Kapitel 8

Claudine stand an meiner linken Seite. Bill trat heran, stellte sich an meine rechte Seite und ergriff meine Hand. Und zusammen sahen wir zu, wie die Feuerwehrleute den Schlauch durch das zerbrochene Fenster schoben. Das Klirren von Glas an der anderen Seite des Hauses ließ darauf schließen, dass sie das Fenster über der Spüle ebenfalls durchstießen. Während sich die Feuerwehrleute auf das Feuer konzentrierten, konzentrierten sich die Polizisten auf die Leiche. Charles trat zu ihnen, um sogleich alles zu gestehen.

»Ich habe ihn umgebracht«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Ich habe ihn dabei überrascht, wie er das Haus in Brand steckte.«

Sheriff Bud Dearborn war einem Pekinesen ähnlicher, als ein Mensch es eigentlich hätte sein sollen. Sein Gesicht war praktisch konkav. Er hatte runde, helle und kluge Augen, die momentan vor allem neugierig blickten. Sein braunes, schon stark von grauen Strähnen durchzogenes Haar trug er aus dem Gesicht gekämmt, und ich wartete nur darauf, dass er anfing zu schnüffeln, wenn er sprach.

»Und Sie sind...?«, sagte der Sheriff zu dem Vampir.

»Charles Twining«, antwortete Charles höflich. »Zu Diensten.«

Ich hatte nicht erwartet, dass der Sheriff derart schnauben und Andy Bellefleur so deutlich die Augen verdrehen würde.

»Und Sie halten sich hier auf, weil... ?«

»Er wohnt bei mir«, schaltete sich Bill mit sanfter Stimme ein, »solange er im Merlotte's arbeitet.«

Vermutlich hatte der Sheriff bereits von dem neuen Barkeeper gehört, denn er nickte bloß. Ich war erleichtert, nicht zugeben zu müssen, dass Charles eigentlich bei mir im Einbauschrank des Gästezimmers schlafen sollte, und ich war Bill enorm dankbar für diese Lüge. Einen Moment lang trafen sich unsere Blicke.

»Sie geben also zu, diesen Mann getötet zu haben?«, fragte Andy. Charles nickte knapp.

Andy winkte eine Frau mit Latexhandschuhen heran, die bei ihrem Auto gewartet hatte - mittlerweile standen ungefähr fünf Wagen vor meinem Haus, die von der Feuerwehr nicht eingerechnet. Diese Frau spähte neugierig zu mir herüber, während sie an uns vorbei und zu der in sich zusammengesunkenen Gestalt beim Forsythienstrauch ging. Sie zog ein Stethoskop aus einer Tasche, kniete sich neben den Mann und hörte seinen Körper an verschiedenen Stellen ab. »Tja, mausetot«, rief sie.

Andy hatte eine Polaroidkamera aus dem Wagen geholt und fotografierte die Leiche. Weil es außer dem Blitz und den Flammen meines brennenden Hauses keinerlei Lichtquelle gab, würden die Bilder wohl nicht allzu gelungen ausfallen, dachte ich. Ich war von dem Schock noch ganz benommen und beobachtete Andy.

»Wie schade. Wäre doch sehr interessant gewesen, zu erfahren, warum er Sookies Haus in Brand gesteckt hat«, sagte Bill, der Andy bei der Arbeit zusah. Seine Stimme hätte einem Kühlschrank Konkurrenz machen können in Sachen Frostigkeit.

»Weil ich um Sookies Sicherheit besorgt war, habe ich wohl zu fest zugeschlagen.« Charles versuchte, seinem Bedauern Ausdruck zu geben.

»Da offenbar sein Genick gebrochen ist, vermute ich mal, das haben Sie«, sagte die Ärztin und musterte Charles' weißes Gesicht mit der gleichen sorgfältigen Aufmerksamkeit, die sie meinem gewidmet hatte. Die Ärztin war schätzungsweise Mitte dreißig; eine Frau, so schlank, dass sie fast dürr war, mit kurzen roten Haaren, ungefähr 1,60 Meter groß und von elfenhafter Gestalt - oder zumindest hatte ich mir Elfen früher immer so vorgestellt: kleine Stupsnase, große Augen, voller Mund. Ihre Worte klangen nicht nur trocken, sondern auch frech, und es schien sie kein bisschen aus der Fassung zu bringen oder aufzuregen, mitten in der Nacht wegen so einer Geschichte angerufen zu werden. Wahrscheinlich war sie die amtliche Leichenbeschauerin, und ich hatte bei der Wahl also selbst für sie gestimmt; aber an ihren Namen konnte ich mich nicht erinnern.

»Wer sind Sie?«, fragte Claudine in ihrem liebenswürdigsten Ton.

Bei ihrem Anblick blinzelte die Ärztin. Selbst zu dieser unchristlichen Morgenstunde war Claudine perfekt geschminkt und trug zu einem knallroten Stricktop schwarze Wollleggings. Ihre Schuhe waren knallrot und schwarz gestreift, ebenso wie ihre Jacke. Und ihr wellig herabfallendes schwarzes Haar wurde von knallroten Kämmen zurückgehalten.

»Ich bin Dr. Tonnesen. Linda. Wer sind Sie?«

»Claudine Crane«, sagte die Elfe. Ich hatte den Nachnamen, den Claudine benutzte, vorher noch nie gehört.

»Und warum sind Sie hier, Miss Crane?«, fragte Andy Bellefleur.

»Ich bin Sookies Schutzengel«, erwiderte Claudine lachend. Und obwohl die Situation düster war, mussten doch auch alle anderen lachen. Es war, als ob wir einfach nicht aufhören konnten, fröhlich zu sein in Claudines Gegenwart. Aber ihre Erklärung machte mich ziemlich nachdenklich.

»Nein, jetzt mal im Ernst«, sagte Bud Dearborn. »Warum sind Sie hier, Miss Crane?«

Claudine lächelte verschmitzt. »Ich habe bei Sookie die Nacht verbracht«, sagte sie mit einem Augenzwinkern.

Im Handumdrehen waren wir die Objekte faszinierter Blicke aller Männer in Hörweite, und ich musste meinen Kopf verschließen, als wäre er ein Hochsicherheitsgefängnis, um die gedanklichen Bilder, die all die Männer massenhaft aussandten, abzublocken.

Andy schüttelte sich, schloss den Mund und hockte sich neben den toten Mann. »Bud, ich drehe ihn mal um«, rief er mit heiserer Stimme und rollte die Leiche herum, so dass er in die Taschen des Toten greifen konnte. Die Brieftasche des Mannes fand sich in der Innentasche seines Jacketts. Andy erhob sich wieder und trat einen Schritt von der Leiche zurück, um den Inhalt der verschiedenen Fächer in Augenschein zu nehmen.

