Kapitel 4: Wie das Offshore-Geschäft funktioniert

Kapitel 4

Wie das Offshore-Geschäft funktioniert

Das Offshore-Geschäft besteht im Kern darin, den Weg, den Geld über Landesgrenzen hinweg nimmt, künstlich zu manipulieren. Der Weg von Bananen kann gut als Beispiel dienen, um das zu dokumentieren. Jedes Bündel Bananen gelangt auf zwei unterschiedlichen Wegen in unsere Obstschalen.

  • Erste Route: Ein honduranischer Landarbeiter, der bei einem internationalen Unternehmen angestellt ist, pflückt die Bananen, dann werden sie verpackt und nach Deutschland verschifft. Das Unternehmen verkauft sie an eine Supermarktkette, die sie dann an uns weiterverkauft.
  • Zweite Route: Der Weg, den die Bananen in der Buchhaltung nehmen, ist umständlicher. Die Einkäufe wickelt das Unternehmen beispielsweise von den Cayman Islands ab, die Finanzierung des Geschäfts erfolgt über Luxemburg, der Markenname ist in Irland registriert, das Transportunternehmen hat seinen Sitz auf der Isle of Man, die Geschäftsführung des Unternehmens sitzt auf Jersey und die Versicherungstochter auf den Bermudas.

Um das Geschäft abzuwickeln, leiht die Finanzierungstochter in Luxemburg dem Tochterunternehmen in Honduras Geld und verlangt dafür Zinsen, beispielsweise zehn Millionen Dollar. Das honduranische Unternehmen zieht den Zinsbetrag vom lokalen Gewinn ab und beschneidet so seinen Profit oder löscht ihn sogar ganz – und damit auch die Steuerrechnung. Die zehn Millionen zusätzliches Einkommen aus Darlehenszinsen, das die Tochtergesellschaft in Luxemburg erzielt, werden dort jedoch nicht besteuert. Die Buchhaltung hat damit eine hohe Steuerrechnung in Honduras verschwinden lassen, das Kapital ist in die Steueroase verschoben worden.

Das Bananenunternehmen hat einen gebräuchlichen Offshore-Trick angewendet, der als „Transfer Pricing“ oder „Transfer Mispricing“ bezeichnet wird. Indem multinational operierende Unternehmen den Preis für den internationalen Transfer künstlich anpassen, können sie ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer verschieben und ihre Kosten in Hochsteuerländer, wo sie von der Steuer abgezogen werden. In unserem Bananen-Beispiel ist der Steuerertrag einem armen Land entzogen und in ein reiches geleitet worden.

Rund zwei Drittel des globalen grenzüberschreitenden Handels erfolgen innerhalb multinationaler Konzerne. Drittweltländer entgehen jedes Jahr geschätzt 160 Milliarden Dollar aufgrund von falsch gesetzten Preisen dieser Art. Im Jahresbericht eines an der New Yorker Börse gehandelten Bananenunternehmens heißt es dann lapidar: „Das Unternehmen erzielt kein in den USA steuerpflichtiges Einkommen. Das zu versteuernde Einkommen des Unternehmens stammt zum größten Teil aus dem ausländischen Geschäftsbetrieb, der in Ländern besteuert wird, in denen der effektive Steuersatz geringer ist als der gesetzliche Steuersatz in den USA“ (Chiquita Brands International Inc., Quartalsbericht Mai 2009). Mit anderen Worten: Wir betreiben über Steuerparadiese „Transfer Pricing“ und zahlen in den USA keine Steuern.

Weltkonzerne haben meist keine Schwierigkeiten, ihre Steuerbelastung mittels Offshore auf null herunterzufahren. Das „Transfer Mispricing“ ist ein wichtiger Grund, warum multinationale Unternehmen überhaupt multinational sind – und weshalb sie in der Regel schneller wachsen als die nationale Konkurrenz. Was hier stattfindet, ist eine Verschiebung von Vermögen. Begleitet wird das von einer mittlerweile großen Beraterzunft, die die Steuerfluchtindustrie bedient. Gegenmaßnahmen der Industriestaaten werden immer wieder mit neuen Offshore-Schlupflöchern unterlaufen. Ein Wettstreit, bei dem die Steuergesetze immer komplexer werden. Das schafft wiederum neue Möglichkeiten für Vermögende und ihre Berater, Wege durch das immer undurchsichtigere gesetzliche Dickicht zu finden.

So haben nach einer Studie des amerikanischen Institute for Policy Studies 2010 die meisten der größten 25 US-Konzerne – darunter Ford, General Electric, Boeing – trotz Milliardengewinnen (durchschnittlich 1,9 Milliarden Dollar) Steuern erstattet bekommen – im Schnitt 304 Millionen Dollar. Die Autoren erklären die Diskrepanz zwischen hohen Einnahmen und geringen Steuerzahlungen damit, dass 18 der 25 Unternehmen Tochterfirmen in Steuerparadiesen unterhalten. Spitzenreiter ist das Versicherungsunternehmen Aon mit 128 Tochtergesellschaften.

Steuerrückerstattungen 2010 für US-Konzerne

Unternehmen

Steuern auf den Gewinn 2010, in Millionen Dollar

Stanley Black & Decker

–75

Ford

–69

Chesapeake Energy

0

Aon

16

Bank of New York Mellon

–670

Coca-Cola Enterprises

8

Verizon

–705

Dow Chemical

–576

Prudential Financial

–722

Ameriprise

–224

Honeywell

–471

General Electric

–3253

Allegheny Technologies

–47

Mylan Laboratories

–73

Capital One Financial

–152

Wynn Resorts Ltd.

0

Marsh & McLennan

–90

Boeing

13

Motorola Solutions

7

Nabors Industries

–138

Qwest Communications

–14

Cablevision Systems

–3

Motorola Mobility

12

eBay

–131

International Paper

–249

Quelle: Institute for Policy Studies

Ein weiteres Kriterium für das Offshore-Geschäft ist die Geheimhaltung. Das steht im Gegensatz zur Transparenz, einem grundlegenden Baustein der modernen Wirtschaftstheorie: Märkte funktionieren dann am besten, wenn die Vertragsparteien Zugang zu den gleichen Informationen haben. Doch die Geheimhaltungspraktiken der Steuerparadiese übertragen die Information und damit auch die Macht, die sich aus der Information ergibt, an Insider. Und die ernten die Erträge. Diese Zunft sorgt dafür, dass Unternehmen und Kapital nicht dahin wandern, wo sie am produktivsten sind, sondern dahin, wo die Steuern am niedrigsten sind. So leben auf den British Virgin Islands beispielsweise nur 25.000 Einwohner, gleichzeitig sind dort aber über 800.000 Unternehmen beheimatet.

Und die handeln nicht nur mit Bananen. Ein Großteil unserer Nahrungsmittel, Kleider und Möbel hat die Reise über Steuerparadiese hinter sich. Mit Sicherheit ist beispielsweise der Fernseher aus Taiwan beziehungsweise seine Bauteile auf einer ebenso sonderbaren Route in unsere Elektronikmärkte gereist wie die Bananen aus Honduras. Das trifft auch für viele Programme zu, die er dann zeigt. Wir sind regelrecht von einer Offshore-Welt umhüllt.

Die Organisation der Offshore-Finanzwelt

Weltweit gibt es zwischen 40 und 60 Steuerparadiese beziehungsweise Offshore-Finanzzentren, die sich in vier größere Zonen einteilen lassen:

  • Die europäischen Steuerparadiese
  • Eine britische Zone mit dem Zentrum City of London, die die ganze Welt umspannt
  • Eine Einflusszone mit den USA als Mittelpunkt
  • Steuerparadies-Kuriositäten wie Somalia oder Uruguay, die weniger erfolgreich sind

Zu den europäischen Steuerparadiesen zählt vor allem die Schweiz, wo seit dem 18. Jahrhundert die geheimen Vermögen der europäischen Eliten gehütet werden. Luxemburg hat sich seit 1929 auf bestimmte Offshore-Holdings spezialisiert und zählt heute zu den größten Steueroasen. Auch die Niederlande sind ein bedeutendes europäisches Steuerparadies. Im letzten Jahr flossen rund 20 Billionen Dollar durch niederländische Offshore-Firmen, zwanzigmal mehr als das BIP der Niederlande. Dazu zählen aber auch Österreich, Belgien und eine Reihe von Ministaaten wie Liechtenstein, Monaco, Andorra, Malta oder der türkische Teil von Zypern.

