Kapitel 13

»Fangtasia«, sagte eine gelangweilte weibliche Stimme. »Wo all Ihre blutigen Träume wahr werden.«

»Pam, hier ist Sookie.«

»Oh, hallo.« Jetzt klang sie schon etwas fröhlicher. »Ich höre, du steckst in noch größeren Schwierigkeiten. Dein Haus ist abgebrannt. Wenn du so weitermachst, lebst du nicht mehr lange.«

»Wahrscheinlich nicht.« Da stimmte ich ihr absolut zu. »Hör mal, ist Eric da?«

»Ja, er ist in seinem Büro.«

»Kannst du mich zu ihm durchstellen?«

»Keine Ahnung, wie das geht«, meinte sie herablassend.

»Könntest du dann das Telefon zu ihm bringen - bitte?«

»Natürlich. Wenigstens passiert immer irgendwas, nachdem du angerufen hast. Stets eine willkommene Abwechslung.« Pam trug das Telefon durch die Vampir-Bar; ich erkannte es am Lärmpegel. Im Hintergrund spielte Musik. Wieder der Radiosender WDED, diesmal >The Night Has a Thousand Eyes<.

»Was ist in Bon Temps so los, Sookie?«, fragte Pam und fuhr gleich darauf in scharfem Ton einen anscheinend weiblichen Gast an: »Mach Platz, elende Schlampe! - Denen gefällt das, die wollen es nicht anders«, fügte Pam, jetzt wieder zu mir, in völlig normalem Gesprächston hinzu. »Also, was ist los?«

»Auf mich wurde geschossen.«

»Ach«, entgegnete sie. »Eric, weißt du, was Sookie gerade erzählt? Auf sie wurde geschossen.«

»Nur nicht so emotional, Pam«, sagte ich. »Sonst denkt noch jemand, es würde dich berühren.«

Pam lachte. »Hier hast du den Mann.«

Eric begann in genauso nüchtern sachlichem Ton zu reden wie Pam eben. »Kann ja nichts Lebensgefährliches sein, sonst würdest du nicht mit mir telefonieren.«

Tja, stimmte - obwohl ich mir schon eine etwas entsetztere Reaktion gewünscht hätte. Aber für solche Kleinigkeiten war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Ich holte tief Luft. Was gleich kommen würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche, aber ich musste Tara helfen. »Eric«, begann ich mit einer dunklen Vorahnung, »ich muss dich um einen Gefallen bitten.«

»Wirklich?«, fragte er. Und dann, nach einer beträchtlichen Pause: »Wirklich?«

Er begann zu lachen.

»Jetzt hab ich dich.«

Eine Stunde später hatte er das Doppelhaus erreicht und blieb an der Türschwelle stehen, nachdem ich auf sein Klopfen hin geöffnet hatte. »Neues Gebäude«, erinnerte er mich.

»Du bist hier doch immer willkommen«, sagte ich nicht ganz aufrichtig, und er trat ein. In seinem weiß schimmernden Gesicht loderte geradezu - Triumph? Aufregung? Erics Haar troff von Regen und fiel strähnig auf seine Schultern. Er trug ein goldbraunes Seidenshirt und braune Bundfaltenhosen mit einem prunkvollen Gürtel, der einfach bloß protzig wirkte: lauter Leder, Gold und baumelnde Quasten. Ihr könnt zwar den Mann aus der Wikingerzeit herausholen, aber nie den Wikinger aus dem Mann.

»Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?«, fragte ich. »Leider habe ich kein >TrueBlood< da, und weil ich noch nicht Auto fahren darf, konnte ich keins holen.« Ich wusste, dass ich damit sein Anrecht auf Gastfreundschaft verletzte, aber dagegen war jetzt auch nichts mehr zu machen. Ich hatte nicht vor, jemanden zu bitten, mir Blut für Eric vorbeizubringen.

»Nicht so wichtig«, sagte er freundlich und sah sich in dem kleinen Zimmer um.

»Setz dich doch.«

Eric setzte sich auf das Sofa, den rechten Knöchel auf das Knie des linken Beins gelegt. Seine großen Hände waren ruhelos. »Welchen Gefallen soll ich dir denn tun, Sookie?« Er verbarg seine Schadenfreude nicht mal.

Ich seufzte. Wenigstens war ich ziemlich sicher, dass er mir helfen würde, denn er konnte den Einfluss, den er dann auf mich haben würde, ja praktisch schon riechen.

Ich saß auf der Kante des gedrungenen Sessels und sprach über Tara, über Franklin, über Mickey. Schlagartig wurde Eric ernst. »Sie könnte ihn jederzeit tagsüber verlassen, und sie tut es nicht«, betonte er.

»Warum sollte sie ihre Boutique und ihr Haus zurücklassen? Er ist derjenige, der gehen sollte«, hielt ich dagegen. (Auch wenn ich mich zugegebenermaßen selbst fragte, warum Tara nicht einfach in Urlaub fuhr. Mickey würde hier doch sicher nicht allzu lange herumhängen, wenn sein Betthäschen verschwunden wäre.) »Tara würde sich ihr Leben lang immer ängstlich umblicken, wenn sie einfach vor ihm weglaufen würde«, fügte ich energisch hinzu.

»Inzwischen weiß ich mehr über Franklin als damals bei unserem ersten Treffen in Mississippi«, meinte Eric, und ich fragte mich, ob er sein Wissen wohl aus der von Bill erarbeiteten Datenbank hatte. »Franklin hat ein völlig überholtes Weltbild.«

Ziemlich starke Worte aus dem Mund eines kriegerischen Wikingers, der in seinen glücklichsten Tagen Dörfer geplündert, Frauen vergewaltigt und alles in Schutt und Asche gelegt hatte.

»Früher war es unter Vampiren üblich, sich willige Menschen weiterzureichen«, erklärte Eric. »Als unsere Existenz noch geheim gehalten wurde, war es ziemlich praktisch, eine menschliche Geliebte zu haben und sie auszuhalten ... was auch heißt, ihr nicht zu viel Blut auszusaugen. Und wenn sie dann keiner mehr haben wollte, wurde die Frau - oder auch der Mann«, fügte Eric schnell hinzu, damit auch meine feministische Seite zufrieden war, »dann wurde diese Person, äh, aufgebraucht.«

Es ekelte mich, und das zeigte ich ihm auch. »Du meinst wohl ausgeblutet.«

»Sookie, du musst bedenken, dass wir uns für Hunderte, ja für Tausende von Jahren für etwas Besseres als die Menschen hielten, für etwas von den Menschen gänzlich Verschiedenes.« Einen Augenblick dachte er nach. »Wir standen zu den Menschen in einem Verhältnis wie die Menschen heute zu, sagen wir mal, Kühen. Zum Verzehr geeignet wie Kühe, wenn auch nicht ganz dumm.«

Es hatte mir die Sprache verschlagen. Ich hatte mir so etwas natürlich bereits gedacht, aber so offen ausgesprochen war es einfach nur ... Übelkeit erregend. Essen auf Beinen, das auch noch sprechen konnte, das waren wir für sie. McMensch's.

