Kapitel Zwölf

Bin ich tot?«, erkundigte sich Sir Rowley bei niemand Speziellem.

»Nein«, antwortete Adelia.

Eine schwache, blasse Hand tastete suchend unter der Bettdecke. Ein gequälter Aufschrei ertönte: »O Gott, wo ist mein Schwanz?«

»Falls Ihr Euren Penis meint, der ist noch da. Unter den Verbänden.«

»Oh.« Die eingesunkenen Augen öffneten sich. »Ist er unbeschädigt?«

»Ich bin sicher«, sagte Adelia deutlich, »dass er in jeder Hinsicht zufrieden stellend arbeiten wird.«

»Oh.«

Durch den kurzen Wortwechsel beruhigt, obwohl er ihn gar nicht richtig registriert hatte, schlief er wieder ein.

Adelia beugte sich vor und zog die Decke glatt. »Aber es war verdammt knapp«, sagte sie leise zu ihm. Fast hätte er nicht nur sein membrum virile verloren, sondern sein Leben. Das Beil hatte die Arterie durchtrennt, und während er in die Burg getragen wurde, hatte Adelia eine Faust auf die Wunde legen müssen, damit er nicht verblutete, ehe sie Lady Baldwins Stickzeug nutzen konnte – und selbst dabei hatte ihr das pumpende Blut die Sicht geraubt. Im Gegensatz zu den ängstlichen Umstehenden wusste sie, dass es reine Glückssache war, ob sie die Stiche an die richtige Stelle setzte oder nicht.

Doch das war erst die halbe Schlacht gewesen. Sie hatte die Stoffstücke von der Tunika extrahieren können, die das Beil in die Wunde gedrückt hatte, aber wie viel Schmutz von der Klinge selbst darin verblieben war, das wusste niemand. Fremdkörper verursachten nicht selten eine tödliche Blutvergiftung. Sie hatte schon häufig entsprechende brandige Leichen geöffnet – erinnerte sich auch an das distanzierte Interesse, mit dem sie nach der Stelle gesucht hatte, von wo aus das tödliche Verhängnis seinen Lauf genommen hatte.

Diesmal war sie nicht distanziert gewesen. Als Rowleys Wunde sich entzündete und er ins Fieberdelirium fiel, hatte sie so inbrünstig gebetet wie nie zuvor in ihrem Leben, während sie ihn mit kaltem Wasser wusch und fiebersenkende Arzneien zwischen Lippen träufelte, die so schlaff und geisterhaft blass waren wie bei einem Toten.

Und zu wem oder was hatte sie gebetet? Zu irgendetwas, egal was. Sie hatte gefleht, gebettelt, gefordert, dass es ihr helfen sollte, ihn zurück ins Leben zu ziehen.

Verdammt. Was hatte sie all den Göttern versprochen, die sie angerufen hatte? Glauben? Dann war sie jetzt eine Jüngerin Jehovahs, Allahs und der Dreifaltigkeit, plus Hippokrates, und sie war ihnen allen so dankbar gewesen, dass ihr die Tränen kamen, als dem Patienten endlich der Schweiß im Gesicht ausbrach und seine Atmung nicht mehr röchelnd ging, sondern zu einem leisen und natürlichen Schnarchen wurde.

Als er das nächste Mal erwachte, beobachtete sie, wie seine Hand sogleich zu ihrer instinktiven Erkundung aufbrach. Was für primitive Wesen, diese Männer.

»Noch da.« Die Augen schlossen sich erleichtert.

»Ja«, sagte sie. Selbst vor der grausamen Pforte des Todes blieben sie sich ihres Triebes bewusst. Schwanz, fürwahr – so ein animalischer Euphemismus.

Die Augen öffneten sich. »Ihr seid noch hier?«

»Ja.«

»Wie lange?«

»Fünf Nächte und …«, sie blickte zum Fenster hinüber, wo die Nachmittagssonne Lichtstreifen auf die Bodendielen warf, »… etwa sieben Stunden.«

»So lange? Donnerwetter.« Er versuchte, den Kopf zu heben. »Wo sind wir hier?«

»Oben im Turm.« Kurz nach der Operation auf dem Küchentisch des Sheriffs hatte Mansur den Patienten in das obere Zimmer der Juden getragen – ein erstaunlicher Kraftakt –, damit Doktor und Patient ungestört waren, während Adelia um sein Leben kämpfte.

Der Raum hatte keinen Abort, aber Adelia hatte zum Glück Hilfe gehabt, Menschen, die bereitwillig, nein, frohen Herzens Nachttöpfe die Treppe hinauf- und hinuntergetragen hatten. Die meisten waren jüdische Frauen gewesen, die Sir Rowley dankbar waren, weil er ein jüdisches Grab verteidigt hatte. Tatsächlich waren an der Rettung von Sir Rowley viele beteiligt gewesen, und wenn Adelia die meisten Hilfsangebote abgelehnt hatte, dann nur, weil sie Mansur und Gyltha nicht kränken wollte, die sich der Aufgabe mit Haut und Haaren verschrieben hatten.

Ein schwacher Wind drang durch die unverglasten Fenster, und er war frei von den unangenehmen Gerüchen, die weiter unten in der Burg mit ihren offenen Senkgruben herrschten. Das Einzige, was ihm die Frische nahm, war eine Prise von Aufpasser, die durch den Spalt unter der Tür zur Treppe hereinwehte, wohin er verbannt worden war. Selbst nach einem Bad verströmte das Fell des Hundes fast sofort wieder einen Gestank, der die Nase angriff. Das war aber auch das Einzige an ihm, das irgendetwas angriff. Während der Schlägerei im Garten des Sheriffs war er auffällig unauffällig gewesen, obwohl er sich doch eigentlich zum Schutz seiner Herrin mitten ins Getümmel hätte stürzen müssen.

Jetzt fragte eine Stimme vom Bett: »Hab ich den Hundsfott getötet?«

»Roger aus Acton? Nein, der ist wohlauf, wenn auch eingesperrt im Burgkerker. Ihr habt Quincy den Metzger lahm geschlagen und Colin aus St. Giles einen Stich in den Hals versetzt, und es gibt einen Prediger, dessen Aussichten auf zukünftige Vaterfreuden nicht so viel versprechend sind wie bei Euch, aber Master Acton ist unversehrt geblieben.«

»Merde.«

Selbst dieses kurze Gespräch hatte ihn erschöpft. Er schlief ein.

Kopulation als oberste Priorität, dachte sie. Krieg als zweite. Und obwohl du jetzt erheblich dünner bist, lässt sich deine Gefräßigkeit nicht leugnen, ebenso wenig wie dein Hochmut. Damit wären fast alle Todsünden abgedeckt. Warum also bist von allen Menschen ausgerechnet du für mich bestimmt?

Gyltha hatte es gemerkt. Auf dem Höhepunkt von Sir Rowleys Fieber, als Adelia sich geweigert hatte, der Haushälterin ihren Platz an seinem Bett zu überlassen, hatte Gyltha gesagt: »Du kannst ihn ja lieben, aber wenn du umkippst, hilft ihm das auch nich.«

»Ihn lieben?«, entfuhr es ihr kreischend. »Ich versorge einen Patienten. Er ist nicht … Ach, Gyltha, was soll ich nur machen? Er ist doch überhaupt kein Mann nach meinem Geschmack.«

»Geschmack hat ja nun gar nix damit zu tun«, hatte Gyltha seufzend geantwortet.

