5

Es war ein Anfang nach Maß. Ich wischte mir die letzten Tropfen aus den Ohren und mixte mir einen Whisky- Soda.

Eine Dirne hatte irgendwann einmal nach Ahmed Hamul geschrien. Das wußte ich jetzt.

Ich überlegte, wieviel Prügel ich für eine anständige Auskunft beziehen müßte, und ob ich Bordellbesuche auf die Spesenrechnung setzen könne. Ein weiterer Whisky- Soda beruhigte langsam meinen zerfetzten Bauch. Wenn ich wirklich darauf angewiesen war, die Dirne zu finden, um ein paar Takte über Ahmed Hamul zu erfahren, lag eine endlose Suche vor mir. Auf das Haus Nummer vierundzwanzig in der Sumpfrainerstraße setzte ich keine Hoffnungen. Futt und seine Leute hatten dort schon genug gewütet und offenbar nichts gefunden. Außerdem glaubte ich nicht, daß Ahmed Hamul im Vorgarten seiner Freundin abgestochen worden war. Die Theorie des zufälligen Mordes hatte ich verworfen. Ich ging an den Kleiderschrank, suchte frische Socken und meine Neun- Millimeter-Parabellum. Früher war ich mit ihr in einem Schießkurs. Jetzt lag sie meistens unbenutzt zwischen meinen Unterhosen. Ich schnallte den Schultergurt um und verstaute die Kanone. Wahrscheinlich würde ich sie nicht brauchen. Immerhin, sie konnte Respekt einflößen. Ich zog ein Jackett über und betrachtete die Beule unter der Schulter im Spiegel. Wie ein Neger im Solarium. Vielleicht ein Vorteil, wenn klar war, daß Artillerie in meiner Achsel steckte. Mit einem Schluck Whisky pur verließ ich die Wohnung.

Zum zweiten Mal an diesem Tag schaukelte mich die U- Bahn zum Hauptbahnhof. Dann stand ich am Ende der Rolltreppe und am Anfang einer der Luststraßen, die ich hintereinander nach der Dirne durchsuchen mußte.

Helles, saftiges Neon, Zentnerbusen, orgiastisch grunzende Frauen in Öl, rosa kolorierte Arschberge zogen sich links und rechts die Häuserwände entlang. Vor den roten Plüscheingängen verschiedener Clubs lehnten bleiche, ranzige Männer, um mit markigen Sprüchen die vorbeiziehenden Passanten zu einem Besuch anzuhalten. Stöhnen geschlachteter Tiere, von lauwarmem Discogeplärre untermalt, drang durch kleine, dröhnende Lautsprecher auf die Straße. In Dreier- und Vierergruppen schubsten sich geile Bauernjungen aus dem Umland durch die Straße, Mund und Augen offen bis zum Anschlag; Rentner lugten in abgeblätterte Hauseingänge und leckten sich den Geifer aus ihren runzligen Hautfalten. Ehemänner schauten sich vorsichtig um, ehe sie durch die rosa Schwingtür eines Love-Inns traten, um sich hastig davonzumachen. Ich stand eine Weile da und rauchte. Um mich herum wimmelte es von eingefallenen, weißen Gesichtern, die ihre zerstochenen Adern an die Luft hielten und warteten. Ich betrachtete die ausgemergelten Körper und überlegte, was eine Dirne veranlassen könnte, schreiend in den Bahnhof einzulaufen.

Ein paar glasige Augen schleppten sich zu mir hin. Sie starrten durch mich durch in irgendeine Ferne.

»Eh, Kumpel, hass nich mal ’ne Maak für mich? Is für was zu essen.«

Ich ging zwanzig Meter weiter zu einem Burger, kaufte einen Karton gehackte Kuh, kam zurück, schmiß ihn dem Jungen in die Arme und sah zu, wie er die Pappe aufriß. Senf und Ketchup kleckerten über sein Hemd. Ich setzte mich neben ihn auf den Boden.

»Sag mal, du kennst dich doch aus hier, ne?« Er drehte seinen trüben Kopf zu mir.

»Bissn Bulle?«

»Nee, bin Türke.«

Skeptisch glitt sein Blick an mir herum.

»Na und? Die nehmen doch jeden.«

»Hör mal, wenn ich Bulle wäre und von dir was wissen wollte, würd’ ich dir keinen Hamburger ausgeben, sondern dich in ’ne Zelle stecken, und spätestens nach drei Tagen würdest du deine Großmutter ans Messer liefern.«

Er kicherte dämlich.

»Letzten Freitag ist ein Mann abgestochen worden, heißt Ahmed Hamul, schon mal von gehört?«

»Mhm, kann sein.«

»Zufällig interessiert es mich, wer ihm das Messer in den Rücken gejagt hat.«

»Hab ich gemerkt.«

»Ich such ’n Mädchen, das ihn gekannt hat. Is möglich, daß sie genauso an der Fixe hängt wie du und ihre Zeit hier in der Gegend verbringt. Vielleicht kannst du mir erzählen, wo man sie findet.«

Er kaute eine Weile nachdenklich auf einem Semmelbrocken herum, ließ dabei den Mund offen, manches fiel heraus. Mein Magen beschwerte sich. Ich sah weg, in Gesichter, die zu uns rüber starrten.

»Hasse auch noch ’ne Kippe?«

Ich kramte eine Zigarette raus und gab ihm Feuer. Gierig zog er den Teer ein. Seine Lunge ächzte.

»Na, ja, bis ja in Ordnung, Kumpel. Würd’ dir ja helfen, dein Mädchen zu finden. Gibt halt bloß ’ne ganze Menge davon. Is nich so einfach.«

»Was weißte denn so von Ahmed Hamul?«

Er schüttelte den Kopf, setzte eine vielsagende Stirn auf und murmelte: »Nichts, Kumpel.«

In meiner Hosentasche tummelten sich zwei Fünfzigmarkscheine. Einen zog ich raus, hielt ihn gegen das Laternenlicht und ließ ihn sacht knistern. Ein viertel Gramm konnte er damit erstehen, einen guten Schuß.

