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Um die Hände frei zu haben, stellte ich den Kassettenrekorder links neben Hanna Hechts Wohnungstür auf den Flurboden. Durch das Schlüsselloch drang leises Gebrabbel. Ich klingelte. Das Gebrabbel hörte auf. Ich klingelte ein zweites Mal. Es blieb still. Beim dritten Mal reagierte jemand und kam an die Tür.

»Wer is da?«

Die Stimme kannte ich.

»Maingas, Strom- und Wasserabnahme.«

»Einen Augenblick.«

Kurzes Geflüster, dann war er wieder da. Ich drückte mich rechts neben die Tür an die Mauer. Der Schlüssel klirrte im Schloß. Langsam wurde er umgedreht. Dann ging die Tür auf, und sein Kopf schaute aus der Wohnung.

Ich schlug ihm meine rechte Handkante unter die Gürtellinie. Einen Moment lang blieb ihm die Luft weg. Ich sprang auf ihn zu und warf ihn zu Boden. Der Schlag hatte ihn nicht schlimm erwischt, und ich hatte Mühe, gegen sein Gestrampel anzukommen. Mein erster Eindruck war richtig gewesen. Er zog an den Haaren. Als er anfing, mir in den Bauch zu beißen, reichte es mir. Ich rammte ihm die Fäuste aufs Kinn. Seine Muskeln erschlafften, und er sank zurück auf den Flokati. Ich schaute zur Küchentür. Hanna Hecht betrachtete mich mit großen Augen. Ihr Gesicht war blau angeschwollen, und aus der Nase lief Blut. Ihre Bluse war rot verschmiert und bis zur Hose aufgerissen. Ich stand auf und begann den Draht zu lösen, der ihre Hände fesselte. Die Arme waren blutig zerschnitten. Danach fesselte ich ihn damit. Ich zog fest an, und der Schmerz weckte das Bürschchen.

»Ganz ruhig bleiben, ist schon vorbei.«

Ich drehte ihn auf den Rücken und betrachtete sein wehrloses Dackelgesicht. Auch Hanna Hecht hatte sich niedergekniet, was ich aber zu spät merkte. Sie zog ihm ihre Fingernägel einmal quer durchs Gesicht. Ich stieß sie weg. Doch ihm half das nicht mehr. Fünf tiefe Kerben ließen das rote Fleisch der Wangen sehen. Er schrie und wand sich vor Schmerz. Hanna Hecht lächelte, und jetzt sah ich, er hatte ihr sämtliche oberen Schneidezähne rausgeschlagen.

»Wo ist dein Freund aus der HÜHNERPFANNE?« Sie zeigte hinter sich in die Küche.

»Lebt er noch?«

»Bißchen!«

»Kannst du irgendwelchen Alkohol mixen? Das können wir jetzt alle gebrauchen.« Sie nickte und ging. Ich zog ihn hoch und setzte ihn an die Wand.

»Tach, Herr Eiler, so sieht man sich wieder.«

Ich holte den Kassettenrekorder vom Flur und spulte das Band zurück.

»Ich werde ein paar Fragen stellen. Sie können antworten, Sie könnens auch sein lassen, dann gebe ich Fräulein Hecht freie Hand, mit Ihnen zu veranstalten, was ihr Spaß macht… klar?«

»Nein! Ich will alles sagen.«

»Schade.«

Ich drückte auf Aufnahme.

»Womit konnten Sie Vasif Ergün nach dem Unfall überreden, in Ihrem Auftrag mit Heroin zu handeln?«

Er sah mich erschrocken an.

»Aber…«

»Antworten Sie schnell, ich habe nicht soviel Band.«

Er druckste eine Weile herum, bis er sich überwand.

