Kapitel 2

Ich wurde nur langsam wach. Eingekuschelt in meine Bettdecke lag ich da und streckte ab und zu einen Arm oder ein Bein, während ich mich allmählich wieder an die unwirklichen Ereignisse der letzten Nacht erinnerte.

Eric lag nicht mehr bei mir im Bett, also konnte ich davon ausgehen, dass er sich in seinem Schlupfloch niedergelassen hatte. Ich ging ins andere Zimmer und stellte wie versprochen die Sachen in den Schrank zurück, so dass alles ganz normal aussah. Die Uhr zeigte Mittag und draußen schien strahlend die Sonne, obwohl die Luft kalt war. Zu Weihnachten hatte Jason mir ein Thermometer geschenkt, das die Außentemperatur maß und sie mir drinnen auf einem digitalen Display anzeigte. Jetzt wusste ich also schon mal zwei Dinge: Es war Mittag, und draußen herrschten null Grad.

In der Küche stand immer noch die Schüssel auf dem Boden, in der ich Erics Füße gewaschen hatte. Als ich das Wasser ins Spülbecken kippte, sah ich, dass Eric irgendwann die Flasche ausgespült hatte, in der das synthetische Blut gewesen war. Ich musste noch ein paar davon besorgen, ehe er aufstand, denn einen hungrigen Vampir will wohl keiner gern im Haus haben. Und außerdem war es nur höflich, Pam und allen, die sonst noch aus Shreveport herüberkamen, eine Flasche anzubieten. Sie würden mir die Sache erklären - oder auch nicht. Sie würden Eric mitnehmen und sich selbst der Lösung jener geheimnisvollen Probleme widmen, die der Vampir-Gemeinde von Shreveport zusetzten. Und ich würde hier in Frieden leben können. Oder auch nicht.

Merlotte's Bar war am Neujahrstag bis vier Uhr geschlossen. Am Neujahrstag und am Tag darauf waren Charlsie und Danielle und die Neue zum Dienst eingeteilt, weil wir anderen am Silvesterabend gearbeitet hatten. Ich hatte also zwei ganze Tage frei ... und mindestens einen davon würde ich völlig allein mit einem geistig verwirrten Vampir im Haus verbringen. Das Leben war schön.

Ich trank zwei Tassen Kaffee, tat Erics Jeans in die Waschmaschine, las eine Weile in einem Liebesroman und sah mir meinen brandneuen Kalender mit dem »Wort des Tages« an, den Arlene mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Mein erstes Wort im neuen Jahr lautete »Sang-froid«. War das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Omen?

Kurz nach vier kam Jason in einem irren Tempo in seinem schwarzen Pick-up mit den pink und lila Flammen an den Seiten meine Auffahrt hinaufgedonnert. Ich war inzwischen geduscht und angezogen, nur mein Haar war noch nass. Ich hatte so ein Pflegezeug hineingesprüht und fuhr jetzt langsam mit der Bürste hindurch, während ich vor dem Kamin saß und im Fernsehen ein Footballspiel ansah, damit mir beim Bürsten nicht langweilig wurde; den Ton hatte ich allerdings ganz leise gestellt. Ich dachte über Erics Zwangslage nach und aalte mich in der Wärme des Feuers in meinem Rücken.

In den letzten paar Jahren war der Kamin nur selten genutzt worden, weil Holz in so großen Mengen unheimlich teuer war. Doch Jason hatte einige Bäume, die im letzten Jahr bei einem Eissturm umgeknickt waren, zersägt, und jetzt hatte ich einen großen Vorrat und genoss die warmen Flammen.

Mein Bruder stapfte die Vorderstufen herauf und klopfte flüchtig an die Tür, ehe er eintrat. Wie ich war auch er in diesem Haus aufgewachsen. Wir waren zu unserer Großmutter gezogen, nachdem unsere Eltern gestorben waren, und sie hatte deren Haus vermietet, bis Jason mit zwanzig sagte, er sei jetzt alt genug, um allein zu wohnen. Mittlerweile war Jason achtundzwanzig und der Boss einer Straßenbautruppe. Ein ziemlich rasanter Aufstieg für einen Jungen vom Land, der nicht viel Bildung besaß. Ich dachte, er wäre zufrieden damit, bis er vor ein, zwei Monaten plötzlich ruhelos wurde.

