7
Als wir um Viertel nach zehn zu mir zurückkamen, brannte bei Henry noch Licht in der Küche. Dietz sagte, sein Knie brächte ihn um, und so ging er in die Wohnung, wo er zwei Schmerztabletten nehmen, die Füße hochlegen und seinen Eisbeutel wirken lassen wollte. Ich sagte, ich käme gleich wieder. Unser Gespräch bei Rosie hatte im Grunde zu nichts geführt. Ich konnte weder ertragen, es fortzusetzen, noch so zu tun, als wäre das Thema nie zur Sprache gekommen. Ich wußte nicht, was ich von ihm wollte, und erst recht nicht, wie ich es ihm sagen sollte, und so hörte ich mich am Schluß nur noch armselig an. Meine Grundeinstellung ist: Wenn dein Geist nicht offen ist, dann laß auch den Mund zu.
Ich klopfte an Henrys Hintertür und winkte ihm durchs Fenster zu, als er überrascht zu mir hinaussah. Er saß mit der Abendzeitung und seinem Glas Jack Daniel’s im Schaukelstuhl. Er lächelte, winkte zurück und legte die Zeitung beiseite, damit er mich hereinlassen konnte. Er hatte die Heizung aufgedreht, und die Luft im Raum war warm und duftete köstlich nach den Zimtschnecken vom Vortag.
»Herrlich hier. Draußen ist es richtig kalt«, sagte ich. Der Küchentisch war mit zu Stapeln sortierten Schwarzweißfotos bedeckt. Ich warf einen kurzen Blick darauf, zog mir einen Stuhl heran und wandte meine Aufmerksamkeit Henry zu. In meinen Augen ist Henry Pitts einfach perfekt: Er ist klug, gutmütig und verantwortungsbewußt und hat die hübschesten Beine, die ich je gesehen habe. Seit fünf Jahren ist er mein Vermieter, seit dem Tag, als ich sein Wohnungsangebot im Waschsalon hängen sah. Henry suchte einen Dauermieter, der sauber und ruhig war; keine Kinder, laute Partys oder kläffende Hunde. Nachdem ich mein ganzes Leben in Wohnwagen verbracht hatte, war ich zwar kleinen, kompakten Räumlichkeiten verfallen, aber bereit, den Kontakt zu einer Menge lauter, ungebärdiger Nachbarn zu begrenzen. Das Leben in einem Wohnwagenpark bringt trotz all seiner Vorzüge eine intime Vertrautheit mit den Privatangelegenheiten anderer Leute mit sich. Da ich mir mein Geld als Schnüfflerin verdiene, behalte ich meine Privatangelegenheiten lieber für mich. Die umgebaute Einzelgarage, die Henry zu bieten hatte, übertraf meine Wunschträume um einiges und war außerdem bezahlbar. Seit damals war die Wohnung einmal durch eine Bombe verwüstet und wieder instand gesetzt worden, wobei das Innere mit Teakholz ausgestattet und so geschickt eingerichtet wurde wie ein Schiff.
Von Anfang an hatten Henry und ich gerade soviel an Beziehung zueinander aufgebaut, wie es uns beiden paßte. Im Lauf der Jahre ist es ihm gelungen, mich in gewissem Maße zu kultivieren, und ich bin heute bestimmt genießbarer als damals. Nach und nach wurde das Band zwischen uns enger, und mittlerweile ist er für mich die beispielhafte Mischung aus Freund und Verwandtem.
»Möchtest du eine Tasse Tee?« fragte er.
»Nein, danke. Ich wollte nur kurz reinschauen und hallo sagen, bevor ich mich aufs Ohr lege. Sind das Familienfotos?« fragte ich und nahm aufs Geratewohl eines in die Hand.
