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Am Montag morgen um zehn Uhr erhielt ich einen Anruf, der mir eine Warnung hätte sein sollen. Rückblickend erkenne ich, daß sich die Probleme von diesem Moment an mit beunruhigender Geschwindigkeit zu häufen begonnen hatten. Ich war spät aufgestanden und machte gerade das Gartentor hinter mir zu, als ich das gedämpfte Klingeln des Telefons aus meiner Wohnung dringen hörte. Rasch kehrte ich um, trabte den Weg entlang und eilte um die Ecke. Ich sperrte die Haustür auf und stieß sie hastig nach innen, während ich Jacke und Tasche beiseite warf. Beim vierten Klingeln nahm ich den Hörer ab, wobei ich fast eine falsche Verbindung oder jemand von der Marktforschung erwartete, nachdem ich mich schon derart beeilt hatte. »Hallo?«

»Kinsey. Hier ist Donovan.«

»Ach, hallo. Wie geht’s? Fluh! Entschuldigen Sie, daß ich so keuche. Ich war schon zur Tür draußen und mußte ans Telefon rennen.«

Er war offenbar nicht zu heiterem Geplauder aufgelegt, sondern kam direkt zur Sache. »Haben Sie die Presse verständigt?«

Darauf, daß er so etwas zur Sprache bringen würde, war ich weder in diesem Moment noch sonst irgendwann gefaßt. Ich merkte, wie sich über meinem Kopf ein undeutliches Fragezeichen zu bilden begann, während ich mir überlegte, wovon um alles in der Welt er wohl redete. »Natürlich nicht. Weswegen denn?«

»Wir haben vor einer Stunde einen Anruf vom Dispatch bekommen. Irgend jemand hat einem Reporter von Guys Rückkehr erzählt.«

»Tatsächlich? Das ist ja seltsam. Wozu denn?« Ich wußte, daß der Santa Teresa Dispatch gelegentlich darum rang, erwähnenswerte Themen für seinen Lokalteil zu finden, aber Guys Heimkehr kam mir nicht wie ein sagenhaftes Ereignis für die Nachrichten vor. Wen sollte das außer der Familie schon scheren?

»Sie wollen es unter >menschliche Schicksale< bringen. Vom armen Schlucker zum Millionär. Sie kennen ja die Schiene. Ein kleiner Hilfsarbeiter aus Marcella, Kalifornien, stellt plötzlich fest, daß er Millionär ist, und kommt nach Hause, um abzukassieren. Das ist doch besser als ein Sechser im Lotto, wenn man sich Guys persönliche Geschichte ansieht, und das wissen Sie genau.«

»Was soll das heißen, das weiß ich genau? Ich habe gegenüber der Presse kein Wort verlauten lassen. Das würde ich nie tun.«

»Wer sonst wußte davon? Niemand aus der Familie würde eine solche Geschichte durchsickern lassen. Es ist eine heikle Angelegenheit. Publicity hat uns gerade noch gefehlt. Da mühen wir uns ab, irgendeine Art von Einigkeit unter uns herzustellen, und jetzt hört das Telefon nicht mehr auf zu läuten, seit der erste Anruf gekommen ist.«

»Ich kann Ihnen nicht folgen. Wer hat denn angerufen?«

»Wer hat nicht angerufen?« sagte er entnervt. »Zuerst einmal die Lokalzeitung und dann die L. A. Times. Ich schätze, einer dieser Radiosender hat auch Wind davon bekommen. Im Handumdrehen landet es bei den Nachrichtenagenturen, und dann kampieren hier sechs verdammte Kamerateams auf unserer Einfahrt.«

»Donovan, ich schwöre. Wenn es eine undichte Stelle gab, dann war es nicht ich.«

»Tja, irgend jemand hat den Mund nicht halten können, und Sie sind die einzige, die einen Nutzen davon haben könnte.«

»Ich? Das ist doch unlogisch. Wie sollte ich Nutzen aus einer Geschichte über Guy ziehen?«

»Der Reporter, der angerufen hat, hat Sie namentlich erwähnt. Er wußte, daß Sie engagiert worden sind, und er wollte wissen, wie Sie es angestellt haben, Guy nach so vielen Jahren ausfindig zu machen. Er hat mir quasi verraten, daß er es folgendermaßen verkaufen wird: >Einheimische Privatdetektivin findet vermißten Erben nach siebzehn Jahren.< Das ist besser als jede Anzeige, so viele Aufträge werden Sie kriegen.«

