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Ich ließ den Wagen im Schatten eines Spielsalons stehen und schlenderte langsam die träge in der Hitze flimmernde Straße hinunter.

Ein paar meiner Landsleute standen an der Ecke und berieten irgend etwas. Flipper- und andere Automatengeräusche schwirrten durch die Luft. Sonst war es still. Ich steuerte HEINIS HÜHNERPFANNE an. Gemächlich rollte eine Polizeistreife an mir vorbei. Ich schob HEINIS Tür auf, und wieder wehte der gleiche, wochenalte Fettgeruch durch den Raum. Ich setzte mich an den erstbesten Tisch.

Mein schneller Freund von gestern abend schien seinen freien Tag zu haben. Der Kellner, der jetzt auf mich zu trudelte, paßte sehr viel besser in den stinkenden Hühnerfriedhof. Seine roten Haare hatte er in fettigen Strähnen eitel über die fortgeschrittene Halbglatze gelegt.

Einen Hals gab es nicht, nur eine Speckrolle, die sich zwischen Kopf und Schulter zwängte. Die Beine waren kurz und krumm, und sein Bauch sah aus, als hätte er einen Fußball verschluckt.

»Was wünschen der Heer, äh?«

Als sollte ich ihn streicheln, streckte er mir kokett den Fußball entgegen.

»Scotch, Kaffee und ein bißchen frische Luft.«

»Sofort.«

Er drehte sich um und tanzte mit derbem Hüftschwung hinter die Theke. Er hatte etwas von einem schwulen Nilpferd.

Der Ventilator fing an zu surren. Ich steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen und suchte Streichhölzer, als mir ein bekannter lila Duft in die Nase stieg.

»Na, starker Scheich, wie steht’s?«

Der Schwan aus Millys Sex-Bar fiel mir gegenüber in den Stuhl. Diesmal in Zivil.

»Hallo Entlein, heute keine lila Unterhosen?«

Sie lächelte. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Genau richtig.

»Mein Job beginnt erst um sieben. Stört dich Gesellschaft? Ich muß was essen.«

Der Fußball drängte sich zwischen uns und schob Kaffee und Scotch über den Tisch.

»Was wünschen gnää Frau?«

»Ein halbes Huhn mit Pommes, bitte.«

»Wird gemacht.«

Sie zündete sich eine Zigarette an, schlug die langen Beine übereinander, die aus einem knappen Rock herausschauten, und meinte: »Hast ’nen astreinen Eindruck in unserm Schuppen hinterlassen. Die Chefin und ihre zusammengeschlagenen Freunde haben die ganze Nacht überlegt, wie sie dir den Kopf abreißen können. Wie kam’s denn dazu?«

»Ach,… hatte schlechte Laune.«

Sie zeigte eine Reihe weißer, spöttischer Zähne.

»Klar, Mann, entschuldige, war für dich Alltag. Hast nebenbei die zwei Jungs zu Klump gehauen, hattest Lust. Bist ’n Superscheich. Darf ich sitzen bleiben, oder stört dich mein Durchschnitt?«

»Nix Superscheich, bin das dicke Ding vom Kebab-King.«

»Ist das ein Grund, andere Leute zu Klump zu hauen?« Das halbe Huhn flatterte auf den Tisch und ersparte mir die Antwort, dich ich ohnehin nicht gewußt hätte.

Die Pommes frites glänzten braun und alt. Sie steckte sich eine Gabel voll in den Mund. Dann, zwischen den halb verschluckten Kartoffelstangen hindurch, »und wie läuft die Suche nach diesem, diesem… wie heißt er?«

»Ahmed Hamul.«

»Genau. Wie stehts damit?«

»Da gibts keine Suche mehr. Der ist tot.«

»Okay, ich mein auch seine Freundin, oder so was…«

»Ja, die Suche läuft.«

Ein Stück Huhn zitterte auf ihrer Gabel.

»Sehr gesprächig, ha?«

»Mein Gott, da gibts nicht viel zu erzählen. Morgen vielleicht.«

»Mhmhm, und was machst du hier?« Sie lachte: »Wartest du bis Rudi Feierabend hat?«

»Muß man ihn kennen, den Rudi?«

Sie rieb zwei längere Pommesstangen aneinander und gluckste: »Kommt ganz drauf an.«

»Rudi ist der Kellner, bei dem sie den Hals vergessen haben?«

»Zum Anbeißen, was?«

»Doch, er hat was.«

»Mhmm, kneifts schon?«

»Hab Schießer-Unterhosen, die halten was aus.«

»Rudi steht auf Pariser.«

»Warum nimmt er nicht die Pille?«

»Gibt keine mit Noppen.«

»Wenn ’n Loch drin ist?«

»Rudi liebt das Risiko.«

»Ist schon einmal schiefgegangen. Bei dem Bauch kriegt er mindestens Zwillinge.«

Sie nagte ein Hühnerbein ab und blinzelte mir zu. Das lief runter bis in die Zehenspitzen. Ich zündete mir eine Zigarette an und blies ihr einen Rauchring über die Nase.

»Kennst du eine Hanna Hecht?«

»Klar.«

Sie schmiß das kahlgefressene Hühnerbein auf den Teller, wischte sich glänzende, braune Pfützen aus den Mundwinkeln, machte eine Zigarette an und lehnte sich zurück.

»Warum?«

»Hanna Hecht war die Freundin von Ahmed Hamul. Ich hab sie gestern abend noch gefunden. Leider war das schon alles. Ihr Meister hat mir sehr schnell klar gemacht, meine Person ist nicht erwünscht.«

»Und? Warum hast du ihn nicht einfach zusammengeschlagen?«

Sie grinste mit einem dunklen Stückchen Hühnerhaut zwischen den weißen Zahnreihen. Ich sagte es ihr, und sie hörte auf zu grinsen.

»Er ist besser als all die Muskelhirne aus deinem Schuppen.«

»Kann gut sein. Sitzt du deshalb hier herum?«

»Mhm. Weißt du, wie dick die beiden im Stoffgeschäft drinhängen?«

Einen Moment lang glitten ihre Augen zweifelnd an mir herunter. Mißtrauisch wie eine Katze, die fremden Besuch mustert.

»Sie drückt, und er ist ein kleines Tier im Handel. Nichts Besonderes, soweit ich weiß. Ein Türke hing hier manchmal mit ihr rum, muß wohl dein Ahmed gewesen sein. Aber ich hab mit dem Geschäft nichts zu tun, da mußt du andere suchen.« Ich betrachtete die vollen, weichen Lippen, die dunklen Augen, die etwas zu stämmigen Schultern, die langen, starken Beine, die langsam auf und nieder wippten, die dunkelrot lackierten Fußnägel und ihre schmalen, leicht zerfurchten Hände - und dachte nichts.

Eine Stimme brüllte »zahlen«. Rudi wackelte durch die Gegend. Es stank nach Huhn, immer noch. Ein kaputter Auspuff dröhnte durchs Fenster. Irgendwo blitzte es.

»Ich will aber niemand anders suchen. Du bist privat hier?«

Wenig später zahlten wir und gingen.