»Wollen Sie ihn mal ansehen?«, forderte Bud Dearborn mich auf. »Vielleicht erkennen Sie ihn.« Das wollte ich natürlich nicht, aber ich wusste auch, dass ich wohl kaum eine Wahl hatte. Nervös ging ich ein paar Zentimeter näher heran und blickte dem toten Mann ins Gesicht. Er sah ganz normal aus. Und er sah immer noch tot aus. Er war etwa Mitte dreißig. »Ich kenne ihn nicht«, sagte ich leise. Meine Stimme ging fast unter in all dem Lärm der Feuerwehrleute und dem Rauschen des Löschwassers, das sich in mein Haus ergoss.

»Was?« Bud Dearborn hatte Schwierigkeiten, mich zu verstehen. Mit seinen runden braunen Augen fixierte er mein Gesicht.

»Kenne ich nicht!«, rief ich laut. »Habe ich noch nie gesehen, soweit ich mich erinnere. Claudine?«

Keine Ahnung, warum ich plötzlich Claudine fragte.

»Oh ja, ich habe ihn schon mal gesehen«, sagte sie fröhlich.

Das verschaffte ihr die ungeteilte Aufmerksamkeit der zwei Vampire, der zwei Gesetzeshüter, der Ärztin und meiner Person.

»Wo?«

Claudine legte ihren Arm um meine Schultern. »Wieso, er war heute Abend im Merlotte's. Du hast dir vermutlich zu viele Sorgen um deine Freundin Tara gemacht, um ihn zu bemerken. Er war auf der Seite des Raums, auf der ich saß.« Auf der Seite hatte Arlene gearbeitet.

Es war nicht weiter erstaunlich, dass mir in einer gut besuchten Bar das Gesicht eines einzelnen männlichen Gastes nicht aufgefallen war. Doch es ärgerte mich, dass ich zwar die Gedanken der Leute gelesen, aber gerade die mich betreffenden Gedanken verpasst hatte. Schließlich war er in derselben Bar gewesen wie ich und hatte nur ein paar Stunden später mein Haus in Brand gesteckt. Also musste er auch über mich nachgedacht haben, das schien mir nur logisch.

»Hier im Führerschein steht, dass er aus Little Rock, Arkansas, kommt«, sagte Andy.

»Mir hat er was anderes erzählt«, entgegnete Claudine. »Er sagte, er sei aus Georgia.« Sie strahlte immer noch, auch als sie erkannte, dass sie angelogen worden war; sie lächelte nur nicht mehr. »Er sagte, er heiße Marlon.«

»Hat er Ihnen auch erzählt, warum er in der Stadt war, Miss Crane?«

»Er sagte, er sei auf der Durchreise und hätte ein Motelzimmer ein Stück weiter die Autobahn hinauf.«

»Hat er noch irgendetwas gesagt?«

»Nein.«

»Sind Sie mit ihm in dieses Motel gefahren, Miss Crane?«, fragte Bud Dearborn in seinem unvoreingenommensten Tonfall.

Dr. Tonnesen sah von einem Sprechenden zum anderen, als sehe sie sich ein verbales Tennismatch an.

»Ach, du liebe Güte, nein. So was tue ich nicht.« Claudine lächelte in die Runde.

Bill wirkte, als hätte gerade jemand mit einer Flasche Blut vor seinem Gesicht herumgewedelt. Seine Fangzähne waren ausgefahren, und mit den Augen fixierte er Claudine. Sehr lange konnten sich Vampire nicht zurückhalten, wenn es um Elfen ging. Auch Charles war näher an Claudine herangetreten.

Sie musste unbedingt gehen, ehe die Gesetzeshüter mitbekamen, wie die Vampire auf sie reagierten. Linda Tonnesen war es bereits aufgefallen; sie war selbst höchst interessiert an Claudine. Ich hoffte, sie würde die Faszination der Vampire ganz auf Claudines gutes Aussehen schieben statt auf die Verlockung, die Elfen für Vampire nun mal darstellten.

»Bruderschaft der Sonne«, sagte Andy. »Er hat eine Mitgliedskarte dieser christlichen Sekte hier drin. Aber da steht kein Name drauf, komisch. Sein Führerschein lautet auf Jeff Marriot.« Fragend sah er mich an.

Ich schüttelte den Kopf. Der Name sagte mir nichts.

Aber genauso dachten sie, die Mitglieder dieser Bruderschaft: dass sie einfach etwas so Schreckliches tun konnten wie mein Haus anzünden - mit mir darin -, ohne dass ihnen jemand Fragen dazu stellen würde. Es war nicht das erste Mal, dass die Bruderschaft der Sonne, eine hasserfüllte AntiVampir-Sekte, versuchte, mich bei lebendigem Leib zu verbrennen.

»Er muss gewusst haben, dass du eine, äh, eine Verbindung zu Vampiren hast«, sagte Andy in das Schweigen hinein.

»Mein Zuhause zerfällt zu Schutt und Asche und ich hätte dabei sterben können - weil ich Vampire kenne?«

Sogar Bud Dearborn wirkte ein bisschen verlegen.

»Irgendeiner muss gehört haben, dass Sie mal mit Mr Compton hier eine Beziehung hatten«, murmelte Bud. »Tut mir leid, Sookie.«

»Claudine muss los«, sagte ich.

Dass ich so plötzlich das Thema wechselte, verschreckte sowohl Andy als auch Bud, und sogar Claudine. Sie sah die beiden Vampire an, die merklich näher gerückt waren, und sagte hastig: »Ja, tut mir leid, ich muss dringend zurück nach Hause. Ich muss morgen arbeiten.«

»Wo ist Ihr Wagen, Miss Crane?« Bud Dearborn sah sich gründlich um. »Außer Sookies Auto habe ich keins gesehen, und das steht hinterm Haus.«

»Ich habe drüben bei Bill geparkt«, log Claudine ganz reibungslos nach all den Jahren der Übung. Ohne noch das weitere Gespräch abzuwarten, verschwand sie im Wald. Nur meine Hände, mit denen ich Charles und Bill an den Armen festhielt, verhinderten, dass die beiden Vampire ihr in die Dunkelheit folgten. Sie starrten die schwarzen Bäume an, bis ich ihnen einen harten Stoß versetzte.

»Was?«, fragte Bill fast verträumt.

»Wach auf«, murmelte ich in der Hoffnung, dass Bud, Andy und die neue Ärztin mich nicht hörten. Sie mussten nicht erfahren, dass Claudine eine Übernatürliche war.

