Einleitung: Der schöne Schein der Steuermoral

Einleitung

Der schöne Schein der Steuermoral

Gib dem Staat, was dem Staat gehört. Nicht nur die Reichen und Vermögenden in Deutschland widersetzen sich diesem Gebot. Weltweit versuchen diejenigen, die viel verdienen, dem Fiskus zu entfliehen. In vielen Ländern gilt es sogar als normal, das Finanzamt zu täuschen. In Europa und den USA wächst die Zahl der Steuerrebellen. In Russland und Afrika sind die staatlichen Steuereintreiber häufig völlig hilflos – oder korrupt. Nur in Skandinavien ist die Bereitschaft, mit dem Staat zu teilen, größer. Weltweit bröckelt das Vertrauen der Bürger in die Steuergesetze. Und je höher die Steuersätze sind, desto größer ist für die Steuerpflichtigen der Reiz zum Missbrauch. Mit härteren Strafen allein lässt sich das Problem also nicht lösen, stattdessen sind tiefgreifende Steuerreformen erforderlich.

Es war die New Yorker Hotel- und Immobilienkönigin Leona Helmsley, die zu einem Dienstmädchen gesagt haben soll: „Wir zahlen keine Steuern. Nur kleine Leute zahlen Steuern.“ Diese Aussage scheint sich immer wieder zu bestätigen. Doch sind es wirklich nur die kleinen Leute, die Steuern zahlen? Die Statistik für Deutschland sagt etwas anderes:

Hier zahlt das Drittel der Haushalte mit dem höchsten Einkommen 61,9 Prozent aller Steuern und Abgaben, das untere Drittel nur fünf Prozent.

Zum Gesamtaufkommen der Einkommensteuer trägt das oberste Zehntel der Haushalte mit dem höchsten Einkommen 38 Prozent bei, das unterste Zehntel 0,4 Prozent.

Dies zeigt, dass das deutsche Steuersystem – zumindest in Grenzen – so wirkt, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt: Es schafft einen gewissen Ausgleich zwischen oben und unten. Damit wird Steuerhinterziehung durch Spitzenverdiener und Vermögensmillionäre nicht weniger skandalös. Nur ist offenkundig, dass sich das Thema Steuermoral nicht so einfach in die deutsche Umverteilungsdebatte einfügt. Steuerbetrug ist ein Breitensport und Steuermoral ein globales Problem

Das Wesen von Steuern besteht darin, dass der Staat den Bürgern Geld wegnimmt, ohne dass diese dafür eine direkte Gegenleistung bekommen. Zwar stellt die Regierung mit diesen Einnahmen Güter bereit, die den Bürgern nützen sollen: Bildung, innere und äußere Sicherheit, Krankenhäuser oder Verkehrsinfrastruktur. Der Zusammenhang zum einzelnen Steuerpflichtigen ist jedoch locker. Zudem gibt es staatliche Leistungen, die viele gar nicht haben wollen, etwa Subventionen von Opernhäusern oder den Militäreinsatz in Afghanistan. Daher ist immer Zwang nötig, um Steuern einzutreiben.

Früher geschah dies meist mittels Willkür. Die alten Ägypter peitschten Steuersünder aus; die bolschewistischen Revolutionäre besteuerten die russischen Bauern nach 1917 dadurch, dass sie ihnen ihr Vieh und ihre Ernte raubten; die Französische Revolution brach unter anderem aus, weil Adel und Klerus die gesamte Steuerlast dem Volk aufgebürdet hatten.

Demokratien üben den Zwang, dass Steuern zu zahlen sind, auf rechtsstaatlicher Grundlage aus, das hat aber auch Tücken. Die moderne Einkommensteuer, bei der die Bürger gemäß ihrer Leistungsfähigkeit belastet werden, ist relativ neu. In den USA wurde sie 1913 eingeführt, im Deutschen Reich nach dem Ersten Weltkrieg. Der Staat übernahm mehr Aufgaben und brauchte mehr Geld. Das konnte er nur bekommen, wenn die Bevölkerung das Steuersystem als mehr oder minder gerecht empfand. Also machten die Finanzpolitiker die Steuersätze progressiv – sie stiegen mit wachsendem Einkommen – und erließen einen Wust von Ausnahmevorschriften, um die Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Bürgers möglichst genau berücksichtigen zu können.

