Kapitel 3

Noch nie zuvor hatte ich im Fangtasia Eintritt zahlen müssen. Die wenigen Male, die ich durch den Vordereingang gekommen war, hatte mich stets ein Vampir begleitet. Jetzt kam ich allein und hatte das Gefühl, enorm aufzufallen. Ich war erschöpft von einer besonders langen Nacht. Bis sechs Uhr morgens hatte ich im Krankenhaus gesessen und danach zu Hause nur wenige Stunden unruhig geschlafen.

Pam kassierte den Eintritt und führte die Gäste an die Tische. Sie trug ein langes, hauchdünnes schwarzes Kleid wie meistens, wenn sie an der Tür Dienst machte. Pam wirkte nie wirklich glücklich in diesem Outfit eines Fantasievampirs. Sie war durch und durch eine echte Vampirin und stolz darauf. Ihrem eigenen Geschmack entsprachen eher Twinsets in Pastelltönen und flache Halbschuhe. Sie sah so überrascht aus, wie ein Vampir nur aussehen kann, als sie mich entdeckte.

»Sookie, bist du mit Eric verabredet?« Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm Pam mein Geld entgegen.

Ich freute mich richtig, sie zu sehen - ziemlich sentimental, wie? Ich habe nicht gerade viele Freunde, und die paar, die ich habe, schätze ich besonders, selbst wenn ich annehmen muss, dass sie mir in ihren Träumen in einer dunklen Gasse das Blut aussaugen. »Nein, aber ich muss ihn sprechen. Geschäftlich«, fügte ich hastig hinzu. Ich wollte vermeiden, dass irgendwer auf die Idee kam, ich würde dem äußerst attraktiven untoten Boss von Shreveport (Vampire nannten diese Position »Sheriff«) hinterherlaufen. Ich zog meinen neuen preiselbeerroten Mantel aus und legt ihn mir sorgfältig gefaltet über den Arm. WDED, der in Baton Rouge ansässige Radiosender für jeden Vampir, tönte aus den Lautsprechern. Lenny die Leiche, der DJ des Frühabendprogramms, sagte gerade mit weicher Stimme: »Und hier noch ein Song für all die niederen Wesen unter euch, die Anfang der Woche draußen den Mond angeheult haben... >Bad Moon Rising<, ein alter Hit von Creedence Clearwater Revival.« Lenny die Leiche erlaubte sich einen kleinen persönlichen Gruß an alle Gestaltwandler.

»Warte an der Bar, bis ich ihm gesagt habe, dass du hier bist«, meinte Pam. »Der neue Barkeeper wird dir gefallen.«

Barkeeper schien es im Fangtasia nie lange zu halten. Eric und Pam versuchten immer, einen schillernden Mann einzustellen - ein exotischer Barkeeper zog menschliche Touristen magisch an, die in ganzen Busladungen kamen, um die wilde, gefährliche Seite des Nachtlebens kennen zu lernen. Darin waren die Barkeeper wirklich erfolgreich. Aber irgendwie hatte der Job eine hohe Sterberate zu verzeichnen.

Der Neue lächelte mich mit blendend weißen Zähnen an, als ich mich auf einem der hohen Barhocker niederließ. Er hatte allerhand zu bieten. Sein volles Haar war lang und sehr lockig und glänzte kastanienbraun. Es fiel ihm dicht bis auf die Schultern hinab. Außerdem trug er einen Schnurrbart und einen Ohrring. Sein linkes Auge war mit einer schwarzen Augenklappe bedeckt. Da sein Gesicht schmal war und recht ausgeprägte Züge hatte, wirkte das alles ziemlich übertrieben. Er war etwa so groß wie ich, 1,65 Meter, und trug ein schwarzes Rüschenhemd zu schwarzen Hosen und hohen schwarzen Stiefeln. Es fehlten nur noch ein Piratentuch um den Kopf und eine Pistole.

»Wie wär's mit einem Papagei auf der Schulter?«, fragte ich.

»Ah, Lady, da sind Sie nicht die Erste, die das vorschlägt«, sagte er in einem wunderbar vollen Bariton. »Aber soweit ich weiß, gibt's Bestimmungen vom Gesundheitsamt gegen das Halten freifliegender Vögel in einer Gaststätte, in der Getränke ausgeschenkt werden.« Er beugte sich so weit zu mir herüber, wie der schmale Raum hinter dem Tresen es zuließ. »Darf ich Ihnen einen Drink geben und erfahren, wie Sie heißen?«

Ich musste lächeln. »Aber sicher, Sir. Ich bin Sookie Stackhouse.« Er hatte den Anflug von Andersartigkeit um mich wahrgenommen. Vampire reagierten fast immer darauf. Untote bemerkten es für gewöhnlich, Menschen nicht. Es hat schon eine ganz eigene Ironie, dass ich gerade die Gedanken jener Geschöpfe nicht lesen kann, die meine telepathischen Fähigkeiten für etwas Besonderes halten, während die Menschen eher geneigt sind, mich als Geisteskranke abzustempeln, als mir eine ungewöhnliche Begabung zuzugestehen.

Die Frau auf dem Barhocker neben mir (Kreditkarten vor sich ausgebreitet) hatte sich halb zu uns herumgedreht und zugehört. Sie war neidisch, da sie schon seit einer halben Stunde versucht hatte, die Aufmerksamkeit des Barkeepers zu erregen. Sie beäugte mich und wunderte sich, was den Barkeeper bewogen haben mochte, mit mir ein Gespräch zu beginnen. Was sie sah, beeindruckte sie nämlich kein bisschen.