»Ich werde einfach Bill fragen. Er kennt Tara, sie hat die Geschäftsräume ihrer Boutique von ihm gemietet. Ich würde drauf wetten, dass er sich verpflichtet fühlt, ihr zu helfen«, rief ich wütend.

»Ja. Er würde sich verpflichtet fühlen, Salomes Untertan zu töten. Bill hat keinen höheren Rang als Mickey, daher kann er ihm nicht befehlen, zu verschwinden. Und was glaubst du wohl, wer den Kampf gewinnen würde?«

Diese Vorstellung ließ mich eine Minute völlig erstarren. Mich schauderte. Was, wenn Mickey gewinnen würde?

»Nein, ich fürchte, ich bin deine einzige Hoffnung in dieser Sache, Sookie.« Eric schenkte mir ein strahlendes Lächeln. »Ich werde mit Salome reden und sie bitten, ihren Hund zurückzupfeifen. Franklin ist nicht ihr Geschöpf, aber Mickey ist es. Da er in meinem Bezirk wildert, ist sie verpflichtet, ihn zurückzurufen.«

Er hob eine seiner blonden Augenbrauen. »Und da du mich um diesen Gefallen bittest, schuldest du mir natürlich etwas.«

»Na, was du wohl von mir wollen wirst?«, fragte ich, vielleicht schon etwas zu trocken und sarkastisch.

Er grinste mich breit an und gab den Blick auf seine Fangzähne frei. »Erzähl mir, was passiert ist, während ich bei dir wohnte. Erzähl mir alles und lass nichts aus. Danach werde ich tun, worum du mich gebeten hast.« Er stellte beide Füße auf den Boden, beugte sich vor und fixierte mich.

»In Ordnung.« Welche Wahl blieb mir schon zwischen Felsen hier und Steinwüste dort? Ich sah auf meine Hände hinunter, die ich im Schoß gefaltet hielt.

»Hatten wir Sex miteinander?«, fragte er direkt.

Zwei Minuten lang könnte das vielleicht ganz lustig sein. »Eric«, begann ich, »wir hatten Sex in jeder Stellung, die ich mir vorstellen konnte oder auch nicht vorstellen konnte. Wir hatten Sex in jedem Zimmer meines Hauses, und wir hatten Sex draußen. Du hast gesagt, es sei der beste Sex gewesen, den du je hattest.« (Zu der Zeit hatte er sich an all den Sex, den er je gehabt hatte, gar nicht erinnern können. Aber es war immerhin ein Kompliment für mich gewesen.) »Zu schade, dass du dich daran nicht erinnerst.« Und damit beendete ich sittsam lächelnd meine kurze Rede.

Eric wirkte, als hätte ich ihm mit einem Holzhammer vor die Stirn geschlagen. Dreißig lange Sekunden war seine Reaktion wirklich eine Genugtuung für mich. Dann begann ich mich unbehaglich zu fühlen.

»Ist da noch etwas, was ich wissen sollte?«, fragte er in einem so ruhigen und gleichförmigen Ton, dass es geradezu erschreckend war.

»Hm, ja.«

»Vielleicht möchtest du mich ja darüber aufklären.«

»Du hast vorgeschlagen, deine Stellung als Sheriff aufzugeben, um mit mir zusammenleben zu können. Und du wolltest dir einen Job suchen.«

Okay, vielleicht lief das doch nicht so gut. Eric konnte kaum noch weißer oder regloser werden.

»Ah«, gab er von sich. »Sonst noch was?«

»Ja.« Ich ließ den Kopf hängen, denn jetzt hatte ich den mit Abstand unlustigsten Teil erreicht. »Als wir am letzten Abend nach Hause kamen, nach dem Kampf mit den Hexen in Shreveport, gingen wir durch die Hintertür rein, wie ich es immer mache. Und Debbie Pelt - du erinnerst dich, Alcides - ach, was auch immer sie für ihn war ... Debbie saß an meinem Küchentisch. Und sie hatte eine Pistole und wollte mich erschießen.« Ich riskierte einen Blick auf Eric und sah, dass er die Augenbrauen bedrohlich zusammengezogen hatte. »Aber du hast dich vor mich geworfen.« Mit einer schnellen Bewegung lehnte ich mich vor, klopfte ihm aufs Knie und zog mich gleich wieder zurück. »Und du hast die Kugel abgefangen, was wirklich großartig von dir war. Doch sie wollte noch einmal schießen, und da habe ich nach dem Gewehr meines Bruders gegriffen und sie getötet.« In jener Nacht hatte ich nicht geweint, doch jetzt spürte ich, wie eine einzelne Träne meine Wange hinablief. »Ich habe sie getötet«, wiederholte ich und rang um Atem.

Eric öffnete den Mund, als wollte er eine Frage stellen, doch ich hob die Hand und bedeutete ihm auf diese Weise wortlos, noch zu warten. Ich wollte meine Schilderungen erst abschließen. »Wir haben die Leiche eingesammelt und in einen Sack verstaut, und du hast sie irgendwo vergraben, während ich die Küche sauber gemacht habe. Du hast auch ihren Wagen gefunden und versteckt. Keine Ahnung, wo. Es hat mich Stunden gekostet, all das Blut aus der Küche zu entfernen. Es war einfach überall.« Verzweifelt rang ich um Selbstbeherrschung. Mit dem Handrücken fuhr ich mir über die Augen. Meine Schulter tat weh, und ich rutschte im Sessel herum, weil ich so den Schmerz zu lindern hoffte.

