Veronika Schwarz

Ich heiße Bog Dan und habe dort, wo der Fluß mit dem gelben Rücken sich verzweigt und das Land in drei Provinzen teilt, ein Gehöft gekauft. Als ich jung war, in einer stillen Sommernacht, haben mich balkanesische Grasmusiker behext, die mit Löwenzahn, Schilf und trockenen Halmen so gut spielten wie die in den fürstlichen Landhäusern herumhängenden cyanfingrigen Hofmusikanten. Ich war arglos, und die schöne Musik machte mich weich. Anders als in der Sage wurden die Dinge in meiner Hand nicht zu Gold. Wenn ich das Essen berührte, verdarb es und wurde ranzig, Fleisch begann zu stinken, auf Brotrinde blühte augenblicklich der Schimmel, Wein wurde sauer wie Essig, und aus dem Obst quoll ein brauner, ekelerregender Saft. Ich mußte gefüttert werden wie ein Kleinkind. Und wenn sie mir die Bissen vor den Mund hielten, starrte ich nur meine Hände an, die dicken und behaarten Finger, und sang mit kehliger Stimme. Zähne hatte ich, ehrlich gesagt, kaum welche, vielleicht konnte ich deshalb so schön singen. Einmal fragte ich einen allwissenden Wolkenbändiger, ob meine Absonderlichkeit eigentlich eine Krankheit sei oder eine Begabung.

Du bist krank, sagte der Ukrainer und spuckte mir vor die Füße.

An Geld mangelte es mir nicht, denn ich hatte von Jugend auf viel getötet und auch geerbt, natürlich machte ich auch Raubüberfälle und betrieb dunkle Geschäfte. Geld verdarb mir nicht in der Hand. Ich ließ das verfallene Gebäude von einer Maurerbrigade umbauen, die Männer hatten die von Blut dampfenden Kriege im Süden mitgemacht. Abends erzählten sie von den Toten, die sie in den neu errichteten Häusern und Schlössern eingemauert hatten. Diese Leute wußten, daß zur Entstehung von Legenden nicht Hunger, sondern Sünde unabdingbar ist. Alle hatten schon gemordet, das war die Aufnahmebedingung in die Truppe gewesen. Nachdem das Gebäude fertig war, kaufte ich Huren bei wandernden Zigeunern und Waffenhändlern. Von der Stirn des Nordens, dem Hauch des Südens und der Scham des Ostens ließ ich sie mir kommen. Manche überlebten, andere überlebten nicht. Ich probierte sie aus, schlief dann aber nicht mehr mit ihnen, keine benutzte ich mehr als einmal, auch wenn manche von ihnen mit mir zu flirten und zu kokettieren versuchten und mir ihre Titten unter die Nase hielten. Ich drohte damit, meine immer wache, vom Verfaulen stinkige Hand auf ihrem Schoß ruhen zu lassen, und die Betreffende machte sich erschrocken aus dem Staub.

Die Pension wurde bald zu einer beliebten Adresse. Auch eine eigene Schnapsbrennerei und Weinkellerei betrieb das Gut. Dort konnte man Geld wechseln und Geschäfte abwickeln, endlose Felder und herrliche Seen, Waffen und benebelnde Pulver, Seelen und Körper wechselten in den von Rauch und Menschengeruch erfüllten Räumlichkeiten den Besitzer. Die oberste Behörde duldete, daß ich meinen Landsitz unterhielt, so wußten sie wenigstens, wer ihn frequentierte, und nach dem einen oder anderen erfolgreichen Geschäft wanderten selbstverständlich auch ein, zwei Geldsäckchen über die Schwelle des Amts.

Hierzulande sagt man, der Abend bricht über die Menschen herein.

