Was schenken wir der Kindergärtnerin?

 

 

In der jüdischen Ehe spielt die jüdische Frau eine seit Urzeiten verehrungsvoll respektierte Rolle: die Mutterrolle. Sie spielt diese Rolle sowohl ihren Kindern wie ihrem Mann gegenüber. Der jüdische Gatte fragt sich vor jeder Entscheidung, ob er nicht zuerst seine Frau fragen soll. Meistens fragt er sie. Und manchmal antwortet sie ihm sogar. Seine etwaigen Gegenäußerungen werden in der Mappe »Kindermund« abgelegt.

 

Ich liege voll angekleidet auf meiner Couch. Hell leuchtet die Lampe über meinem Kopf. Und in diesem Kopf jagen einander die wildesten Gedanken.

Vor dem Spiegel am anderen Ende des Zimmers steht die beste Ehefrau von allen und krümmt sich. Das tut sie immer, wenn sie ganz genau sehen will, was sie tut. Jetzt eben bedeckt sie ihr Gesicht mit Bio-Placenta-Creme, diesem bekanntlich wunderbaren Mittel zur Regenerierung der Hautzellen. Ich wage nicht, sie zu stören. Noch nicht.

Für einen schöpferischen Menschen meines Alters kommt unweigerlich die Stunde der Selbsterkenntnis. Seit Wochen, nein, seit Monaten bedrängt mich ein grausames Dilemma. Ich kann es allein nicht bewältigen. Einen Schritt, der über den Rest meines Lebens entscheiden wird, muß ich mit jemandem besprechen. Wozu bin ich verheiratet? Ich gebe mir einen Ruck.

»Liebling«, sage ich mit ganz leicht zitternder Stimme, »ich möchte mich mit dir beraten. Bitte reg dich nicht auf und zieh keine voreiligen Schlüsse. Also. Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, daß ich am Ende meiner kreativen Laufbahn angelangt bin und daß es besser wäre, wenn ich mit dem Schreiben Schluß mache. Oder zumindest für ein paar Jahre pausiere. Was ich brauche, ist Ruhe, Sammlung und Erholung. Vielleicht geht’s dann wieder… Hörst du mir zu?«

Die beste Ehefrau von allen bedeckt ihr Gesicht mit einer neuen Lage Bio-Placenta und schweigt.

»Was rätst du mir?« frage ich zaghaft und dennoch eindringlich. »Sag mir die Wahrheit.«

Jetzt wandte sich die Bio-Placenta-Konsumentin um, sah mich lange an und seufzte.

»Ephraim«, sagte sie, »wir müssen etwas für die Kindergärtnerin kaufen. Sie wird nach Beer-Schewa versetzt und fährt Ende der Woche weg. Es gehört sich, daß wir ihr ein Abschiedsgeschenk machen.«

Das war, genau genommen, keine befriedigende Antwort auf meine Schicksalsfrage. Und darüber wollte ich Madame nicht im unklaren lassen.

»Warum hörst du mir eigentlich niemals zu, wenn ich etwas Wichtiges mit dir besprechen will?«

»Ich habe dir genau zugehört.« Über die Bio-Placenta-Schicht lagerte sich eine ziegelrote Salbe. »Ich kann mich an jedes Wort erinnern, das du gesagt hast.«

»Wirklich? Was habe ich gesagt?«

»Du hast gesagt: warum hörst du mir eigentlich niemals zu, wenn ich etwas Wichtiges mit dir besprechen will.«

»Stimmt. Und warum hast du mir nicht geantwortet?«

»Weil ich nachdenken muß.«

Das hatte etwas für sich. Es war ja schließlich kein einfaches Problem, mit dem ich sie da konfrontierte.

»Glaubst du«, fragte ich vorsichtig, »daß es sich vielleicht nur um eine vorübergehende Lustlosigkeit handelt, die ich aus eigener Kraft überwinden könnte? Eine schöpferische Pause, sozusagen?«

Keine Antwort.

»Hast du mich verstanden?«

»Natürlich habe ich dich verstanden. Ich bin ja nicht taub. Eine schöpferische Pause aus eigener Kraft überwinden, oder so ähnlich.«

»Nun?«

»Wie war’s mit einer Bonbonnière?«

»Wieso?«

»Das schaut nach etwas aus und ist nicht übermäßig teuer, findest du nicht auch?«

»Ob ich’s finde oder nicht – mein Problem ist damit nicht gelöst, Liebling. Wenn ich für ein bis zwei Jahre zu schreiben aufhöre, oder vielleicht für drei – womit soll ich mich dann beschäftigen? Womit soll ich das intellektuelle Vakuum ausfüllen, das in mir entstehen wird? Womit?«

Jetzt wurden die cremebedeckten Wangen einer Reihe von leichten Massage-Schlägen ausgesetzt, aus deren Rhythmus man mit ein wenig Phantasie das Wort »Kindergärtnerin« heraushören konnte.

»Hörst du mir zu?« fragte ich abermals.

»Frag mich nicht ununterbrochen, ob ich dir zuhöre. Natürlich höre ich dir zu. Was bleibt mir schon übrig. Du sprichst ja laut genug.«

»So. Und wovon habe ich jetzt gesprochen?«

»Von der Beschäftigung mit einem Vakuum, das du intellektuell ausfüllen willst.«

Sie hat tatsächlich jedes Wort behalten. Ich nahm den Faden wieder auf.

»Vielleicht sollte ich’s mit der Malerei versuchen? Oder mit der Musik? Nur für den Anfang. Gewissermaßen als Übergang.«

»Ja, meinetwegen.«

»Ich könnte natürlich auch auf die Wasserbüffel-Jagd gehen oder Reißnägel sammeln.«

»Warum nicht.«

Ein Löschpapier über die ziegelrote Creme, künstliche Wimpern unter die Augenbrauen, und dann ihre Stimme:

»Man muß sich das genau überlegen.«

Darauf wußte ich nichts zu sagen.

»Warum sagst du nichts, Ephraim?«

»Meiner Meinung nach ist es höchste Zeit, die Leiche unserer Waschfrau auszugraben und sie in den grünen Koffer zu sperren… Hast du mir zugehört?«

»Die Leiche der Waschfrau in den Koffer sperren.«

So leicht ist meine kleine Frau nicht zu beeindrucken.

Jetzt bürstet sie mit einem winzigen, selbstverständlich aus dem Ausland importierten Bürstchen ihre Augenlider. Ich unternehme einen letzten Versuch.

»Wenn sie kinderliebend ist, die Tiergärtnerin, dann könnten wir ihr ein Zebrapony schenken.«

Auch das ging ins Leere. Meine Gesprächspartnerin stellte das Radio an und sagte:

»Keine schlechte Idee.«

»In diesem Fall«, schloß ich ab, »laufe ich jetzt rasch hinüber zu meiner Lieblingskonkubine und bleibe über Nacht bei ihr.«

»Ja, ich höre. Du bleibst über Nacht.«

»Also?«

»Wenn ich’s mir richtig überlege, kaufen wir ihr doch besser eine Vase als eine Bonbonnière. Kindergärtnerinnen lieben Blumen.«

Damit verfügte sich die beste Ehefrau von allen ins Badezimmer, um sich von der Gesichtspflege zu reinigen.

Ich werde wohl noch eine Zeitlang schreiben müssen.