»Donovan, hören Sie auf. Das ist ja lächerlich. Ich würde niemals, unter keinen Umständen, Informationen über einen Kunden ausplaudern. Ich brauche nicht noch mehr Aufträge. Ich habe jede Menge.« Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber das brauchte er nicht zu wissen. Tatsache war jedenfalls, daß ich niemals Angaben über einen Kunden an die Medien weiterleiten würde. Ich hatte einen Ruf zu wahren. Abgesehen von moralischen Überlegungen will man in meinem Beruf auch nicht unbedingt bekannt sein wie ein bunter Hund. Die meisten aktiven Ermittler bemühen sich sehr um Unauffälligkeit. Anonymität ist grundsätzlich von Vorteil, vor allem wenn man wie ich dazu neigt, gelegentlich eine List zu gebrauchen. Wenn ich mich als Zählerableserin oder Ausfahrerin vom Blumenladen ausgebe, möchte ich nicht, daß alle Welt über meine wahre Identität Bescheid weiß. »Ich meine, überlegen Sie doch mal, Donovan. Wenn ich ihm tatsächlich die Geschichte erzählt hätte, warum sollte er dann Sie über meine Methoden ausquetschen? Er wüßte es bereits, also warum sollte er Sie fragen?«

»Tja, da mögen Sie recht haben, es sei denn, er wollte es bestätigt haben.«

»Ach, hören Sie schon auf. Jetzt übertreiben Sie aber.«

»Ich finde einfach, es ist verdammt suspekt, daß Sie die gute Presse kriegen.«

»Wer ist der Reporter? Haben Sie ihn gefragt, woher er seine Informationen hat?«

»Dazu hat er mir keine Gelegenheit gegeben.«

»Tja, dann werde ich ihn mal anrufen. Warum fragen wir ihn nicht einfach. Es könnte etwas ganz Simples oder Einleuchtendes sein, wenn Sie es erst einmal wissen. Können Sie sich an seinen Namen erinnern?«

»Katzenirgendwas, aber ich glaube nicht, daß es besonders klug wäre, wenn Sie mit ihm sprächen.«

»Katzenbach. Ich kenne Jeffrey. Er ist ein netter Mann.«

Donovan machte unverdrossen weiter und wollte offenbar um keinen Deut nachgeben. »Ich sage Ihnen, lassen Sie es sein. Ich will nicht, daß Sie mit ihm über irgend etwas reden. Genug ist genug. Wenn ich herausfinde, daß Sie hinter dieser Sache stecken, dann verklage ich Sie, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht«, fauchte er und knallte den Hörer auf.

Das »Leck mich«, das ich giftig hinterherkeifte, kam eine halbe Sekunde zu spät, was mir auch recht war.

Sobald er das Gespräch abgebrochen hatte, schoß mein Adrenalinspiegel nach oben. Mein Mund war trocken, und ich merkte, wie mir das Herz in den Ohren zu pochen begann. Ich wollte eigentlich protestieren, aber mir war klar, wie es aus seiner Sicht aussah. Er hatte recht mit der Tatsache, daß ich die einzige außerhalb der Familie war, die wußte, was vor sich ging. Mehr oder weniger, dachte ich und hielt inne, um mich zu korrigieren. Myrna hätte der Zeitung einen Tip geben können, aber es war schwer vorstellbar, warum sie das hätte tun sollen. Und natürlich wußten Peter und Winnie, was los war, aber auch hier — warum sollte einer der beiden daran interessiert sein, daß die Sache bekannt wurde? Ich verspürte den starken Impuls, zum Telefon zu greifen und Katzenbach anzurufen, aber Donovans Warnung klang mir noch in den Ohren. Wenn ich mich bei ihm meldete, begann der Reporter womöglich, mich nach Informationen zu bedrängen. Alles, was ich sagte, könnte in einem zweiten Artikel zitiert werden, und dann wäre meine Glaubwürdigkeit endgültig ruiniert.