In dieser Gegend, wo sich die Nacht den Menschen auf die Schultern legt, sind nicht die den Bauch der Wolken kitzelnden Bergspitzen spektakulär, sondern die Luftspiegelungen. Wenn sich in der vor Hitze flimmernden Ferne ein Kirchturm umkehrt, stehen auch die Bänke der Gläubigen und die Kanzel Kopf und auch das Abbild des gekreuzigten Gottessohnes, einerlei, ob die Christen, die hier eintreten, Moskau oder Rom ergeben sind. Doch die Zeit kehrt sich nicht um mit der kopfstehenden Kirche. Spektakulär in dieser Gegend ist weiter nichts, als daß die Zeit im Herzen des Wunders genauso störrisch und mitleidlos ihren eigenen Rhythmus schlägt wie im Schatten eines Robinienwäldchens am Straßenrand, auf einem Stoppelfeld im Mondschein oder im Lokus eines hohen Herrn. Ahnungslos wächst man auf, und so richtig erschrickt man erst, wenn man begreift, daß unversöhnlicher Haß schon die halbe Seele eingesponnen hat und man ohne diesen Haß nicht leben kann. Auch weich werden ist so eine Sache. Ich, Bog Dan, weiß, wovon ich spreche. Wenn man sich in einer sumpfigen Wiese zu aufblühendem Klatschmohn, im Grün aufleuchtender Syringe hinabbeugt, zu einem Käfer, der sich an einen Grashalm klammert, ja, dann kann man bereits seinen Hintern bedauern. Wer weiß, woher der Söldner oder Grasmusikant gekommen ist, der plötzlich hinter dir steht und seinen Schwanz hineinschiebt. Es war eine kranke Welt, aber weil sie nicht kränker war als ihre Vergangenheit, kannte sie keine richtige Scham. Von Zeit zu Zeit machten sich großspurige, begeisterte junge Männer auf den Weg, um den gleichgültigen, die Welt dem Verderben preisgebenden Gott zu ermorden, allein das Wesen, das sie ebenso leichthändig wie erbarmungslos liquidierten, stand sogleich wieder von den Toten auf, denn dafür war es da.

Und auch die Mädchen taten das Ihre. Manch eine Hure wurde berühmt für ihren Mund, andere für ihren Hintern, wieder andere für ihre Vulva, die Töne von sich gab, sie hatten Peitschen und Handschellen, manchmal pinkelten sie dem Gast in die Hand, wenn er es wünschte. Eine Herrschaft kam regelmäßig mit zwei Bluthunden zum Stelldichein, bei Morgengrauen mußten die von der Liebe vollkommen geschwächten, leise winselnden Tiere mit Schlägen und Tritten nach Hause gezerrt werden. Die Mädchen beklagten sich nicht. Sie waren nett und fröhlich und tänzelten lachend mit ihren Kunden aufs Zimmer, ob es sich nun um ungehobelte Geschäftemacher aus der Umgebung handelte, um Wanderer von zweifelhaftem Charakter oder um Kuriere des Hofes mit staubigen Gesichtern. Wenn eine ihrer Gefährtinnen starb, wurde sie beweint; in ihrem Zimmer stöhnte schon am nächsten Tag eine andere unter stinkendem Männerfleisch. Meine Einnahmen stiegen. Das Geschäft blühte. Ich will aufrichtig sein. Im Grunde ließ sich ja doch nicht sagen, ob ich tüchtig und fähig war oder nur vom Schicksal eine vorläufige und jederzeit widerrufbare Erfolgsgenehmigung erhalten hatte. Über den zerbrechlichen und zufälligen Charakter meiner Unternehmung war ich mir im klaren. Immer häufiger machte ich auf dem Gutshof Spaziergänge, stirnrunzelnd und kopfschüttelnd. Es war Winter, weiß und unbarmherzig. Das Heulen der Wölfe konnte man verstehen. Schwärme dahinziehender Krähen schrieben korrekte Sätze an den Himmel. Die Eiszapfen an den gefrorenen Ästen gaben ein bimmelndes Konzert, und wenn auf dem zugefrorenen Fluß das Eis barst, na, dann huschte aus jedem Spalt ein Menschenname und ließ sich in den nahen Dörfern auf der Stirn eines Kindes nieder, das gerade zur Welt kam. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich müßte schreien. Dann hielt ich mir mit meiner faulenden Hand den Mund zu.

Als das Gebimmel der Eiszapfen für einen Augenblick verstummte, die Wölfe ihr Geheul unterbrachen und die über die Herberge hinwegziehende Krähenschar den Himmel ohne ein einziges Krächzen in stummen Aufruhr versetzte, trat der Fremde durch die Tür. Ich hatte ihn noch nie gesehen, deswegen gab ich ihm spontan den Namen Vladimir Bjelo. Er mietete die ganze Pension für eine einzige Nacht, bezahlte sämtliche Mädchen und ließ einen imposanten Polsterstuhl neben den Kamin im großen Saal stellen. Ich wunderte mich nicht weiter, denn Sichwundern schadet in meinem Metier. Nimm die Dinge, wie sie sind, und schade ihnen nur, wenn sie dir schaden wollen. Vladimir Bjelo wollte niemandem schaden. Er starrte die Mädchen an und schlotterte. Sein Körper war glühend heiß, und er fror. Eine solche Stille hatte in der Pension noch nie geherrscht. Hinter den schweren Vorhängen liefen die Mädchen auf Zehenspitzen umher oder schlossen sich in ihren Zimmern ein und beruhigten ihren aufgeregten, beschäftigungslos gebliebenen Schoß mit ihrem Geträller.

