte gleichzeitig, ob er Priest an seiner Krawatte an die Heizung oder eher doch am Stuhl festzurren sollte. Ja, dachte er höhnisch, da wird es dir heiß du kleiner Wicht, und stöhnte dabei selbst auf. Scharf zog er die Luft ein. Dieser Hintern war so verdammt prächtig, dass Matt unzüchtige Gedanken überfielen. Oh Lord, das war hart. Er befand, dass sie sich ohne Waffenschein nicht frei bewegen durfte. Sein tiefer Atemzug wurde von jedem der Männer hier garantiert richtig interpretiert. Dieses verdammte, scheußliche Gefühlschaos ließ sich nicht so einfach zurückdrängen, ließ sich nicht einordnen. Ja, das einzige was er sicher wusste war, dass diese Frau ihn gründlich und total aus der Bahn warf.

Seinen Kopf, seinen Körper und auch seine Gefühle. Nachdem Sid und Tammy sich bekannt gemacht hatten, richtete sich Tammy wieder auf. Sie war nicht mehr ganz so nervös, aber dennoch sehr zurückhaltend in Anbetracht dieser geballten Männlichkeit im Raum. Ohne es zu wollen, warf sie Matt einen unsicheren Blick zu, den er auffing und mit einem winzigen Lächeln erwiderte. Ihr Herz flatterte aufgeregt, er hatte gelächelt. Matt stand auf und bot Tammy seinen Stuhl an.

„Setzen Sie sich hierher“, forderte er sie auf, schob ihr den Stuhl entgegen. Er selbst stellte sich schräg hinter dem Stuhl direkt an die Wand, mit soviel Abstand wie in dem kleinen Raum möglich war. „Danke“, sagte sie erstickt, während sie noch versuchte zu verarbeiten, dass er sie so förmlich angesprochen hatte. Ohne Widerspruch ließ sie sich auf den Stuhl sinken und war jetzt doch heilfroh, nicht mehr auf dem Präsentierteller zu stehen. Bestimmt gab es Frauen, die diese Art Aufmerksamkeit genossen, aber sie gehörte nicht dazu. Ihre Befürchtungen hatten sich bestätigt. Matt schien nicht erfreut darüber sie zu sehen. Konnte es vielleicht sogar sein, dass er sie gar nicht erkannt hatte?

Nein. Das glaubte Tammy nicht. Sie glaubte in seinen Augen gelesen zu haben, dass er sie sehr wohl erkannt hatte. Ganz plötzlich musste sie mit aller Gewalt gegen ihre aufsteigenden Tränen ankämpfen. Nein, nein, nein – sie durfte jetzt auf keinen Fall weinen. Nicht hier und nicht jetzt. Sie blinzelte heftig, schluckte ein paar Mal und gewann, dieses Mal.

Nachdem Tammy Platz genommen hatte, schob sich Priest wieder hinter seinen Schreibtisch.

„Ms. Stevens, nachdem Sie jetzt Ihre Schutzengel für die nächsten Wochen kennen gelernt haben, möchte ich Sie bitten, und noch die ein oder andere Frage zu beantworten.“ Priest nickte ihr auffordernd zu und sie seufzte ergeben. Männer!

Sein Nicken in Nicks Richtung bedeutete diesem, seine Fragen zu stellen, allerdings kam Matt Nick zuvor. Matt konnte nicht anders, er lächelte Tammy aufmunternd zu. Sie sah so unglücklich aus, dass er nur die Möglichkeit hatte zu lächeln, oder sie sofort in seine Arme zu reißen. „Hatten Sie am Tatabend Ihre Brille auf?“ fragte er Tammy sanft. Es war klar, dass er damit implizierte, dass sie eventuell gar nichts gesehen haben konnte. Sie schaute ihm direkt in die Augen. „Ja, Mr. Cassidy, die hatte ich auf. Ohne Brille sehe ich auf größere Entfernungen leider nur sehr unscharf, schon alleine deswegen trage ich sie fast immer, wenn ich unterwegs bin.“ „Mr. Priest teilte uns mit, das Sie geschätzte 50 Meter vom Tatort weg standen und es war bereits dunkel?“ Matts klare Kampfansage weckte ihre Lebensgeister, setzte ihre Kämpfernatur in Marsch. Ihr Temperament ging mit ihr durch, als sie ihn hitzig anfunkelte. „Wie bereits mehrfach erwähnt, war es fast taghell hinter diesen Buden. Aber das habe ich den Kollegen von der Polizei erzählt. Mehrfach. Es war … recht gut ausgeleuchtet und nicht schwer, diese Männer gut zu erkennen.“ Ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren hoch und schrill, entgegen ihrer sonstigen Tonlage. Verdammt, sie hatte diese Frage schon mindestens zehnmal beantwortet und nie war sie so explodiert wie eben gerade. Sie war genauso irritiert von ihrer Reaktion wie Matt, der sie wortlos anstarrte und fast unmerklich den Kopf schüttelte. Nick hatte ihren Ausbruch scheinbar auch richtig gedeutet, denn als er ihr die nächste Frage stellte, war er so behutsam wie selten. „Wie konnten Sie so genau erkennen, dass der Mann, den Sie als Puertes identifiziert haben, den Schießbefehl gegeben hat? Vielleicht stand er nur dabei, oder wollte das Gemetzel vielleicht sogar verhindern?“ Tammy räusperte sich, „Wer wen aufgefordert hat zu schießen, habe nicht ich gesehen, sondern nur Manuel“, sagte sie leise. Ihr war nicht klar, dass Nick sie gerade getestet hatte. Nick wusste sehr wohl, dass Tammy zwar die Täter, aber laut Aussagen nicht gesehen hatte, welche Rolle Puertes gespielt hatte. „Ich habe lediglich gesehen, dass zwei Männer am Boden lagen und ein Mann kniete. Ich habe zwei Männer mit Pistolen gesehen und den einen, dessen Blick man nicht vergisst. Dann wurden wir entdeckt und Manuel riss uns weg und wir rannten.“ Tammy stockte kurz, bevor sie weiter erzählte. „Allerdings werde ich den Blick dieses Mannes nie mehr vergessen, er hatte irgendwie … kalte Augen, einen stechenden Blick und er hat mir direkt in die Augen geschaut. Das war unheimlich …“ Tammy musste schlucken. „Dieser Mann hatte zwar keine Waffe in der Hand, aber er hatte so eindeutig das Kommando, wie in diesem Büro er das Sagen hat.“ Mit diesen Worten deutete sie entschieden auf Priest, der sich hinter seinem Schreibtisch plötzlich aufrichtete und so groß wie möglich machte. „Die Männer haben nur Manuel, Jessie und Sie zu Gesicht bekommen, richtig?“ „Ja, das ist richtig “ Tammy bestätigte Wes´ Frage. „Ramon Sanchez, der Kerl, der Sie verfolgt hat, kann keine Verbindung zwischen Ihnen und dem Rest der Gruppe herstellen, weil er Sie nicht mit Ihnen zusammen gesehen hat? „Nein, das kann er nicht“, bestätigte Tammy. „Als er angerannt kam, waren Manuel, Jessie und ich schon in Deckung gegangen. „Nur Manuel hat gesehen, wie der Kerl nach Ihnen gesucht hat?“, bohrte Wes weiter und wieder nickte Tammy bestätigend. „Wieso hat dieser Kerl seine Suche so schnell aufgegeben?“ Diese Frage schien Wes mehr sich selbst zu stellen, als sie an Tammy gerichtet zu haben. Tief seufzend setzte sie zur Antwort an. Sie hatte sich selbst das bestimmt auch schon oft gefragt und bereits einigen Polizisten diese Frage beantwortet, aber woher verdammt noch mal, sollte sie wissen, was in diesem Menschen vorgegangen war. „Ich bin mir nicht sicher, aber der Platz vor dem Fahrgeschäft war plötzlich voll mit Menschen.“ erläuterte sie noch einmal. „Wir hatten wohl einfach Glück. Vielleicht waren es ihm einfach zu viele Leute. Da hat er wohl beschlossen, lieber einzupacken.“ Sie klang müde und verzweifelt und Matt wurde das Herz schwer. Wie gerne würde er sie jetzt gleich in seine Arme ziehen und tröstend und schützend festhalten! Sid mischte sich jetzt ein. „Wie konnten Sie so schnell in Deckung gehen?“ Tammy schloss gequält die Augen.

