4. Januar
Die elfte Raunacht

Lärm weckte Pia. Ein leises Klackern auf dem Dachfenster, auf das ein Graupelschauer niederging, und ein schrilles Kreischen, das vom Hof kam. Blinzelnd öffnete sie die verquollenen Augen. Vom Weinen hatte sie Kopfschmerzen, die Nase war dicht und der Mund trocken. Sie sollte endlich ihren Krempel zusammenpacken und nach Hause fahren. Niemand wollte sie hier haben. Doch in München auch nicht. Kathrin hatte bestimmt schon alles mit dem Internat klargemacht. Ihrem Vater, der keine Ahnung von seiner Vaterschaft hatte – was eigentlich der totale Witz war –, ging sie ziemlich am Arsch vorbei und Tami war noch bis übermorgen in Tirol.

Pia ging hinunter und sah aus dem Fenster. Dunkle Wolken hingen tief über der Anhöhe und spuckten ein Gemisch aus Regen und Graupel auf Galsterried und das Inntal hinab. Was für ein scheußliches Wetter!

Stefan stand im offenen Schuppen und schnitt mit der Kreissäge Holz für den Kachelofen zurecht. Bettina kam aus dem Haus. Sie trug einen weiten Mantel und Baskenmütze und in den Händen einige Tüten und Taschen. Lena folgte ihr zur Garage. Dort beluden sie den Kombi und verabschiedeten sich von Stefan, der die Säge abstellte, um Bettina einen Kuss zu geben und Lena übers Haar zu streichen.

Pia wandte sich von dieser Idylle ab. Im Häuschen war es kalt. Das Feuer war ausgegangen. Bis auf ein paar Späne war der Korb leer. Sie zog die Steppjacke übers Schlafshirt, schlüpfte barfuß in die Stiefel und ging hinaus, um Nachschub zu holen. Noch immer regnete und graupelte es. Pia zog die Kapuze hoch und stolperte beinahe über ein Windlicht, das geschützt unterm Vordach stand. Eine schwarze Kerze brannte darin. Doch im Glas steckte noch etwas anderes. Verwundert zog Pia es heraus. Es war ihr Profilbild bei Facebook. Jemand hatte es ausgedruckt, die Augen bis aufs Papier weggekratzt und das Bild mit dunkelbrauner Farbe beschmiert. Sie blieb an den Fingern kleben und stank fürchterlich. Süßlich und faulig. Es dauerte eine Sekunde, bis Pia es kapierte und das Foto fallen ließ. Das war nicht Farbe, sondern Blut. Sie würgte und hätte sich beinahe übergeben. Angeekelt zog sie ein Taschentuch aus der Jackentasche und wischte sich die Hände ab.

Was sollte dieser Voodoozauber? Sicher stammte auch diese glorreiche Idee von Amelie. Mit einem Fußtritt beförderte Pia das Glas die Stufen hinunter. Es kullerte über das Pflaster, die Kerze verlosch und blieb in einer Ecke liegen. Gut so!

Wütend stapfte sie durch den Eisregen zum Holzstoß, füllte den Korb und knallte die Tür des Häuschens hinter sich zu. Amelie, diese blöde Schnepfe!

Die Sache mit Ansgar tat ihr so leid. Warum hatte sie ihn auf diese Geschichte mit dem Bauland angesprochen? Blöde Frage! Weil es tatsächlich eine Möglichkeit war. Es gab nur zwei Leute, die ein Motiv gehabt hatten, Sonja zu töten. Bettina und Ansgars Vater.

Und nun war Ansgar sauer. Logisch. Er machte ihr so eine Art von Liebeserklärung und was tat sie? Statt zu sagen, dass sie ihn auch mochte, verdächtigte sie seinen Vater, ihre Mutter ermordet zu haben. Super! Klasse! Das hatte sie prima hingekriegt. Sie tickte wirklich nicht richtig. Und offenbar hatte sie tatsächlich ein Problem damit, wenn ihr jemand sagte, dass er sie mochte. Normal war das nicht.

Vielleicht ließ sich das einrenken? Doch Ansgar würde sich nicht mehr bei ihr blicken lassen. Nicht heute, nicht morgen. Nie wieder. Und sie konnte ihm nicht schon wieder eine Nachricht schicken und eine Entschuldigung anbieten.

