Kapitel 9

Jeder Supra, den ich je kennen gelernt hatte, war im Merlotte's. Oder vielleicht schien es mir nur so, weil ich todmüde war und einfach bloß allein sein wollte. Das ganze Werwolfrudel war da, alle in menschlicher Gestalt und alle auch mehr oder weniger bekleidet, zu meiner großen Erleichterung.

Alcide trug khakibraune Hosen und ein blau-grün kariertes Hemd, das nicht zugeknöpft war. Schwer zu glauben, dass er wirklich auf allen vieren laufen konnte. Die Werwölfe tranken Kaffee oder anderes Alkoholfreies, und vor Eric (der gesund und munter wirkte) stand eine Flasche »TrueBlood«. Auf einem Barhocker saß Pam in einem graugrünen Trainingsanzug, und es gelang ihr, darin höchst sittsam und sexy zugleich auszusehen. Im Haar trug sie eine Schleife und an den Füßen perlenbestickte Turnschuhe. Sie hatte Gerald mitgebracht, einen Vampir, dem ich bereits zwei-, dreimal im Fangtasia begegnet war. Gerald sah aus wie dreißig, aber ich habe ihn mal von der Prohibitionszeit reden hören, und es klang, als hätte er sie selbst mitgemacht. Schon das Wenige, das ich von Gerald wusste, hatte in mir nie den Wunsch aufkommen lassen, ihn näher kennen zu lernen.

Sogar in dieser Gesellschaft rangierte mein Auftritt mit Claudine nur knapp unterhalb der Sensation. Im helleren Licht der Bar erkannte ich, dass Claudines genau an den richtigen Stellen gerundeter Körper in einem orangen Strickkleid steckte und ihre langen Beine auf den höchsten aller Stöckelschuhe daherkamen. Sie sah aus wie eine zum Anbeißen aufreizende Schlampe in der Magnumausgabe.

Nein, sie konnte kein Engel sein - jedenfalls nicht so, wie ich mir Engel vorstellte.

Ich sah von Claudine zu Pam und fand es ungeheuer ungerecht, dass die beiden so appetitlich und anziehend wirkten. Das hatte mir noch gefehlt. Jetzt fühlte ich mich auch noch unattraktiv, und nicht bloß erschöpft, verschreckt und verwirrt! Träumt nicht jedes Mädel davon, einen Raum an der Seite einer hinreißenden Frau zu betreten, auf deren Stirn praktisch schon »Ich will Sex« eintätowiert ist? Wenn ich nicht in diesem Augenblick Sam entdeckt hätte, den ich in diese ganze Angelegenheit hineingezogen hatte, hätte ich mich auf dem Absatz umgedreht und wäre wieder hinausmarschiert.

»Claudine«, sagte Colonel Flood. »Was machst du denn hier?«

Pam und Gerald starrten die Frau in Orange aufmerksam an, als erwarteten sie, dass sie sich jeden Moment die Kleider vom Leib reißen würde.

»Mein Mädchen hier« - und Claudine neigte ihren Kopf zu mir hinüber - »ist hinter dem Steuer eingeschlafen. Wie kommt es, dass du nicht besser auf sie aufpasst?«

Der Colonel, bekleidet wie nackt die Würde in Person, wirkte ein wenig verdutzt, als hörte er es zum ersten Mal, dass es seine Aufgabe war, für meinen Schutz zu sorgen. »Äh...«

»Jemand hätte mit ihr ins Krankenhaus fahren sollen«, sagte Claudine und schüttelte ihr langes schwarzes Haar, das wie ein Wasserfall an ihr herabfloss.

»Ich hab's ihr ja angeboten«, fuhr Eric empört dazwischen. »Aber sie fand es zu verdächtig, mit einem Vampir im Krankenhaus aufzukreuzen.«

»Oh, hallo, groß und blond und tot«, sagte Claudine. Sie musterte Eric von oben bis unten, und ihr gefiel, was sie sah. »Tust du immer das, worum menschliche Frauen dich bitten?«

Na, herzlichen Dank, Claudine, sagte ich lautlos zu ihr. Ich sollte auf Eric aufpassen, und jetzt würde er nicht mal mehr die Tür zumachen, wenn ich ihn darum bat. Gerald beäugte Claudine immer noch genauso sprachlos wie vorhin. Ob es wohl irgendwem auffiele, wenn ich mich einfach auf einen der Tische zum Schlafen legte, schoss es mir durch den Kopf. Genau wie eben Pam und Gerald fasste Eric Claudine plötzlich schärfer ins Auge und schien sich gar nicht von ihrem Anblick losreißen zu können. Ich dachte, wie Katzen, die plötzlich eine Bewegung an der Fußleiste sehen, als große Hände mich fassten, herumwirbelten und Alcide mich in die Arme schloss. Er hatte sich einen Weg durch die überfüllte Bar bis zu mir gebahnt. Weil sein Hemd nicht zugeknöpft war, fand ich mich gegen seine warme Brust gedrückt, und das tat mir sehr gut. Die krause schwarze Behaarung roch schwach nach Hund, stimmt schon. Dennoch war es ein großer Trost für mich, dass er mich umarmte und liebevoll festhielt. Es war ein wunderbares Gefühl.