»Angeblich«, sagte er. »Nell hat sie mir geschickt. Sie hat zwei Schachteln mit alten Fotos gefunden, aber keines davon ist beschriftet. Keine Namen, keine Daten. Sie hat keine Ahnung, wer diese Leute sind, und unsere anderen Geschwister auch nicht. So ein Chaos. Ich sag dir nur eins: Beschrifte alle deine Fotos, auch wenn es nur eine kurze Notiz auf der Rückseite ist. Du weißt, wer wer ist, aber sonst niemand.«
»Kommen sie dir vertraut vor?«
»Ein paar.« Er nahm den Abzug, den ich gerade betrachtete, und kniff die Augen zusammen, während er ihn gegen das Licht hielt. Ich spähte über seine Schulter. Die Frau auf dem Bild vor mir mußte Mitte Zwanzig gewesen sein, hatte ein breites, sanftmütiges Gesicht, und ihr Haar war hinten zu einem Knoten zusammengefaßt. Sie trug eine weiße Matrosenbluse, dazu einen wadenlangen Rock, dunkle Strümpfe und flache, dunkle Schuhe mit einer Schleife auf dem Spann. Neben ihr stand ein mißmutig dreinblickendes Mädchen von acht Jahren in einem Matrosenkleid mit tiefem Taillenansatz und knöchelhohen Schnürstiefelchen. »Ich glaube, das ist ein Bild von Augusta, der jüngeren Schwester meiner Mutter, aufgenommen in Topeka, Kansas, im Jahr 1915. Das Kind hieß Rebecca Rose, wenn ich mich recht erinnere. Sie und ihre Mutter kamen beide während der großen Grippeepidemie 1918 ums Leben.« Er nahm ein anderes Bild zur Hand. »Das ist meine Mutter mit meinem Großvater Tilmann. Es wundert mich, daß Nell die beiden nicht erkannt hat, aber womöglich hat ihre Sehkraft nachgelassen. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, weiß ich eigentlich gar nicht, wozu das eine Rolle spielt. Keiner von uns hat Kinder, also ist es doch nach unserem Tod gleichgültig, wer diese Leute sind.«
»Das klingt aber traurig. Warum klebst du sie nicht in ein Album und gibst sie an mich weiter? Ich werde so tun, als wären sie meine. Wie hieß er mit Vornamen?«
»Klaus. Meine Mutter hieß Gudrun.« Der Mann, der angestrengt in die Kamera starrte, muß Ende Siebzig gewesen sein, und die Tochter neben ihm dem Anschein nach in den Fünfzigern. Ich fragte: »Was ist Tilmann für ein Name? Ist er deutsch? Irgendwie habe ich immer gedacht, Ihr wärt alle Schweden oder Finnen.«
»O nein, wir sind keine Skandinavier. Das sind in meinen Augen trübsinnige Gesellen. Die Tilmanns sind von gutem deutschem Schlag. Eigensinnig, herrisch, streng und robust. Manche sagen, unmöglich, aber das ist Auffassungssache. Langlebigkeit ist genetisch, und laß dir bloß von niemandem etwas anderes erzählen. Ständig lese ich diese Artikel über Leute, die hundert Jahre alt werden. Sie halten es sich alle selbst zugute, behaupten, es läge daran, daß sie rauchen oder nicht rauchen, Joghurt essen, Vitamine schlucken oder einen Eßlöffel Essig pro Tag zu sich nehmen. So ein Unsinn. Abgesehen von Krieg und Unfällen lebt man deshalb lang, weil man von Leuten abstammt, die lang leben. Allerdings muß man Verantwortung für sich übernehmen und darf sich nicht irgendwelchen Exzessen aussetzen. Meine Mutter ist hundertunddrei geworden, und ich gehe davon aus, daß die restlichen fünf von uns ebensolang leben werden.«
»Du bist auf jeden Fall gut in Form. Wie alt ist Nell — sechsundneunzig? Und du wirst am Valentinstag sechsundachtzig.«
Henry nickte und machte eine Geste, als wolle er auf Holz klopfen. »Im großen und ganzen sind wir gesund, obwohl wir alle ein bißchen einschrumpfen. Wir haben schon darüber gesprochen und sind zu dem Schluß gekommen, daß die Natur uns deshalb schrumpfen läßt, damit wir im Sarg nicht soviel Platz brauchen. Man wird auch leichter. Fühlt sich an, als würden die Knochen Luft aufnehmen. Das macht es den Sargträgern leichter. Und natürlich lassen die Kräfte nach. Man wird blind wie ein Maulwurf, und das Hörvermögen schwindet. Charlie sagt, es klingt inzwischen, als hätte er andauernd ein Kissen über dem Kopf. Wenn du alt wirst, machst du dir am besten keine Gedanken mehr um deine Würde. Soweit ich es beurteilen kann, ist jeder, der von Würde für alte Leute redet, noch nie mit einem alten Menschen zusammengewesen. Auch wenn du deinen Mumm behältst, mußt du schon früh deine Eitelkeit aufgeben. Wir tragen alle Windeln. Gut, ich nicht, aber ich bin ja auch das Nesthäkchen der Familie. Die anderen machen sich jedesmal naß, wenn sie husten oder zu heftig lachen.
Nell sagt, William fehlt ihr unter anderem deshalb so sehr, seit er hierhergezogen ist, weil sie jetzt nicht mehr so wie früher Bridge spielen können. Jetzt müssen sie zu dritt spielen, und das macht nicht soviel Spaß. Lewis hat schon überlegt, eine Cousine zu fragen, ob sie bei ihnen einziehen will, aber Nell duldet keine andere Frau im Haus. Sie sagt, sie hat ihre Brüder jetzt achtzig Jahre lang für sich gehabt, und sie will daran nichts ändern. Nell sagt, wenn sie >von uns gegangen< ist, können sie machen, was sie wollen, je nachdem, wer noch übrig ist.«
»Unfaßbar, daß sie immer noch bereit sind, die Winter in Michigan über sich ergehen zu lassen. Warum ziehen sie denn nicht alle hierher? Da könntet ihr soviel Bridge spielen, wie ihr wollt.«
»Es ist im Gespräch. Wir müssen mal sehen. Nell hat ihre Mittagessen mit der Damengruppe, und die möchte sie nur äußerst ungern aufgeben.« Henry legte das Foto hin und setzte sich wieder. »Und wie geht’s dir? Ich habe mich nett mit deinem Freund Dietz unterhalten. Er hat gesagt, du hättest einen neuen Auftrag.«
»Eigentlich bin ich schon wieder fertig. Eine dieser schnellen Sachen, an die man gern zurückdenkt, wenn die harten Nüsse kommen«, sagte ich. Ich erzählte ihm ein paar Minuten lang von meiner Suche nach Guy Malek.