Pia kehrte den Ofen, machte Feuer und setzte sich mit einem Becher Chai-Tee an den Tisch. Was sollte sie tun? Sie kam nicht weiter. Schließlich konnte sie schlecht Bettina fragen, ob sie das Haus angezündet hatte, und ebenso wenig Ansgars Vater. Vielleicht hatten sie auch gemeinsame Sache gemacht. Denn beide hatten von Sonjas Tod profitiert. Jedenfalls war es schon ein merkwürdiger Zufall, dass ausgerechnet Ansgars Vater das Feuer entdeckt hatte.

Wie konnte sie beweisen, dass sie unschuldig war? Niemand glaubte ihr. Sie hatte nur ein paar Erinnerungsfetzen und ihre Träume. Und in den letzten Nächten hatte sie nicht einmal mehr geträumt. Sie schloss die Augen und beschwor die Bilder herauf, die sie bisher gefunden hatte.

In der Unglücksnacht war sie hier aufgewacht. Oben auf der Galerie, im Bett. Sie hatte Angst gehabt und wollte zu Mama. Der Sturm riss ihr die Tür aus der Hand. Ein roter, flackernder Schein erhellte die Nacht. Sie presste ihre Kuscheldecke an sich und stapfte durch den Schnee, dabei entdeckte sie den Schatten unterm Baum, der sich nicht rührte …

Und weiter?

Sosehr sie sich auch bemühte, die Erinnerungen in den Tiefen ihres Gedächtnisses aufzuwecken, es gelang ihr nicht. Sicher lag es daran, dass sie es so krampfhaft versuchte. Die Bilder mussten von selbst kommen, so wie die bisherigen, die ihr einfach zugelaufen waren.

Dennoch kreisten ihre Gedanken weiter um die Unglücksnacht, in der sie so wütend auf Sonja gewesen war. Während sie hier geschlafen hatte, war drüben jemand ins Haus eingedrungen, hatte das Feuer gelegt, sich unter dem Baum verborgen und beobachtet, wie das Feuer sich ausbreitete. Und dann war sie in den Hof gelaufen und er hatte sie entdeckt.

Pias Hände schlossen sich fester um den Becher. Damit hatte er nicht gerechnet! Er konnte nicht wissen, dass sie nicht im Haus war. Er hatte also gewollt, dass auch sie verbrannte! Oder hatte das zumindest in Kauf genommen.

Das Klingeln des iPhones ließ sie hochfahren. Es war Tami, die wieder mal ein Netz hatte und wissen wollte, wie die Dinge in Galsterried standen.

»Alles prima«, antwortete Pia. »Mein Vater ist doch mein Vater und ich bin keine Mörderin, denn ich habe das Haus nicht angezündet. Dafür ist aber derjenige, der das getan hat, hinter mir her. Er hat Angst, dass ich mich erinnere, denn ich habe ihn gesehen. Ach ja, und Amelie versucht, mich mit Voodoozauber und allerlei Hokuspokus zu vertreiben. Und ich habe Ansgar schon wieder ins Leere laufen lassen, als er mir so eine Art Liebeserklärung gemacht hat. Aber sonst ist alles prima. Wie gesagt.«

»Äh? Klingt wirklich toll. Ich habe nur die Hälfte mitgekriegt. Jetzt mal der Reihe nach. Paul ist dein Vater?«

Pia verzog sich mit dem Handy auf den Platz vor dem Ofen und berichtete Tami ausführlich, was sich in den letzten zwei Tagen ereignet hatte. Sie sprach auch von ihrem Verdacht, dass entweder Bettina oder Ansgars Vater das Haus angezündet hatte. Oder beide gemeinsam.

»Und da bleibst du so seelenruhig in Galsterried? Pack deinen Kram und hau ab. Oder willst du abwarten, bis du ein zweites Mal überfallen wirst?«

»Niemand hat etwas von mir zu befürchten. Was würde denn schon passieren, wenn ich sage, woran ich mich erinnere? Nothing. Niente. Gar nichts. Denn ich kann mich weder erinnern, wen ich gesehen habe, noch habe ich einen Beweis in der Hand. Und ohne Beweise wird mir niemand glauben.«

»Wer auch immer deine Mutter umgebracht hat, wird nicht abwarten, bis du einen Beweis gefunden hast. Der sorgt vorher dafür, dass du nicht weitersuchen kannst. Ich sage nur Silvesternacht.«

Tami hatte völlig recht. Die Angst, die Pia bisher erfolgreich in Schach gehalten hatte, brach sich Bahn. Am besten wäre es, schnellstens von hier zu verschwinden. »Okay. Ich gucke mal, wann ein Zug fährt.« Wenn die Erinnerungen kommen wollten, dann würden sie das tun. Egal wo.