Rund die Hälfte aller Steuerparadiese ist mit der City of London verbunden. Eine engere Zone umfasst die Kronbesitzungen Jersey, Guernsey und die Isle of Man sowie die Cayman Islands, die alle von London aus kontrolliert werden. Zu einer äußeren Zone gehören Steuerparadiese, die sich außerhalb der britischen Kontrolle befinden, aber dennoch enge Verbindungen zur City of London pflegen, beispielsweise Hongkong. In dieser Zone liegt mehr als ein Drittel aller internationalen Bankvermögen. Zählt man die City of London dazu, ist es sogar mehr als die Hälfte

Dieses Netz von Offshore-Satelliten übernimmt mehrere Funktionen: Erstens verschafft es der City einen globalen Einflussbereich, verteilt auf die weltweiten Zeitzonen ködern die britischen Steueroasen mobiles internationales Kapital. Ein Großteil des Geldes und die Geschäfte, die damit durchgeführt werden, werden anschließend nach London weitergeleitet.

Zweitens ermöglicht es das Netz der City, sich an Geschäften zu beteiligen, die in Großbritannien verboten sind. Nach dem Motto „Jersey or jail“ (Jersey oder Gefängnis) geht derjenige, der schmutzige Geschäfte plant, aber nicht erwischt werden will, einfach in eine angeschlossene Steueroase und wird dort tätig. Gibraltar etwa war für Londoner Banker viele Jahre der Ort für richtig krumme Touren.

Dieses Netz von Steueroasen unter britischem Einfluss ist ein perfektes System zur Geldwäsche. Wenn das Geld dann in London ankommt, ist es weißgewaschen. Darüber hinaus dienen die Oasen zur Aufbewahrung. Würde das dort geparkte Offshore-Vermögen direkt nach London fließen, hätte das gravierende Folgen für den britischen Wechselkurs. Und beschweren sich andere Länder über den Missbrauch, der beispielsweise auf Jersey, Guernsey oder auf der Isle of Man stattfindet, verfügen diese über genügend Unabhängigkeit, dass Großbritannien sagen kann: „Dagegen können wir nichts ausrichten.“ Allein in diesen drei Steueroasen liegt nach Schätzungen von Londoner Bankexperten rund eine Billion US-Dollar, ein Großteil davon Steuerfluchtgelder.

Die 14 britischen Überseegebiete sind die letzten Außenposten des Britischen Imperiums. Sie zählen zusammen gerade mal 250.000 Einwohner, aber unter ihnen befinden sich einige der weltweit wichtigsten Steuerparadiese: Die Cayman Islands, Bermuda, die British Virgin Islands, die Turks and Caicos Islands sowie Gibraltar. Die Cayman Islands sind das fünftgrößte Finanzzentrum der Welt: Über 80.000 Unternehmen sind dort eingetragen und drei Viertel aller Hedgefonds mit zwei Billionen Dollar Einlagen haben dort ihren Sitz. Die subtil ausgeübte Macht Großbritanniens sichert das flüchtige globale Kapital ab und stärkt die Offshore-Sektoren der Überseeparadiese. Ein dritter britischer Einflussbereich umfasst Hongkong, Singapur, die Bahamas, Dubai und Irland. Diese Steueroasen sind zwar vollkommen selbständig, aber eng an die City of London angebunden. Gleiches gilt für die kleineren, unbedeutenden Steueroasen Vanuatu, Ghana und Gabun.

Die USA bilden den Anker des dritten Offshore-Systems (siehe Seite 204).

Dieser kurze Ausflug in die Steueroasen-Welt zeigt, dass das Offshore-System nicht aus einer Reihe von unabhängigen Staaten besteht, die ihre Hoheitsrechte geltend machen, um ihre Rechts- und Steuersysteme nach ihren eigenen Wünschen zu gestalten. Vielmehr handelt es sich um netzartig angeordnete Einflusszonen, die von mächtigen Staaten kontrolliert werden – insbesondere von Großbritannien und den USA.

Jedes dieser Netzwerke ist auf das Engste mit den anderen verflochten. So machen beispielsweise reiche US-Personen und -Gesellschaften vom britischen Netz ausgiebig Gebrauch: Bevor Enron Anfang 2004 pleiteging, unterhielt das Unternehmen 881 Offshore-Töchter, darunter 692 auf den Cayman Islands, 119 auf den Turks and Caicos Islands, 43 auf Mauritius und acht auf Bermuda. Die News Corporation hatte 2009 152 Offshore-Gesellschaften, davon 62 auf den British Virgin Islands, 33 auf den Cayman Islands und 21 in Hongkong. Alle in der britischen Einflusszone. Der Finanzdienstleister Citigroup unterhielt 427 Zweigunternehmen in Steuerparadiesen, darunter 91 in Luxemburg und 90 auf den Cayman Islands.

Niederlassungen und Zweckgesellschaften auf den Caymans unterhält aber auch die Deutsche Bank – mehr als am Konzernsitz Frankfurt. Insgesamt hat die Deutsche Bank nach einer Attac-Recherche 51,35 Prozent ihrer Tochter- und Zweckgesellschaften sowie assoziierten Unternehmen in Steuerparadiesen angesiedelt. Es folgen die mittlerweile ebenfalls zur Deutschen Bank gehörende Postbank (22,33 Prozent) und die zu großen Teilen im Bundesbesitz befindliche Commerzbank (23,43 Prozent). Mit ihren Niederlassungen an Schattenfinanzplätzen entziehen die Banken dem deutschen Fiskus Steuern in Milliardenhöhe.

Seit der Finanzkrise 2008 konnten die Regierungen reicher OECD-Länder die Öffentlichkeit recht erfolgreich davon überzeugen, dass sie gegen Steuerparadiese hart durchgreifen. „Mit dem alten Modell der Geheimhaltung ist es vorbei. Wir leben in einer neuen Welt, mit größerer Transparenz und besserer Zusammenarbeit. Steuerparadiese und Bankgeheimnis sind erledigt“, ließ der französische Präsident Nicolas Sarkozy 2010 im Nachgang zum G-20-Gipfel verlauten. Aber die Wächter des weltweiten Offshore-Systems sind viele OECD-Staaten, insbesondere Großbritannien, die USA und mehrere große europäische Steueroasen.

Was das Offshore-System für die Wirtschaftswelt bedeutet

Bei fast jedem bedeutenden ökonomischen Ereignis oder Prozess der letzten Jahrzehnte spielte das Offshore-System hinter den Kulissen eine Rolle, in vielen Fällen stand es im Mittelpunkt des Geschehens. So lässt sich beispielsweise ohne Offshore die Armut in Afrika kaum erklären. In jedem Fall von groß angelegter Korruption und Unterwanderung von Regierungen durch kriminelle Interessengruppen kommt den Verdunkelungsoasen eine zentrale Funktion zu. Fast jeder Versuch seit den 1980er-Jahren, umfangreiche Kapitalströme in Entwicklungsländer zu leiten, endete wegen des Offshore-Systems mit einer Krise. Massive Ungleichheit in Europa, den USA sowie in Niedrigeinkommensländern lässt sich nur verstehen, wenn Steuerparadiese in die Rechnung einbezogen werden:

  • So hat sich beispielsweise die systematische Plünderung der ehemaligen Sowjetunion zum großen Teil in London und seinen Offshore-Satelliten abgespielt.
  • Die politische Macht Saddam Husseins hatte bedeutende Stützen in der Offshore-Welt.
  • Der einzigartige Einfluss, den der ehemalige Premierminister Silvio Berlusconi auf die Politik Italiens ausgeübt hat, war weitgehend eine Offshore-Geschichte.
  • Im Zentrum des Elf-Systems, das die mächtigen französischen Eliten vor der Demokratie schützte, standen Verdunklungsoasen.
  • Betrüger, die mit sogenannten Pump-and-dump-Tricks den Kurs bestimmter Aktien künstlich in die Höhe treiben und diese Wertpapiere dann der ahnungslosen Öffentlichkeit andrehen, verstecken sich immer hinter Offshore-Konstruktionen.
  • Waffenschmuggel an Terrororganisationen oder die Expansion der Mafiaimperien – immer sind Offshore-Plätze involviert.
  • Der Drogenhandel allein generiert einen weltweiten Absatz von über 500 Milliarden Dollar jährlich, abgewickelt über Steuerparadiese hauptsächlich in der Karibik. Von dort fließt der Gewinn der Bosse ins Bankensystem und in die Vermögensmärkte. In einen Koffer passen maximal eine Million Euro – ohne das Offshore-System und seine Transfermöglichkeiten bei der Geldwäsche wäre der illegale Drogenhandel heute eine Hausindustrie.
  • Der Aufstieg von Private-Equity-Firmen und Hedgefonds? Offshore.
  • Die Firmenskandale der Bank of Credit and Commerce International (BCCI), von Enron, Parmalat, Long Term Capital Management, Lehman Brothers, AIG? Offshore.
  • Viele multinationale Konzerne hätten ohne Steuerparadiese nie so groß und mächtig werden können. Goldman Sachs beispielsweise ist durch und durch ein Offshore-Produkt.
  • Jede bedeutende Finanzkatastrophe seit den 1970er-Jahren, auch die jüngste Finanzkrise, ist eine Offshore-Geschichte.
  • Steuerparadiese spielten eine zentrale Rolle beim Zusammenbruch der Herstellungsindustrie in vielen Industrieländern und bei der zunehmenden Verschuldung unserer Volkswirtschaften seit den 1970er-Jahren.

Dabei sind Steueroasen und Offshore-Finanzzentren nie die ganze Story. Denn Offshore existiert immer nur in Verbindung zu etwas, was anderswo geschieht. Deshalb heißt es „Offshore“.

Ohne ein Verständnis des Offshore-Systems lässt sich die Geschichte unserer modernen Welt nicht begreifen. Drogen sind nur ein Bruchteil des Offshore-Geschäfts, illegale Gelder, hinterzogene Steuern und das Verschwindenlassen von Geschäften aus Unternehmensbilanzen kommen hinzu. In der Offshore-Welt gibt es keine Regeln, wie Geschäftsbücher geführt werden müssen. Offshore ist wie ein Salon, in dem Bilanzen frisiert werden.

Wettbewerb in der Offshore-Welt

Innerhalb des Offshore-Systems kämpft jedes Steuerparadies, um gegenüber den anderen nicht ins Hintertreffen zu geraten. Wenn ein Steuerparadies die Steuern senkt, die Finanzregulierung lockert oder neue Geheimhaltungspraktiken ausheckt, um heißes Geld aus einem anderen Gebiet anzulocken, tun es ihm die anderen gleich. Nur so bleiben sie im Rennen. Unterdessen haben auch immer mehr Onshore-Länder Merkmale von Offshore angenommen: In den großen Volkswirtschaften wird die Steuerlast verschoben, und zwar weg vom mobilen Kapital und multinationalen Unternehmen hin zu den normalen Bürgern.

Häufig nehmen Steuerparadiese auch größere Volkswirtschaften ins Visier, vielfach solche, die in unmittelbarer Nähe liegen:

  • Banken und Vermögensverwalter in der Schweiz konzentrieren sich meist auf reiche Steuerflüchtlinge aus Deutschland, Frankreich und Italien.
  • Liechtenstein richtet sich an Steuerflüchtlinge aus Deutschland, Italien und der Schweiz.
  • Monaco versorgt in erster Linie die französischen Eliten.
  • Andorra ist Anziehungspunkt für reiche Franzosen und Spanier.
  • Malta wickelt illegale Finanztransfers aus Nordafrika ab.
  • Schmutziges Geld aus Russland wird über Zypern, Gibraltar und Nauru gewaschen.
  • Reiche Amerikaner und US-Konzerne bevorzugen Panama und die Steueroasen in der Karibik.
  • Neureiche Chinesen setzen auf Hongkong, Singapur und Macau.
  • Ein Großteil der ausländischen Investitionen nach China macht den Umweg über die British Virgin Islands.
  • Ausländische Investitionen nach und Geschäfte mit Indien werden in der Regel über Mauritius abgewickelt.
  • Vermögende Australier verschieben ihr Geld vielfach in pazifische Oasen wie Vanuatu.

Einige Gebiete präsentieren sich als Durchgangsparadiese („conduit havens“), in denen Identität und Eigenschaften von Vermögenswerten verändert werden, bevor sie weitergeleitet werden. Die Niederlande sind beispielsweise ein bedeutendes Durchgangsparadies. Eine anderes ist Mauritius. Von hier fließen über 40 Prozent aller Auslandsinvestitionen nach Indien. Darüber hinaus spezialisiert sich die Insel darauf, chinesische Investitionen in den afrikanischen Rohstoffsektor zu kanalisieren.

Salamitaktik für mehr Intransparenz und Komplexität

Offshore-Strukturen arbeiten mit einem Trick, der im Englischen als „Laddering“ bezeichnet wird und im Deutschen mit „Salamitaktik“ übersetzt werden kann. Diese Taktik vertieft die Intransparenz und die Komplexität des Ganzen. Nehmen wir an, ein mexikanischer Drogenbaron bunkert 20 Millionen Dollar auf einem Bankkonto in Panama. Das Konto läuft nicht unter seinem Namen, sondern unter dem eines Trusts auf den Bahamas. Der Treuhänder hat seinen Sitz auf Guernsey, als Begünstigte wird eine Gesellschaft in Wyoming angegeben. Auch wenn Steuerfahnder die Namen der „Chefs“ dieses Unternehmens herausfinden und sogar Kopien ihrer Ausweise in die Hände bekommen, bringt sie das nicht weiter: Diese Direktoren sind professionelle Strohmänner, die Hunderte solcher Unternehmen leiten.

Auch wenn sie diese Schranke durchbrechen, werden die Fahnder feststellen, dass das Unternehmen einem Trust auf den Turks and Caicos Islands gehört, und dass es sogar eine „Fluchtklausel“ gibt: Sobald auffällt, dass eine Ermittlung läuft, huscht die Struktur in ein anderes Offshore-Finanzzentrum. Und selbst wenn eine Steueroase mit den Ermittlern kooperiert, kann sie den Prozess über Monate oder Jahre hinauszögern. Wird die Gesellschaft dann endlich dichtgemacht, sind die Vermögenswerte längst verschwunden.

Hongkong hat beispielsweise gerade ein Gesetz verabschiedet, dass die Gründung und Registrierung neuer Unternehmen innerhalb weniger Minuten ermöglicht. Selbst wenn Teile der Offshore-Struktur sichtbar werden, verhindert „Laddering“, dass das ganze Gebilde ans Tageslicht kommt. Doch wenn man nicht alles sieht, versteht man die Zusammenhänge nicht. Die Aktivitäten im Offshore-System spielen sich daher nie in einer bestimmten Gebietskörperschaft ab, sondern zwischen den Gebieten. Dabei wird „anderswo“ auch mal zu „nirgendwo“.

In dieser Welt ohne Regeln werden die Hälfte aller Bankgeschäfte und ein Drittel aller Auslandsinvestitionen weltweit abgewickelt. Reiche halten nach Schätzungen des Tax Justice Network rund 14 Billionen Dollar an Vermögen offshore. Aber das sind nur die hinterzogenen Steuergelder der Reichen. Rechnet man alle falsch gesetzten Preise der internationalen Konzerne hinzu, bekommt man eine Vorstellung davon, wie groß die illegalen grenzüberschreitenden Geldflüsse tatsächlich sind. Eine Studie von Raymond Bakers Initiative Global Financial Integrity am Center for International Policy in Washington kam Anfang 2011 zu dem Ergebnis, dass den Entwicklungsländern durch diese Transfers jährlich 1,2 Billionen Dollar entgehen.

Und die Entwicklungsländer haben noch ein Problem: Wenn sich ein Steuerparadies neue Möglichkeiten ausdenkt, wie sich Reiche und Unternehmen der Besteuerung entziehen können, treffen Industrieländer in der Regel Gegenmaßnahmen. Sie verbessern ihre Steuer- und Regulierungssysteme, sodass sie vor dem neuen Missbrauch geschützt sind. Entwicklungsländer hingegen, die keinerlei Erfahrung mit der zunehmenden Komplexität des Offshore-Systems haben, sind wehrlos, sie gelangen immer weiter ins Hintertreffen.