»Was für eine Frau«, sagte Dr. Tonnesen, die beinahe genauso fasziniert gewesen war wie die Vampire. Sie schüttelte sich. »Der Leichenwagen wird, äh, Jeff Marriot abholen kommen. Ich bin bloß hier, weil mein Pager eingeschaltet war, als ich von meiner Schicht im Krankenhaus von Clarice zurückkam. Jetzt muss ich nach Hause und schlafen gehen. Das mit dem Brand tut mir leid für Sie, Miss Stackhouse, aber wenigstens hat es mit Ihnen nicht so ein Ende genommen wie mit diesem Typen hier.« Sie nickte zu der Leiche hin.

Als sie in ihren Ranger stieg, stapfte der Chef der Feuerwehrleute mit schweren Schritten heran. Ich kannte Catfish Hunter schon seit Jahren - er war ein Freund meines Vaters gewesen -, hatte ihn aber noch nie in seiner Funktion als Chef der freiwilligen Feuerwehr erlebt. Catfish schwitzte trotz der Kälte, und sein Gesicht war von Ruß verschmiert.

»Sookie, wir haben's löschen können«, sagte er müde. »Ist nicht so schlimm, wie du vielleicht denkst.«

»Nicht?«, fragte ich leise.

»Nein, Schätzchen. Die hintere Veranda, die Küche und dein Auto sind hinüber, fürchte ich. Da hat er auch Benzin drübergeschüttet. Aber der Großteil des Hauses ist gerettet.«

Die Küche ... in der die einzigen Spuren des Mordes, den ich begangen hatte, aufzufinden gewesen wären. Jetzt würden nicht mal mehr die Spezialisten der Fernsehsendung auf »Discovery Channel« irgendwelche Blutspuren in meiner versengten Küche finden. Ohne es eigentlich zu wollen, begann ich zu lachen. »Die Küche«, stieß ich unter Kichern hervor. »Die Küche ist ganz hinüber?«

»Ja«, sagte Catfish beklommen. »Du hast hoffentlich eine Versicherung.«

»Oh«, entgegnete ich und versuchte, nicht mehr zu kichern. »Ja. Es ist mir schwer gefallen, die Beiträge zu zahlen, aber ich habe die Versicherungspolice meiner Großmutter behalten.« Gott sei Dank hatte meine Großmutter immer an den Sinn von Versicherungen geglaubt. Sie hatte zu oft erlebt, dass Leute die Beitragszahlungen einstellten, um ihre monatlichen Kosten zu verringern, und dann Verluste erlitten, die sie ruinierten.

»Bei wem? Ich werde da gleich anrufen.« Catfish war so ängstlich darauf bedacht, mein Lachen zu unterbinden, dass er wohl mir zuliebe sogar Clownsgesichter geschnitten oder gebellt hätte.

»Greg Aubert«, sagte ich.

Plötzlich warfen mich die Ereignisse der Nacht fast um. Mein Haus war niedergebrannt, wenigstens teilweise. Ich hatte mehr als einen Spanner vor dem Haus gehabt. Ich hatte einen Vampir, für den ich einen Tagesruheort brauchte. Mein Wagen war hinüber. Es lag ein toter Mann namens Jeff Marriot in meinem Garten, der aus reinem Vorurteil mein Haus und meinen Wagen in Brand gesetzt hatte. Das war zu viel für mich.

»Jason ist nicht zu Hause«, sagte Catfish wie in einiger Entfernung. »Ich hab's bei ihm probiert. Er würde dich sonst bestimmt sofort hier wegholen«

»Sie und Charles - das heißt, Charles und ich nehmen sie mit zu mir«, erklärte Bill. Er schien ebenso weit entfernt.

»Ich weiß nicht recht«, schaltete sich Bud Dearborn ein. »Sookie, ist das okay?«

Ich konnte meine Gedanken kaum dazu zwingen, ein paar Möglichkeiten durchzugehen. Tara konnte ich nicht anrufen, weil Mickey dort war. Arlenes Wohnwagen war bereits so überfüllt, dass keiner mehr hineinpasste.

»Ja, geht schon in Ordnung.« Meine Stimme klang hohl und leer, selbst in meinen eigenen Ohren.

»Okay, solange wir wissen, wo wir Sie erreichen.«

»Ich habe Greg angerufen, Sookie, und eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter in seinem Büro hinterlassen. Am besten rufst du ihn morgen früh mal an«, sagte Catfish.

»Prima«, erwiderte ich.

Und dann stapften alle Feuerwehrleute herbei, und alle versicherten mir, wie leid es ihnen tue. Ich kannte jeden Einzelnen von ihnen: Freunde meines Vater, Freunde von Jason, Stammgäste aus dem Merlotte's, Bekannte aus der Highschool.

»Alle haben getan, was sie konnten«, sagte ich wieder und wieder. »Danke, dass das meiste gerettet wurde.«

Und dann kam der Leichenwagen und transportierte den toten Brandstifter ab.

Zu dem Zeitpunkt hatte Andy bereits einen Benzinkanister im Gebüsch gefunden; die Hände der Leiche stanken nach Benzin, hatte Dr. Tonnesen gesagt.

Ich konnte kaum fassen, dass ein Wildfremder beschlossen hatte, mir mein Zuhause und mein Leben zu nehmen wegen der Freunde, die ich mir aussuchte. Als ich in diesem Augenblick daran dachte, wie nahe ich dem Tod gewesen war, fand ich es gar nicht ungerecht, dass der Brandstifter dabei ums Leben gekommen war. Mir selbst gegenüber gab ich zu, dass Charles ein gutes Werk getan hatte. Und mein Leben verdankte ich wahrscheinlich Sam, der so nachdrücklich darauf bestanden hatte, dass der Vampir bei mir übernachten sollte. Wenn Sam in diesem Moment da gewesen wäre, hätte ich mich sicher überschwänglich bei ihm bedankt.

Schließlich machten Bill, Charles und ich uns auf den Weg hinüber zu Bills Haus. Catfish hatte mir geraten, nicht vor dem nächsten Morgen zurück in mein Haus zu gehen, und auch dann erst, wenn der Versicherungsvertreter und der Experte für Brandstiftung es untersucht hatten. Und Dr. Tonnesen hatte mir gesagt, ich solle am nächsten Morgen ruhig bei ihr in der Praxis vorbeischauen, falls mein Atem pfeifend ging. Sie hatte noch ein paar andere Dinge gesagt, aber die hatte ich schon gar nicht mehr richtig mitbekommen.

Im Wald war es stockdunkel, natürlich, immerhin war es inzwischen fast fünf Uhr früh. Nachdem ich ein paar Mal direkt auf einen Baum zugelaufen war, hob Bill mich hoch und trug mich. Ich protestierte nicht mal mehr, denn ich war so müde, dass ich mich schon gefragt hatte, wie ich heil über den alten Friedhof kommen wollte bei all der Stolperei.

Er stellte mich wieder auf die Füße, als wir sein Haus erreicht hatten. »Schaffst du es allein die Treppe hinauf?«, fragte er.