Und tatsächlich musste Adelia zugeben, dass es keine Frage des Geschmacks war.

Zugegeben, es sprach vieles für ihn. Sein Eintreten für die Juden hatte gezeigt, dass er stets bereit war, die Schutzlosen zu schützen. Er war lustig, er brachte sie zum Lachen. Und im Fieberwahn hatte er wieder und wieder die Sanddüne gesehen, wo der gemarterte Körper eines Kindes lag – und dieselbe Schuld, dieselbe Trauer empfunden. Im Geist hatte er den Mörder durch ein Delirium hindurch verfolgt, das ebenso heiß und schrecklich war wie der Wüstensand, bis Adelia ihm schließlich ein Opiat einflößte, aus Angst, er würde seinen geschwächten Körper überanstrengen.

Aber es sprach auch vieles gegen ihn. In demselben Fieber hatte er von Fleischeswonnen mit den Frauen geredet, die er gekannt hatte, und dabei häufig ihre Attribute mit den Speisen verwechselt, die er im Osten genossen hatte. Die kleine, schlanke Sagheerah, zart wie eine Spargelstange, Samina, deren Üppigkeit für ein mehrgängiges Mahl ausreichte, Abda, schwarz und schön wie Kaviar. Es war weniger eine Liste als vielmehr ein Menü gewesen. Und was Zabidah betraf … nun, durch den Einfallsreichtum dieser akrobatischen und recht uneigennützigen Frau war Adelias spärliches Wissen darüber, was Männer und Frauen gemeinsam im Bett trieben, mit schockiertem Erstaunen erweitert worden.

Beängstigender war hingegen die Erkenntnis, wie sehr er von Ehrgeiz getrieben wurde. Während Adelia seinen Fantasiegesprächen mit einer unsichtbaren Person lauschte, hatte sie zunächst irrtümlich angenommen, dass sich das häufige »Mylord« an seinen himmlischen König richtete – bis sie begriff, dass er Henry II meinte. Das zwanghafte Verlangen, Rakshasa zu finden und zu bestrafen, war eine glückliche Allianz mit seinem Dienst für den König von England eingegangen. Falls es ihm gelang, Henry von dem Ärgernis zu befreien, das seiner Staatskasse die Einnahmen der Juden in Cambridge vorenthielt, konnte Rowley mit königlicher Dankbarkeit rechnen.

Und mit einem Titel. »Baron oder Bischof?«, fragte er in seinem Wahn und umklammerte Adelias Hand, die ihn beruhigen wollte, als läge die Entscheidung bei ihr. »Bistum oder Baronie?«

Die verlockende Aussicht darauf steigerte meist seine Erregung – »es bewegt sich nicht, ich kann’s nicht bewegen« –, als wäre der Wagen, den er an den königlichen Stern gehängt hatte, zu schwer, um ihn von der Stelle zu bekommen.

So also war der Mann. Zweifellos mutig und mitfühlend, aber auch ein verfressener, gerissener Frauenheld, der danach gierte, seinen Status zu verbessern. Unvollkommen, zügellos. Kein Mann, von dem Adelia gedacht hätte, dass sie ihn lieben wollte oder könnte.

Aber dennoch liebte.

Als dieser leidende Kopf sich auf dem Kissen zu ihr wandte, den Hals entblößte und flehentlich nach ihr verlangte – »Doktor, seid Ihr da? Adelia?« –, waren seine Sünden ebenso dahingeschmolzen wie ihr Herz.

Wie Gyltha gesagt hatte – ob er ein Mann nach ihrem Geschmack war, hatte damit rein gar nichts zu tun.

Aber es musste doch eine Rolle spielen. Vesuvia Adelia Rachel Ortese Aguilar hatte eigene Ziele. Es ging ihr nicht um Ansehen oder Reichtum, sondern darum, der besonderen Gabe zu dienen, mit der sie beschenkt war. Denn es war eine Gabe, und damit einher ging die Verpflichtung, nicht Leben zu gebären wie andere Frauen, sondern mehr über die Naturgesetze des Körpers zu erfahren, um Leben zu retten.

Sie hatte immer gewusst, dass die romantische Liebe nicht für sie bestimmt war. In dieser Hinsicht war sie ebenso an Keuschheit gebunden wie eine Nonne, die mit Gott verheiratet war. In der Medizinschule von Salerno hatte sie sich gut vorstellen können, ihr keusches Leben ungestört bis in ein stilles, nützliches und geachtetes Greisenalter fortzusetzen, mit einem Schuss Verachtung – wie sie zugab – für Frauen, die sich wilden Leidenschaften hingaben.

Jetzt, in diesem Turmzimmer, machte sie ihrem früheren Ich schlichte, törichte Ignoranz zum Vorwurf. Du hattest keine Ahnung. Du hattest ja keine Ahnung von diesem inneren Aufruhr, der den Verstand wider bessere Einsicht aller Vernunft beraubt.

Aber du musst vernünftig sein, Frau, vernünftig.

Die Stunden, die sie durchwacht hatte, um den Mann zu retten, waren ein Privileg gewesen. Das Leben eines Menschen zu retten war immer ein Privileg; das seine ihr Glück. Nur widerwillig hatte sie ihn allein gelassen, um nach den Patienten zu sehen, die von den Matildas zur Burg geschickt wurden, damit sie und Mansur sie behandeln konnten, aber sie hatte es getan.

Jetzt war es Zeit für ihren gesunden Menschenverstand.

Heirat kam nicht in Frage, selbst wenn er ihr einen Antrag machte, was unwahrscheinlich war. Adelia schätzte ihren eigenen Wert hoch ein, bezweifelte jedoch, dass auch er ihn erkennen würde. Zum einen, weil er offenbar eine Vorliebe für brünette Frauen hatte, jedenfalls seinen schlüpfrigen Fieberträumen nach zu urteilen, in denen er die Farbe der Schambehaarung erwähnte. Zum anderen, weil sie nicht in Konkurrenz zu Frauen wie Zabidah treten konnte oder wollte.

Nein, eine reservierte, unscheinbare Ärztin würde ihn wohl kaum reizen. Und wenn er in seinem Delirium nach ihr verlangt hatte, dann nur, weil er sich von ihr Schmerzlinderung erhoffte.

In jedem Fall schien sie für ihn geschlechtslos zu sein, sonst hätte er bei der Schilderung seines Kreuzzuges nicht so hemmungslos geflucht. So sprach ein Mann mit einem freundlichen Geistlichen, vielleicht mit einem Prior Geoffrey, aber nicht mit der Lady, die er begehrte.

Wenn er die Bischofswürde anstrebte, konnte er ohnehin nicht heiraten. Und die Geliebte eines Bischofs? Es gab genug davon. Manche waren protzige, schamlose Dirnen, andere nur ein Gerücht, etwas, über das man tratschte und kicherte, versteckt in irgendeinem Landhaus und völlig abhängig von den Launen ihres bischöflichen Liebhabers.

Willkommen vor dem Himmelstor, Adelia, und was hast du aus deinem Leben gemacht? Mein Herr, ich war die Hure eines Bischofs.