»Und jetzt hat jemand anders auf dich geschossen, und ich war nicht da, um die Kugel abzufangen«, sagte Eric. »Irgendwas musst du falsch machen im Leben. Glaubst du, dass die Familie Pelt Rache will?«

»Nein«, erwiderte ich. Ich war froh, dass Eric das alles so gelassen aufnahm. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, aber das nicht. Er schien, falls sich überhaupt etwas in ihm regte, gedrückter Stimmung zu sein. »Sie haben zwei Privatdetektive angeheuert, und soweit ich weiß, haben diese Privatdetektive keinen Grund, mich stärker zu verdächtigen als alle anderen. Ich war sowieso nur deshalb in Verdacht geraten, weil Alcide und ich der Polizei erzählt hatten, wir wären verlobt, nachdem wir in Shreveport im Laden von Verena Rose eine Leiche gefunden hatten. Irgendwie hatten wir ja erklären müssen, warum wir zusammen in eine Boutique für Brautmoden gehen wollten. Und weil Alcides Beziehung mit Debbie so ein Hin und Her gewesen war und er der Polizei erzählt hatte, wir würden heiraten, schrillten bei den Privatdetektiven natürlich sämtliche Alarmglocken. Alcide hat für die Tatzeit ein gutes Alibi, wie sich herausgestellt hat. Doch wenn sie mich je ernsthaft verdächtigen, stecke ich in ziemlichen Schwierigkeiten. Dich kann ich nicht als Alibi nennen, denn du warst natürlich nicht mal hier, wie alle Welt weiß. Aber du könntest mir auch gar kein Alibi geben, weil du dich an den Abend nicht erinnerst. Und außerdem bin ich einfach durch und durch schuldig. Ich habe sie getötet. Ich musste es tun.« Ich hätte schwören können, das hatte Kain nach dem Brudermord an Abel auch gesagt.

»Du redest zu viel«, sagte Eric.

Ich presste die Lippen aufeinander. Erst wollte er, dass ich ihm alles erzählte, und gleich im nächsten Moment sollte ich wieder damit aufhören.

Ungefähr fünf Minuten lang sah Eric mich einfach nur an. Ich war nicht mal sicher, ob er mich die ganze Zeit wirklich sah. Er schien tief in irgendwelche Gedanken verloren.

»Ich habe zu dir gesagt, ich würde alles für dich aufgeben?«, fragte er schließlich nach all der Grübelei.

Ich schnaubte; typisch Eric, dass er das als den wichtigsten Teil herauspickte.

»Und wie hast du darauf reagiert?«

Okay, das erstaunte mich. »Du konntest doch nicht einfach bei mir bleiben und weiter an Gedächtnisverlust leiden. Das wäre nicht fair gewesen.«

Seine Augen wurden ganz schmal. So langsam nervte es mich wirklich, dauernd durch blaue Sehschlitze gemustert zu werden.

»So«, sagte ich seltsam ernüchtert. Vielleicht hatte ich eine etwas gefühlvollere Szene als diese erwartet. Vielleicht hatte ich erwartet, dass Eric sich auf mich stürzen und mich abküssen und mir sagen würde, dass er immer noch das Gleiche für mich empfand. Vielleicht gab ich mich aber auch einfach nur zu sehr meinen Tagträumen hin. »Ich habe dir einen Gefallen getan. Jetzt bist du dran.«

Ohne den Blick von mir zu wenden, zog Eric ein Handy aus der Tasche und wählte aus dem Gedächtnis eine Nummer. »Rose-Anne«, sagte er. »geht es Ihnen gut? Ja, bitte, wenn sie Zeit hat. Sagen Sie ihr, ich hätte Informationen, die sie interessieren dürften.« Ich konnte nicht verstehen, was am anderen Ende der Leitung geantwortet wurde, aber Eric nickte, als wäre die Gesprächspartnerin anwesend. »Natürlich warte ich kurz.« Nach einer Minute sagte er: »Auch ein Hallo an dich, schönste aller Prinzessinnen. Ja, hält mich ziemlich auf Trab. Wie läuft das Geschäft mit dem Casino? Richtig, richtig. Jede Minute wird ein neuer geboren. Ich rufe an, um dir etwas über eins deiner Geschöpfe zu erzählen, einen Mann namens Mickey. Steht er in irgendeiner geschäftlichen Beziehung zu Franklin Mott?«

Dann hob Eric plötzlich beide Augenbrauen und lächelte leicht. »Ist das wirklich wahr? Ich werfe es dir nicht vor. Mott hält immer noch an den alten Traditionen fest, aber wir sind hier in Amerika.« Er hörte wieder zu. »Ja, diese Information gebe ich dir umsonst. Wenn du dich entscheidest, mir im Gegenzug keinen kleinen Gefallen zu gewähren, so hat das keine Konsequenzen. Du weißt, wie sehr ich dich schätze.« Eric lächelte das Telefon höchst charmant an. »Ich denke, du solltest erfahren, dass Mott eine Frau an Mickey weitergereicht hat. Mickey hält sie unter der Fuchtel, indem er ihr Leben bedroht. Ihr widerstrebt das Ganze ziemlich.«

Nach einem weiteren Schweigen, bei dem Erics Lächeln breiter wurde, sagte er: »Der kleine Gefallen wäre, Mickey zurückzurufen. Ja, das ist alles. Sorg einfach nur dafür, dass er es begreift und sich dieser Frau, Tara Thornton übrigens, nie wieder nähert. Er soll nichts mehr mit ihr zu tun haben, weder mit ihrem Eigentum noch mit ihren Freunden. Er soll sich komplett von ihr trennen. Oder ich werde dafür sorgen, dass Mickey sich von seinem besten Stück trennen muss. Er hat sich in meinem Bezirk so aufgeführt, ohne die Höflichkeit besessen zu haben, mich vorher auch nur aufzusuchen. Von einem deiner Geschöpfe hatte ich eigentlich mehr Benimm erwartet. Habe ich alles bedacht?«

Den Wikinger Eric Northman über Benimm reden zu hören erstaunte mich doch sehr. Ich fragte mich, in welcher Epoche er selbst wohl Benimm gelernt hatte.

»Nein, du musst mir nicht danken, Salome. Ich bin froh, wenn ich dir helfen kann. Und könntest du mir bitte Bescheid geben, wenn die Sache erledigt ist? Danke. Also, machen wir uns wieder an die Arbeit.« Eric klappte sein Handy zu und begann, es in die Luft zu werfen und aufzufangen, immer und immer wieder.

»Du wusstest bereits, dass Mickey und Franklin Verbotenes tun - um mal so anzufangen«, sagte ich schockiert, aber seltsamerweise kaum überrascht. »Du wusstest, dass ihr Boss nur zu gern erfahren würde, welche Regeln sie brechen. Und umso besser, wenn der Vampir Mickey dabei noch deinen Machtbereich verletzt. Das alles betrifft gar nicht dich.«

»Das habe ich erst begriffen, als du mir erzählt hast, was du wolltest«, betonte Eric, ganz der Inbegriff aller Vernunft. Er grinste mich an. »Woher sollte ich wissen, dass dein Herzenswunsch mir ermöglichen würde, Salome zu helfen?«

»Was hast du denn gedacht, was ich möchte?«

»Ich dachte, ich sollte vielleicht die Renovierung deines Hauses bezahlen oder für dich herausfinden, wer auf die Gestaltwandler schießt«, sagte Eric, als ob ich das hätte wissen müssen. »Mit wem hattest du zu tun, bevor auf dich geschossen wurde?«

»Ich hatte Calvin Norris besucht«, antwortete ich, und Eric sah mich missbilligend an.