»Es ist eh alles egal… Es war Futts Idee. Ich hatte damit nichts zu tun… das stimmt wirklich…«

»Interessiert mich nicht, Sie sollen sagen, wies gewesen ist!«

»… na ja, wir haben ihm erzählt, der Unfall sei besonders schlimm, und deshalb müsse er zurück in die Türkei, oder lange ins Gefängnis… irgend sowas… dann haben wir ihm ein Geschäft angeboten. Wir würden dafür sorgen, daß ihm nichts passiert, würden ihm auch Geld geben, um den Schaden unter der Hand zu bezahlen.«

»Zweitausend Mark?«

»Mhmm, ja soviel war das… also das haben wir für ihn gemacht. Dafür sollte er für uns Drogen verkaufen. Dreißig Prozent vom Gewinn haben wir ihm angeboten, und er war einverstanden.«

»Nachdem das eine Weile lief, habt ihr ihn gefragt, ob er nicht noch jemanden wüßte, der Lust hätte mitzumachen?«

»Mhmm, ja.«

»Das war dann Ahmed Hamul?«

»Ja.«

»Weshalb mußte Vasif Ergün sterben?«

»Aber nein… das war ’n Unfall… Sie glauben doch nicht…«, er kreischte fast.

»Mach kein Theater, Futt hat ein Geständnis abgelegt, und ich habe Zeugen für den Unfall, das beste für dich, du sagst die Wahrheit.«

Futts Geständnis schoß ihm wie ein Blitz durch den Körper.

»Der… der blöde Hund… er war es, er hat es gewollt, er hat gesagt, das muß sein, sonst würden wir alle hochgehen, das Schwein… verdammt nochmal, ich bin doch kein Mörder, ich bin keiner… Wirklich!«

Er schrie und schluchzte abwechselnd und schlug sich mit den Händen ins aufgerissene Gesicht; sein schmächtiger Körper begann wild zu zittern.

»Nehmen Sie sich gefälligst zusammen! Sie haben drei Menschen umgebracht und drei andere bestialisch gefoltert, mich eingeschlossen. Da haben Sie nicht geheult, wahrscheinlich hat es Ihnen sogar Spaß gemacht. Ich hätte Lust, Sie restlos auseinanderzunehmen, das können Sie mir glauben. Jetzt wird geantwortet!«

»… er wollte aussteigen, wollte das Geschäft alleine machen…«

»Und da haben Sie ihn mit dem Wagen am Betonpfeiler zerquetscht?«

»Ja.«

»Woher wußten Sie, daß die Bauerntochter alles gesehen hat?«

»… hab den Unfall aufgenommen. Die Leute aus dem Dorf kamen an… schauten, was passiert war… sie war auch dabei und hat erzählt, hat sich wichtiggemacht, hat ihr aber niemand geglaubt…«

»Am nächsten Tag haben Sie ihr den Knüppel über den Kopf gehauen. Wo ist der?«

»… hab ich weggeschmissen…«

»Wohin?«

»… weiß ich nicht mehr…«

Ich knallte ihm meinen Handrücken auf die zerfurchte Backe. Er schrie.

»… irgendwo, im Wald… hinterm Dorf…«

»Georg Hosch hat den Stoff bei der allmonatlichen Verbrennung besorgt?«

»Mhmm…«

»Mit ihm waren Sie gestern bei mir und haben Gas verschossen?«

»Mhmm…«

»Der Stoff wurde bei Futt gelagert?«

»Mhmm, ja. Er hatte auch die Idee zu allem. Er hat uns fast erpreßt, wirklich, er hat…» »Interessiert mich nicht! Warum mußte Ahmed Hamul sterben?«

»Damit hab ich nichts zu tun, davon weiß ich nichts… Sie können mir nicht alles anhängen… das war ich nicht… das war überhaupt keiner von uns… das würde ich wissen… das können Sie nicht machen…!«

Ich schlug ihm immer wieder ins Gesicht, aber alles, was er rausbrachte, war »nein«.