Plötzlich erwacht, beobachtete er meine Finger.

»’n bißchen weiß ich natürlich schon, vielleicht auch noch ’n bißchen mehr…« Er biß sich in die Lippen, »aber… wie wär’s mit ’ner runden Summe?«

Ich steckte mir eine Zigarette an, zog eine Weile, bis die Glut anständig dick war und begann, kleine Löcher in den braunen Schein zu brennen. Als die erste Ecke fiel, schlug er mir auf die Hand.

»Is ja gut, Kumpel, gib mir die Kohle, langt so, ich erzähl’s dir ja.«

Ich schob den verrußten Schein zurück in die Tasche.

»Na, dann erzähl mal!«

»Erst die Kohle, is doch klar, oder?«

»Gar nix is klar. Wer sagt mir denn, ob dein Kopf nicht irgendeine Geschichte zusammenbaut. Fang mal an. Wenn’s sich einigermaßen anhört, kriegst du den Schein.«

»Bist ’n Arschloch. Hab ich gleich gesehn, daß du ’n Arschloch bist. Überall nur Arschlöcher; die ganze Scheißwelt voll mit Arschlöchern! Ich hab gedacht, du wärst ’n Kumpel, aber du bist ’n Arschloch!«

Irgendwo hatte er recht. Ich bekam Angst, er würde anfangen zu heulen. Am liebsten wäre ich aufgestanden und weggegangen. Fixern die Fixe zu bezahlen, ist kein Anlaß zu Luftsprüngen.

»Jammer nicht rum, hab mein Geld auch nicht auf der Straße gefunden.«

Er grummelte vor sich hin. Dann: »Okay, was soll’s. Viel weiß ich auch nicht, hab nur einiges gehört. Der tote Kanake hatte mit Stoff zu tun; glaub, er war schwer im Handel, kann ich aber nich beschwören. Er machte keinen Straßenverkauf, jedenfalls nich hier. Hab mal ’n Typen getroffen, der hat was mit Hamul gequatscht. Als er tot war, hat jemand weise Sprüche gekloppt, nie versuchen, ’n eigenes Geschäft zu drehen, ’s gäb immer welche, die ’ne Etage höher sitzen. So was Ähnliches jedenfalls. Na ja, viel mehr weiß ich nicht, möcht ich auch nicht wissen, is schlecht für die Gesundheit.«

Ich dachte an seine Gesundheit.

»’nen Namen hat der Typ nicht, der irgendwas mit Hamul gequatscht hat?«

»Hey, selbst wenn du mir das Doppelte…«

»Is gut«, unterbrach ich ihn, »über das Mädchen kannst du mir wahrscheinlich auch nichts sagen, was?«

»Nee, an der Fixe hängen viele. Wenn se anschaffen ging, mußte ’n paar Häuser weiter fragen, die werden aber kaum Lust zum Interview haben.«

Ich drückte ihm den zerlöcherten Schein in die Finger, rappelte mich hoch und ging die Straße runter. Es war eine Menge los im Viertel. Ich ortete eine lila schimmernde Bar. Irgendwo mußte ich anfangen. Millys Sex-Bar. Das A von der Bar flackerte unruhig. Vorhänge verdeckten die Sicht durchs Glas, auf dem ›Spaß bis 4 Uhr früh‹ zu lesen war.

Ich stieß die Tür auf und ging unter in Lila. Alles, Tapete, Tische, Stühle, Theke, Gläser, Teppich, Bilder, Kissen, Lampenschirme, selbst die Menschen leuchteten lila. Viele waren es nicht. Außerdem schien mehr als die Hälfte Personal zu sein. Abseits in dunklen Ecken saßen ein paar schwitzende Herren mit gelockertem Schlips bei leichtbekleideten Damen in Lila. Schwüles Gitarrengeklimper untermalte das Halbdunkel.

Ich watete durch weiche Teppiche zu einem Tisch und nahm Platz auf Schaumgummikissen in Seide. Hinter der Theke stand Milly, jedenfalls sah sie so aus. Vor vielen Jahren mußte sie eine Bombe gewesen sein. Heute konnte keine Farbe die tiefen Falten verbergen. Wasserstoffblond hingen die Haare neben dem schlabbernden Doppelkinn. Ein Stück Leopard betonte ihre Fettröllchen über der Hüfte, stützte den schlaffen Busen und vermittelte den Eindruck einer abgetakelten Dame, die sich bei der Größe ihres Pelzmantels verschätzt hat. Trotzdem, sie war der Boss und rief den Mädchen mit dröhnender Stimme Befehle zu.

Ich hockte im lila Plüsch und kam mir ziemlich behämmert vor. Dann ein Luftzug. Kurz danach strichen dunkle Dauerwellen über meine Stirn und billiger, süßer Dampf stieg in meine Nase. Eine halbnackte hessische Sünde setzte sich neben mich und ließ gekonnt angeklebte Wimpern klimpern.

»Na, mein wilder Scheich, darf ich dir Gesellschaft leisten?« hauchte sie mit Hingabe. Die Worte flossen wie Camembert über den Tisch.

»Mhm, was muß ich tun, um einen Scotch mit Eis zu kriegen?«

»Nichts, warte kurz, ich bin dein williger Schwan.«

Sie stand auf, ließ ihren schmalen Hintern leicht zittern und glitt mit kurzen, dicken Fingern, als wären es lange schmale über meine Schulter. Ich bezweifelte, daß hier schon jemand von Ahmed Hamul gehört hatte, und beschloß, nach dem Whisky das Haus zu wechseln. Eine feuchte Hand schob sich um meinen Hals und fummelte an ihm herum.

»Hier, mein wilder Scheich«, säuselte sie. Ich nahm die Hand von meiner Kehle und schubste den Schwan auf den Stuhl.