Beiläufig fragte ich mich, ob Guy selbst die Zeitung informiert haben könnte. Es schien unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, und ich konnte eine gewisse schlaue Logik darin erkennen, falls es seine Initiative gewesen war. Wenn die Geschichte um seine Erbschaft öffentlich bekannt wurde, müßten sich seine Brüder schon verflucht anstrengen, wenn sie ihn darum betrügen wollten. Das Problem bei dieser Überlegung war, daß Guy nie viel Interesse an Geld gezeigt hatte, und es schien ihm auch weiß Gott nicht viel daran zu liegen, seinen Anteil in Sicherheit zu bringen. Konnte er so hinterlistig und verschlagen sein, wie seine Familie behauptete?

Ich schnappte mir Jacke und Handtasche und verließ erneut das Haus. Auf dem kurzen Fußweg zu meinem Wagen, der einen halben Häuserblock weiter weg geparkt war, versuchte ich, die Unruhe abzuschütteln. Es gab keine Möglichkeit, wie ich die Maleks von meiner Unschuld überzeugen konnte. Des Vertrauensbruchs bezichtigt, merkte ich, wie ich mich zu rechtfertigen versuchte, als hätte ich mich tatsächlich einer Verletzung des mir von der Familie entgegengebrachten Vertrauens schuldig gemacht. Der arme Guy. Nachdem ich es abgestritten hatte, würden sie jetzt vermutlich über ihn herfallen.

In der Innenstadt angekommen, hatte ich mich bereits durch die Frage abgelenkt, ob ich in einem zumutbaren Radius um Lonnie Kingmans Bürogebäude einen Parkplatz finden würde. Ich versuchte es mit dem spiralförmigen Ansatz, wie bei der Untersuchung eines Tatorts, indem ich am innersten Punkt anfing und mich nach außen vorarbeitete. Wenn sich nichts auftat, konnte ich immer noch den öffentlichen Parkplatz ansteuern, der drei Häuserblocks entfernt lag.

Als ich das zweite Mal die Runde machte, sah ich einen Lieferwagen an dem mit roter Farbe markierten Stück Bordstein vor dem Gebäude anhalten, wo Parkverbot herrschte. Die Tür auf der Beifahrerseite glitt auf, und ein Typ mit einer Videokamera schwang sich auf den Bürgersteig hinaus. Die schlanke Blondine, die die Sechsuhrnachrichten moderiert, hüpfte vom Vordersitz und studierte die Hausnummern an dem Gebäude, indem sie sie mit einer Adresse auf ihrem Notizblock verglich. Da ich von hinten kam, konnte ich das Logo auf der Seite des Lieferwagens nicht lesen, aber er hatte eine Antenne auf dem Dach, die massiv genug aussah, um Nachrichten aus dem Weltall zu empfangen. O Scheiße! Im Vorüberfahren konnte ich ablesen, daß KEST-TV auf der Seite stand. Ich unterdrückte den Drang, aufs Gaspedal zu treten, als die Frau einen Blick in meine Richtung warf. Ich spähte nach links und drehte mich zu dem Gebäude auf der anderen Straßenseite um. Fröhlich winkte ich jemandem zu, der aus der Dean-Witter-Filiale kam. Vielleicht würden mich die Medienleute für eine Wirtschaftsmagnatin auf Reisen halten, die Geld investieren wollte. Ich fuhr weiter und hielt dabei den Blick fest auf den Rückspiegel gerichtet, während der Kameramann und seine Begleiterin das Haus betraten.

Was nun? Die Vorstellung, mich wie ein Gesetzloser in den Büschen zu verstecken, behagte mir nicht. Vielleicht war ich paranoid, und das Team wollte über etwas ganz anderes berichten. Ich fuhr ein paar Häuserblocks weit, bis ich an einer Ecke eine Telefonzelle entdeckte. Ich ließ mein Auto am Bordstein stehen, warf einen Vierteldollar in den Schlitz und wählte Lon-nies Privatnummer. Er muß im Gericht gewesen sein, da Ida Ruth abnahm und dachte, er sei es. »Ja, Sir?«

»Ida Ruth, hier ist Kinsey. Ist ein Fernsehteam gekommen und hat nach mir gefragt?«

»Ich glaube nicht, aber ich sitze hier hinten an meinem Schreibtisch. Laß mich mal vorn bei Alison nachfragen.« Sie warf mich kurz aus der Leitung und meldete sich dann gleich wieder. »Ich muß mich korrigieren. Sie warten am Empfang auf dich. Was ist denn los?«

»Es ist zu kompliziert, um es zu erklären. Kannst du sie abwimmeln?«

»Tja, wir können sie hier rauswerfen, aber wir haben keinerlei Möglichkeit, sie daran zu hindern, draußen auf der Straße zu warten. Was hast du denn angestellt, wenn die kühne Frage erlaubt ist?«

»Nichts, ich schwöre es. Ich bin vollkommen unschuldig.«

»Schön, Herzchen. Gut für dich. Bleib dabei«, sagte sie.