»Wer sind Sie?«, fragte Alcide Claudine. Mein Ohr lag an seiner Brust, und ich hörte seine Stimme innen und außen. Eine seltsame Erfahrung.

»Ich bin Claudine, die Elfe«, erwiderte die schöne große Frau. »Schauen Sie!«

Ich musste mich umdrehen, um zu sehen, was sie tat. Sie hatte ihr Haar weggeschoben, so dass jetzt ihre Ohren frei waren - die eine grazile spitze Form aufwiesen.

»Eine Elfe«, wiederholte Alcide. Er klang so erstaunt, wie ich mich fühlte.

»Wie süß«, sagte einer der jüngeren Werwölfe, ein Typ mit stachelig aufgestellten Haaren, der vielleicht neunzehn war. Er war fasziniert von der Wendung der Ereignisse und blickte in die Runde der Werwölfe an seinem Tisch, wie um seine Begeisterung mit ihnen zu teilen. »Eine echte Elfe?«

»Für eine Weile jedenfalls«, sagte Claudine. »Früher oder später schlage ich den einen oder den anderen Weg ein.« Keiner verstand, wovon sie sprach, außer dem Colonel vielleicht.

»Da läuft einem ja das Wasser im Mund zusammen, so süß bist du«, sagte der junge Werwolf, der mit ausgebeulten Jeans und zerschlissenem T-Shirt noch den modischen Anspruch seiner stacheligen Frisur unterstrich. Er war barfuß, obwohl es im Merlotte's kalt war, denn der Thermostat war schon für die Nacht herunterreguliert. Er trug auch Ringe an den Zehen.

»Oh, danke!« Claudine lächelte ihn an. Sie schnippte mit den Fingern, und plötzlich war die gleiche Art Dunst um sie wie um die Werwölfe, wenn sie sich verwandelten. Es war der Dunstschleier undurchdringlicher Zauberei. Als die Luft sich wieder klärte, trug Claudine ein weißes, mit Pailletten besetztes Abendkleid.

»Süß«, wiederholte der Jüngling ganz benommen, und Claudine sonnte sich in seiner Bewunderung. Von den Vampiren hielt sie einen gewissen Abstand, wie ich bemerkte.

»Claudine, jetzt hast du genug angegeben. Können wir endlich von etwas anderem sprechen als von dir?« Colonel Flood klang so ermattet, wie ich mich fühlte.

»Natürlich«, sagte Claudine in einem angemessen fügsamen Ton. »Fang an.«

»Das Wichtigste zuerst. Miss Stackhouse, wie geht es Maria-Star?«

»Sie hat die Fahrt ins Krankenhaus von Clarice überlebt. Von dort wollen sie sie mit dem Hubschrauber nach Shreveport verlegen, ins Schumpert-Krankenhaus. Inzwischen ist sie vielleicht schon auf dem Weg dorthin. Die Ärztin äußerte sich ziemlich optimistisch über ihre Genesungschancen.«

Die Werwölfe sahen einander an, und die meisten bekundeten stürmisch ihre Erleichterung. Eine Frau von ungefähr dreißig führte sogar einen kleinen Freudentanz auf. Die Vampire, die mittlerweile alle vollkommen auf die Elfe fixiert waren, reagierten überhaupt nicht.

»Was haben Sie den Leuten in der Notaufnahme erzählt?«, fragte Colonel Flood. »Ich muss ihren Eltern die offizielle Sprachregelung mitteilen.«

»Der Polizei habe ich erzählt, ich hätte sie am Straßenrand aufgelesen und nirgends ein Anzeichen für einen Autounfall oder so was entdeckt. Und ich habe gesagt, sie hätte im Schotter des Seitenstreifens gelegen. Dann wundern die sich nicht, wenn sie nirgends plattgedrücktes Gras finden, obwohl eigentlich welches zu finden sein müsste... Ich hoffe, Maria-Star hat alles verstanden, sie war ziemlich betäubt von Schmerzmitteln, als ich mit ihr sprach.«

»Sehr gut mitgedacht«, sagte Colonel Flood. »Danke, Miss Stackhouse. Unser Rudel steht in Ihrer Schuld.«

Ich winkte ab. »Wie kam es, dass Sie genau zum richtigen Zeitpunkt bei Bills Haus waren?«

