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»Wie bitte, was wollen Sie?«

Er hatte den Ton eines aufstrebenden Offiziers, der einen Gefreiten wegen ungebügelter Hosen zur Sau macht. Seine Zähne hackten die Wörter am Ende scharf ab. Ich fürchtete, er könnte sich aus Versehen die Zunge abbeißen. Seine stahlblauen Augen blitzten mich ungnädig an. Immerhin popelte er nicht ständig in der Nase wie Nöli.

Jetzt mußte ich mich schon zum zweiten Mal im Empfang des Polizeipräsidiums mit einem Schreibtischhelden herumärgern.

»Haben Sie Dreck in den Ohren? Das Rauschgiftdezernat such ich. Soll ich’s Ihnen buchstabieren?«

Er knallte Unter- und Oberkiefer aufeinander und kniff die Augen zusammen, als hätte ich ihm kochendes Wasser über die Socken gekippt.

»Werden Sie bloß nicht unverschämt, ja! Ich kann Sie auch rausschmeißen lassen!« Drohend hieb er ein Lineal durch die Luft und schmetterte es auf die Tischplatte. Der kahl rasierte Nacken spannte sich.

»Euch muß man treten, um ein halbwegs freundliches Wort zu bekommen. Na ja, ich finde den Weg auch alleine.«

Noch während ich sprach, stand er auf und bekam ein käsiges Gesicht. Ich drehte mich um und verließ die Halle. Der Offizier sagte nichts mehr. Wahrscheinlich hing er am Telefon und ordnete meine standrechtliche Erschießung an.

Ein paar fleischfarbene Nylons trippelten mir im grauen Flur entgegen.

»Entschuldigen Sie, wo liegen denn die Räume vom Rauschgiftdezernat?«

Sie musterte mich nicht ohne Ehrfurcht. Vielleicht glaubte sie, ich sei ein Opiumkönig, der sich nun der Gerechtigkeit stellt. Vielleicht faszinierte sie aber auch nur mein immer noch mit angetrocknetem Blut verziertes Kinn.

»Im vierten Stock.«

»Danke.«

Diesmal nahm ich den Aufzug. Nummer vier leuchtete auf, und die verkratzten Türen schoben sich auseinander.

Zuerst roch ich ihn, besser gesagt seine Zigarre. Gleich darauf sah ich ihn. Futts Metzgerfigur stand wartend neben der Aufzugstür. Und neben ihm ein schmächtiges Bürschchen, das irgendeinen Satz verschluckte, als es mich erblickte. Ich mußte lachen.

Eine dicke, rote Ader trat aus Futts kahlem Schädel, und seine fette Brust pumpte Luft. Doch das Gebrüll blieb aus. Statt dessen ließ er das Lächeln eines Folterknechts spielen, der genüßlich sein nächstes Opfer in Augenschein nimmt.

»Ach, der Herr Abgesandte.«

Es klang bierfreundlich, als wolle er mir gleich eine Zigarre anbieten. Nur seine Augen wurden eng. Er hätte Charakterdarsteller beim Kinderfilm werden sollen: als lieber Onkel von nebenan, der immer mit den kleinen Mädchen Pipi machen will.

»Ach, der Herr Kriminalkommissar. Was macht der Fall Hamul? Bahnen sich tatsächlich internationale Verwicklungen an, oder bleibt es beim Durchschnittskanaken? Mein Interesse ist privater Natur, das haben Sie ja inzwischen festgestellt.«

Der liebe Onkel steckte langsam seine Zigarre zwischen die polierten Zähne, nahm einen tiefen Zug und schoß dann kleine, niedliche Rauchringe in die Luft. Das Bürschchen neben ihm mußte von mir gehört haben. Es trat nervös Löcher in den Boden, und ich hatte das Gefühl, es würde nur auf einen Wink des Chefs warten, um sich endlich auf mich zu stürzen. Seinen Körpermaßen nach zu urteilen, würde er wahrscheinlich an den Haaren ziehen.