»Ida Ruth, das ist mein Ernst. Folgendes ist passiert«, begann ich. Ich erzählte ihr kurz von den Ereignissen und hörte, wie sie daraufhin mit der Zunge schnalzte. »O weh, o weh. An deiner Stelle würde ich lieber nicht auftauchen. Sie können nicht lang bleiben. Wenn du mir sagst, wie ich dich erreichen kann, rufe ich dich an, sobald sie weg sind.«

»Ich weiß nicht, wo ich dann bin. Ich melde mich wieder.« Ich legte auf und musterte die gegenüberliegende Straßenseite. An der Ecke war ein Lokal, das gerade aufzumachen schien. Ich sah, wie im Fenster eine Neonreklame angeknipst wurde. Dann zog ein Mann mit einer Schürze die Vordertür auf und schob mit dem Fuß den Türstopper an seinen Platz. Ich konnte mich ja dort drinnen aufhalten, Bier trinken und abgestandenen Rauch inhalieren, während ich darüber nachdachte, was ich als nächstes tun sollte. Wenn ich es mir allerdings genau überlegte, hatte ich schließlich nichts angestellt, also warum sollte ich mich benehmen wie auf der Flucht? Ich wühlte am Boden meiner Tasche herum und fand eine zweite Münze. Damit rief ich beim Dispatch an und fragte nach Jeffrey Katzenbach. Ich kannte ihn nicht gut, hatte aber in der Vergangenheit schon mehrmals mit ihm zu tun gehabt. Er war ein Mann Mitte Fünfzig, dessen Karriere durch seinen Appetit auf Kokain und Percocet zum Stillstand gekommen war. Er war stets auf Draht gewesen, wenn man ihn früh am Tag traf, doch im Laufe des Nachmittags wurde es zunehmend schwieriger, mit ihm umzugehen. Bei Einbruch der Nacht war er zwar noch arbeitsfähig, doch neigte er dann zu Fehlurteilen und erinnerte sich mitunter nicht mehr an Zusagen, die er gemacht hatte. Vor zwei Jahren hatte seine Frau ihn verlassen, und soweit ich zuletzt gehört hatte, hatte er sein Leben mit Hilfe von Narcotics Anonymous endlich in geordnete Bahnen gelenkt. Guy Malek war nicht der einzige, der eine persönliche Wandlung durchgemacht hatte.

Als ich zu Katzenbach durchgestellt wurde, nannte ich ihm meinen Namen, und wir tauschten die üblichen Nettigkeiten aus, bevor ich zur Sache kam. »Jeffrey, das muß wirklich unter uns bleiben. Die Maleks sind meine Kunden, und ich kann es mir nicht leisten, zitiert zu werden.«

»Warum? Wo liegt das Problem?«

»Es gibt kein Problem. Aber Donovan ist stocksauer, weil er glaubt, ich hätte Sie angerufen und die Versöhnung der Familie vereitelt.«

»Tut mir leid, das zu hören.«

»Wie haben Sie denn Wind von der Sache bekommen? Oder handelt es sich um eine »vertrauliche Quelle<?«

»Daran ist überhaupt nichts vertraulich. Als ich gestern abend hereinkam, lag ein Brief auf meinem Tisch. Wir haben unsere Abonnenten schon immer dazu ermuntert, sich bei uns zu melden, wenn sie glauben, es gäbe eine Geschichte, von der wir vielleicht noch nichts gehört haben. Manchmal sind es nur Banalitäten oder verrücktes Zeug, aber das hier hat meine Aufmerksamkeit geweckt.«

»Wer hat den Brief geschickt?«

»Ein Knabe namens Max Outhwaite mit einer Adresse auf der Connecticut draußen in Colgate. Er meinte, es sei ein Thema, das es wert sei, von uns beachtet zu werden.«