“Jessie und ich ließen uns einfach nur von Manuel mitziehen. Eigentlich haben nicht wir reagiert, sondern Manuel. Ich stand glaube ich … unter Schock. Aber Manuel war irgendwie … der Wahnsinn.“ Nachdenklich blickte Tammy ins Leere. „Als hätte er in so was Erfahrung.“ Sie blickte auf. „Ich meine Erfahrung damit, in Deckung zu gehen.“ Sie stockte und ihre grünen Augen verschleierten sich. Matts Wunsch, sie zu sich zu ziehen, wurde fast übermächtig. Während die Männer abwarteten, bis sie weiter sprach, sammelte sie sich kurz und holte tief Luft.

„Manuel hielt Jessie im Arm und hat gleichzeitig durch einen kleinen Türschlitz diesen Kerl beobachtet. Er ist der Einzige von uns, der diesen Typ aus der Nähe gesehen hat.“ Tammy versank wieder in ihren Gedanken. Nick setzte vorsichtig an.

„Tammy, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass Juan Puertes ein äußerst gefährlicher Mann ist?“ „Natürlich“, Tammy nickte zustimmend. Nick räusperte sich, bevor er sein Vorhaben ausführte. „Manuel und Sie wurden Augenzeuge eines Dreifachmordes. Dadurch schweben Sie und der Junge in großer Gefahr, das ist Ihnen auch bewusst, oder?“ Sie nickte und schaute ihn aus riesigen Augen fragend an. Beruhigend fuhr Nick fort, „Tammy, wir können Sie und Manuel schützen.“ Als Tammy ihm ein schüchternes Lächeln schenkte, blickte er ihr ernst in die Augen.

„Wir können Sie schützen, indem Sie untertauchen. Sie verstehen sicher, dass es nicht möglich sein wird, fünf weitere Personen in Schutzhaft zu nehmen.“ Ihr Blick, den sie jetzt unverwandt auf ihn gerichtet hatte, war so hilflos, dass Nick tief aufseufzte. Er hatte jetzt zwar die Katze aus dem Sack gelassen, fühlte sich allerdings überhaupt nicht erleichtert, sondern kam sich wie ein Schuft vor. Ihre Augen setzten ihm eindeutig mehr zu, als er das erwartet hatte.

Dann, ganz plötzlich setzte Tammy sich kerzengerade hin und spannte ihren Körper an. Nick wappnete sich innerlich gegen ihren Widerstand. „Ich wusste, dass Sie so argumentieren würden“ Tammy nagelte ihn mit ihren Augen fest. „In Ihrer Gleichung gibt es leider einen Fehler, Mr. Cellino“, sagte sie und lächelte ihn kühl an. „Sie selbst haben mir gerade eben klargemacht, wie gefährlich diese Kerle sind. Was glauben Sie passiert, wenn unsere Namen durchsickern?“ Sie holte tief Luft, „ Und wen glauben Sie, werden sich die Typen zuerst schnappen, wenn sie an Manuel und mich nicht rankommen?“ Tammy atmete tief durch und warf dann in die Stille des Raumes, „Mal ehrlich, würde einer von Ihnen seine Kinder ungeschützt zurücklassen und sich selbst von einem halben Dutzend Profis bewachen lassen?“ Matt musste lächeln. Das war seine Tammy und sie hatte, verdammt noch mal Recht. Keiner der Männer sagte was, also sprach sie einfach weiter. „Nein?“ Tammy lächelte süß und meinte dann kühl, „Das dachte ich mir meine Herren. Dann sind wir uns ja einig.“ Jetzt stand sie auf, energisch das Kinn vorgereckt, bereit den Kampf mit ihnen aufzunehmen. „Ich werde die Kinder und Becky auf keinen Fall allein und völlig ohne Schutz zurücklassen.“ Matt gratulierte ihr innerlich zu diesem grandiosen Auftritt und sah aus den Augenwinkeln, dass Nick Tammy jetzt eindringlich musterte. Er war sicher, dass Nick genau das Gleiche dachte, wie er auch, nämlich, dass sie mit ihrer Einschätzung ziemlich genau den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. „Ich hoffe, dass ich in dieser Angelegenheit ihre Unterstützung habe, denn wenn nicht, werde ich selbst für den nötigen Schutz sorgen“, seufzte sie. „Wie wollen Sie das anstellen?“ Priest schnauzte Tammy wütend an, aber sie wich keinen Millimeter von ihrem Kurs ab. Matt gefiel der Ton des Staatsanwaltes überhaupt nicht und das zeigte sich jetzt deutlich auf seinem Gesicht. Sollte dieser Kerl sie noch einmal so angehen, würde Matt Probleme kriegen, da war er sich ganz sicher. Aber vorher wäre Priest in Nöten, das war sonnenklar. „Ich werde mich an eine Personenschutzfirma wenden und einen Schutzauftrag erteilen.“ Lustig, dachte Matt, genau dass planten sie hier gerade. Tammy sah Priest auffordernd an, der sich jetzt die wenigen Haare raufte. Dann schüttelte er langsam und bedauernd den Kopf. Bevor er auch nur ansatzweise dazu kam, etwas zu sagen sprudelte es aus ihr heraus. “Celine, Jonas und Jessie sind Geschwister und leben seit knapp vier Jahren mit mir und seit zwei Jahren mit Becky zusammen. Letztes Jahr sind Manuel und Sage bei uns eingezogen und wir haben es endlich geschafft, so etwas wie eine Familie zu werden. Becky und ich haben das absolute Vertrauen dieser Kinder, wir sind quasi ihre Mütter.“ Tammys Stimme überschlug sich jetzt fast.

Keiner der Männer im Raum sagte irgendwas. „Sie können nicht nur Manuel und mich beschützen. Sie müssen dies für unsere ganze Familie tun.“ Jetzt schloss sie die Augen und seufzte. „Und - Sie haben noch etwas ganz Wesentliches übersehen.

Weder Manuel noch ich werden nach unserer Zeugenaussage wieder in unser altes Leben zurückkehren können. Wir beide werden untertauchen müssen mit neuen Identitäten. Wir müssen verschwinden.“ Tammy schluckte schwer und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ihr Blick richtete sich auf Priest und dann auf Nick.

Matt dagegen blickte sie nicht an, ignorierte ihn völlig, was ihn wiederum total wahnsinnig machte. Zwar hatte er sie vor den Anderen wie eine Fremde behandelt, aber ihr musste doch klar sein, wieso er das tat. Aber wenn er recht darüber nachdachte, war es ihm nicht einmal selbst wirklich klar … Plötzlich durchfuhr ihn die Erkenntnis wie ein eisiger Pfeil. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und seine Mund wurde trocken. Er hatte den Bogen sicher überspannt und sich mit dieser Aktion völlig ins Aus geschossen. Sie würde ihn als Teammitglied unter diesen Umständen sicher nicht akzeptieren. Wow. Das war eine bittere Pille.

Wütend über sich selbst fuhr er sich heftig durch die Haare. Zwar war ihm klar, dass er sich diesen Schuh selbst anzuziehen hatte, aber diese Erkenntnis ließ das trostlose Gefühl der Leere in ihm nicht besser werden. Tammy stand auf und wischte sich die Hände an ihren Jeans ab. „Sie werden uns nicht trennen. Wir sind eine Familie.“ Sie nagelte den Oberstaatsanwalt quasi fest. „Ich werde nicht auf schlechte Nachrichten warten und ich werde mich nicht abends vor Kummer in den Schlaf weinen.“ Mit hoch erhobenem Kopf stand sie aufrecht da.

