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Zuerst wollte ich bei der Kripo vorbeischauen, um endlich zu erfahren, was Ahmed Hamul passiert war. Ob sie es mir erzählen würden, wußte ich nicht. Wohl kaum.

Bis zum Polizeipräsidium war es noch ein gutes Stück, und die zweite Bierflasche ragte aus meiner Jackettasche. Da ich schlecht mit einer Flasche Bier unter dem Arm bei der Polizei einlaufen konnte, öffnete ich sie an der nächsten Eisenkante und trank sie aus. Kurz vor dem Präsidium kaufte ich mir ein Päckchen Kaugummi und ging dann rein zum Empfangschef.

Durch einen großen, hellgelben Raum zog sich eine lange Holztheke, hinter ihr sichtete ich einen Kopf. Der Kopf fragte, ohne aufzusehen: »Sie wünschen?«

Ein kleiner, dreckiger Ventilator summte an der Decke und mischte sich mit entferntem Geträller. Ich durchmaß etwa fünfzehn Meter Raum, um, auf die Theke gelehnt, zu sagen: »Ich möchte den Kommissar sprechen, der den Fall Ahmed Hamul bearbeitet.«

Das kleine Männlein mit schmalem Gesicht, über Papiere, Stempel, Schreibmaschine und noch mehr Papiere gebeugt, sah auf und zeigte mir eine dicke, rote Triefnase.

»Wie, Ahmed Samul?«

»Nein, Ahmed Hamul, der Mann, den sie neulich in der Nähe vom Bahnhof umgelegt haben.«

»Ein Türke?«

Genüßlich zog er sämtlichen Rotz aus der Nase hoch ins Gehirn.

»Ja, das auch!«

»Oh, Sie auch, was…«

»Ja, ich bin auch Türke. Jetzt verraten Sie mir mal, an wen ich mich wenden muß.«

Er steckte seinen Finger in die Nase, rührte ein bißchen drin herum, und man konnte fast zuschauen, wie der mit Rotz gefüllte Schädel arbeitete. Endlich quengelte er, »tja, ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihnen da helfen kann. Ich meine, ob ich es überhaupt darf, da könnte ja jeder kommen, verstehen Sie, und…«

»Hören Sie, ich bin Abgesandter der Türkischen Botschaft und von höchster Stelle beauftragt, mit dem Kommissar zu reden, der mit diesem Fall betraut ist. Falls Sie nicht schleunigst anfangen, sich ein bißchen zu beeilen, wäre ich gezwungen, mich über Sie zu beschweren!«

Er schaute ungläubig auf und schniefte. Doch dann kam Leben in das Männlein.

»Na, ja… dann, natürlich, sofort, äh… entschuldigen Sie, aber man kann ja nie wissen. Warten Sie einen Augenblick, ich will nur telefonieren, es dauert nicht lange. Hoffentlich ist der Kommissar im Haus.«

Er stürzte sich auf das Telefon.

»Hallo, Zentrale? Ja?… Hier spricht Nöli vom Empfang… ja, hören Sie, wer bearbeitet denn den Fall Ahmed Hamul?… Ja, es ist dringend!… Ein Abgesandter der Botschaft! - Welcher? Na, der türkischen natürlich!… Ja, ja,… ich warte.«

Er nickte mir ernst zu.

»Ja, hallo, ja… wer?… Kriminalkommissar Futt?… Ah ja, er befindet sich in seinem Büro… Welche Nummer?… Einhundertsiebzehn?… Ah, ja, gut, vielen Dank.«

Er legte auf und schniefte einmal kurz.