»Ich bin entzückt, Eure Bekanntschaft zu machen, holde Jungfer«, sagte der neue Vampir und grinste. Na, wenigstens das »holde« traf irgendwie zu - zumindest war ich blond und blauäugig. Er verschlang mich mit Blicken. Wer als Frau in einer Bar arbeitet, ist so was natürlich gewöhnt. Immerhin sah er mich nicht lüstern an; und glaubt mir, wer als Frau in einer Bar arbeitet, kennt den Unterschied zwischen Wertschätzung und Obszönität.

»Jede Wette, dass sie keine Jungfrau ist«, sagte die Frau neben mir.

Da hatte sie Recht, doch darum ging es hier nicht.

»Wir verlangen Höflichkeit unter unseren Gästen«, sagte der Vampir mit einer abgewandelten Version seines Lächelns zu ihr. Er fuhr nicht nur seine Fangzähne ein wenig aus, sondern ich sah auch, dass seine Zähne (obwohl blendend weiß) leicht schief standen. Gerade Zähne, die so enorm gefragt waren, waren eben doch eine sehr neuzeitliche Mode.

»Ich lass mir von niemandem vorschreiben, wie ich mich zu benehmen habe«, erwiderte die Frau aggressiv. Der Abend verlief nicht so wie geplant, und das ärgerte sie. Sie hatte gedacht, es wäre ganz einfach, die Aufmerksamkeit eines Vampirs zu erregen, ja, dass sich jeder Vampir glücklich schätzen müsste, wenn er bei ihr landen konnte. Ihr Plan war gewesen, sich von einem in den Hals beißen zu lassen, wenn er dafür ihre Kreditkartenrechnungen übernehmen würde.

Sie überschätzte sich selbst und unterschätzte die Vampire.

»Entschuldigen Sie bitte, Madam, aber solange Sie sich im Fangtasia aufhalten, bin definitiv ich es, der Ihnen sagt, wie Sie sich zu benehmen haben«, erwiderte der Barkeeper.

Sie gab nach, nachdem er sie mit einem intensiven Blick bezwungen hatte, und ich fragte mich, ob er ihr wohl eine Dosis Glamour verabreicht hatte.

»Ich bin Charles Twining«, sagte er, als er seine Aufmerksamkeit wieder mir zugewandt hatte.

»Freut mich.«

»Und, wie wär's jetzt mit einem Drink?«

»Ja, gern. Ein Ginger Ale, bitte.« Ich musste nach dem Treffen mit Eric noch nach Bon Temps zurückfahren.

Er zog die Augenbrauen hoch, schenkte mir den Drink aber ein und stellte ihn auf einer Serviette vor mich hin. Ich bezahlte und legte ein gutes Trinkgeld drauf. Die kleine weiße Serviette war verziert mit einem Paar schwarz umrissener Fangzähne, von dessen rechtem Exemplar ein einzelner roter Tropfen herabfiel - speziell für die Vampir-Bar angefertigt. Daneben war in knallroten Lettern »Fangtasia« aufgedruckt, eine Kopie des Schriftzugs, der draußen über der Tür angebracht war. Ganz schön schlau. In einer Vitrine in der Ecke wurden T-Shirts zum Verkauf angeboten, die mit demselben Logo geschmückt waren. »Fangtasia - die Bar mit Biss«, so sollte die Botschaft wohl lauten. Eric hatte in den letzten paar Monaten wirklich große Fortschritte gemacht in Sachen Marketing und Merchandising.

Während ich darauf wartete, dass Eric Zeit für mich hatte, beobachtete ich Charles Twining bei der Arbeit. Er war höflich zu jedem, servierte die Drinks prompt und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Mir gefiel seine Art sehr viel besser als die von Chow, dem Barkeeper davor, der den Gästen immer das Gefühl gegeben hatte, er würde ihnen einen Gefallen tun, indem er ihnen überhaupt Drinks brachte. Long Shadow, der Barkeeper vor Chow, war zu sehr hinter den weiblichen Gästen her gewesen. So was stiftet eine Menge Unfrieden in einer Bar.

Da ich meinen Gedanken nachhing, bemerkte ich erst, als Charles Twining mich ansprach, dass er genau mir gegenüber hinter dem Bartresen stand. »Miss Stackhouse, darf ich Ihnen sagen, wie schön Sie heute Abend aussehen?«

»Danke, Mr Twining«, sagte ich freundlich. Ein Blick in Charles Twinings sichtbares braunes Auge verriet mir, dass er ein Gauner durch und durch war, und ich traute ihm nicht weiter, als ich ihn werfen konnte - vielleicht einen halben Meter. (Die Wirkung meiner letzten Dosis Vampirblut hatte bereits nachgelassen, und ich war wieder ganz mein normales menschliches Selbst. Hey, ich bin kein Junkie; es hatte sich um einen Notfall gehandelt, der besondere Kräfte erforderte.)

Ich war nicht nur wieder genauso durchschnittlich stark wie jede gesunde Frau Mitte zwanzig, mein Aussehen war auch wieder ganz normal - keine Optimierungen durch Vampirblut mehr. Ich hatte mich nicht extra zurechtgemacht, weil Eric sonst nur denken würde, das hätte ich für ihn getan, und das wollte ich nicht; aber ich hatte mich auch nicht schlampig gekleidet. Ich trug blaue Hüftjeans und einen flauschigen weißen, langärmligen Pullover mit rundem Ausschnitt. Er ging mir genau bis zur Taille, so dass ein bisschen Bauch zu sehen war, wenn ich mich bewegte. Und dieser Bauch war auch nicht leichenblass dank der Sonnenbank beim Videoverleih.