Henry schüttelte den Kopf. »Und was passiert jetzt? Glaubst du, daß er seinen Anteil am Nachlaß bekommt?«
»Wer weiß? Ich erfahre nicht immer, wie es ausgeht. Aber Tasha glaubt, sie werden sich einigen können.«
»Wie lange bleibt Dietz hier? Ich dachte, ich könnte euch beide mal zum Abendessen zu mir einladen.«
»Wahrscheinlich nicht lang. Er ist auf dem Weg nach Santa Cruz, um seine Söhne zu besuchen«, sagte ich.
»Laß mich wissen, ob er am Samstag noch da ist, dann koche ich etwas Feines. Wir laden William und Rosie und Moza Lowenstein ein, wenn sie Zeit hat.«
Als ich in meine Wohnung kam, war Dietz bereits in der Unterwäsche eingeschlafen, auf dem Stuhl zusammengesunken und leise schnarchend. Im Fernsehen lief mit gedämpfter Lautstärke ein Naturfilm über Unterwasserattacken von Haien. Dietz hatte sein Bein auf die Kante des Bettsofas hochgelegt und sich eine Decke bis über Brust und Schultern gezogen. Der teilweise geschmolzene Eisbeutel war zu Boden gefallen. Ich legte ihn ins Kühlfach und holte einen anderen heraus, den ich behutsam auf sein Knie legte, ohne ihn zu wecken. Seine Kniescheibe war geschwollen, und die nackte Haut sah bleich und verletzlich aus. Ich ließ ihn, wie er war, da ich wußte, daß er lange vor dem Morgen aufwachen würde. Er schläft stets phasenweise und schreckt immer wieder auf wie ein wildes Tier, und ich wußte aus der Vergangenheit, daß er es selten schafft, eine Nacht durchzuhalten, ohne mindestens zweimal aufzustehen.
Ich streifte meine Schuhe ab und ging die Wendeltreppe hinauf. Von oben blickte ich auf ihn herab. Sein zerfurchtes Gesicht sah im Schlaf fremd aus, als wäre es aus Ton modelliert. Ich sah ihn selten entspannt. Er war von Natur aus ruhelos, ständig in Bewegung, seine Gesichtszüge beseelt von der puren Kraft seiner nervösen Energie. Noch während ich ihn musterte, regte er sich und wachte auf, wobei er mit einem verwirrten Blick hochfuhr. Ich sah, wie er zusammenzuckte, nach dem Eisbeutel griff und ihn wieder auf seinem aufgedunsenen Gelenk plazierte. Ich trat vom Treppengeländer weg und ging ins Badezimmer, wo ich mir das Gesicht wusch und die Zähne putzte. Es war zweifellos die Nähe zu dem vielen Testosteron, daß ich ein Prickeln verspürte. Von einem Haken an der Badezimmertür schnappte ich mir ein überdimensionales T-Shirt. Normalerweise schlafe ich nackt, aber das schien mir keine gute Idee zu sein.
Als ich bettfertig war, drehte ich das Licht aus und schlüpfte unter die Steppdecke. Ich streckte den Arm aus und stellte meinen Wecker, während ich zusah, wie seine digitale Anzeige von 23.04 auf 23.05 Uhr sprang. Ich hörte Dietz aufstehen und in die Küche gehen. Die Kühlschranktür ging auf und wieder zu. Er holte sich ein Glas und schenkte sich etwas ein — Wein, Orangensaft oder Milch, auf jeden Fall etwas Flüssiges. Ich hörte, wie er einen Küchenhocker hervorzog und dann das Rascheln einer Zeitung. Ich fragte mich, was er wohl dachte, fragte mich, was passieren würde, wenn ich ihn die Treppe heraufkommen hören würde. Vielleicht hätte ich einen Bademantel anziehen und mich unten zu ihm setzen, alle Vorsicht in den Wind schlagen sollen — zur Hölle mit den Konsequenzen, aber das widersprach meiner Natur. Das lange Alleinsein hatte mich, was Männer anging, vorsichtig gemacht. Ich starrte zu dem Oberlicht aus Plexiglas über meinem Bett hinauf und dachte über die Risiken nach, die es mit sich brachte, wenn ich mich ihm näherte. Leidenschaft ist nie von Dauer, aber was ist das schon? Wenn man alles haben könnte, aber nur kurz, wäre dann der Liebesrausch den Preis an Schmerzen wert? Ich merkte, wie ich in den Schlaf versank, als wäre ich mit Steinen beschwert. Erst um 5.59 Uhr erhob ich mich wieder.