»Was Sie an dem Abend gemacht haben, werden wir auch so herausbekommen. Wo ist Hosch jetzt?«

»Dienst.«

Ich stellte das Band ab und ging in die Küche. Hanna Hecht lehnte mit einigermaßen zufriedenem Gesicht im Stuhl; sie hatte gerade ihren Druck beendet. Der Kellner lag stöhnend unter der Spüle. Er hatte in den letzten Tagen eine Menge abbekommen. Ich packte ihn bei den Schultern, um ihn aufzusetzen. Er schrie wie am Spieß. Harry Eiler mußte ihm beide Arme gebrochen haben. Ich ließ ihn liegen, alles andere hätte ihn vollends umgebracht. Die Küche glich einem Schlachtfeld. Zerbrochenes Mobiliar und Geschirr waren mit Blut bespritzt, der Mülleimer auf den Boden ausgeleert worden, und sämtliche Plakate lagen zerfetzt darüber. Ich holte die Flasche Wodka aus dem Kühlschrank und nahm einen tiefen Schluck. Der Kellner keuchte laut.

»’n Schluck?«

Mit Mühe klappten seine Augenlider auf und nieder. Ich flößte ihm den Wodka auf einem Teelöffel ein. Das meiste ging daneben. Dann ging ich zurück zu Harry Eiler und zum Telefon.

Ich wählte den ärztlichen Notruf und bestellte einen Wagen und wandte mich dann zu dem Haufen Eiler.

»Sie rufen jetzt Hosch an und verabreden sich mit ihm in einer halben Stunde bei Futts Wohnung.«

Er schüttelte den Kopf. Ich knallte ihm eine. Er nickte.

»Nummer?«

Er sagte sie. Ich wählte und hielt ihm den Hörer an Ohr und Mund.

»Ja, Georg? Hier ist Harry… ja, wir müssen uns in einer halben Stunde bei Paul treffen… doch, ist dringend… was?… kann ich dir am Telefon nicht erklären, ist wichtig, wirklich… ja? Dann bis gleich.«

Ich legte auf. Harry Eiler sah gequält auf seine gefesselten Hände.

»Jetzt das gleiche mit Futt.«

»Nein!… also gut!«

»Keinen Rückzieher! Er muß kommen. Von mir aus sagen Sie ihm, hier sei was schiefgegangen.«

»Paul?… Ja, Harry… es ist dringend, wirklich… es ist was falsch gelaufen… wir müssen uns, so schnell es geht, bei dir treffen… ja… doch, glaub mir, es ist wichtig…«

Seine Augen flehten mich an. Ich schüttelte den Kopf.

»Paul, bitte, es dauert auch nicht lange… ich will dich nicht verarschen, nein!… Nur kurz, in Ordnung… in einer halben Stunde?… Ja? Gut, tschüß.«

Ich nahm das Telefon und wählte Futts Privatnummer.

»Katrin Futt.«

»Hallo, Frau Futt. Lassen Sie mich mal mit Ihrem Aufseher sprechen.«

Löff kam an den Apparat.

»Hier ist Kayankaya… ja, dauert nicht mehr lange, ich komm gleich… ist alles klar. Hören Sie, ich brauch ’nen Staatsanwalt… ja! Können Sie einen auftreiben?«

Harry Eiler fing an zu schreien. Ich ging mit dem Apparat ins Schlafzimmer.

»Wer das ist? Sie werden es kaum glauben, das ist Harry Eiler… Erklär ich Ihnen dann. Klappt das mit dem Staatsanwalt? Sie müssen doch irgend jemand aus dem Fach so gut kennen… ist mein vollkommener Ernst, ich habe drei Heroinhändler zu bieten, einer davon ist mehrfacher Mörder. Ist das kein Angebot?!… Jaa, ich habe Beweise, sind durch Ihr Tonband schon alle überführt… In Ordnung, Herr Löff. Sie brauchen mich nie mehr anzuschauen, wenn es nicht stimmt… Ich will den Staatsanwalt! Jetzt! Hab keine Lust, die Geschichte zweimal zu erzählen… Gut, bin in zehn Minuten da!«