»Emilio und Sid verfolgten die Spur der Hexen bis zum richtigen Ort.« Emilio musste der kleine dunkle Mann mit den großen braunen Augen sein. In unserer Gegend gab es einen wachsenden Zustrom mexikanischer Einwanderer, und Emilio war ganz offensichtlich einer von ihnen. Der junge Mann mit den stacheligen Haaren winkte mir flüchtig zu, er war vermutlich Sid. »Nach Einbruch der Dunkelheit begannen wir das Gebäude zu überwachen, in dem Hallow und ihr Hexenzirkel sich verschanzt haben. Was nicht ganz leicht war, in der Gegend wohnen hauptsächlich Schwarze.« Ein afroamerikanisches Zwillingspaar, beides Mädchen, grinste sich an. Sie waren noch jung genug, um das alles wahnsinnig aufregend zu finden, genau wie Sid. »Als Hallow und ihr Bruder in Richtung Bon Temps wegfuhren, folgten wir ihnen. Außerdem haben wir Sam angerufen, um ihn zu warnen.«

Vorwurfsvoll sah ich Sam an. Mich hatte er nicht gewarnt, und er hatte auch nicht erwähnt, dass die Werwölfe sich ebenfalls auf den Weg gemacht hatten.

Colonel Flood fuhr fort. »Nachdem sie die Bar verlassen hatten, rief Sam mich auf dem Handy an und erzählte mir, wohin sie vermutlich wollten. Ich hielt ein so abgelegenes Haus wie das Compton-Haus für einen geeigneten Ort, um sie zu schnappen. Unsere Autos und Kleider konnten wir auf dem alten Friedhof lassen, und so kamen wir gerade rechtzeitig. Aber sie haben unseren Geruch sehr schnell gewittert.« Zornig sah der Colonel zu Sid hinüber. Der junge Werwolf hatte anscheinend eigenmächtig gehandelt.

»Sie konnten also fliehen«, sagte ich und versuchte so neutral wie möglich zu klingen. »Und jetzt wissen sie, dass Sie hinter ihnen her sind.«

»Ja, sie sind geflohen. Die Mörder von Adabelle Yancy. Die Anführer einer Bande, die nicht nur versucht, das Territorium der Vampire an sich zu reißen, sondern auch unseres.« Colonel Flood ließ einen kalten Blick über die versammelten Werwölfe schweifen, unter dem sie alle in sich zusammensanken, sogar Alcide. »Und jetzt werden die Hexen auf der Hut sein, weil sie wissen, dass wir hinter ihnen her sind.«

Pam und Gerald, die ihre Aufmerksamkeit einen Augenblick von der strahlenden Elfe Claudine abwandten, schienen sich insgeheim über die Ausführungen des Colonels zu amüsieren. Nur Eric wirkte, wie meist in diesen Tagen, so verwirrt, als hätte der Colonel Sanskrit gesprochen.

»Sind die Stonebrooks zurück nach Shreveport gefahren, als sie Bills Haus verließen?«, fragte ich.

»Das nehmen wir an. Wir mussten uns sehr schnell zurückverwandeln - keine ganz einfache Sache - und dann erst noch zu unseren Autos gelangen. Ich habe in jede Richtung jemanden geschickt, aber wir haben nirgends eine Spur von ihnen entdeckt.«

»Und jetzt sind wir hier. Aber warum?« Alcides Ton war scharf.

»Wir sind aus verschiedenen Gründen hier«, sagte der Leitwolf. »Zum einen wollten wir wissen, wie es Maria-Star geht. Außerdem müssen wir uns etwas ausruhen, ehe wir wieder nach Shreveport zurückfahren.«

Die Werwölfe, die sich ihre Kleider anscheinend in aller Eile übergeworfen hatten, sahen in der Tat ein bisschen ramponiert aus. Die Verwandlung ohne Vollmond und der schnelle Wechsel zurück in die zweibeinige Gestalt hatten von allen ihren Tribut gefordert.

»Und warum bist du hier?«, fragte ich Pam.

»Wir haben auch etwas zu berichten«, sagte sie. »Anscheinend verfolgen wir dieselben Ziele wie die Werwölfe - in dieser Sache zumindest.« Nur mit Mühe konnte sie ihre Augen von Claudine abwenden. Sie und Gerald tauschten Blicke aus und sahen dann beide zugleich Eric an, der völlig verständnislos ihren Blick erwiderte. Pam seufzte, und Gerald sah auf seine Stiefel hinab.

»Ein Mitbewohner unseres Schlupflochs, Clancy, ist gestern Nacht nicht nach Hause gekommen«, sagte Pam. Gleich nach dieser überraschenden Mitteilung konzentrierte sie sich wieder auf die Elfe. Claudine musste auf die Vampire eine überwältigende Anziehungskraft ausüben.