Und falls er Baron wurde? Dann würde er genau wie alle anderen nach einer Erbin suchen, die seinen Besitz vergrößerte. Arme Erbin, die ihr Leben den Vorratskammern und den Kindern widmete, die die blutigen Taten ihres Gatten besang, wenn er wieder einmal von irgendeinem Schlachtfeld zurückkehrte, auf das ihn sein König geschickt hatte. Wo besagter Gatte sich zweifellos lüstern mit anderen Frauen vergnügt – in diesem Fall Brünetten – und Bastarde gezeugt hatte.

Sie war übermüdet und steigerte sich bewusst in eine solche Wut auf den hypothetisch ungetreuen Sir Rowley Picot mit seinen hypothetischen und unehelichen Bälgern, dass sie zu Gyltha sagte, als die mit einer Schüssel Haferschleim für ihn den Raum betrat: »Du und Mansur könnt Euch heute Nacht um das Schwein kümmern, ich gehe nach Hause.«

Yehuda fing sie unten an der Treppe ab, um sich nach Rowley zu erkundigen und sie zu bitten, nach seinem neugeborenen Sohn zu sehen. Der Säugling an Dinas Brust war winzig, schien aber gesund, obwohl seine Eltern Sorgen hatten, er würde nicht genügend Gewicht zulegen.

»Wir haben mit Rabbi Gotsce vereinbart, dass die Brit Mila nicht wie üblich am achten Tag stattfinden soll. Er soll erst ein bisschen kräftiger werden«, sagte Yehuda ängstlich. »Was meint Ihr dazu, Mistress?«

Adelia sagte, es wäre vermutlich ratsam, den Jungen erst dann beschneiden zu lassen, wenn er ein wenig größer war.

»Liegt es vielleicht an meiner Milch?«, fragte Dina. »Hab ich zu wenig?«

Adelia war keine Hebamme; sie wusste zwar, worauf es ankam, doch Gordinus hatte seine Studenten stets gelehrt, die Pflege von Neugeborenen besser den weisen Frauen gleich welchen Glaubens zu überlassen, es sei denn, es traten Komplikationen auf. Seiner Erfahrung nach überlebte ein Kind eher, wenn es von einer erfahrenen Frau auf die Welt geholt wurde und nicht von einem Arzt. Mit dieser Lehre machte er sich weder bei seinem Berufsstand noch bei der Kirche beliebt, die beide schnell bei der Hand waren, Hebammen als Hexen zu verdammen, doch die hohe Todesrate in Salerno nicht nur bei Neugeborenen, sondern auch bei Müttern, die bei der Niederkunft von einem Arzt betreut worden waren, schien Gordinus Recht zu geben.

Aber der Kleine war wirklich sehr schmächtig und schien recht fruchtlos an der Mutterbrust zu saugen, daher schlug Adelia vor: »Habt Ihr schon einmal an eine Säugamme gedacht?«

»Und wo sollen wir die hernehmen?«, fragte Yehuda mit einem höhnischen iberischen Lachen. »Hat der Pöbel, der uns hier in die Burg gejagt hat, vielleicht dafür gesorgt, dass wir genug stillende Mütter dabeihaben? Das müssen die wohl vergessen haben, anders kann ich mir das nicht erklären.«

Adelia zögerte, ehe sie antwortete. »Ich könnte Lady Baldwin fragen, ob in der Burg eine ist.«

Sie wartete auf Ablehnung. Margaret war damals ihre Säugamme gewesen, und Adelia wusste von anderen christlichen Frauen, die in dieser Eigenschaft in jüdischen Haushalten dienten, aber ob diese starrsinnige kleine Enklave auch nur in Erwägung ziehen würde, ihren jüngsten Neuankömmling an die Brust einer Goj zu legen …

Dina überraschte sie. »Milch ist Milch, mein Gemahl. Ich vertraue darauf, dass Lady Baldwin eine reinliche Frau findet.« Yehuda legte sanft eine Hand auf den Kopf seiner Frau. »Solange sie begreift, dass es nicht deine Schuld ist. Bei allem, was du durchgemacht hast, können wir froh sein, überhaupt einen Sohn zu haben.«

Oho, dachte Adelia, die Vaterschaft tut dir gut, junger Mann. Und Dina wirkte zwar nervös, sah aber glücklicher aus als beim letzten Mal; vielleicht hatte diese Ehe doch bessere Aussichten, als es zunächst den Anschein gehabt hatte.

Sie verabschiedete sich, und Yehuda ging mit ihr hinaus. »Doktor …«

Adelia fuhr herum und herrschte ihn an. »Nennt mich nicht so. Der Doktor ist Master Mansur Khayoun aus Al Amarah. Ich bin nur seine Gehilfin.«

Offensichtlich hatte sich die Operation auf dem Küchentisch des Sheriffs herumgesprochen, und sie hatte schon genug Probleme, auch ohne den unvermeidlichen Widerstand, den die Ärzte von Cambridge und erst recht die Kirche ihr entgegenbringen würden, falls ihr Beruf bekannt wurde.

Vielleicht konnte sie sich auf Mansurs Anwesenheit berufen – er war bei der Prozedur dabei gewesen – und erklären, er habe als Meister ihre Arbeit überwacht.

Außerdem sei es ein für Moslems heiliger Tag gewesen, an dem Allah ihm verbot, mit Blut in Berührung zu kommen. So was in der Art.

Yehuda verneigte sich. »Mistress, ich wollte Euch nur sagen, dass wir unseren Sohn Simon nennen werden.«

Sie ergriff seine Hand. »Danke.«

Obwohl sie nach wie vor müde war, hatte ihr Tag sich verändert, das Leben selbst hatte sich mit einem Schlag verändert. Dass das Kind Simon heißen sollte, gab ihr im wahrsten Sinne des Wortes Auftrieb, und auf einmal hatte sie ein eigenartig beschwingendes Gefühl.

Weil sie verliebt war, begriff sie. Liebe, wie hoffnungslos sie auch sein mochte, konnte die Seele schweben lassen. Noch nie hatten Möwen so klar vor dem blassblauen Himmel gekreist, noch nie waren ihre Schreie so erregend gewesen.

Es drängte sie, den anderen Simon zu besuchen, und auf dem Weg zum Garten des Sheriffs ging Adelia durch den Burghof, um Blumen für sein Grab zu pflücken. Dieser Teil der Burg diente rein praktischen Zwecken, und die frei umherlaufenden Hühner und Schweine hatten ihn der meisten Vegetation beraubt, aber auf der Krone einer alten Mauer hatte sich etwas Lauchkraut angesiedelt, und auf dem Hügel, wo in angelsächsischer Zeit der hölzerne Burgturm gestanden hatte, blühte ein Schwarzdornbusch.

Kinder rutschten auf einem Holzbrett den kleinen Hang hinunter, und während sie behutsam ein paar Zweige abbrach, kamen ein kleiner Junge und ein Mädchen näher, um mit ihr zu plaudern.

»Was ist das?«

»Mein Hund«, erklärte Adelia.

Sie dachten einen Moment über die Antwort nach, den Blick auf das Tier gerichtet. Dann: »Der Schwarze, der mit Euch gekommen ist, Lady, ist das ein Zauberer?«

»Ein Arzt«, sagte sie.