„Wenn Sie nicht in der Lage sind, zwei Frauen und fünf Kinder in einem Land wie den Vereinigten Staaten zu schützen oder eine neue Identität zu geben, werde ich meine Zeugenaussage zurücknehmen und nicht vor Gericht aussagen.“ Jetzt musste sie doch nervös schlucken. „Sie können gerne ihr Glück bei Manuel versuchen, aber er wird Ihnen genau das Gleiche sagen, denn auch ihm geht diese Familie über alles andere. Sie werden auf Granit beißen.“ Ganz leise fügte sie hinzu,

„Es tut mir leid.“ Matt konnte nicht anders, er bewunderte ihre Entschlossenheit und verstand ihre Beweggründe sehr gut. Tief in seinem Innern hoffte er sogar, dass sie sich gegen eine Aussage entscheiden würde. Damit würden sich zwei seiner Hauptprobleme schlagartig erledigen. Er musste sich nicht wie verrückt Sorgen um Tammy machen und er würde ihr nicht die kommenden Wochen täglich begegnen und dabei total durchdrehen. Sein gesunder Menschenverstand jedoch sagte ihm, dass sie aussagen musste und es auch tun würde. Es würde schwerer werden, sieben Personen zu schützen als zwei, aber sie hatten schon ganz andere Jobs bewerkstelligt. Die Kinder und Becky zurückzulassen, war unter diesen Umständen nicht wirklich eine Option. Matt beneidete Priest nicht um seine Position, denn der musste sich diesen Schutzauftrag jetzt erst mal von ganz oben absegnen lassen. „Gut, hören wir den Jungen.“ Priest schnappte sich den Telefonhörer. „Clarice, schicken Sie uns bitte Manuel herein. Sollte Mr. Noles noch hier sein, soll er bitte mitkommen.“ Während sie warteten, hielt Tammy den Blick auf ihre Hände gesenkt und vermied jeden Blickkontakt. Ihre Augen brannten von den zurückgehaltenen Tränen und ihre Kehle war eng und wie zugeschnürt. Gott sei Dank wurde nach ganz kurzer Zeit bereits angeklopft. Tim Noles und Manuel betraten das Zimmer. Als Tim Noles Tammy entdeckte, stürzte er sich regelrecht auf sie. Er riss sie in seine Arme und drückte sie ganz fest an sich. Oh ha, das ließ ja tief blicken! Matts Nackenhaare stellten sich auf und der Knoten in seinem Magen schien, falls das überhaupt möglich war, noch größer zu werden. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel und der Anblick von Tammy, in Umarmung mit diesem Kerl brannte sich förmlich in seine Netzhaut. Matt wollte ihn am liebsten in der Luft zerreißen, obwohl er noch keine zehn Sekunden gesehen hatte. „Oh Tammy. Gott sei dank ist dir nichts passiert. Ich bin ja so froh!“ Ja, dachte Matt grimmig, dass kann ich mir vorstellen. Er hatte sofort erkannt, wie es um diesen Kerl stand und sicher nicht nur er, sondern jeder Mann hier im Raum konnte erkennen, was hier los war. Dieser Tim brannte für Tammy. Er war Hals über Kopf in sie verschossen und total verrückt nach ihr. Genau wie er. Matt stöhnte innerlich auf. Wieso konnte es nicht einmal unkompliziert und einfach sein? Auch die anderen Männer beobachteten die Szene aufmerksam und Nick warf Matt einen viel sagenden Blick zu. Nick schien zu vermuten, dass Tammy und Noles was miteinander hatten. Matt schüttelte unmerklich den Kopf. Nein, auf keinen Fall, das wollte er einfach nicht glauben, konnte er nicht. Völlig unverhofft schob Noles Tammy ein paar Zentimeter von sich weg, umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht und küsste sie mitten auf den Mund. Matt knurrte tief in der Kehle und musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um dem Kerl nicht an die Gurgel zu gehen. Er wollte ihn von Tammy wegzerren um ihm Manieren beizubringen.

Allerdings kam Tammy Matt zuvor, indem sie Noles heftig von sich stieß. „Tim, was zur Hölle soll dass?“ Atemlos und mit wütend funkelten Augen blitzte sie Noles an. Ja, das tut gut, zeigś ihm Baby! Matts Erleichterung war grenzenlos und fast gleichzeitig ließ die Anspannung seines Kiefermuskels nach. „Es tut mir leid. Entschuldige bitte Tam“, stotterte Noles und machte ein zerknirschtes Gesicht. Sein bedauerndes Lächeln schien Tammy wieder milde zu stimmen und sie lächelte leicht zurück. Gott Tammy. Sei doch nicht so verdammt gutmütig. Matt war wütend, zwang sich dann aber, seine Aufmerksamkeit auf Manuel zu richten und war schlagartig total verblüfft. Die Körperhaltung des Jungen sprach Bände. Wie Matt hatte auch der Junge die Szene zwischen Noles und Tammy verfolgt und funkelte den Leiter des Jugendhofes mit unverhohlenem Widerwillen wütend an.

Seine Augen waren zusammengekniffen und sein Kiefer wirkte wie Beton, so fest musste er sich auf die Zähne beißen. Manuel war ungefähr so groß wie Matt und extrem schlank. Selbstbewusst und gerade stand er da, er strahlte Sicherheit aus. Matt verstand ganz plötzlich, was Tammy vorhin gemeint hatte. Der Junge fixierte Noles mit solch unverhohlener Abscheu und Wut, dass Matt stutzte.

Konnte es sein, dass Manuel sich mit ähnlichen oder gar gleichen Problemen wie er herumschlug? Urplötzlich stellte sich Manuel ohne ein Wort zu sagen so eng neben Tammy, dass nicht mal mehr eine Zeitung zwischen sie gepasst hätte. Jetzt war Matt wirklich beeindruckt. Dies war so eindeutig eine Schutzgeste, dass Manuel genauso gut Noles hätte von ihr wegzerren können. Ja, der Junge hatte definitiv Mumm in den Knochen und das gefiel Matt. Er löste sich von der Wand und streckte Manuel seine Hand entgegen, wogegen er Noles einfach ignorierte.

„Hi Manuel, ich bin Matt. Ich habe gehört, dass du mit deiner Wahnsinns-Reaktion im Sea World Ms. Stevens und Jessie quasi das das Leben gerettet hast.“ Manuels schokoladenbraune Augen sahen Matt durchdringend an, als versuchte er, seine Gedanken zu lesen. Seine langen, dichten Wimpern und der sinnliche Mund machten die Mädchen sicher jetzt schon verrückt. „Ich bin sicher, das hätte jeder Andere in dieser Situation auch getan“, erwiderte er und legte dann seinen Arm beschützend um Tammys Schulter. Manuel reichte Matt nicht seine Hand, also zog Matt seine Grußhand wieder zurück. Tammy lächelte Manuel an und schlang ihren Arm um seine Mitte. Schlagartig überzog ein strahlendes Lächeln das grimmig, angespannte Gesicht des Jungen und veränderte seinen Gesichtsausdruck so vollkommen, als wäre gerade die Sonne durch einen von Wolken verhängten Himmel gebrochen. Er entblößte strahlend weiße Zähne und seine Augen funkelten mit einer Intensität, dass sich Matts Verdacht bezüglich Manuels Gefühle für Tammy bestätigte. „Ich würde für meine Familie alles tun. Alles was nötig ist, damit ihnen nichts passiert.“ Diese eindeutige Kampfansage konnte Matt nur allzu gut verstehen und jeder andere Mann im Raum sicher auch. „Ich bin sicher, nicht jeder hätte in dieser Situation so geistesgegenwärtig reagiert, aber zum Glück warst du ja da.“ Manuel blickte Matt direkt in die Augen. Er lächelte zwar nicht, aber sein Blick war nicht mehr ganz so verschlossen, wie gerade eben noch und doch war Matt sich bewusst, dass er sich das Vertrauen dieses Jungen erst verdienen musste. Grimmig dachte er daran, dass es die Angelegenheit nicht gerade erleichterte, wenn er in Matt auch einen Rivalen sehen würde. Dann kam Matt plötzlich ein ganz anderer Gedanke, weit weniger abwegig, als dass sich ein Siebzehnjähriger in seine doppelt so alte Ziehmutter verliebte. Vielleicht verhielt sich Manuel so, weil er Angst hatte, seine Familie zu verlieren, von ihnen getrennt zu werden. Matt hoffte inständig, dass er damit richtig lag. Nun fiel sein Blick wieder auf Noles, der seinerseits Tammy unverwandt anstarrte.

Der Kerl war zwar etwas größer als Matt, aber wesentlich schlechter in Form als er selbst, was er mit grimmiger Befriedigung feststellte. Wie alt war dieser Typ überhaupt? Seine bereits ergrauten Haare waren kurz und akkurat geschnitten und mit seiner Hornbrille wirkte er eher bieder. Matt schätzte ihn auf Anfang oder Mitte Fünfzig. Wie konnte sich Tammy ernsthaft für diesen Kerl interessieren?

