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Tag der Entführung, einige Stunden später

„Du willst uns sagen, dass Tammy und Manuel nicht aussagen werden?“ Nick blickte seinen Freund ernst an. „Wie soll das funktionieren? Dir ist klar, dass die Staatsanwaltschaft sie notfalls mit Beugehaft dazu zwingen kann!“ „Ja, aber nur, wenn es überhaupt noch zur Verhandlung kommt.“ Matt sah Nick stumm an. Nicks Blicke bohrten sich in seine und sekundenlang herrschte angespanntes Schweigen.

Dann nickte Nick unmerklich und Matt seufzte erleichtert auf. Nick und er zogen in dieser Angelegenheit an einem Strang. Gott sei Dank. „Die Gebrüder Sanchez sind schon mal aus dem Rennen.“ Manuel lachte bitter auf. „Ja, aber zu welchem Preis? Sie hätten Tammy beinahe…“, dem Jungen blieb der Rest förmlich im Hals stecken.“ „Sie sind tot, das ist das einzige, was zählt.“ Matt legte dem Jungen tröstend die Hand auf die Schulter. „Wir sind … fast … rechtzeitig gekommen. Von ihrem Verletzungen und den Strapazen wird sie sich wieder erholen, das verspreche ich dir. Wir werden ihr dabei helfen, okay?“ „Puertes ist auf freiem Fuß und unsere Chancen, dass zu ändern, sind ohne Verhandlung gegen Null.“ Wes Stimme klang bitter und resigniert. Manuel blickte Matt an. „Tammy und ich wären auch in Gefahr, wenn Puertes einsitzen würde, richtig? Es hört niemals auf, sondern dreht sich entweder um Zeugenbeseitigung oder um Rache, so oder so!“

„Genau“, erwiderte Matt und blickte stumm in die Runde. Manuel, der sich heute seinen Platz bei der Lagebesprechung wahrlich verdient hatte, schluckte schwer.

„Was willst du damit sagen Matt? Werden wir ihn zuerst schnappen?“ Alle Augen waren auf Matt gerichtet. „Ja“, sagte er grimmig, „Wir werden ihn schnappen, bevor er euch erwischt.“ Schwere Stille lag im Raum, senkte sich herab und breitete sich aus wie ein nasses Tuch. Keiner der Männer sprach ein Wort. „Wenn einer von euch einen besseren Vorschlag hat, dann heraus damit“, fuhr Matt fort.

„Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir keine andere Wahl haben, oder?“ Wes war aufgestanden und hatte sich mit verschränkten Händen vor Matt aufgebaut.

„Hey, ich bin US Marshall und ihr plant hier gerade einen Mord. Euch ist klar, dass wir das nicht tun können, oder? Wir sprechen hier doch rein hypothetisch, oder?“ Matt hob beschwichtigend die Hände. „Wes, keiner wird hier ermordet, okay? Aber sollten wir angegriffen werden, so werden wir uns verteidigen.“ Seine Stimme klang kalt und hart. „Matt hat Recht, Wes“, meldete sich Nick zu Wort.

„Ich seh´ das genauso und bin auf jeden Fall dabei.“ „Ich auch.“ Manuel stand jetzt ebenfalls auf und gesellte sich zu Matt, während Wes von einem zum anderen blickte. „Das ist doch Wahnsinn“, schüttelte er den Kopf. „Ihr könnt doch nicht ńe Falle stellen und die Ratten dann töten.“ Genau das hatte Matt vor. „Du hast gesehen, was sie mit Tammy gemacht haben und dir ist klar, wie es weitergegangen wäre, wenn wir sie nicht gefunden hätten?“ Matts schneidende Stimme war kalt wie Eis. „Er wird wieder nur seine Männer schicken und wieder. Ihn zu kriegen, wird uns so nicht möglich sein.“ Wes stellte eine Tatsache fest, an die Matt auch schon gedacht hatte. Was, wenn der Scheißkerl wieder nur Häscher schickte, was eigentlich sehr wahrscheinlich war? Nein, dachte Matt, wir müssen direkt an die Front, nicht hinter den Linien bleiben, behielt seine Gedanken aber bei sich.