Doch Steuerflucht ist nicht nur für die einkommensschwachen Länder ein Problem. Sie schadet auch den reichen Ländern – sogar jenen, die sich selbst zu Steuerparadiesen entwickelt haben. Für die Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 etwa war das Offshore-System ein wesentlicher Faktor:

  • Erstens ermöglichte es den Finanzkonzernen, sich der Regulierung zu entziehen. Das Umgehen der Finanzaufsicht trug dazu bei, dass Finanzunternehmen explosionsartig wachsen konnten. Sie wurden „too big to fail“. Sie gewannen so viel Macht, dass sie die Regierungen in den Würgegriff nehmen konnten.
  • Zweitens zerstörte es das Finanzsystem von innen: Indem die Offshore-Regionen ihre eigenen Regulierungen immer weiter lockerten, zwangen sie Onshore-Gebiete dazu, in einen Wettbewerb einzutreten. Die betreffenden Länder lockerten ihre Rechtsvorschriften so immer weiter, um sich gegenüber den anderen einen Vorteil zu verschaffen.
  • Drittens hatten illegale grenzüberschreitende Kapitalflüsse einen massiven Nettozufluss in Defizitländern wie den USA und Großbritannien zur Folge. Das hat die makroökonomischen Ungleichgewichte, die der Krise zugrunde lagen, weiter verstärkt.
  • Viertens bewirkten die Anreize im Offshore-System, dass sich Unternehmen viel zu viel Geld liehen – das sie wiederum offshore versteckten.
  • Fünftens schuf die Strategie der Unternehmen, ihre Bankgeschäfte aus Steuer-, Regulierungs- und Geheimhaltungsgründen auf die weltweiten Steueroasen zu verteilen, eine undurchdringliche Komplexität. Zusammen mit der Intransparenz führte dieses verworrene System dazu, dass Aufsichtsbehörden in die Irre geführt wurden und das gegenseitige Misstrauen der Marktakteure sich vertiefte. Und das verschärfte die Finanz- und Bankenkrise weiter.

Vertrauen ist ein zentraler Bestandteil jedes gesunden Wirtschaftssystems. Doch nichts untergräbt Vertrauen so effizient wie das Offshore-System. Es ist kein Zufall, dass so viele Institutionen der Finanzgaunerei – Enron, die Imperien der Betrüger Bernie Madoff und Allen Stanford, der Hedgefonds Long-Term Capital Management, Lehman Brothers, der Versicherer AIG oder der Hypo Real Estate – in der Offshore-Welt so stark verwurzelt waren. Wenn niemand herausfinden kann, wie die Finanzen eines Unternehmens wirklich aussehen, bis sich alles Geld in Luft aufgelöst hat, gedeiht der Schwindel. Und indem sie unseren reichsten Bürgern dabei helfen, sich vor Besteuerung und Finanzregulierung zu drücken, behindern Steueroasen heute alle Bemühungen, die Auswirkungen der Krise finanziell zu bewältigen.

Das Offshore-System hat die Finanzkrise zwar nicht verursacht. Doch es hat die Bedingungen geschaffen, unter denen sie ausbrechen konnte. Und indem Steuerparadiese den Eliten unserer Gesellschaft erlauben, sich den Behörden ihrer Heimatländer zu entziehen, höhlen sie die Regeln, Systeme und Institutionen aus, die für das Allgemeinwohl zuständig sind – und sie höhlen unseren Glauben an diese Regeln aus.

Welt ohne Regeln

Eindrucksvoll belegen lässt sich die Wirksamkeit dieser Mechanismen mit dem Fall der BCCI, der wohl berühmtesten Offshore-Bank. Das Geldhaus war 1972 vom indischstämmigen Banker Agha Hassan Abedi mithilfe von Mitgliedern der saudischen Königsfamilie sowie von Scheich Zayed Bin Sultan Al-Nahyan, dem Herrscher von Abu Dhabi gegründet worden. Die BCCI wuchs atemberaubend schnell, dabei nutzte sie ein einfaches Geschäftsmodell: Die Bank vermittelte nach außen den Eindruck eines seriösen Unternehmens und knüpfte Freundschaften mit mächtigen Leuten. Dann stieg sie in jedes Geschäft ein, das ihr angeboten wurde – egal wo, für wen oder für was. BCCI überhäufte Politiker mit Bestechungsgeldern und arbeitete für einige der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts: für Saddam Hussein, den Terroristenführer Abu Nidal, das kolumbianische Medellin-Drogenkartell und den burmesischen „Opium-König“ Khun Sa.

Die Bank war in den Schmuggel von Nuklearmaterial an Syrien involviert. Ihre Filialen in der Karibik und in Panama wurden von lateinamerikanischen Drogenhändlern benutzt, die Niederlassungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die ein lukratives Offshore-Bankgeschäft betrieben, bedienten den Heroinhandel in Iran, Pakistan und Afghanistan, die Niederlassung in Hongkong bot ihre Dienste den Drogenschmugglern in Laos, Thailand und Burma an.

BCCI drang auch in das US-Bankensystem ein. Dabei ging sie den US-Aufsichtsbehörden aus dem Weg, indem sie ihre Eigentumsverhältnisse über Offshore-Konstruktionen verheimlichte. Der Gründer verteilte seine Bank auf verschiedene Gebietskörperschaften und registrierte die Holdinggesellschaften in Luxemburg und auf den Cayman Islands. Damit bekam kein Aufseher jemals das gesamte Gebilde der Bank zu Gesicht. Auch wurden für die verschiedenen Teile der Bank unterschiedliche Buchprüfer eingestellt. Um die Glaubwürdigkeit der Bank zu unterstreichen, wurde die Bankzentrale in der City of London angesiedelt. Hier war die Regulierung locker, zudem wurden kaum Fragen gestellt.

Im Bankensektor galt damals die Faustregel, dass ein Geldhaus nicht mehr als zehn Prozent seiner Eigenmittel an einen einzelnen Kreditnehmer ausleihen sollte. BCCI hingegen vergab an einige Kunden Darlehen, die mehr als dreimal so groß waren wie ihre Eigenmittel. 1977 straffte die Bank of England die Vorschriften. Um diese zu umgehen, verlagerte BCCI die Vergabe heikler Darlehen auf die Cayman Islands. Die Bank wandte zudem einen waghalsigen, aber einfachen Offshore-Trick an, mit dem sie Eigenkapital – das Fundament jeder Bank – aus dem Nichts herbeizaubern konnte. Dazu vergab die Filiale in Luxemburg einen Kredit an einen BCCI-Aktionär, der dieses Geld in die Bank auf den Cayman Islands investierte und so deren Kapital aufstockte. Die Filiale auf den Cayman Islands lieh ihrerseits Geld an einen anderen Aktionär, der damit das Kapital in Luxemburg aufstockte.

Mit diesem Trick konnte BCCI das Eigenkapital von anfänglich 2,5 Millionen Dollar auf knapp 850 Millionen Dollar im Jahr 1990 erhöhen. Zusätzlich schrieb die Bank so die Schulden der Aktionäre ab. Mithilfe eines Schneeballsystems konnte die Bank noch weiter expandieren: Dazu melkte sie den Pensionsfonds ihrer Angestellten und nahm neue Einlagen an, um damit die anstehenden Ausgaben zu zahlen. Viele der rund 80.000 Einleger kamen aus den Entwicklungsländern. Sie hatten keine Ahnung, dass die angeblich in London ansässige Bank eine reine Fiktion und deshalb ihr Kapital verbrannt war.