»Prima«, sagte er, als er das Kaminfeuer sah. Er stellte sich genau davor, um seine Hände zu wärmen - womit er mir die ganze Wärme nahm. »Wann warst du denn letzte Nacht zu Hause?«, fragte er über die Schulter.

»Ich schätze, ich war um drei im Bett.«

»Wie fandest du die Kleine, mit der ich rumhing?«

»Ich finde, mit der solltest du dich besser nicht mehr treffen.«

Das war nicht das, was er hören wollte. Sein Blick glitt zur Seite, bis er meinen traf. »Was hast du an ihr auszusetzen?«, fragte er. Mein Bruder weiß von meinen telepathischen Fähigkeiten, aber er würde nie mit mir darüber reden oder mit irgendwem sonst. Ich habe schon gesehen, wie er sich mit Männern geprügelt hat, die mich als nicht ganz normal bezeichnet haben. Doch er weiß, dass ich anders bin. Und alle anderen wissen es auch. Sie haben nur einfach beschlossen, es nicht zu glauben, oder sie meinen, ihre Gedanken könnte ich bestimmt nicht lesen - sondern nur die der anderen. Gott weiß, dass ich wirklich versuche, mich so zu benehmen und so zu reden, als wäre ich nicht ständig einem Schwall unerwünschter Gedanken und Emotionen und Anschuldigungen ausgesetzt. Doch manchmal sickert es einfach durch.

»Sie ist nicht so wie du«, sagte ich und blickte ins Feuer.

»Na, sie ist doch sicher keine Vampirin.«

»Nein, das nicht.«

»Na, also.« Streitlustig sah er mich an.

»Jason, als das mit den Vampiren herauskam - als wir erfuhren, dass sie wirklich existieren, nachdem wir sie jahrhundertelang einfach nur für gruselige Legendengestalten gehalten hatten -, hast du dich da nie gefragt, ob es auch noch andere wahre Märchen gibt?«

Eine Minute lang wehrte sich mein Bruder heftig gegen diese Idee. Ich wusste (weil ich es »hören« konnte), dass Jason eine solche Idee rundheraus verneinen und mich als Verrückte beschimpfen wollte - aber das brachte er einfach nicht fertig. »Du bist dir da sicher«, sagte er. Es war keine Frage.

Ich achtete darauf, dass er mir direkt in die Augen sah, und nickte nachdrücklich.

»So ein Mist«, sagte er empört. »Die Kleine hab' ich wirklich gemocht. Die war 'ne Tigerin.«

»Wirklich?«, fragte ich, entsetzt darüber, dass sie vor ihm die Gestalt gewandelt hatte, obwohl nicht mal Vollmond war. »Aber sie hat dir nichts getan?« Schon im nächsten Augenblick warf ich mir meine eigene Dummheit vor. Sie hatte es natürlich nicht gemacht.

Jason starrte mich eine Sekunde lang an, ehe er schallend zu lachen begann. »Sookie, du bist echt unheimlich! Du hast ausgesehen, als könnte sie sich wirklich -« Seine Miene gefror. Ich spürte, wie der Gedanke ein Loch in die schützende Hülle bohrte, die die meisten Leute um ihr Hirn herum schaffen und die all jene Ansichten und Gedanken abwehrt, die nicht mit ihren Erwartungen an den Alltag übereinstimmen. Jason sank schwer in Großmutters Lehnsessel. »Ich wünschte, ich wüsste das nicht«, sagte er mit leiser Stimme.

»Es muss nicht genau das sein, was mit ihr passiert - das mit dem Tiger -, aber glaub mir, irgendwas passiert.«

Eine Minute darauf zeigte sein Gesicht wieder den vertrauten Ausdruck. Typisch Jason: Er konnte nichts gegen dieses neue Wissen tun, also verbannte er es ins Hinterstübchen seines Gehirns. »Übrigens, hast du gestern Abend die Frau gesehen, mit der Hoyt da war? Sie sind gemeinsam weg, und auf dem Weg nach Arcadia hat er das Auto in einen Graben gesetzt und sie mussten zwei Meilen zu Fuß gehen bis zum nächsten Telefon, weil der Akku von seinem Handy leer war.«

»Nein!«, rief ich aus und schlug einen beruhigenden und plaudernden Tonfall an. »Und sie in diesen Stöckelschuhen!« Jasons Gleichgewicht war wiederhergestellt. Eine Weile erzählte er mir noch den neuesten Klatsch, trank eine Coke und fragte mich dann, ob ich etwas aus der Stadt brauchte.