»Ich trage dich«, bot Charles mir an.

»Nein, das schaffe ich schon«, entgegnete ich und ging los, ehe sie noch mehr sagen konnten. Um ehrlich zu sein, ich war nicht sicher, ob es mir gelingen würde. Ganz langsam legte ich aber schließlich doch den Weg in das Schlafzimmer zurück, das ich während meiner Zeit mit Bill immer benutzt hatte. Er selbst hatte einen gemütlichen, lichtundurchlässigen Schlafplatz irgendwo im Erdgeschoss, aber ich hatte ihn nie gefragt, wo genau. (Ich war allerdings ziemlich sicher, dass dieser Platz in einem Zwischenraum lag, den die Maurer von der Küche abgetrennt hatten, als sie den Wintergarten mit Whirlpool anbauten.) Und auch wenn der Grundwasserspiegel in Louisiana zu hoch war, um die Häuser zu unterkellern, hätte ich schwören können, dass es da irgendwo noch ein anderes dunkles Versteck gab. Bill hatte jedenfalls Platz für Charles, ohne dass sie sich stapeln mussten - nicht, dass das meine größte Sorge gewesen wäre. Eins meiner Nachthemden lag noch in der Kommode des altmodischen Schlafzimmers, und im Bad fand ich auch noch eine meiner Zahnbürsten. Bill hatte meine Sachen nicht in den Müll getan, sondern liegen lassen, als erwartete er meine Rückkehr.

Oder vielleicht hatte er seit unserer Trennung auch nur einfach keinen Grund gehabt, in den ersten Stock hinaufzugehen.

Ich versprach mir, nach dem Aufstehen eine lange heiße Dusche zu nehmen, und zog einfach bloß meinen stinkenden, fleckigen Pyjama und die ruinierten Socken aus. Das Gesicht wusch ich mir noch, dann streifte ich das saubere Nachthemd über und kletterte in das hohe Bett - wozu ich den antiken Stuhl benutzte, der immer noch dort stand, wo ich ihn hingestellt hatte. Als die Ereignisse des Tages und der Nacht wie Bienen in meinen Kopf summten, dankte ich Gott dafür, dass mein Leben verschont geblieben war. Aber das war auch schon alles, was ich zu Ihm noch sagen konnte, denn da hatte mich bereits der Schlaf umfangen.

Ich schlief nur drei Stunden. Dann weckte mich eine sorgenvolle Unruhe. Es war noch Zeit genug bis zu meinem Treffen mit Greg Aubert, dem Versicherungsvertreter. Ich zog eine Jeans von Bill und eins seiner T-Shirts an. Die Sachen hatten vor meiner Tür gelegen, zusammen mit dicken Socken. Seine Schuhe konnte ich unter keinen Umständen tragen, aber zu meiner Freude entdeckte ich noch ein Paar Slipper mit Gummisohle, die ich ganz hinten im Schrank zurückgelassen hatte. Bill hatte immer noch etwas Kaffee und eine Kaffeemaschine in der Küche seit unserer Romanze, und ich war dankbar, einen heißen Becher in Händen halten zu können, als ich vorsichtig über den alten Friedhof und durch den Wald zurückging, der das umgab, was von meinem Haus übrig war.

Greg fuhr eben vor, als ich die Bäume hinter mir ließ. Er stieg aus seinem Pick-up, musterte mein seltsam anmutendes Outfit und ignorierte es dann höflich. Einträchtig standen wir nebeneinander und betrachteten das alte Haus. Greg hatte sandfarbenes Haar und trug eine randlose Brille; er war einer der Gemeindeältesten der Presbyterianischen Kirche. Ich hatte ihn stets gemocht, weil er, wann immer meine Großmutter in meiner Begleitung ihre Versicherungsbeiträge bezahlen kam, aus seinem Büro getreten war, ihr die Hand geschüttelt und sie wie eine geschätzte Kundin behandelt hatte. Sein Geschäftssinn wurde nur noch von seinem Glück übertroffen. Die Leute hatten jahrelang behauptet, dass sich sein persönliches Glück auf seine Versicherungskunden übertragen würde - auch wenn sie das natürlich in eher scherzhaftem Ton gesagt hatten.

»Wenn ich das nur vorausgesehen hätte«, meinte Greg. »Sookie, es tut mir so leid, dass Ihnen das passiert ist.«

»Was meinen Sie, Greg?«

»Oh, ich bin nur ... ich wünschte nur, ich hätte Ihnen zu einem höheren Versicherungsschutz geraten«, sagte er geistesabwesend. Er begann um das Haus herumzugehen und ich folgte ihm. Neugierig fing ich an, seine Gedanken zu lesen, und was ich da hörte, ließ mich aus meiner düsteren Stimmung auffahren.

»Mit Zaubersprüchen können Versicherungen abgesichert werden, das funktioniert wirklich?«, fragte ich.

Er jaulte auf. Dafür gibt es kein anderes Wort. »Es stimmt also, was über Sie...« Er schnappte nach Luft. »Ich - ich will nicht - es ist nur ...« Er stand vor meiner rußgeschwärzten Küche und starrte mich an.

»Ist schon gut«, beruhigte ich ihn. »Sie können einfach so tun, als wär's nicht wahr, wenn Sie sich dann besser fühlen.«

»Meine Frau würde sterben, wenn sie es wüsste«, sagte er ganz vernünftig. »Und meine Kinder auch. Ich möchte sie einfach raushalten aus diesem Teil meines Lebens. Meine Mutter war... sie war...«

»Eine Hexe?«, schlug ich hilfsbereit vor.

»Nun, ja.« Gregs Brillengläser blinkten in der frühmorgendlichen Sonne, während er auf die Reste meiner Küche sah. »Aber mein Dad hat immer so getan, als wüsste er von nichts. Und obwohl sie mich ausgebildet hat, damit ich ihren Platz einnehmen kann, wollte ich doch nichts lieber auf der Welt, als ein ganz normaler Mann sein.« Greg nickte, wie um zu bestätigen, dass ihm das gelungen war.

Ich sah auf meinen Becher Kaffee hinab, glücklich darüber, dass ich irgendetwas in Händen hielt. Greg log sich selbst grandios in die Tasche, doch es war nicht meine Aufgabe, ihm das klar zu machen. Darüber musste er sich mit seinem Gott und seinem Gewissen einigen. Ich will damit nicht sagen, dass Gregs Methode schlecht war, aber er führte nun wahrlich nicht das Leben eines ganz normalen Mannes. Magie als Lebensversicherung (im wörtlichen Sinne) einzusetzen verstieß mit Sicherheit gegen alle möglichen Regeln.