Ich saß neben dem Sterbenden und kam zu der Auffassung, daß Gott ihn mir geschickt hatte. War er kein Engel, so mußte er zumindest einen Engel getötet haben. Hatte er nicht getötet, so mußte er zumindest vom Engelsblut gekostet haben. Und sollte er noch kein Engelsblut getrunken haben, so kannte er gewiß Märchen, in denen alles möglich ist. Der Sterbende sah auf und nickte. Dann röchelte, schnaufte er mir seine Lebensgeschichte ins Ohr. Zum Schluß hauchte er mir einen Wunsch zu, einen Wunsch, der nicht besonders ausgefallen war, doch ich, Bog Dan, Wirt an der Grenze, wußte, daß in seiner Tiefe ein böser Zauber nistete.

Einige Tage grübelte ich, ob ich der Bitte nachkommen sollte. Dann traf ich meine Entscheidung. Ich schickte einen von meinen Leuten in das nahe Kloster. Betroffen betrachtete die Schwester Oberin den Sack voll Geld. Sie dachte nicht im Traum daran, Schwester Veronika Schwarz herauszugeben. Doch ich wußte, was zu tun war. Um jemanden zu behexen braucht man weder Talent noch besondere Fähigkeiten, nur Geduld von der niederträchtigeren Sorte. Ich wußte Bescheid, war ich doch selbst behext worden. Zwei Wochen lang streuten meine Leute täglich Geld vors Klostertor, immer dann, wenn sich die Nonnen zum Abendessen begaben oder zum Gebet versammelten. Danach ließen wir uns eine Woche lang nicht blicken. Umsonst öffnete sich das Klostertor einen Spaltbreit, umsonst spähte der Klosterdiener in die Ferne. Doch einige Tage später klingelten abermals Goldgroschen vor dem Tor. Wieder geschah lange nichts. Als die Unsicherheit und das Gift des Verlangens die Seele der Oberin endgültig durchdrungen hatten, trat jemand heftig gegen das Tor.

Ich war es, höchstpersönlich, von Kopf bis Fuß in duftendem Schwarz, wie der Teufel. Dabei war ich gar nicht richtig böse, auch wenn ich so aussehen wollte. Ich sprach kein Wort, starrte die Oberin an, musterte sie lange, und zwischen meinen Zähnen blinkte die Silbermark. Schließlich wurde die Oberin schwach und schickte nach Veronika Schwarz. Ich glaube, als ich das kahlgeschorene Mädchen im härenen Gewand sah, habe ich gelächelt wie der nichtswürdigste Grasmusikant. Ich spuckte der Oberin die letzte Silbermark, die ich im Mund gehabt hatte, vor die Füße.

Es muß ein seltsamer Anblick gewesen sein. Ein hinkendes, kahles Mädchen stolperte auf der kurvigen Militärstraße hinter mir her. In ihrer Hand eine Holzschüssel, darin Schinken und Speck, frisches Gemüse, Paprika und Zwiebeln. Sie gab mir zu essen, und ich sang dabei. Mit vollem Mund gestikulierend, stimmte ich ein Lied an, das vom Gebimmel der Eiszapfen begleitet wurde. Veronika Schwarz war entweder Jungfrau oder schon tausendmal entehrt worden. Ich, Bog Dan, erzählte niemandem von dem Wunsch des Fremden. Ich erzählte nichts davon, daß ich das Mädchen verstecken mußte. Ich erzählte niemandem, daß jener Sterbende, der vom Leben verbitterte und enttäuschte Vater des Mädchens, entschieden hatte, sein Kind, dessen Mutter er nach der Geburt eigenhändig erwürgt hatte, vor Gott zu verbergen.

Es ist ein Irrtum, daß Gott tot ist. Es ist auch ein Irrtum, daß er sich nach der Erschaffung der Welt ausgeruht hätte. Ich, Bog Dan, Wirt an der Grenze, weiß, daß dies nicht so ist. Die Schöpfung war über Gottes Kräfte gegangen, sie hatte ihn krank gemacht. Gott ist schwer krank, und diese Krankheit strahlt auch auf die von ihm erschaffene Welt aus. Das ist die Wahrheit, Freunde. Veronika Schwarz hatte auf einem Friedhof gelebt, auf einem Schiff gedient, in vornehmen Schulen gelernt, aber stets in dem Bemühen, Gott nicht unter seine halbblinden Augen zu kommen. Sogar die Frage, warum sie das tat, beantwortete Vladimir Bjelo im Augenblick seines Todes.

