Folterkammer Washington, D.C.

Seit Jahren beschäftigt uns eine bange Frage: wie lange werden es die Vereinigten Staaten noch zulassen, daß wir der sowjetrussischen Expansion im Nahen Osten den Weg verstellen? Jetzt, so scheint’s, ist die Geduld, die unsere amerikanischen Freunde mit uns hatten, am Ende… Schon ein altes griechisches Sprichwort sagt: »Wen die Götter strafen wollen, den machen sie zum Verbündeten Amerikas.«

 

»Nehmen Sie Platz«, sagte Präsident Nixon, schüttelte meine Hand und lächelte sein breites, fernsehbekanntes Lächeln. »Wie geht’s zu Hause?«

»Danke«, sagte ich, indem ich mich in dem Lehnsessel gegenüber seinem Schreibtisch niederließ. »In der letzten Zeit hat es oft geregnet, aber das Flugwetter ist noch immer ganz gut.«

»Das freut mich zu hören. Über das Weekend gehe ich angeln.«

»Ja?«

»Ja.«

An dieser Stelle trat in unserem lebhaften Gespräch eine Pause ein. Der Präsident, mit abermals breitem Lächeln, deutete durch das Fenster zum Rosengarten des Weißen Hauses hinaus.

»Ich glaube, der Rasen müßte wieder einmal gemäht werden. Glauben Sie nicht auch?«

»Unbedingt«, antwortete ich und fügte blitzschnell hinzu: »Ich will Phantomflugzeuge haben.«

Der Präsident kehrte mir sein Gesicht zu, auf dem das Lächeln, ob man’s glaubt oder nicht, noch um eine Kleinigkeit breiter geworden war:

»Sie brauchen die Flugzeuge dringend, wie?«

»Jawohl, Mr. President.«

»Zu meiner Freude kann ich Ihnen mitteilen, daß ich diesem Problem meine volle Aufmerksamkeit zugewandt habe. Die Entscheidung ist bereits gefallen.«

»Gefallen?«

»Gefallen. Tee oder Kaffee?«

»Ja.«

»Ich für meine Person mag den Tee nicht allzu stark. Wie viele Löffel Zucker?«

»Mindestens fünfundzwanzig.«

»Ich nehme Sacharin. Es spielt keine große Rolle, aber Mrs. Nixon achtet scharf auf mein Gewicht. Jeden Freitag spiele ich Golf mit Senator Fullbright. Kommen Sie doch gelegentlich einmal mit.«

»Danke.«

»Es war schön, mit Ihnen gesprochen zu haben. Wir sehen uns bestimmt wieder.«

Nixon schüttelte mir die Hand und lächelte breit.

»Mr. President«, sagte ich, »diese Flugzeuge sind für uns eine Frage von Leben oder Tod…«

»Ja, den Eindruck habe ich auch. Deshalb werde ich meine Antwort nicht länger hinauszögern.«

»Dank. Innigen Dank.«

»Bitte, bitte. Sie kennen ja mein Motto: wenn du eine Antwort weißt, gib sie sofort, auf der Stelle, ohne Verzögerung, ohne überflüssige Spannung zu erzeugen. Mit anderen Worten: wenn man sich nicht entscheiden kann, soll man den Mund halten, aber wenn man einmal eine Entscheidung getroffen hat, so wie ich, dann soll man sie ungesäumt bekanntgeben. Jede Minute

zählt. Manchmal sogar jede Sekunde. Man darf seine Mitmenschen nicht auf die Folter spannen. Stimmt’s?«

»Stimmt.«

»So hab’ ich’s seit jeher gehalten. Ich bin von Geburt ein Mann der raschen Entschlüsse. Übrigens fällt mir da ein sehr guter Witz ein. Kennen Sie diesen? Ein jüdischer Wähler in New York sagt: ›Mein Vater hat demokratisch gewählt, mein Großvater hat demokratisch gewählt, folglich werde auch ich demokratisch wählen.‹ Daraufhin fragt ihn einer meiner Parteifreunde, ein Republikaner: ›Wenn ihr Vater ein Pferdedieb gewesen wäre und ihr Großvater ein Pferdedieb gewesen wäre – wären Sie dann auch ein Pferdedieb?‹ ›Nein‹, antwortet der jüdische Wähler, ›dann wäre ich ein Republikaner.‹ Hahaha.«

»Ha.«

»Eine köstliche Anekdote. Ich hörte sie vor ein paar Tagen von einem unserer Ölmagnaten.«