»Wie hat er denn davon gehört?«

»Keine Ahnung. Er klang, als kenne er sie alle seit Jahren. Im Grunde steht in dem Brief nur, daß eine Suche eingeleitet und Bader Maleks Sohn Guy nach siebzehnjähriger Abwesenheit gefunden wurde. Das ist doch richtig, oder? Ich meine, sagen Sie mir, daß ich mich irre, dann fresse ich meine Unterhose.«

»Sie haben recht, aber was noch?«

»Sonst nichts. Wie er schreibt: Da ist dieser Typ, der als Hausmeister in irgendeinem abgelegenen Kaff malocht, und dann erfährt, daß er fünf Millionen Dollar erben soll. Wie oft passiert so etwas? Er dachte eben, hier am Ort würde man sich dafür interessieren. Ich fand, es klang wie eine heiße Story, und so habe ich bei den Maleks angerufen. Deren Nummer steht im Telefonbuch, dazu war keinerlei aufregende Detektivarbeit nötig. Ich habe mit Mrs. Malek gesprochen — wie heißt sie noch gleich, Christie? die mir die Geschichte bestätigt hat, bevor ich Donovan an die Strippe bekam. So ist es gelaufen, es sei denn, ich habe irgend etwas übersehen.«

»Und ich wurde namentlich erwähnt?«

»Allerdings. Das war einer der Gründe dafür, warum ich angenommen habe, daß es mit allem seine Richtigkeit hat. Gestern abend habe ich versucht, Sie zu erreichen, habe aber nur Ihren Anrufbeantworter erwischt. Eine Nachricht habe ich nicht extra hinterlassen. Ich dachte, Sie wären wahrscheinlich auf dem Weg zu den Maleks, um sie beim Feiern zu unterstützen. Wie haben Sie denn den Knaben gefunden? In Outhwaites Brief heißt es, Sie hätten über die Kfz-Zulassungsstelle einen Tip bekommen.«

»Nicht zu fassen! Wer ist dieser Mann, und woher bezieht er seine Informationen?«

»Woher soll ich das wissen? Er gab sich den Anschein, als sei er ein Freund der Familie oder so. Sie haben nie selbst mit ihm gesprochen?«

»Jeffrey, hören Sie auf! Ich habe Sie nicht angerufen, damit Sie mich ausquetschen können. Ich versuche die Maleks davon zu überzeugen, daß ich die Sache nicht ausgeplaudert habe.«

»Jammerschade. Sonst hätten Sie mir noch die Details dazu liefern können. Ich habe versucht, mit Outhwaite Rücksprache zu halten, aber der Kerl existiert gar nicht. Es gibt keinen Outhwaite im Telefonbuch und auch auf der ganzen Connecticut Avenue keine solche Hausnummer. Ich habe noch ein paar andere Möglichkeiten abgeklopft, aber das war alles Fehlanzeige. Nicht, daß es eine Rolle spielte, solange die Story korrekt ist. Und die habe ich von der Familie bestätigt bekommen.«

»Was ist mit der L. A. Times? Wie haben die Wind davon bekommen?«

»Genauso wie wir. Outhwaite hat ihnen ein Briefchen zukommen lassen — beinahe wie eine Pressemitteilung. Diese Woche war flau, was Nachrichten angeht, und wir sind immer auf der Suche nach interessanten menschlichen Schicksalen. Das hier war besser als ein kleines, verirrtes Kätzchen, das im Brunnenschacht festsitzt. Ich fand, die Sache war es wert, verfolgt zu werden, vor allem, als ich sah, daß Sie damit zu tun haben.«

»Ich wünschte, Sie hätten sich dabei ein paar Fakten von mir bestätigen lassen.«

»Warum? Wo liegt das Problem?«

»Es gibt kein Problem«, erwiderte ich gereizt. »Ich glaube nur einfach, daß die Familie vielleicht gern ein wenig Privatsphäre genießen möchte, bevor alle Welt über sie herfällt. Übrigens, Jeffrey, ich habe gehört, daß Sie ein bißchen auf Ihrer Tastatur herumgetippt haben, seit wir uns unterhalten. Ich habe Ihnen doch gesagt, daß das unter uns bleiben muß.«