Ich zog meine Joggingsachen an und bereitete mich wie gewohnt auf meinen Dauerlauf vor. Dietz stand unter der Dusche, als ich das Haus verließ, doch es versetzte mir einen Stich, als ich entdeckte, daß er sich ans Packen gemacht hatte. Neben der Bettcouch, die er wieder hochgeklappt hatte, lag sein Koffer offen auf dem Fußboden. Die Decken hatte er zusammengefaltet und am einen Ende des Sofas aufgestapelt. Die benutzte Bettwäsche hatte er neben die Waschmaschine geworfen. Vielleicht glaubte er, sein Auszug würde meine Querelen mit ihm beenden und die Gefahr verringern, daß ich mich an ihn klammerte. Perverserweise mußte ich feststellen, daß ich zwar bei seiner Ankunft nichts empfunden hatte, aber nun, bei seiner Abreise, von einem quälenden Gefühl des Verlustes überfallen wurde. Zwei Tage lang war er bei mir gewesen, und schon litt ich, also war es vielleicht klug von mir gewesen, nicht weiter zu gehen. Ich lebte schon so lange keusch, was bedeutete da ein weiteres Jahr ohne Sex? Unbeabsichtigt entfuhr mir ein Laut, der ein Wimmern hätte sein können, wenn ich mir so etwas zugestehen würde.
Leise machte ich die Tür hinter mir zu und atmete tief durch, als könnte die feuchte Morgenluft das Feuer in meiner Brust lindern. Ich ließ das Gartentor hinter mir, blieb stehen und machte meine Stretching-Übungen, während ich meinen Geist auf Leerlauf schaltete. In den letzten Jahren als Privatdetektivin habe ich mir einen guten Trick zum Ausblenden meiner Gefühle angeeignet. Genau wie andere in den »helfenden« Berufen — Ärzte, Krankenschwestern, Polizisten, Sozialarbeiter, Sanitäter — ist emotionales Abschalten manchmal die einzige Methode, um angesichts des Todes in all seinen schäbigen Varianten zu funktionieren. Anfangs beanspruchte meine Distanzierung mehrere Minuten konzentrierten Bemühens, aber heute kann ich im Handumdrehen umschalten. Verfechter geistiger Gesundheit schärfen uns gern ein, daß unserem seelischen Wohlbefinden am besten damit gedient ist, wenn wir in Verbindung mit unseren Gefühlen bleiben, aber damit meinen sie doch bestimmt nicht die, die uns zu schaffen machen.
Der Dauerlauf war unbefriedigend. Es war ein bewölkter Morgen, und der Himmel zeigte sich in schwermütigem Grau, ohne sichtbaren Sonnenaufgang. Langsam verdrängte das Tageslicht den Dämmer, aber dennoch sah alles aus wie auf einem verblichenen alten Schwarzweißfoto. Mein Schritt kam mir ungleichmäßig vor, und ich kam nicht richtig in Trab. Die Luft war dermaßen kalt, daß ich nicht einmal ordentlich Schweiß produzierte. Pflichtbewußt zählte ich die Meilen ab und freute mich, daß ich es trotz allem durchhielt. An manchen Tagen ist Disziplin an sich schon ein Ziel, eine Methode, angesichts der kleinen Rückschläge des Lebens seinen Willen zu behaupten. Ich ging den halben Häuserblock nach Hause und fegte sorgfältig jegliches sehnsüchtige Gefühl beiseite.
Dietz saß am Küchentresen, als ich hereinkam. Er hatte eine Kanne Kaffee gekocht und mir meine Corn-Flakes-Schüssel bereitgestellt. Seine war bereits abgewaschen und gespült und trocknete auf dem Geschirrständer. Sein Koffer stand verschlossen neben der Tür, mitsamt seinem Kleidersack. Durch die offene Badezimmertür konnte ich sehen, daß er das Waschbecken von all seinen persönlichen Utensilien befreit hatte. Der Duft von Seife vermischte sich mit dem seines Rasierwassers, ein schweres männliches Parfüm, das alles durchdrang.
»Ich dachte, es wäre vielleicht einfacher, wenn ich abreise«, sagte er.
»Klar, kein Problem. Ich hoffe, du machst es nicht meinetwegen.«
»Nein, nein. Du kennst mich doch. Ich bin nicht so gut im Bleiben«, sagte er. »Außerdem hast du vermutlich eine Menge zu tun.«
»Oh, massenhaft«, erwiderte ich. »Fährst du nach Santa Cruz hinauf?«
»Letztendlich schon. Ich fahre die Küste hoch und bleibe vielleicht noch einen Tag in Cambria. Mit meinem Knie muß ich die Fahrt sowieso unterbrechen. Du weißt schon, jede Stunde oder so aussteigen und strecken. Es warm halten und nicht verkrampfen. Sonst wird es steif.«
»Wann fährst du los?«
»Wenn du zur Arbeit gehst.«
»Tja, wunderbar. Ich dusche nur kurz, und dann kannst du dich auf den Weg machen.«
»Laß dir Zeit. Ich hab’s nicht eilig«, sagte er.