Veronika Schwarz ist ein vollkommenes Geschöpf.

Vladimir Bjelo tat seinen letzten Seufzer, und auch der hatte eine Bedeutung.

Weil es erlaubt ist, sagte der Seufzer.

Das Mädchen beschränkte sich auf die notwendigsten Worte, sie sprach niemals von sich, offenbar hatte sie nichts zu sagen. Anscheinend hatte sie auch kaum Freundinnen. Eine von den Huren trat einmal nach ihr und traf sie im Gesicht, die Haut platzte auf und Blut sickerte aus der Wunde. Die Hure streckte ihre Hand versöhnlich, um Verzeihung bittend, nach Veronika aus, doch die schob die Hand sanft zur Seite. Nicht einmal die Schlampen des Gutshofs verstanden, wozu man dieses Mädchen brauchte, ihr kürzeres linkes Bein, ihre krankhaft bleiche, zu Geschwüren neigende Haut, ihr lebloser Blick erregten eher Widerwillen. Vladimir Bjelo, der die Pension einige Monate zuvor gemietet hatte, um hier zu sterben, war bereits vergessen. Die größte Überraschung folgte erst noch. Das Mädchen bekam von mir das beste Zimmer. Dann beschenkte ich sie mit weiteren Privilegien. Veronika mußte sich den hierarchischen Verhältnissen nicht unterordnen. Ich konnte ihr nicht befehlen, sie durfte so lange faulenzen, wie es ihr gefiel, sie machte keine Hausarbeit, und zu allem Überfluß – das war vielleicht die größte Provokation – konnte sie sich aussuchen, mit wem sie aufs Zimmer ging. Ein starkes Stück – in der Tiefe meines Herzens wußte ich, daß die Situation auf Dauer unhaltbar war.

Des öfteren stand ich im Schlamm des Hofes und starrte zu Veronikas Fenster hinauf. Wenn sie aufs Zimmer ging, stellte sie immer ihre Krücke vor die Tür. Ob Gott sie wirklich nicht sieht? Ob man sich vor Gott verstecken kann, wie es jener alttestamentarische Prophet versuchte, gemäß der Heiligen Schrift zumindest. Wie auch immer, die Macht des Mädchens beunruhigte mich. Sogar in den Geschäftshäusern, Spielhöllen und Märkten der Umgebung wurde bereits geredet. Kaufleute von untadeligem Charakter machten sich auf den Weg, um eine Stunde mit ihr zu verbringen, die meisten jedoch vergeblich. Weltspione, unerkannt bleibende Politiker, Geldsäcke, Gauner und Liebeskünstler buhlten um ihre Gunst. Der Erwählte, hinter dem sich die Tür des Mädchens geschlossen hatte, zahlte mit abwesendem Lächeln, und wenn er sich zuletzt doch äußerte, welches Erlebnis ihm zuteil geworden war, verwickelte er sich in Widersprüche, und seine wirren Ausführungen steigerten die Unklarheit und Unsicherheit nur noch. Einmal machte sich ein balkanesischer Grasmusikant an sie heran. Er sang einige Minuten für sie, anscheinend mit Erfolg, denn sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu ihrem Zimmer. Doch kurz darauf fiel die an die Tür gelehnte Krücke um. Tobend, sich die Haare raufend, stürzte der Grasmusikant ins Freie.

Inzwischen haßten meine Dirnen das Mädchen wie die Pest. Wenn es über den Hof hinkte, spuckten sie es an, schleuderten ihm Spaten nach, bewarfen es mit Nägeln, taten ihm Dreck ins Essen, setzten ihm in der Nacht Ratten ins Zimmer, gossen ihm rußigen Honig aufs Haar. Eines Nachts folterten sie es. Ein Wunder, daß es am Leben blieb. Die Lage spitzte sich immer mehr zu. Die Mädchen hatten etwas vor. Eine der jungen Huren berichtete mir regelmäßig von den Plänen der anderen, die ständig wechselten, doch stets dasselbe Ziel verfolgten.