»Also! Kriminalkommissar Futt befindet sich in seinem Büro im vierten Stock. Er erwartet Sie. Wenn Sie jetzt wieder hinaus auf den Flur gehen, finden Sie den Aufzug zehn Meter weiter links. Im vierten Stock gehen Sie rechts. Die fünfte oder sechste Tür müßte dann das Zimmer hundertsiebzehn sein.«

Nachdem ich mich bedankt und er sich noch einmal entschuldigt hatte, verließ ich die Halle. Ich benutzte die Treppe, um mir zu überlegen, was ich Herrn Futt erzählen könnte. Irgend jemand hatte mir mal weismachen wollen, mit dem Kriminalkommissar sei nicht gut Kirschen essen. Weitere aktenbeladene Nölis, reizlose Politessen und eine Menge Freunde und Helfer begegneten mir, bis ich vor der Tür hundertsiebzehn stand, anklopfte und eintrat. Futt stand am Fenster und bräunte seine Glatze.

»Ah, guten Tag. Der Herr Abgesandte, nehme ich an?« Ein Metallschreibtisch, zwei Metallsessel und vier Metallschränke zierten den sonst leeren Raum. Das eintönige schmutzige Weiß der Wände wurde nur von einem Kalender mit springendem Schäferhund unterbrochen.

»Guten Tag, Herr Kommissar. Ja, ich bin von der Türkischen Botschaft beauftragt, die Fakten zum Fall Ahmed Hamul zu erkunden.«

Futt maß etwa einsneunzig, sein kahler Kopf hatte Dellen, das Kinn eine senkrechte Kerbe, ein rosa Hemd trug er offen bis zum Bauchnabel, und um den Hals schlenkerte ein Goldkettchen, wie man es mit Glück am Kaugummiautomaten zieht. Seine behaarten, kräftigen Hände hielten eine Zigarre, die das Zimmer mit dünnem Nebel versah. Er sah aus wie ein Metzger auf Urlaub.

»Ja, dann setzen Sie sich doch erstmal. Viel kann ich Ihnen leider nicht erzählen, denn unsere Ermittlungen sind bisher ziemlich ergebnislos verlaufen.«

Seine Hand schüttelte meine. Sie fühlte sich an wie rauhes Klopapier. Er dirigierte mich zu einem Sessel. Dann setzte er sich mir gegenüber, schlug die vor ihm liegende Mappe auf und ratterte los: »Ich weiß nicht, was für Sie von besonderem Interesse ist, aber ich kann kurz alle bisher vorliegenden Fakten aufzählen.« Er hustete.

»Die persönlichen Daten von Ahmed Hamul dürften Sie ja besitzen, ich erspare sie mir… Hamul wurde letzten Freitag in der Nähe des Bahnhofs mit einem Messer im Rücken tot aufgefunden. Er lag in einem Hinterhof, eine Bewohnerin des Hauses entdeckte ihn am Abend, als sie zum Müllcontainer gehen wollte. Hamul lebte mit seiner Frau und deren Familie seit zehn Jahren - seit der Heirat - zusammen. Gearbeitet hat er in einer kleinen Fabrik für Elektrobauteile. Wir haben sämtliche Bewohner des Hauses verhört, konnten aber nichts herausfinden.«

Das war kurz und unvollständig.

»Es tut mir wirklich sehr leid, aber mit mehr kann ich Ihnen im Augenblick nicht dienen.«

Ich wunderte mich schon die ganze Zeit, warum er so bereitwillig und, gemessen an seiner Position, so freundlich Auskunft gab, wenn auch lückenhaft. Vielleicht hatte man Abgesandte der türkischen Diktatur neuerdings zuvorkommend zu behandeln.

Flott fragte ich ihn all das, was er verschwieg.

»Wie heißen denn Straße und Nummer des Hauses; wie ist der Name der Fabrik, in der er gearbeitet hat; wann genau ist nach Zeugnis des Arztes der Tod eingetreten, und in welche Richtung laufen Ihre Vermutungen?«

Wie erwartet wurde er mißtrauisch.

»Wozu wollen Sie das eigentlich alles wissen? Ich meine, ich frage, weil wir natürlich unsere Informationen nicht leichtfertig unter die Leute bringen können.«

»Der Geheimdienst meines Landes hegt den begründeten Verdacht, daß Ahmed Hamul Opfer eines Anschlages linksradikaler Elemente ist, die, aus der Türkei geflüchtet, sich hier im Untergrund aufhalten. Weitere Erklärungen kann ich Ihnen nicht geben, da die Angelegenheit streng geheim behandelt wird, und ich im übrigen auch nicht mehr weiß.«

Das saß.