»Aber, aber, wilder Scheich, nicht so stürmisch, wir haben doch Zeit, nicht?«

Der ›wilde Scheich‹ hatte es ihr angetan. Offensichtlich reichte ihr Grips nicht zu einem zweiten, ähnlich dämlichen Titel. Sie sah mich schief von der Seite an. Mit halb geschlossenen Lidern ließ sie ihren Zeigefinger langsam um den Nabel kreisen. Da man die Stoppeln von abrasierten schwarzen Bauchhaaren sah, hatte das ganze nichts Erotisches. Es langte mir ohnehin.

»Hör mal zu, mein häßliches Entlein, ich bin nicht hier, um an deinen Ohrlappen zu knabbern oder lauwarme Sprüche zu machen. Ich suche jemand, der einen Mann namens Ahmed Hamul kennt. Ist reiner Zufall, daß ich zuerst in eure lila Waschküche getrottet bin, aber nun bin ich hier und frage: kennst du einen Ahmed Hamul?«

Sie hatte Schwierigkeiten zu folgen. Nachdem sie alles geordnet hatte, kam das unausweichliche: »Bulle?« Endlich tropfte kein Sirup aus ihrem Mund.

»Nein, kein Bulle.«

Ich warf ihr meine Lizenz hin. Sie las alles langsam durch.

»Happy birthday, Türke!« So blöd war sie doch nicht.

»Kann man ja gratulieren. Bist nur ’n mieser Schnüffler, he?«

»Jeder hat seinen Job, mußt du doch wissen.« Das war nicht nett. Es war mir egal.

»Also, Ahmed Hamul, schon mal gehört?«

Sie sah mich nicht so sauer an, wie ich erwartet hatte.

»Nee, hab ich nicht.« Pause. »Aber wenn ich dir ’n Tip geben soll, hau hier mal besser ab, die Chefin mag’s nicht, wenn so Typen wie du den Betrieb aufhalten. Warst zwar nicht besonders freundlich, hab trotzdem nichts gegen dich. Deshalb sag ich dir das.«

»Warum hat die Chefin was gegen zahlende Kunden?«

»Du bist nur ’n Türke, steht sie nicht besonders drauf, und wenn du nur trinkst, lohnt sich’s nicht.«

»Und wer soll mich rausschmeißen? Die Leoparden- Oma?«

Sie sah zur Theke, lächelte und flüsterte mir ins Ohr: »Hinten sitzen ein paar von ihren Freunden, die sind nicht ohne.«

Irgendwie fing ich an, sie zu mögen. Ihr Gesicht war plötzlich nicht mehr dümmlich, und die billige Nachahmung einer liebestollen Haremsdame hatte sie abgelegt.

»Soll ich dir etwas sagen, Entlein, du hast in natura ’ne große Portion mehr verführerischen Charme als hinter der schmierigen Maske von Tausendundeinernacht.« Sie schenkte mir einen außergeschäftlichen Augenaufschlag, den ich bis in die Zehenspitzen spürte.

»Das hoffe ich doch.«

»Wie wärs denn, wenn wir noch ein Glas trinken?«

Sie sah mich kurz an, nestelte an ihrer Nase und flüsterte: »Ein andermal, sie schaut die ganze Zeit rüber. Ich hab keine Lust, Ärger zu kriegen, geh jetzt.«

»Okay, wo zahl ich den Whisky?«

»Vorne bei ihr.«

»Also gut, bis demnächst, Entlein.«

»Bis demnächst, wilder Scheich«, murmelte sie.

Ich kämpfte mich durch den Teppich zur Theke. Milly stand ans Holz gelehnt, eine goldene Zigarettenspitze zwischen den glänzenden, roten Lippen.

»Was macht der Scotch?«

Sie musterte mich grimmig und knurrte dann an der Zigarettenspitze vorbei »Achtzehn, der Herr.«

Ich strich den zweiten Fünfzigmarkschein auf der Theke glatt. Während sie das Geld wechselte, brummte ich: »Letzten Freitag is hier in der Nähe ’n Typ unters Messer gekommen. Hieß Ahmed Hamul. Ich such jemand, der ihn kannte.«

Sie sah mich schnell an.

»Ich kenn keine Hamuls.«

Sie schob mir das Wechselgeld hin.

»Und ich mag nicht, wenn jemand in meinem Laden rumschnüffelt, schon gar nicht, wenn er ’n ausgebeulten Anzug trägt. Eigentlich sollte ich dich festhalten und die Polizei rufen, aber dann würden wahrscheinlich zehn Türkenbälger ihren Papa verlieren. Ich bin kein Unmensch, also verschwinde.«

Wenn man sie in diesem lila Dampf erkennen konnte, war meine Kanone auffälliger verstaut als ich dachte.

»Ich hab ’nen Waffenschein und ’ne Schnüffellizenz, kein Anlaß zu kräftigen Sprüchen. Versüßt sich eines der Mädchen ihren lila Alltag mit sauren Spritzen?« Erst sah es so aus, als wollte sie mir ihre langen, roten Fingernägel in die Backe hauen, aber dann drückte sie wie nebenbei auf einen kleinen weißen Knopf neben dem Bierhahn. Ich steckte schnell das Wechselgeld ein und drehte mich zur Tür mit der Aufschrift PRIVAT. Zwei, drei Sekunden verstrichen, bis sie sich langsam öffnete. Heraus glitten drei nadelgestreifte Kleiderschränke mit ähnlichen Beulen wie unter meiner Schulter. Ihre Blicke glitten durch den Raum. Dezent kamen sie an die Bar und umringten mich wie alte Freunde. Der kleinste von ihnen trug eine senfgelbe Krawatte mit kleinen, hellgrünen Elefanten. Er sah zu mir runter, legte seine Pranke auf meine Schulter und knetete sie durch. Ich biß die Zähne zusammen.

»Na, Sportsfreund, ich habe gehört, dir fällt der Abschied schwer.«

Er grinste mich dreckig an. Drei seiner Zähne funkelten golden.

»Es gibt ’ne Menge nette Lokale in der Stadt, muß ja nicht ausgerechnet dieses sein, oder?«

Alle drei zusammen brachten etwa fünfmal soviel auf die Waage wie ich. Trotzdem bekam ich Lust, ihnen das glattrasierte Kinn einzutreten.

