7. Kapitel

 
 

Ist die Frau in Vereinigung mit dem Manne, so kündet die Wärme in ihrem Gehirn, die das Lustgefühl in sich trägt, den Geschmack dieses Lustgefühls bei der Vereinigung vorher an, wie auch den Erguß des Samens. Ist der Samen an seinen Ort gefallen, dann zieht ihn die eben erwähnte, sehr starke Wärme des Gehirns an sich und hält ihn fest. Fast gleichzeitig damit ziehen sich auch die Nieren des Weibes zusammen und alle die Teile, die während des Monatsflusses zur Öffnung bereit stehen, schließen sich zur selben Zeit so fest, wie wenn ein starker Mann irgendeinen Gegenstand fest in der Hand verschließt.

 

Ihre Knie brannten, und in ihrer rechten Schulter zuckte ein Muskel. Schwester Lioba versuchte sich auf das Gebet zu konzentrieren. Mein Gott, du hast mich geschaffen, / ich lebe durch dich und trachte nach dir, / wenn ich mit Seufzen das Gute erflehe. / Ich kenne dich ja als meinen Gott / und weiß nur, daß ich dir dienen darf, / denn du hast mir Einsicht gegeben. / O du mein Helfer bei allem Guten, / durch dich vollbringe ich gute Werke. / Auf dich will ich all meine Hoffnung werfen / und mich bekleiden mit deiner Huld.

Anschließend betete sie noch einen Rosenkranz. Immer wieder ertappte sie sich dabei, dass die Worte automatisch aus ihrem Mund strömten. Ihre Gedanken kreisten um den Mord an Miriam. Zwischen zwei Gebeten stieß sie unwillkürlich einen Seufzer aus. Sie rutschte immer weiter in diese Geschichte hinein, ob sie wollte oder nicht. Grieser hatte sich mit den Worten verabschiedet, dass seine Leute in den Privaträumen der Schwestern nichts gefunden hatten. Er betonte, dass es nötig sein könnte, noch genauere Untersuchungen anzustellen. Mehr Sorgen bereitete ihr die Frage, ob mit Miriams Tod alles ein Ende gefunden hatte. Kein gutes Ende, daran gab es keinen Zweifel. Aber vielleicht wenigstens ein Ende. Schwester Lioba versuchte, sich zu sammeln und ihre Gedanken auf das Gebet zu richten.

Es klopfte. Schwester Lioba schwieg irritiert. Sie blickte auf den kleinen Reisewecker, ein Geschenk ihrer Schwester, der seit ihrer ewigen Profess auf dem Nachttisch stand. 21.30 Uhr. Die Zahlen leuchteten, sonst hätte sie die Uhrzeit im Dämmerlicht nicht erkennen können. Es musste etwas passiert sein. Die Regeln des heiligen Benediktus sahen vor, dass jede Schwester ab 21 Uhr Nachtruhe hielt.

Es klopfte erneut. Schwester Lioba raffte ihren Habit. Als sie sich erhob, schoss ein stechender Schmerz durch ihr rechtes Knie. Sie stöhnte leise. Zögernd ging sie zur Tür und öffnete.

»Mutter Oberin, es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit der inneren Einkehr unterbreche. Aber ich muss Sie dringend sprechen.«

Die Priorin wirkte angespannt, ihre Augen waren voller Sorge. Schwester Lioba hatte nicht den geringsten Zweifel, dass es wichtig war. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihrer Stellvertreterin, ihr in das Büro zu folgen. Das fehlte noch, dass man sie um diese Zeit gemeinsam in ihren Privaträumen verschwinden sah. Dann hätte sie zu allem Überfluss auch noch Gerüchte ins Leben gerufen, die vernichtender nicht sein konnten.

Sie schloss die Tür ihres Zimmers lauter als notwendig. Die anderen sollten hören, dass sie und Schwester Heidrun ins Büro gingen.

Die Priorin folgte ihr mit gesenktem Kopf. Eine Etage tiefer trat sie hinter Schwester Lioba in ihr Dienstzimmer und schloss die Tür. Schwester Lioba widerstand der Versuchung, sich zu setzen. Sie blieb hinter ihrem Schreibtisch stehen und sah Schwester Heidrun ruhig an. Ihre Stellvertreterin war eine mütterlich wirkende Frau, Ende vierzig, die sonst nichts so leicht aus der Ruhe brachte.

»Ich habe den Ordner geprüft, den Sie mir heute Nachmittag gegeben haben, um ihn neu zu sortieren und alles abzuheften.« Sie zupfte nervös an ihrem Habit.