»Ich meine, ich bin ein guter Versicherungsvertreter«, fuhr er fort, wie um sich selbst zu verteidigen. Dabei hatte ich kein einziges Wort gesagt. »Ich bin vorsichtig bei dem, was ich versichere. Ich prüfe die Dinge genau. Es ist nicht alles Magie.«

»Oh nein«, erwiderte ich, damit er vor Angst nicht noch explodierte. »Die Leute haben doch sowieso Unfälle, nicht wahr?«

»Ja, ganz egal, welche Zaubersprüche ich benutze«, stimmte er niedergeschlagen zu. »Sie fahren betrunken Auto. Und manchmal geben auch Metallteile nach, welche auch immer.«

Die Vorstellung, dass der etwas spießige Greg Aubert in Bon Temps herumlief und Autos mit Zaubersprüchen versah, reichte fast, um mich vom Ruin meines Hauses abzulenken... aber nur fast.

Im klaren kühlen Tageslicht konnte ich das ganze Ausmaß des Schadens erkennen. Auch wenn ich mir immer wieder sagte, dass es viel schlimmer hätte kommen können - und welch ein Glück es war, dass die Küche erst zu einem späteren Zeitpunkt und zudem hinten ans Haus angebaut worden war -, blieb es doch der Raum, der besonders teure Gegenstände beherbergte. Ich würde Herd, Kühlschrank, Heißwasserboiler und Mikrowelle ersetzen müssen, und auf der hinteren Veranda hatten die Waschmaschine und der Trockner gestanden.

Und neben dem Verlust dieser Geräte waren da noch Geschirr, Töpfe, Pfannen und Besteck, das teilweise silbern und schon sehr alt gewesen war. Eine meiner Urgroßmütter stammte aus einer Familie mit etwas Geld und hatte edles Porzellangeschirr und ein silbernes Teeservice mitgebracht, das zu putzen eine reine Qual gewesen war. Jetzt brauchte ich es nie wieder zu putzen, sagte ich mir, aber freuen konnte ich mich über den Gedanken nicht. Mein Chevy war alt gewesen und hätte schon längst ersetzt werden müssen, allerdings hatte ich nicht eingeplant gehabt, das jetzt zu tun.

Tja, ich war ja versichert, und dank den Vampiren hatte ich Geld auf dem Konto, weil ich Eric für die Zeit seines Gedächtnisverlustes bei mir aufgenommen hatte.

»Hatten Sie denn Rauchmelder?«, fragte Greg.

»Ja, hatte ich«, erwiderte ich und erinnerte mich an das schrille Geräusch, das ertönte, gleich nachdem Claudine mich aufgeweckt hatte. »Wenn die Decke in der Diele noch erhalten ist, können Sie da einen sehen.«

Die hintere Veranda hatte keine Stufen mehr, über die wir hinaufgelangen konnten, und die Bodendielen sahen ziemlich morsch aus. Die Waschmaschine war tatsächlich halb eingebrochen und hing merkwürdig schief zwischen den Dielenbrettern. Es machte mich ganz krank, all meine Dinge des täglichen Lebens, die ich schon Hunderte Male angefasst und benutzt hatte, derart der Welt ausgeliefert und ruiniert zu sehen.

»Gehen wir besser vorne hinein«, schlug Greg vor, und ich stimmte ihm nur zu gern zu.

Die Tür war die ganze Nacht nicht abgeschlossen gewesen, und ich erschrak darüber, ehe ich mir klar machte, wie aberwitzig das war. Ich trat ins Haus. Als Erstes fiel mir der Gestank auf. Alles roch nach Rauch. Ich öffnete die Fenster, und der hereinströmende kühle Luftzug verdrängte nach und nach den Gestank, bis es einigermaßen erträglich war.

In diesem Teil des Hauses sah es besser aus, als ich erwartet hatte. Die Möbel würde ich natürlich alle gründlich putzen müssen. Doch der Fußboden war stabil und unbeschädigt. Ich ging nicht mal die Treppe hinauf; die Räume oben benutzte ich nur sehr selten, und was immer der Brand dort angerichtet hatte, konnte warten.

Die Arme vor der Brust verschränkt, blickte ich von einer Seite zur anderen, während ich langsam durch das Wohnzimmer auf die Diele zuging. Am leichten Vibrieren des Fußbodens spürte ich, dass jemand anders hereinkam. Ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass Jason hinter mir stand. Greg und er wechselten ein paar Worte miteinander, doch schon einen Augenblick später schwieg Jason - genauso schockiert wie ich.

Wir gingen in die Diele. Die Tür zu meinem Schlafzimmer und die Tür zum Gästezimmer schräg gegenüber standen offen. Meine Bettdecke lag immer noch zurückgeworfen da. Meine Schuhe standen neben dem Nachttisch. Alle Fenster waren verdreckt von einem schmierigen Gemisch aus Rauch, Ruß und Löschwasser, und der schreckliche Gestank wurde fast noch schlimmer. Da oben an der Decke hing der Rauchmelder der Diele. Wortlos zeigte ich darauf. Ich öffnete den Schrank mit der Bettwäsche und den Handtüchern, es war alles feucht geworden. Nun, diese Sachen konnten wenigstens gewaschen werden. Dann ging ich in mein Schlafzimmer und öffnete meinen eingebauten Kleiderschrank, dessen Rückwand an die Küche grenzte. Auf den ersten Blick wirkte meine Kleidung unversehrt, bis ich sah, dass jedes Teil, das über einem Drahtbügel hing, entlang den Schultern eine schwarze Linie aufwies - der glühende Draht hatte den Stoff versengt. Meine Schuhe waren quasi gebacken worden. Drei Paar konnte ich vielleicht noch benutzen.

Ich schluckte schwer.

Obwohl ich von Sekunde zu Sekunde zittriger wurde, folgte ich meinem Bruder und dem Versicherungsvertreter, als sie vorsichtig weiter die Diele entlang in Richtung Küche gingen.

Der Fußboden, der direkt an den alten Teil des Hauses anschloss, schien stabil zu sein. Der Linoleumbelag war überall aufgesprungen und größtenteils verschmort. Meine Küche war ein großer Raum gewesen, denn früher hatte sie der Familie zugleich als Esszimmer gedient. Der Tisch war teilweise verbrannt und auch zwei der Stühle. Der Heißwasserboiler war in den Boden eingebrochen, und von den Vorhängen, die am Fenster über der Spüle gehangen hatten, waren nur Fetzen geblieben. Ich erinnerte mich noch, wie meine Großmutter diese Vorhänge selbst gemacht hatte, obwohl sie eigentlich gar nicht gerne nähte; aber die Vorhänge bei JCPenney, die ihr so gefielen, waren einfach zu teuer gewesen. Und so hatte sie die alte Nähmaschine ihrer Mutter herausgeholt, bei Hancock's einen günstigen, aber hübschen, mit Blumen bedruckten Stoff gekauft, Maß genommen und geflucht und genäht und genäht, bis sie endlich fertig waren. Jason und ich hatten die Vorhänge überschwänglich bewundert und ihr versichert, dass sich der ganze Aufwand wirklich gelohnt habe - wie sehr hatte sie sich darüber gefreut.