»Wieviel von so ’nem Goldzahn zahlt denn die Kasse?«

»Wieso?«

»Bin am überlegen, ob ich dich zu ’ner Runde einlade.« Alle drei lachten.

»Okay, starker Mann, die Vorstellung ist zu Ende. Dort hinten ist die Tür, steht ›Gesundheit‹ drauf.«

Er deutete mit dem Daumen zum Ausgang. Während ich noch dabei war, mir meine Parade auszudenken, packten die anderen zwei meine Arme und trugen mich hinaus auf die Straße. Ich kam mir vor wie ein Kind, das man in die Badewanne hebt. Einer murrte: »Mach, daß du weiterkommst, sonst breche ich dir deine verfluchte Türkennase.« Ich zeigte auf etwas hinter ihnen und machte ein entsetztes »Oh«. Es funktionierte. Sie drehten sich um und schauten auf die kahlen Häuserwände.

»Was solln da sein?«

Ich tippte auf die Schulter des Sprechers. Er drehte den Kopf, und ich knallte ihm meine Faust ins Gesicht. Das Nasenbein knackte trocken. Er grunzte und klatschte aufs Pflaster.

Sein Partner sah mich ungläubig an, besann sich aber und wollte mir nun das Hirn zermatschen. Ich sah, wie sich die Muskeln unter dem engen Jackett spannten. Langsam ging er auf mich zu, ließ die Finger knacken und leckte sich die Lippen. Das Neonlicht warf Schatten auf sein Gesicht, und das Weiß der Augen war sichtbar. Kriegte er mich zu fassen, hatte ich wenig Chancen, heil davonzukommen.

Er hielt inne und musterte mich wie ein Stück Kotelett. Ich schnellte auf ihn zu, blieb abrupt stehen, duckte mich und ließ seine rechte Betonhand voll ins Leere prügeln. Ein Luftsprung, und ich kriegte seinen Arm zu fassen. Ich warf mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen und stemmte ihn dann gen Himmel. Laut krachten seine Knochen. Er brüllte auf vor Schmerz. Die gesunde Linke schlug blind in meine Richtung. Zweimal wich ich aus, bis mir eine Ladung frontal das Kinn sprengte.

Ich torkelte rückwärts den Bordstein entlang und donnerte dann gegen einen Laternenpfahl. Langsam rutschten mir die Beine weg. Der Schläger schlurfte in meine Richtung. Sein rechter Arm schlenkerte unnatürlich durch die Luft. Ich blieb sitzen und wartete, bis er vor mir stehenblieb.

Er zischte: »Kleine türkische Ratte, sowas machst du nie wieder!«

Ich machte eine Rolle seitwärts und harkte ihm meine Schuhspitze in die Kniekehle.

Es gab ein dumpfes Geräusch, als er auf dem Boden aufschlug. Wie ein gefällter Baum lag er da. Ich stürzte auf den gesunden Arm und hebelte ihn über meinen Schenkel.

»So, Großer, bleib ganz ruhig, oder du kriegst noch ’n zweiten Gips, das versprech ich dir!«

Er schüttelte sich, und ich hatte Mühe, den Arm festzuhalten, aber dann gab er auf, und ich konnte verschnaufen. Der kaputte Knochen mußte verdammt weh tun. Die Masse Goliath unter mir fing kläglich an zu wimmern.

»Hör mit dem Gejaule auf, wenn du artig bist, laß ich dich los. Vorher noch ’ne Frage, kennst du einen Ahmed Hamul?«

Er biß die Zähne zusammen und preßte: »Nee, nie gehört.«

Ich hebelte noch ein bißchen.

»Wirklich nie gehört?«

Er stöhnte laut auf und brüllte: »Nee, verdammt nochmal, kann ich doch auch nix dafür.«

In dem Moment ging die Tür auf, und ein Schwarm hellgrüner Elefanten glotzte verdutzt.

Ich hatte keine Lust auf noch mehr Knochenbrüche. Ich ließ den gequälten Arm los und stand auf. Goldzahn betrachtete das Elend. Plötzlich schnellte seine Hand unters Jackett. Ich aber war schneller, hatte meine Kanone schon aus der Achsel gezogen.

»Laß gut sein! Hol die Pfote langsam wieder raus, sonst is ’n Loch drin.«

Er verzog den Mund und gehorchte.

Jetzt erst bemerkte ich eine Menge Publikum, das wohl schon länger aus sicherer Entfernung rübergaffte. Es war nicht der richtige Ort, um ungestört mit dem Schießeisen rumzufuchteln. Also steckte ich es wieder ein. Auch mein Gegner nahm die Zuschauer wahr und zeigte sein goldenes Grinsen.

»Du hättest Eintritt verlangen sollen. Ich weiß nicht, wie du’s geschafft hast, die zwei in Klump zu hauen, aber es muß ein großartiges Schauspiel gewesen sein.«

In der Ferne hörte man eine Polizeisirene, die näher kam.

»Pack deine Freunde zusammen. Gleich sind die Bullen hier und stellen unangenehme Fragen.«

Er sah mich belustigt an.

»Danke für den Tip, wär ich nicht drauf gekommen. Bist ’n kluges Köpfchen. Paß auf, daß nicht jemand aus Versehen Blei reinballert.«

Mir langten die wilden Männer mit großer Klappe. Bevor ich wegging, sah ich noch einmal nach dem Jungen, dem ich den Kopf demoliert hatte. Seine Nase war blutender Brei, der langsam die Backe runterlief und aufs Pflaster tropfte. Er röchelte. Ich rüttelte an seinen Schultern. Als er die Augen aufschlug, brummte ich: »Merk dir, mit Gästen aus dem Ausland geht man freundlich um. Das nächste Mal reiß ich dir die Ohren ab.«

Er wollte was sagen, spuckte aber nur roten Rotz.

Ich verließ das Schlachtfeld und ging ziellos die Straße hinauf.

