Milenka Carica-Koz

Als wir endlich aus den Bergen von Jakulevo herabgestiegen waren, sang ich dem Schatten meines Vaters zu, er müsse mir jetzt wirklich helfen, eine Frau zu besorgen. Ich hatte gehört, daß hier in der Batschka die Zähne der Frauen härter sind als die der Männer und daß sie, obwohl ihr Mund kleiner ist, stärker zubeißen. Mein Vater blieb stehen und zupfte Blätter vom Zweig einer Zwergbirke, ein Zeichen seiner Nachdenklichkeit. Aber nur bei lebendigem Fleisch beißen sie stärker zu, murmelte er und blickte auf. Er betrachtete die Landschaft. Doch nie sah er die Pflanzen, Bäume und Zweige, Blumen und silbrigglänzende Blätter, immer nur die Fußspuren. Er war einmal Flurhüter gewesen, bis ihm der Engel des Krieges die Augen geöffnet hatte. Er solle doch einsehen, daß ich auch das endlich hinter mich bringen müsse, fügte ich hinzu, nämlich eine tüchtige und willige Frau kennenzulernen, das Geld dafür sei da, und in unseren Säcken hätten wir einige abgesäbelte Ohren und Finger, falls jemand etwa daran zweifeln sollte, daß wir in Jakulevo unsere Aufgabe erfüllt hätten, und zwar nicht nur irgendwie. Mein Vater strich sich sein langes, graues Haar aus der Stirn und nickte. Das komme schon in Frage, sagte er leise, ich hätte sogar Glück, denn er kenne hier in der Gegend eine, die Olga Stein heiße und in ihren helleren Momenten die Sprache der Steine, der Kiesel und der Felsspalten verstehe. Aus Basalt, Marmor und Kalkstein formt sie Wesen in Menschengestalt, erklärte mein Vater, doch sie läßt sie nur so lange am Leben, bis jemand Gefallen an ihnen findet. Diese Olga Stein ist eine der außergewöhnlichsten Künstlerinnen in unserer Gegend, mag sein, daß auch ihr der Engel des Krieges die Augen geöffnet hat. Das war alles, was mein Vater sagte, und damit machten wir uns auch schon auf den Weg. Als wir bei Olga Steins Gehöft ankamen, war die Künstlerin gerade bei der Arbeit.

Das hier ist mein Sohn, Olga Stein, rief mein Vater, und er will eine Frau.

Olga Stein stand reglos da, Meißel und Hammer in der Hand. Ich sah sofort, daß sie eine war, die in ihrem Blick niemals das Feuer der Leidenschaft aufglimmen ließ, aus ihrem Schoß aber allmorgendlich einen Korb warmer Asche kippte.

Doch dann sagte mein Vater, zuerst wolle er zu ihr hineingehen, und so war es auch. Ich legte mich in die steinige Wiese auf dem Hof und ließ Olga Steins Bluthunde an meinem Schoß schnuppern, bis sie sich jaulend trollten. Zerstreut betrachtete ich die Steinmenschen der Künstlerin. Es dürften an die zwanzig gewesen sein, alle gleich, fast wie eine Armee. Ich nahm winzige Kieselsteine in die Hand, behauchte und rieb sie. Meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht. Eine der Steingestalten wurde kurz darauf lebendig, kam zu mir und legte sich neben mich ins Gras. Sie sagte nichts, denn sprechen konnte sie nicht, zumindest vermutete ich das. Aber ihre Augen funkelten lebhaft, als könne sie eins zum andern zählen, und ich sah, daß es eine Frau war, eine lebendige Frau aus lebendigem Stein, die womöglich sogar gebären und töten konnte, wenn man sie darum bat. Ihre Brüste, ihre Schenkel waren warm, sie atmete sogar.

Als Olga Stein aus dem Haus trat, blieb sie auf der Veranda stehen wie ein frierender General, der eine Wehrübung hinter sich hat, zu der er natürlich nicht im geringsten aufgelegt gewesen ist. Unwillkürlich griff ich nach meinem Rucksack, ob das Geld noch da war, die Kriegsreliquien, das Fläschchen Wasser aus der Miljacka, Reisepässe, ein paar Medikamente gegen Fieber, Durchfall und Läuse. Nichts fehlte. Olga Stein rührte sich noch immer nicht. Sie ließ ihren kalten, teilnahmslosen Blick über ihre Leute gleiten.