Ich öffnete eine Schublade, diejenige, in der meine Schlüssel lagen. Sie waren alle zusammengeschmolzen. Ich presste die Lippen fest aufeinander, sehr fest. Jason stand neben mir und sah es auch.

»Mist«, sagte er leise und in zornigem Ton. Das half mir, die Tränen zu unterdrücken.

Eine Minute lang hielt ich mich einfach nur an seinem Arm fest. Unbeholfen tätschelte er mich. Dinge, die mir so vertraut waren, die ich durch ständigen Gebrauch so lieb gewonnen hatte, vom Feuer unwiederbringlich zerstört zu sehen, schockierte mich fürchterlich; ganz egal, wie oft ich mir vorsagte, dass das Haus vollständig den Flammen hätte zum Opfer fallen und dass ich sogar hätte sterben können. Und selbst wenn ich den Rauchmelder rechtzeitig gehört hätte, wäre ich höchstwahrscheinlich draußen nur dem Brandstifter Jeff Marriot in die Arme gelaufen.

Fast alles auf der östlich gelegenen Seite der Küche war ruiniert. Dort war auch der Fußboden instabil. Und das Dach der Küche fehlte komplett.

»Zum Glück gibt es im oberen Stockwerk über der Küche keine Zimmer«, sagte Greg, als er wieder herunterkam, nachdem er dort die beiden Schlafzimmer und den Dachboden inspiziert hatte. »Sie müssen es von einem Statiker prüfen lassen, aber ich halte die erste Etage für vollkommen einwandfrei.«

Danach sprach ich mit Greg über Geld. Wann würde es kommen? Wie viel würde es sein? Wie hoch war meine Selbstbeteiligung?

Jason streifte ums Haus herum, während Greg und ich bei seinem Wagen standen. Die Körperhaltung und die Bewegungen meines Bruders konnte ich ziemlich genau interpretieren. Jason war sehr zornig: weil das Haus fast abgebrannt und ich dabei fast gestorben wäre. Nachdem Greg abgefahren war und ich mit ermüdend vielen, dringend zu erledigenden Dingen und Anrufen (von wo aus?) zurückblieb und mich eigentlich für die Arbeit zurechtmachen musste (mit welchen Kleidern?), schlenderte Jason auf mich zu.

»Wenn ich hier gewesen wäre, hätte ich den Typen umgebracht«, sagte mein Bruder.

»In deiner neuen Gestalt?«, fragte ich.

»Klar. Da hätte der Scheißkerl vor seinem Abgang noch den Schreck seines Lebens gekriegt.«

»Charles war wahrscheinlich auch ziemlich furchterregend. Aber der Gedanke gefällt mir.«

»Haben sie den Vampir ins Gefängnis gesteckt?«

»Nein, Bud Dearborn hat ihn nur aufgefordert, die Stadt nicht zu verlassen. Schließlich hat das Gefängnis von Bon Temps noch nicht mal eine Vampir-Zelle. Und normale Zellen halten ihnen ja nicht stand, außerdem haben sie Fenster.«

»Und der Typ hat zu dieser Bruderschaft der Sonne gehört? Der war irgendein Fremder, der in die Stadt gekommen ist, nur um dich abzufackeln?«

»Sieht ganz danach aus.«

»Was haben die gegen dich? Es treffen sich doch auch noch andere mit Bill oder sind mit Vampiren befreundet.«

Tja, die Bruderschaft hatte eine ganze Menge gegen mich. Sie hatten es mir zu verdanken gehabt, dass die Polizei in ihrer großen Sektenkirche in Dallas eine Razzia durchgeführt hatte und dass einer ihrer Anführer in den Untergrund gehen musste. Die Zeitungen waren voll davon gewesen, was die Polizei in der texanischen Kirche der Bruderschaft gefunden hatte. Bei Ankunft der Polizei waren die Mitglieder in wildem Aufruhr durchs Gebäude gerannt und hatten noch behauptet, sie seien von Vampiren angegriffen worden, bis die Polizei den Keller der Sektenkirche durchsuchte und dort eine Folterkammer, illegale Waffen (mit denen Holzpfähle auf Vampire abgeschossen wurden) und eine Leiche fand. Von Steve und Sarah Newlin, den Anführern der Bruderschaft in Dallas, fehlte seit jener Nacht jede Spur.

Steve Newlin hatte ich seitdem noch ein Mal gesehen, im Club Dead in Jackson. Mit einem seiner Kumpel hatte er alles dafür vorbereitet, in dem Nachtclub einen Vampir zu pfählen, bis ich ihnen dazwischenfunkte. Newlin war entkommen, sein Kumpel nicht.

Anscheinend hatten die Anhänger Newlins mich aufgespürt. So etwas hatte ich nicht vorausgesehen - allerdings hatte ich auch alles andere, was mir im letzten Jahr passiert war, nicht vorausgesehen. Als sich Bill selbst beibrachte, seinen Computer zu benutzen, erzählte er mir, dass mit etwas Wissen und Geld jeder per Computer und Internet gefunden werden konnte.

Womöglich hatte die Bruderschaft auch Privatdetektive angeheuert, wie das Paar, das erst gestern bei mir gewesen war. Vielleicht hatten Jack und Lily Leeds einfach nur behauptet, dass die Pelt-Familie sie beauftragt hatte? Vielleicht waren die Newlins ihre wahren Auftraggeber? Die beiden Leeds hatten auf mich zwar keinen sektiererischen Eindruck gemacht, aber echte Fanatiker gaben sich auch nicht so leicht zu erkennen.

»Ich schätze, meine Beziehung mit einem Vampir war für diese Leute Grund genug, mich zu hassen«, sagte ich zu Jason. Wir saßen auf der Ladefläche seines Pick-up und starrten deprimiert das Haus an. »Was meinst du, wen soll ich den Neubau der Küche machen lassen?«

Einen Architekten brauchte ich wohl nicht: Ich wollte nur ersetzen, was fehlte. Mein Haus stand nicht direkt auf dem Erdboden, sondern war etwas angehoben, die Größe eines ausgegossenen Fundaments spielte also keine Rolle. Und da der Fußboden in der Küche durchgeschmort war und sowieso komplett neu gemacht werden musste, würde es nicht so viel teurer werden, die Küche etwas zu vergrößern und die hintere Veranda zu verglasen. Dann wäre es auch nicht mehr so unangenehm, die Waschmaschine und den Trockner, die dort standen, bei schlechtem Wetter zu benutzen, dachte ich sehnsüchtig. Ich besaß Geld genug, um die Selbstbeteiligung zu bezahlen, und war mir ziemlich sicher, dass die Versicherung den Rest übernahm.