»Wozu denn? Es ist doch eine hübsche Geschichte. Ein absoluter Wunschtraum. Was wollen denn die Maleks? Warum sind sie so sauer über die Berichterstattung? Bader Maleks Tod stand bei uns auf der Titelseite in der zweiten Spalte. Er war eine wichtige Persönlichkeit am Ort, und sie waren froh, daß sie diese Würdigung bekamen. Was soll diese Heimlichtuerei bei Guy? Möchten ihn die anderen um sein Erbteil bringen oder was?«

Ich rollte die Augen gen Himmel. Der Mann bedrängte einen geradezu zwanghaft nach Informationen. »Hören Sie, Sportsfreund, ich bin genauso ratlos wie Sie. Was ist mit dem Brief? Was ist damit passiert?«

»Er liegt hier direkt vor mir.«

»Hätten Sie etwas dagegen, mir eine Kopie davon zu geben? Das würde mir sehr dabei helfen, meine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Ich komme mir richtig blöd dabei vor, daß ich mich rechtfertigen muß, aber ich habe einen Ruf zu wahren.«

»Klar. Kann ich machen. Es spricht ja nichts dagegen. Wir wären an Guys Sicht der Angelegenheit interessiert, falls Sie ihn dazu überreden können.«

»Ich lasse mich nicht auf einen Handel ein — aber ich werde sehen, was ich tun kann.«

»Wunderbar. Wie lautet Ihre Faxnummer?«

Ich gab ihm die Nummer von Lonnie Kingmans Apparat, und er versprach, mir den Brief herüberzufaxen. Falls ich Max Outhwaite ausfindig machte, wollte Jeffrey mit ihm sprechen. Das war akzeptabel. Ich hatte gesagt, ich würde tun, was ich konnte. Es kostete mich überhaupt nichts, meine bedingte Kooperation zuzusagen. Ich achtete darauf, mich nicht zu überschwenglich bei ihm zu bedanken. Nicht, daß ich vorgehabt hätte, den Brief schnurstracks Donovan vorzulegen, aber ich war neugierig auf seinen Inhalt und hielt es für sinnvoll, eine Kopie davon für meine Unterlagen zu haben. Irgendwann würde Katzenbach mir als Gegenleistung dafür eine Information abringen, aber fürs erste war ich zufrieden. Ich nahm nicht an, daß Guy sich zu einem Interview bereit finden würde, aber vielleicht würde er mich ja verblüffen.

Ich stieg wieder in meinen Wagen und fuhr zum öffentlichen Parkplatz hinüber. Von dort aus marschierte ich zu Fuß ins Büro. Vor dem Haus war keine Spur des KEST-TV-Wagens zu sehen. Ich eilte die Treppe hinauf, indem ich zwei Stufen auf einmal nahm, und betrat die Büroräume von Kingman und Ives durch eine nicht gekennzeichnete Tür um die Ecke vom Haupteingang. Im Hinterkopf dachte ich über die Möglichkeit nach, daß vielleicht Bennet oder Jack den Brief an den Dispatch geschickt hatten. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, was das einem von ihnen nützen sollte, aber irgend jemand war daran interessiert, Guys Heimkehr riesengroß in den Medien verbreitet zu sehen, und zwar jemand, der mehr wußte, als mir angenehm war. Erneut verspürte ich einen leisen Anflug von Beklommenheit. Darcy Pascoes Computerrecherche war nicht ganz astrein gewesen. Ich hoffte, sie würde wegen meiner Bitte nun keinen Arger bekommen. Ich sah nach dem Faxgerät in Lonnies Büro und fand die Kopie von Max Outhwaites Brief wie versprochen im Ausgabeschlitz vor. Dann ging ich in mein Büro und las auf dem Weg dorthin den Brief durch.