Ein Vampir weniger war doch ein Schritt in die richtige Richtung, schienen die meisten Werwölfe zu denken. Doch Alcide fragte: »Und was ist eurer Meinung nach passiert?«

»Wir haben eine Nachricht erhalten«, antwortete nun Gerald. Dies war eine der seltenen Gelegenheiten, dass ich ihn überhaupt sprechen hörte. Er hatte einen leichten britischen Akzent. »Darin hieß es, die Hexen würden für jeden Tag, an dem sie nach Eric suchen müssen, einen Vampir ausbluten.«

Aller Augen wanderten zu Eric, der fassungslos wirkte. »Warum bloß?«, fragte er. »Ich verstehe einfach nicht, warum ich so viel wert sein soll.«

Eine der jungen Werwolf-Frauen, eine braungebrannte Blondine Ende zwanzig, kommentierte das wortlos, indem sie mich ansah und die Augen verdrehte - ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Doch ganz egal, wie gut Eric aussah und welche Vorstellungen über seine sexuelle Kunstfertigkeit manch interessierte Seite auch haben mochte (von seiner Macht über verschiedene Vampir-Geschäftszweige in Shreveport ganz zu schweigen), diese zielstrebige Verfolgung von Eric löste Warnstufe »extrem« aus. Selbst wenn Hallow Sex mit Eric hätte und dann all sein Blut abzapfte und trank - Moment mal, genau das könnte es doch sein.

»Wie viel Blut kann von einem von euch gewonnen werden?«, fragte ich Pam.

Sie starrte mich an, fast schon überrascht. Etwas ganz Neues bei ihr. »Lass mich nachdenken«, sagte sie und starrte jetzt Löcher in die Luft, wobei sie mit den Fingern etwas abzuzählen schien. Es sah aus, als würde sie eine Maßeinheit in eine andere umrechnen. »An die sieben Liter«, sagte sie schließlich.

»Und wie viel Blut ist in diesen kleinen Phiolen, die sie illegal verkaufen?«

»Weniger als sechzig Milliliter.« Sie begriff langsam, worauf ich hinaus wollte. »Eric enthält also über hundert verkaufbare Einheiten Blut.«

»Was schätzt du, wie viel sie pro Stück dafür verlangen können?«

»Nun, auf der Straße kostet bereits ganz normales Vampirblut inzwischen 225 Dollar«, sagte Pam mit einem Blick so kalt wie der Winterfrost draußen. »Für Erics Blut... er ist so alt...«

»Etwa 425 Dollar pro Phiole?«

»Konservativ geschätzt, ja.«

»Alles in allem ist Eric also...«

»... über 40000 Dollar wert.«

Alle Anwesenden starrten Eric mit wachsendem Interesse an - außer Pam und Gerald, die gemeinsam mit Eric wieder ihre faszinierte Betrachtung der schönen Claudine aufgenommen hatten. Es schien, als seien sie der Elfe sogar näher gerückt.

»Findet ihr nicht, dass das Motivation genug ist?«, fragte ich. »Eric hat sie verschmäht. Sie will ihn, sie will seinen Besitz, und sie will sein Blut verkaufen.«

»Das reicht locker als Motivation«, stimmte eine Werwolf-Frau zu, eine hübsche Brünette Ende vierzig.

»Und außerdem ist Hallow total durchgeknallt«, fügte Claudine fröhlich hinzu.

Hatte die Elfe eigentlich ein einziges Mal aufgehört, zu lächeln, seit sie in meinem Auto aufgetaucht war? »Woher willst du das wissen, Claudine?«

»Ich war in ihrem Hauptquartier«, sagte sie.

Eine ganze Weile lang starrten wir alle sie schweigend an, aber längst nicht so hingerissen wie die drei Vampire.

»Claudine, bist du etwa übergelaufen?«, fragte Colonel Flood. Es klang sehr müde.

»James«, sagte Claudine. »Schäm dich! Sie dachte, ich wäre eine der Hexen aus der Umgebung.«

Vielleicht war ich ja nicht die Einzige, die ihre überbordende Fröhlichkeit dann doch ein kleines bisschen unheimlich fand. Die meisten der etwa fünfzehn Werwölfe in der Bar schienen sich in der Nähe der Elfe nicht sonderlich wohl zu fühlen.

»Es hätte uns eine Menge Ärger erspart, wenn du uns das schon etwas früher und nicht erst heute Abend erzählt hättest, Claudine«, wies der Colonel sie in frostigem Ton zurecht.

»Eine echte Elfe«, sagte Gerald. »Ich hatte erst eine einzige.«

»Sie sind schwierig einzufangen«, erklärte Pam mit verträumter Stimme. Sie rückte ein wenig näher an Claudine heran.

Sogar Eric hatte seine verständnislose und frustrierte Miene verloren und tat einen Schritt auf die Elfe zu. Die drei Vampire sahen aus wie Schokoladensüchtige vor einer Nestle-Fabrik.

»Na, na«, sagte Claudine etwas ängstlich. »Alle, die Vampirzähne haben, bitte einen Schritt zurücktreten!«

Pam war ein bisschen verlegen, Gerald fügte sich widerwillig. Eric näherte sich der Elfe weiter.

Keiner der Vampire oder Werwölfe schien bereit zu sein, Eric aufzuhalten. Innerlich sammelte ich schon mal meine paar Kräfte, um gerüstet zu sein. Schließlich hatte Claudine mich aufgeweckt, ehe ich mein Auto zu Schrott fahren konnte.

»Eric«, sagte ich, machte drei schnelle Schritte und stellte mich zwischen ihn und die Elfe. »Komm zu dir!«

»Was?« Eric widmete mir nicht mehr Aufmerksamkeit als er einer Fliege geschenkt hätte, die um seinen Kopf surrte.