Ein grünes Polizeiauto donnerte flötend an mir vorbei.

Ich war sicher, sie würden nur eine charmante Milly antreffen, die mit Erstaunen ausrief: »Aber Herr Kommissar, hier war alles ruhig, glauben Sie mir!«

Ich steuerte die nächste Fast-Food-Tür an und bestellte drei Pappbecher Bier. Mein Kinn war anständig ramponiert, und das Mäuschen hinter der Theke verzog angewidert sein Gesicht.

»Ist nur Schminke, Schwester. Ich komm drüben vom Theater, hab grad Pause.« Sie lachte.

»Oh, tut mir leid, sieht ziemlich echt aus. Was wird denn gespielt?«

»Shakespeares ROMEO UND JULIA, als moderner orientalexistentialistischer Gegenentwurf zu herkömmlichen traditionell europäischen Interpretationsmodellen.«

Sie nickte ernst und meinte: »Ah, ja.«

Nach einer Pause: »Und was passiert da so?«

»Romeo trifft Ali Baba und tauscht Julia gegen die vierzig Räuber.«

»Mhm, und dann?«

»Julia verliebt sich in die vierzig Räuber, die vierzig Räuber wollen mit Romeo Kinder machen, und Ali Baba steht im Regen. Am Ende vertragen sich alle, schwimmen im Nil einer neuen Zukunft entgegen und singen »Fußball ist unser Leben‹.«

Sie sah mich mit großen Augen an. Dann drehte sie sich um und holte mein Bier. Als ich das Geld in die Schale legte, fragte sie: »Und weshalb das blutige Kinn?«

»Um das Publikum zum Nachdenken zu bringen.«

Ich ließ sie stehen, balancierte die Bierbecher an einen Tisch, setzte mich und steckte mir eine Zigarette an.

Es war mächtig Betrieb im Laden. Kurzbehoste Amerikaner drängten sich um die kleinen, grünen Plastiktische, ständig bemüht, ihre Münder zum Lächeln zu verzerren. In der Ecke stand eine Musikbox. Mick Jagger hockte drin und blökte ›You can’t always get what you want‹. Ich habe was gegen gegrölte Lebensweisheiten von Rock-Opas.

Das Bier begann sanft in meinem Hirn zu wirken. Ich überlegte, ob ich nachhause ins Bett gehen sollte. Meine Suche nach der Dirne wurde doch immer aussichtsloser; außerdem war mir die Lust auf Balgereien mir Urkörpern vergangen.

Ich beschloß, mein Glück noch bei den Straßendirnen zu versuchen. Mehr als angespuckt konnte ich dabei nicht werden.

Doch zuerst ging ich auf die Toilette. Jemandem war es nicht gut gegangen. In der Ecke dampfte Erbrochenes. Mein Magen zog sich zusammen, und ich mußte tief durchatmen, um nicht direkt daneben zu kotzen. Ich pinkelte schnell, wischte mir noch vor dem Spiegel angetrocknetes Blut vom Kinn und verließ Klo und Kneipe.

Zehn vor zwölf. Inzwischen war der Himmel stockdunkel. Ich lief durch eine ruhige Seitengasse. An mir vorüber schlichen nur ein paar schüchterne Freier, die sich nicht trauten, im Rampenlicht die Frage nach Preis und Leistung zu stellen. Bei einer Pizzeria lugte ein weißer Lackschuh aus der Häuserwand. Ich ging drauf zu. Aus einem Ventilator strömte Duft von warmem Teig auf die Straße. Hier hätte ich mich auch hingestellt.

In den hochhackigen Lackschuhen standen lange, weiße Beine; um Bauch und Busen wand sich eine grell-türkise Netzkonstruktion; eine ebenfalls türkise Schleife band das strähnige, blonde Haar zum Zopf zusammen.

Bevor ich ein Wort loswerden konnte, rotzte sie: »Weiter, weiter, ich nix Ficki-Ficki mit dir, habe meine Prinzipien«, und machte dabei eine Handbewegung wie ein Polizist, der den Verkehr regelt.

»Wieso Ficki-Ficki, hab nur ’ne Frage.« Das interessierte sie überhaupt nicht.

»Hau ab, Mann, fahr deinen Kümmelschwanz ein und mach die Fliege, du hast hier nix verloren!«

Wie es aussah, hatte sie nichts mit Ahmed Hamul zu tun gehabt. Da die Arme weiß und glatt waren, konnte sie auch kaum Einblick in die Fixerszene haben. Ich trottete weiter, nahm mir vor, noch zweimal zu fragen, und hoffte, nichts zu erfahren, was mich daran hindern könnte, danach in mein Bett zu gehen. Leider kam alles anders.

Als ich den nächsten Hauseingang ansteuerte, wippte mir ein kurzer Netzstrumpf entgegen. »Na, Süßer, siehst so einsam aus.«

Ihr Busen drohte den schwarzen Satin zu sprengen und mir ins Gesicht zu platschen. »Bin ich auch. Such ’n Mädchen, die einen gewissen Ahmed Hamul kannte. Namen schon mal gehört?«

Sie verschränkte die Arme und betrachtete mich mit verwunderter Abscheu.

»Seit wann haben die Bullen denn ’ne Fremdenlegion?«

»Bin kein Bulle, bin Privatdetektiv.«

»Ah, ja. Dann zisch ab, hältst nur den Betrieb auf!«

Ich überlegte, ob die zweiunddreißig Mark in meiner Tasche sie beeindrucken könnten.

»Ich hab dreißig Mark. Ist nicht viel, aber wenn du mir ’nen Satz über Hamul sagen kannst, geb ich sie dir.«

Sie knabberte an ihren grünen Fingernägeln und sah mich abschätzend an.