Und es gibt noch mehr Beispiele, wie das Offshore-Netz genutzt wird, um Gelder verschwinden zu lassen:

  • Die Periode nach dem Untergang der Sowjetunion, als der Reichtum in Russland nach oben umverteilt wurde, wird manchmal verglichen mit dem Zeitalter der Räuberbarone im Amerika des 19. Jahrhunderts. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied. Den Amerikanern stand kein riesiges Offshore-Netz zur Verfügung, in dem sie ihr Geld verstecken konnten. Aber im Russland des späten 20. Jahrhunderts verschwand das Geld für immer im Offshore-System. Allein über die Banken in der Pazifikoase Vanuatu wurden innerhalb weniger Jahre über 70 Milliarden Dollar gewaschen.
  • Als im afrikanischen Angola Bürgerkrieg herrschte und die Vereinten Nationen über das Land ein internationales Waffenembargo verhängten, erhielten die UNITA-Rebellen über den französischen Ölmulti Elf Waffen für rund 800 Millionen Dollar aus der Slowakei. Das Geld wurde mit angolanischen Ölgeldern zurückbezahlt, die Zahlungen über Genf abgewickelt. „Mit einer Gewinnmarge von 65 Prozent“, wie später französische Untersuchungsrichter feststellten. Abgewickelt über mehrere Steueroasen.
  • Anfang 2010 veröffentlichte Global Financial Integrity in Washington eine Studie über den illegalen Geldabfluss in Afrika. „Zwischen 1970 und 2008 haben die Geldströme – nach konservativer Schätzung – insgesamt rund 854 Milliarden Dollar betragen, und wenn alle Faktoren mit einberechnet werden, könnten es sogar 1,8 Billionen sein.“ Angola beispielsweise verlor nach dieser Studie zwischen 1993 und 2002 „geschätzte 4,68 Milliarden Dollar“. Der gesamte Kapitalabfluss beträgt „über neun Prozent der 51 Milliarden Dollar an Öl- und Diamantenexporten in dieser Zeitspanne. Mehrere Milliarden davon sind über undurchsichtige, ölbesicherte Kredite, außerhalb des Staatsbudgets und vielfach über Londoner Trusts abgewickelt worden und in der Offshore-Zone verschwunden“.

Bei großen Firmenskandalen seit den 1980er-Jahren spielten die Cayman Islands eine zentrale Rolle: Betrügerische Kreditvergaben bei BCCI, Bilanzfälschungen bei dem italienischen Lebensmittelkonzern Parmalat, 692 obskure Offshore-Gesellschaften bei Enron – doch die Drahtzieher, die für die Betrügereien zuständig waren, waren der Londoner City häufig näher als den Cayman Islands. So funktioniert das Offshore-System.

Die Offshore-Strukturen nutzen immer Bürgern, Unternehmen und Institutionen, die sich an einem anderen Ort befinden. Die Nutznießer von Offshore-Aktivitäten sitzen also in der Regel nicht in den Steuerparadiesen, sondern anderswo – deswegen heißt es offshore. Aber erst das Offshore-System dort ermöglicht ihnen den Betrug.

Die Basis für Steuerbetrug

Die Zahlen der Global Financial Integrity (GFI) ergänzen die Statistik über das globale Ausmaß der illegalen Finanzströme. Entwicklungsländern entgehen auf diese Weise jährlich bis zu eine Billion Dollar. Mit anderen Worten: Auf jeden Dollar ausländischer Entwicklungshilfe kommen zehn Dollar an illegalen Geldabflüssen. In der Regel in Steuerparadiese.

Gleichzeitig arbeitet die Offshore-Industrie darauf hin, die Gesetzgeber kleinerer Steuerparadiese in Beschlag zu nehmen, um das globale System illegalen Geldes zu perfektionieren. Die Eckpunkte ihres Vorgehens:

  • Reichtum wird aus den Quellenländern abgezogen.
  • Volkswirtschaften, die zunehmend Merkmale von Steueroasen aufweisen, nehmen das Geld in Empfang.
  • Offshore-Zwischenstationen wickeln den Transfer ab.

Indem das Private Banking beziehungsweise das Wealth-Management der Finanzindustrie in den reichen Industrieländern alle drei Bereiche kontrollierte, wurde es zu einer der profitabelsten Branchen in der Geschichte der Finanzwelt. Der Aufstieg der Schweizer Banken in den letzten drei Jahrzehnten dokumentiert das eindrucksvoll.

Die vermehrte Kreditvergabe an Drittweltländer in den 1970er- und 1980er-Jahren bildete die Grundlage eines globalen Netzes von Steuerparadiesen. Nach Berechnungen von James Henry, dem früheren Chefökonomen der Unternehmensberatung McKinsey, floss „mindestens die Hälfte des Geldes, das die größten Schuldnerländer als Kredit aufnahmen, unter dem Tisch zurück. Meist innerhalb weniger Wochen. Ab den frühen 1990er-Jahren war in Europa und den USA annähernd so viel Fluchtkapital vorhanden, dass damit die gesamten Schulden der Entwicklungsländer hätten bedient werden können – wenn man auf die Erträge dieser Vermögen nur eine bescheidene Steuer erhoben hätte. In einigen Ländern wie Mexiko, Argentinien und Venezuela überstieg das illegale Offshore-Vermögen der Eliten die öffentlichen Schulden um ein Vielfaches“ (Oxfam-Studie, 2009).

Heute besitzt das eine reichste Prozent der Haushalte in Entwicklungsländern geschätzte 70 bis 90 Prozent des gesamten privaten Finanz- und Immobilienvermögens. Die Boston Consulting Group ging 2003 in einer Studie davon aus, dass „mehr als die Hälfte des Reichtums der wohlhabendsten Lateinamerikaner in der Offshore-Zone liegt“. Das Problem dieser Länder war somit nicht, kein Vermögen zu haben. Das Problem war, dass es in Miami lag.

1982 hielt der mexikanische Präsident José López Portillo eine Rede vor dem Parlament, in der er über die Herausforderungen sprach, vor denen das Land stand. „Die Finanzplage richtet in der ganzen Welt immer größeren Schaden an. Ihre Folgen sind Arbeitslosigkeit, Armut, einbrechende Industrien und Bereicherung durch Spekulation.“ Er machte eine Gruppe von Mexikanern verantwortlich, die „angeführt, beraten und unterstützt werden von den Privatbanken, die mehr Geld aus dem Land getragen haben als die Kolonialreiche“. Portillo wollte nach der Rede die Banken verstaatlichen und Devisenkontrollen einführen. Doch innerhalb zehn Tagen zwang ihn eine Allianz aus Bankern, Geschäftsleuten und konservativen Mexikanern, den Rückzug anzutreten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) schenkten der Kapitalflucht aus dem Land keine Beachtung und befahlen Mexiko und anderen südamerikanischen Schuldnerländern: „Bringt eure Staatsfinanzen in Ordnung.“

Als Folge wurden Milliarden Dollaranleihen auf den Markt geworfen. Um Käufer zu finden, waren diese mit saftigen Risikoprämien gekoppelt. Für argentinische und brasilianische Dollaranleihen bedeutete das Renditen von knapp 45 Prozent und für mexikanische Anleihen 25 Prozent. Die größten Anleger waren politische Insider, die in Staatsschuldenfonds mit Sitz in Steueroasen der Karibik investierten. Und die wussten, dass ihre Zentralbanken ihre Dollarschulden trotz der hohen Risikoprämien bezahlen würden. Die größten Nutznießer des Schuldendienstes waren also nicht Anleiheninhaber in Nordamerika und Europa, sondern die lokalen südamerikanischen Oligarchen mit ihren Offshore-Konten, vor allem auf den Niederländischen Antillen.

Während das Offshore-Problem für Südamerika aus Sicht von Ökonomen ein lokales war, stellte der IWF in einem Bericht zur asiatischen Finanzkrise fest: „Offshore-Banking war fast sicher ein Faktor in der asiatischen Finanzkrise. Es müssen deshalb Anstrengungen unternommen werden, um aufstrebenden Volkswirtschaften zu helfen, Finanzkrisen durch international anerkannte Aufsichtsnormen vorzubeugen.“ Doch das Offshore-System schafft ständig neue Anreize zu illegalen Geschäften und hilft den lokalen Eliten dabei, sich über das Gesetz zu stellen. Damit macht es jede Möglichkeit zunichte, die Regulierung und Überwachung einzuführen, die nötig ist, um diese Länder vor dem Offshore-System zu schützen.