»Oh bitte, schöne Lady, sagen Sie Charles und du zu mir«, bat der Barkeeper und presste eine Hand an sein Herz.

Ich musste laut lachen, trotz meiner Müdigkeit. Die theatralische Geste wurde von der Tatsache, dass Charles' Herz nicht schlug, keineswegs gemindert.

»Natürlich«, erwiderte ich angetan. »Wenn du mich Sookie nennst.«

Er verdrehte die Augen, als ob dies zu viel für ihn wäre, und ich lachte erneut. Pam tippte mir auf die Schulter.

»Falls du dich von deinem neuen Freund loseisen kannst, Eric hat jetzt Zeit.«

Ich nickte Charles zu und glitt vom Hocker, um Pam zu folgen. Zu meiner Überraschung führte sie mich nicht nach hinten zu Erics Büro, sondern in eins der Séparées. Anscheinend hatte Eric heute Abend Dienst in der Bar. Alle Vampire aus Shreveport und Umgebung mussten sich für ein paar Stunden in der Woche im Fangtasia zeigen, damit auch weiterhin Touristen kamen. Einer Vampir-Bar ohne echte Vampire drohen Einbrüche bei den Einnahmen. Eric ging seinen Untergebenen mit gutem Beispiel voran, indem er sich in regelmäßigen Abständen selbst in die Bar setzte.

Normalerweise saß der Sheriff von Bezirk Fünf in der Mitte des Raumes, doch heute Abend war er im Eckséparée. Er sah mich an, während ich auf ihn zuging. Ich wusste, dass ihm meine Jeans auffielen, eindeutig ein engeres Exemplar, mein Bauch, eindeutig ein flacheres Exemplar, und mein flauschig weicher weißer Pullover, der von der Natur großzügig gefüllt war. Ich hätte eben doch spießigere Klamotten anziehen sollen. (Glaubt mir, mein Schrank ist voll davon.) Und ich hätte auch den preiselbeerroten Mantel nicht tragen sollen, den Eric mir geschenkt hatte. Ich hätte einfach was auch immer anziehen sollen statt gut auszusehen für Eric - denn mir selbst gegenüber musste ich zugeben, dass genau das mein Ziel gewesen war. Ich hatte mir selbst etwas vorgemacht.

Eric stand vom Tisch auf und erhob sich zu seiner beachtlichen Größe - 1,95 Meter. Seine blonde Mähne fiel ihm wellig den Rücken herab, und seine blauen Augen blitzten in seinem schneeweißen Gesicht. Eric hatte ausdrucksvolle Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und ein kantiges Kinn. Er sah aus wie ein wilder Wikinger, der in null Komma nichts ein ganzes Dorf niederbrennt - und genau das ist er auch gewesen.

Vampire geben sich nicht die Hand, nur unter ganz besonderen Umständen, und so erwartete ich auch von Eric keine Begrüßung. Doch er beugte sich herab, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben, und das mit einem Nachdruck, als wollte er mich wissen lassen, dass er mich am liebsten verführen würde.

Er ahnte nicht, dass er schon so ziemlich jeden Zentimeter von Sookie Stackhouse geküsst hatte. Zwischen uns hatte es bereits so viel Nähe und Intimität gegeben, wie zwischen Mann und Frau nur möglich waren.

Eric konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern. Und ich wollte, dass es auch dabei blieb. Na ja, ich wollte es vielleicht nicht unbedingt; aber ich war sicher, dass es alles in allem besser wäre, wenn sich Eric an unser kleines Liebesabenteuer nicht erinnern konnte.

»Welch hübscher Nagellack«, sagte Eric lächelnd. Er sprach mit leichtem Akzent. Englisch war nicht seine erste Fremdsprache, eher schon seine fünfundzwanzigste.

Ich versuchte, sein Lächeln nicht zu erwidern, freute mich aber über das Kompliment. Auf Eric war Verlass, wenn es darum ging, das einzig Neue an mir zu entdecken. Ich hatte bis vor kurzem noch nie lange Fingernägel gehabt, und jetzt trug ich sie lackiert in einem schönen Dunkelrot - Preiselbeerrot, um genauer zu sein, weil es zum Mantel passte.

»Danke«, murmelte ich. »Wie geht's dir so?«

»Bestens.« Er hob eine blonde Augenbraue. Vampire kannten keine wechselnden Gesundheitszustände. Mit einer Hand wies er auf den leeren Platz im Séparée, und ich setzte mich.

»War's schwierig, die Zügel wieder in die Hand zu nehmen?«, fragte ich etwas deutlicher.

Vor ein paar Wochen hatte eine Hexe Eric seines Gedächtnisses beraubt, und es waren einige Tage vergangen, ehe er wieder gewusst hatte, wer er war. Während dieser Zeit war er von Pam bei mir geparkt worden, um ihn vor der Hexe zu verbergen, die ihn verflucht hatte. Und die Lust war über uns gekommen. Sehr oft.

»Wie Fahrradfahren«, sagte Eric, und ich versuchte mich zu konzentrieren. (Auch wenn ich mich fragte, wann das Fahrrad erfunden worden war und ob Eric irgendetwas damit zu tun hatte.) »Ich habe einen Anruf von Long Shadows Schöpfer bekommen, einem Indianer, der sich Hot Rain nennt. Du erinnerst dich sicher noch an Long Shadow?«

»Ich habe eben erst an ihn gedacht«, erwiderte ich.