Um die Tragödie abzuwenden, machte ich eines Tages nicht auf. Es war Frühling, auf den Feldern streute man Samen aus, der Wind trug einen hauchzarten Flor über den Wald. Meine Diener schickten Reisende und Gäste an der Wegkreuzung zurück. Sie bedauerten, daß Amüsement und Service heute ausfallen müßten, leider sei der Wirt schwer erkrankt. Ich aber befahl die Huren auf den Hof, ohne Ausnahme. Ohne weitere Erklärungen packte ich Veronika und liebte sie auf der mit Pferdemist übersäten, von Schlamm und Benzin glitschigen Erde des Hofes. Die Mädchen begannen bei dem Anblick verlegen zu lachen. Nachdem mein Samen verströmt war, spähte ich, an meinem Schlitz fummelnd, zum Himmel. Veronika Schwarz lag im Dreck und keuchte. Plötzlich hatte ich die Empfindung, daß Gott sie tatsächlich nicht sah. Na schön, recht so. Sehr gut. Ich brach in dröhnendes Gelächter aus. Die Huren stimmten verlegen ein. Und dann, wer weiß, warum, lachte auch Veronika auf wie ein Marktglöckchen. Mein gurgelndes Gewieher nahm kein Ende, weil ich das Geheimnis nun kannte.

Gott sieht sie nicht, weil Veronika Schwarz gut ist.

Sie ist durch und durch, von Grund auf gut, so wie jeder Tropfen des Meeres Meer, wie jedes Stückchen Fels Fels ist, und wie der Mensch gerade dadurch zum fragwürdigen Produkt der Schöpfung wird, daß ihm die Ähnlichkeit Gottes anhaftet, er somit die Krankheit des Herrn teilt. In seltenen und wundersamen Fällen ähnelt der Mensch Gott nicht, dann wird er gut, vollkommen. Diese Glücklichen müssen versteckt werden, damit wir uns unsere Hoffnung auf das Gute bewahren können. Plötzlich hörte ich auf zu lachen. Irgendein Windhauch, ein Schatten über der Welt, ich weiß nicht mehr, was geschah. Ich spürte, das Mädchen war verloren. Ich hätte nicht an diese Dinge denken dürfen. Der Gedanke ist ebenso gefährlich wie das Wort. Jawohl, meine unvorsichtigen Gedanken hatten das Mädchen verraten. Ich betrachtete den regungslosen Himmel und wußte, daß Gott erwacht war. Ich winselte in meiner Ohnmacht.

Zum Skandal kam es am nächsten Abend, als Veronika Schwarz einen entfernten Verwandten von Milenka Carica zurückwies, einen gutaussehenden, stattlichen Heckenschützen, der jahrelang im Süden gekämpft hatte und trotzdem unberührt geblieben war. Daß seine Unschuld zurückgewiesen wurde, war eine furchtbare Beleidigung. Der junge Mann tobte und fluchte stundenlang auf dem Hof der Pension. Auch mir drohte er, mein Unternehmen werde er ruinieren und mich in Ketten fortbringen lassen. Wortlos starrte ich den Tobenden an. Was konnte ich denn für ihn tun, da doch Veronika Schwarz gut war? Ich zuckte die Achseln. In diesem Moment sah ich die beiden Dirnen. Mit Glasstückchen in der Hand liefen sie zu Veronikas Zimmer. Ich stieß den Heckenschützen in den Schlamm und zog noch im Laufen das Messer, um ihnen zuvorzukommen. Am Treppenabsatz wurde ich niedergeschlagen. Der Schlag war nicht tödlich, ich verlor nur das Bewußtsein.

Später ließ ich die Mörderinnen singen, was sich ereignet hatte.

An den Beinen schleiften sie mich in den Hof. Minuten später drangen sie in Veronikas Zimmer ein. Vier hielten sie fest, obwohl sie keinen Widerstand leistete, die fünfte, die Verräterin, schnitt ihr die Kehle durch. Sie bespritzten das Zimmer mit verfluchtem Pferdeblut und Kerzenöl. Das Gebäude stand die ganze Nacht in Flammen. Die Dirnen tanzten und sangen. Der Mondschein ergoß sich über ihre Haare und Schultern und blieb an ihrer Haut kleben, als wäre er Silberstaub. Bauersleute und Erdkünstler aus der Umgebung stachen die Fässer an, brieten Fleisch, johlten, manchmal zogen sie ein Mädchen zur Seite. In dieser Nacht ergraute ich vor Schmerz. Das Gute interessierte mich so wenig wie das Verbrechen. Veronika Schwarz war tot. Mit eigener Hand aß ich verschimmeltes Brot und trank essigsauren Wein dazu. Bei Tagesanbruch deutete ich auf eine Stelle oberhalb der rauchenden Trümmer. Es war natürlich egal, ob ich hinzeigte oder nicht, niemand kümmerte sich um mich. Ich war nicht mehr der Wirt, ich war niemand mehr. Über den Trümmern der einstigen Pension schwebte die Krücke des Mädchens. Als wäre sie an den blutverschmierten Morgenhimmel gelehnt.