»Das sehe ich«, bemerkte ich und ging wieder nach oben. Diesmal fragte er mich nicht, ob ich sauer sei. Das war gut, denn in Wirklichkeit kochte ich vor Wut. Unter der Wut lag der altvertraute Schmerz. Warum muß mich immer jeder verlassen? Was habe ich ihnen getan? Ich erledigte meine morgendlichen Verrichtungen so rasch wie möglich, warf mich in die Klamotten und aß meine Corn-flakes, ohne mir die Zeit zum Zeitunglesen zu nehmen. Um meine Gleichgültigkeit angesichts seiner überstürzten Abreise zu demonstrieren, holte ich frische Bettwäsche heraus und bat ihn, mir beim Beziehen des Bettzeugs für das Schlafsofa zu helfen. Ich hoffte, dies würde darauf hinweisen, daß ein anderer Anwärter auf einen Schlafplatz schon vor der Tür stand. Keiner von uns redete viel, und was wir sagten, war auf unsere Tätigkeit bezogen. »Wo ist der andere Kissenbezug?« So ungefähr.
Nachdem das Sofa frisch bezogen war, brachte er seinen Koffer zum Wagen und kam zurück, um den Kleidersack zu holen. Ich brachte ihn zur Straße hinaus, und wir tauschten einen dieser unaufrichtigen Küsse mit dazugehörigen Geräuscheffekten aus. Mmtsch! Er ließ seinen Porsche an, und ich winkte brav, als er die Straße entlangröhrte. Du kleiner Scheißer, dachte ich.
Ich ging ins Büro und ignorierte die leise Neigung, grundlos aus der Haut zu fahren. Der Tag klaffte vor mir wie ein Kanalloch in der Straße. Es war genau dasselbe Gefühl wie letztes Mal, als er gegangen war. Wie kann ausgerechnet mir so etwas passieren, wo ich doch so couragiert und unabhängig bin? Ich legte ein paar Patiencen, bezahlte einige Rechnungen und kontrollierte mein Scheckheft. Mein Magen machte sich unangenehm bemerkbar. Als schließlich kurz vor dem Mittagessen das Telefon klingelte, riß ich den Hörer von der Gabel, unangemessen dankbar für die Ablenkung.
»Kinsey, hier ist Donovan. Wie geht’s?«
»Ach, bestens. Und Ihnen?«
»Geht so. Äh, hören Sie, wir haben Ihre Nachricht erhalten und würden uns gern für die gute Arbeit bedanken. Tasha mußte heute morgen nach San Francisco fliegen, aber sie sagte, Sie hätten bestimmt nichts dagegen, uns aus erster Hand zu informieren. Könnten Sie heute am späten Nachmittag auf einen Drink zu uns rauskommen?«
»Ja, sicher. Kann ich machen. Ich wollte gerade einen Bericht tippen und Ihnen mit der Post zuschicken, aber ich kann Ihnen auch persönlich Auskunft geben, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Das würde mich freuen. Ich nehme an, Jack und Bennet werden auch dabeisein wollen. Falls die beiden irgendwelche Fragen haben, können Sie uns alle zugleich aufklären und sich Wiederholungen ersparen. Paßt Ihnen halb sechs?«
»Ist mir recht«, sagte ich.
»Gut. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, merkte ich, wie ich die Achseln zuckte. Ich hatte nichts gegen einen formlosen Bericht einzuwenden, solange ich nicht irgendwie in das Familiendrama hineingezogen wurde. Guy ausgenommen, war ich nicht direkt begeistert von den Malek-Brüdern. Ich glaubte wirklich, daß Guy seine üblen Verhaltensweisen abgelegt hatte, und so konnte ich ihm vielleicht einen Gefallen tun, indem ich die anderen auch davon überzeugte. Nicht daß es mich etwas anging, wie das Geld verteilt wurde, aber falls es irgendwelche bohrenden Fragen über seine »Würdigkeit« geben würde, hätte ich auf jeden Fall eine Meinung. Und außerdem hatte ich, nachdem Dietz jetzt weg war, ohnehin nichts Besseres zu tun.