Long Shadow war der erste Barkeeper des Fangtasia gewesen. Er hatte Geld unterschlagen, und ich war von Eric gezwungen worden, die Barmädchen und andere menschliche Angestellte auszuhorchen, bis ich den Schuldigen schließlich fand. Ungefähr zwei Sekunden, ehe Long Shadow mir die Kehle durchgeschnitten hätte, hatte Eric seinen Barkeeper mit dem traditionellen Holzpflock gepfählt. Wenn ein Vampir einen anderen tötet, so ist das meines Wissens eine ziemlich ernste Angelegenheit, und Eric musste eine saftige Strafe zahlen - an wen wusste ich allerdings nicht. Doch jetzt war ich sicher, dass das Geld an Hot Rain gegangen war. Hätte Eric Long Shadow ohne triftigen Grund umgebracht, wären noch andere Bestrafungen zur Sprache gekommen. Mir war es allerdings ganz recht, dass diese allesamt ein Geheimnis geblieben waren.

»Was hat Hot Rain gewollt?«, fragte ich.

»Er wollte mich wissen lassen, dass seine Ansprüche in seinen Augen noch nicht abgegolten sind, auch wenn ich ihm den vom Schlichter festgesetzten Betrag gezahlt habe.«

»Wollte er noch mehr Geld?«

»Das glaube ich nicht. Er scheint zu meinen, dass er nicht nur eine finanzielle Entschädigung erwarten darf.« Eric zuckte die Achseln. »Soweit es mich betrifft, ist die Sache erledigt.« Eric nahm einen Schluck synthetisches Blut, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah mich aus unergründlichen blauen Augen an. »Und auch diese kleine Geschichte mit meinem Gedächtnisverlust. Die Krise ist überstanden, die Hexen sind tot, und in meinem kleinen Stück von Louisiana ist die Ordnung wiederhergestellt. Wie geht's dir denn so?«

»Na ja, ich bin aus geschäftlichen Gründen hier«, sagte ich und setzte einen möglichst geschäftsmäßigen Gesichtsausdruck auf.

»Was kann ich also für dich tun, meine liebe Sookie?«

»Sam möchte dich um etwas bitten.«

»Und er schickt dich mit dieser Bitte vor. Ist er nun besonders clever oder besonders dumm?«, fragte Eric sich selbst laut.

»Weder noch«, antwortete ich und versuchte, nicht zu schnippisch zu klingen. »Er ist besonders angeschossen. Es wurde letzte Nacht auf ihn geschossen.«

»Wie konnte das denn passieren?« Eric sah mich überaus aufmerksam an.

Ich erklärte es ihm. Ich erschauderte, als ich davon sprach, wie allein Sam und ich gewesen waren im lautlosen Dunkel der Nacht.

»Arlene war gerade vom Parkplatz gefahren. Sie hat gar nichts davon mitbekommen. Die neue Köchin - Sweetie - war auch kurz vorher gegangen. Irgendjemand hat im Wäldchen nördlich vom Parkplatz gestanden und auf Sam geschossen.« Ich erschauderte erneut, diesmal aus Angst.

»Wie dicht hast du neben ihm gestanden?«

»Oh«, sagte ich mit zittriger Stimme. »Ganz dicht daneben. Ich hatte mich gerade umgedreht... dann wurde er... überall war Blut.«

Erics Gesicht wirkte wie aus Marmor gemeißelt. »Was hast du getan?«

»Gott sei Dank hatte Sam sein Handy dabei. Mit der einen Hand habe ich das Loch in seinem Bein zugehalten und mit der anderen die Notrufnummer 911 gewählt.«

»Wie geht es ihm?«

»Na ja.« Ich holte tief Luft und versuchte mich zu beruhigen. »Einigermaßen gut, alles in allem.« Das hatte ich fast ohne ein Zittern in der Stimme sagen können. Ich war stolz. »Aber er fällt jetzt natürlich für eine Weile aus, und es ist so vieles ... so viele merkwürdige Dinge sind in letzter Zeit im Merlotte's passiert ... Unser Ersatzbarkeeper kommt nicht länger als ein paar Abende am Stück allein klar, Terry ist eben irgendwie angeschlagen.«

»Und wie lautet Sams Bitte?«

»Sam möchte einen Barkeeper von dir ausleihen, bis sein Bein wieder verheilt ist.«

»Warum bittet er mich darum, warum nicht den Leitwolf von Shreveport?« Gestaltwandler waren selten organisiert, ganz im Gegensatz zu den Werwölfen in der Stadt. Eric hatte Recht. Es wäre sehr viel logischer gewesen, wenn Sam seine Bitte an Colonel Flood gerichtete hätte.

Ich sah auf meine Hände hinunter, die ich um mein Glas mit Ginger Ale gelegt hatte. »In Bon Temps schießt irgendjemand auf die Gestaltwandler und Werwölfe«, sagte ich sehr leise. Ich wusste, dass er mich trotz der Musik und der Gespräche an der Bar hören konnte.

In dem Moment wankte ein Mann zu uns herüber, ein junger Soldat aus Barksdale, dem Luftwaffenstützpunkt ganz in der Nähe von Shreveport. (Das war sofort zu erkennen an seinem Haarschnitt, seiner Fitness und seinen Kumpels, die alle mehr oder weniger wie seine Klone aussahen.) Er schwankte einen Augenblick lang auf seinen Absätzen hin und her und sah von mir zu Eric.

»Hey, Sie«, sagte der junge Mann und piekste mir mit dem Finger auf die Schulter. Ich ergab mich ins Unvermeidliche und sah zu ihm auf. Einige Leute laufen ihren Katastrophen wirklich hinterher, vor allem wenn sie getrunken haben. Dieser junge Mann mit dem stachligen Haarschnitt und der kräftigen Figur war weit weg von zu Hause und wild entschlossen, sich zu beweisen.