»Mach das wirklich. Es ist echt zu gefährlich zu bleiben. Und es war auch nicht besonders schlau von dir, mit allen über den Kerl unter dem Baum zu reden.«

»Ich sag doch, dass ich die Zelte hier schleunigst abbreche.«

»Gut. Ich melde mich dann morgen bei dir, um zu gratulieren. Vorher bringt es Unglück.«

Pia wollte schon fragen, wozu Tami ihr gratulieren wollte, als der Groschen fiel. Natürlich zum Geburtstag. Morgen wurde sie siebzehn. Das hatte sie völlig vergessen. Sonjas Todestag jährte sich morgen zum dreizehnten Mal. Diesen Tag würde sie garantiert nicht feiern!

Nach dem Gespräch mit Tami hatte sie Angst und beeilte sich zu packen. Sie stopfte ihre Sachen in die Reisetasche, fuhr den Laptop hoch und ging online. Auf der Webseite der Bahn suchte sie nach der nächsten Zugverbindung Richtung München. Sie gab die Daten ein, klickte auf Suchen und landete auf einer Infoseite. Die Strecke München–Wasserburg war in beiden Richtungen vorübergehend gesperrt. Unter der Last des Eisregens waren etliche Bäume zusammengebrochen und auf die Schienen gestürzt. An mehreren Stellen war die Oberleitung herabgerissen. Mit der Aufnahme des Zugverkehrs war vor dem Abend nicht zu rechnen. Entsprechende Informationen würden zeitnah online gestellt. Pia klappte den Laptop zu. Super!

Doch kein Grund zur Panik. Solange es hell war, würde ihr nichts geschehen, und bis zum Abend war sie weg. Sie packte ihren Kram fertig, räumte im Häuschen auf und sah am Nachmittag zum zehnten Mal auf die Seite der Bahn. Die Strecke war noch immer gesperrt. Pia zog Jacke, Schal und Buff an. Es hatte aufgehört zu regnen. Sie brauchte frische Luft und machte einen Spaziergang durchs Dorf. Es wurde die reinste Schlitterpartie, obwohl die Straßen inzwischen gestreut waren und der Eisregen Galsterried offenbar nicht so schlimm getroffen hatte wie andere Teile des Landkreises. Die Bäume standen jedenfalls noch alle. Doch sie waren mit einer dünnen glasigen Schicht aus Eis überzogen, wie kandiert. Auf der Dorfstraße begegnete Pia einem Fahrzeug des Winterdiensts, das eine Mischung aus Splitt und Salz verstreute. Vor den Häusern kratzten die Anwohner mit Eispickeln Gehwege und Garagenzufahrten frei. Eine mächtige Buche wirkte mit ihrem Überzug aus Eis wie aus einer Märchenwelt hierher gebeamt. Der Baum aus ihren Träumen kam ihr wieder in den Sinn. Immer wieder tauchte er darin auf. Er musste wichtig sein. Doch was bedeutete er? Der einzige Baum, der eine Rolle spielte, war der, unter dem sie den Schatten gesehen hatte, und der war längst gefällt worden. Der Baum im Traum stand am Fluss und vermittelte sowohl das Gefühl von Sicherheit als auch Bedrohung.

Plötzlich fröstelte Pia. Da war jemand. Das Böse war da. Sie spürte es. Ängstlich sah sie sich um. Niemand war zu sehen, der ihr gefährlich werden konnte. Nur ein paar Frauen und zwei alte Männer, die versuchten, dem Eis Herr zu werden. Ein sinnloses Unterfangen. Der nächste Schauer setzte ein.

Höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Pia ging Richtung Kreuzung, als sie einen Lieferwagen den Hügel hinunterkommen sah. Auf der Seite prangte das Logo der Karl Lippert GmbH. Ansgar oder sein Vater? Sie konnte den Fahrer nicht erkennen. Es war schon komisch, dass Ansgar nie anrief, sondern immer unangemeldet auftauchte. Jedenfalls so gut wie immer. Kontrollierte er etwa, was sie herausfand und woran sie sich erinnerte? Das flaue Gefühl in ihrem Magen verstärkte sich. Gab es überhaupt noch irgendjemand, dem sie vertraute?

image

Stefan war verschwunden, als sie den Hof wieder erreichte. Vor dem Schuppen lag ein Haufen Brennholz. Bettina und Lena waren noch nicht zurück. Vielleicht hatte Ansgar eine Lieferung für Stefan und Bettina gehabt oder fürs Zentrum. Allerdings entdeckte Pia auf den Treppenstufen vor der Villa Krachmach feuchte Flecken, wie von Schuhen. Hatte er doch zu ihr gewollt? Er hatte ihre Nummer. Konnte er die nicht mal benutzen?