»Ach so, tja, das ist etwas anderes. Entschuldigen Sie, aber das wußte ich natürlich nicht. Für uns war es bisher nur ein alltäglicher Mordfall, Sie verstehen?« Ich verstand. Langsam bekam ich Spaß an der Sache. Ich holte Stift und Notizblock heraus und lehnte mich mit ernster Miene zurück. Futt suchte die richtige Mappe.

»Ah, ja. Sie haben etwas zu schreiben?… Gut… das ist die Sumpfrainerstraße Nummer vierundzwanzig. Die Fabrik heißt Fuchs & Sohn Elektrobauteile… Haben Sie das? Gut. Nach ärztlichem Befund trat der Tod unmittelbar ein. Die Tatzeit dürfte etwa achtzehn Uhr gewesen sein… Auf Ihre Frage nach eventuellen Vermutungen muß ich Sie leider enttäuschen… offen gestanden, Sie sind da weiter als wir.«

Das langte mir. Viel mehr wußte er wahrscheinlich wirklich nicht. Ich erhob mich, steckte Notizblock und Stift weg und machte einen Schritt auf Futts Schreibtisch zu. Er stand ebenfalls auf. Wir schüttelten uns die Hände.

»Vielen Dank, Herr Kommissar. Falls noch irgendwelche Fragen auftauchen, melde ich mich bei Ihnen. Sie haben mir sehr geholfen.«

Wir wünschten uns einen guten Tag. Dann verließ ich ihn samt seinem Schäferhund. Es war achtzehn Uhr. Schichtwechsel. Auf dem Gang war eine Menge los. Kurz vor der Treppe links befand sich eine Telefonzentrale. Eine dralle Blondine, mit sichtlichen Problemen bei der Konfektionsgröße ihrer Uniform, hatte Dienst. Immer noch im Bewußtsein, eine very important person der Türkischen Botschaft zu sein, blieb ich stehen und warf ihr ein kesses Lächeln zu. Sie musterte mich geringschätzig.

»Na, Aladin, wo haste denn deine Lampe gelassen?«

Ich hatte mir am Anfang meiner Laufbahn als Privatdetektiv einen Stapel Visitenkarten drucken lassen. Ich hatte geglaubt, das gehöre dazu. Ich brauche sie fast nie, habe aber immer welche bei mir. Nun war die Gelegenheit da. Ich zog ein Kärtchen mit

KEMAL KAYANKAYA - PRIVATERMITTLUNGEN

aus meiner Brieftasche, knallte es aufs Brett vor der Blondine und knurrte: »Geben Sie das Kommissar Futt, wenn er geht, oder bringen Sie es in sein Büro. Es ist wichtig!«

Sie verzog keine Miene.

»Mach ich.«

Ob es vernünftig war oder nicht, es machte Vergnügen, an Futts Grimasse zu denken, wenn er die Karte lesen würde.

Ich ging die Treppe runter, schaute noch kurz bei Nöli rein, um ihm mitzuteilen, er hätte auf Grund seines Verhaltens ein Disziplinarverfahren zu erwarten, und trat raus in die Sonne.

Der Feierabendverkehr schwappte durch die Straßen. Ich hatte keine Lust, in das Gewühl einzutauchen, und kehrte in die nächstbeste Kneipe ein. Beim Bier beschäftigte mich der Gedanke, ob ich nun sowas ähnliches wie ein Bulle sei oder nicht. Mein Magen machte der Überlegung ein Ende. Ich beschloß, nach Hause zu gehen, wo noch zwei oder drei Buletten im Kühlschrank liegen mußten. Es war ein langer Weg, und ich hatte Zeit, meine weiteren Schritte für Ilter Hamul zurechtzulegen.