Es gibt nicht viel, was ich noch mehr verabscheue, als mit »Hey, Sie« angeredet und mit einem Finger angepiekst zu werden. Aber ich versuchte, dem jungen Mann eine freundliche Miene zu präsentieren. Er hatte ein rundes Gesicht und runde dunkle Augen, einen kleinen Mund und buschige braune Augenbrauen. Er trug ein sauberes Strickhemd und gebügelte khakibraune Hosen. Und außerdem suchte er Streit.

»Ich glaube nicht, dass ich Sie kenne«, sagte ich behutsam, um die Situation zu entschärfen.

»Sie sollten da nicht mit 'nem Vampir rumhocken«, begann er. »Lebendige Mädchen sollten nicht mit toten Typen ausgehen.«

Wie oft hatte ich das schon gehört? Mit solchem Mist war ich geradezu sturzbachartig überschüttet worden, während ich mit Bill Compton zusammen gewesen war.

»Sie sollten wieder da rüber zu Ihren Freunden gehen, Dave. Sie möchten doch nicht, dass sich Ihre Mutter am Telefon anhören muss, Sie wären bei einer Schlägerei in Louisiana ums Leben gekommen. Noch dazu in einer Vampir-Bar, stimmt's?«

»Woher wissen Sie, wie ich heiße?«, fragte er langsam.

»Darauf kommt es doch nicht an, oder?«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Eric den Kopf schüttelte. Auf aufdringliche Störenfriede reagierte er gewöhnlich nicht mit sanfter Ablenkung.

Ganz unvermittelt regte sich Dave ab.

»Woher wissen Sie das über mich?«, fragte er in ruhigerem Tonfall.

»Ich habe Röntgenaugen«, sagte ich ganz ernsthaft. »Ich kann den Führerschein in Ihrer Hosentasche lesen.«

Er begann zu lächeln. »Hey, können Sie auch andere Sachen in meinen Hosen sehen?«

Ich erwiderte sein Lächeln. »Sie haben jede Menge Glück gehabt, Dave«, entgegnete ich zweideutig. »Tja, ich bin eigentlich hier, um mit diesem Mann hier über Geschäftliches zu sprechen. Wenn Sie uns also entschuldigen wollen...«

»Okay. Tut mir leid, ich...«

»Macht gar nichts«, versicherte ich ihm. Großspurig ging er wieder zu seinen Freunden zurück. Ich hätte schwören können, dass er ihnen eine stark geschönte Version unseres Gesprächs erzählte.

Obwohl jeder in der Bar so getan hatte, als hätte er den Vorfall, der alle Voraussetzungen für pikante Leidenschaftlichkeit bot, nicht beachtet, wirkten doch alle krampfhaft beschäftigt, als Eric seinen Blick über die umliegenden Tische schweifen ließ.

»Du hattest gerade begonnen, mir etwas zu erzählen, als wir so rüde unterbrochen wurden«, sagte er. Ein Barmädchen kam an den Tisch und stellte mir, ohne zu fragen, einen frischen Drink hin, nachdem sie mein altes Glas abgeräumt hatte. Jeder in Erics Gesellschaft genoss eine Art Vorzugsbehandlung.

»Ja. Sam ist nicht der einzige Gestaltwandler, der in letzter Zeit in Bon Temps angeschossen wurde. Vor ein paar Tagen wurde Calvin Norris in die Brust getroffen. Er ist ein Werpanther. Und davor wurde Heather Kinman erschossen. Heather war erst neunzehn, eine Werfüchsin.«

»Ich verstehe immer noch nicht, was daran so interessant ist.«

»Eric, sie wurde ermordet.«

Er sah mich weiter fragend an.

Ich biss die Zähne zusammen, damit ich gar nicht erst versuchte ihm zu erzählen, was für ein nettes Mädchen Heather Kinman gewesen war: Sie hatte erst vor kurzem ihren Highschool-Abschluss gemacht und dann ihren ersten Job als Verkäuferin in Bon Temps' Laden für Bürobedarf begonnen. Sie war nur schnell auf einen Milchshake bei Sonic gewesen, als sie erschossen wurde. Heute sollte im kriminaltechnischen Labor die Kugel, die auf Sam abgefeuert worden war, mit der Kugel verglichen werden, die Heather umbrachte, und diese beiden wiederum mit der Kugel aus Calvins Brust. Ich nahm an, die Kugeln würden alle zusammenpassen.

»Ich versuche dir zu erklären, warum Sam keinen anderen Gestaltwandler oder Werwolf um Hilfe bitten möchte«, stieß ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Er fürchtet, das könnte ihn oder sie in Gefahr bringen. Und es gibt einfach keinen anderen Menschen im Ort, der für den Job qualifiziert wäre. Also bat er mich, zu dir zu gehen.«

»Als ich bei dir zu Hause untergebracht war, Sookie...«

Ich stöhnte. »Oh, Eric, hör doch endlich auf damit.«

Es nervte Eric ungemein, dass er sich nicht an das erinnern konnte, was passiert war, während er unter dem Fluch der Hexe gestanden hatte. »Irgendwann werde ich mich erinnern«, sagte er beinahe missmutig.

Wenn er sich an alles erinnern würde, dann nicht nur an den Sex.

Er würde sich auch an die Frau erinnern, die in meiner Küche mit einer Pistole gewartet hatte. Er würde sich erinnern, wie er mir das Leben gerettet hatte, indem er die für mich bestimmte Kugel abfing. Er würde sich erinnern, dass ich sie erschossen hatte. Und er würde sich an die Beseitigung der Leiche erinnern.

Er würde erkennen, dass er für immer Macht über mich besaß.