Nach einer Weile hörten wir einen anderen Pick-up heranfahren. Maxine Fortenberry, Hoyts Mutter, stieg aus und brachte ein paar Wäschekörbe mit. »Wo sind deine Kleider, Mädchen?«, rief sie. »Ich nehme sie zum Waschen mit nach Hause, dann hast du wenigstens was anzuziehen, das nicht nach Rauch stinkt.«

Nachdem ich protestiert, sie aber auf ihrem Vorhaben bestanden hatte, begaben wir uns gemeinsam in das beißend riechende Haus und holten meine Kleidung heraus. Maxine bestand außerdem darauf, auch etwas von der rußig feuchten Bettwäsche aus dem Wäscheschrank mitzunehmen, um auszuprobieren, ob sie noch zu retten war.

Maxine war eben erst abgefahren, da kam Tara in ihrem neuen Wagen die Auffahrt herauf, gefolgt von ihrer Teilzeithilfe, einer großen jungen Frau namens McKenna, die Taras altes Auto fuhr.

Nach einer Umarmung und ein paar Worten der Anteilnahme sagte Tara: »Du fährst jetzt diesen alten Malibu, bis all die Dinge mit der Versicherung geregelt sind. Der steht bei mir nur unnütz in der Garage herum, und ich hätte ihn beinahe schon in die Kleinanzeigen zu den Gebrauchtwagen gesetzt. Du kannst ihn besser gebrauchen.«

»Danke schön«, sagte ich ganz benommen. »Tara, das ist so lieb von dir.« Sie sah nicht gut aus, wie ich dunkel wahrnahm, doch ich war zu sehr in meine eigenen Probleme verstrickt, um mich besonders auf ihr Auftreten zu konzentrieren. Ich winkte ihnen nur flüchtig nach, als Tara und McKenna wieder abfuhren.

Dann kam Terry Bellefleur. Er bot mir an, die abgebrannten Teile des Hauses zu einem sehr fairen Preis abzureißen, und für einen kleinen Extrabetrag würde er all den anfallenden Schutt auch gleich noch auf die Müllkippe der Gemeinde transportieren. Er würde anfangen, sobald die Polizei ihr Okay gab, sagte er, und zu meinem Erstaunen nahm er mich kurz in den Arm.

Sam traf danach ein, Arlene hatte ihn gefahren. Er stand da und betrachtete ein paar Minuten lang die Rückseite des Hauses. Die Lippen hatte er fest aufeinander gepresst. Fast jeder hätte gesagt: »Was für ein Glück, dass ich den Vampir bei dir zu Hause untergebracht habe, hm?« Aber Sam nicht. »Wie kann ich dir helfen?«, fragte er stattdessen.

»Lass mich weiter für dich arbeiten«, sagte ich lächelnd, »und sieh nicht so genau hin, wenn ich nicht die übliche Arbeitskleidung trage.«

Arlene ging einmal rund ums Haus und nahm mich dann einfach nur wortlos in die Arme.

»Kein Problem.« Sam lächelte immer noch nicht. »Ich habe gehört, dass der Brandstifter ein Mitglied der Bruderschaft der Sonne sein soll und das hier als so eine Art Rache für deine Beziehung mit Bill inszeniert hat.«

»Er hatte eine Mitgliedskarte in seiner Brieftasche und er hatte einen Benzinkanister dabei.« Ich zuckte die Achseln.

»Aber wie hat er dich gefunden? Ich meine, keiner hier in der Gegend...« Sams Stimme erlosch, als er eingehender über die Möglichkeiten nachdachte.

Sam hielt, wie ich vorhin auch, eine Brandstiftung als Reaktion auf meine beendete Beziehung mit Bill für ziemlich übertrieben. Wenn ein Mitglied der Bruderschaft den Freund oder Geschäftspartner eines Vampirs mit Schweineblut übergossen hätte, so wäre das ein sehr viel typischerer Vergeltungsschlag gewesen. Das war schon mehr als einmal passiert. Am meisten Aufsehen hatte mal der Fall eines Modedesigners von Dior erregt, der für eine der Frühjahrsschauen nur Vampire als Models eingesetzt hatte. Solche Vorfälle geschahen gewöhnlich nur in Großstädten, in Städten, in denen es eine große »Kirche« der Bruderschaft gab und die eine größere Vampirgemeinde hatten.

Aber was, wenn der Mann von jemand anderem dazu angestiftet worden war, mein Haus in Brand zu setzen? Was, wenn die Mitgliedskarte der Bruderschaft sogar nur zur Irreführung in seine Brieftasche gelegt worden war?

Alle diese Vermutungen mochten richtig sein; oder auch keine einzige. Ich konnte selbst nicht sagen, was ich glaubte. War ich das potenzielle Opfer eines Mörders, so wie die Gestaltwandler? Und musste auch ich jetzt, da das Feuer sein Ziel verfehlt hatte, den Schuss aus der Dunkelheit fürchten?

Das war eine so schreckenerregende Aussicht, dass ich zusammenfuhr und gar nicht weiter darüber nachdenken wollte. Diese Wasser waren eindeutig zu tief für mich.

Der Experte für Brandstiftung bei der Polizei des Staates Louisiana erschien, während Sam und Arlene da waren. Ich aß von dem Lunchpaket, das Arlene mir mitgebracht hatte. Dass Arlene sich nicht gerade viel aus Essen macht, ist noch harmlos ausgedrückt, und so war mein Sandwich mit billiger Mortadella und Plastikkäse belegt, und in der Getränkedose schwappte ein unidentifizierbarer zuckersüßer Tee. Aber sie hatte an mich gedacht und die Sachen extra für mich fertig gemacht, und ihre Kinder hatten ein Bild für mich gemalt. Unter den gegebenen Umständen wäre ich schon froh gewesen, wenn sie nur eine trockene Scheibe Brot mitgebracht hätte.

Aus lauter Gewohnheit machte Arlene dem Experten für Brandstiftung schöne Augen. Er war ein schlanker Mann Ende vierzig namens Dennis Pettibone. Dennis hatte einen Fotoapparat und einen Notizblock dabei und zog ein grimmiges Gesicht. Es dauerte ungefähr zwei Minuten, da hatte Arlene ein Lächeln auf Mr Pettibones Lippen gezaubert, und weitere zwei Minuten später fuhren seine braunen Augen bewundernd ihre Kurven entlang. Ehe Arlene Sam wieder nach Hause fuhr, hatte ihr der Brandexperte versprochen, am Abend in der Bar vorbeizuschauen.