Kurze Zeit sagte keiner der Männer irgendwas. „Hmhh, was wäre, wenn ich einen Plan B für euch hätte?“ Wes räusperte sich. „Das entspricht zwar auch nicht gerade meinem Berufsethos, aber alles ist besser als einen geplanten Mord zu unterstützen.“ Er holte tief Luft. „Was haltet ihr davon“, atmete aus, „wenn wir einen Bandenkrieg anzetteln?“ „Das ist genial“, rief Nick aus und lachte. „Klar, das ist es“, sagte er, „Wir werden den Irischen Mistsäcken einfach stecken, was Puertes mit seinen Leuten gemacht hat, dann sind wir fein raus.“ Wes nickte und Matt überlegte kurz. „Ja, das könnte klappen.“ Die Anerkennung über WesÍdee war unverkennbar. „Kennst du den einen der Iren?“ „Nein. Aber das kriegen wir raus. Kein Problem.“ Wes griff zu seinem Handy. „Ich werd mal das Office kontaktieren, mal sehen, was die für mich haben.“ Damit verließ er die Küche.

„Wir sollten trotzdem herausfinden, wer unser Maulwurf ist. Lasst uns eine Rattenfalle bauen.“ Matt überlegte kurz. „Sid soll uns ein weiteres Haus anmieten, irgendwo hier in der Gegend. Die Adresse dieses Objektes lassen wir Priest zukommen, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Sollte sich jemand blicken lassen, wissen wir genau, was und wer hier leckt.“ „Welchen Vorwand benutzen wir, um ihm die Info zu stecken?“, fragte Manuel in die Runde.

Eine wirklich gute Frage, dachte Matt anerkennend. „Priest weiß bisher nicht, was heute alles passiert ist? Matt zögerte nachdenklich. „Nick, wenn du Priest anrufst, musst du ihm auftischen. dass Sid den Angriff der Brüder nicht überlebt hat.“ Nick verstand. „Wir brauchen ganz dringend einen neuen vierten Mann.“

„Genau.“ Jetzt grinste Matt. Ja, das klang nach einem guten Plan. „Aber wird der Staatsanwalt nicht Sids Leiche obduzieren wollen? Das machen die in den Filmen doch immer. Und was ist mit den beiden Kerlen in der Gießerei?“ Guter Einwand, schon wieder. Manuel war wirklich ein schlaues Kerlchen. „Nick wird dem Oberstaatsanwalt mitteilen, dass die Sanchez-Brüder Geschichte sind und Sid bei dem Versuch, Tammy zu beschützen, gestorben ist.“ Matt holte tief Luft. „Und wir tischen ihm auf, dass Sids Leiche und die der beiden Männer vom örtlichen Coroner obduziert werden. Mit ein wenig Glück verschafft uns das einige Tage, bis Priest auf die Idee kommt, dort nachzufragen.“ „Und das wiederum sollte ausreichen, um dem Maulwurf die Zeit zu geben, seine falschen Informationen weiterzuleiten.“ Nick lachte grimmig. „Ja, das sollte reichen, um die Falle zuschnappen zu lassen.“ „Es muss klappen!“, antworte Matt und betete zu Gott, dass ihre Pläne aufgingen, denn sie konnten ein wenig Hilfe von Höheren Mächten echt gut gebrauchen. Allerdings brauchten sie nicht nur Hilfe von oben! „Wir haben tatsächlich noch ein personelles Problem, denn Sid fällt die nächste Zeit erstmal aus. Becky bleibt auch vorläufig im Krankenhaus, wenigstens die nächsten zwei Tage.“ Matts Überlegungen ließen Nick kurz innehalten. „Wir brauchen mindestens zwei Leute, die das andere Objekt im Auge behalten, während wir hier unsere Truppe schützen.“ „Du hast recht, Mann“, knurrte Nick und fuhr sich über die Haare. „Aber ich kann von SECURNOW niemanden anfordern, denn falls wir observiert werden, fliegen wir auf.“ Nick schaute Matt in die Augen, dessen Augen unternehmungslustig funkelten. „An wen hast du gedacht?“ „Ich dachte an zwei meiner alten Kumpel aus meiner Zeit bei der Army. Absolut zuverlässig und kampferprobt.“ Matt lachte leise und Nick schlug ihm zustimmend auf die Schulter. „Gut. Dann nimm Kontakt auf. Ich werdŚid anrufen und hoffe, dass er schnell was organisieren kann. Letztes Mal hatte er innerhalb weniger Stunden Glück, vielleicht klappts ja heute auch. Und telefonieren kann Sid ja schließlich noch, oder?“ Als Matt zustimmend nickte fuhr Nick fort. „Sobald wir was haben, kann ich Priest Bericht erstatten.“ „Sollten wir Tammy in unseren Plan nicht einweihen, bevor wir das alles über ihren Kopf hinweg beschließen?“