Vielleicht würde er sich sogar daran erinnern, dass er sich so weit herabgelassen und mir angeboten hatte, all seine beruflichen Ambitionen aufzugeben und mit mir zu leben.

An den Sex würde er sich gern erinnern. Auch an die Macht würde er sich gern erinnern. Aber irgendwie bezweifelte ich, dass sich Eric auch gern an den zuletzt genannten Teil erinnern würde.

»Ja«, sagte ich leise und sah auf meine Hände hinunter. »Eines Tages wirst du dich vermutlich erinnern.« Der Radiosender WDED spielte >Night Moves<, einen alten Song von Bob Seger. Ich sah, dass Pam ganz selbstvergessen in einem eigenen Tanz herumwirbelte, ihr unnatürlich starker und gelenkiger Körper drehte und verbog sich, wie es menschlichen Körpern nie möglich gewesen wäre.

Ich hätte sie zu gern zu Live-Vampirmusik tanzen sehen. Ihr solltet übrigens unbedingt mal eine echte Vampirband hören. Das vergesst ihr nie wieder. Meistens spielen sie in New Orleans und San Francisco, manchmal auch in Savannah oder Miami. Als ich noch mit Bill zusammen gewesen bin, hat er mich mal zum Auftritt einer Gruppe mitgenommen, die auf ihrem Weg gen Süden nach New Orleans für einen Abend im Fangtasia gespielt hat. Der Sänger der Vampirband - Renfield's Masters nannte sie sich - hat Tränen aus Blut geweint, während er seine Balladen sang.

»Es war clever von Sam, dich zu schicken«, begann Eric nach einer langen Pause. Dazu hatte ich nichts zu sagen. »Ich werde euch jemanden abtreten.« Ich spürte, wie sich meine Schultern vor Erleichterung entspannten, konzentrierte mich auf meine Hände und holte tief Luft. Als ich ihm einen Blick zuwarf, sah sich Eric in der Bar um und prüfte, welche Vampire anwesend waren.

Die meisten von ihnen kannte ich zumindest vom Sehen. Thalia fielen lange schwarze Ringellocken den Rücken hinab, und ihr Profil war wohl am besten mit dem Begriff klassisch beschrieben. Sie sprach mit schwerem Akzent - einem griechischen, vermutete ich - und war von ungestümem Temperament. Indira war eine zierliche indische Vampirin, perfekt mit Rehaugen und langem Zopf; die würde keiner ganz ernst nehmen, bis die Dinge aus dem Ruder liefen. Maxwell Lee war ein afroamerikanischer Investmentbanker. Auch wenn er so stark wie jeder Vampir war, gefiel Maxwell geistiger Zeitvertreib besser als eine Rolle als Rausschmeißer.

»Wie wäre es, wenn ich euch Charles schicken würde?« Eric klang beiläufig, aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er es nicht beiläufig meinte.

»Oder Pam«, sagte ich. »Oder jeden sonst, der sich beherrschen kann.« Ich sah, wie Thalia einen Edelstahlbecher mit den Fingern zerdrückte, um einem menschlichen Mann zu imponieren, der sich an sie heranzumachen versuchte. Er wurde blass und eilte zurück an seinen Tisch. Einige Vampire genießen die Gesellschaft von Menschen, aber Thalia gehörte nicht zu ihnen.

»Charles ist der temperamentloseste Vampir, den ich je getroffen habe, obwohl ich ihn zugegebenermaßen nicht besonders gut kenne. Er arbeitet erst seit zwei Wochen hier.«

»Er scheint ziemlich gut beschäftigt zu sein.«

»Ich kann ihn euch abtreten.« Eric warf mir einen arroganten Blick zu, der eindeutig besagte, dass es ganz bei ihm lag, wie beschäftigt seine Angestellten waren.

»Hm... okay, okay.« Den Gästen des Merlotte's würde der Pirat bestens gefallen, und Sams Einnahmen würden nur steigen.

»Hier die Bedingungen«, sagte Eric und fixierte mich mit durchdringendem Blick. »Sam stellt freie Blutvorräte für Charles und eine sichere Unterkunft zur Verfügung. Aber vielleicht möchtest du ihn ja auch, wie mich, bei dir zu Hause unterbringen.«

»Das will ich nicht«, entgegnete ich entrüstet. »Ich unterhalte doch keine Herberge für Vampire auf Reisen.« Frank Sinatra begann im Hintergrund seinen Schmachtfetzen >Strangers in the Night< zu singen.

»Oh, natürlich nicht, hatte ich ganz vergessen. Doch für meine Unterbringung wurdest du fürstlich entlohnt.«

Da hatte er einen sehr wunden Punkt getroffen. Ich zuckte zusammen. »Das war die Idee meines Bruders«, gab ich zurück. Erics Augen blitzten auf, und ich wurde knallrot im Gesicht. Ich hatte gerade die Vermutung bestätigt, die er gehabt hatte. »Aber das war ganz richtig«, fuhr ich überzeugt fort. »Warum hätte ich einen Vampir in meinem Haus unterbringen sollen, ohne mich dafür bezahlen zu lassen? Ich brauchte das Geld schließlich.«

»Sind die fünfzigtausend schon weg?«, fragte Eric sehr leise. »Wollte Jason einen Anteil?«

»Das geht dich nichts an«, erwiderte ich, und meine Stimme klang genauso scharf und entrüstet, wie ich beabsichtigt hatte. Ich hatte Jason nur ein Fünftel gegeben. Er hatte zwar nicht ausdrücklich darum gebeten, aber ich musste mir eingestehen, dass er auf jeden Fall etwas erwartet hatte. Da ich es allerdings sehr viel dringender brauchte, hatte ich mehr behalten als eigentlich geplant.