Arlene hatte mir auch noch das ausziehbare Schlafsofa in ihrem Wohnwagen angeboten, was wirklich lieb von ihr war, die Räumlichkeiten und ihre morgendliche Kinder-in-die-Schule-Routine aber vollends gesprengt hätte. Also sagte ich ihr, ich sei schon untergebracht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Bill mich rauswerfen würde. Auch Jason hatte erwähnt, dass mir sein Haus jederzeit offen stand. Und zu meiner Überraschung sagte sogar Sam, ehe er abfuhr: »Du kannst bei mir wohnen, Sookie. Keine Hemmungen. In meinem extragroßen Wohnwagen stehen zwei Zimmer leer. Und in einem davon ist sogar ein Bett.«

»Das ist unheimlich nett von dir«, sagte ich vollkommen aufrichtig. »Wenn ich das annehmen würde, sähen uns wohl alle Leute in Bon Temps schon auf dem Weg zum Traualtar. Aber ich schätze dein Angebot sehr.«

»Und du glaubst, wenn du bei Bill bleibst, denken die Leute das nicht?«

»Bill kann ich nicht heiraten, das ist gesetzlich verboten«, erwiderte ich und beendete das Thema damit. »Außerdem ist ja auch noch Charles dort.«

»Das ist Öl ins Feuer«, bemerkte Sam spitz. »Heizt die Sache eher noch stärker an.«

»Das ist ja sehr schmeichelhaft, dass du mir so viel Elan zutraust, es gleich mit zwei Vampiren aufzunehmen.«

Sam lachte, was ihn gleich um zehn Jahre jünger erscheinen ließ. Er sah über meine Schulter hinweg, als wir das Geräusch von knirschendem Kies hörten und noch ein Wagen sich näherte. »Sieh an, wer da kommt«, sagte Sam.

Ein riesiger altmodischer Pick-up rumpelte die Auffahrt entlang und hielt schließlich an. Als sich die Tür öffnete, stieg Dawson aus, der große Werwolf und Bodyguard von Calvin Norris.

»Hey, Dawson«, hätte ich am liebsten ausgerufen, »was machen Sie denn hier?«, fand aber, dass das doch etwas zu unhöflich klang.

»Calvin hat von dem Brand hier gehört«, sagte Dawson, der keine Zeit auf lange Vorreden verschwendete. »Er hat mich beauftragt, bei Ihnen vorbeizufahren und nachzusehen, ob Sie verletzt sind. Und ich soll Ihnen sagen, dass er an Sie denkt und dass er selbst schon längst hier wäre und mit anpacken würde, wenn er nur gesund wäre.«

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Dennis Pettibone Dawson interessiert musterte. Dawson hätte genauso gut ein Schild mit der Aufschrift »Gefährlicher Kerl« um den Hals tragen können.

»Bestellen Sie ihm beste Grüße und meinen Dank. Wenn es ihm doch nur so gut ginge wie mir. Wie steht's denn um ihn, Dawson?«

»Heute Morgen haben sie ihn von ein paar dieser Dinger abgestöpselt, und er ist schon ein bisschen spazieren gegangen. Er war wirklich schwer verletzt«, erwiderte Dawson. »Das dauert noch eine Weile.« Er spähte zu dem Brandexperten hinüber und schätzte die Entfernung ab. »Sogar bei einem wie uns«, fügte er hinzu.

»Natürlich«, sagte ich. »Freut mich, dass Sie vorbeigekommen sind.«

»Außerdem lässt Calvin ausrichten, dass sein Haus leer steht, solange er im Krankenhaus liegt - falls Sie nicht wissen, wo Sie bleiben können. Er stellt es Ihnen gern zur Verfügung.«

Auch das war wirklich nett, und das versicherte ich Dawson auch. Doch ich hätte mich ziemlich unwohl gefühlt, wenn ich Calvin auf so persönliche Weise verpflichtet gewesen wäre.

Dennis Pettibone rief mich zu sich. »Miss Stackhouse, sehen Sie mal hier. Da können Sie die Spur des Benzins erkennen, das er auf der Veranda vergossen hat. Diesen Weg hier hat das Feuer von der Veranda bis zur hinteren Eingangstür genommen.«

»Oh, ja.« Ich schluckte schwer.

»Sie können von Glück sagen, dass es letzte Nacht nicht windig war. Und zum Glück war auch die Tür geschlossen, die zwischen der Küche und dem Rest des Hauses. Das Feuer hätte sich direkt in die Diele gefressen, wenn die Tür nicht geschlossen gewesen wäre. Als die Feuerwehrleute das Fenster an der nördlichen Seite einschlugen, hat sich das Feuer auf diesem Weg neuen Sauerstoff gesucht, anstatt sich den Rest des Hauses vorzunehmen.«

Ich erinnerte mich noch genau an den Impuls, der mich entgegen jeder Vernunft zurück ins Haus getrieben hatte, und an das Türknallen in letzter Minute.

»Nach ein paar Tagen wird das Haus nicht mehr ganz so schlimm stinken«, sagte der Brandexperte. »Halten Sie alle Fenster offen, beten Sie, dass es nicht regnet, und dann dürften Sie dieses Problem schon bald los sein. Aber Sie müssen natürlich das Elektrizitätswerk anrufen und mit denen über die Stromversorgung sprechen. Und Ihr Gaslieferant muss einen Blick auf den Tank werfen. Von daher ist das Haus erst mal nicht bewohnbar.«

Im Wesentlichen hieß das, ich hatte zwar ein Dach über dem Kopf und konnte dort schlafen, mehr aber auch nicht. Kein Strom, keine Heizung, kein Heißwasser, kein Kochen. Ich dankte Dennis Pettibone und entschuldigte mich, da ich noch ein Wort mit Dawson reden wollte, der zugehört hatte.

»Ich werde Calvin in ein, zwei Tagen besuchen kommen, sobald ich hier etwas Ordnung geschaffen habe«, erzählte ich ihm mit einem Nicken in Richtung auf die geschwärzte Rückseite meines Hauses.

»Oh, klar«, entgegnete der Bodyguard, der bereits einen Fuß in seinem Pick-up hatte. »Calvin sagt, Sie sollen es ihn wissen lassen, wenn daran noch jemand anders beteiligt war als dieser Scheißkerl, der tot vorm Haus gelegen hat.«

Ich betrachtete die Überreste meiner Küche und konnte beinahe die Schritte zählen, die die Flammen von meinem Schlafzimmer getrennt hatten. »Über diese Anteilnahme von Calvin freue ich mich am allermeisten«, sagte ich, ehe die christlich-moralische Seite in mir diesen Gedanken wieder verwerfen konnte. Dawsons braune Augen fingen meinen Blick auf, es war ein Moment vollkommenen Einklangs.