Manuels Frage ließ die Männer in betretenes Schweigen verfallen. In dieses Schweigen hinein kamen Jessie und die Kleinen in die Küche gehüpft. „Wir haben Hunger, gibt’s heute denn gar nichts?“ „Doch, ich werd uns gleich was kochen“, erwiderte Matt und schickte sich an, zur Küchenzeile rüber zu gehen und nachzusehen, was er denn heute auf die Teller zaubern konnte, denn natürlich hatten sie bei all den Vorfällen vergessen, einkaufen zu gehen. „Darf ich jetzt zu Tammy gehen?“ Celines Stimme klang weinerlich und müde. „Süße, Tammy muss sich noch ein bisschen ausruhen, aber später darfst du ganz bestimmt zu ihr.“

Matt nahm die Kleine hoch, drückte sie kurz und wollte sie auf einen Küchenstuhl setzten, doch sie klammerte sich um seinen Hals und kuschelte sich an ihn. Also setzte er sich mit ihr zusammen hin und hielt sie einfach nur fest. Sie hatten ihr vorhin erzählt, dass es Tammy gut ging, sie nur schrecklich müde sei. Jessie hatte das natürlich durchschaut, aber nichts dazu gesagt, sondern nur besorgt geschaut. Nick hatte sich ebenfalls erhoben und ging Richtung Bibliothek, „Unser Plan steht – los geht’s“ In der Bibliothek ließ er sich auf den alten, schweren Ledersessel fallen und wählte Sids Nummer. Becky nahm ab. Als sie die Kurzform dessen hörte, was die Männer besprochen hatten, gab sie den Hörer weiter an Sid.

Sid klang frisch und munter. Es tat ihm hörbar gut, Becky in seiner Nähe zu haben, sogar sehr gut. Nick erzählte Sid die Einzelheiten ihres Planes und der versprach, sich sofort an die Strippe zu hängen und sich sobald er was hätte, gleich zu melden. „Halt die Finger still, Sid! Sei ein braver Junge.“ „Klar Mann, immer doch“, erwiderte Sid, doch Nick konnte hören, wie er ihn auslachte.

„Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht, Sid. Wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht.“ „Ja, ist schon klar, aber du weißt doch, Unkraut vergeht nicht.“

Damit beendeten die Männer ihr Gespräch. Kurze Zeit später war Nick zurück in der Küche, als Matt gerade Eier in eine Schüssel schlug, um Omelette zu machen.

„Komm, ich lös´ dich ab, mach deinen Anruf“, meinte er zu Matt und schnappte sich den Rührbesen. Matt hatte keine Ahnung, ob Joses alte Nummer noch stimmte als er sie wählte. Jose hob sofort ab und Matt atmete erleichtert aus. „Hey Jose, hier ist Matt!“ Schweigen, dann ein Räuspern und ein freudiges Brummen.

„Matt. Das gibts doch nicht. Was treibst du so und wie geht es dir?“ „Es könnte besser sein, Jose, es könnte echt besser sein“, seufzte Matt. „Sag mal, hast du noch Kontakt zu Tramaine?“ „Klar Mann, hab ich. Wir sind immer noch im gleichen Team, gehören sozusagen zum alten Eisen. Allerdings werde ich demnächst Ausbilder werden.“ Jose lachte über seine eigene Aussage und Matt entspannte sich sichtlich, nachdem der erste Kontakt zu den Jungs wieder hergestellt war.