Dieser Hang zur Perfektion erwies sich im Lauf der Zeit als fatal: Die Bürger investierten nicht mehr dort, wo es sich lohnt, sondern dort, wo sie am meisten Steuern sparen konnten. Und je höher die Steuersätze und je ausgefallener die Ausnahmetatbestände waren, desto größer wurde auch der Anreiz zur Steuerverkürzung. Dabei sind die Reichen im Vorteil: Weil sie höhere Steuersätze zahlen, sparen sie dadurch am meisten. Sie können sich teure Berater leisten und sind, anders als normale Arbeitnehmer, flexibel. Geld kann man in einen Koffer packen und in die Schweiz oder auf die Kanalinsel Guernsey schaffen. Oder in eines der vielen anderen Steuerparadiese weltweit …

Weltweit gehen den Finanzbehörden durch Steuerhinterziehung nach Berechnungen von Tax Justice Network International rund 255 Milliarden Dollar jährlich an Einnahmen verloren. Steuerparadiese und Offshore-Finanzzentren mit niedrigen Steuersätzen und einer wenig strengen Bankaufsicht tragen dazu maßgeblich bei. Sie bieten Steuersündern, Unternehmen und Vermögenden Unterschlupf und geldwerte Dienste beim Verstecken von Schwarzgeld und beim Steuersparen an. Dieses Buch zeigt,

  • wie die Offshore-Welt Steuerflucht möglich macht,
  • wie Steuersünder ihr Schwarzgeld vor dem Fiskus in „Sicherheit“ bringen,
  • wie Unternehmen offshore ihre Steuerlast gewinnbringend mindern,
  • welche Rolle dabei Banken und Helfer spielen,
  • welche Dimension Steuerflucht für Schwellenländer und Industriestaaten angenommen hat,
  • welche Auswirkungen die Verwerfungen in der Offshore-Welt für uns alle haben.

Während das Offshore-System die armen Länder ärmer macht, macht es die reichen Länder reicher. Dort haben Unternehmen und Vermögende das Know-how, um immer neue Offshore-Instrumente für sich zu nutzen. Angesichts grassierender Armut in vielen Entwicklungsländern und Billionen-Dollar-Schuldenbergen in den Industriestaaten ein unhaltbarer Zustand. Ausgeführt wird daher auch, welche Anstrengungen national und international unternommen werden, um diese Entwicklung zu bekämpfen: Es geht darum, Steuersündern bei der Steuerflucht das Handwerk zu legen, illegale Praktiken beim Einsatz gesellschaftsrechtlicher Konstruktionen in Steuerparadiesen abzuwehren und zu unterbinden, dass Unternehmen und Vermögende die Niedrigsteuergebiete missbräuchlich nutzen.

Dabei haben die Regierenden selbst den größten Anteil daran, dass das Offshore-System besteht. So wussten etwa die Briten bei den Verhandlungen zum Beitritt in die Europäische Gemeinschaft (EG) 1973 zu verhindern, dass die Channel Islands Steuerrichtlinien der EG übernehmen mussten. Ähnlich ein Vierteljahrhundert später in Hongkong: Dass die Kronkolonie nach Übergang in chinesisches Hoheitsgebiet eine weitreichende wirtschaftliche und steuerliche Eigenständigkeit behielt, war nicht nur für die City of London wichtig, auch die Chinesen freuten sich über ein eigenes Offshore-Zentrum.

In diesem Buch wird daher der Sinn und Unsinn der Offshore-Welt hinterfragt. Während deren Zentren das Aus droht, soll es Steuersündern an den Kragen gehen. Damit das nicht passiert, erfahren die Betreffenden, welche Möglichkeiten es neben der Selbstanzeige gibt, Schwarzgeld weiß zu waschen und in den legalen Geldkreislauf zurückzuführen.