»Macht der Sir Rowley wieder gesund, Lady?«

»Sir Rowley ist lustig«, sagte das kleine Mädchen. »Er sagt, er hat eine Maus in der Hand, aber in Wirklichkeit ist es eine Münze, und die schenkt er uns dann. Ich hab ihn gern.«

»Ich auch«, sagte Adelia hilflos und empfand das Geständnis als wohltuend.

Der Junge zeigte mit dem Finger in eine bestimmte Richtung und sagte: »Das sind Sam und Bracey. Die hätten keinen reinlassen sollen, nicht? Nicht mal, um Juden zu töten, sagt mein Pa.«

Er deutete auf eine Stelle neben den neuen Galgen, wo ein doppelter Pranger stand, aus dem zwei Köpfe ragten, vermutlich die der Wachmänner am Tor, als Roger aus Acton und die Leute aus der Stadt in die Burg eingedrungen waren.

»Sam sagt, er wollte sie gar nicht reinlassen«, sagte das Mädchen. »Sam sagt, die Kerle haben ihn überrumpelt.«

»O Gott«, sagte Adelia, »wie lang stehen sie schon da?«

»Die hätten sie einfach nicht reinlassen sollen, oder?«, meinte der Junge.

Die Kleine war gnädiger. »Nachts werden sie rausgelassen.«

Der Pranger war furchtbar schlecht für den Rücken. Adelia eilte zu den beiden Männern, die jeder ein Schild um den Hals hängen hatten. Darauf stand: »Ich habe meine Pflicht verletzt.«

Vorsichtig, um nicht in den Kot zu treten, der sich zu Füßen der Prangeropfer sammelte, legte Adelia ihren Strauß beiseite und hob eines der Schilder an. Sie zog das Wams des Wachmannes ein Stück hoch, so dass der Strick, der ihm in den Nacken schnitt, vom Stoff gepolstert wurde. Das Gleiche tat sie bei dem anderen Mann. »Ich hoffe, so ist es etwas angenehmer.«

»Danke, Mistress.« Beide starrten mit militärischer Korrektheit geradeaus.

»Wie lange müsst Ihr noch hier stehen?«

»Noch zwei Tage.«

»Oje«, sagte Adelia, »das muss die Hölle sein, aber wenn Ihr ab und zu das Gewicht auf die Handgelenke legt und die Beine nach hinten beugt, dann entlastet das Euer Rückgrat.«

Einer der Männer sagte ausdruckslos: »Wir werden daran denken, Mistress.«

»Tut das.«

An einem Ende des Gartens überwachte die Gattin des Sheriffs die Teilung von Gänsefingerkrautwurzeln, während sie sich lautstark mit Rabbi Gotsce unterhielt, der sich am anderen Ende über das Grab beugte.

»Ihr solltet es in den Schuhen tragen, Rabbi. Wie ich. Gänsefingerkraut ist gut gegen Gicht.« Lady Baldwins Stimme reichte mühelos bis zu den Mauern.

»Besser als Knoblauch?«

»Viel, viel besser.«

Amüsiert blieb Adelia am Tor stehen, bis Lady Baldwin sie bemerkte. »Da seid Ihr ja, Adelia. Wie geht es Sir Rowley heute?«

»Besser, vielen Dank, Madam.«

»Gut, gut. Auf einen so tapferen Mann können wir nicht verzichten. Und was macht Eure arme Nase?«

Adelia lächelte. »Wieder gerichtet und schon vergessen.« Die Notwendigkeit, Rowleys Blutung so schnell wie möglich zu stillen, hatte alles andere in den Hintergrund gedrängt. Sie hatte die Fraktur erst zwei Tage später bemerkt, als Gyltha meinte, dass ihre Nase dick und blau geworden sei. Nach dem Rückgang der Schwellung hatte Adelia den Knochen mühelos wieder an die richtige Stelle drücken können.

Lady Baldwin nickte: »Was für ein hübscher Strauß, sehr grün und weiß. Der Rabbi sieht gerade nach dem Grab. Geht nur, geht nur. Ja, der Hund auch – falls es einer ist.«

Adelia ging den Pfad hinunter zu dem Kirschbaum. Auf dem Grab lag jetzt ein schlichtes Holzbrett, in das auf Hebräisch »Hier liegt begraben«, gefolgt von Simons Namen, eingeschnitzt worden war. Darunter standen die Buchstaben für »Möge seine Seele gebündelt sein im Bund des Lebens«.

»Das muss vorläufig genügen«, sagte Rabbi Gotsce. »Lady Baldwin will uns statt des Brettes einen Stein beschaffen, einen ganz schweren, der sich nicht heben lässt, sagt sie, damit Simon nicht entweiht werden kann.« Er richtete sich auf und klopfte die Erde von seinen Händen. »Sie ist eine gute Frau, Adelia.«

»Ja, das ist sie.« Der Garten war weniger das Reich des Sheriffs als das seiner Gattin. Hier spielten ihre Kinder, und hier erntete sie die Kräuter, die sie zum Würzen von Speisen nahm und als Duftspender in ihren Zimmern verteilte. Es war kein geringes Opfer gewesen, einen Teil davon dem Leichnam eines Mannes zu überlassen, der von ihrer eigenen Religion verachtet wurde. Zugegeben, da es sich hier letztlich um königlichen Grund und Boden handelte, war Lady Baldwin durch höhere Gewalt gezwungen worden, doch sie hatte mit Anstand zugestimmt.

Aber damit nicht genug. Das Prinzip, dass der Gebende ebenso eine Verpflichtung eingeht wie der Empfangende, war wirksam geworden, und Lady Baldwin zeigte sich um das Wohlergehen der seltsamen Gemeinde in ihrer Burg besorgt. Dina hatte die Windeln des jüngsten kleinen Baldwin-Kindes bekommen, und es war vorgeschlagen worden, dass die Gemeinde den großen Brotofen der Burg mitbenutzen durfte, anstatt für sich selbst zu backen.

»Es sind ja wirklich einfach nur Menschenkinder, genau wie wir«, hatte Lady Baldwin erklärt, als sie Adelia im Krankenzimmer besuchte und ihr Kalbsfußsülze für den Patienten brachte. »Und der Rabbi kennt sich ganz beachtlich mit Kräutern aus, wirklich ganz beachtlich. Anscheinend essen sie die viel zu Ostern, obwohl sie offenbar eher die bitteren nehmen, Meerrettich und so. Warum denn nicht ein bisschen Brustwurz, habe ich ihn gefragt. Damit’s süßer wird.«

Lächelnd hatte Adelia geantwortet: »Ich glaube, sie haben es ganz gern bitter.«

»Ja, das hat er mir auch gesagt.«

Als Lady Baldwin jetzt gefragt wurde, ob sie eine Säugamme für den kleinen Simon wusste, versprach sie, eine zu besorgen. »Aber keine von den Burghuren«, sagte sie. »Der Kleine braucht ehrbare christliche Milch.«

Die Einzige, von der Simon im Stich gelassen worden war, dachte Adelia, als sie ihren Strauß ablegte, war sie selbst. Sein Name auf dem Holzbrett müsste Mord schreien und nicht von einem vermeintlichen Opfer eigener Unvorsichtigkeit künden.