»Du hattest also seinen Geruch an dir.«

»Na ja, ich habe ihn zum Abschied umarmt, also ja.«

Skeptisch musterte Eric mich. »Hast du Alcide Herveaux auch getroffen?«

»Ja, er kam zu meinem Haus.«

»Und hat er dich auch umarmt?«

»Weiß ich nicht mehr«, erwiderte ich. »Ist schon in Ordnung so.«

»Irgendeiner hat's hier auf Gestaltwandler und Werwölfe abgesehen, und du umarmst eindeutig zu viele Leute.«

»Vielleicht war es Claudes Geruch«, sagte ich nachdenklich. »Herrgott, daran habe ich ja noch gar nicht gedacht. Nein, warte. Claude hat mich erst nach dem Schuss umarmt. Am Elfengeruch kann's also nicht liegen.«

»Ein Elf.« Erics Pupillen weiteten sich. »Komm doch mal her, Sookie.«

Oh, jetzt hätte ich es aus reiner Gereiztheit fast übertrieben. »Nein. Ich habe dir erzählt, was du wissen wolltest; und du hast getan, worum ich dich gebeten habe. Und jetzt fährst du am besten wieder nach Shreveport, damit ich mich endlich hinlegen kann. Du erinnerst dich?« Ich tippte an meine verbundene Schulter.

»Dann komme ich zu dir«, entgegnete Eric und kniete sich vor mich hin. Er drückte sich gegen meine Schienbeine und beugte sich vor, so dass sein Kopf an meinem Hals lag. Er atmete tief ein, hielt die Luft an, atmete aus. Ich musste ein nervöses Kichern unterdrücken, weil das Ganze so viel Ähnlichkeit mit dem Haschischrauchen hatte. »Du stinkst«, sagte Eric, und ich wurde stocksteif. »Du riechst nach Gestaltwandler, Werwolf und Elf. Ein ganzer Cocktail anderer Wesen.«

Ich blieb völlig regungslos. Seine Lippen waren ungefähr zwei Millimeter von meinem Ohr entfernt. »Soll ich dich einfach beißen und alles beenden?«, flüsterte er. »Ich müsste mir nie wieder Gedanken über dich machen. Das ist mittlerweile eine richtig schlechte Angewohnheit von mir geworden, die ich gern wieder loswerden würde. Oder soll ich dich in Erregung versetzen und ausprobieren, ob der Sex mit dir wirklich der beste ist, den ich je hatte?«

Ich nahm nicht an, dass ich irgendeine Wahl hatte. Ich räusperte mich. »Eric«, begann ich mit heiserer Stimme, »wir müssen über etwas reden.«

»Nein. Nein. Nein«, erwiderte er. Mit jedem »Nein« streiften seine Lippen über meine Haut.

Ich sah über seine Schulter zum Fenster. »Eric«, hauchte ich, »es schaut uns jemand zu.«

»Wo?« Er änderte seine Position nicht, doch seine Stimmung war jetzt nicht mehr gefährlich für mich, sondern für jemand anderen.

Da dieses Augen-draußen-vor-dem-Fenster-Szenario ein schauriges Echo der Nacht war, in der mein Haus brannte und der herumschleichende Streuner sich als Bill erwies, hoffte ich, dass es heute wieder Bill war. Vielleicht war er eifersüchtig oder neugierig oder einfach nur sicherheitshalber vorbeigekommen. Wenn der Unbekannte ein Mensch gewesen wäre, hätte ich seine Gedanken lesen und herausfinden können, wer er war, oder wenigstens, was er vorhatte. Doch das hier war ein Vampir, wie mir das totale Nichts verriet, das an die Stelle von Gedankenmustern getreten war.

»Es ist ein Vampir«, erzählte ich Eric so leise flüsternd wie möglich, und er legte die Arme um mich und zog mich an sich.

»Mit dir habe ich nichts als Ärger«, sagte Eric, ohne jedoch verärgert zu klingen. Er klang aufgeregt. Eric liebte Action.

Inzwischen war ich sicher, dass der herumschleichende Streuner nicht Bill war. Bill hätte auf sich aufmerksam gemacht. Und Charles war momentan bestimmt damit ausgelastet, im Merlotte's Daiquiris zu mixen. Blieb noch ein Vampir im Bezirk, dessen Aufenthalt unbekannt war. »Mickey«, hauchte ich und klammerte mich an Erics Seidenshirt fest.

»Salome handelt schneller, als ich dachte«, sagte Eric, plötzlich wieder mit ganz normaler Stimme. »Er ist zu wütend, um ihr zu gehorchen, nehme ich an. Hier war er doch noch nie drin, richtig?«

»Richtig.« Gott sei Dank.

»Aber er könnte ein Fenster einschlagen«, meinte ich, als zu unserer Linken auch schon eine Fensterscheibe zu Bruch ging. Mickey hatte einen faustgroßen Stein hereingeworfen, der Eric zu meiner Bestürzung direkt am Kopf traf. Eric ging zu Boden wie ein - Stein. Reglos lag er da. Dunkelrotes Blut quoll aus einer tiefen Platzwunde an seiner Schläfe. Völlig entgeistert sprang ich auf, als ich sah, wie der mächtige Eric plötzlich ausgeknockt vor mir lag.

»Gib mir die Erlaubnis, das Haus zu betreten«, forderte Mickey, der genau vor dem Fenster stand. Sein vor Zorn weiß glühendes Gesicht leuchtete im strömenden Regen. Das schwarze Haar klebte ihm am Kopf.

»Ganz bestimmt nicht«, rief ich und kniete neben Eric nieder, der zu meiner Erleichterung schon wieder blinzelte. Okay, tot konnte er schlecht sein, aber wenn jemand so einen Schlag abkriegte, ob nun Vampir oder nicht, war das wirklich erschreckend. Eric war vor dem Sessel zusammengesunken, der mit der Rückenlehne zum Fenster stand. Mickey konnte ihn also nicht sehen.

Aber ich sah jetzt, was Mickey mit der Hand festhielt: Tara. Sie war fast so bleich wie er, und sie war verprügelt worden. Blut rann ihr aus einem Mundwinkel. Der hagere Vampir hielt sie gnadenlos am Arm gepackt. »Ich töte sie, wenn du mich nicht reinlässt«, sagte er, und wie um seine Drohung wahr zu machen, legte er beide Hände um ihren Hals und begann zuzudrücken. Ein Donnergrollen, und ein Blitzschlag ließ Taras verzweifelte Miene grell aufscheinen, während sie sich kraftlos an seine Arme klammerte. Er lächelte, die Fangzähne vollständig entblößt.