Futt blies mir aus seiner Lunge den letzten Rest Rauch ins Gesicht und sagte mit der teilnehmenden Stimme eines Anwalts, der seinem Klienten das Hinrichtungsdatum verrät: »Mein lieber Herr Kayankaya, ich habe voraussichtlich heute nachmittag keine allzu dringenden Termine; ich werde mich deshalb erkundigen, wie man am schnellsten seine Lizenz als Privatdetektiv verliert. Mit Ihrem hellen Köpfchen eine andere Arbeit zu finden, ist sicherlich ein Kinderspiel.«

»Ingenieur bei der Müllabfuhr!« sprudelte das Bürschchen hastig und verzog die dünnen Lippen zum flatternden Lächeln.

Futt fand das offensichtlich weniger komisch und wies ihn mit einem schneidenden Blick zurecht.

Die beiden gaben einen exzellenten Einblick in das einfach strukturierte Leben einer Herrchen-Hund-Beziehung.

Futt zog die Augenbrauen hoch und fuhr fort.

»Nun, Herr Kayankaya, ich bin kein Unmensch, doch gewisse Dinge ärgern mich. Vor allem, wenn irgend jemand glaubt, er könne auf meine Kosten seinen Spaß haben. Ich halte Ehrlichkeit für eine der vornehmsten Tugenden, und wären Sie mir gegenüber aufrichtig gewesen, wer weiß, vielleicht würden wir jetzt zusammenarbeiten. So allerdings…«

Vielsagend strich seine Hand durch die Luft. Der Hund friemelte an seiner Hosennaht und blickte erwartungsvoll zum Herrchen hinauf. Doch das Herrchen blickte nicht hinunter.

Anstatt zu kläffen, haspelte er dann: »Ähm, Herr Kriminalkommissar, sollten wir nicht jetzt gleich, äh… ich meine… jetzt wo…«

Futt peitschte ein kurzes, bestimmtes »Nein« auf ihn nieder.

Ich war meine Rolle als Zuschauer bei der Dressur leid und fragte Futt: »Daß er Männchen machen kann, weiß ich jetzt, aber findet er auch das Stöckchen?«

Futt lachte. Nicht aus vollem Herzen, aber doch so, daß das Bürschchen anfing, mir leid zu tun. Es sah mich an, als hätte ich rumerzählt, er habe ein kleines Geschlechtsteil.

»Wenn Sie ausgelacht haben, wischen Sie sich den Rotz vom Kinn, sonst könnte glatt noch jemand seinen Spaß auf Ihre Kosten haben.«

Er griff sich ans Kinn. Jetzt lachte ich und ging. Bevor ich die Tür des Rauschgiftdezernats fand und anklopfte, hörte ich noch, wie der Aufzug kam und die beiden einstiegen. Bei dem seltsamen Spiel zwischen Herr und Hund hatte ich irgendwie das Gefühl gehabt, ich sei der Knochen.

Eine tiefe Stimme blökte langgezogen »Ja«, und ich drückte auf die Türklinke. Das Büro lag in Richtung aufgehende Sonne. Ich mußte die Augen zusammenkneifen, als ich eintrat.

Es war ein großer Raum mit drei abgegriffenen Holzschreibtischen, einer hoffnungslos mit Ordnern überladen. Dahinter saß die tiefe Stimme. Der Mensch hatte das intellektuelle Kopfschmerzengesicht mit zwei dicken, roten Brillen-Beulen auf der Nase. Er hatte die Brille abgenommen und kaute leidend auf dem einen Bügel herum. Vor ihm dampfte eine Tasse mit schwarzem Kaffee. In der Ecke säuselte ein Radio Wetterberichte. Es roch nach dicker Zigarre. Futt mußte auch schon weiter gekommen sein. Er legte Stirn und Augen in sorgenvolle Falten, als würde ihn ein Sack Kartoffeln drücken, und musterte mich wie seinen Zahnarzt.

Da er keine Lust zeigte, als erster den Mund aufzumachen, tat ich es.

»Guten Morgen. Ich bin Kemal Kayankaya, habe zu Weihnachten eine Lizenz für Privatermittlungen geschenkt bekommen und will, nachdem ich Sankt Nikolaus als Schwulen entlarvt habe, nun beweisen, der langhaarige Sohn Gottes war der größte Haschisch-Hippie von Jerusalem.«

Er verzog keine Miene, sondern sah mich weiter stumm mit seinem Migräneblick an. Ein netter Mensch hätte ihm eine Packung Aspirin schenken sollen. Ich war kein netter Mensch.