Ich war nicht krankenversichert. Jason aber schon, über seinen Arbeitgeber, die Verwaltung des Landkreises. Und da hatte ich mir so meine Gedanken gemacht: Was, wenn ich arbeitsunfähig würde? Was, wenn ich mir den Arm brach oder mein Blinddarm raus musste? Ich würde nicht nur nicht arbeiten gehen können, ich hätte außerdem auch noch Krankenhausrechnungen zu begleichen. Und heutzutage ist jeder Aufenthalt im Krankenhaus ungeheuer kostspielig. Im letzten Jahr waren bei mir einige Arztrechnungen angefallen, und ich hatte sehr lange und hart arbeiten müssen, um sie zu bezahlen.

Und jetzt war ich enorm froh, dass ich diese kleine Rücklage hatte. Normalerweise schaue ich nicht sonderlich weit voraus, weil ich es gewöhnt bin, von Tag zu Tag zu leben. Doch Sams Verletzung hatte mir die Augen geöffnet. Ich hatte schon darüber nachgedacht, dass ich mir dringend ein neues Auto anschaffen musste - okay, ein neueres gebrauchtes. Und auch darüber, wie schäbig die Vorhänge im Wohnzimmer aussahen und wie schön es wäre, bei JCPenney neue zu bestellen. Mir war sogar der Gedanke gekommen, dass es auch mal Spaß machen würde, ein Kleid nicht erst im Schlussverkauf zu kaufen. Aber Sams Verletzung hatte mich wie ein Schock aus solch leichtsinnigen Überlegungen gerissen.

Lenny die Leiche sagte den nächsten Song an (>One of these Nights<), und Eric musterte mein Gesicht. »Wenn ich nur deine Gedanken lesen könnte so wie du die Gedanken anderer«, sagte er. »Wenn ich nur wüsste, was in deinem Kopf vor sich geht. Und wenn ich nur wüsste, warum ich das eigentlich wissen will.«

Ich lächelte ihn undurchsichtig an. »Mit den Bedingungen bin ich einverstanden: freie Blutvorräte und Unterkunft - auch wenn diese nicht unbedingt bei mir zu Hause sein wird. Wie sieht es mit der Bezahlung aus?«

Eric lächelte. »Ich möchte eine Bezahlung in Naturalien. Mir gefällt der Gedanke, dass Sam mir einen Gefallen schuldet.«

Ich rief Sam mit dem Handy, das er mir geliehen hatte, an und berichtete ihm.

Sam klang schicksalsergeben. »In der Bar ist Platz, da kann der Vampir schlafen. Okay. Unterkunft und Verpflegung, und einen Gefallen. Wann kann er anfangen?«

Ich gab die Frage an Eric weiter.

»Jetzt gleich.« Eric winkte eine menschliche Kellnerin heran, die das tief ausgeschnittene, lange schwarze Kleid trug, das alle menschlichen weiblichen Angestellten anhatten. (Eins kann ich euch über Vampire verraten: Sie bedienen nicht gern. Und außerdem sind sie ziemliche Nieten darin. Und ihr werdet auch nie einen Vampir Tische herumschieben sehen. Vampire stellen fast immer Menschen ein für die gröberen Arbeiten in ihren Etablissements.) Eric bat sie, Charles von der Bar zu holen. Sie legte die Hand an ihre gegenüberliegende Schulter, verbeugte sich und sagte: »Ja, Meister.«

Also ehrlich, das konnte einen richtig krank machen.

Egal, Charles sprang theatralisch über den Bartresen, und während die Gäste noch applaudierten, machte er sich auf den Weg zu Erics Séparée.

Er verbeugte sich vor mir und wandte sich dann an Eric.

»Diese Frau hier wird Ihnen sagen, was Sie zu tun haben. Solange sie Sie braucht, wird sie Ihre Meisterin sein.« Ich vermochte Charles Twinings Miene nicht zu deuten, als er Erics Befehl anhörte. Viele Vampire würden sich ganz einfach weigern, einem Menschen voll und ganz zur Verfügung zu stehen, egal was ihr oberster Boss sagte.

»Nein, Eric!« Ich war schockiert. »Wenn du jemanden zu seinem Meister machst, dann Sam.«

»Sam hat dich geschickt. Also vertraue ich Charles' Führung dir an.« Erics Gesichtsausdruck wirkte verschlossen, und aus Erfahrung wusste ich, dass er keine weitere Diskussion mehr zulassen würde.

Ich verstand nicht, was das sollte, wusste allerdings, dass es nicht gut war.

»Ich hole nur noch meinen Mantel, dann können wir jederzeit gehen«, sagte Charles Twining und verbeugte sich mit so vornehm anmutiger Geste, dass ich mir ziemlich idiotisch vorkam. Ich gab einen erstickten Laut der Zustimmung von mir, und während er noch vorgebeugt dastand, verdrehte er sein freies Auge und zwinkerte mir zu. Unwillkürlich lächelte ich und fühlte mich sofort viel besser.

Aus den Lautsprechern ertönte die Stimme von Lenny der Leiche: »Hallo, ihr Nachtschwärmer da draußen. Und nun zehn Songs am Stück für uns wahrhaft untote Tote. Hier gleich ein alter Hit.« Lenny spielte >Here Comes the Night< und Eric fragte: »Möchtest du tanzen?«

Ich sah zu der kleinen Tanzfläche hinüber. Sie war leer. Egal, Eric hatte für Sam einen Barkeeper und Rausschmeißer organisiert, da sollte ich großzügig sein. »Ja, gern«, erwiderte ich höflich, stand auf und trat aus dem Séparée. Eric reichte mir die Hand, ich ergriff sie und er legte mir seine andere Hand um die Taille.