Schon wieder hast du herumgehurt, sagte sie plötzlich zu der Steingestalt, die bereits wieder zwischen den anderen stand. Das Gras hatte die Arme verraten, das zertrampelte Gras, denn es war, als schlängele sich ein Weg zwischen uns. Der Steinmensch lächelte sanft und zeigte keine Angst. Gewiß hatte er jetzt nicht mehr umsonst gelebt. Mit langsamen unbarmherzigen Bewegungen zerschlug ihn Olga Stein in winzige Stücke. Sie schlug ihm die Gliedmaßen und den Kopf ab, mit fachkundigen Schlägen zerspaltete sie den Rumpf. Zum Schluß stieß sie die winzigen Steinchen auseinander. Die Hunde bellten, als wären sie im Zirkus. Dann schaute sie mich an, schließlich hob sie den Blick zu meinem Vater. Ja, jetzt war Olga Stein schöner, viel schöner als bei unserer Ankunft.

Paß mit deinem Sohn auf, Mihail Koz, paß bloß auf, sagte sie.

Mein Vater lachte, daß ihm der Schaum in den Mundwinkeln stand.

Redest du von Oberleutnant Koz, Olga?

Am nächsten Tag sagte ich zu meinem Vater, dem Herrn Major Mihail Koz, daß ich wirklich gern eine Frau hätte, aber diese Frau solle nur mir gehören, wenn möglich, und er solle sich nicht mit ihr vergnügen, weder vor mir noch nach mir. Wir saßen am Waldrand und hörten den zwitschernden Vögeln zu. Ein Specht klopfte in der Nähe. Aus den Büschen hervor hatte sich ein Rehkitz an den Rand der Lichtung verirrt und beobachtete uns. Mein Vater kippte die Ohren und Finger aus seinem Schurz wieder in den Rucksack. Sie waren alle da, nichts war uns auf der ausdauernden Wanderung verloren gegangen. Na gut, summte er wie für sich selbst, ich hätte außerordentliches Glück, er kenne nämlich eine Frau, nicht weit von hier, sie heiße Maria Ungri und verstehe die Sprache des Grases. Mein Vater log nicht, denn er log nie. Oder wenn er log, dann wirkte das mindestens so wahr, als habe er die Wahrheit sagen wollen. Vielleicht hatten sie ihn auch deshalb so lange kämpfen lassen, damit er den Rang eines Majors erreichte. Ich bin übrigens der Ansicht, daß es sehr viel mehr Wahrheit gibt auf der Erde und daß die Lüge eher versehentlich, nicht aus Absicht, Willkür oder List entsteht. Alles, was leidenschaftlich ist, ist zugleich verlogen. Die Wahrheit kennt kein Gefühl.

Maria Ungri war gerade beim Mähen, als wir ankamen. Sie war eine dicke, fleischige Frau. Ich sah ihrem Gesicht an, daß sie auf Heuhaufen schlief und sich zuweilen mit Brennesseln peitschte, damit es nicht gut für sie war. Denn ihr Grundsatz war offensichtlich, daß man das Leben nicht allzusehr lieben dürfe. Es ist nicht sicher, daß Selbstvergessenheit Sünde ist, aber sie mußte bestraft werden, das las ich ihrem Gesicht ab, ihrem Blick. Das Eisen ihrer Sense glänzte so sehr, daß ich mir über den Hals streichen mußte. Mein Vater schlenderte zu Maria Ungri und flüsterte ihr ins Ohr. Ich hörte, wie er sagte, der Arme. Und Kinderei. Und so ist das Leben. Schließlich lachte Maria Ungri so heftig, daß eine Mistgabel umkippte, die im Heuhaufen steckte. Da nahm sie meinen Vater auch schon bei der Hand und zog ihn wie ein folgsames Kind in ihr Haus. Das Ganze war zum Lachen. Ich hatte ja geahnt, daß es so sein würde, wieder bekam mein Vater eine Frau und nicht ich. Das tat weh, ich leugne es nicht. Ich legte mich neben einen der Heuhaufen und hörte dem Glockenläuten zu, das von Segedin herüberkam, gemeinsam mit den Wolken und dem Wasser des Flusses. Alles ist viel schwieriger, jetzt, wo der Krieg zu Ende ist. Bislang habe ich die Erfahrung gemacht, daß der Krieg das Leben erleichtert. Er verlangt nichts weiter von uns, als an ihm teilzunehmen. Der Krieg möchte, daß man für ihn arbeitet, und für die Glücklichen, die beschließen, im Schützengraben zu schlafen, wird in der Tat alles einfacher, die Liebe, der Tod, Gott – ja, denn im Krieg ist auch Gott sehr einfach. Und das Essen zum Beispiel. Auch das ist so einfach. Aber vielleicht ist die Sache mit Gott das Beste am Krieg. Denn mit der Verworrenheit der Liebe oder des Todes wird man im Spinnengewebe des täglichen Lebens noch irgendwie fertig. Aber mit Gott! Im Alltag, wenn die Waffen ruhen und am Kasernentor die Wache schlummert, ist der Herr so kompliziert, so schrecklich. In meinem Mundwinkel wippte ein Grashalm, als ich daran dachte, ich, Oberleutnant Koz. An diese Dinge dachte ich, als mein Vater und Maria Ungri aus dem Gehöft kamen und sie zu ihm sagte, Herr Major, danke, daß Sie mich besucht haben, morgen werde ich unseren Pater bitten, daß er für Sie und Ihren Sohn ein Vaterunser spricht. Aber, fügte sie mit einem Blick auf mich hinzu, passen Sie auf mit ihm, denn das ist ein gefährlicher Mensch.