»Da ist Anfassen verboten, Eric«, sagte ich, und Erics Blick huschte über mein Gesicht.

»Hey, erkennst du mich noch?« Ich legte ihm eine Hand auf die Brust, um ihn aufzuhalten. »Keine Ahnung, was mit dir los ist, mein Freund, aber du musst dich am Riemen reißen.«

»Ich will sie«, erwiderte Eric. In seinen blauen Augen glühte ein Feuer.

»Okay, sie ist hinreißend«, sagte ich um Vernunft bemüht, obwohl ich eigentlich ein wenig gekränkt war. »Aber du kannst sie nicht haben. Stimmt's, Claudine?« Das sagte ich über meine Schulter hinweg.

»Ich bin nichts für Vampire«, bestätigte die Elfe. »Mein Blut ist wie eine Droge für Vampire. Ihr möchtet bestimmt nicht wissen, was sie anstellen, nachdem sie es genossen haben.« Immer noch klang sie überaus fröhlich.

So falsch lag ich mit meiner Schokoladen-Metapher also gar nicht. Wahrscheinlich hatte ich auch deshalb bislang noch keine Elfe getroffen, ich war einfach zu oft unter Untoten.

Wenn du erst mal solche Gedanken wälzt, steckst du garantiert in ziemlichen Schwierigkeiten.

»Claudine, es ist wohl besser, wenn du jetzt rausgehst«, sagte ich leicht verzweifelt. Eric drängte vorwärts; noch ließ er mich nicht all seine Kraft spüren (sonst hätte ich längst geplättet auf dem Boden gelegen), aber einen Schritt hatte ich bereits zurückweichen müssen. Ich hätte gern gehört, was Claudine den Werwölfen sagen wollte. Doch jetzt hatte meiner Ansicht nach erst mal die Trennung von Vampiren und Elfe höchste Dringlichkeit.

»Hach, wie ein himmlisches Petit four«, seufzte Pam und sah Claudine nach, die im Schlepptau von Colonel Flood den ganzen Weg bis zur Tür mit ihrem weiß-glitzernden Hintern wackelte. Eric schien wieder zu sich zu kommen, als Claudine außer Sichtweite war. Ich atmete auf.

»Vampire haben Elfen wirklich gern, wie?«, sagte ich nervös.

»Oh, ja«, sagten sie alle zugleich.

»Nun, sie hat mir das Leben gerettet, und anscheinend kann sie uns auch aus dieser Sache mit der Hexe heraushelfen«, erinnerte ich sie.

Alle drei wirkten beleidigt.

»Claudine ist tatsächlich eine große Hilfe«, sagte der Colonel, der eben wieder hereinkam. Er klang selbst ganz überrascht. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

Eric legte seinen Arm um mich, und ich spürte, wie sich die eine Art Hunger in eine ganz andere Art Hunger verwandelte.

»Warum war sie im Hauptquartier des Hexenzirkels?«, fragte Alcide wütender, als angebracht gewesen wäre.

»Sie wissen doch, wie Elfen sind. Sie lieben den Flirt mit der Katastrophe, sie lieben es, Rollen zu spielen.« Der Colonel seufzte schwer. »Sogar Claudine, und sie ist eine der guten Elfen. Noch dazu auf dem Weg nach oben. Das also hat sie mir erzählt: Diese Hallow führt einen Hexenzirkel von etwa zwanzig Hexen. Alle sind Werwölfe oder Gestaltwandler in große Tiere. Und sie konsumieren alle Vampirblut, sind vielleicht sogar abhängig.«

»Werden die Wiccas uns beim Kampf gegen diese Hexen unterstützen?«, fragte eine Frau mittleren Alters mit rotgefärbten Haaren und Doppelkinn.

»Noch haben sie uns ihre Unterstützung nicht zugesagt.« Ein junger Mann mit militärisch kurzem Haarschnitt - ich fragte mich, ob er wohl auf dem Luftwaffenstützpunkt Barksdale stationiert war - schien bestens über die Wiccas Bescheid zu wissen. »Auf Befehl unseres Rudelführers habe ich zu jedem Wiccazirkel und jeder einzelnen Wicca in der Umgebung Kontakt aufgenommen. Sie tun alle ihr Bestes, um sich vor diesen Kreaturen zu verstecken. Es gab Anzeichen dafür, dass die meisten von ihnen sich heute Abend treffen wollen. Allerdings weiß ich nicht, wo. Ich glaube, sie wollen die Situation erst mal untereinander diskutieren. Wenn sie selbst einen Angriff planen, würde uns das natürlich auch helfen.«

»Gute Arbeit, Portugal«, sagte Colonel Flood, und der junge Mann wirkte hocherfreut.

Weil wir mit dem Rücken zur Wand standen, hatte Eric die Gelegenheit genutzt, um seine Hand über meinen Hintern wandern zu lassen. Ich hatte nichts gegen das erregende Gefühl einzuwenden, aber ich hatte etwas gegen den Ort, der mir denn doch viel zu öffentlich war.

