Die Guten und die Bösen

 

 

Wenn im Fernsehen ein Wildwestfilm gezeigt wird, sieht man immer einen Bösen, der einen Guten tückisch niederschießt. In unserer eigenen orientalischen Wildwestsituation weigert sich der Gute, dem Bösen entgegenzukommen und sich von ihm erschießen zu lassen. Seither gilt ER als der Böse, und das ist gut. Sogar im britischen Fernsehen.

 

Wenn Sie ein Fernsehreporter, ein Freund des Vorderen Orients und ein richtiger Engländer sind, brauche ich Ihnen nichts über den Begriff der Fairness zu erzählen und nichts über das noble englische Prinzip, immer und unter allen Umständen unparteiisch zu bleiben. Wie sehr es Sie auch locken mag, aus jenem sportlichen Geist, der für Ihr Volk so typisch ist, die Partei des Schwächeren zu ergreifen – Sie werden sich nie dazu hergeben, Ägypten, Jordanien, Irak, Syrien, Saudi-Arabien, Kuweit, Algerien, Marokko, Libyen, den Sudan und Süd-Jemen offen zu unterstützen. Vielmehr erblicken Sie Ihre Aufgabe darin, dem britischen Fernsehpublikum die nüchternen Tatsachen zu präsentieren – und die Schlußfolgerungen dem persönlichen Urteil des Betrachters zu überlassen. Daher ist es unumgänglich geboten, daß Sie in Ihren Fernseh-Reportagen die Zustände auf beiden Seiten der Waffenstillstandslinie zeigen, ohne jedes Vorurteil, ohne zu manipulieren, von nichts anderem geleitet als vom Streben nach objektiver Berichterstattung.

Das darf Sie natürlich nicht hindern, jede sich bietende Gelegenheit zu eindrucksvollen Effekten und Kontrasten wahrzunehmen. Zum Beispiel könnten Sie die dramatische Situation im Nahen Osten auf folgende Weise aufrollen:

Ein paar armselige, halb zerfallene Zelte inmitten der Wüste.

Da und dort heulen hungrige Schakale durch den Sandsturm. Die gebückte Gestalt eines greisen Arabers tappt zwischen den Zelten umher, an der Hand seine kleine Enkeltochter. Das Kind weint. Kurz vor der Kamera bleibt das bejammernswerte Paar stehen. Eine lähmende Minute lang sieht man nichts als den stummen, unendlich traurigen Blick der beiden Augenpaare.

Schnitt.

Ein Sommerhaus in Herzliah, Israel. Auf dem gepflegten Rasen des luxuriösen Gartens spielen wohlgenährte, gutgekleidete jüdische Kinder. Ihr Lachen klingt durch das ganze Villenviertel… Zwar könnten Sie auch die Kinder eines Grenz-Kibbuz zeigen, die jede Nacht im Bunker schlafen müssen, weil der Kibbuz jede Nacht beschossen wird. Aber da ergäbe sich keine richtige Kontrastwirkung zum vorangegangenen Bild, weil auch die jüdischen Kinder traurige Augen haben.

Kontrastwirkungen gehören zu den wichtigsten Errungenschaften der Filmreportage. Sie ermöglichen es dem Kameramann, die Unterschiede zwischen zwei rivalisierenden Parteien herauszuarbeiten, ohne daß er selbst Stellung beziehen müßte. Wieder ein Beispiel:

Eine Beduinenkarawane zieht am Horizont dahin. Abgezehrte Kamele, kleine, halbverhungerte Esel. Über dem Ganzen liegt dumpfe, angstgeschwängerte Stille… Gleich darauf zeigen Sie das Stadion von Tel Aviv während der zweiten Halbzeit eines Fußballspiels. Schwitzende, brüllende Fanatiker, auch solche weiblichen Geschlechts. Nächster Kontrastschnitt: auf der einen Seite scharrt ein bis auf die Knochen abgemagerter arabischer Hund in den Abfallkübeln eines Flüchtlingslagers nach Nahrung, auf der andern Seite die Nahaufnahme einer gefleckten Dogge, die soeben auf der Hundeausstellung in Ramat-Gan preisgekrönt wurde; ihr Besitzer nimmt den Pokal entgegen.

An der Sachlichkeit dieser Gegenüberstellungen wird niemand zweifeln.

Die bekanntlich höchst fotogenen arabischen Kinder dürfen von Ihnen ebensowenig vernachlässigt werden, wie auf der andern Seite die gleichfalls höchst fotogenen israelischen Soldaten. Der Kameramann wird ohne Mühe einen Einstellungswinkel finden, der die Soldaten beim Marschieren zeigt, und zwar so, daß man ihre schweren Nagelschuhe sieht. Das wirkt, mein Junge, das wirkt. Und dann vielleicht noch einmal arabische Kinder, diesmal auf ähnlicher Nahrungssuche wie zuvor der verhungerte Hund. Am besten in einem Dorf, das den Terroristen als Stützpunkt gedient hat und von der israelischen Artillerie beschossen wurde. Ruinen und rauchende Trümmer. Auch die nicht getroffenen Hütten sehen aus wie knapp vor dem Einsturz. Eine räudige Katze huscht in einen Granattrichter.

Schnitt.

Ein israelischer Militärfriedhof mit Hunderten von Grabsteinen. Hunderte von jungen Juden, die nichts andres wollten als ihr Land aufbauen, haben mit ihrem Leben dafür gebüßt… Na ja. Das wäre, besonders in der Totale, nicht schlecht. Gibt es nichts Besseres?