Ich ließ das Mittagessen ausfallen und verbrachte den Nachmittag damit, mein Büro zu putzen. Lonnie Kingman hatte zwar eine Putzkolonne, die die Räumlichkeiten allwöchentlich am Freitag nachmittag säuberte, aber ich empfand es als heilsam, mich ans Werk zu machen und zu schrubben. Ich verbrachte sogar zwanzig Minuten damit, den künstlichen Ficus abzustauben, den schon mal jemand für echt gehalten hatte. Das Zimmer, das ich gemietet hatte, war ursprünglich ein Besprechungszimmer gewesen, und so gehörte ein komplettes »Chef«-Badezimmer dazu. Ich holte mir einen Plastikeimer, Schwämme, Putzmittel, eine Klobürste und einen Schrubber und amüsierte mich königlich dabei, imaginäre Bazillen abzutöten. Meine Methode, mit Depressionen fertig zu werden, besteht darin, mir Beschäftigungen aufzuhalsen, die so lästig und widerlich sind, daß die Wirklichkeit vergleichsweise freundlich ist. Gegen drei Uhr roch ich nach Schweiß und Haushaltsbleiche und hatte vergessen, weshalb ich so unglücklich war. Na ja, ehrlich gesagt, wußte ich es schon noch, aber es war mir scheißegal.
Nachdem ich mein Büro keimfrei gemacht hatte, schloß ich die Tür ab, zog die Klamotten aus, hüpfte in die Chefdusche und schrubbte mich ab. Ich schlüpfte wieder in diesselbe Jeans, zog aber einen frischen Rollkragenpullover an, den ich aus dem Fundus für plötzlich erforderliche Reisen holte. Was wäre das Leben ohne Zahnbürste und eine frische Unterhose? Ich tippte die offizielle Version von meiner Begegnung mit Guy Malek, legte ein Exemplar in meine Akten und steckte das andere in meine Handtasche. Das dritte schob ich in einen Umschlag, der an Tasha Howards Büro in San Francisco adressiert war. Ende. Finito. Erledigt, erledigt, erledigt. Das war der letzte Auftrag, den ich je von ihr annehmen würde.
Um fünf vor halb sechs passierte ich, gehüllt in meinen besten (und einzigen) Tweed-Blazer, das Tor zum Anwesen der Maleks. Mittlerweile war es fast dunkel geworden; die Tage zeichneten sich nach wie vor durch eine frühe Dämmerung aus. Meine Scheinwerfer glitten in einem verirrten Bogen über die verputzte Mauer, die das sechs Hektar große Grundstück umgab. Über den oberen Rand der Mauer hatte man vor Jahren drei Reihen Stacheldraht gespannt, der inzwischen verrostet und an manchen Stellen gerissen war und ausgesprochen nutzlos wirkte. Wer weiß, mit was für Eindringlingen man damals gerechnet hatte? Ein kühler Wind war aufgekommen, und die verdunkelten Baumkronen schwankten und bebten und flüsterten miteinander über Unsichtbares. Im Haus brannten Lichter, zwei Fenster im Obergeschoß schimmerten in blassem Gelb, während der größte Teil des Erdgeschosses dunkel war.
Die Haushälterin hatte es versäumt, die Außenbeleuchtung einzuschalten. Ich parkte auf der Wendefläche und bahnte mir den Weg über den Vorplatz mit seinem Kopfsteinpflaster hin zu dem düsteren Portikus, der den Vordereingang überdachte. Ich klingelte und wartete, während ich gegen die Kälte die Arme verschränkte. Endlich ging das Außenlicht an, und Myrna öffnete die Tür einen Spalt weit.
»Hallo, Myrna. Kinsey Millhone. Ich war neulich schon mal hier. Donovan hat mich auf einen Drink eingeladen.«
Myrna brach angesichts dieser Mitteilung nicht gerade in einen Freudentaumel aus. Offenbar wurde den Teilnehmerinnen der Fortgeschrittenenkurse an der Haushälterinnenschule beigebracht, plötzlichen Begeisterungsstürmen keinesfalls Ausdruck zu verleihen. In den zwei Tagen, seit ich Myrna zuletzt gesehen hatte, hatte sie ihr Haar nachgefärbt, so daß es nun in einem eisigen Weißblond erstrahlte. Ihre Tracht bestand aus einem grauen Oberteil und dazu passenden grauen Hosen. Ich hätte darauf gewettet, daß der Bund unter dem Kittel aufgeknöpft war. »Hier entlang«, sagte sie. Ihre Kreppsohlen quietschten leise auf dem gebohnerten Parkettfußboden.
Von irgendwo über uns rief eine Frau herab: »Myrna? War das die Haustür? Wir erwarten Besuch.« Ich sah nach oben, dem Klang ihrer Stimme folgend. Eine Brünette Ende Dreißig lehnte am Treppengeländer über unseren Köpfen. Als sie mich entdeckte, hellte sich ihre Miene auf: »Oh, hallo. Sie müssen Kinsey sein. Möchten Sie heraufkommen?«
Myrna drehte ab, ohne noch ein Wort zu verlieren, und verschwand im hinteren Teil des Hauses, während ich die Treppe hinaufstieg.