Wenn ich ihn reinließe, würde er uns alle töten. Wenn ich ihn da draußen stehen ließe, würde ich zusehen müssen, wie er Tara tötete. Ich spürte, wie Erics Hand nach meinem Arm griff. »Tu's«, sagte ich, ohne den Blick von Mickey abzuwenden. Eric biss zu, und es tat höllisch weh. Für Raffinesse blieb in so einem Moment natürlich keine Zeit. Seine Wunde sollte nur so schnell wie möglich wieder heilen.

Ich musste den Schmerz einfach hinunterschlucken. Verzweifelt versuchte ich, eine unbewegte Miene aufzusetzen, doch dann wurde mir klar, dass ich ja allen Grund hatte, unglücklich auszusehen. »Lass sie los!«, schrie ich Mickey an, um ein paar Sekunden zu schinden. Ob wohl noch irgendeiner der Nachbarn wach war und all den Krawall hörte, fragte ich mich. Tja, dann konnte ich nur beten, dass keiner herkam, um herauszufinden, was los war. Und auch um die Polizisten machte ich mir jetzt schon Sorgen, wenn sie denn auftauchen würden. Wir hatten hier keine Vampir-Polizisten, die mit kriminellen Vampiren fertig werden konnten, die gab es nur in den großen Städten.

»Ich lass sie los, wenn du mich reinlässt«, brüllte Mickey. Er wirkte wie ein Dämon da draußen im Regen. »Was macht dein zahmer Vampir?«

»Er ist noch immer bewusstlos«, log ich. »Du hast ihn schwer verletzt.« Es kostete mich keinerlei Mühe, meine Stimme so brüchig klingen zu lassen, als stünde ich kurz vor einem Tränenausbruch. »Ich kann ihm bis auf den Schädelknochen sehen«, jammerte ich und blickte zu Eric hinunter, der noch immer gefräßig wie ein hungriges Baby saugte. Ich konnte zusehen, wie sich seine Wunde schloss. Ich hatte schon früher miterlebt, wie schnell Vampire genesen konnten, aber es erstaunte mich jedes Mal wieder. »Er kann nicht mal die Augen öffnen«, fügte ich todunglücklich hinzu, und gerade in diesem Moment blitzten mich Erics blaue Augen an. Ich hatte keine Ahnung, ob er schon kampfbereit war, wollte aber auch nicht länger mit ansehen, wie Tara fast erdrosselt wurde. »Noch nicht«, bat Eric eindringlich, doch ich hatte Mickey bereits erlaubt, das Haus zu betreten.

»Oje«, sagte ich, und schon glitt Mickey seltsam schlangengleich durchs Fenster herein. Nachlässig stieß er dabei das zerbrochene Glas heraus, als würde es ihm nicht wehtun, wenn er sich schnitt. Tara zog er hinter sich her, immerhin hatte er die Hände wieder von ihrem Hals gelöst und sie erneut am Arm gepackt. Dann ließ er sie auf den Boden fallen, und der durchs Fenster hereinströmende Regen prasselte auf sie nieder - auch wenn sie kaum noch nasser werden konnte, als sie bereits war. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie bei Bewusstsein war. Die Augen in ihrem blutverschmierten Gesicht waren geschlossen und die Blutergüsse wurden immer dunkler. Ich stand auf, schwankte leicht von dem Blutverlust, hielt mein Handgelenk aber verborgen, indem ich es an die Rückenlehne des Sessels legte. Ich hatte zwar gespürt, wie Eric es abgeleckt hatte, doch es würde noch ein paar Minuten dauern, bis es verheilt war.

»Was willst du?«, fragte ich Mickey. Als wenn ich das nicht wüsste.

»Deinen Kopf, Miststück«, fauchte er, die verkniffenen Gesichtszüge von Hass verzerrt und die Fangzähne voll entblößt. Im hellen Licht der Deckenlampe funkelten sie weiß und wirkten noch spitzer. »Auf die Knie vor deinem Herrn!« Noch ehe ich reagieren konnte - oder eigentlich auch nur blinzeln -, drehte mir der Vampir einen Arm auf den Rücken und ich stolperte durch das kleine Zimmer und landete halb auf dem Sofa, bevor ich zu Boden ging. Mit einem lauten Zischen entwich die Luft aus meinen Lungen, und eine qualvolle Minute lang konnte ich mich kaum noch bewegen, geschweige denn atmen. Inzwischen saß Mickey auf mir, und es blieb kein Zweifel an seinen Absichten, als er seinen Reißverschluss öffnete. »Das ist das Einzige, wozu du gut bist!« Seine Verachtung für mich machte ihn nur noch hässlicher. Er versuchte, Macht über mich zu erlangen, seine eigene Angst in meine Gedanken zu drängen, um mich zu unterwerfen.

Und dann strömte Luft in meine Lungen. Es war ein herrliches Gefühl, wieder atmen zu können, selbst unter diesen Umständen. Und mit der Luft strömte auch die Wut in mich, so als ob ich sie zusammen mit dem Sauerstoff einatmete. Das war die Trumpfkarte, die alle Schlägertypen zogen, immer. Ich hatte es so satt - ich hatte die Angst vor dem Schwanz dieser Rambos so satt.

»Nein!«, schrie ich ihn an. »Nein!« Und endlich konnte ich auch wieder denken, endlich ließ die Angst mich los. »Ich entziehe dir die Erlaubnis, mein Haus zu betreten!« Jetzt konnte er mal ausprobieren, wie er mit Panik klarkam. Er wich von mir zurück, was ziemlich lächerlich aussah mit der offenen Hose, und ging rückwärts zum Fenster, wobei er noch auf die arme Tara trat. Er beugte sich herunter und wollte sie packen und mit sich schleifen, doch ich machte einen Satz durchs Zimmer und ergriff sie an den Fußknöcheln. Ihre Arme waren zu glitschig vom Regen, Mickey fand keinen Halt, und die Magie, die ihn fest im Griff hatte, war einfach zu stark. Innerhalb einer Sekunde stand er draußen vor dem Fenster und brüllte vor Wut. Dann sah er in Richtung Osten, als würde ihn jemand rufen, und er verschwand in der Dunkelheit.

Mühsam kam Eric auf die Beine, er wirkte fast genauso erschrocken wie Mickey. »So klar können nur die allerwenigsten Menschen in einer solchen Situation denken«, sagte er sanft in die plötzliche Stille hinein. »Wie geht es dir, Sookie?«

Er reichte mir eine Hand und half mir aufzustehen. »Ich selbst fühle mich schon viel besser. Ich habe dein Blut bekommen, ohne dich dazu überreden zu müssen, und ich musste nicht gegen Mickey kämpfen. Du hast es alles ganz allein geschafft.«

»Dich hatte ein Stein am Kopf verletzt«, sagte ich und freute mich, dass ich mich auf den Beinen halten konnte. Allerdings würde ich trotzdem den Krankenwagen rufen müssen, für Tara. Ich fühlte mich selbst noch ziemlich angeschlagen.