»Kenn deinen Ahmed doch gar nich.«

»Wurde letzten Freitag hier in der Nähe umgebracht.«

»Ach, der!«

»Ja, der.«

»Laß erst mal die Scheine sehen, vorher weiß ich gar nix.«

»Und nachher?«

»Wird sich zeigen.«

Da ich nichts sagte, lamentierte sie: »O Gott, Mann, ganz schön knickerig, he? Bei läppischen dreißig Mark gehste ja wohl kein Risiko ein. Das verdien ich, wenn ich einmal die Backen zusammenkneife.«

Sie hatte recht. Außerdem war es nicht mein Geld. Ich drückte ihr die drei Zehner in die Hand. Sie schob die Scheine geübt unter den Strumpfhalter.

»Der Typ, den du meinst, hing, glaube ich, öfters in HEINIS HÜHNERPFANNE rum. Is’n Schuppen paar Straßen weiter. Ich bin da manchmal.«

Ich hatte nichts halb so Konkretes erwartet.

»Wieso nimmst du an, es war der Typ, den ich suche?«

»Sonntagabend hab ich dort gegessen, und ’ne Freundin hat mir erzählt, sie haben ’nem Türken, der immer zum Flippern kam, ein Messer in den Rücken gehauen.«

»Wer ist sie?«

»Och, irgend jemand wirds schon gewesen sein.«

»Die Freundin, woher hat sie das?«

Ein kleiner Mann mit Hut trippelte die Hauswand entlang auf uns zu.

»Hat’s glaub ich in der Zeitung gelesen. So, es hat sich ausgeplaudert, mehr weiß ich nicht, außerdem kommt Kundschaft!«

»Na gut, schönen Abend noch.«

Sie rief mir noch hinterher, mit ein bißchen mehr Geld ließe sich bei Gelegenheit eine nettere Zusammenkunft arrangieren. Ich gab vor, sie nicht zu hören.

Ich kannte HEINIS HÜHNERPFANNE, wenn auch bisher nur von außen. Jetzt stand ich davor und betrachtete die Preise der Gerichte. Als ich in die Kombination von Restaurant und Snackbar eintrat, wehte mir der Gestank von vergammeltem Fett um die Nase. Ich setzte mich an einen Wandtisch, von wo aus ich alles überblicken konnte. An der Decke hingen alte Faschingsgirlanden. Sonst war der Saal eintönig hellbraun. Rustikale Holzmöbel standen ungeordnet herum. Über der Theke röhrte ein abgehackter Hirschkopf. Die Tische waren kaum besetzt. Gebräunte Männer in weißen Jacketts unterhielten ihre derzeitigen oder zukünftigen Strichmädchen mit wilden Abenteuern. Einzelne Dirnen saßen über einem Korn. In der Ecke rülpste ein Penner. Der lange, magere Kellner kam schnurrbartzwirbelnd auf mich zu. Er wollte wissen, was der Herr wünsche. »Scotch«, meinte ich, »der Herr wünscht Kaffee und Scotch«, und er eilte wieder weg.

Ich musterte die Frauen. Eine der hübscheren dämmerte über einem glänzenden Hühnerschenkel.

Dann kam der Kellner, Tasse und Glas schwingend, ließ beides galant auf den Tisch gleiten und schnurrte: »Wünscht der Herr auch zu speisen?«

Er gehörte eher in die Hotelbar vom Plaza, wo er Messebesuchern die Hummerbeine vorkauen könnte, als in diese fettige Schnapsschänke.

»Danke, habe schon gegessen.«

Er lächelte und glitt davon.

In der Ecke stand jener Flipper, auf dem Ahmed Hamul öfters gespielt haben mußte. Vorausgesetzt, dreißig Mark waren dem Netzstrumpf wirklich zu wenig gewesen, um die Phantasie zu bemühen.

Ich zündete mir eine Zigarette an und ging zum Flipper. Flash Gordon jagte, gefolgt von hundert Superfrauen, über die Glasplatte. Ich spielte mit den beiden Markstükken, die mir geblieben waren. Wie ich Kaffee und Scotch zahlen sollte, wußte ich nicht.

Ich steckte Geld in den schmalen Schlitz, drückte einen roten Knopf und drehte mich um. Der Flipper polterte ›oh, yes‹. Das Mädchen mit dem Teller voll Huhn sah kurz auf und warf einen ungläubigen Blick durch den Saal. Ich schoß die Kugel in das blinkende Lichtermeer, sie bollerte durch Gummi und Plastik. Ich ließ sie rollen und ging zu dem Mädchen ohne Appetit.

»Tschuldigung, darf ich mich zu Ihnen setzen?«

Sie schaute mich an, als hätte ich Mundgeruch: »Muß das sein?«

»Nur kurz, ich habe für Sie eine Nachricht von Ahmed… er ist nicht tot«, flüsterte ich.

Es war mit verbundenen Augen ins Schwarze getroffen.

Man hätte eine mittelgroße Wassermelone in ihren aufgerissenen Mund schieben können. Ich fühlte mich wie ein Lottoschein mit sieben Richtigen.

»Ja… ja… setzen Sie sich bitte…«, stotterte sie und rückte mir einen Stuhl zurecht.

»Wer sind Sie? Und… was reden Sie da?«

Ich setzte mich umständlich und überlegte fieberhaft, was nun folgen könnte.

»Ich bin ein Freund von Ahmed. Er hat mich gebeten, Ihnen etwas zu überbringen.«

Ich schaute mich um. Zum Glück saß jemand am Nebentisch.

»Ich erkläre Ihnen alles, aber nicht hier. Wissen Sie einen Ort, wo wir ungestört sind?«

»Natürlich, ja… wir können zu mir gehen, das ist nicht weit, aber… gut, gehen wir, ich bin ein bißchen durcheinander… wissen Sie, es ist…«

»Schon gut«, unterbrach ich sie, »zahlen wir und gehen.«

Ich winkte dem Kellner, verlangte die Rechnung und erinnerte mich, ich hatte meine letzten zwei Mark in den Flipper geworfen.

