Schreibers Meinung über den Krieg

»Mich ergreift stets ein Gefühl der Beklemmung, wenn ein Krieg mit Attributen versehen wird, wonach er gerecht, notwendig, angebracht oder unvermeidlich sei. Diese Attribute kommen mir vor wie Zuckerzeug am Tannenbaum. Schlimmer – wie Arschwischtücher. Man wischt sich damit den Hintern ab, doch die Scheiße schafft man nicht aus der Welt. Mehr als eine Lokalzeitung, sogar von jenseits der Grenze, bat mich um meine Meinung. Einmal kam ein hinkender Kriegsberichterstatter aus Ljubljana zu mir, vielleicht auch aus Maribor, und dem sagte ich, daß ich Schriftsteller bin, zumindest halte ich das für eine Tatsache, die hinsichtlich meines Daseins festzustellen und zu betonen von größter Wichtigkeit ist, das heißt, mit dem Satz, den ich zu Papier bringe, würde ich mir niemals den Arsch abwischen und schon gar nicht jemand anderem, vielmehr lege ich, da ich nun mal, wie gesagt, Schriftsteller geworden bin, die Scheiße auf die Waagschale, die kraft der Geschäftigkeit verschieden gearteter Menschenärsche beiderlei Geschlechts in die Welt gesetzt und an gewissen Orten angehäuft wird. Deshalb hüte ich mich, einen Krieg als gerecht oder notwendig zu bezeichnen, denn es könnte der Eindruck entstehen, ich vermeinte das Wesentliche zu erfassen, das jedoch ohne menschliche Gesichter, Gebärden, die zufällig aufglänzende Körperflüssigkeit, ohne den Geruch eines am Grabenrand verwesenden oder gerade zur Welt kommenden Körpers höchst fragwürdig erscheint. Dem Kriegsberichterstatter, den Reportern, den Nachbarn habe ich mit Geschichten geantwortet, Geschichten habe ich auch in der Theaterkantine heruntergestottert, wo mich Bekannte und Kollegen bedrängten, neugierig auf meine Meinung, Geschichten erzählte ich dem Unbekannten, der mich im Belgrader Tašmajdan-Park am soundsovielten Tag des Bombardements am Arm packte und mir zuflüsterte, für ein paar Mark würde er mir eine Stelle zeigen, von wo aus man zuschauen könne, wie Milenka Carica splitternackt mit den Schatten längst dahingegangener Helden und legendärer Partisanen Liebe mache. Verstanden haben diese Leute meine Geschichten nicht.

Ich verstand mich selbst nicht, vor allem verstand ich die Geschichten nicht, die ich Freunden und Unbekannten vom Krieg erzählte. Vielleicht, weil ich Schriftsteller bin. Noch dazu Bühnenautor, Dramaturg und einer der Dichter des Carica-Ensembles; sogar für unseren Souffleur bin ich eingesprungen, wenn er besoffen war. Ich dachte, ich müßte mich nur bemühen, nicht in den Menschen hineinzusehen. Der Mensch ist aus dichtem, dunklem und klitschigem Stoff, so ein saftiges kleines Gulasch, das im Himmel erfunden, aber in Ermanglung eines Besseren aus dem Dreck der Erde gekocht worden ist. Blindheit, blinde Leidenschaft, ein Herz schlägt, es schlägt nicht, gestern hat es noch gelebt, heute verwest es unter der Erde. In dem Moment, wo einer, der denkt, sei er nun Schriftsteller, Dichter, Musiker oder Schauspieler, dem Krieg Attribute, einen gesteigerten Sinn zuschreibt, verliert er den Menschen aus den Augen. Als würde in der Geschichte die Geschichte weggelassen und nur ihre Deutung verbreitet, das ist zwar keine schlechte Lösung, erfordert zudem Weisheit und analytischen Sinn, sympathisch ist sie aber dennoch nicht.

Ich hatte vom Leidensweg der Brüder Patra Xandars auf den von Eiter und Blut getränkten, rutschigen Hängen des Kosovo Polje gehört. Und bei den endlosen Grabungen von Jakulevo helfe ich auch hin und wieder aus. Ich wußte, daß Milenka Carica bereits von ihren eigenen Leuten gefressen wird. Ich habe auch erlebt, daß in Jakulevo die Erde mit chronischem Brechreiz kämpft und nachts kotzt wie ein riesiger Leib und daß die am Firmament blinzelnden Sterne sich in ihrem Schmerz selbst aus dem Weltall reißen wollen. Trotzdem kann ich zu einem Krieg weder ja noch nein sagen, denn für mich als Schriftsteller ist das, denke ich, nicht das Wesentliche, womit ich natürlich nicht behaupten will, daß das Ja oder das Nein unter anderen, man könnte auch sagen: globalen Gesichtspunkten nicht grundsätzlich seine Berechtigung haben kann; wenn also ein englischer Major es für notwendig und unvermeidlich erachtet, das Bein und den Schoß Milenka Caricas zu bombardieren, so akzeptiere ich diesen Standpunkt und begreife seine Logik, kann ihn aber dennoch nicht billigen und sehe darin auch nicht die erforderliche Lösung. Ich bin Schriftsteller, und deshalb will ich in meinen Sätzen Menschen sehen. Zum Beispiel die Leute Milenka Caricas, die die Welt seit etlichen Jahren und besonders in der letzten Zeit mit einiger Verachtung, Bestürzung und Verständnislosigkeit einfach nur Milenka Caricas Leute nennt. Viele von ihnen kenne ich mit Namen, zum Beispiel Milorad, Petr, Jozef, Josip, Stjepan, Koder, Miloš, Ivan, Mihail, Vladimir, und ich weiß, daß manchen von ihnen ein Bluthäutchen zwischen den Fingern gewachsen ist, während andere auf einer stillen Straße in Segedin bleich ihren Tabak kauen und inständig an zu Hause denken. Sie will ich nicht einfach Milenka Caricas Leute nennen, denn damit ginge mir verloren, was zum Beispiel Miloš von Koder unterscheidet, wenngleich dieser Unterschied, um ehrlich zu sein, nicht der Rede wert ist, es handelt sich gerade mal darum, daß unter dem Nagel von Miloš’ kleinem Finger braune Blutspuren glänzen, während sich in Koders Haar die erste graue Strähne zeigt. Und vom braven Major Mihail Koz weiß ich, daß er mit seinem verrückten Sohn aus den Bergen gekommen ist und ihm jetzt eine Frau besorgen will.«