Viel zu alt für sie. Bei dem Gedanken musste Matt grinsen und er hoffte stark, dass Tammy das genauso sah. „Manuel“, begann Nick vorsichtig, „Ms. Stevens hat uns erklärt, dass es eventuell ein Problem mit der Zeugenaussage gäbe, sollten wir nicht die komplette Familie beschützen.“ „Nein, es gibt kein Problem, Sir“, widersprach Manuel, „Für mich ist eines klar, sollten Sie Tammy und mich in Schutzhaft nehmen und uns von unserer Familie trennen, gibt es keine Zeugenaussagen.“ Manuel blickte Nick fest in die Augen, bis dieser unmerklich nickte. Scheinbar ging es Nick ähnlich wie Matt, er bewunderte die taffe Art und das selbstbewusste und sichere Auftreten des Jungen. Priest schien das anders zu sehen, denn er brummte unwillig „So eine Scheiße“, in seinen Bart und starrte Tammy fast feindselig an. Sein nervöses Fingertrommeln auf dem Telefon zerrte an Matts Nerven. Schließlich räusperte sich Priest und erklärte dann sichtlich frustriert, „Also, es sieht so aus, als hätten wir keine andere Wahl Männer.“

Sein Blick schweifte durch den Raum und stieß auf allgemeine Zustimmung. „Meine Herren, wir sind uns sicher einig, dass wir in dieser Angelegenheit gezwungen sein werden, zu improvisieren. Wir werden nicht drum rum kommen, eine völlig andere Art des Schutzes aufzubauen. Mir ist kein Schutzhaus bekannt, dass Raum für so viele Personen bieten würde.“ „Sie müssen versuchen, Ms. Stevens, Ms.

Travall und die Kinder auf einem anderen Jugendhof unter zu bringen und zwar so schnell wie möglich“, sagte er deshalb an Noles gewandt. Noles, der immer noch nicht genau wusste, in welcher Gefahr sich Tammy und Manuel wirklich befanden, wandte ein, „Ich bin nicht sicher, wie schnell sich da was findet. Auf normalen Weg könnte es einige Monate dauern Plätze für sieben Personen zu bekommen.“

Priest schnaubte. „Hören Sie Mann, es ist lebenswichtig, dass wir in den nächsten Tagen reagieren.“ „Gut“, seufzte Noles. „Ich versuche die Angelegenheit zu beschleunigen. Ich werde mich gleich ans Telefon hängen.“ Bevor er ging, wandte sich Noles an Tammy. „Kann ich dich nachher im CESARS kurz treffen? Ich hab einiges mit dir zu besprechen, Tammy.“ Dieser verdammte Heuchler. Matt kochte innerlich und man sah es ihm sicher auch an. „Ja, klar Tim. Treffen wir uns nachher in der Hotelbar, okay?“ Tammys Antwort brachte Matts Zähne wieder zum Knirschen. Verdammter Mist. Bis diese Sache hier ausgestanden war, würde er neue Zähne brauchen. Nachdem Tim Noles das Zimmer verlassen hatte, brummte Priest, „Ich hoffe, dass Mr. Noles sich beeilt, um eine Unterkunft für die ganze Gruppe zu finden!“ Er seufzte und fuhr fort. „Diesen Aufenthaltsort dürfen nur ganz wenige Personen erfahren. Ich muss dir nicht sagen, dass es für unsere beiden hier“, und deutete auf Tammy und Manuel, „lebenswichtig ist, dass auch in deiner Firma niemand davon Wind bekommt.“ Sein Seitenblick zu Nick veranlasste diesen, aufzuschauen. Dann blickte er von Nick zu Sid. „Sid. Du wirst für die Kinder und die Frauen neue Identitäten besorgen. An Nick gewandt fuhr er fort,

„Wir werden zwar Ihre Identitäten ändern, aber sollte Puertes ihren Aufenthaltsort herausfinden, wäre es auf dem Hof zu gefährlich. Für diesen Fall werde ich ein oder auch zwei Schutzquartiere aussuchen und freihalten.“ Nick nickte zustimmend. „Super Idee. Wir können jede Hilfe gebrauchen, die wir kriegen können.“ Priest stieß hörbar die Luft aus und setzte sich dann aufrecht hin. „Sobald sich Noles bei mir gemeldet hat und wir wissen, wo es hingeht, wird sich Ms. Stark mit euch in Verbindung setzen, um das logistische Vorgehen zu besprechen. Die Geldmittel werden von mir direkt bewilligt und bei Bedarf auf euer Firmenkonto überwiesen. Noch Fragen, meine Herren?“ Matt schüttelte abwesend den Kopf, er zerbrach sich bereits darüber den Kopf, wie er Tammy und vor allem sich selbst diesen Tim von Hals schaffen könnte. Es widerstrebte ihm mehr als nur ein bisschen, dass Noles sie heute noch im Hotel besuchen wollte, aber Priest schreckte ihn aus seinen Überlegungen. „Da der Haftprüfungstermin für morgen Nachmittag festgesetzt ist, können Ms. Stevens und Manuel morgen Vormittag noch einige Besorgungen machen, was meinst du, Nick?“ Nick wiegte mit dem Kopf, sein Blick war nachdenklich. Trotzdem fuhr Priest unbeirrt fort,

„Matt, du und Nick nehmt euch bitte für morgen nichts vor. Ihr werdet Ms.

Stevens und Manuel morgen früh im Hotel abholen und mit Ihnen einkaufen gehen.

Ich bin sicher, der San Marino Center dürfte sich gut für einen einigermaßen sicheren Einkaufsbummel eignen.“ Er wandte sich Tammy zu und lächelte sie an.

„Ich weiß wohl, was wir Ihnen alles zumuten, deswegen sollten sie sich wenigstens mit dem Nötigsten für die nächsten paar Tage eindecken können.“ Dann griff er in eine seiner Schreibtischschubladen, zog eine Kreditkarte heraus und reichte sie Tammy. „Besorgen Sie sich die nötigen Kleidungsstücke und was Sie sonst noch brauchen. Matt und Nick werden Sie begleiten und auf Sie aufpassen!“

Matt verkrampfte sich innerlich. Oh nein, nicht auch dass noch. Bisher hatte sie ihn nicht mal mehr angesehen, seid sie sich vorhin wieder begegnet waren und er sollte einen Nachmittag zwischen Wäsche und Dessous mit ihr verbringen? NO WAY!!

Außerdem hasste er fast nichts mehr, als einkaufen zu gehen und ein Blick auf Nick bestätigte, dass es seinem Freund genauso ging. „Geht klar“, hörte er Nick jedoch sagen. Hatte der jetzt völlig seinen Verstand verloren? Okay, dachte Matt ergeben, dann halt einkaufen.

Nick schlug sich in Gedanken bereits mit einem ganz anderen Problem herum. Seit der Scheidung von seiner Frau Patty hatte er alle zwei Wochen das Besuchsrecht für seine sieben Jahre alte Tochter Sarah. Er würde Patty beibringen müssen, dass er sich die nächsten paar Wochen nicht um Sarah kümmern konnte und er war ziemlich sicher, das das hart werden würde. Hart, es Patty zu erklären aber noch viel schwerer, auf sein Mädchen zu verzichten, was allerdings in dieser Situation anders nicht möglich war. Seufzend stellte er sich das Gespräch mit Patty vor und wusste jetzt schon, dass Spießrutenlaufen ein Kinderspiel dagegen sein würde. Bevor er Patty anrief, wollte er jedoch noch Matt ausquetschen, der ihm sicher einiges zu Tammy Stevens zu berichten hatte. Das es zwischen ihnen eine gemeinsame Geschichte gab, musste jeder Volltrottel mitbekommen haben, der er nun mal nicht war. Grimmig dachte Nick daran, dass Frauen immer nur Ärger bedeuteten, selbst dann, wenn man dachte, man sei längst schon über sie hinweg.

Oder gerade dann? „Wes, du fährst Ms. Stevens und Manuel zurück zum CESAR.“

Priests Ton duldete keine Widerrede. „Aber gerne“, strahlte Wesley und wandte sich an Tammy. „Wir können sofort aufbrechen, wenn Sie startklar sind.“ Er zog sie mit Blicken förmlich aus und seine Stimme wurde samtweich, als er sie in ein Gespräch verwickelte. „Ich freue mich schon sehr darauf, auch die anderen Kinder kennen zu lernen. Es muss sicher schwer sein, fünf Kinder zu versorgen“, säuselte er. „Nein, überhaupt nicht“, widersprach Tammy lächelnd. „Man muss sie einfach nur lieben.“ Sie blicke bei diesen Worten zu Manuel und strich ihm dann mit der Hand über die Wange. Eine sanfte Röte überzog Manuels Wangen, er war sichtlich verlegen. Dann wandte sich der Junge zur Türe und ging grußlos hinaus.

„Auf Wiedersehen.“ Tammy hob zum Abschied die Hand zum Gruß und ging Manuel dann hinterher, dicht gefolgt von Wes. Der grinste triumphierend vor sich hin und Matt kochte. Dieser Mistkerl fuhr mit seiner Tammy zum Hotel, im Wagen dicht neben ihrem Körper und unterhielt sich mit ihr über Gott weiß was. Scheiße. Er sollte Tammy und Manuel ins Hotel fahren und nicht dieser Vollidiot Wes.