Es war schon vier Uhr und es dämmerte, als sie zum gefühlt hundertsten Mal die Webseite der Bahn checkte. Noch immer stand dort dieselbe Information wie am Vormittag. Das war jetzt echt nicht wahr! Die Telefonhotline war ständig besetzt. Genervt gab Pia auf und googelte, ob es eine Busverbindung nach München gab. Gab es nicht. Ein Taxi war unbezahlbar. Also rief sie Kathrin an, die nach dem zweiten Klingeln ans Handy ging.

Pia erklärte ihr, dass sie früher nach Hause kommen wollte, doch es fuhr kein Zug. »Kannst du mich vielleicht abholen?«

»Tut mir leid, Pia. Ich sitze am Chiemsee fest. Dieser verdammte Eisregen. Es ist ein einziges Chaos. Bei diesem Wetter bleibt man am besten im Haus. Morgen ist der Spuk laut Wetterbericht vorüber. Dann fahren auch wieder Züge.«

Kathrin war also am Chiemsee. Sicher hatte sie das Internat besichtigt und sich vergewissert, dass auch alles perfekt war. Niemand sollte ihr nachsagen, dass sie nicht das Beste für Pia tat. Und bei dieser Gelegenheit hatte sie bestimmt auch gleich die Anmeldung unterschrieben. Zwei Punkte auf der Liste abgehakt, wie räume ich meine Adoptivtochter aus meinem Leben.

»Okay. Dann fahre ich morgen.« Obwohl … Es gab noch eine Möglichkeit. Pia legte auf und wählte Pauls Nummer. Auf dem Handy erreichte sie ihn nicht, also rief sie im Büro an. Seine Sekretärin meldete sich. Pia fragte, ob sie ihren Vater sprechen konnte. »Er ist bis morgen auf einer Tagung in Berlin. Versuch es auf dem Handy.«

Mist. Eine Nacht musste sie also noch hier verbringen. Es ging nicht anders. Kein Grund zur Panik. Sie würde sich im Häuschen verbarrikadieren und nicht rausgehen. Keine Chance, sie ein zweites Mal zu überfallen.

Als es dunkel wurde, schloss Pia die Fensterläden, sperrte die Tür ab und drehte den Schlüssel zweimal um. Mit dem Laptop setzte sie sich aufs Sofa vor den Ofen und surfte im Netz. Der Eisregen hatte weite Teile der Landkreise München und Ebersberg ins Chaos gestürzt. Der nördliche Landkreis Rosenheim mit Wasserburg war im Vergleich dazu glimpflich davongekommen. Das nützte ihr auch nichts, solange die Bahnstrecke gesperrt war. Auf der Webseite der Bahn gab es eine neue Info. Der Zugbetrieb auf der Strecke München–Wasserburg konnte vor morgen Mittag nicht aufgenommen werden.

Pia sah sich die Tagesschau an und später einen der Filme, die sie auf Pauls Kosten bei iTunes erstanden hatte. Als Abendessen machte sie sich ein Käsebrot und den obligatorischen Becher Chai-Tee. Heute schmeckte er nicht. Er war bitter. Vielleicht hatte sie ihn zu lange ziehen lassen. Sie kippte den Rest in den Ausguss. Eigentlich wollte sie nicht schlafen gehen. Aber sie konnte auch nicht die ganze Nacht aufbleiben und außerdem war sie plötzlich so müde, dass sie fast auf dem Sofa einnickte. Bevor sie zu Bett ging, kontrollierte sie die Fenster und Türen noch einmal und legte zwei Briketts auf die Glut. Kaum war sie unter die Bettdecke gekrochen, fielen ihr auch schon die Augen zu. Sie glitt in einen tiefen Schlaf und träumte, dass sie am Fluss stand.