»Kommen Sie mit denen häufig zusammen?«

»Sie leben hier. Worüber haben wir vorhin gesprochen?«

»Von den Phantomflug –«

»Richtig!« Der Präsident lächelte, und sein Lächeln ging unwillkürlich in die Breite. »Glauben Sie mir, es war keine leichte Entscheidung. Alle möglichen Erwägungen mußten erwogen werden, innen- und außenpolitisch, pro und kontra. Beispielsweise, um Ihnen ein Beispiel zu geben: ihr Israelis seid die einzige echte Demokratie in dieser ganzen Gegend dort unten, andererseits seid ihr aber auch Freunde der Vereinigten Staaten. Gewiß, ihr stemmt euch ganz allein gegen das Vordringen der Sowjetunion, aber man muß sich vor Augen halten, daß die Araber mit den Sowjets gemeinsame Sache machen. Ihr braucht Waffen, um zu überleben, das ist klar. Nur darf man darüber nicht vergessen, daß ihr alles, was ihr kauft, bar bezahlt. Ihr braucht Flugzeuge, aber es läßt sich nicht bestreiten, daß ich euch öffentlich zugesagt habe, sie zu liefern.

Aus allen diesen Widersprüchen ergibt sich, wie Sie sehen, eine sehr komplizierte Situation. Ich habe dessenungeachtet meinen Entschluß gefaßt. Und wenn ich einen Entschluß fasse, dann ist er gefaßt, dann ist er endgültig, dann steht er außer jedem Zweifel.«

»Dann also, Mr. President –«

»Mein Entschluß ist eindeutig und unwiderruflich. Er spricht für sich selbst. Wollen Sie ihn schriftlich haben?«

»Nein danke, Ihr Wort genügt mir.«

»So ist’s richtig. Sie haben hundertprozentig recht. Man muß zu seinem Wort stehen. Wenn man Ja sagt, dann ist es Ja. Wenn man Nein sagt, dann ist es Nein. Wenn man sagt: wir werden sehen, dann werden wir sehen. Wenn man Rühreier sagt, dann sind es Rühreier. Und genau das gleiche gilt für Krautsalat. Ich könnte Ihnen noch unzählige Beispiele anführen, aber ich möchte Ihre wertvolle Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Wollen Sie nächste Woche wieder einmal vorbeikommen? Oder besser in vierzehn Tagen?«

»Ich möchte lieber jetzt… ich beschwöre Sie, Mr. President… jetzt gleich…«

»Kann ich verstehen. Einen Augenblick.«

Damit begab sich Präsident Nixon zu seinem Sekretär und veranlaßte die kostenlose Lieferung von 1000 Flugzeugen an Süd-Vietnam, 60 an Persien, 100 an Saudi-Arabien und – ein Irrtum, wie er einem so überlasteten Menschen leicht unterlaufen kann – 70 an die Volksrepublik China.

Hierauf nahm er eine leichte Mahlzeit ein, schlief ein wenig und hatte anschließend ein Gespräch mit dem Marquis de Sade, der in Washington einen Kurs für fortgeschrittene Politiker leitet.

»Entschuldigen Sie, bitte, daß ich Sie warten ließ«, sagte er, als er mit breitem Lächeln zu mir zurückkehrte. »Was kann ich für Sie tun?«

»Die Phantomflugzeuge, Mr. President, die Phan –«

»Ach ja, ich erinnere mich. In sechs Minuten haben Sie meine endgültige Antwort.«

Er legte seine Armbanduhr vor sich auf den Schreibtisch und fixierte die Zeiger, was ihn aber nicht hinderte, mir von Zeit zu Zeit ein breites Lächeln zu schenken.

»Es wird spät«, sagte er nach etwa fünfzehn Minuten. »Möchten Sie sich etwas im Fernsehen anschauen?«

»Die Flugzeuge…«

»Natürlich! Habe ich Ihnen schon gesagt, daß die Entscheidung gefallen ist?

»Ja.«

»Und daß ich nicht die Absicht habe, Sie länger hinzuhalten?«

»Auch das, danke vielmals.«

»Also, um es kurz zu machen…«

»Ja, bitte…«

»Offen und unter Freunden gesprochen…«

»Ja, danke…«

»Die Flugzeuge, die Sie haben wollen…«

»Oj weh…«

»… würden, soweit ich die Lage beurteilen kann…«

»Oj weh…»

»Um es ohne Scheu zu sagen…«

»Ohne, ohne…«

»Mit vollem gegenseitigem Vertrauen…«

»Mit mit…«

»Kurzum…«

»Ja…«

»Was macht Golda?«

An dieser Stelle des Gesprächs rutschte ich im Zustand völliger Erschöpfung auf den Teppich und kroch zur Türe.

»Wohin gehen Sie?« fragte mich der Präsident mit breitem Lächeln. »Haben Sie nicht gemerkt, daß ich drauf und dran bin, Ihnen einen günstigen Bescheid über die Phantomflugzeuge zu geben?«

»Danke«, sagte ich schon von der Türe her. »Die sind inzwischen veraltet.«