Mein Vater lachte heftig.

Wenig später sagte ich zu meinem Vater, daß es so nicht gut sei. Ich verstünde es ja, aber daß jetzt ich an der Reihe sei, müsse er doch auch ohne besondere Voreingenommenheit einsehen. Der Alte seufzte, nickte, ich hätte ja recht, wie sehr ich doch recht hätte. Und daß ich ihm verzeihen solle. Aber rein zufällig, sagte er nach einigem Schweigen, wisse er von einer Frau, die jenseits der Grenze lebe und Margareta heiße. Sie könne die Luft zum Tanzen bringen. Ein richtiges Lufttheater habe diese Margareta, ein wildes Luftballett mit jeder Menge Tänzern, Tänzern aus Seufzern, Keuchen und Hauch. Die Lufttänzer lebten über den schmutzigen Wogen des Flusses Marosch, und im Schlaf bebten sie natürlich meist und schlügen Wellen. Im Winter faulenzten sie und verhöhnten den Rauch in den Kaminen. Am zahlreichsten waren sie, als der Schusterdiktator und seine Frau von ihren Kindern aufgefressen wurden.

Margareta betrachtete uns so liebevoll, als wären auch wir Tänzer. Mein Vater gab mir seinen Rucksack in die Hand und trat zu ihr. Aus dem Atem des Mädchens, der voller Schleier war, riß er ein Stück heraus und wickelte es sich um den Hals. Während sie in Margaretas Haus die Zeit verjubelten, schrieb ich ein Gedicht über meinen Vater. Mit Ruß und einem Birkenzweig voller Honig ritzte ich sein Gesicht auf Zeichenpapier.

Tänzer wirbelten in der Luft.

Und als mein Vater aus Margaretas Haus kam, richtete ich mein Gewehr auf ihn. Mein Vater sagte nichts, denn er kannte mich gut. Er wußte, daß auch ich vom Krieg erzogen worden war, daß der Krieg mich sprechen, schweigen und lachen gelehrt hatte. Er starrte mich nur an, seine Lippen bewegten sich tonlos. Vielleicht betete er. Vielleicht sagte er, was er immer schon hatte sagen wollen. Ich schoß ihm mitten ins Gesicht. Dann zündete ich Margaretas Scheune an und schaute den Flammen zu, bis ich aus dem Gewirbel der Tänzer die Erzählung meines Lebens herauslesen konnte: daß ich früher gemordet als geliebt hatte, daß ich die Seele schon in Blut gerinnen sah, noch bevor ich mein Erbe hätte ermessen können, Es tut nicht weh, daß es so kam, das meine ich nicht. Ich bin kein Verräter. Und jetzt gehe ich heim zu meiner lieben Mutter, zu Milenka Carica, die meinen Vater schon sehr erwartet. Ja, die Arme, sie erwartet ihn vergeblich. Aber ich werde es nicht zulassen, daß das Gesicht meiner lieben Mutter im Wasser der Traurigkeit schwimmt. Den Speisen, die von ihren Köchen in der Großküche zubereitet werden, dem lebendigen Fleisch des Waldes, des Himmels und des Sees, dem Obst und Gemüse der Erde, dem süßen Gold des Honigs werde ich zuflüstern, was ich beschlossen habe. Ich werde nicht sofort zu ihr hineingehen, ich warte, bis sie mich ruft, sie soll spüren, daß ich zu Hause bin, denn auch ich bin zurückgekommen. Ich warte, bis zwischen den strahlenden Zähnen meiner Mutter Milenka Carica das Fleisch zu einem feinen Brei zermalmt wird und ihr durch den Hals hinab verkündet, in ihre Eingeweide, über ihr Herz, daß ich hier bin, hier bin, hier bin. Meine liebe Mutter, dein guter Mann, Major Mihail Koz, lebt nicht mehr, aber ich bin hier an seiner Statt, dein Sohn, der ich den Krieg im Rang eines Oberleutnants absolviert habe, der ich bei Jakulevo am Bein verwundet worden bin, der aber, was immer er sammelte, nur für dich sammelte, und was immer er tat, nur für dich tat, wenn er mordete, dann um dich zu schützen, wenn er betete, dann um für dich zu beten. Jetzt aber hält er die Zeit für gekommen, dich zu seiner Liebsten zu machen, zu seiner glücklichen Geliebten.