Etwas schleicht am Ufer entlang durchs hohe Gras. Die Spitzen wiegen sich wie im Wind. Doch da ist kein Wind. Der Tag hat den Atem angehalten. Etwas Furchtbares wird geschehen. Sie fühlt die Nähe des Fuchses. Sie folgt seiner wogenden Spur durch die Gräser zum Haus. Wolken schieben die Sonne beiseite, ziehen eine schmale Mondsichel ans Firmament. Die Fensterläden des Hauses öffnen sich. Aus dem Gras springt der Fuchs. Sein Schweif leuchtet wie eine brennende Fackel. Er setzt übers Fensterbrett ins Haus. Sie hüpft hinterher.

Flammen. Überall Flammen. Beißender Qualm, sengende Hitze. Das Feuer umgibt sie wie ein Wall, greift nach ihrem Schlafanzug, nach ihrem Haar. In ihrem Mund schmeckt sie Rauch, beißend setzt er sich in ihre Lunge. Wo ist der Kuchen? Sie greift ihn sich und läuft nach draußen. Doch draußen ist drinnen. Alles verwandelt sich. Sie sitzt in einer Höhle aus Eis. Glitzernde Wände. Eiszapfen hängen von der Decke. Frierend kauert sie sich zusammen und will den Kuchen essen. Doch aus ihrer Hand windet sich eine silbrige Schlange mit rot funkelnden Augen. Sie windet sich höher und höher. Sie kann nicht mehr atmen. Ihre Lunge will bersten. Verzweifelt ringt sie nach Luft. Tanzende Augen schweben über ihr. Durch die Gläser der Brille starren sie auf sie hinunter.

Keuchend wachte Pia auf. Ihr Herz raste. Das Haar klebte schweißfeucht an ihrer Stirn. Mit zitternden Fingern tastete sie nach der Lampe, doch ihre Hand griff ins Leere. Da war nichts. Kein Nachttisch. Keine Lampe. Angst kroch in ihr hoch wie ein schuppiges Tier. Etwas war hier, bewegte sich. Ein tanzender Schein an der Wand. Der Geschmack von Qualm und der Geruch von Rauch. Feuer!

Pia sprang aus dem Bett. Ihre Hand fand den Schalter. Gleißend ging das Licht an, fing sich in Rauchschwaden. Das Feuer aus dem Traum war mit ihr gekommen. Es war hier. Ein flackernder Schein. Ein leises Knistern. Mit nackten Füßen sprang Pia die Treppe hinunter. Der Flickenteppich brannte und qualmte. Ein Brocken Glut lag darauf. Die Ofentür war offen. Der Rauch nahm ihr den Atem. Luft! Pia zog an der Tür. Sie rührte sich nicht. Mit fliegenden Fingern drehte sie den Schlüssel um, riss sie auf. Kalte Nachtluft strömte ins Zimmer. Zwei Atemzüge, dann schoss sie herum, griff sich das Kissen vom Sofa, schlug damit das Feuer aus und zog den Teppich über die Stufen hinunter in den Hof. An allen Gliedern bebend starrte sie auf den glühenden Brikettrest, der noch darauf lag. Aus der Küche holte sie einen Krug Wasser und löschte ihn. Es dampfte und zischte. Das Feuer war aus.

Zurück im Haus schloss sie die Tür am Ofen und starrte darauf. Sie hatte ihn kontrolliert, bevor sie ins Bett gegangen war. Er war zu gewesen. Ganz sicher! Jemand hatte ihn geöffnet und Glut auf den Teppich gekehrt. Jemand, der wollte, dass das Häuschen abbrannte. So wie vor dreizehn Jahren das Austragshaus. Doch die Haustür war zugesperrt gewesen. War er durch ein Fenster gestiegen?

Zitternd vor Kälte und Schreck inspizierte Pia die Fenster. Alle waren geschlossen und die Läden von innen verriegelt. Das Fenster im Bad hatte allerdings keinen Laden. Vielleicht war er noch da. Neben dem Ofen hing der Schürhaken. Pias Hand schloss sich fest darum. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Langsam näherte sie sich der Badezimmertür. Sie war nur angelehnt. War da jemand? Sie lauschte. Doch das Rauschen des Blutes in ihren Ohren überlagerte jedes andere Geräusch. Ein Schubs mit dem Fuß und die Tür ging auf. Pia starrte in den engen dunklen Raum. Nichts rührte sich darin. Sie stellte sich neben die Türöffnung und tastete nach dem Schalter. Das Licht ging an. Auf alles gefasst, spähte sie hinein. Niemand war dort und das Fenster war zu und von innen verriegelt.