Trotz des Größenunterschieds zwischen uns klappte es ziemlich gut. Ich tat, als merkte ich nicht, dass jeder in der Bar uns ansah, und wir schwebten über die Tanzfläche, als wüssten wir, was wir taten. Ich konzentrierte mich auf Erics Hals, damit ich nicht zu ihm hinauf und in seine Augen sah.

»Es ist mir sehr vertraut, dich in den Armen zu halten, Sookie«, sagte er, als der Tanz zu Ende war.

Nur unter gewaltigen Anstrengungen konnte ich meinen Blick auf seinen Adamsapfel fixiert halten. Ich spürte den ganz schrecklichen Drang, zu erwidern: »Du hast gesagt, du liebst mich und würdest immer bei mir bleiben.«

»Reines Wunschdenken«, sagte ich stattdessen betont lebhaft, ließ seine Hand so schnell wie möglich los und trat einen Schritt zurück aus seiner Umarmung. »Übrigens, kennst du eigentlich einen irgendwie fies aussehenden Vampir namens Mickey?«

Eric griff wieder nach meiner Hand und drückte sie. Ich sagte »Au!« und er ließ los.

»Er war letzte Woche hier. Wo hast du Mickey denn getroffen?«

»Im Merlotte's.« Ich war überrascht von Erics Reaktion auf meine Frage. »Wieso?«

»Was hat er da gemacht?«

»Eine Flasche >Red Stuff< getrunken, er hat bei meiner Freundin Tara am Tisch gesessen. Du hast sie schon mal gesehen. In dem Club in Jackson, erinnerst du dich?«

»Als ich sie dort sah, stand sie unter dem Schutz von Franklin Mott.«

»Ja, sie waren mal zusammen. Und ich verstehe nicht, warum er sie mit Mickey ausgehen lässt. Ich hatte gehofft, Mickey wäre nur so eine Art Bodyguard oder so was.« Ich holte meinen Mantel aus dem Séparée. »Wer ist dieser Typ also?«, fragte ich.

»Halt dich fern von ihm. Sprich nicht mit ihm, komm ihm nicht in die Quere, und versuch vor allem nicht, deiner Freundin Tara zu helfen. Als er hier war, unterhielt sich Mickey hauptsächlich mit Charles. Charles hat gesagt, er ist ein echter Gauner. Er ist fähig zu... zu barbarischen Dingen. Nähere dich Tara am besten nicht.«

Ratlos hob ich die Hände, um Eric um eine Erklärung zu bitten.

»Er tut Dinge, die wir anderen nie tun würden«, sagte er.

Schockiert und besorgt starrte ich Eric an. »Ich kann die Sache nicht einfach ignorieren. Ich habe nicht so viele Freunde, dass ich es mir leisten könnte, eine davon einfach so den Bach runtergehen zu lassen.«

»Wenn sie mit Mickey zu tun hat, dann ist sie bloß Frischfleisch«, sagte Eric mit brutaler Offenheit. Er nahm mir meinen Mantel ab und hielt ihn mir hin, damit ich hineinschlüpfen konnte. Mit den Händen massierte er meine Schultern, während ich den Mantel zuknöpfte.

»Er passt dir prima«, meinte er. Es bedurfte keiner Gedankenleserin, um zu erkennen, dass er nicht mehr über Mickey reden wollte.

»Hast du meine Karte mit dem Dankeschön bekommen?«

»Natürlich. Sehr, äh, formvollendet.«

Ich nickte und hoffte, das Thema wäre damit beendet. Aber das war es natürlich nicht.

»Ich frage mich immer noch, warum dein alter Mantel Blutflecken hatte«, murmelte Eric, und ich sah ihn erschrocken an. Einmal mehr verfluchte ich meine Sorglosigkeit. Als er mich besuchen kam, um mir für die Unterbringung zu danken, war er durchs Haus geschlendert, während ich beschäftigt war, und auf den Mantel gestoßen.

»Was haben wir getan, Sookie? Und wem haben wir etwas getan?«

»Es war Hühnerblut. Ich habe ein Hühnchen geschlachtet und es gekocht«, log ich. Als ich noch klein war, hatte ich es oft meine Großmutter tun sehen, aber ich hatte es noch nie selbst getan.

»Sookie, Sookie. Auf meiner Blödsinns-Skala hat das eben einen sehr hohen Wert erreicht«, sagte Eric und schüttelte missbilligend den Kopf.

Ich war so erschrocken, dass ich lachte. Eine gute Bemerkung, um endlich aufzubrechen. Charles Twining stand schon abmarschbereit bei der Eingangstür, wie ich sah, eingemummt in eine ultramoderne wattierte Jacke. »Tschüss, Eric, und danke für den Barkeeper«, sagte ich, als hätte Eric mir einen Satz Batterien geliehen. Er beugte sich zu mir vor und streifte meine Wange mit seinen kühlen Lippen.

»Fahr vorsichtig. Und halt dich von Mickey fern. Ich muss erst herausfinden, warum er sich in meinem Territorium aufhält. Ruf an, wenn du irgendwelche Probleme mit Charles hast.« (Falls die Batterien defekt sein sollten.) Weiter hinten saß immer noch dieselbe Frau an der Bar, jene, die gemeint hatte, ich sei keine Jungfrau mehr. Offensichtlich fragte sie sich, was ich wohl getan haben mochte, das mir die Aufmerksamkeit eines so attraktiven und antiken Vampirs wie Eric sicherte.

Genau das fragte ich mich auch oft.