Frustriert stöhnte er auf. Heute lief aber auch gar nichts wirklich rund.

Nächste Scheiße – im Hotel wartete sicher schon der andere Knallkörper Tim auf sie. Es war zum Davonlaufen. „Dann bis morgen.“ Matt hob ebenfalls zum allgemeinen Gruß die Hand und trabte mit großen Schritten davon. Tammy und Wes gingen ein paar Meter vor ihm Seite an Seite. Verdammt noch mal, am liebsten hätte er sie in seine Arme gerissen, weg von Wes und weg aus der Reichweite dieses anderen Kerls, den er so schlecht einschätzen konnte. Wieso zum Teufel hatte er vorhin nur so getan, als kenne er Tammy nicht. Was, zum Teufel, hatte ihn da geritten? Die Situation könnte jetzt für ihn eine völlig andere sein. Er hatte sie damit verletzt und verwirrt, aber sie hatte sein Spiel tapfer mitgespielt. Für seinen Geschmack sogar zu gut. Und jetzt hatte er Angst. Sein Verstand sagte ihm, dass seine Reaktion völlig irrational war, wenn man bedachte, dass bisher noch nicht einmal ansatzweise etwas zwischen ihnen gewesen war. Es war zum Haare raufen und er fühlte sich plötzlich wie ein Stück Scheiße.

Matt hatte was in Ordnung zu bringen und das würde er so schnell als möglich erledigen. Morgen früh musste er sie während dem Einkaufsbummel zur Seite nehmen und mit ihr reden. Sich entschuldigen. Vor ihm lachte Tammy über was, das Wes gesagt hatte. Matts Magen spielte schon wieder verrückt und er schmeckte bittere Galle. Die einzige Entschuldigung zu seinen Gunsten war die Tatsache, dass Priest ihn unter Garantie von dem Fall abziehen würde, wenn er erfuhr, dass Tammy und er eine gemeinsame Vergangenheit hatten. Und es wäre dem Staatsanwalt dabei völlig egal, wie oft Matt betonte, dass die Beziehung, die sie hatten, rein freundschaftlich und nur platonisch gewesen war. Priest würde Matts Objektivität und seine Fähigkeit, rational zu handeln, anzweifeln. Matt lachte bitter. Welcher vernünftige Mann würde ihm schon abkaufen, dass er mit Tammy nicht intim gewesen war? Er betete darum, dass Nick ihm glaubte, denn sonst konnte auch Nick ihn ganz schnell aus dem Spiel nehmen. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft steuerten Manuel, Tammy und Wes dessen Wagen an, den er auf der rechten Parkplatzhälfte geparkt hatte. Matt ging geradeaus weiter, wo Nick ihren SUV geparkt hatte. Dort lehnte er sich an das Fahrzeug und wartete auf Nick, der nur zehn Sekunden nach ihm aus dem Gebäude kam. Er bekam keine Chance mehr, Tammy zu beobachten, denn Nick war mit wenigen Schritten bereits bei ihm, schloss den Wagen auf und hievte sich auf den Fahrersitz. Kaum saß Matt im Wagen, legte Nick los. „Also, dann schieß mal los, woher kennst du sie?“. War ja klar, dass Nick sofort zur Sache kam. Nein, er würde ohne Erklärungen hier nicht mehr rauskommen. „Sie ist … sie war … die Frau meines besten Freundes Joe.“ Nick, der Matts Geschichte nur vage kannte, schnaubte ungläubig. Zwar kannte er nicht alle Details, aber trotzdem genug, um zu wissen, dass der Grund für Matts Absturz damals der Tod seines besten Freundes war. Mit einem Seitenblick auf Matt kam ihm plötzlich die Erkenntnis noch eine weitere Erkenntnis. „Dein Problem war nicht nur Joes Tod, stimmtś? Dein Problem war, nein, ist seine Frau.“ Ergeben schloss Matt die Augen und seufzte leise, aber er nickte. „Du liebst sie“, stellte Nick fest, der seinen Freund während dieser Feststellung aufmerksam musterte. Verdammter Nick. Seine Spürnase konnte einfach keine Ruhe geben. „Musst du nicht fahren?“, antwortete Matt dumpf. „Ja verdammt“. Matt seufzte ergeben. „Ich liebe sie. Ich liebe sie schon immer, schon seit ich sie kenne, aber …“ Unfähig seinen Satz zu beenden richtete er seinen Blick in die Ferne. „Du konntest sie nicht haben“, beendete Nick für ihn den Satz. Als Matt mit geschlossenen Augen verzweifelt nickte, legte Nick seinem Kumpel die Hand auf die Schulter. „Tja Mann, wir können nicht ohne sie leben, sie lassen uns einfach nicht los.“ „Ich habś echt versucht und ich hatte es fast geschafft, dachte ich jedenfalls. Ich war über sie hinweg. Oh Mann, ich bin geliefert. Ich bin ein toter Mann.“ Nick lachte trocken auf. „Da hast Du wohl recht“, bejahte er und startete den Wagen. Plötzlich, einer Eingebung folgend bat Matt „Setz mich bitte im Hotel ab.“ „Bist du dir ganz sicher?“ fragte ihn Nick zweifelnd, doch Matt nickte nur stumm. Er musste diese Angelegenheit mit Tammy heute Abend noch klären, sonst würde er auf der Stelle durchdrehen.

Außerdem brauchte er seinen Schlaf, um morgen topfit und wachsam zu sein, und in seinem momentanen Zustand wäre das unmöglich. „Dir ist klar, dass ich dich eigentlich von dem Fall abziehen müsste, oder?“ Nicks Frage traf Matt wie einen Faustschlag. „Du dürftest an dieser Operation gar nicht teilnehmen.“ „Ich weiß.“

Matt seufzte gequält. „Aber solltest du mich abziehen, mache ich eigenständig weiter.“ „War ja klar.“ Nick grummelte vor sich hin und lachte dann auf. „Würde ich auch nicht anders machen.“ Damit war der Fall für ihn erledigt. Als Nick ihn vor dem Hotel absetzte, grinste Matt seinen Freund dankbar an und verabschiedete sich von ihm. Dann ging er durch die Eingangshalle des CESARS, durchquerte mit langen Schritten das Foyer und legte dann schwungvoll seine Hände auf den Tresen der Rezeption. Mit den Jeans wollte er nicht so richtig in diese feudale Halle passen, aber das scherte ihn keinen Cent. Er lächelte die Dame hinter dem Tresen freundlich an und fragte dann nach der Zimmernummer von Ms. Stevens. „Das tut mir Leid, Sir. Es ist mir nicht gestattet, Ihnen darüber Auskunft zu geben.“ Sie lächelte geschäftsmäßig zurück und Matt sah ihr an, dass er hier keine Chance hatte. „Wenn Sie möchten, lasse ich Ms. Stevens eine Nachricht zukommen.“ „Das ist auch in Ordnung.“ Matt grinste. „Bitte richten Sie Ms. Stevens aus, dass Mr.

Cassidy in der Hotelbar auf sie wartet. Vielen Dank.“ Damit wandte er sich ab und ging zur Hotelbar hinüber. Dort schwang er sich auf einen Barhocker und bestellte sich ein Bier. Als er den Schatten bemerkte, der sich langsam in seine Richtung schob, waren alle seine Sinne auf hab acht gegangen. Er fuhr so schnell herum, dass sein Gegenüber nicht den Hauch einer Chance hatte, noch zurückzuweichen. Dafür entfuhr Manuel, der sich seitlich an ihn rangepirscht hatte, ein leiser Schrei. Der Junge war so erschrocken, dass er ganz blass um die Nase war. „Mann, ist ja gut, ich werd mich nicht wieder anschleichen.“ „Ist auch besser so,“ gab Matt zurück, drehte sich auf seinem Hocker herum und trank einen Schluck Bier. Er musste sich ganz dringend runter beamen, so sehr stand er unter Strom. Um ein Haar hätte er den Kleinen angefallen und unschädlich gemacht. All seine Sinne waren von 0 auf 100 in den Kampfmodus gesprungen und das hätte böse ins Auge gehen können. Manuel blickte ihn von der Seite her an.