»Claudine hat nichts von Gefangenen erzählt, die dort vielleicht untergebracht sind?«, fragte ich und trat einen Schritt weg von Eric.

»Nein, tut mir leid, Miss Stackhouse. Sie hat niemanden gesehen, auf den die Beschreibung Ihres Bruders passt. Und sie hat auch den Vampir Clancy nicht gesehen.«

Es überraschte mich zwar eigentlich nicht, aber enttäuscht war ich doch.

»Tut mir leid, Sookie«, sagte Sam. »Wenn Hallow ihn nicht hat, wo kann er dann sein?«

»Claudine hat ihn nicht gesehen, aber das bedeutet nicht, dass er nicht trotzdem dort sein könnte«, meinte der Colonel. »Wir sind sicher, dass Hallow Clancy entführt hat, und ihn hat sie auch nicht gesehen.«

»Noch mal zurück zu den Wiccas«, schlug die rothaarige Werwolf-Frau vor. »Wie sollen wir uns denen gegenüber verhalten?«

»Portugal, kontaktieren Sie morgen noch einmal alle Wiccas«, befahl Colonel Flood. »Culpepper wird Ihnen helfen.«

Culpepper war eine junge Frau mit einem hübschen Gesicht und einer praktischen Kurzhaarfrisur. Sie schien sich zu freuen, dass sie Portugal bei einer Aufgabe unterstützen durfte. Auch er wirkte erfreut, versuchte aber, es unter einer Maske schroffen Verhaltens zu verbergen. »Ja, Sir«, sagte er zackig. Culpepper fand das wahnsinnig süß; das griff ich direkt aus ihren Gedanken auf. Mochte sie auch ein Werwolf sein, eine solche Bewunderung konnte niemand kaschieren.

»Äh, warum kontaktiere ich sie alle noch einmal?«, fragte Portugal nach einer Weile.

»Wir müssen wissen, welche Pläne sie haben und ob sie mit uns kämpfen wollen«, antwortete Colonel Flood. »Wenn nicht, können sie sich zumindest aus der Angelegenheit heraushalten.«

»Also werden wir Krieg führen?«, fragte ein älterer Mann, der mit der rothaarigen Frau zusammen zu sein schien.

»Die Vampire haben doch damit angefangen«, warf die rothaarige Frau ein.

»Das ist doch überhaupt nicht wahr«, rief ich entrüstet.

»Vampirflittchen«, sagte sie.

Ich hatte schon schlimmere Dinge über mich gehört, aber sie waren mir noch nie ins Gesicht gesagt worden.

Eric war bereits in der Luft, bevor ich recht wusste, ob ich nun eher verletzt oder eher wütend war. Er hatte sich umgehend für wütend entschieden, und er war sehr schnell. Sie lag mit dem Rücken auf dem Boden und Eric war mit entblößten Fangzähnen über ihr, bevor jemand auch nur den Kopf drehen konnte. Zum Glück für die rothaarige Frau waren Pam und Gerald ebenso blitzschnell, doch sie mussten zu zweit ihre ganze Kraft aufwenden, um Eric von ihr wegzuziehen. Sie blutete nur ein klein wenig, aber sie schrie wie am Spieß.

Einen Augenblick lang dachte ich, jetzt bricht hier die Hölle los. Dann schrie Colonel Flood: »RUHE!« Und dieser Stimme wagte sich keiner zu widersetzen.

»Amanda«, sagte er zu der rothaarigen Frau, die wimmerte, als hätte Eric ihr einen Arm ausgerissen, während ihr Mann sie in übertriebener Panik nach Wunden absuchte, »Sie werden gefälligst höflich sein zu unseren Verbündeten und Ihre verdammten Vorurteile für sich behalten. Ihre Beleidigung und das Blut, das vergossen wurde, heben sich gegenseitig auf. Keine Vergeltung, Parnell!« Der angesprochene Werwolf knurrte, nickte aber schließlich widerwillig.

»Miss Stackhouse, ich entschuldige mich für die schlechten Manieren des Rudels«, sagte Colonel Flood zu mir. Ich zwang mich zu nicken. Ich merkte, wie Alcide von mir zu Eric sah, und er wirkte - tja, entsetzt. Sam war so klug, absolut keine Miene zu verziehen. Ich straffte den Rücken und fuhr mir rasch mit der Hand über die Augen, um die Tränen abzuwischen.

Eric beruhigte sich langsam wieder, es kostete ihn allerdings einiges an Anstrengung. Pam murmelte etwas in sein Ohr, und Gerald hatte den festen Griff um Erics Arm noch nicht gelöst.

Und um den Abend perfekt zu machen, öffnete sich in diesem Augenblick die Hintertür vom Merlotte's, und Debbie Pelt kam herein.