»Das ist kein zu hoher Preis«, entgegnete Eric, holte sein Handy heraus, klappte es auf und drückte die Wahlwiederholungstaste. »Salome, wie gut, dass ich dich erreiche. Er versucht zu fliehen...«

Ich hörte das schadenfrohe Lachen, das am anderen Ende der Leitung erklang. Es war gruselig. Ich spürte keinen Funken Mitleid für Mickey, aber ich war wirklich froh, dass ich nicht Zeuge seiner Bestrafung werden würde.

»Wird Salome ihn kriegen?«, fragte ich.

Eric nickte freudig, während er das Handy wieder in die Tasche steckte. »Und sie kann ihm Dinge antun, die noch viel entsetzlicher sind, als ich es mir vorstellen kann. Obwohl ich mir mittlerweile eine ganze Menge vorstellen kann.«

»Ist sie so, äh, kreativ?«

»Er gehört ihr. Sie ist seine Schöpferin. Sie kann tun mit ihm, was sie will. Er kann sich ihrem Befehl nicht widersetzen und die Strafe umgehen. Er muss zu ihr gehen, wenn sie ihn ruft, und sie hat ihn gerufen.«

»Wohl nicht per Telefon, wie?«, wagte ich einzuwerfen.

Seine Augen funkelten mich an. »Nein, dafür braucht sie kein Telefon. Er versucht zu fliehen, aber schließlich wird er doch zu ihr gehen. Je länger er es hinauszögert, desto qualvoller wird die Folter. Und genau so«, fügte er hinzu, für den Fall, dass ich es nicht begriffen hatte, »soll es natürlich auch sein.«

»Pam gehört dir, stimmt's?«, fragte ich, kniete nieder und legte meine Finger an Taras kalten Hals. Ich konnte ihren Anblick kaum ertragen.

»Ja«, sagte Eric. »Sie kann jederzeit gehen, wenn sie möchte, muss aber wiederkommen, wenn ich ihre Hilfe brauche.«

Ich wusste selbst nicht genau, was ich davon halten sollte, aber im Moment machte das ohnehin keinen entscheidenden Unterschied. Tara keuchte und stöhnte. »Komm zu dir«, rief ich. »Tara! Ich rufe einen Krankenwagen für dich.«

»Nein«, entgegnete sie schroff. »Nein.« Dieses Wort hatte heute wirklich seinen großen Abend.

»Aber du bist schwer verletzt.«

»Ich kann nicht ins Krankenhaus. Dann erfährt jeder davon.«

»Jeder wird erfahren, dass jemand dich windelweich geprügelt hat, wenn du ein paar Wochen lang nicht arbeiten kannst, du Dummkopf.«

»Du kannst von meinem Blut haben«, bot Eric ihr an, der ohne irgendeine offensichtliche Gefühlsregung auf Tara hinuntersah.

»Nein«, sagte sie, »da sterbe ich lieber.«

»Das wirst du wohl auch.« Ich sah mir ihren Körper an. »Oh, aber du hast ja Blut von Franklin oder Mickey gehabt.« Da hatte es doch angeblich irgendwelche Vampirspielchen beim Sex gegeben.

»Natürlich nicht«, antwortete sie schockiert. Das Entsetzen in ihrer Stimme machte mich ganz sprachlos. Hatte sie mir unter vier Augen nicht was anderes erzählt? Ich hatte schon mehrmals Vampirblut genommen, als ich es brauchte. Beim ersten Mal wäre ich gestorben ohne.

»Dann musst du ins Krankenhaus.« Wahrscheinlich hatte Tara innere Verletzungen. »Du solltest dich lieber nicht bewegen«, protestierte ich, als sie versuchte, sich aufzusetzen. Mr Superstark half ihr nicht, was mich wirklich ärgerte, denn er hätte sie mühelos hochheben können.

Schließlich gelang es Tara, sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt aufzusetzen. Durch das offene Fenster fuhr ein eisiger Wind herein, der die Gardinen hin und her wehte. Der Regen hatte nachgelassen, nur noch ein paar Tropfen fielen ins Zimmer. Der Linoleumboden vor dem Fenster war nass von Regen und Blut, und die scharfen kleinen Splitter des zerbrochenen Glases lagen überall herum; einige steckten sogar in Taras feuchter Kleidung und in ihrer Haut.

»Tara, hör mir zu«, sagte Eric. Sie blickte zu ihm hinauf. Da er dicht vor der Neonlampe stand, musste sie blinzeln. Sie sah erbarmungswürdig aus, doch Eric schien nicht denselben Menschen zu sehen wie ich. »Deine Habgier und Selbstsucht haben meine - meine Freundin Sookie in Gefahr gebracht. Du behauptest, ihre Freundin zu sein, aber du verhältst dich nicht so.«

Hatte Tara mir nicht ein Kostüm geliehen, als ich eins brauchte? Hatte sie mir nicht ihren Wagen geliehen, nachdem meiner verbrannt war? Hatte sie mir nicht schon bei anderer Gelegenheit geholfen, als ich ihre Hilfe brauchte?

»Eric, das geht dich nichts an«, sagte ich.

»Du hast mich gerufen und um meine Hilfe gebeten, also geht es mich auch etwas an. Ich habe Salome angerufen und ihr erzählt, was ihr Geschöpf tut, und sie hat ihn zu sich gerufen und wird ihn dafür bestrafen. Das hattest du doch gewollt?«

»Ja«, erwiderte ich - und peinlicherweise muss ich zugeben, dass meine Stimme wohl trotzig klang.

»Dann werde ich jetzt noch mal mit Tara sprechen.« Er wandte seinen Blick wieder ihr zu. »Verstehst du mich?«

Tara nickte schmerzerfüllt. Ihre Blutergüsse wurden von Minute zu Minute schwärzer.

»Ich hole etwas Eis für deinen Hals«, sagte ich und rannte in die Küche, wo ich die Eiswürfel aus den Plastikbehältern in eine verschließbare Frischhaltetüte füllte. Ich wollte nicht hören, wie Eric ihr auch noch Vorwürfe machte, sie sah einfach zu mitgenommen aus.

Als ich eine Minute später zurückkam, war Eric fertig mit dem, was er Tara zu sagen gehabt hatte. Behutsam betastete sie ihren Hals, nahm den Eisbeutel und hielt ihn sich an die Kehle. Ängstlich und besorgt beugte ich mich über sie, während Eric schon wieder sein Handy am Ohr hatte.