„Ich habe mitbekommen, dass Sie Tammy sprechen wollen und wollte mich kurz mit Ihnen unterhalten.“ „Ja, was gibt’s?“ Matt gab sich betont schroff, denn er wollte jetzt keine persönlichen Fragen beantworten und schon gar nicht einem halbwüchsigen Jungen, der auf Beschützer machte. „Wieso haben Sie sich in all der Zeit nie bei Tammy gemeldet?“ Matt erstarrte zu Eis. Was zum Teufel hatte Tammy dem Jungen erzählt? Die Stimme des Jungen klang vorwurfsvoll zu ihm durch.

„Tammy mag Sie sehr, wissen Sie!“ Matt schluckte trocken, trank schnell noch einen Schluck seines Bieres. „Ich mag Tammy auch sehr, Manuel.“ Was sollte er einem siebzehnjährigen Teen erzählen? Dass er zu feige gewesen war, um sich bei ihr zu melden? Das seine Angst und seine Schuldgefühle ihn überwältigt hatten?

Noch bevor er Manuel eine Antwort geben konnte, kam Tammy in die Bar geschlendert. Sie sah müde aus, trotzdem bemühte sie sich, einen wachen, munteren Eindruck zu vermitteln. Grinsend ging sie auf die beiden Männer zu.

„Tim wird auch gleich da sein, er hat gerade angerufen. Ich hab ihm gesagt, dass wir hier auf ihn warten.“ Noch bevor er darüber nachdenken konnte, schoss Matt seine Frage ab. „Wo ist Wes?“ Verdammt. Er klang wie ein eifersüchtiger Ehemann und benahm sich auch so. „Wes liegt oben in meinem Zimmer und wartet auf mich.

Nackt.“ Tammys Stimme klang tonlos, als sie weiter sprach. „Ich werde jetzt noch schnell Tim auf der Toilette vernaschen und mich dann über Wes hermachen.“

Während Matt vollkommen verblüfft über ihre unverschämte, unverblümte Antwort war und wütend wurde, begann Manuel laut zu lachen. Der Junge gluckste vor Vergnügen und kriegte sich gar nicht wieder ein. Matt war klar, dass Tammy ihn in seine Schranken gewiesen hatte, aber wieso hatte sie das vor dem Jungen getan? Matt kochte. Er wusste nicht, ob er sie übers Knie legen wollte, oder ihr die freche Klappe lieber mit einem hemmungslosen Kuss stopfen sollte. „Wo. Zum.

Teufel. Ist. Wes?“ Matt knurrte Tammy an und Manuel richtete sich zu seiner vollen Größe neben ihm auf. „Mr. Robards hat uns abgesetzt und ist dann wieder gefahren.“ Manuel spuckte Matt die Worte förmlich entgegen. Die Verachtung über Matts verbale Attacke Tammy gegenüber war körperlich greifbar. Er setzte an, noch etwas zu sagen, entschied sich dann aber dagegen. „Ich werdńach oben gehen und ein wenig fernsehen.“ Der Junge blickte Matt finster an und meinte dann an Tammy gewandt, „Ist das für dich in Ordnung?“ Ah, clever. Bevor Manuel ging, checkte er ab, ob Tammy sich mit Matt alleine unwohl fühlte. Wieso kam er sich jetzt bloß wieder zu schäbig vor? Er verhielt sich absolut irrational und reagierte so emotional, dass Nick Recht hatte. Eigentlich sollte er von dem Fall abgezogen werden. Matt atmete tief ein und aus und wurde ruhiger. Sie gehört mir nicht. Sie gehört mir nicht. Sie ist nicht deine Frau. Wenn er sich das oft genug vorsagte, würde sein dämlicher Verstand das hoffentlich irgendwann glauben. „Na klar, geh ruhig.“ Tammy lächelte Manuel an und zog ihn in eine innige Umarmung. Eigentlich hätte Matt geschworen, dass es Manuel unangenehm wäre, in einer voll besetzten Bar von Tammy umarmt zu werden, aber da hatte er sich gründlich getäuscht. Manuel schloss die Augen und schmiegte sich fest an Tammy. Er überragte sie ein gutes Stück und grub sein Gesicht in ihre fantastische Lockenpracht. Bei diesem Anblick durchfuhr Matt ein schmerzhafter Stich und er wandte den Blick ab. Nach einigen Sekunden räusperte Matt sich vernehmlich und Tammy entließ Manuel aus ihrem Klammergriff. Zögernd, fast unwillig löste sich Manuel von ihr. „Gute Nacht“, flüsterte er ihr zu und blickte dann Matt in die Augen, bevor er sich umdrehte und mit weit ausholenden Schritten die Bar verließ. Der Blick des Jungen war eine eindeutige Warnung an Matt. Tu ihr was, und du bist fällig, hatte er mit seinen Augen gesagt. Oh ja, dieser Junge würde Tammy bis aufs Blut verteidigen und zwar mit allen Mitteln, die ihm dazu zur Verfügung standen. Matt war ganz sicher, dass der Junge Tammy liebte. Er wusste bloß nicht, welcher Art die Gefühle des Jungen für sie waren und hoffte inständig, dass er sie liebte, wie ein Sohn seine Mutter. Nicht mehr und nicht weniger. Aber Matt war ziemlich sicher, dass er das bald herausfinden würde. Wenn er doch nur seine eigenen Gefühle klar definieren könnte. Stopp!

Natürlich konnte er seine Gefühle für sie genau bestimmen. Er liebte Tammy, er hatte sie schon vor Jahren geliebt und nie aufgehört damit. Sie würde ihm nicht glauben. Was immer er zu Tammy sagen würde, sie würde es ihm nach alledem niemals glauben. Matt hatte sie weggestoßen, sie jahrelang einfach ignoriert und jetzt auch noch verleumdet. Damit hatte er überdeutlich gemacht, hey du. Lass mich gefälligst in Ruhe. Ich will dich nicht. Was war er doch für ein Riesenarschloch. Dabei verzehrte er sich nach dieser Frau, begehrte sie so stark, dass es ihm körperlich wehtat. Völlig am Ende mit seinem Latein, wusste er nicht so genau, was jetzt zu tun war, wie er sich verhalten sollte. Tammy war stinksauer. Sie kochte vor Wut. Was bildete sich dieser verdammte Kerl eigentlich ein? Erst behandelte er sie wie Luft, dann wie eine Fremde und jetzt mimte er den großen Beschützer und führte sich auf wie ein eifersüchtiger Ehemann? Sie fuhr blitzend zu ihm herum. „Es geht dich einen Dreck an, mit wem ich meine Zeit verbringe, nur damit das klar ist.“ Ihre Augen funkelten wütend und ohne nachzudenken, schoss Matt zurück. „Du kennst diesen Typen nicht und ich hatte einfach Angst …“ Er stockte, überlegte kurz, griff dann aber anstatt weiter zu reden, lieber zu seinem Bier. Eine Weile sagte keiner von ihnen etwas.

„Vor was hast du Angst, Matt?“ flüsterte Tammy plötzlich ganz sanft und so nah an seinem Ohr, dass er ihren Atem fühlen konnte. Sie war so nahe an ihn ran gerückt, dass er die Hitze ihres Körpers spürte. Wann war sie ihm so nahe gekommen? War er bereits so gedankenverloren, dass seine hoch gelobten Instinkte ihn verlassen hatten? Das war, Gott verdammt noch mal, ganz und gar nicht gut.

„Wovor hast du soviel Angst, Matthew?“, wiederholte sie ihre Frage. Ihre Lippen berührten fast seinen Hals und wenn er den Kopf jetzt herumdrehte, würde er an ihrem Mund kleben. „Wieso spielen wir dieses – Ich-Kenn-Dich-Nicht-Spiel? Und für wen?“ Ihre Stimme war jetzt wieder kräftiger und deutlich lauter. Sie schien sich in Rage zu reden. „Was zur Hölle ist los mit dir? Erklär mit bitte, was ich dir getan habe? Womit ich so eine schäbige Behandlung verdient?“ Ja, womit eigentlich? Tammys Fragen waren alle berechtigt, bewirkten aber außer einem mächtigen Brummen in Matts Schädel gar nichts. Sein Herz war ein Eisklumpen und er hätte heulen können, als sie jetzt krampfhaft versuchte, gegen ihre aufsteigenden Tränen anzukämpfen. Wieso verhielt er sich wie ein kompletter Idiot und ließ sie so im Regen stehen? Darauf hatte er keine Antwort, er war schlicht sprachlos. Er hob den Blick. Ihr Gesicht war nur wenige Zentimeter von seinem entfernt und diese intime Nähe brachte ihn völlig aus dem Konzept. Alles, was er eben vielleicht noch gewusst hätte, war wie weggefegt. Reden war noch nie seine Stärke gewesen, dass ihm diese Schwäche jetzt aber zum Verhängnis werden würde, war mehr als bitter für ihn. Er schluckte hart, als er die ersten Tränen kullern sah. Ihre zarten Wimpern lagen wie Schatten auf den Wangen und ihre Lippen… OH GOTT, diese Lippen. Sie hatte begonnen, an ihrer Unterlippe zu kauen und Matt beobachtete ihre kleinen Zähne dabei, wie sie ihre Lippe bearbeitete.