Schwester Lioba nickte. Es war ihre Absicht gewesen, Schwester Heidrun Einblick in die wirtschaftliche Situation des Klosters zu geben. Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass ihre Stellvertreterin so schnell reagierte.

»Wir sind pleite«, sagte Schwester Heidrun.

»So würde ich das nicht …«, begann Schwester Lioba.

»Ehrwürdige Mutter, Sie baten mich, die Unterlagen nicht nur zu sortieren, sondern auch zu prüfen. Das habe ich getan. Unsere finanzielle Situation ist katastrophal.«

Schwester Lioba seufzte. »Ich weiß. Deshalb habe ich Sie auch gebeten, sich alle Unterlagen anzusehen. Nach dem Tod unserer ehrwürdigen Mutter Mechthild habe ich ein paar Wochen benötigt, bis ich alles durchgesehen und geordnet hatte. Erst dann wurde mir klar, wie schlecht es tatsächlich um uns bestellt ist. Eigentlich hatte ich gehofft, von meiner ehemaligen Klassenkameradin Unterstützung zu bekommen. Aber sie wollte nicht.«

»Aber Mutter Oberin, vielleicht könnten Sie ja ihre Klassenkameradin doch noch davon überzeugen, uns zu helfen.« Das Gesicht der Priorin hatte ein Hoffnungsschimmer zum Leuchten gebracht.

»Sie ist tot«, unterbrach Schwester Lioba sie. »Es war meine Klassenkameradin Miriam. Sie ist die Tote vom Altar. Sie kann uns nicht mehr helfen.«

»Aber ihre Erben, vielleicht sind sie ja dazu bereit.« Schwester Heidrun war noch nicht bereit aufzugeben.

»Nein«, erwiderte Schwester Lioba, »ich hatte mir von ihr kein Geld erhofft. Nur Miriam selber hätte uns helfen können.«

»Was hatten sie denn von ihr erwartet?«, fragte die Priorin.

Schwester Lioba antwortete nicht. Schweigend trat sie an das Fenster und sah in den nachtdunklen Hof hinunter. Ihr Blick streifte das angrenzende Hotel.

»Ich habe mich gefragt, ob wir nicht das Hotel ›Zum Schwanen‹ übernehmen sollten. Es steht zum Verkauf, das hat mir Schwester Angelika erzählt.«

Schwester Heidrun sagte nichts darauf. Schwester Lioba wusste, warum. Der Konvent auf dem Rupertsberg war ein kontemplativer Orden. Sie hatten sich ganz dem Gebet und der inneren Einkehr verschrieben. Arbeit und Gebet waren gleichberechtigt und wurden zu gleichen Teilen in den Tagesablauf integriert. Je weniger Kontakt sie zu Menschen außerhalb des Konvents hatten, desto besser. Ins Gästehaus kamen nur Besucher, die innere Einkehr suchten und am Klosterleben interessiert waren. Ein Hotel zu führen war für einen kontemplativen Orden keine gute Idee. Aber jetzt leider die einzige. Ihre erste Idee musste sie nun nach Miriams Tod begraben. Dabei hatte sie eigens die alte Clique zu ihrer Weihe eingeladen. Sie hatte gehofft, die anderen würden ihr helfen, Miriam umzustimmen.

 

Emma fuhr ihren Dell Inspiron hoch und ging mit dem Surfstick online. Dann loggte sie sich in das Redaktionssystem der Lupe ein. Sie legte den Artikel an und kopierte den Text aus Word in das Content-Management-System der Redaktion. Sie formatierte die Überschrift und den Vorspann, dann gliederte sie den Text mit einigen Zwischentiteln und formulierte eine Bildunterschrift. Das Foto hatte sie zuvor mit Photoshop bearbeitet, sodass die Leiche auf dem Altar nur vage zu erahnen war. Für das Bearbeiten der Bilder war eigentlich die Grafikerin der Lupe zuständig. Aber Emma war nicht bereit, das Original aus der Hand zu geben. So konnte ausschließlich sie entscheiden, in welcher Form das Foto veröffentlicht wurde.

Emma klickte den Button zum Hochladen an und markierte die Bilddatei auf ihrem Computer. Dann startete sie den Upload. Emma sah auf die Uhr. In einer Stunde war Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe. Sie schenkte sich einen Schluck Weißwein ein und betrachtete die Lichtpunkte am gegenüberliegenden Rheinufer.