Offshore-Gesellschaften im unternehmerischen Einsatz

Die Regierungen wissen, dass steuerliche Überlegungen die Investitionsentscheidungen der Unternehmen zugunsten eines Landes oder einer Region beeinflussen. Sie wissen aber auch, dass die wirtschaftlichen Kosten von speziellen Steuervergünstigungen und -anreizen selten das Ergebnis rechtfertigen. Die hohen Kosten setzen sich aus entgangenen Steuereinnahmen und einer nicht nachhaltigen Entwicklung zusammen, da die Ressourcen nicht sinnvoll genutzt werden. Auf lange Sicht erhoffen sich Subventionsgeber vor allem neue Arbeitsplätze als Nutzen. Irland ist bestes Beispiel dafür. Mit einem Steuersatz von zunächst zehn und heute 12,5 Prozent für Unternehmen konnten Tausende Unternehmen aus dem Ausland angelockt, Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen und die massive Abwanderung der Einwohner gestoppt werden. Heute haben die Iren – trotz Finanz- und Wirtschaftskrise – mit rund 37.000 Euro das dritthöchste BIP pro Kopf innerhalb der EU.

Damit Unternehmen das jeweilige nationale Steuersystem bestmöglich nutzen können, stehen ihnen in der Offshore-Welt in der Regel auch spezielle gesellschaftsrechtliche Konstruktionen zur Verfügung. In Liechtenstein ist es beispielsweise die Anstalt, in der Schweiz die Aktiengesellschaft, im anglikanischen Raum sind es vor allem Holdingstrukturen. Ein Großteil des weltweiten Offshore-Geschäfts wird über Holdinggesellschaften ausgeführt.

Unternehmen können über Holdings im Heimatland Steuern sparen, indem sie unter anderem Vermögenswerte auf eine von ihnen kontrollierte Holding übertragen. Diese erzielt dann die Einnahmen aus den entsprechenden Werten (Anlagen, Darlehen, Patente etc.). Geeignet für Holdings sind Länder, die solche Einkünfte aus ausländischen Quellen generell nicht oder nur gering besteuern, sowie Länder, die bestimmten Unternehmen Steuervorteile einräumen, sofern diese keine typischen Industrie- oder Handelsgeschäfte tätigen. Das Einkommen bleibt steuerfrei, solange es die Holding nicht ausschüttet.

Meist fungieren Holdings als „Drehscheibe“. Sie reinvestieren das Kapital so, dass es seinerseits steuerfreie Erträge abwirft. Auf diesem Prinzip basieren auch die Offshore-Banken. Zudem können sie das Kapital der Muttergesellschaft als Kredit – also ohne die formelle Ausschüttung als Dividende – bereitstellen. Dann profitiert der „Kreditnehmer“ noch mehr, er kann die an die Holding gezahlten Zinsen in der Heimat vom steuerpflichtigen Einkommen absetzen.

Selbst wenn die Holding das Einkommen ausschüttet, ist die Besteuerung beim Empfänger nicht gewährleistet, wenn es keine Quellensteuer gibt. Denn Länder, die Holdings steuerlich besonders schützen, geben ausländischen Steuerbehörden darüber häufig keine Auskunft.

Welche Gesellschaftsform für unternehmerische Offshore-Aktivitäten auch immer gewählt wird, sie sollte die Anonymität ihres tatsächlichen Eigentümers sicherstellen und seine Haftung ausschließen. Damit sind Personengesellschaften, KGs oder OHGs als Offshore-Rechtsform von vornherein ungeeignet. Auch sollten juristische Konstruktionen vermieden werden, die international nur wenig Akzeptanz finden – etwa die Anstalt in Liechtenstein. Was bleibt, sind AG-ähnliche Gesellschaften und AG-ähnliche Limited Companies. Welche Gesellschaftsform sich im Einzelfall anbietet, ist abhängig

  • vom Zweck und Ziel einer Unternehmung,
  • vom Recht der jeweiligen Steueroase sowie
  • dem Recht des Landes, in dem die Gesellschaft aktiv werden soll.

Alle Offshore-Gesellschaftsformen profitieren neben steuerlichen Vergünstigungen davon, dass die Offshore-Länder, in denen sie ihren Sitz haben, ausländischen Behörden in der Regel keine Auskünfte über sie erteilen. So lassen sich bestehende Doppelbesteuerungs- und Informationsaustauschabkommen umgehen. Ein weiterer Vorteil ist, dass Offshore-Gesellschaften schnell, komplikationslos und relativ preisgünstig auch vom Ausland aus gegründet werden können.

Ein Großteil des weltweiten Offshore-Geschäfts wird über Holding-Gesellschaften abgewickelt. Die lassen sich nach einem Bericht der EU-Kommission unter anderem für folgende Aktivitäten einsetzen:

  • Kontrolle von Industrie- und Handelsunternehmen durch Anteilsmehrheiten
  • Kreditfinanzierung für Tochtergesellschaften
  • Sammelstelle von Dividenden, Kreditzinsen sowie Lizenz- und Patenthonoraren
  • Halten von Lizenz-, Marken- und Patentrechten
  • Steuerung von Investmentfonds

Holdings eignen sich vor allem in Steueroasen, die Einkommen sowie Einkünfte aus Fremdquellen nicht oder nur gering besteuern und bei bestimmten Aktivitäten Steuervorteile gewähren. Darüber hinaus werden Holdings als Drehscheibe eingesetzt, um Finanzmittel zu reinvestieren, die dann ihrerseits steuerfreie Erträge abwerfen sollen. Oder man setzt sie zur „Kreditgewährung“ ein, dabei werden die Erträge der Holding dem Inhaber nicht in Form einer Dividende, sondern als „Kredit“ ausgeschüttet. Dieses Modell bietet dem „Kreditnehmer“ den zusätzlichen Vorteil, dass er an die Holding gezahlte Zinsen in der Heimat steuerlich absetzen kann.

Holdings eignen sich, um weltweit Darlehen aufzunehmen. Auf dem Markt internationaler Schuldverschreibungen wurden anfänglich hauptsächlich Bonds gehandelt. Dafür waren Länder mit einem günstigen Steuer- und Gesellschaftsrecht gefragt, die als Emissionsbasis dienen können. Wichtig ist bis heute, dass sie – unabhängig vom Sitz des Inhabers – keine Quellensteuer auf Zinsen und auch nicht auf Dividenden erheben, denn sonst wird von den Zinszahlungen an die Bondkäufer Quellensteuer einbehalten.

Als Emissionsländer beliebt sind die Cayman Islands, Irland, Großbritannien und die USA. Luxemburg musste das Holdinggesetz mit den Vergünstigungen für Unternehmer auf Druck der EU für die 14.000 registrierten Gesellschaften Ende 2010 abschaffen. Neu gegründete Holdings profitieren nur noch von der Nullsteuer in Luxemburg, wenn sie im Bereich privater Vermögensverwaltung tätig sind.

Als Holdingsitz attraktiv sind auch die Schweiz, Dänemark und die Niederlande. Holländische Holdings profitieren von den zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen, die ihr Land abgeschlossen hat. Diese Abkommen sorgen für niedrige Quellensteuern auf Dividenden, die eine Holding von Tochtergesellschaften aus dem Ausland erhält. Häufig fällt sogar überhaupt keine Quellensteuer an, gerade bei Beteiligungen in anderen EU-Staaten. Zudem sind die Gewinne in den Niederlanden in der Regel steuerfrei. Bedingung dafür ist ein mindestens fünfprozentiger Anteil der Holding an der jeweiligen Tochtergesellschaft. Ähnlich vorteilhafte Rahmenbedingungen für Holdings bietet Dänemark.

Ein besonderer Reiz für Unternehmen liegt darin, Lizenz-, Patent- und Markenrechtseinnahmen durch Steuerparadiese zu schleusen. Oberstes Gebot dabei: die genaue Kenntnis des Netzwerks aus Doppelbesteuerungsabkommen zwischen verschiedenen Ländern. Wichtig ist auch, wie die einzelnen Abkommen den Quellensteuersatz begrenzen, den ein Land erheben kann, wenn ein Empfänger in einem anderen Land Tantiemen erhält.

Diese Kenntnisse vorausgesetzt, kann man entsprechende Einnahmen, die im Land A entstehen, durch Land B schleusen, um sie von dort nach Land C zu transferieren. Erhebt Land A hohe Quellensteuern auf Zahlungen an Land C, jedoch geringe Steuern auf Zahlungen an Land B, kann dieser Umweg geldwert sein. Das System funktioniert allerdings nur mit einer Zwischengesellschaft. Um der Körperschaftsteuer zu entgehen, muss diese die Tantiemen an ein steuerbefreites Unternehmen überweisen, sie selbst darf keiner Quellensteuer unterliegen.