Sorgenvoll schaute ich sie an. »Du brauchst einen Arzt«, drängte ich.

»Nein«, sagte Tara.

Ich sah Eric an, der soeben sein Telefonat beendet hatte. Er war der Experte für Verletzungen.

»Sie wird auch ohne Krankenhausaufenthalt wieder gesund«, erklärte er knapp. Seine Gleichgültigkeit jagte mir einen Schauder über den Rücken. Immer wenn ich dachte, ich hätte mich an sie gewöhnt, zeigten die Vampire mir ihr wahres Gesicht, und ich musste mir erneut in Erinnerung rufen, dass sie tatsächlich gänzlich andere Wesen waren. Womöglich lag der Unterschied auch in ihrem über Jahrhunderte eingeübten Verhalten: sich der Menschen ganz nach ihrem Wunsch zu bedienen; sich alles zu nehmen, was sie wollten; den Zwiespalt zu erdulden, bei Dunkelheit die mächtigsten Wesen der Welt zu sein und bei Tageslicht dennoch hilflos und verletzlich.

»Aber wird sie auch keine bleibenden Schäden haben? Etwas, das ein Arzt beheben könnte, wenn sie sofort zu ihm ginge?«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr Hals nur stark gequetscht ist. Von den Schlägen hat sie einige gebrochene Rippen, vielleicht auch ein paar lockere Zähne. Mickey hätte ihr leicht den Kiefer oder den Hals brechen können, weißt du. Wahrscheinlich wollte er, dass sie noch mit dir sprechen kann, wenn sie hier ist. Also hat er sich etwas zurückgehalten. Er hat darauf spekuliert, dass du bei ihrem Anblick in Panik gerätst und ihn hereinlässt. Allerdings konnte er nicht wissen, dass du so schnell wieder zur Vernunft kommst. Ich an seiner Stelle hätte dir zuerst deinen Mund oder deine Kehle verletzt, damit du mir die Erlaubnis, dein Haus zu betreten, nicht entziehen kannst.«

Auf den Gedanken war ich noch gar nicht gekommen, und ich erbleichte.

»Wahrscheinlich hatte er das auch vor, als er dir den Arm auf den Rücken drehte«, fuhr Eric unbeteiligt fort.

Ich hatte genug gehört und drückte ihm Besen und Schaufel in die Hand. Er sah die beiden Dinge an wie antike Artefakte, deren Nutzen er nicht ergründen konnte.

»Feg alles zusammen«, sagte ich und wischte mit einem feuchten Waschlappen das Blut und den Schmutz von meiner Freundin. Keine Ahnung, was Tara von unseren Worten mitbekam, aber ihre Augen waren geöffnet und ihr Mund geschlossen, also hörte sie vielleicht zu. Vielleicht versuchte sie aber auch nur, die Schmerzen zu ertragen.

Versuchsweise schwang Eric den Besen und unternahm auch einen Anlauf, die Glasscherben auf die Schaufel zu fegen, während diese noch mitten im Zimmer auf dem Boden lag. Die Schaufel rutschte natürlich weg. Eric blickte finster drein.

Endlich hatte ich mal was gefunden, das Eric überhaupt nicht beherrschte.

»Kannst du aufstehen?«, fragte ich Tara. Sie konzentrierte sich auf mein Gesicht und nickte andeutungsweise. Ich ging in die Hocke und ergriff ihre Hände. Langsam und mit schmerzverzerrter Miene zog sie die Beine an, und dann drückte sie sich hoch, während ich sie zog. Obwohl die meisten Scherben des zerbrochenen Fensters auf dem Fußboden gelandet waren, rieselten jetzt doch etliche Splitter von Tara herab, als sie aufstand. Ich warf Eric rasch einen Blick zu, damit er begriff, dass er auch sie noch wegfegen sollte. Eric hatte einen aufsässigen Zug um den Mund.

Ich versuchte, einen Arm um Tara zu legen und sie in mein Schlafzimmer zu bringen, doch da fuhr mir ein so stechender Schmerz in meine verletzte Schulter, dass ich zusammenzuckte. Eric warf die Schaufel aus der Hand, hob Tara mühelos hoch und legte sie auf das Sofa statt auf mein Bett. Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, und er sah mich nur an. Ich schloss den Mund wieder. Aus der Küche holte ich meine Schmerztabletten, und ich brachte Tara schließlich dazu, eine davon zu schlucken, was eine Menge Überredungskunst erforderte. Das Medikament schien sie völlig lahmzulegen, oder vielleicht wollte sie einfach nur Eric nicht länger ansehen müssen. Wie immer, sie hielt die Augen geschlossen und ihr Körper war vollkommen schlaff, aber nach und nach wurde ihre Atmung regelmäßiger und tiefer.

Mit einem triumphierenden Lächeln überreichte Eric mir den Besen. Da er ja nun Tara aufs Sofa gehoben hatte, musste ich seine Aufgabe übernehmen. Wegen der Schmerzen in der Schulter stellte ich mich ziemlich ungeschickt an, aber schließlich gelang es mir doch, die Glasscherben aufzufegen und in einen Müllbeutel zu versenken. Eric ging an die Tür - ich hatte niemanden kommen hören - und öffnete sie für Bill, noch ehe dieser geklopft hatte. Er musste also vorhin wohl mit Bill telefoniert haben. In gewisser Weise ergab das Sinn. Bill lebte auf Erics Lehensgut, oder wie immer sie das nannten. Jetzt brauchte Eric Hilfe, und Bill war verpflichtet, sie ihm zu leisten. Mein Exfreund war schwer beladen mit einer großen Sperrholzplatte, einem Hammer und einer Schachtel voll Nägeln.

»Komm rein«, sagte ich, als Bill vor der Türschwelle stehen blieb. Und ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln, nagelten die beiden Vampire die Sperrholzplatte vor das Fenster. Dass mir das alles ungeheuer peinlich war, wäre noch eine stark untertriebene Beschreibung der Situation, auch wenn dank der Ereignisse des Abends meine Sensibilität längst nicht mehr so ausgeprägt war wie zu anderen Zeiten. Mich beschäftigten vor allem der Schmerz in meiner Schulter, Taras Genesung und die Frage, wo Mickey sich gegenwärtig aufhielt. Und wenn ich mir nicht gerade darüber Sorgen machte, plagten mich Befürchtungen wegen des Fensters, das ich Sam würde ersetzen müssen, und wegen der Nachbarn, die von dem ganzen Aufruhr eventuell doch genug mitbekommen hatten, um die Polizei zu rufen. Letztlich nahm ich dann aber doch an, dass sie das nicht getan hatten; denn sonst wäre längst jemand aufgetaucht.