Wie schmal doch die Grenze zwischen Sensation und Berichterstattung war. Nein, so schmal dann eigentlich auch nicht. Mit dem Foto von einem Tatort ließ sie diese Grenze weit hinter sich. Zu Beginn hatte die Lupe auf seriösen Journalismus gesetzt. Doch der neue Chefredakteur kämpfte mit allen Mitteln ums Überleben. Das Foto würde ein scheinheiliges Echo der Medien auslösen. Unter dem Vorwand der Berichterstattung über unverantwortliche Sensationsfotos würden andere Medien das Thema genussvoll aufgreifen. Damit bekäme die Lupe bundesweit so viel Aufmerksamkeit, wie es mit keiner Werbekampagne zu schaffen wäre. Und sie selber könnte mit dem Pauschalistenvertrag ein Jahr lang ihre Existenz sichern und auch weiterhin als Journalistin arbeiten.

Trotzdem war sie unzufrieden. Gerade weil sie sich mit dieser Form des Journalismus in guter Gesellschaft befand. Jeden Tag wurden selbst in seriösen Medien wie Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern viele Bilder gezeigt, die weit über nüchterne Berichterstattung hinaus gingen.

Ein Geräusch riss Emma aus ihren Gedanken. Die Schiebetür des alten VW-Busses fiel ins Schloss. Paul setzte sich ihr gegenüber auf die Bank. Emma betrachtete ihn nachdenklich.

»Was wollte der Kommissar von dir?«, fragte sie. Doch im selben Moment wusste sie es. Der Geruch war unverkennbar. Ein bisschen schal und trotzdem prickelnd, wie stehengebliebener Sekt nach einer Premiere.

»Nichts weiter«, sagte Paul und verzog den Mund zu einem angedeuteten Lächeln.

»Nur ein bisschen Spaß?«, fragte sie zweifelnd.

»Nur ein bisschen Sex«, erwiderte Paul.

»Woher wusste er das? Kanntest du ihn?«, fragte Emma.

»Wir hatten vor ein paar Wochen Sex im Connexion, im Darkroom. Er hat mich an meiner Stimme erkannt.«

»Was macht er denn in Mannheim? Er arbeitet doch in Mainz«, fragte Emma.

Sie wandte sich wieder ihrem Laptop zu. Der Download war inzwischen beendet. Das Foto war im Redaktionssystem der Lupe angekommen.

»Das Connexion ist die größte Schwulendisco Süddeutschlands.« Paul gähnte erneut. »Die Jungs kommen von überall her, um dort zu tanzen.«

»Ich dachte, du bist nicht schwul«, erwiderte Emma unkonzentriert. Die Affäre zwischen ihr und Paul lag schon etliche Jahre zurück. Sie waren einige Male miteinander im Bett gewesen und hatten dann beschlossen, dass ihnen Freundschaft lieber war. Emma musterte das Foto und runzelte unzufrieden die Stirn.

»Bin ich auch nicht«, sagte Paul, »das weißt du doch. Ich mag Männer und Frauen.«

»Weiß das der Kommissar?« Emma sah kurz hoch.

»Wozu?«, erwiderte Paul. Er rieb sich den Nacken. »Wir hatten ein bisschen Spaß miteinander. Das ist alles.«

»Hauptsache, es gefällt«, murmelte Emma zerstreut und scrollte nach unten. Kohler machte es ihr wirklich schwer. Der Pauschalistenvertrag hätte sie das nächste Jahr finanziert.

Emma atmete tief durch, klickte auf den Button und löschte das Foto wieder. Erst dann gab sie den Artikel frei.

»Auf dem Rückweg hat er telefoniert«, sagte Paul.

Emma hob den Kopf. Paul erwiderte ihren Blick, verzog seinen Mund zu einem breiten Lächeln und zuckte mit den Achseln.

»Und?«, fragte sie und richtete sich auf.

»Er hat wohl gedacht, ich krieg das nicht mit«, erzählte Paul weiter. »Er hat wenig gesprochen. Aber ich konnte die Stimme des anderen hören.«

Emma kappte die Verbindung ins Internet und wechselte zu Photoshop, wo das unbearbeitete Foto noch immer zu sehen war.

»Die Tote hatte ein frisches Brandmal in der Leiste«, fuhr Paul fort, »das aussieht wie ein Eselskopf.«

»Hat die Rechtsmedizinerin vorhin auch erwähnt.« Emma betrachtete nachdenklich das Foto der ermordeten Frau. Die ganze Aufregung war nun ganz umsonst gewesen. Obwohl, es hatte ihr zumindest die Bekanntschaft eines interessanten Mannes eingebracht.