Nervös begann er zu schlucken und seine Stimme in den Griff zu bekommen. „Wenn Priest erfährt, dass wir uns kennen, zieht er mich von dem Fall ab“, stieß er rau hervor, um Beherrschung ringend. Okay. Dann also die Schutzbehauptung.

Obwohl, ein Fünkchen Wahrheit enthielt sie ja. Tammy betrachtete Matt eine Weile, ohne etwas zu erwidern. Dann seufzte sie leise, und wandte sich traurig ab. Nicht gut genug. Hätte mich mehr anstrengen müssen, schoss es Matt durch den Kopf. Resigniert ließ er die Schultern hängen. „Gute Nacht Matt. Wir sehen uns morgen.“ Damit ließ sie ihn sitzen und nahm nahe der Tür an einem der kleinen Zweiertische Platz. Diese Runde hatte er zweifelsfrei verloren. Verdammte Scheiße, sie hatte ja Recht. Er benahm sich wie ein Arsch, wie die berühmte Axt im Walde, er hatte es verdient, dass sie ihn so sitzen ließ. Während er noch am Überlegen war, was sein nächster Zug werden würde, kam Tim Noles in die Bar spaziert und entdeckte Tammy natürlich sofort. Er zog sie zu sich empor und umarmte sie - schon wieder! Auch dieses Mal schien Tammy das zwar nicht sonderlich zu genießen, aber sie ließ ihn gewähren. Matt erinnerte sich, wie sie sich damals an seinen Körper geschmiegt hatte und triumphierte. Nein, mein Freund, du nicht, dachte Matt und grinste. Ihre Körpersprache hatte sie verraten. Egal was sie ihm auch erzählte, diesen Mann würde Tammy niemals mit in ihr Bett nehmen, dessen war sich Matt zu einhundert Prozent sicher. Als ob Tammy erraten hätte, was Matt dachte, löste sie sich aus Tims Umarmung und blickte ihn abwartend an. „Du wolltest mich sprechen.“ Tim ergriff Tammys Handgelenke und zog sie zu seiner Brust und dann an seine Lippen. Jetzt war sie doch genervt von dem Kerl. Sie riss sich von ihm los und fauchte ihn an. „Was zum Teufel ist nur los mit dir, Tim? Wir sind nur gute Freunde, dass weißt du doch noch, oder?“

Noles wirkte jetzt so kreuzunglücklich, dass er Matt fast ein wenig leid tat, aber eben nur fast. Wow. Was für eine Ansage. Das gefiel Matt so richtig gut. Da wurde seine Stimmung doch gleich mal viel besser. Innerlich jubelnd hätte er gerne ein Tänzchen aufgeführt, doch diese Freude wandelte sich schlagartig in schreienden Unmut, weil Tim einfach nicht aufgeben wollte. „Mir wurde gestern ganz deutlich bewusst, dass ich nicht nur mit dir befreundet sein will, Tammy.

Ich hab mich in dich verliebt.“ Noch bevor sie ihm antworten konnte, hob er die Hand. „Nein, sag jetzt nichts, denk darüber nach und lass es dir durch den Kopf gehen, Liebes.“ Wollte der Kerl nicht kapieren oder konnte er es nicht verstehen oder sollte Matt es ihm auf die Stirn tätowieren? Gerade als er sich einmischen wollte, hörte er Tammy aufseufzen. Sie schien sich sehr unbehaglich zu fühlen mit dieser Situation. „Lass uns nach oben gehen und darüber reden. Ich meine, dass ist kein Thema für eine Hotelbar.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Aber Tim, nur reden, hörst du?“ Ihre Miene wies ihn eindeutig in seine Schranken. Hähh?

Matt glaubte, sich verhört zu haben. Hatte sie diesem Kerl eben wirklich angeboten, mit auf ihr Hotelzimmer zu kommen? Nach dem Statement, dass er eben abgegeben hatte? Hallo Tammy? Bist du wach? Alles klar bei dir? Sicher hatte Tammy ganz unschuldige, freundschaftliche Beweggründe, aber er hatte ihr gerade offenbart, dass er in sie verknallt war. Wie naiv war sie, verdammt noch mal?

Matt blickte ihnen völlig perplex hinterher, als Tammy Tim am Arm schnappte und ihn aus der Bar in Richtung der Fahrstühle schleppte. Aber sie hatte die Rechnung ohne ihn gemacht. Matt würde den Teufel tun und zulassen, dass dieser gottverdammte Hund mit ihr aufs Zimmer ging. Er schnellte von seinem Barhocker hoch und bezahlte sein Bier. Dann trabte er hinterher. Mitten im Foyer drehte sich Tammy plötzlich zu ihm um und sah Matt direkt in die Augen. Sie hypnotisierte ihn quasi mit ihrem grünen Laserblick und schüttelte dann, ganz leicht, fast bedauernd den Kopf. Vorbei… Diese Geste änderte alles, stürzte ihn erneut in ein Wechselbad der Gefühle, in völliges Chaos. Alles in ihm schrie danach, den Kerl niederzuschlagen und sie an sich zu ziehen, sie zu halten. Aber er tat es nicht. Er nickte kurz zurück, drehte sich um und verließ das Hotel.

Später am Tag in seinem Apartment zog Matt nach einer langen, erfrischenden Dusche den kleinen Karton ganz hinten aus seinem Kleiderschrank heraus. All die Jahre hatte er diesen Karton aufbewahrt, konnte sich einfach nicht von ihm trennen. In diesem Päckchen lagen immer noch das schwarze T-Shirt und mittlerweile zwei Briefe von Tammy. Den zweiten Brief hatte Tammy ihm kurz vor Weihnachten 2008 geschickt und hatte ihm damit viele Wochen lang schlaflose Nächte und schmerzhafte Grübeleien beschert. Nachdem er den Brief zum ersten Mal gelesen hatte, heulte er wie ein Baby und konnte sich stundenlang nicht mehr beruhigen. Was er dort zu lesen bekommen hatte, ließ ihn lange nicht los, aber trotzdem hatte er es nicht über sich gebracht, sie anzurufen. Hatte ihr nicht sagen können, wie sehr er sie wollte und brauchte. Er konnte ihr nicht sagen, wie verrückt er nach ihr war. Weder telefonisch, noch persönlich. Seine Schuldgefühle hatten auch damals noch alle anderen Gefühle in den Schatten gestellt und einfach beiseite geschoben. Er hatte eine Höllenangst davor gehabt und konnte diese Angst einfach nicht überwinden. Heute, fast zwei Jahre danach, war er stärker und viel gefestigter, als er es jemals in seinem bisherigen Leben gewesen war. Trotzdem wappnete er sich innerlich vor dem Ansturm seiner Gefühle.

Er atmete tief durch und faltete das Papier auseinander. Dann begann er erneut zu lesen:

18. Juni 2008

Lieber Matt, du hast Dich immer noch nicht gemeldet. Nachdem Du das Bild von Joe und Dir nicht zurück geschickt hast, wolltest Du es sicher für Dich selbst behalten, was mich sehr freut. Stell Dir vor, gestern war Joes Familie da und wir haben zusammen sein Grab besucht. Weißt Du, es tut lange nicht mehr so weh wie damals, aber es schafft mich immer noch, an diesem Grab zu stehen. Ich werde diesen starken, tapferen, lustigen und tollen Mann niemals vergessen können. Wie könnte ich auch, er hat mir die schönsten Jahre meines bisherigen Lebens geschenkt. Seinen Platz in meinem Herzen wird er immer einnehmen. Stell Dir vor, letztes Jahr im März hab ich endlich mein Studium in Sozialer Arbeit und Sozialpädagogik beendet. Ich weiß, Du dachtest immer, bevor ich fertig studiert habe, hätte ich drei Kinder und wäre Hausfrau und Mutter. Leider muss ich Dir mitteilen, dass Du Dich geirrt hast. Jetzt bin ich eine staatlich geprüfte Sozialpädagogin! Geiler Titel, oder? Und weißt Du noch was? Ich konnte endlich die Arbeit mit meinen Kids zu meinem Beruf machen. Durch Zufall hatte ich gehört, dass in verschiedenen Bundesstaaten ein neues Pilotprojekt gestartet wurde und ganz bei uns in der Nähe gab es auch so ein Projekt. San Diego hat seinen ersten, staatlich geförderten Jugendhof eröffnet. Beim Vorstellungsgespräch war ich so aufgeregt, dass ich Schluckauf bekommen habe, aber ich habe wohl auf mein Gegenüber trotzdem einen guten Eindruck gemacht, denn seit August letzten Jahres ist er mein Boss. Wir betreuen dort Waisenkinder und Kinder, die niemand haben will und ich habe mit Becky, meiner neuen Freundin, zusammen drei Kinder zugeteilt bekommen. Wir leben wie eine richtige Familie zusammen, bei uns heißt das Familienverbund. Ha, da fällt mir auf, du hattest ja doch Recht mit deinen drei Kindern, haha! Unsere drei Geschwisterkinder heißen Jessie, 10 Jahre alt, Jonas, 6 Jahre alt und Celine, 7