»Macht ihr hier etwa Party ohne mich?« Sie blickte auf die seltsame Ansammlung und zog eine Augenbraue in die Höhe. »Hey, Baby«, sagte sie zu Alcide, strich besitzergreifend über seinen Arm und schlang ihre Finger in die seinen. Alcides Gesicht zeigte eine sonderbare Miene. Es sah aus, als wäre er glücklich und niedergeschlagen zugleich.

Debbie war eine auffallende Erscheinung, groß und schmal und mit einem länglichen Gesicht. Sie hatte schwarzes Haar, doch es war nicht lockig und verwuschelt wie das von Alcide. Es war in vielen winzigen Stufen asymmetrisch geschnitten, sehr glatt und schwang bei jeder ihrer Bewegungen mit. Das war die albernste Frisur, die ich je gesehen hatte, und sie hatte zweifellos ein Vermögen gekostet. Männer schienen sich für ihren Haarschnitt kaum je zu interessieren.

Es wäre scheinheilig gewesen, wenn ich sie gegrüßt hätte. Das Stadium hatten Debbie und ich bereits hinter uns. Sie hatte versucht, mich umzubringen, und Alcide wusste das. Und trotzdem schien sie auf ihn noch eine merkwürdige Faszination auszuüben; obwohl er sie rausgeschmissen hatte, nachdem er davon erfuhr. Für einen klugen, praktisch veranlagten und hart arbeitenden Mann leistete Alcide sich da einen ziemlich großen blinden Fleck, der sich hier in engen Jeans und einem ebenso knallengen orangefarbenen Pullover präsentierte. Was tat sie hier, so weit entfernt von ihrem angestammten Territorium?

Plötzlich packte mich das Verlangen, mich umzudrehen und Eric von Debbies Anschlag auf mein Leben zu erzählen, nur um zu sehen, was passieren würde. Doch ich beherrschte mich wieder einmal. Diese ständige Selbstbeherrschung wurde allmählich anstrengend. Meine Fingerknöchel traten hervor, so fest hatte ich die Hände zu Fäusten geballt.

»Wir rufen dich an, wenn auf diesem Treffen noch irgendwelche Entscheidungen gefällt werden«, sagte Gerald. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er mich verabschiedete und ich Eric nach Hause bringen sollte, ehe der ein weiteres Mal ausrastete. Seiner Miene zufolge würde das nicht mehr lange dauern. Seine blauen Augen glühten und seine Fangzähne waren zumindest halb entblößt. Mehr denn je war ich versucht... nein, war ich nicht. Ich würde gehen.

»Tschüs, Miststück«, sagte Debbie, als ich hinausging. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Alcide sich entsetzt zu ihr umdrehte. Aber Pam packte mich am Arm und bugsierte mich hinaus auf den Parkplatz. Gerald hielt Eric fest, was auch nötig war.

Als die beiden Vampire uns an Chow übergaben, schäumte ich innerlich vor Wut.

Chow drängte Eric auf den Beifahrersitz, anscheinend war also ich als Fahrer auserkoren. »Wir rufen dich später an, fahr jetzt«, sagte Chow, und ich hätte ihn beinahe angeschnauzt.

Nach einem kurzen Blick auf meinen Beifahrer beschloss ich jedoch, lieber vernünftig zu sein und schnellstens zu verschwinden. Erics Angriffslust löste sich langsam in ein Gewirr von Gefühlen auf. Er wirkte durcheinander und verloren und war plötzlich das ganze Gegenteil des gefährlichen Rächers von eben.

Wir waren schon fast zu Hause, ehe Eric irgendetwas sagte. »Warum hassen Werwölfe die Vampire so sehr?«, fragte er.

»Keine Ahnung«, antwortete ich und bremste ab, weil zwei Hirsche über die Straße sprangen. Immer bremsen, sobald ihr einen seht: Meistens folgt ein zweiter. »Vampire lehnen Werwölfe und Gestaltwandler genauso heftig ab. Die übernatürlichen Geschöpfe scheinen zwar alle gegen die Menschen zusammenzuhalten, aber ansonsten gibt's ziemlich viel Zank und Streit unter euch Supras - soweit ich weiß jedenfalls.« Ich holte tief Luft und überlegte, wie ich das Folgende am besten formulierte. »Äh, Eric, dass du mich gleich verteidigt hast, als diese Amanda mich beleidigte, ist ja sehr nett. Aber ich bin's eigentlich gewöhnt, für mich selbst einzustehen, wenn's drauf ankommt. Wenn ich eine Vampirin wäre, würdest du sicher nicht so schnell meinetwegen auf die Leute losgehen, stimmt's?«

»Du bist nicht so stark wie ein Vampir, nicht mal so stark wie ein Werwolf«, hielt Eric dagegen.