Doch:

Ein Geschäftsmann in Tel Aviv, fett, glatzköpfig, mit Brille, der sich gerade an einer Schokoladetorte gütlich tut. Eigentlich müßte die Schokoladetorte genügen. Der Fresser müßte nicht unbedingt eine Brille tragen und fett sein. Aber da die Terroristenkatze mager war und keine Brille trug, kommt die Kontrastwirkung auf diese Weise schärfer heraus. Der fette Brillenträger sitzt also in einem weich gepolsterten Fauteuil seiner weiträumigen Wohnung in Tel Aviv und beantwortet Ihre Fragen, während er – nach dem Genuß der Torte – an einer dicken Zigarre pafft und von Zeit zu Zeit einen Blick auf das Aktbild an der gegenüberliegenden Wand wirft. Sie fragen den Brillenwanst:

»Sind Sie der Meinung, daß die israelischen Vergeltungsaktionen etwas erreichen?«

»Ganz entschieden«, antwortet Fatty. »Die arabischen Sabotageakte haben seither merkbar abgenommen. Gewiß, jede Art der Vergeltung widerspricht der jüdischen Tradition und widerspricht unserem aufrichtigen Wunsch, mit allen unseren Nachbarn in Frieden zu leben. Aber wenn das Leben unserer Kinder auf dem Spiel steht da muß uns jedes Mittel recht sein, lieber Herr!«

Eine ausgezeichnete Antwort. Nur leider zu lang. Ein routinierter Fernsehreporter wird auch das Zeitelement einkalkulieren, wird notfalls einen Teil der Antwort herausschneiden und nur die Essenz übriglassen:

»Vergeltung widerspricht der jüdischen Tradition… Die arabischen Sabotageakte haben merkbar abgenommen… da muß uns jedes Mittel recht sein, lieber Herr.« – halt, das ist der geeignete Satz. Präzise und treffend. Die Dialogfassung, die im britischen Fernsehen gezeigt wird, hört sich folgendermaßen an:

»Sind Sie der Meinung, daß die israelischen Vergeltungsaktionen etwas errreichen?«

»Da muß uns jedes Mittel recht sein, lieber Herr.«

Kürze – Würze. Nachdem Sie die Antwort richtig gesiebt und die Akzente richtig verteilt haben, ist es hoch an der Zeit, einen arabischen Freischärler zu Wort kommen zu lassen. Sie finden ihn am besten in einem Trainingslager, und er ist am besten ein junger, sehniger Typ, dessen lockiges Haar – anders als die Glatze des Tel-Aviver Tortenfressers – im Wüstenwind flattert.

»Dies ist mein Land«, sagt er mit großem Nachdruck. »Ich wurde hier geboren, mein Vater wurde hier geboren, mein Großvater, meine ganze Familie. Die Juden haben uns verjagt und beraubt. Sie wollen keinen Frieden, sie wollen Krieg. Uns

bleibt keine Wahl als zu kämpfen…«

An dieser Stelle können Sie, verehrter britischer Fernsehreporter, Ihr Talent beweisen. Dem Gespräch, das Sie mit jenem glatzköpfigen Fettwanst in Tel Aviv geführt hatten, ging eine informale Plauderei voraus, die nicht für Sendezwecke gedacht war, bei der aber Bild und Ton schon mitliefen. Und da hatte Ihr Gesprächspartner unter anderem gesagt: »Schauen Sie sich doch einmal die Landkarte an – wir hätten Kairo einnehmen können.« Den zweiten Teil dieses Satzes schneiden Sie heraus und blenden ihn in Ihr Gespräch mit dem Al-Fatach-Mann ein.

Haben Sie mich richtig verstanden? Auf die Worte des jungen Arabers: »Uns bleibt keine Wahl als zu kämpfen« antworten nicht Sie, sondern es antwortet der Dicke mit der Glatze, bequem in seinen Fauteuil hineingegossen und eine Zigarre paffend: »Wir hätten Kairo einnehmen können.« Damit ersparen Sie sich auch die restlichen Sätze, mit denen Ihr Araber seine Aussage schloß. Er hat da noch irgend etwas gesprochen, daß man die Juden ins Meer werfen wird und daß die einzige Lösung des Konflikts in der vollkommenen Vernichtung Israels besteht… Aber das ist sowieso ein alter Hut und das will niemand hören.

So erscheint denn zum Schluß Ihr eigenes, sorgenvolles Gesicht auf dem Bildschirm, und Ihrer sind die nachdenklichen Worte:

»Es scheint keinen Ausweg zu geben. Solange beide Seiten es hartnäckig ablehnen, sich gemeinsam an den Verhandlungstisch zu setzen, bleibt der Nahe Osten ein Pulverfaß, dessen Explosion die Welt in Brand setzen würde…«

Sollte ein Anruf oder eine Zuschrift Sie darauf hinweisen, daß es sich bei den von Ihnen erwähnten »beiden Seiten« offenbar um einen Irrtum handelt; daß die eine Seite, nämlich die israelische, sehr wohl bereit ist, sich an den Verhandlungstisch zu setzen; daß sie diese Bereitschaft nach der siegreichen Beendigung des Sechstagekriegs proklamiert hat und sie bis heute ebenso anhaltend wie vergeblich proklamiert – dann antworten Sie dem betreffenden Rufer oder Schreiber, daß für derlei tendenziöse Schattierungen in einer objektiven Reportage kein Platz ist.