Sehr geehrter Mr. Katzenbach,

ich dachte, das Sie vielleicht an einer modernen Geschichte über ein "männliches Aschenputtel" interessiert sein könnten, die direkt hier in Santa Teresa spielt! Soweit ich weiß, sind Sie der Reporter, der letzten Monat über Bader Maleks Tod berichtet hat. Nun hat sich in der Stadt herumgesprochen, das seine Nachlaßanwältin eine Privatdetektivin (allen Ernstes eine krau!) engagiert hat, um seinen verschollenen Sohn Guy ausfindig zu machen. Wenn Sie schon so lange hier leben wie ich, erinnern Sie sich bestimmt noch daran, das Guy als junger Mann bei einer Reihe von Missetaten erwischt wurde, und schließlich vor fast Zwanzig Jahren hier von der Bildfläche verschwand. Man sollte eigentlich annehmen, das es schwierig werden würde, jemanden nach so langer Zeit aufzuspüren, aber Milhone (die oben erwähnte "Detektivin") hat die Daten der KFZ-Zulassungsstelle überprüft, und ihn in nicht einmal Zwei Tagen gefunden!! Anscheinend hat er die ganze Zeit, seit er verschwunden ist, in Marcella gewohnt, und er arbeitet als Hausmeister in einer Kirche dort oben! Er ist einer von diesen "Wiedergeborenen", und ist wahrscheinlich völlig abgebrannt, aber der Tod seines Vaters hat ihn im Handumdrehen zum Milionär gemacht!! Ich denke, es baut die Deute sicher auf, wenn sie hören, wie er es geschafft hat, sein leben von Grund auf zu ändern, durch seinen christlichen Glauben. Bestimmt würden ihre Leser auch gern hören, was er mit seinem neuentdeckten Reichtum vorhat. Bei all den schlechten Nachrichten, die Tagein Tagaus über uns hereinbrechen, wäre doch diese Geschichte sicher sehr aufbauend für Jeden, ich finde, es wäre eine wunderbare Inspiration für die Gemeinde! Hoffen wir nur, das Guy Malek bereit ist, die Geschichte seines "Glücks" mit uns zu teilen, ich freue mich schon darauf, einen solchen Artikel zu lesen, und weiß, das Sie ihn bestimmt gut schreiben würden! Viel Glück und Gottes Segen!

Hochachtungsvoll,

Max Outhwaite

2905 Connecticut Ave.

Colgate, GA

Ich merkte, daß ich den Brief an den Ecken hielt, als wollte ich es vermeiden, Fingerabdrücke zu verwischen, eine lächerliche Vorkehrung angesichts der Tatsache, daß es nicht einmal das Original war. Das Schreiben war ordentlich getippt, ohne sichtbare Korrekturen oder ausgeixte Wörter. Allerdings enthielt es einige Rechtschreibfehler (mein Name eingeschlossen), zu viele Kommas, eine Tendenz zur Emphase und mehrere unnötige Großschreibungen, aber ansonsten schienen die Absichten des Absenders wohlwollender Natur zu sein. Abgesehen davon, daß er die Presse auf etwas aufmerksam gemacht hatte, was niemand anderen etwas anging, konnte ich keinen speziellen Versuch herauslesen, sich in Guy Maleks Leben einzumischen. Maximilian (oder womöglich Maxine) Outhwaite dachte offenbar, die Abonnenten des Santa Teresa Dispatch würden die Geschichte des vom Saulus zum Paulus gewordenen Jungen und der Belohnung, die er dafür bekam, rührend finden! Outhwaite schien keine eigennützigen Motive zu verfolgen, und es fand sich auch keine Spur von Boshaftigkeit, die seine (oder ihre) Begeisterung für die Geschichte untergraben hätte. Also was wurde hier gespielt?

Ich legte den Brief beiseite und drehte mich auf meinem Drehstuhl, während ich das Schriftstück verstohlen aus den Augenwinkeln musterte. In meiner Eigenschaft als »Dedektivin« beunruhigte mich das verdammte Ding etwas. Mir gefiel die intime Detailkenntnis überhaupt nicht, und ich zerbrach mir den Kopf darüber, was für ein Motiv dahintersteckte. Der Ton war unbefangen, aber das Manöver hatte seine Wirkung getan. Auf einmal hatte Guy Maleks Privatangelegenheit öffentliches Interesse gefunden.

Ich legte den Brief in die Malek-Akte und gab ihn zur näheren Betrachtung an meine Psyche weiter.