»Helft mir, Rabbi«, sagte sie. »Ich muss Simons Familie schreiben und seiner Frau und den Kindern mitteilen, dass er tot ist.«

»So schreibt«, sagte Rabbi Gotsce. »Wir werden dafür sorgen, dass der Brief ankommt. Wir haben Leute in London, die mit Neapel korrespondieren.«

»Danke, das wäre gut. Aber das meinte ich nicht, ich … was soll ich denn schreiben? Dass er ermordet wurde, sein Tod aber als Unfall eingestuft wurde?«

Der Rabbi brummte: »Wenn Ihr seine Frau wärt, was würdet Ihr wissen wollen?«

Sie sagte sogleich: »Die Wahrheit.« Dann überlegte sie einen Moment. »Ach, ich weiß es nicht.« Vielleicht war es für Simons Rebekka besser, wenn sie glaubte, dass ihr Mann durch einen Unfall ertrunken war, statt sich wieder und wieder Simons letzte Augenblicke vorzustellen, so wie Adelia das tat, statt sich ihre Trauer, so wie Adelia, durch Entsetzen vergiften zu lassen, statt so sehr von dem Verlangen nach gerechter Strafe für seinen Mörder erfüllt zu werden, dass sie in nichts anderem mehr Trost finden konnte.

»Ich denke, ich werde es ihnen nicht schreiben«, sagte sie niedergeschlagen. »Nicht, solange er ungerächt ist. Wenn der Mörder gefunden und bestraft wurde, vielleicht können wir ihnen dann die Wahrheit sagen.«

»Die Wahrheit, Adelia? So einfach?«

»Aber das ist sie doch.«

Rabbi Gotsce seufzte: »Für Euch vielleicht. Aber wie der Talmud sagt, geht der Name des Berges Sinai auf das hebräische Wort für Hass zurück, ›sinah‹, weil diejenigen, die die Wahrheit aussprechen, Hass ernten. Jeremia dagegen …«

Oje, dachte sie. Jeremia, der weinende Prophet. Keine der bedächtigen, weltklugen, gelehrten jüdischen Stimmen, die in dem sonnendurchfluteten Innenhof der Villa ihrer Zieheltern Vorträge hielten, konnte je von Jeremia sprechen, ohne Böses zu prophezeien. Und es war so ein schöner Tag, und die Blüten des Kirschbaums sahen so hübsch aus.

»… wir sollten an das alte jüdische Sprichwort denken, dass die Wahrheit die sicherste Lüge ist.«

»Das habe ich nie verstanden«, sagte sie, wieder zurück in der Wirklichkeit.

»Ich auch nicht«, räumte der Rabbi ein. »Aber im weiteren Sinne besagt es, dass die übrige Welt eine jüdische Wahrheit niemals gänzlich glauben wird. Adelia, glaubt Ihr wirklich, dass der wahre Mörder entlarvt und verurteilt werden wird?«

»Früher oder später«, sagte sie. »Möge Gott geben, dass es früher ist.«

»Dazu sage ich Amen. Und wenn dieser glückliche Tag kommt, werden sich die guten Menschen von Cambridge in einer Reihe vor der Burg aufstellen und weinen und Reue zeigen, tiefe Reue, weil sie zwei Juden getötet und den Rest hier eingesperrt haben? Glaubt Ihr das? Die Nachricht, dass die Juden gar nicht zum Vergnügen Kinder kreuzigen, wird sich wie ein Lauffeuer in der Christenheit verbreiten? Auch das glaubt Ihr?«

»Warum nicht? Es ist die Wahrheit.«

Rabbi Gotsce zuckte die Achseln. »Es ist Eure Wahrheit, es ist meine, es war die Wahrheit des Mannes, der hier liegt. Vielleicht werden sogar die Bürger von Cambridge sie glauben. Aber Wahrheiten reisen langsam und werden dabei immer schwächer. Gerne gehörte Lügen sind stärker und schneller unterwegs. Und das war eine gerne gehörte Lüge. Die Juden hatten das Lamm Gottes ans Kreuz genagelt, also kreuzigen sie Kinder – das passt. So eine hübsche, genehme Lüge schafft es rasch durch die gesamte Christenheit. Ob die Dörfer in Spanien die Wahrheit glauben werden, falls sie überhaupt so weit kommt? Und die Bauern in Frankreich? Russland?«

»Nicht, Rabbi. Bitte nicht.« Es war, als hätte dieser Mann tausend Jahre gelebt; vielleicht hatte er das ja.

Er bückte sich, um eine Blüte vom Grab aufzuheben, richtete sich wieder auf, nahm ihren Arm und ging mit ihr zum Tor. »Findet den Mörder, Adelia. Befreit uns aus diesem englischen Ägyptenland. Aber am Ende werden es noch immer die Juden sein, die jenes Kind gekreuzigt haben.«

Finde den Mörder, dachte sie, während sie den Hügel hinunterging. Finde den Mörder, Adelia. Auch wenn Simon aus Neapel tot ist und Rowley Picot außer Gefecht gesetzt, womit nur noch ich und Mansur bleiben. Mansur spricht die Sprache nicht, und ich bin Ärztin, kein Bluthund. Und hinzu kommt die Tatsache, dass wir überhaupt die Einzigen sind, die denken, dass es einen Mörder gibt, der gefunden werden muss.

Die Leichtigkeit, mit der Roger aus Acton Freiwillige für seinen Angriff auf den Burggarten anwerben konnte, bewies, dass Cambridge den Juden noch immer einen Ritualmord unterstellte, obwohl noch drei weitere Morde geschehen waren, seit sie in der Burg gefangen gehalten wurden. Logik geriet dabei in Vergessenheit; die Juden waren gefürchtet, weil sie anders waren, und diese Andersartigkeit und Angst der Städter verlieh ihnen übernatürliche Fähigkeiten. Die Juden hatten den Kleinen St. Peter umgebracht, ergo hatten sie auch die anderen getötet.

Und dennoch, trotz Rabbi und Jeremia, trotz des Kummers um Simon, trotz ihrer Entscheidung, der fleischlichen Liebe zu entsagen und weiter in Keuschheit der Medizin zu dienen, breitete sich der Tag unbeirrt in herrlicher Schönheit vor ihr aus.

Was ist das nur? Ich bin wie auseinandergezogen, dünn gedehnt, offen für den Tod und den Schmerz anderer, aber auch für das Leben mit seinem unendlichen Reichtum.

Es war, als trieben die Stadt und ihre Menschen in einer blassgoldenen moussierenden Flüssigkeit, wie der Wein aus der Champagne. Eine Gruppe Studenten grüßte sie, indem sie ihre Kappen lupften. Man erließ ihr den Brückenzoll, als sie in ihrer Tasche vergeblich nach einem halben Penny kramte. »Was soll’s, dann geht eben so, und Euch schönen Tag«, sagte der Brückenwärter. Auf der Brücke selbst hoben Kutscher zum Gruß die Peitschen, Fußgänger lächelten.

Sie nahm den längeren Weg zum Haus des alten Benjamin am Fluss entlang, und Weidenzweige strichen ihr freundlich über die Schultern, Fische im Fluss kamen an die Oberfläche und warfen Bläschen, die das Sprudeln in ihren Adern widerspiegelten.

Auf dem Hausdach des alten Benjamin war ein Mann. Er winkte ihr zu. Adelia winkte zurück.