„Hättet ihr die nächsten paar Tage Zeit? Ich brauche eure Hilfe.“ Bei Matts ernsten Worten verstummte Joses Gelächter. „Schieß los, was gibts?“ Nachdem Matt Jose geschildert hatte um was es ging, versprach dieser, sich sofort mit Tramaine in Verbindung zu setzen und sich dann wieder zu melden. Keine drei Stunden später, sie hatten mittlerweile gegessen und die Kinder saßen im Wohnzimmer und schauten Fern, kam Sids Anruf. Er hatte ein Haus gefunden und es bereits angemietet, allerdings musste er es für ein halbes Jahr mieten, was er natürlich zugesagt hatte. Priest würde die Kosten sicher gerne übernehmen…Sid war einfach genial. Das Haus gehörte ab morgen Vormittag ihnen, sie mussten nur den Schlüssel bei einer Maklerin abholen. Nur gut, dass kaum jemand in eine Kleinstadt zog, sonst hätten sie so schnell kein passendes Objekt gefunden. Das Haus stand in der Elm Street in Rock Springs und hatte ungefähr die gleichen Gegebenheiten wie dies, in dem sie wohnten. Der gravierende Unterschied bestand darin, dass dieses Haus dringend renovierungsbedürftig war. Es ließ sich im momentanen Zustand schlecht vermieten und schien genau deswegen für ihre Zwecke perfekt zu sein. Es musste es einfach sein. Zwanzig Minuten nach Sids Anruf meldete sich Jose und sagte Tramaines und seine Hilfe zu. Sie würden den Nachtflieger nehmen. Ihre Maschine landete um 11 Uhr auf dem International Airport in Salt Lake City. Von dort würden sie mit dem Mietwagen zu ihnen stoßen. Matt hätte Jose glatt umarmt, wäre er jetzt greifbar. Ja. Auf diese Männer war wirklich Verlass. Matt wollte Nick und Wes die guten Neuigkeiten mitteilen und fand sie in der Bibliothek beim Waffencheck. Nick hatte in weiser Voraussicht genug Equipment mitgenommen, um eine kleine Armee mit ausreichend Feuerkraft zu versorgen. Sie hatten sogar zwei Nachtsichtgeräte im Programm.

„Meine Kumpel aus der Army werden morgen Nachmittag bei uns sein“, teilte Matt ihnen mit. „Sie sind immer noch im aktiven Dienst bei den US Marines und wir können uns zu einhundert Prozent auf sie verlassen.“ „Okay. Dann ruf ich jetzt Priest an, um ihm die Neuigkeiten unterzujubeln“, tönte Nicks grimmige Stimme durch den Raum. „Drückt die Daumen, dass unser Maulwurf die Finte schluckt.“

Nick wählte die Nummer des Oberstaatsanwaltes, der bereits nach zweimaligem Klingeln direkt am Apparat war. „Hallo“, meldete sich Nick. „Gibts Neuigkeiten?“

Zuerst wollte Nick hören, was Priest zu sagen hatte, bevor er seine Bombe platzen ließ. „Ja, wir haben einen Gerichtstermin. Die erste Zeugenvernahme ist heute in genau zwei Wochen.“ Priest schnaubte heftig. „Ich bin echt froh, wenn dieser Eiertanz vorbei ist.“ „Ja, wir auch“, begann Nick. „Wir hatten heute einen Zwischenfall.“ Nachdem er die Sachlage geschildert hatte, einschließlich der Geschichte, dass sich die Leichen beim örtlichen Coroner befanden um dort obduziert zu werden, keuchte Priest heftig auf. „Der Coroner gibt seinen Sachstand direkt an Wes.“ Nick betete, dass Priest diese Information schluckte und nicht selbst nachhaken wollte. „Jonathan, sie müssen uns noch einen Ersatzmann für Sid organisieren. Zu dritt sind wir hier eindeutig unterbesetzt.“

Nick gab Priest die Adresse und seine Handynummer. Dieses Handy wollten sie selbstverständlich im Zweithaus deponieren. Sollten sie eine Handyortung vornehmen wollen, bitte schön. „Mein Handy ist nur für wichtige Anrufe eingeschaltet. Ich melde mich morgen früh noch mal, wann wir mit dem zusätzlichen Mann rechnen können“, schloss Nick seinen Bericht ab. „Oh Mann, das ist harter Tobak. Ich werde versuchen, einen weiteren US Marshall abzukommandieren. Natürlich so schnell als möglich“, sagte Priest und räusperte sich. „Wie geht es Ms. Stevens? Ist sie in der Verfassung, ihre Aussage trotzdem zu machen?“ „Ja“, log Nick. „Tammy hat es ganz gut weggesteckt und ist ganz wild darauf, auszusagen.“ „Okay, dann bis morgen.“ schloss Priest das Gespräch und legte auf.