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»Bei Schöller.«

»Guten Abend, Herr Schöller. Hier spricht Kemal Kayankaya. Ich arbeite im Auftrag der Staatsanwaltschaft und muß einen Fall recherchieren, bei dem Sie vor längerer Zeit mittelbar beteiligt waren.«

Das Sprechen machte Mühe. Außerdem glitt meine Zunge immer wieder über den abgebrochenen Zahn. Auf das rechte Auge preßte ich einen nassen Waschlappen.

»Sie sind doch Erwin Schöller, nicht wahr?«

»Bin ich.«

»Können Sie sich an den fünfundzwanzigsten April neunzehnhundertachtzig erinnern?«

»Wenn Sie mich so fragen, nein. Was soll denn da gewesen sein?«

»Sie waren auf Streife mit einem gewissen Harry Eiler. Im Lauf des Tages hatten Sie einen Unfall in der Nähe von Kronberg aufgenommen. Sagt Ihnen das was?«

Eine Weile blieb es still.

»Ja, ja… doch, das sagt mir was.«

»Dann versuchen Sie sich, so gut es geht, daran zu erinnern. Erzählen Sie mir, wie Sie den Unfall gefunden haben und alles weitere.«

Er räusperte sich und ließ sich Zeit.

»Tja… Sie arbeiten für die Staatsanwaltschaft?«

»Richtig.«

»Na ja, wissen Sie… ich kann Ihnen da nichts Genaues sagen… ich war nämlich gar nicht dabei…«

»Was soll das heißen?«

»Hören Sie, ich will niemanden belasten, und…«

»Es geht nicht darum, jemanden zu belasten.«

»Na gut. Also, das war so. Ich hatte damals ’ne kleine Freundin in der Stadt, verstehen Sie?… Na, ja, und der Harry und ich, wir haben die Streife oft zusammen gemacht. Da hatte ich mit ihm abgesprochen, er fährt manchmal alleine, und ich kann einen Besuch machen. Dafür hab ich für ihn die Protokolle getippt… Wissen Sie, ich habe Frau und Kinder, da muß man sich schon was einfallen lassen.«

»Klar. Und an diesem Tag waren Sie auch bei Ihrer Freundin?«

»Ja, eigentlich… das war nicht geplant… der Harry hat mich, als wir im Auto saßen, gefragt, ob ich heute nicht Lust hätte, einen Ausflug zu machen. Ihm würde es nichts ausmachen, und nächste Woche hätte ich ja Ferien, müßte dann doch mit der Familie weg, und so weiter. Na ja, war ich natürlich mit einverstanden.«

»Wenn jemand merkt, daß Sie Ihre Streife auf diese Art handhaben, gibts da keinen Ärger?«

»Doch… schon. Aber meine Freundin hat genau in dem Bezirk gewohnt, den wir abzufahren hatten. Wenn was Ernsthaftes passiert war, hat der Harry mich angerufen, und ich bin losgerannt… Das war auch das Komische an dem Tag, den Sie meinen, auch für mich. Der Harry hatte nämlich nichts in Kronberg zu suchen. Wir mußten ziemlich rumtricksen, damit das nicht offiziell wurde.«

»Hat Harry Ihnen erzählt, warum er in Kronberg gewesen ist?«

»Er meinte, das Wetter wäre schön gewesen, und er hätte einfach Lust gehabt, was Grünes zu sehen.«

»Hat er Ihnen den Unfall beschrieben?«

»Daß es schlimm war, sonst nichts.«

»Vielen Dank, Herr Schöller. Sie haben mir sehr geholfen.«

»Wird deshalb irgendwas mit uns passieren?«

»Nein, nein, keine Angst, Herr Schöller. Auf Wiedersehen.«

Ich legte schnell auf und schnitt ihm die nächste Frage ab.

Ich ging zum Waschbecken und tränkte den Lappen mit frischem Wasser. Noch ein Anruf, dann wollte ich mich ins Bett legen. Ich griff erneut zum Hörer und wählte die Nummer von Albert Schönbaum. Es tutete lange, bis jemand abhob.

»Hallo?«

»Guten Abend, bin ich richtig bei Schönbaum?«

»Ja, wer spricht denn dort?«

»Sie kennen mich nicht. Ich heiße Kayankaya und muß Herrn Schönbaum sprechen, sind Sie das?«

»Nee. Warten Sie, ich ruf ihn mal.«

Ich hörte ihn »Albi« schreien. Albi kam nach etwa fünf Minuten.

»Schönbaum.«

»Abend, Herr Schönbaum. Ich bin Kemal Kayankaya, Privatdetektiv. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Privatdetektiv? Gibts doch gar nicht.«

»Gibts, glauben Sie mir.«

»Mhmm, na und?«

»Sie waren am neunzehnten Februar neunzehnhundertneunundsiebzig in einen Unfall verwickelt, stimmts?«

»Sind Sie von ’ner Versicherung?«

»Sie wissen also, wovon ich spreche?«

»Mhmhm.«

»Ich bin nicht von der Versicherung, wenn Sie das beruhigt. Ich will wissen, ob Sie an dem Unfall schuld waren.«

»War ich nicht.«

»In der Polizeiakte steht das aber.«

»Weiß ich, offiziell war ich das schon.«

»Wie bitte?«

»Das war so, der Junge is’ mir von links in die Tür geknallt, klare Sache. Dann sind wir zu den Bullen gefahren, um das amtlich zu machen. Doch zuerst haben die ’ne Weile mit dem Typen gequatscht, der kam aus der Türkei. Na, ich hab gewartet, bis sie damit fertig waren. Danach kam ein Bulle zu mir und hat mich gefragt, ob ich ’ne anständige Versicherung hätte, und ob ich nich die Schuld übernehmen könnte. Zuerst dachte ich natürlich, na hallo, was werden denn hier für Deals geschoben, aber dann hat er mir das erklärt. Der Türke hätte keine Versicherung, müßte ins Gefängnis oder würde abgeschoben und so weiter, die ganze Leidensgeschichte. Na ja, das Angebot war, er schiebt mir zwei Tausender unter der Hand rüber, und ich check den Unfall über meine Versicherung. Ich war natürlich baff. Aber wenn die Bullen schon mal menschlich sind, will ich mich nicht quer legen. Ende der Story. Ich bin am nächsten Tag die Kohle bei dem Türken abholen gegangen, und meine Versicherung hat gezahlt. Das is alles.«

Ich war auch baff.

»Als Sie das Geld von dem Türken geholt haben, was hat der da gesagt?«

»War irre freundlich, hat sich sich die ganze Zeit bedankt. Sonst nichts. Kann man aber auch verstehen, möchte auch nicht nach Anatolien geschickt werden.«

»Danke, Herr Schönbaum. Kann ich Sie in der nächsten Zeit unter dieser Telefonnummer erreichen?«

»Sicher, warum?«

»Vielleicht melde ich mich nochmal. Bis dahin, auf Wiederhören.«

»Ja, tschüss.«

Ich suchte Musik im Radio, wählte leise Klassik, knipste das Licht aus und legte mich ins Bett.