»Wer ist das?«

»Gil der Dachdecker«, erklärte Matilda B. »Er meinte, sein Fuß wäre wieder gut und auf dem Dach müssten ein paar Ziegel ausgebessert werden.«

»Und er verlangt nichts dafür?«

»Natürlich nicht«, sagte Matilda augenzwinkernd. »Der Doktor hat ihm doch den Fuß gerettet, oder?«

Adelia hatte sich die mangelnde Dankbarkeit der Patienten in Cambridge mit schlechten Manieren erklärt. Die Leute sagten nur selten, dass sie die Behandlung durch Doktor Mansur und seine Gehilfin zu schätzen wussten. Normalerweise verließen sie den Raum ebenso mürrisch dreinblickend, wie sie gekommen waren, ganz anders als die Patienten in Salerno, die sie oftmals fünf Minuten lang mit Lob überschütteten.

Aber außer dem geflickten Dach gab es nun eine Ente zum Abendessen, die von der Frau des Schmiedes gebracht worden war, deren unaufhaltsame Erblindung jetzt zumindest erträglicher war, weil ihre Augen nicht mehr eiterten. Ein Topf Honig, ein paar Eier, ein Klumpen Butter und ein Krug mit irgendetwas Ekligem darin, das sich als Meerfenchel entpuppte, legten nahe, dass die Menschen von Cambridge auf handfestere Weise ihre Dankbarkeit zeigten.

Etwas Wichtiges fehlte: »Wo ist Ulf?«

Matilda B zeigte zum Fluss, wo unter einer Erle die Spitze einer schmutzig braunen Mütze über das Schilf hinweglugte. »Fängt Forellen zum Abendessen, aber sagt Gyltha, wir behalten ihn im Auge. Wir haben ihm gesagt, er soll sich da bloß nicht vom Fleck wegrühren. Auch nicht für Jujuben oder sonst was.«

Matilda W sagte: »Er hat Euch vermisst.«

»Ich hab ihn auch vermisst.« Und das stimmte. Selbst während des erbitterten Kampfes um das Leben von Rowley Picot hatte es ihr leid getan, nicht bei dem Jungen sein zu können, und sie hatte ihm über Gyltha Botschaften gesandt. Sie hätte fast geweint, als Gyltha ihr von ihm einen Strauß Schlüsselblumen brachte, der mit einer Kordel zusammengebunden war, »… um dir zu zeigen, dass ihm dein Verlust leid tut«. Diese neue Liebe, die sie empfand, strahlte mit ihrer Leuchtkraft nach außen; nach Simons Tod fiel ihr Schein auf all die Menschen, die sie, wie sie nun erkannte, für ihr Wohlergehen brauchte, und nicht zuletzt auch auf den kleinen Jungen, der da mit finsterer Miene im Schilf der Cam auf einem umgedrehten Eimer saß und eine selbst gemachte Angel in den schmuddeligen Händen hielt.

»Steh auf«, sagte sie zu ihm. »Eine Lady möchte sitzen.«

Widerwillig gehorchte er, und sie nahm seinen Platz ein. Den vielen Forellen nach zu urteilen, die im Fischkorb zappelten, hatte Ulf eine gute Stelle gewählt. Er angelte nicht direkt an der Cam, sondern an einem Bach, der irgendwo im Schilf entsprang und durch das Schwemmsandgebiet floss, wo er schließlich einen recht großen Kanal bildete, ehe er den Fluss erreichte.

Im Vergleich zum King’s Ditch auf der anderen Seite der Stadt, einem stinkenden und überwiegend stehenden Teich, der einst dazu gedient hatte, den Angriff der Dänen abzuwehren, war die Cam selbst sauber, doch Adelia war anspruchsvoll, und obwohl sie freitags gelegentlich Fisch aß, war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, dass er aus einem Fluss stammte, in den auf seinem gewundenen Weg durch die südlichen Dörfer von Cambridgeshire menschlicher und tierischer Unrat strömte.

Sie war froh, dass Ulf an Quellwasser angelte. Eine Weile saß sie schweigend neben ihm und beobachtete die schlängelnden Fische, so klar, als schwämmen sie durch Luft. Libellen blitzten wie Edelsteine im Schilf.

»Wie geht’s Rowley, dem Dickerchen?« Es war hämisch gemeint.

»Besser, und sei nicht so gemein.«

Er schnaubte und angelte weiter.

»Was für Würmer nimmst du?«, erkundigte sie sich höflich.

»Die Fische beißen gut.«

»Ha!« Er spuckte aus. »Wart mal ab, wenn das Gericht die Ersten aufgehängt hat, dann gibt’s Würmer, da sind die Fische ganz wild drauf.«

Unklugerweise fragte sie nach: »Was hat das damit zu tun, dass Leute aufgehängt werden?«

»Die besten Würmer gibt’s unter ’nem Galgen, an dem ein Halbverwester hängt. Ich dachte, das weiß jeder. Bei so Galgenwürmern beißt jeder Fisch an. Hast du das nich gewusst?«

Hatte sie nicht, und sie hätte auch gut drauf verzichten können. Er wollte sie bestrafen.

»Du wirst mit mir reden müssen«, sagte sie. »Master Simon ist tot, Sir Rowley schwer verletzt. Ich brauche jemanden, der denken kann und der mir hilft, den Mörder zu finden – und du bist ein Denker, Ulf, das weiß ich.«

»Worauf du einen lassen kannst.«

»Und sprich nicht so ordinär.«

Wieder Schweigen.

Er benutzte einen Schwimmer, eine eigentümliche Konstruktion, die er sich selbst ausgedacht hatte: die Angelschnur führte durch eine große Vogelfeder, so dass der Köder und die winzigen Eisenhaken an der Wasseroberfläche blieben.

»Ich habe dich vermisst«, sagte sie.

»Ha.« Wenn sie glaubte, dass ihn das versöhnlich stimmen würde … Aber nach einer Weile sagte er: »Glaubst du, er hat Master Simon ertränkt?«

»Ich weiß es.«

Wieder biss eine Forelle an, wurde vom Haken gelöst und in den Fischkorb geworfen. »Der Fluss ist es«, sagte er.

»Wie meinst du das?« Adelia setzte sich auf.

Zum ersten Mal sah er sie an. Das kleine Gesicht legte sich in nachdenkliche Falten. »Der Fluss ist es. Der holt sie sich. Ich hab mich umgehört …«

»Nein.« Sie schrie es beinahe. »Ulf, untersteh dich … das darfst du nicht, das darfst du nicht tun. Simon hat auch Fragen gestellt. Versprich es mir, bitte.«

Er blickte sie herablassend an. »Ich hab bloß ein bisschen mit den Verwandten geredet. Ist doch wohl nich schlimm, oder? Meinst du etwa, er hat davon was mitgekriegt? Sich in ’ne Krähe verwandelt und auf Bäumen gehockt und gelauscht?«

Eine Krähe. Adelia fröstelte. »Ich würd’s ihm zutrauen.«

»Das ist doch Quatsch. Willst du’s nun hören oder nich?«

»Ich will’s hören.«

Er holte die Schnur ein, löste sie geschickt von Angel und Schwimmer, verstaute alles in einem Weidenkorb und setzte sich im Schneidersitz Adelia gegenüber, wie ein kleiner Buddha, der die Erleuchtung bringen will.