Für Leasingunternehmen lohnt es sich, eine Zwischenholding in einem Steuerparadies zu gründen, die die Leasingraten zum Beispiel für Geräte oder Autos, die Unternehmen in Drittländern leasen, einnimmt. In der Regel werden dann keine Quellensteuern auf Dividendenzahlungen in das Heimatland der Muttergesellschaft erhoben. Auf die vom Leasingnehmer gezahlten Raten in der Heimat sind niedrige Quellensteuern fällig und die Holding muss ihre Gewinne ebenfalls nur niedrig oder überhaupt nicht besteuern. Der Netto-Überschuss kann quellensteuerfrei in Form von Dividenden in die Heimat zurückfließen. Für Leasing-Holdings sind die Niederländischen Antillen, Jersey, die Schweiz und Barbados bevorzugte Standorte.

Offshore-Fonds in der Gesellschaftsform der Holding bieten Anlegern, die in Hochsteuerländern leben, zahlreiche Vorteile. Wird ein Fonds in einem klassischen Steuerparadies gegründet, bleiben seine Veräußerungsgewinne im Rahmen der Vermögensumschichtung steuerfrei. Steuern fallen für Anleger erst an, wenn sie die Offshore-Anlage verkaufen. Die Steuerbelastung wird also auf später verschoben. Über mehrere Jahre kann die kumulierte Ersparnis aus der Reinvestition steuerfreier Gewinne beträchtlich sein. Ist der Investor dann in Ruhestand und in eine niedrigere Steuerklasse eingestuft, werden beim Anteilsverkauf noch mehr Steuern gespart.

Attraktiv können Investitionen in einen Fonds auch für Auswanderer sein. Manche Länder fordern unabhängig vom Wohnsitz des Erblassers Erbschaftsteuer auf inländisches Vermögen. Wer daher in ein Land ohne Erbschaftsteuer zieht, kann mit Offshore-Fonds Steuerforderungen aus der Heimat vermeiden.

Ein weiterer Vorteil von Offshore-Fonds ist die Geheimhaltung. Für Vermögende, die sicher im Ausland liegende Vermögensteile vor Gläubigern, geschiedenen Ehepartnern, ehemaligen Mitarbeitern oder dem Finanzamt verbergen wollen, bieten Offshore-Fonds sichere Verstecke. Erstens bleibt das Anlegerverzeichnis geheim. Zweitens haben Offshore-Zentren wie die Bahamas, die Bermudas, die Cayman-Islands oder Hongkong oft keine oder nur wenige Doppelbesteuerungsabkommen und geben daher keine Informationen an ausländische Steuerbehörden weiter.

Offshore-Fonds eignen sich vor allem für Expatriates. Dazu gehören die weltweit arbeitenden Angestellten internationaler Konzerne, die in der Regel hohe Einkommen zuzüglich Bonuszahlungen bekommen, oder Freiberufler, die hohe Honorare in Ländern erhalten, in denen es nur wenige Möglichkeiten gibt, Geld auszugeben. Für Auslandsbeschäftigte eignen sich Offshore-Fonds, um Kapital zu akkumulieren, ohne sich groß um die örtliche Steuer auf Einkommen oder Kapitalerträge kümmern zu müssen. Setzen sie sich später zur Ruhe, wird die Steuerplanung für sie einfach.

Die Folgen der Doppelbesteuerung

In der Offshore-Welt besteht auch ein systemisches Problem: Es geht um die Doppelbesteuerungsabkommen, die fest in der globalen Wirtschaft verankert sind und Entwicklungsländer noch stärker benachteiligen. Das Offshore-System, das mit seinen Dienstleistungen eine doppelte Nichtbesteuerung (siehe Seite 206) ermöglicht, bringt die anderen beteiligten Länder ganz legal um ihre Steuergelder.

Weltweit sind aktuell über 3.000 Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen, hier sind große Summen im Spiel. Allein durch die Durchgangsoase Niederlande flossen im vergangenen Jahr knapp 20 Billionen Dollar. Für die Entwicklungsländer geht es dabei um Steuereinnahmen von Dutzenden oder sogar Hunderten Milliarden Dollar. Das stellt die Entwicklungshilfe weit in den Schatten. Und es betrifft nur die legalen Geschäfte.

Mithilfe von Steuerparadiesen lässt sich teilweise erklären, weshalb internationale Investitionsflüsse häufig so merkwürdig verlaufen: Die zwei größten Quellen ausländischer Investitionen in China im Jahr 2007 waren nicht Japan oder die USA, sondern Hongkong und die British Virgin Islands. Ähnlich verhält es sich in Indien: Hier war die größte Quelle ausländischer Investitionen (über 43 Prozent) die Vertragsoase Mauritius. Die Insel im Indischen Ozean hat rund 50 Steuerabkommen mit großen Volkswirtschaften in Asien, Europa und Afrika geschlossen.

Mauritius kanalisiert aber nicht nur ausländische Investitionen, die in Länder wie Indien fließen. Es bietet auch eine andere Offshore-Aktivität an, die als „Round Tripping“ bezeichnet wird: Ein indischer Geschäftsmann überweist beispielsweise sein Geld nach Mauritius, um es in einer Offshore-Gesellschaft anzulegen, als ausländische Investition auszugeben und dann zurück nach Indien zu schicken. So kann er die indische Steuer auf lokalen Gewinn umgehen und zudem die Geheimhaltung für seine Geschäfte nutzen.

Trotz des Schadens, den die Doppelbesteuerungsabkommen anrichten, machen sich die lokalen Eliten für sie stark. Dabei ist beispielsweise der Vertrag zwischen Indien und Mauritius reines Treaty-Shopping. So wie beispielsweise auch beim Doppelbesteuerungsabkommen der USA mit Bermuda, einem Land, das als Steueroase über kein Steuersystem verfügt. Beim Treaty-Shopping verschafft sich ein Steuerpflichtiger die Vorteile eines Doppelbesteuerungsabkommens – obwohl er in dem betreffenden Vertragsstaat gar nicht ansässig ist. Das geschieht regelmäßig, indem eine Kapitalgesellschaft zwischengeschaltet wird. Länder machen aus politischen Gründen manchmal komische Dinge, rational lässt sich das nicht nachvollziehen.

Die Rolle der Banken in der Offshore-Zone

Offshore-Banken sind nicht an dem Ort präsent, an dem sie eingetragen sind. So können sie sich der Aufsicht entziehen. In der Regel wird eine Offshore-Bank über einen Vertreter in einem Steuerparadies verwaltet – beispielsweise von einer bekannten internationalen Finanzadresse mit seriösem Namen aus. Dabei übernimmt die international aufgestellte Bank jedoch keine Verantwortung für die Briefkastenbank. Sie weiß in der Regel gar nicht, welche Geschäfte die Offshore-Bank überhaupt macht – und die tut Dinge, von denen seriöse Geldinstitute normalerweise die Finger lassen. Außer dem Inhaber weiß niemand, wo sich die Offshore-Bank tatsächlich befindet, wie sie arbeitet oder wer ihre Kunden sind. Sie wird von keiner Aufsichtsbehörde überwacht.

Offshore-Banken wurden beispielsweise in den 1980er- und 1990er-Jahren auf den Bahamas für wenige Tausend Dollar angeboten. Geworben wurde mit Schlagwörtern wie:

  • „Keine aufdringlichen Hintergrundprüfungen“
  • „Europäische Gebietskörperschaft“
  • „Schnelle Eintragung“

Die Namen der Offshore-Banken fand man dann häufig auf Messingschildern in den Empfangshallen internationaler Finanzhäuser in der Hauptstadt Nassau. Ein Schlupfloch im bahamaischen Gesetz erlaubte es solchen Institutionen, auf die sorgfältige Überprüfung eines Kunden zu verzichten, wenn der Kunde von einer Bank in einer anderen Gebietskörperschaft vermittelt wurde, in der die Gesetze als angemessen galten.