Christie streckte mir die Hand entgegen, als ich am oberen Treppenabsatz angekommen war. »Ich bin Christie Malek. Schön, Sie zu sehen«, sagte sie, als wir uns die Hände schüttelten. »Myrna haben Sie ja schon kennengelernt.«
»Mehr oder weniger«, antwortete ich. Ich musterte sie auf einen Blick, wie bei einem Polaroidfoto. Sie hatte ein feingeschnittenes Gesicht und glänzendes, dunkelbraunes Haar, das sie schulterlang trug. Sie war sehr schlank und steckte in Jeans und einem wuchtigen schwarzen Wollpullover, der ihr fast bis an die Knie reichte. Die Ärmel waren hochgeschoben, und so sah ich ihre schmalen Handgelenke und die langen, kühlen Finger. Ihre Augen waren klein und von dunklem, durchdringendem Blau und lagen unter buschigen Augenbrauen. Ihre Zähne waren so perfekt wie in einer Zahnpasta-Reklame. Das Fehlen von jeglichem Make-up verlieh ihr eine zurückhaltende, fast etwas schüchterne Ausstrahlung, aber ihre Art war freundlich und ihr Lächeln warm. »Donovan hat angerufen und gesagt, daß er ein paar Minuten später kommt. Jack ist gerade auf dem Nachhauseweg, und Bennet muß irgendwo hier sein. Ich sehe gerade Baders Papiere durch und kann ein bißchen Gesellschaft gebrauchen.«
Während sie noch mit mir sprach, drehte sie sich um und ging auf das ehemalige Elternschlafzimmer zu, das ich durch eine offenstehende Tür erkennen konnte. »Wir suchen — unter anderem — immer noch nach dem fehlenden Testament. Man soll die Hoffnung nie aufgeben«, fügte sie sarkastisch hinzu.
»Ich dachte, Bennet wollte das erledigen.«
»Das ist Bennets Art, etwas zu erledigen. Er liebt es, zu delegieren.«
Ich hoffte, in ihrem Tonfall läge ein Hauch Ironie. Sicher konnte ich mir da nicht sein, also hielt ich den Mund.
Die Suite, die wir betraten, war riesig: zwei großzügige Räume, getrennt durch eine Schiebetür, deren zwei Teile in ihre jeweilige Wandhälfte geschoben waren. Wir durchquerten den vorderen Raum, der als Schlafzimmer eingerichtet war. Die Wände waren mit einer edel schimmernden rosafarbenen Seidentapete versehen. Der Teppich war creme-weiß und hatte einen dichten, kurzen Flor. Schwere, blasse Vorhänge hingen aufgezogen vor bleiverglasten Fenstern, die auf den gepflasterten Vorplatz hinausgingen. An der linken Wand befand sich ein Marmorkamin. Zwei identische Sofas flankierten ihn, massige Polstermöbel, bezogen mit dezent geblümtem Chintz. Das Himmelbett war tadellos gemacht, und die schneeweiße, seidene Tagesdecke wies keine Falte auf. Die Oberfläche des Nachttischs wirkte unnatürlich nackt, als wären einst persönliche Gegenstände nun unsichtbar verräumt worden. Vielleicht war das nur meine Einbildung, aber der Raum schien den lastenden Geruch von Krankheit zu bergen. Ich sah, daß man gerade dabei war, die Schränke zu leeren, deren Inhalt — Anzüge und Hemden — in große Pappkartons der hiesigen Altkleiderverwertung gepackt wurde.
»Das ist ja herrlich«, sagte ich.
»Nicht wahr?«
Hinter der Schiebetür befand sich ein Privatbüro mit einem großen Walnuß-Schreibtisch und antiken, hölzernen Ablageschränken. Die Decke war in beiden Räumen vier Meter hoch, aber dieser hier war der gemütlichere. In dem zweiten Marmorkamin hatte man Feuer gemacht, und Christie blieb kurz stehen, um ein Holzscheit in die bereits lodernden Flammen zu legen. Hier waren die Wände mit Walnußholz getäfelt, das so dunkel und glänzend war wie Karamel. Ich sah einen Kopierer, ein Fax und einen Computer mit Drucker auf den Einbauregalen rechts und links des Kamins stehen. Ein Aktenvernichter, dessen grüner On-Knopf leuchtete, stand neben dem Schreibtisch. Daneben lagen gedruckte Danksagungen, die darauf warteten, an diejenigen adressiert zu werden, die zur Beerdigung Blumen geschickt hatten.
Christie ging wieder an den Tisch zurück, wo sie den Inhalt zweier Schubladen in stabile Schachteln gefüllt und diese mit schwarzem Filzstift beschriftet hatte. Zwei große Plastiksäcke quollen über von weggeworfenem Papier. Dicke Aktenordner stapelten sich auf der Schreibtischplatte, und eine Reihe leerer Aktendeckel lagen verstreut auf dem Teppich. Diese Beschäftigung kannte ich gut: den Krimskrams zu sortieren, den die Toten hinterlassen haben. Unten im Hof hörten wir ein Motorrad heranfahren, dessen Motor noch einmal aufheulte, bevor es still wurde.