»Genau der gleiche Eselskopf«, erzählte Paul weiter, »wurde vor etwa zwanzig Jahren bei einem Mönch gefunden. Auch als Brandmal in seiner Leiste.«

Emmas Herzschlag beschleunigte sich.

»Der Mönch hat damals Selbstmord begangen. Bei der Obduktion fand man die frische Wunde. Genau wie bei der Toten heute in der linken Leiste. Beide Brandmale zeigen die gleichen Spuren. Sie sind mit demselben Werkzeug eingebrannt worden.«

Emma blickte ihn entsetzt an.

»Aber das war noch nicht alles«, sprach Paul weiter. »Die Tote von heute war die Schülerin von diesem Mönch damals. Und bis heute ist unklar, warum er Selbstmord begangen hat.«

Emma senkte den Blick und starrte auf das Foto. Bisher hatte sie nur darauf geachtet, dass Bildausschnitt und Auflösung stimmten. Dass darauf ein toter Mensch zu sehen war, hatte sie weitgehend ausgeblendet. Sie griff nach der Maus und führte den Zeiger auf die Programmleiste.

Paul musterte sie schweigend. Emma klickte auf Zoom. Das Foto vergrößerte sich, bis es den Bildschirm füllte. Der Kopf der Toten schien ihr förmlich auf den Schoß zu fallen. Die Haut war weiß, die Augen bis auf einen schmalen Spalt geschlossen, und die Gesichtszüge wirkten merkwürdig erschlafft. Die langen braunen Haare links und rechts an ihren Schläfen waren zerzaust, und die Nase stach aus dem Gesicht hervor wie eine Haifischflosse aus dem Wasser.

»Das war im Internat ›Hildegard von Bingen‹ bei Heidelberg«, sagte Emma mit belegter Stimme.

Paul zog die Augenbrauen hoch. »Woher weißt du das?«

Emma starrte auf den Bildschirm, den der tote Körper einer Frau ausfüllte, die sie als Kind einmal gesehen hatte. Sie hob den Kopf und blickte zu Paul hinüber. Plötzlich spielte ihr Magen verrückt. Sie stand auf, kletterte aus dem Bus und stolperte in die Nacht hinaus.

 

Emma stürzte eine halbe Flasche Wasser hinunter, um den bitteren Geschmack in ihrem Mund loszuwerden. Paul beobachtete sie nachdenklich. Er kramte in seiner Tasche und hob ihr eine Tüte Fisherman’s entgegen. Dankbar griff Emma danach.

»Was hat diese ganze Geschichte mit dir zu tun?«, fragte Paul.

»Absolut nichts.« Emma warf einen Blick auf ihren Bildschirm, wo die Tote noch immer in hoher Auflösung zu sehen war. Sie schloss das Bildbearbeitungsprogramm und fuhr den Rechner herunter.

»Das war die richtige Entscheidung«, sagte Paul und warf ihr einen Blick zu. »Sei froh. Du hättest mit dem Foto deine berufliche Karriere beendet. Ziemlich sicher sogar.«

»Der Pauschalistenvertrag hätte mir überhaupt erst ermöglicht, weiterhin als Journalistin zu arbeiten«, erwiderte sie bitter.

»Woher weißt du das mit dem Internat?«, fragte Paul.

»Mein Vater war zu der Zeit Deutschlehrer im Internat und stellvertretender Schulleiter. Inzwischen ist er Schulleiter dort.«

»Gibt es irgendeinen Grund, dir deshalb Sorgen zu machen?«, fragte Paul.

Emma sah ihn nachdenklich an und stand auf. »Ich muss ins Bett.« Sie räumte den Tisch frei. »War ein harter Tag.«

Paul musterte sie skeptisch. Dann griff er nach seiner Tasche, schnappte sich seinen Laptop und klemmte sich beides unter den Arm.

»Schlaf gut«, sagte er und lächelte besorgt. »Ich fahr jetzt zurück nach Mannheim. Wenn was ist – du kennst meine Nummer.«

»Danke dir«, murmelte Emma und warf ihm einen warmen Blick zu. Sie baute den Tisch zu einem Bett um und kletterte ein letztes Mal aus dem Bus, um sich im hohen Gras der angrenzenden Wiese zu erleichtern. Für Notfälle hatte sie ein Chemieklo dabei.