Wenig überraschend gingen immer wieder Offshore-Banken pleite. Hatten Anleger aus Europa oder Südamerika dann ihr Geld verloren, half es nichts, in ein Flugzeug zu steigen und auf den Bahamas nach dem Geld zu suchen. Es gab dort keins, das Geld war nie auf den Bahamas gewesen.

Erst mit den Anschlägen vom 11.9.2001 veranlassten die USA, rechtlich gegen Offshore-Banken vorzugehen. Seitdem müssen Banken auf den Bahamas und in vielen anderen Steuerparadiesen eine „angemessene Geschäftstätigkeit“ nachweisen. Das heißt: ein Zimmer in einem Gebäude mit zwei Leuten drin – so sieht heute an vielen Offshore-Finanzplätzen eine Bank aus. Die dient in der Regel lediglich dazu, Kundengelder zu parken oder durchzuschleusen und garantiert einen zusätzlichen Schleier der Geheimhaltung. Ein wichtiger Geschäftsbereich dieser Banken besteht heute noch darin, Gewinne aus illegalen Geschäften oder Steuerhinterziehung in Empfang zu nehmen und aufzubewahren. Die Geschäfte, die diese Gewinne erbringen, werden aber von London oder der Schweiz aus gemacht und verwaltet.

In der Offshore-Zone ist die Grenze, die zwischen illegalen und legitimen Handlungen unterscheidet, seit den 1970er-Jahren langsam aufgeweicht worden. Ersetzt hat sie ein Vertrauensnetz, das zwischen etablierten und angesehenen Akteuren auf der einen Seite sowie unbekannten und dubiosen auf der anderen Seite unterscheidet. Personen oder Unternehmen, die Geld waschen oder zu möglichst geringen Steuersätzen anlegen wollen, müssen sich darauf verlassen können, dass sie mit Leuten Geschäfte machen, denen moralische Skrupel fremd sind. Wenn Banken jemanden nicht kennen, müssen sie heute klare Regelungen treffen. Bei langjährigen und vertrauenswürdigen Kunden fallen diese häufig weg. Die auf Vertrauensverhältnissen aufbauenden Beziehungsgeflechte garantieren die Sicherheit für vermögende Kunden der Banken. Und die Manager der Banken sind Teil eines Kreises von Freunden und Geschäftspartnern, die unter sich bleiben und sich gegenseitig Geschäfte zuschieben.

Die Offshore-Finanzzentren und die Finanzkrise

Lange bevor es zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 kam, hatten Experten gewarnt, dass von Offshore-Finanzzentren systemische Gefahren ausgingen, die auf einer exzessiven Verschuldung beruhten. Denn bei Offshore-Banken ist die Fremdfinanzierung in der Regel hoch. Sie sind somit im Ernstfall weniger liquide als Onshore-Banken. So riss 1998 beispielsweise der Zusammenbruch des Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM), eine klassische Offshore-Struktur, mit seiner Milliardenpleite das US-Bankensystem fast in den Abgrund. Der Fonds mit Managementsitz im US-Bundesstaat Connecticut war in Delaware registriert und verwaltete seine Unterfonds auf den Cayman Islands.

LCTM war ein erster Fingerzeig, dass im sogenannten Schattenbankensystem eine Finanzkrise keimte. Ein riesiger Finanzbereich, in dem sich Zweckgesellschaften (Schattenbanken) tummeln, die sich Geld leihen, um es gewinnbringend weiterzuverleihen. Bei den Schattenbanken handelt es sich vorrangig um Hedgefonds, Geldmarktfonds und Zweckgesellschaften. Das Finanzvolumen der Schattenbanken hat sich zwischen 2002 und 2011 auf 60 Billionen Euro nahezu verdreifacht. Und die seit der Finanzkrise schärfere Überwachung von „normalen“ Banken bietet zusätzliche Anreize für die Finanzwirtschaft, Geschäfte in den kaum regulierten Schattenbankensektor zu verlagern. Dort werden – ohne große Aufsicht – Risiken aufgebaut, die das gesamte Finanzsystem gefährden.

Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich aus dem Jahr 2008 zeigt auf, wo die Schattenbanken sitzen: „Die häufigsten Gebietskörperschaften für das US-Verbriefungsgeschäft sind die Cayman Islands und Delaware. Für europäische Verbriefungen sind es Irland, Luxemburg, die Channel Islands und Großbritannien (City of London).“ Jedes einzelne dieser Offshore-Zentren ist eine bedeutende Verdunklungsoase, die ein einfaches Geschäftsmodell anwendet: Sie fragt die Finanzinstitutionen, was sie genau an Rahmenbedingungen für neue Finanzprodukte braucht, und erlässt dann die entsprechenden Gesetze.

Das International Financial Services Centre (IFSC) in Dublin, Irland, ist ein Paradebeispiel für den hochriskanten Wildwest-Finanzkapitalismus. Das IFSC beheimatete bei Ausbruch der Finanzkrise mehr als die Hälfte der 50 größten Finanzinstitutionen der Welt und wurde zu einem wichtigen Akteur im Schattenbankensystem. Über 8.000 Fonds mit Vermögenswerten von knapp zwei Billionen Dollar waren hier 2007/2008 untergebracht. Nicht nur Banken wie Bear Stearns aus den USA waren im IFSC mit Fonds vertreten, auch deutsche Banken, die in der Finanzkrise in Schieflage gerieten, hatten Vermögenswerte in Dublin. Darunter die IKB, die vom deutschen Staat Finanzhilfen in Höhe von 7,8 Milliarden Euro benötigte oder die Hypo Real Estate, die mit 102 Milliarden Euro vom Staat gerettet werden musste. Grund für die Schieflage war die vorangegangene Übernahme der Depfa Bank, die in Irland registriert und im Dubliner IFSC angesiedelt war.

Die Anhäufung von Schulden in der Weltwirtschaft hat weitere Wurzeln in der Offshore-Zone: 2009 veröffentlichte der IWF einen Bericht, der aufzeigt, wie Offshore-Zentren, im Zusammenspiel mit den Verzerrungen in den Steuersystemen der Onshore-Zone, die globale Schuldenmaschine antreiben, indem sie Unternehmen zur Kreditaufnahme anstiften, statt sich über Eigenkapital zu finanzieren. Ein Unternehmen borgt sich Geld in einem Offshore-Gebiet und bezahlt den Zins auf den Kredit zurück an die Offshore-Finanzierungsgesellschaft. Dann wendet es den Trick des „Transfer Pricing“ an: Der Gewinn liegt offshore, wo er steuerfrei ist. Die Kosten (Zinszahlungen) werden onshore abgewickelt, dort werden sie von der Steuer abgezogen. Dieser Kniff ist ein wichtiger Bestandteil des Geschäftsmodells von Private-Equity-Firmen: Sie kaufen ein Unternehmen, stutzen die Steuerrechnung, indem sie es mit Schulden vollladen, und treiben die Rendite in die Höhe.

Fremdfinanzierte Übernahmen (Leveraged Buyouts), die immer Offshore-Fremdkapital mit einschließen, kamen vor der Finanzkrise gehäuft vor. Die Summe, die Private-Equity-Fonds auftrieben, wuchs von 2003 bis 2007 um mehr als das Sechsfache auf 300 Milliarden Dollar. Viele rentable Unternehmen sind in den letzten Jahren als Folge übermäßiger Verschuldung via Offshore-Zentren zugrunde gegangen. Mehr als die Hälfte der Gesellschaften, die 2007 ihren Schuldendienst einstellen mussten, waren im Besitz von Private-Equity-Firmen.

Wie Unternehmen waren Banken vor der Finanzkrise besonders geschickt darin, ihr Wachstum mithilfe von Steuerparadiesen anzuheizen: indem sie sich vor Steuern drückten, Mindestreservevorschriften und andere Regulierungsbestimmungen über Steueroasen umgingen und noch mehr Kredite aufnahmen. Banken erzielten nach Berechnungen der Bank von England zwischen 1986 und 2007 eine jährliche Rendite von durchschnittlich 16 Prozent. Dieses durch die Offshore-Welt begünstigte Wachstum hatte zur Folge, dass die Finanzinstitute heute groß genug sind, um uns alle zu erpressen. Wenn ihnen die Politiker und Steuerzahler nicht geben, was sie wollen, werden sie ins finanzielle Unglück gestürzt. „Too big to fail“ – die Offshore-Welt lässt grüßen.