Christie legte den Kopf schief. »Ich höre die Harley. Klingt, als wäre Jack gekommen.«
»Wie läuft’s denn so bis jetzt?«
Ihre Miene zeigte eine gequälte Mischung aus Skepsis und Verzweiflung. »Bader hat seine Sachen im großen und ganzen in Ordnung gehalten, aber irgendwann ist ihm wohl die Begeisterung dafür ausgegangen. Sehen Sie sich mal dieses ganze Zeug an. Ich schwöre, wenn bei mir je eine unheilbare Krankheit diagnostiziert werden sollte, sortiere ich meine Papiere aus, bevor ich zu krank bin, um mich darum zu kümmern. Was ist, wenn man Pornofotos oder so etwas auf bewahrt hat? Die Vorstellung wäre mir ein Greuel, daß jemand meine privaten Unterlagen durchstöbert.«
»In meinem Leben gibt es nichts, was so interessant wäre«, sagte ich. »Soll ich Ihnen helfen?«
»Eigentlich nicht, aber ich könnte moralische Unterstützung gebrauchen«, sagte sie. »Seit vier Stunden bin ich jetzt hier drinnen. Ich muß mir jedes einzelne Blatt Papier ansehen und feststellen, ob es wert ist, aufbewahrt zu werden, auch wenn die meisten das nicht sind, soweit ich es beurteilen kann. Ich meine, was weiß ich schon? Alles, bei dem ich mir nicht sicher bin, lege ich auf einen Stapel. Was wirklich Abfall ist, stopfe ich gleich in einen Müllsack. Ich wage es nicht, irgend etwas zu zerreißen, und ich habe Angst, zuviel wegzuwerfen. Ich kenne Bennet. Sobald ich etwas wegschmeiße, kommt er hier hereingestürmt und will wissen, wo es ist. Zweimal hat er das jetzt schon mit mir gemacht, und es war nichts als Glück, daß der Müll noch nicht abgeholt worden war. Ich stand da draußen in der Finsternis wie eine Pennerin und habe zerknüllte Zettel aus der Mülltonne gezerrt. Auf diesem dritten Stapel liegt alles, was wichtig aussieht. Hier ist zum Beispiel etwas, das Ihnen gefallen könnte.« Sie nahm einen Aktendeckel von dem Stapel auf dem Schreibtisch und reichte ihn mir. »Das muß Bader damals in den frühen sechziger Jahren zusammengestellt haben.«
Ein rascher Blick ins Innere enthüllte eine Sammlung von Zeitungsausschnitten, die im Zusammenhang mit Guys früheren Missetaten standen. Ich las den erstbesten davon durch, einen Artikel von 1956, in dem die Festnahme zweier Jugendlicher geschildert wurde, Jungen im Alter von vierzehn und dreizehn, die man für die Urheber einer Serie von wilden Graffiti-Sprühereien hielt. Einer der beiden wurde in die Besserungsanstalt geschickt, der andere durfte zu seinen Eltern nach Hause. Es mußten ungefähr fünfundzwanzig solcher Zeitungsausschnitte sein. In manchen wurden die Namen der Täter verschwiegen, weil der oder die verhafteten Jungen noch minderjährig waren. In anderen Artikeln wurde Guy Malek namentlich genannt.
»Ich frage mich, warum Bader Zeitungsausschnitte aufgehoben hat. Das kommt mir seltsam vor«, sagte ich.
»Vielleicht um sich ins Gedächtnis zu rufen, warum er den Jungen enterbt hat. Ich nehme an, Bennet wird sie als Munition benutzen wollen, wenn es zur Sache geht. Es ist zermürbend, all diese Entscheidungen treffen zu müssen.«
»Ziemlich viel Arbeit«, sagte ich und verlagerte das Thema ein wenig. »Wissen Sie, was mir eingefallen ist? Da die beiden Testamente nur im Abstand von drei Jahren aufgesetzt worden sind, könnte es doch sein, daß die beiden Zeugen für das erste auch Zeugen für das zweite Testament waren. Vor allem, wenn es Rechtspfleger oder Angestellte des Anwalts waren.«
Sie sah mich interessiert an. »Guter Gedanke. Das müssen Sie Donovan erzählen. Keiner von uns ist scharf darauf, fünf Millionen Dollar zum Fenster hinausfliegen zu sehen.«
Es klopfte an der Tür, und wir drehten uns beide um. Es war Myrna. »Donovan ist gekommen. Er hat mich gebeten, die Hors d’œuvres im Wohnzimmer zu servieren.«
»Sagen Sie ihm, daß wir gleich herunterkommen, sobald ich mir die Hände gewaschen habe. Oh, und versuchen Sie doch, auch die anderen beiden zu finden.«
Myrna nahm die Bitte zur Kenntnis, murmelte etwas Unhörbares und ging aus dem Zimmer.
Christie schüttelte den Kopf und senkte die Stimme. »Sie mag ja ein bißchen griesgrämig sein, aber sie ist die einzige im ganzen Haus, die nicht jedem widerspricht.«