»Ich mach Ihnen einen Vorschlag, wie Sie sich mühsames Sprechen ersparen können. Wenn Sie mit dem linken Ohr wackeln, bedeutet es ›Ja‹, mit dem rechten ›Nein‹, und ich darf nur drei direkte Fragen stellen. In Ordnung?«

Anstatt mit dem rechten Ohr zu wackeln, sagte er: »Nein.«

Dann folgte eine kleine Pause, und ich überlegte, ob das alles war, was ich von ihm hören sollte.

»Ich weiß nicht, wer Sie sind. Im übrigen, es interessiert mich auch nicht besonders. Falls Sie mich nur besuchen wollten, um den Witzbold vorzuführen, bitte ich Sie, jetzt wieder zu gehen. Ich habe einiges zu tun.«

Er zog ein zerknülltes Taschentuch aus der Hose und begann seine Brille zu putzen.

»Ich bin gekommen, um zu erfahren, ob es in der Abteilung Rauschgift eine Akte über einen gewissen Ahmed Hamul gibt. Er ist letzte Woche in der Nähe vom Bahnhof in ein Messer gestolpert.«

Er schob die Brille auf die Nase. Jetzt war er der Germanistikstudent nach durchlesener Nacht. Er paßte einfach nicht hierher.

»Selbst wenn es eine Akte gäbe, wären Sie einer der vielen, die sie nicht zu sehen bekommen. Verschwenden Sie nicht Ihre und meine Zeit, gehen Sie woanders Witze reißen, ich bin sicher, mit ein wenig Geduld findet sich auch jemand, der darüber lacht.«

Abschließend legte er die Hände ineinander. Er bot den Anblick eines Professors nach längerem Vortrag, der nun hofft, die Studenten hätten keine weiteren Fragen und würden gehen.

»Wer oder was muß man denn sein, um an die Akten ranzukommen?«

»Alles, was Sie nicht sind.«

»Also gut, dann eben nicht. Aber wir sehen uns wieder«, fügte ich hinzu, ohne die geringste Ahnung, weshalb. Während ich den Raum verließ, schleimte das Radio irgendwas von sieben Brücken, über die ich gehen müsse.

Ich ließ die stickigen Flure des Polizeipräsidiums hinter mir und trat auf die sonnige Straße. Ein bis zum Platzen gefülltes Paar Jeans drängte sich an mir vorbei. Ich blickte ihm hinterher, bis sich eine schlabberige Latzhose dazwischen schob.

Ich steuerte die nächste Telefonzelle an, um einen ehemaligen Kripokommissar anzurufen. Theobald Löff sitzt seit zwei Jahren seine Rente ab. Ich hatte ihn getroffen, als er eine frühere Klientin von mir wegen Mordes suchte. Es war der erste und einzige Polizist, den ich kennengelernt hatte, mit dem man sich verständigen konnte.

Löff, mit allen Ehren aus dem Polizeidienst entlassen, würde bestimmt die Akteneinsicht erhalten, die ich brauchte. Also stupste ich zwei Zehner in den Telefonschlitz und wählte Löffs Nummer. Es klingelte drei-, viermal. Dann rief eine gehetzte Stimme durch die Leitung, ich solle bitteschön einen Moment warten, die Milch koche über. Das war Löffs Frau. Sie hatten vor knapp vierzig Jahren geheiratet und führten das, was als glückliche und langweilige Ehe umschrieben wird. Ich stand in der stickigen Telefonzelle und spürte die Schweißtropfen einzeln aus meiner Achsel herauskullern. Es roch nach verdautem Knoblauch.

Endlich kam Frau Löff zurück an den Hörer und erkundigte sich, wer da sei. Ich sagte ihr, wer da sei, und was er wolle. Sie erklärte mir, ihr Mann sei in der Stadt, werde aber gleich zurückkommen, und ich solle zum Mittagessen vorbeischauen. Ich nahm dankend an, schmiß den Hörer in die Gabel und flüchtete nach draußen.