»Tschuldigen Sie, ich habe mein Geld vergessen, könnten Sie mir Kaffee und Scotch auslegen?«

»Natürlich.«

Während der Kellner die Rechnung brachte, suchte sie nervös in einem Stück Krokodil nach ihrem Geldbeutel. Sicherlich wäre der Kellner gerne ein »Hat es Ihnen geschmeckt« losgeworden. Statt dessen betrachtete er kummervoll den unberührten Teller und ließ den Eindruck entstehen, er sei persönlich getroffen. Natürlich war es ihm schnurzegal. Seinem mageren Körper nach zu urteilen, mochte er die triefenden Hühnerkeulen selbst nicht besonders. Endlich fand sie ihr Geld und fischte mit zittriger Hand einen Zwanzigmarkschein aus der Börse.

»Mein Kaffee mit Scotch kommt noch dazu.«

Kurz huschte Verwunderung über seine Augen. Er hielt mich ohne Zweifel für einen Freier und war erstaunt über eine Dirne, die ihre Kundschaft zum Kaffee einlud.

Während er das Geld wechselte, holte ich meine Zigaretten und schüttete den inzwischen lauwarmen Whisky hinunter. Als ich zurückkam, steckte sie gerade Münzen und Scheine in die Börse. Ich hatte Ahmed Hamuls Freundin in kürzester Zeit ohne Hilfe gefunden und kam mir gut vor. Daran muß es wohl gelegen haben. Ich sah ohne Erstaunen zu, wie sie vierzehn Mark Wechselgeld einstrich.

Die Tür von HEINIS HÜHNERPFANNE fiel zu, und wir standen auf der Straße. »Ich wohn hier im Haus«, meinte sie und stieß zwei Meter weiter eine vergammelte Haustür auf. Eine flackernde Neonröhre beleuchtete schwach das Treppenhaus. Stumm ging sie vor mir die Stufen hinauf. Wahrscheinlich beschäftigten sie viele Fragen, und sie wußte nicht, wo und wie sie anfangen sollte. Mir war das nur recht. Ich hätte sowieso keine Antwort gewußt.

Im zweiten Stock angelangt, erfuhr ich ihren Namen. Er stand in handgeschriebenen Druckbuchstaben über dem Klingelknopf. HANNA HECHT. Hanna Hecht schloß die Tür auf und knipste das Licht an. Wir standen in einem winzigen Vorzimmer auf weißem Flokati. Abgesehen von einem blauen Telefon stand das Zimmer leer. Der rosa Lampion an der Decke schaffte schummeriges Halbdunkel. Man hatte das Gefühl, in lauwarmem Kakao zu schwimmen.

Es gab zwei Türen. Eine mußte in den Schlaf- und Arbeitsraum von Hanna Hecht führen. Sie öffnete die andere, die private.

Vier Mauern, an denen sich Kochecke, Spüle und Ikeamöbel reihten. An der Tapete hingen Pferdebilder, ein rosa-beiges Plakat mit Herzchen und tanzenden Kindern und die sauberen Köpfe irgendeiner Popgruppe. Das Regal in der Ecke war gefüllt mit Setzkastenkleinkram, Pferdebüchern und einem Radiowecker. Alles Habseligkeiten eines Cola gurgelnden Teenagers, weniger die einer fixenden Dirne.

»Setzen Sie sich. Wollen Sie was trinken?«

»Gerne.«

»Ich hab Martini und Wodka.«

»Ein Wodka war schön.«

»Eis?«

»Gerne.«

Während sie den Kühlschrank aufmachte und Eis klopfte, konnte ich sie genauer betrachten. Sie war groß, mit langen Beinen, die in Jeans steckten. Wenn sie etwas mehr essen würde, hätte sie eine gute Figur. Ihr Gesicht war von vielen Spritzen ausgemergelt und gelblich, die blonden Locken dünn und künstlich. Ich überlegte, welcher Art die Beziehungen zwischen ihr und Ahmed Hamul gewesen sein könnten.

Sie stellte den Wodka vor mich hin, setzte sich mir gegenüber, steckte sich eine lange Filterzigarette an und musterte mich unruhig.

»Sagen Sie, was… was wissen Sie von Ahmed?«

Mir fiel keine anständige Lüge ein. Ich wußte auch nicht, ob mir das weiterhelfen würde. Ich platzte mit der Wahrheit heraus.

»Ich habe Sie vorhin belogen. Ahmed ist tot.«

Diesmal riß sie nicht den Mund auf, sondern kniff die Lippen zusammen. Ich bekam Angst, sie würde sie zerbeißen. Ihre Finger zerbrachen die Zigarette und krampften sich um die Tischkante.

»Tut mir leid, aber ich wußte keinen anderen Weg, um Ihnen ein paar Fragen stellen zu können. Ich bin Privatdetektiv, und die Familie von Ahmed Hamul hat mich beauftragt, seinen Mörder zu finden.«

Zitternd am ganzen Körper stand sie auf, starrte mich eine Zeitlang wie eingefroren an und preßte ein »Hau ab, du Sau« durch die Zähne. Ich hatte die Innigkeit der Beziehung unterschätzt. Im nachhinein gefiel mir der Weg zum Gespräch über ein paar anständige Lügen sehr viel besser. Dazu war es leider zu spät. Haß flackerte in ihren Augen, und tatsächlich wäre ich am liebsten gegangen. Statt dessen nahm ich einen kräftigen Schluck Wodka und brummte: »Jetzt mach aber mal ’n Punkt. Ich will nur ’n paar Sachen fragen. Wenn ich ehrlich gewesen wäre, hättest du mir keine Minute zugehört. Du meinst doch auch, der Mörder soll gefunden werden, oder? Über Ahmed Hamul weiß ich bisher nur, er hatte Stoff und Segelohren. Das ist nich besonders viel, um…«

»Hau ab, hab ich gesagt! Mich interessiert das ’n Scheiß!«

Ich erinnerte mich, ihr gesagt zu haben, ich hätte ihr etwas von Ahmed zu überbringen. Der Stoff mußte sie scharf gemacht haben, nicht, daß da jemand plötzlich wieder lebte.