Jahre alt. Ihre Eltern starben vor zwei Jahren bei dem schweren Zugunglück in Indianapolis. Jedenfalls haben wir uns schon toll aneinander gewöhnt und es fühlt sich so gut an, jemanden zu haben, um den man sich kümmern und sich sorgen kann. Warum ich Dir das schreibe? Weil ich denke, dass die Arbeit mit diesen Kindern, meiner neuen Familie, mir endlich und endgültig über meinen Verlust weggeholfen hat. Ich konnte endlich loslassen, denn mein Leben geht weiter und es gefällt mir. Jetzt wird’s richtig schwer die richtigen Worte zu finden! Es gibt noch etwas, was Du wissen solltest und ich werde es Dir nicht verheimlichen. Also, los geht’s, ich versuche es…Kannst Du Dich noch an unsere allererste Begegnung erinnern? Als ich die Tür aufgerissen habe und Du mich gesehen hast und total geschockt warst? Wahrscheinlich hat Dich total überrascht, wie Dein gut aussehender Kumpel sich mit so einer Frau abgeben kann.

Ich kann Dich gut verstehen, denn ich hab mich das ganz oft selbst gefragt. Es ist schwer zu verstehen, aber Joe hat mich geliebt, da bin ich mir total sicher.

Er hat mich genauso geliebt wie ich eben bin, mit all meinen Rundungen und all meinen Fehlern. Ich vermute mal, Du kannst so jemanden wie mich nicht wirklich mögen oder gar gut finden, deswegen kann ich Dir nicht verübeln, dass Du Dich nie mehr gemeldet hast. Ich finde jedoch, Du solltest wissen, dass ich Dich von Anfang an mochte. Sogar sehr mochte. Schon alleine deshalb, weil Du mit Joe befreundet warst. Und Joe war ein guter Menschenkenner. Du bist ein sehr attraktiver Mann, Matthew, und ich müsste blind gewesen sein, wenn mir dass nicht aufgefallen wäre. Ich habe an Dich gedacht. Hast Du auch vielleicht das ein oder andere Mal an mich gedacht? Wenn ja, sollten wir uns treffen. Denk darüber nach, okay? Ohne Druck! Vielleicht können wir mit dem Abstand der vergangenen Jahre über ihn sprechen, ohne uns dabei in Trauer zu verlieren. Wie auch immer Du Dich entscheidest, bin ich froh, dass wir uns begegnet sind; und dass durch einen der liebsten Menschen, die ich je kennen lernen durfte. Ich danke Dir dafür, dass Du Joe in all den Jahren so ein toller Freund warst, in jeder Hinsicht. Dafür liebe ich Dich. Genieß dein Leben und werde glücklich –

und/oder melde Dich. (Das Eine muss das Andere ja nicht zwangsläufig ausschließen!) Tammy.

Matt ließ den Brief sinken und begann, am ganzen Körper zu zittern. Oh Gott, was war er nur für ein Vollidiot gewesen? Er hatte sich alles, aber auch alles versaut. Damals hatte er diese Zeilen immer und immer wieder gelesen. Und dann, anstatt das einzig Richtige zu tun, hatte er den Brief in die Kiste gesteckt und im hintersten Eck seines Schrankes versteckt. Verdrängt und schließlich vergessen. Mit seiner damaligen Freundin Cindy lief es ganz gut und so schob er alle möglichen Gründe, hauptsächlich aber wieder seine dämlichen Schuldgefühle vor, um keinen Kontakt zu ihr aufzunehmen. Matt bekam einfach nicht aus dem Kopf, dass er, sobald er sie sehen gesehen hätte, nicht mehr hätte zurückrudern können. Er hatte schlicht Gott erbärmliche, schnöde, primitive Angst.

Einige Monate später hatte er sich dann von Cindy getrennt und wochenlang überlegt, sich bei Tammy zu melden, aber es war ihm nicht richtig erschienen. Er durfte sie nicht als Trostpflästerchen für seine Probleme missbrauchen. Dabei war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass seine Gefühle zu Tammy der eigentliche Grund für seine Beziehungsunfähigkeit war. Was war er doch für ein gottverdammter Lügner vor dem Herrn gewesen. Der größte Trottel auf Gottes Erden. Tammy hatte ihm quasi zu verstehen gegeben, dass sie ihn gerne wieder in seinem Leben gehabt hätte. Dass er vielleicht, nur vielleicht, eine Chance auf mehr bei ihr hätte haben können und er hatte sie einfach mit Nichtachtung gestraft. Kein Wunder, dass sie ihn heute nicht mal hatte ansehen wollen. Matt legte sich den Unterarm über die Augen und musste mit aller Macht gegen die aufsteigende Panik ankämpfen. Was, wenn er all seine Chancen verspielt hatte?

Ja, er war reifer geworden und hatte eindeutig andere Prioritäten als noch vor einigen Jahren. Aber er war noch nie wirklich auf der Suche nach einem flüchtigen Abenteuer und schnellem Sex gewesen. Nein, Matt hatte sich schon immer nach einer ehrlichen, gefühlvollen, einer echten Frau gesehnt. Einer Frau, mit der zusammen er ein paar Kinder hätte, ein nettes Haus mit Garten, ein kleines Stück Glück. Wieso war er damals so blind gewesen, hatte die Augen vor der Wahrheit verschlossen und alles getan, sich selbst unglücklich zu machen.

Tammy. Sie war die Frau, die Einzige, die er immer schon haben wollte.

Geradeheraus, offen, ehrlich, fröhlich und dazu noch sexy. Sie war die Frau, mit der er glücklich werden konnte, die ihn glücklich machen konnte und die er auf Händen tragen wollte. Er würde, nein, er musste alles versuchen, sie für sich zu gewinnen, sie davon zu überzeugen, ihnen noch eine Chance zu geben, ihm noch eine Chance zu geben. Frustriert ging er ins Schlafzimmer und warf sich aufs Bett. Tammy. All seine Gedanken kreisten um sie. Wenn sie jetzt doch nur bei ihm wäre … Matt wand sich, schloss die Augen und stöhnte tief auf. Als er tief die Luft einsog, war ihm, als konnte er sie riechen. Oh Gott. Sein Schwanz begann, sich aufzurichten. Er wurde scharf und das nur, weil er sich an ihren Geruch erinnerte. Ihre frechen, grünen Augen blitzten ihn an und er konnte fühlen, wie sich ihre Locken über seine Brust ergossen. Ihre Haarspitzen kitzelten ihn, als sie sich auf ihm langsam südwärts bewegte. Sein ungeduldiger Schweif wippte aufgeregt und seine Eier waren so prall, dass es fast wehtat. Dann spürte er ihre Zunge auf seiner Eichel. Er stöhnte laut auf und seine Bauchmuskeln verkrampften sich. Ja, verdammt. Mach weiter. Langsam kreisend züngelte sie ihn, nahm seine Eichel in den Mund, zwischen ihre Zähne und hielt sie dort fest.

Seinen Schaft hielt sie mit einer Hand fest, während ihre andere Hand mit starker Reibung auf und ab fuhr. Als sie mit ihrer Zungenspitze gegen seine Öffnung stupste, winselte er um Gnade. Oh Lord. Matt keuchte, versuchte, seinen Orgasmus zurückzuhalten, aber es war zwecklos. In langen Schüben klatschte sein Sperma auf seine Brust und auf das Bettlaken. Als er die Augen öffnete war er allein, die Faust fest um seinen Schwanz geschlossen.