Emma kletterte in den Bus zurück, zog rundum die Vorhänge zu und legte sich schlafen. Unruhig wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Nach einer Weile setzte sie sich auf und zog den dünnen Vorhangstoff beiseite, so dass sie den Rhein sehen konnte. Die Nacht war sternenklar. Sie konnte im Mondschein den träge dahinfließenden Strom erkennen.

Emma griff nach dem Laptop, den sie für die Nacht auf dem niedrigen Schränkchen neben der Spüle deponiert hatte. Sie fuhr ihn hoch und loggte sich in das Redaktionssystem der Lupe ein. Dann ließ sie sich den Artikel anzeigen, den sie am Nachmittag über die Leiche im Kloster geschrieben hatte. Viel war es ohnehin nicht, was bisher über die Tote und den Mord bekannt war. Paul hatte ihr noch ein paar Details von der Pressekonferenz mitgebracht, aber der Artikel lebte mehr von der Beschreibung der Umgebung und dem geschichtlichen Hintergrund des Klosters als von Fakten über den Mord.

Nachdenklich betrachtete Emma den leeren Rahmen, in dem noch vor kurzem das Foto gestanden hatte. Nur einen Klick war sie davon entfernt gewesen, es für den Druck freizugeben.

Sie wechselte zum Bearbeitungsmodus. Die Statuszeile verriet ihr, dass Kohler den Text akzeptiert hatte, auch ohne Foto. Sie loggte sich wieder aus und suchte auf ihrer Festplatte nach dem unbearbeiteten Bild. Nach einem Klick baute es sich vollständig auf. Emma betrachtete die tote Frau darauf. Nun, da sie wusste, wer sie war, schien es ihr fast so, als könnte sie diese Frau wiedererkennen.

Es war ziemlich genau zwanzig Jahre her, dass sie der Frau einmal begegnet war. Sie selbst war damals dreizehn Jahre alt gewesen. Doch die Ereignisse hatten sich tief in ihr Gedächtnis gegraben, da sie ihr gesamtes Leben verändert hatten. Nach dem Selbstmord des Mönchs geriet ihr Vater ziemlich schnell ins Kreuzfeuer der Kritik. Er war stellvertretender Schulleiter und Ansprechpartner für die Lehrer und den Elternbeirat gewesen. Pater Benedikt war Hildegard-Fan und hatte sich häufiger seiner Liebhaberei gewidmet als seinen Lehrfächern, Biologie und Chemie. Immer wieder erzählten Schüler, dass er in seinem Unterricht vor allem über Hildegard von Bingen und ihre naturwissenschaftlichen Abhandlungen sprach. Ihr Vater hatte Pater Benedikt mehrfach verwarnt und am Ende gedroht, das Oberschulamt einzuschalten. Zwei Tage später hatte er sich umgebracht. Ihr Vater versicherte, dass seine Drohung nicht der Grund für den Selbstmord gewesen sein konnte. Doch der Zweifel blieb.

Emma beendete das Programm und fuhr den Rechner herunter. Sorgfältig verstaute sie ihn in dem eingebauten Schrank neben sich. Dann öffnete sie die Klappe vom Gaskocher neben der Liegefläche und kramte im Schrank darunter einen kleinen Topf hervor. Sie wärmte etwas haltbare Milch auf und goss sie in einen Isolierbecher. Den ersten Schluck trank sie noch auf den Knien, dann machte sie es sich mit dem Becher im Bett bequem.

Sie war froh, dass es nicht zur Veröffentlichung des Fotos gekommen war. Paul hatte recht gehabt, sie hätte sich mehr geschadet als genützt. Sie wollte schließlich weiterhin seriöse Berichterstattung machen und nicht zur Sensationsreporterin werden. Emma nahm einen Schluck von der Milch. Mehr Recherche und Analyse, das war es, was sie wollte. Zeigen, was wirklich passiert war. Und das musste doch auch in einem Mordfall eine bessere Geschichte erbringen, als immer nur auf ein paar haarsträubenden Details herumzureiten. Da der Pauschalistenvertrag mit der Lupe geplatzt war, hatte sie jetzt ohnehin nur noch die Wahl, so schnell wie möglich weitere Redaktionen zu finden, denen sie ihre Geschichten verkaufen konnte.

Sie leerte den Becher und verstaute ihn in einer Plastikwanne, in der sie das schmutzige Geschirr sammelte. Angenehme Müdigkeit breitete sich in ihrem Körper aus, und sie schlief ein, noch bevor sie sich weiter Gedanken machen konnte.

Die Glut des Bösen: Kriminalroman
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