»Keine Frage. Aber ich hätte nicht mal dran gedacht, auf sie loszugehen, schon um ihr keinen Grund für einen Gegenschlag zu liefern.«

»Das soll wohl heißen, ich hätte mich zurückhalten sollen.«

»Genau das meine ich.«

»Ich habe dich in Verlegenheit gebracht.«

»Nein«, sagte ich prompt. Und fragte mich dann, ob nicht genau das der Fall gewesen war. »Nein«, wiederholte ich mit mehr Überzeugung, »du hast mich nicht in Verlegenheit gebracht. Es hat mir sogar sehr gut getan, dass du mich, äh, gern genug hast und wütend geworden bist, als diese Amanda mich behandelte wie ein Stück Dreck. Aber an so was bin ich gewöhnt, und ich kann damit umgehen. Nur das mit Debbie ist noch einmal eine ganz andere Kategorie.«

Der neue, nachdenkliche Eric ließ sich das eine Weile durch den Kopf gehen.

»Warum bist du an so was gewöhnt?«

Das war nicht die Reaktion, die ich erwartet hatte. Inzwischen waren wir bei mir zu Hause angekommen, und ich musterte die ganze Lichtung, ehe ich aus dem Auto ausstieg und die Hintertür aufschloss. Als wir schließlich sicher im Haus angelangt waren und den Riegel vorgeschoben hatten, sagte ich: »Weil ich's gewöhnt bin, dass die Leute nicht viel von Kellnerinnen halten... von ungebildeten Kellnerinnen... von ungebildeten Kellnerinnen, die Gedanken lesen können. Ich bin's gewöhnt, dass die Leute mich für verrückt halten oder zumindest für irgendwie seltsam. Ich will mich nicht als die arme bedauernswerte gute Seele hinstellen, doch einen großen Fanclub habe ich nicht gerade. Ich bin aber dran gewöhnt.«

»Das bestätigt nur die schlechte Meinung, die ich von den Menschen generell habe«, erwiderte Eric. Er zog mir den Mantel aus, sah ihn missbilligend an und hängte ihn über die Lehne eines der Stühle, die unter den Küchentisch geschoben waren. »Du bist wunderschön.«

Noch nie hatte mich jemand direkt angesehen und so etwas gesagt. Ich musste einfach die Augen niederschlagen.

»Du bist klug, und du bist loyal«, fuhr er unaufhaltsam fort, obwohl ich abwinkte, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Außerdem hast du Humor und einen Sinn fürs Abenteuer.«

»Ach, hör auf«, sagte ich.

»Nein«, entgegnete er. »Du hast die schönsten Brüste, die ich je gesehen habe. Du bist mutig.« Ich legte ihm meine Finger auf den Mund, und er fuhr mit der Zunge darüber. Ich lehnte mich gegen ihn. Bis in die Fußspitzen spürte ich es kribbeln. »Du bist verantwortungsbewusst und arbeitest sehr hart«, sprach er weiter. Bevor er mir auch noch erzählte, dass ich unschlagbar war beim Auswechseln der Müllbeutel, wenn ich den Müll hinaustrug, ersetzte ich meine Finger durch meine Lippen.

»Siehst du«, sagte er sanft eine Weile später, »kreativ bist du auch noch.«

In der folgenden Stunde zeigte er mir, dass er selbst ebenfalls sehr kreativ war.

Es war die einzige Stunde eines extrem langen Tages, in der mich die Furcht nicht völlig auffraß: die Sorge um das Schicksal meines Bruders, die Angst vor Hallows bösen Plänen und die Erinnerungen an den schrecklichen Tod von Adabelle Yancy. Und noch so einige andere Dinge, aber nach so einem langen Tag konnte ich unmöglich die Schrecklichkeiten gegeneinander abwägen.

Als ich in Erics Armen dalag, eine kleine wortlose Melodie vor mich hinsummte und müßig mit einem Finger Erics Schulter entlangfuhr, war ich zutiefst dankbar über die Freude, die er mir bereitet hatte. Glück sollte nie als etwas Selbstverständliches hingenommen werden.

»Danke«, sagte ich, das Gesicht an seine totenstille Brust gepresst.

Er legte einen Finger unter mein Kinn, damit ich den Kopf hob und ihm in die Augen sah. »Nein«, sagte er ruhig. »Du hast mich von der Straße aufgelesen und mich in Sicherheit gebracht. Du bist bereit, für mich zu kämpfen. Das weiß ich. Ich kann mein Glück kaum fassen. Wenn diese Hexe erledigt ist, möchte ich dich an meiner Seite haben. Ich werde alles, was ich besitze, mit dir teilen. Jeder Vampir, der mir Treue schuldet, wird dir Ehre erweisen.«

Das reinste Mittelalter! Der Gute, so würden die Dinge mit Sicherheit nicht ausgehen. Wenigstens war ich klug und realistisch genug, mich selbst nicht eine Minute lang derart zu betrügen - obwohl es ein ganz wunderbares Hirngespinst war. Er dachte wie ein Burgherr, dem Vasallen zur Lehnstreue verpflichtet waren, und nicht wie der geschäftstüchtige untote Besitzer einer Vampir-Bar in Shreveport.

»Du hast mich sehr glücklich gemacht«, sagte ich nur. Und das entsprach der Wahrheit.