»Peter, Harold, Mary, Ulric«, sagte er. »Ich hab mit ihren Verwandten geredet, denen bis jetzt anscheinend noch keiner zugehört hat. Jeder von ihnen, jeder von ihnen, wurde zuletzt an der Cam gesehen oder auf dem Weg dahin.«

Ulf hielt einen Finger hoch. »Peter? Am Fluss.« Er hielt den nächsten hoch. »Mary? Sie war die Jüngste von Jimmer, dem Vogeljäger – die Nichte vom Jäger Hugh – und wo wurde sie zuletzt gesehen? Wie sie ihrem Pa nachmittags was zu essen bringen wollte, im Riedgras drüben auf dem Weg nach Trumpington.«

Ulf hielt inne. »Jimmer war einer von denen, die die Burg gestürmt haben. Gibt den Juden noch immer die Schuld an Mary.«

Dann hatte Marys Vater also zu diesem schrecklichen Trupp von Männern um Roger aus Acton gehört. Adelia erinnerte sich, dass der Mann brutal war und wahrscheinlich sein eigenes Schuldgefühl wegen der Behandlung seiner Tochter lindern wollte, indem er die Juden angriff.

Ulf ging weiter seine Liste durch. Er deutete mit dem Daumen über den Fluss. »Harold?« Ein gequältes Stirnrunzeln. »Sohn vom Aalhändler, und Harold sollte Wasser holen, um die Jungaale reinzusetzen. Verschwunden …«, Ulf lehnte sich vor, »… auf dem Weg zur Cam.«

Ihre Augen ruhten auf ihm. »Und Ulric?«

»Ulric«, sagte Ulf, »hat mit seiner Ma und seinen Schwestern auf Sheeps Green gewohnt. Ist am Tag von St. Edward verschwunden. Und was für ein Tag war das?«

Adelia schüttelte den Kopf.

»Montag.« Er lehnte sich zurück.

»Montag?«

Ihre Ahnungslosigkeit wurde mit einem Kopfschütteln quittiert. »Willst du mich vergackeiern? Waschtag, Menschenskind. Montag ist Waschtag. Ich hab mit seiner Schwester geredet. Die hatten kein Regenwasser mehr für die Wäsche, und da haben sie Ulric mit ’nem Eimerjoch losgeschickt …«

»Runter zum Fluss«, beendete sie den Satz im Flüsterton.

Sie starrten sich an und wandten dann gleichzeitig den Kopf, um auf die Cam zu blicken. Sie führte Hochwasser; in der Woche hatte es heftige Regenfälle gegeben. Adelia hatte die Fensterläden des Turmzimmers geschlossen, damit es nicht reinregnete. Jetzt lag der Fluss unschuldig glänzend im Sonnenlicht und schloss fast bündig mit der Oberkante seiner Uferböschungen ab, wie eine gewundene Intarsie.

Hatten andere diese Gemeinsamkeit bei den Kindermorden bemerkt? Bestimmt, dachte Adelia. Selbst der Leichenbeschauer des Sheriffs war nicht gänzlich auf den Kopf gefallen. Aber die Bedeutung dessen mochte ihnen entgangen sein. Die Cam war Speisekammer, Wasserweg und Waschstelle der Stadt; ihre Ufer lieferten Brennholz, Bedachung und Möbelholz; jedermann nutzte den Fluss. Es war daher eigentlich kaum überraschend, dass alle Kinder in seiner Nähe verschwunden waren. Aber Adelia und Ulf wussten noch etwas; Simon war in demselben Wasser ertränkt worden – das konnte kein Zufall sein.

»Ja«, sagte sie. »Es ist der Fluss.«

Der Abend nahte, und der Fluss wurde belebter: Boote und Menschen hoben sich vor der untergehenden Sonne ab, so dass nur die Silhouetten zu sehen waren. Diejenigen, die nach einem Arbeitstag in der Stadt auf dem Nachhauseweg waren, grüßten Arbeiter, die von einem Feld im Süden zurückkamen, oder schimpften, wenn deren Boot einen Stau verursachte. Enten flatterten auseinander, Schwäne ergriffen laut schimpfend die Flucht. Ein Ruderboot beförderte ein neugeborenes Kälbchen, das per Hand aufgezogen werden sollte.

»Glaubst du, er hat Harold und die anderen zum Wandlebury gebracht?«, fragte Ulf.

»Nein. Da ist nichts.«

Sie glaubte allmählich nicht mehr, dass die Kinder auf dem Hügel ermordet worden waren. Er war zu ungeschützt. Um sie so lange leiden zu lassen, brauchte der Mörder mehr Ungestörtheit, als eine Hügelkuppe ihm bieten konnte, eine Kammer, ein Gewölbe, irgendeinen Raum, aus dem ihre Schreie nicht nach draußen drangen. Der Wandlebury mochte zwar einsam sein, aber Todesqualen machten Lärm. Rakshasa hätte befürchten müssen, dass irgendwer sie hörte, und er hätte sich nicht die Zeit lassen können, die er brauchte.

»Nein«, wiederholte sie. »Mag sein, dass er die Leichen dorthin bringt, aber es muss einen anderen Ort geben …« Sie wollte sagen, »wo sie getötet werden«, bremste sich aber. Ulf war schließlich doch noch ein kleiner Junge. »Und du hast Recht«, sagte sie, »es ist irgendwo am oder in der Nähe vom Fluss.«

Sie beobachteten weiter das sich bewegende Fries aus Gestalten und Booten.

Da kamen drei Vogeljäger, deren Kahn tief im Wasser lag, weil er mit einem ganzen Berg Gänse und Enten für den Tisch des Sheriffs beladen war. Und dort der Apotheker in seinem leichten Boot – Ulf sagte, er habe eine Freundin in der Nähe von Seven Acres. Ein Tanzbär saß im Heck eines Bootes, während sein Herr und Meister ihn zu ihrer Hütte bei Hauxton ruderte. Marktfrauen fuhren mit leeren Körben vorbei, stakten die Kähne scheinbar mühelos. Eine achtruderige Barke zog eine andere hinter sich her, die Kreide und Mergel für die Burg beförderte.

»Warum bist du mitgegangen, Hal?«, murmelte Ulf. »Wer war’s?«

Adelia dachte dasselbe. Warum waren die Kinder mitgegangen? Wer auf dem Fluss hatte sie in die Falle gelockt? Wer hatte gesagt: »Kommst du mit?«, und sie waren gefolgt. Die Verlockung durch die Jujuben konnte es nicht allein gewesen sein, es musste jemand sein, den sie achteten, dem sie vertrauten, jemand, den sie kannten.

Adelia setzte sich auf, als eine Gestalt in Mönchskutte vorbeistakte. »Wer ist das?«

Ulf spähte in das schwächer werdende Licht. »Der da? Das ist der alte Bruder Gil.«

Bruder Gilbert, was? »Wo will er hin?«

»Er bringt die Hostie zu den Eremiten. Barnwell hat auch Eremiten, genau wie die Nonnen, und fast alle von denen wohnen weiter oben am Fluss in den Wäldern.« Ulf spuckte aus. »Gran hält nix von denen. Verdreckte alte Vogelscheuchen, sagt sie immer, die mit keinem mehr was zu tun haben wollen. Das ist nich christlich, sagt Gran.«

Dann nutzten die Mönche von Barnwell also genau wie die Nonnen den Fluss, um die Einsiedler zu versorgen.