Nachdem Bill und Eric mit der provisorischen Reparatur des Fensters fertig waren, sahen sie mir zu, wie ich das Regenwasser und das Blut vom Linoleum wischte. Das Schweigen lastete mittlerweile schwer auf uns dreien: zumindest auf mir. Es hatte mich berührt, mit welcher Zärtlichkeit sich Bill in der Nacht zuvor um mich gekümmert hatte. Doch Erics soeben erst erworbenes Wissen um unsere intime Affäre steigerte meine Befangenheit in ungeahnte Höhen. Ich war in ein und demselben Zimmer mit zwei Männern, die beide wussten, dass ich mit dem jeweils anderen geschlafen hatte.

Am liebsten hätte ich ein Loch gegraben, mich hineingelegt und die Öffnung eigenhändig wieder zugeschaufelt, wie eine Figur in einem Cartoon. Ich konnte keinem der beiden ins Gesicht sehen.

Wenn ich ihnen die Erlaubnis entziehen würde, sich in meinem Haus aufzuhalten, würden sie wortlos gehen müssen. Aber angesichts all der Hilfe, die sie mir eben erst geleistet hatten, wäre so ein Verhalten meinerseits wohl mehr als unverschämt. Früher hatte ich meine Probleme mit ihnen mal auf ebendiese Weise gelöst. Und auch wenn die Versuchung groß war, mich jetzt wieder genauso aus dieser Peinlichkeit zu befreien, brachte ich es doch nicht fertig. Also, was tun? Eine Prügelei beginnen? Oder einen Streit? Das würde wenigstens die Luft reinigen. Oder vielleicht die Situation klar und deutlich ansprechen... nein.

Plötzlich sah ich vor meinem geistigen Auge, wie wir alle drei in das Doppelbett im kleinen Gästezimmer krochen. Anstatt unsere Konflikte mit Prügel oder einem Streit beizulegen, könnten wir doch auch... nein. Ich spürte, wie mir heiße Röte ins Gesicht schoss, während ich hin- und hergerissen war zwischen halb hysterischem Gelächter und einer ordentlichen Portion Scham, weil ich auf diesen Gedanken überhaupt für einen Moment verfallen war. Jason und sein Freund Hoyt hatten oft darüber geredet (wenn ich in Hörweite war), dass es die Fantasie jedes Mannes sei, mit zwei Frauen gleichzeitig ins Bett zu gehen. Und auch die männlichen Gäste im Merlotte's hatten diese Vorstellung, wie ich herausfand, als ich einmal mittels zufälliger Stichproben die Gedanken der Männer las, um Jasons Theorie zu prüfen. Da sollte es mir doch sicher erlaubt sein, dieselbe Fantasie zu haben? Ich begann hysterisch zu kichern, was die beiden Vampire entsetzte.

»Ist das hier etwa witzig?«, fragte Bill und zeigte auf die Sperrholzplatte vor dem Fenster, auf die reglos daliegende Tara und auf den Verband an meiner Schulter. Er hatte vergessen, auf Eric und auf sich selbst zu deuten. Ich brach in lautes Gelächter aus.

Eric hob eine seiner blonden Augenbrauen. »Sind wir etwa so witzig?«

Ich nickte wortlos und dachte: Anstatt zu dritt flott aufzuräumen, könnten wir doch auch einen aufgeräumten flotten Dreier machen. Anstatt mit den Vampir-Vögeln zu putzen, könnte ich die Vampir-Putzer doch auch...

Ich war erschöpft, ausgelaugt und ermattet vom Blutverlust - das erklärte wenigstens teilweise, warum ich so hilflos in Albernheit abdriftete. Ich lachte sogar noch lauter, als ich Erics und Bills Gesichter sah. Gleich zweimal haargenau dieselbe verzweifelte Miene.

»Sookie, wir haben unser Gespräch noch nicht beendet«, sagte Eric.

»Oh doch, haben wir«, erwiderte ich, immer noch lächelnd. »Ich habe dich um einen Gefallen gebeten: Tara aus den Fesseln von Mickey zu befreien. Und als Gegenleistung habe ich dir erzählt, was während deines Gedächtnisverlusts passiert ist. Du hast deinen Teil der Abmachung eingehalten und ich meinen. Gekauft und bezahlt. Ende.«

Bill sah von Eric zu mir. Jetzt wusste er, dass Eric wusste, was ich wusste ... Ich kicherte wieder. Doch dann verpuffte mein Leichtsinn ganz plötzlich, und ich fühlte mich wie ein leerer Luftballon. »Gute Nacht, ihr beiden«, sagte ich. »Danke, Eric, dass du den Stein an den Kopf bekommen hast und es auf dich genommen hast, den ganzen Abend am Handy zu hängen. Danke, Bill, dass du so spät noch freiwillig das Fenster repariert hast, auch wenn Eric dich dazu gezwungen hat.« Unter normalen Umständen - wenn es denn in Gesellschaft von Vampiren so etwas wie normale Umstände überhaupt gab - hätte ich sie beide zum Abschied umarmt, aber das erschien mir jetzt einfach zu verrückt.

»Puuh«, machte ich. »Ich muss ins Bett. Ich bin total erledigt.«

»Sollte nicht einer von uns heute Nacht bei dir bleiben?«, fragte Bill.

Wenn ich dazu Ja gesagt und einen hätte herauspicken müssen, der die Nacht bei mir verbrachte, so wäre es Bill gewesen - wenn ich mich denn auf ihn hätte verlassen können und er genauso sanft gewesen wäre wie während der vergangenen Nacht. Denn wer so erledigt ist, wie ich es war, und zudem noch Schmerzen hat, für den ist es das Wunderbarste auf der Welt, sich wertgeschätzt zu fühlen. Aber das war dann vielleicht doch ein paar Mal zu häufig »Wenn« für heute Abend.

»Ich komme schon zurecht«, sagte ich. »Eric hat mir versichert, dass Salome Mickey im Handumdrehen aufspürt, und ich brauche nichts dringender als Schlaf. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ihr beide heute Abend hierher zu mir gekommen seid.«

Einen langen Augenblick fürchtete ich, sie könnten einfach »Nein« sagen und versuchen, sich gegenseitig im Abwarten auszustechen. Doch Eric gab mir einen Kuss auf die Stirn und ging, und Bill, der dem in nichts nachstehen wollte, berührte mit seinen Lippen leicht meinen Mund und ging ebenfalls. Als die zwei Vampire verschwunden waren, freute ich mich, endlich allein zu sein.

Aber ganz allein war ich ja immer noch nicht. Tara lag bewusstlos auf dem Sofa. Ich machte es ihr bequem, zog ihr die Schuhe aus, holte aus meinem Schlafzimmer eine Decke, und dann fiel ich selbst ins Bett.