»Nur ein paar Fragen, dann geh ich sofort, okay?«

Das Eis wich aus ihrem Gesicht, und sie lächelte mich sogar ein bißchen an.

»In Ordnung, muß nur schnell mal aufs Klo.«

Sie trippelte hinaus auf den Flur. Ich kapierte gar nichts, strengte mich auch nicht besonders an, sondern nippte an dem billigen Wodka und legte mir die Fragen zurecht.

Nebenan gurgelte die Klospülung. Wenig später kam Hanna Hecht zurück. Sie lächelte immer noch, inzwischen recht blöde.

»Also gut, was willste wissen?«

»Zuerst interessiert mich, wieweit Ahmed Hamul im Heroingeschäft mitgemischt hat.«

»Hat er das?«

Sie spitzte spöttisch den Mund.

»Och, nicht so, Mädchen. So viel Zeit haben wir nicht.«

»Nee?«

Sie sah kurz an mir vorbei, und endlich kapierte ich. Doch es war schon zu spät. Ich drehte mich langsam um und glotzte verblüfft auf die offene Tür. Im Rahmen stand schnurrbartzwirbelnd der Kellner aus HEINIS HÜHNERPFANNE. Er lächelte süßlich. Mir wurde einiges klar. Es hatte ihn nicht gewundert, Hanna Hecht für mich bezahlen zu sehen, sondern, daß ich glaubte, sie habe eine eigene Rechnung. Daher das viele Wechselgeld.

Der galante Kellner war Hannas Zuhälter und kam natürlich für ihre Rechnung auf. Im anderen Zimmer mußte eine Klingel sein, um ihn in Notfällen herbeizurufen.

Ich kam mir dämlich vor.

»Sehr richtig. So viel Zeit haben wir nicht.«

Er griff langsam in die Tasche und zog eine schwarze Pistole heraus.

»Was hat denn unser Freund auf dem Herzen, Hanna?«

»Hat mich angeschwindelt, der Arsch. Ahmed is mausetot. Der da is’n Schnüffler und arbeitet für Ahmeds Familie. Er hat mich hier hoch gelockt, um mir ’n paar Fragen zu stellen. Das ist alles.«

Mittlerweile war ihr Gesicht nur noch eine Grimasse, die mir keinen Blick mehr gönnte, sondern stur den Boden anstierte.

»Er hat also auch keine Päckchen von Ahmed?«

»Quatsch.«

»Nun gut, dann werden wir den jungen Mann jetzt an die Tür begleiten und ihn freundlich, aber bestimmt bis auf weiteres des Hauses verweisen.«

Er winkte mir mit der Pistole aufmunternd zu.

»Wieso stört es den Haushalt so sehr, wenn ich ein paar Fragen loswerden will?«

»Fragen, mein Freund, stören immer, und wenn man ihnen aus dem Weg gehen kann«, genüßlich strich seine Hand über das schwarze Eisen, »macht man das im allgemeinen auch. Außerdem, ich persönlich lehne Menschen, die mit dem Tod ihren Scherz treiben, ab.«

»Moralische Bedenken in Ehren, aber…«

»Schluß mit dem Gerede. Ich habe nicht die Zeit und auch nicht das Bedürfnis, Ihnen Anstand beizubringen, mein Freund. Stehen Sie jetzt langsam auf und kommen Sie her.«

Ich erhob mich wie befohlen und ging zu ihm hin. Plötzlich stieß er mir die Pistole in den Bauch, griff unter mein Jackett und fummelte die Parabellum heraus. Dann schubste er mich gegen die Wand.

»Tut mir leid, nur eine Vorsichtmaßnahme. Damit Sie nachher nicht auf dumme Gedanken kommen und glauben, es wäre ein leichtes, noch einmal zurückzukehren.« Er öffnete die Kanone, ließ das Magazin auf den Boden fallen und warf sie mir zu.

»So mein Freund, jetzt gehen wir artig durch die Tür und schön ruhig die Treppe hinunter.«

Ich hörte noch, wie Hanna Hecht, diesmal für sich, Eis klopfte. Dann trottete ich, vom höflichen Kellner gefolgt, durchs Treppenhaus runter auf die Straße.

Er warnte mich noch vor gewissen Dingen, die meiner Gesundheit schaden könnten, verabschiedete sich danach in aller Form und verschwand eilig in HEINIS HÜHNERPFANNE.

Es war kurz nach zwölf. Mein Geburtstag war vorbei, und ich wollte ins Bett.

Als ich die U-Bahn-Station verließ, begann der Wodka unangenehm an meine Hirnrinde zu klopfen. Ich schlenderte durch die stillen Straßen und betrachtete die fein geschwungene Mondsichel.

Beim Haus Nummer sieben angelangt, bog ich in die Einfahrt ein und zog die Schlüssel heraus. Während ich noch überlegte, welcher Hammel seine Karre mitten im Weg geparkt hatte, heulte der Motor auf, und die Scheinwerfer gingen an. Das grelle, weiße Licht blendete mich. Ein Satz Reifen quietschte, und ich rannte instinktiv los. Fünfzehn Meter waren es bis zur Straße, wo ich mich keinen Augenblick zu früh nach rechts unter ein geparktes Auto warf. Ein kleiner Fiat schoß an mir vorbei. Er bremste scharf und donnerte nach links. Ich rollte mich so schnell es ging herum, riß die Kanone aus dem Schultergurt und zielte auf die Reifen.

Es machte ein leises, metallisches ›Klick‹. Ich sah noch, wie der Fiat um die Ecke verschwand. Ein Fenster im Haus gegenüber wurde aufgestoßen.

»Ruh da unne, oddä isch ruf die Pollizei! Is net zum aushalde!«

Krachend flog das Fenster wieder zu.

Ich stand auf und klopfte mir den Dreck von der Hose. Es roch nach verbranntem Gummi. Am liebsten wäre ich zurückgefahren, um dem Kellner die leere Kanone in die Visage zu schlagen. Statt dessen steckte ich die Pistole wieder in den Schultergurt, ging in meine Wohnung und legte mich ins Bett.