Den Rest des Vormittags verbrachte ich im Gerichtsgebäude, wo ich mich um andere Angelegenheiten kümmerte. In der Regel arbeite ich an fünfzehn bis zwanzig verschiedenen Fällen. Nicht alle sind eilig, und nicht alle verlangen zur gleichen Zeit meine Aufmerksamkeit. Ich mache öfter Hintergrundrecherchen für eine Forschungs- und Entwicklungsfirma draußen in Colgate. Außerdem übernehme ich Nachforschungen über Personen für deren zukünftige Arbeitgeber und spüre für mehrere Kleinbetriebe in der Umgegend Schuldnern nach. Gelegentlich erledige ich auch für einen Scheidungsanwalt hier in der Straße die routinemäßige Schnüffelarbeit. Selbst in einem Bundesstaat, in dem das Schuldprinzip nicht gilt, kommt es vor, daß Ehegatten Wertsachen verstecken oder verschweigen, wo sich gemeinsamer Besitz wie Autos, Boote oder Flugzeuge befindet oder wo sich minderjährige Kinder aufhalten. Es hat etwas Geruhsames, einen Vormittag damit zu verbringen, auf der Suche nach verwandtschaftlichen Beziehungen Heiratsurkunden und Totenscheine durchzugehen, oder einen Nachmittag damit, im Bezirksamt rechtskräftige Testamente, Eigentumsübertragungen sowie Steuer- oder Bauhandwerkerpfandrechte zu studieren.

Manchmal kann ich kaum fassen, daß ich das Glück habe, in einer Branche zu arbeiten, in der ich dafür bezahlt werde, daß ich Dinge aufdecke, die andere Leute lieber unter Verschluß halten würden. Wenn man als Privatdetektiv Papieren hinterherjagt, muß man zwar keine schußsichere Weste tragen, aber die Ergebnisse können ebenso gefährlich sein wie eine Schießerei oder eine Verfolgungsjagd bei hoher Geschwindigkeit.

An diesem Montag morgen bestand mein Auftrag darin, Behauptungen bezüglich des Budgets zu überprüfen, die in einem Firmenprospekt aufgestellt wurden. Einem hiesigen Geschäftsmann war vorgeschlagen worden, fünfzigtausend Dollar in ein Projekt zu investieren, das wie ein vielversprechendes Konzept zur Absatzförderung aussah. Innerhalb einer Stunde fand ich heraus, daß einer der beiden Teilhaber persönlichen Konkurs hatte anmelden müssen und gegen den anderen sechs Prozesse anhängig waren. Da ich schon dabei war, machte ich mich an eine vorläufige Suche nach Max Outhwaite, indem ich mit den Wählerlisten anfing und mich bis zum örtlichen Steuerregister durcharbeitete. Ich ging über die Straße zur Stadtbibliothek und versuchte es in der Abteilung für Nachschlagewerke. In der besagten Schreibweise standen überhaupt keine Outhwaites im regionalen Telefonbuch und auch nicht in den städtischen Büchern der letzten sechs Jahre. Das mußte meiner Erfahrung nach nichts Besonderes heißen. Es hieß lediglich, daß »Max Outhwaite« ein Pseudonym war, aber unter bestimmten Umständen konnte ich die Maskerade nachvollziehen. Wenn jemand die Aufmerksamkeit der Lokalzeitung auf eine bestimmte Angelegenheit lenken wollte, war es verständlich, daß er einen falschen Namen und eine erfundene Adresse angab. Vielleicht war es ein Prominenter, der nur höchst ungern mit dem fraglichen Thema in Verbindung gebracht werden wollte. Vielleicht war es auch ein Familienmitglied, dem sehr daran gelegen war, Guy in Schwierigkeiten zu bringen, das aber keine Verantwortung dafür übernehmen wollte. Einen solchen Brief zu schreiben war zwar kein Verbrechen, aber womöglich fühlte der Betreffende sich trotzdem schuldig und wollte die eventuellen Konsequenzen nicht auf sich nehmen.

Zum Mittagessen kaufte ich mir an einem Automaten ein Sandwich und eine Limonade und setzte mich auf den Rasen hinter dem Gerichtsgebäude. Es war ein heißer Tag, und die Baumwipfel wurden von trockenen Winden aus der Wüste durchgerüttelt. Die Äste der großen Nadelbäume, die vorn an der Straße standen, schienen in der Brise zu glitzern und verströmten den Geruch von Harz. Ich lehnte mich auf den Ellbogen zurück und reckte das Gesicht genießerisch in die Sonne. Um ein Uhr erhob ich mich wieder und ging ins Büro zurück, wo ich meine Erkenntnisse zu den Fällen, die ich bearbeitet hatte, abtippte. So sieht das Leben einer Privatdetektivin heutzutage aus. Ich verbringe mehr Zeit damit, mich an einer Smith-Corona zu üben als an einer Smith & Wesson.