»Aber es ist doch schon Abend«, sagte Adelia. »Wieso fahren sie so spät noch dahin? Bruder Gilbert ist bestimmt nicht rechtzeitig zur Komplet wieder zurück.«

Die Mönche lebten nach den Glockenschlägen der heiligen Stunden. Für die Stadt Cambridge dienten die Glocken tagsüber als Uhr; Verabredungen wurden danach getroffen, Sanduhren umgedreht, Geschäfte begonnen und abgeschlossen; sie riefen die Arbeiter zur Laudes auf die Felder, schickten sie zur Vesper wieder heim. Aber wenn sie nachts schlugen, konnte der schlafende Laienstand schadenfroh im Bett bleiben, während Nonnen und Mönche aus ihren Zellen und Dormitorien treten mussten, um die Nachtgebete zu singen.

Eine erschreckende Schläue breitete sich auf Ulfs unansehnlichem kleinem Gesicht aus. »Deshalb ja«, sagte er. »Dann haben sie mal ’ne Nacht frei. Schlafen sich unter freiem Himmel aus, gehen am nächsten Tag noch ein bisschen jagen oder fischen, besuchen vielleicht auch ’nen Kumpel, das machen die alle so. Die Nonnen nutzen das auch aus, Gran sagt, keiner weiß, was die da eigentlich so im Wald treiben. Aber …«

Plötzlich schaute er sie blinzelnd an. »Bruder Gilbert?«

Sie blinzelte zurück. »Könnte sein.« Wie verletzlich Kinder doch waren, dachte sie. Wenn Ulf mit all seinem Mutterwitz und seiner Durchtriebenheit sich kaum dazu aufraffen konnte, jemanden zu verdächtigen, den er kannte und der angesehen war, dann waren die anderen leichte Beute gewesen.

»Der ist ein Griesgram, der alte Gil, klar«, sagte das Kind zögernd, »aber zu uns Jungen ist er anständig, und er ist Kreuzfa…« Ulf schlug sich die Hände vor den Mund, und zum ersten Mal sah Adelia ihn fassungslos. »Ach du Schande, der war auf ’nem Kreuzzug.«

Die Sonne war jetzt untergegangen, und die wenigen Boote, die noch auf der Cam unterwegs waren, hatten eine Laterne im Bug, so dass sich der Fluss in eine unregelmäßige Lichterkette verwandelte.

Trotzdem blieben die beiden sitzen, wo sie waren, wollten nicht gehen, vom Fluss angezogen und abgestoßen zugleich, fühlten sich den Seelen der Kinder, die er sich geholt hatte, so nahe, dass das Rascheln im Schilf fast wie ihre flüsternden Stimmen klang.

Ulf fragte ihn grollend: »Warum fließt du nicht rückwärts, du Hund?«

Adelia legte ihm den Arm um die Schultern; sie hätte für ihn weinen können. Ja, dreh die Natur und die Zeit zurück. Bring sie nach Hause.

Die Stimme von Matilda W rief sie kreischend zum Abendessen.

»Wie wär’s dann mit morgen?«, fragte Ulf, als sie zum Haus gingen. »Wir könnten den alten Braunkopf mitnehmen, stellt sich ja ganz geschickt an beim Staken.«

»Ich käme gar nicht auf die Idee, ohne Mansur zu gehen«, sagte sie, »und wenn du dich ihm gegenüber nicht respektvoll benimmst, darfst du nicht mit.«

Sie wusste genau wie Ulf, dass sie den Fluss erkunden mussten. Irgendwo an seinen Ufern war ein Gebäude, oder ein Pfad, der zu einem Gebäude führte, wo ein derartiges Grauen geherrscht hatte, dass es sich offenbaren musste.

Bestimmt war außen kein Schild angebracht, das alles preisgab, aber sie wusste, dass sie es erkennen würde, wenn sie es sah.



In dieser Nacht stand eine Gestalt am gegenüberliegenden Ufer der Cam.

Adelia sah sie durch das offene Sonnenfenster, als sie sich das Haar kämmte, und bekam solche Angst, dass sie sich nicht rühren konnte. Einen Moment lang betrachteten sie und der Schatten unter den Bäumen einander mit der Intensität von Liebenden, die durch einen Abgrund getrennt sind.

Sie wich zurück, blies die Kerze aus und tastete blind nach dem Dolch, den sie nachts auf dem Nachttisch liegen hatte, weil sie die Augen nicht von diesem Wesen auf der anderen Flussseite nehmen wollte, aus Angst, es könnte über das Wasser und durchs Fenster gesprungen kommen.

Sobald sie den Stahl in der Hand hielt, fühlte sie sich besser. Lächerlich. Es hätte Flügel haben müssen oder eine Sturmleiter, um an die Fenster zu kommen. Es konnte sie jetzt nicht mehr sehen. Das Haus lag im Dunkeln.

Aber sie wusste, dass es sie beobachtete, als sie die Läden schloss. Sie spürte, wie seine Augen die Mauern durchbohrten, als sie, gefolgt von einem zögerlichen Aufpasser, auf nackten Füßen die Treppe hinunterschlich, um sich zu vergewissern, dass alles verriegelt war.

Zwei Arme hoben eine Waffe über ihren Kopf, als sie die Halle betrat.

»Herrgott!«, sagte Matilda B. »Was denkt Ihr Euch denn bloß, ich wär fast gestorben vor Angst.«

»Danke gleichfalls«, keuchte Adelia. »Drüben am anderen Ufer steht einer.«

Die Magd ließ den Schürhaken sinken, den sie in Händen hielt. »Der ist jede Nacht da, seit ihr alle in der Burg seid. Starrt rüber, starrt immerzu rüber. Und der kleine Ulf ist der einzige Mann hier bei uns.«

»Wo ist Ulf?«

Matilda zeigte auf die Treppe zum Untergeschoss. »Schläft tief und fest.«

»Bist du sicher?«

»Ganz sicher.«

Gemeinsam spähten die beiden Frauen durch die rosa getönte Fensterscheibe über den Fluss.

»Jetzt ist er weg.«

Es war fast noch schlimmer, dass die Gestalt verschwunden war, als wenn sie noch da gewesen wäre.

»Warum habt ihr mir nichts davon gesagt?«, wollte Adelia wissen.

»Wir haben gedacht, Ihr hättet schon genug zu tragen. Aber der Wache haben wir es gesagt. Hätten wir uns auch sparen können. Die haben nix und niemanden gesehen. Wie denn auch, nach dem ganzen Getöse, mit dem sie über die Brücke gepoltert sind, um ans andere Ufer zu kommen. Die meinen, es wäre ein Glotzer.«

Matilda B ging in die Mitte des Raumes, um den Schürhaken wieder an Ort und Stelle zu legen. Einen kurzen Moment lang vibrierte er gegen die Stangen des Feuerrosts, als ob die Hand, die ihn hielt, so stark zitterte, dass sie ihn nicht loslassen konnte. »Aber es ist kein Glotzer, nich?«

»Nein.«

Am nächsten Tag brachte Adelia Ulf in den Burgturm, wo er bei Gyltha und Mansur bleiben sollte.