»Ja, ich brauch' was.« Ich hatte schon darüber nachgedacht, während er redete. Die meisten seiner Neuigkeiten hatte ich sowieso schon gestern Abend aus den Gedanken der anderen Gäste erfahren, wenn ich mich mal wieder nicht gut genug abgeschottet hatte.

»Oh, oh«, sagte er gespielt ängstlich. »Was kommt jetzt wieder?«

»Ich brauche zehn Flaschen synthetisches Blut und Sachen zum Anziehen für einen großen Mann«, sagte ich und hatte ihn erneut erschreckt. Armer Jason. Er verdiente ein zänkisches Dummerchen zur Schwester, die Nichten und Neffen für ihn produzierte, damit sie ihn Onkel Jase nannten und sich an seine Beine klammerten. Stattdessen hatte er mich.

»Wie groß ist der Mann und wo ist er?«

»Er ist ungefähr 1,95 Meter groß und er schläft«, sagte ich. »Ich schätze, Hosenweite 34, und er hat lange Beine und breite Schultern.« Dabei fiel mir ein, dass ich mir das Etikett in Erics Jeans ansehen konnte, die immer noch im Trockner auf der hinteren Veranda waren.

»Was für Kleidung denn?«

»Arbeitskleidung.«

»Kenn' ich den?«

»Ich bin das«, sagte eine sehr viel tiefere Stimme.

Jason fuhr herum, als erwartete er jeden Moment einen Angriff, was zeigte, dass seine Instinkte gar nicht so schlecht ausgeprägt waren. Aber Eric wirkte so ungefährlich, wie ein Vampir seiner Größe überhaupt aussehen konnte. Und er trug liebenswürdigerweise den braunen Veloursbademantel, den ich ins zweite Badezimmer gelegt hatte. Es war einer von Bills, und es gab mir einen Stich, als ich ihn an jemand anders sah. Aber ich musste praktisch denken. Eric wanderte besser nicht in seiner roten knallengen Unterhose durchs Haus - wenigstens nicht, solange Jason da war.

Jason starrte Eric mit weit aufgerissenen Augen an und warf mir einen schockierten Blick zu. »Ist das dein neuer Freund, Sookie? Da hast du über die andere Geschichte ja nicht lange Gras wachsen lassen.« Er schwankte offenbar zwischen Bewunderung und Entrüstung. Und er hatte noch nicht begriffen, dass Eric tot war. Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Leute es erst nach einigen Minuten bemerken. »Also für ihn soll ich die Sachen mitbringen?«

»Ja. Sein Hemd wurde letzte Nacht zerrissen und seine Jeans sind noch in der Wäsche.«

»Stellst du uns nicht vor?«

Ich holte tief Luft. Es wäre sehr viel besser gewesen, wenn Jason Eric nicht zu sehen bekommen hätte. »Lieber nicht«, sagte ich.

Das nahmen sie mir beide ziemlich übel. Jason wirkte verletzt, und der Vampir sah beleidigt aus.

»Eric«, sagte er und streckte Jason die Hand entgegen.

»Jason Stackhouse, der Bruder dieser ungehobelten Lady hier«, sagte Jason.

Sie gaben sich die Hand, und ich hätte ihnen beiden am liebsten die Hälse umgedreht.

»Ich nehm' mal an, das hat einen Grund, dass ihr zwei nicht selbst losfahren und was zum Anziehen kaufen könnt«, sagte Jason.

»Das hat einen guten Grund«, sagte ich. »Und es gibt ungefähr zwanzig gute Gründe, warum du am besten ganz schnell wieder vergisst, dass du diesen Typen hier gesehen hast.«

»Bist du in Gefahr?«, fragte Jason direkt.

»Noch nicht«, sagte ich.

»Wenn du was tust, das meine Schwester verletzt, dann wirst du nichts als Ärger erleben«, sagte Jason zu dem Vampir.

»Etwas anderes würde ich auch nicht erwarten«, sagte Eric.

»Aber da du offen zu mir bist, will ich auch offen zu dir sein. Ich finde, du solltest für sie sorgen und sie in deinem Haus wohnen lassen, damit sie besser geschützt ist.«

Jason blieb der Mund offen stehen, und ich musste mir die Hand vor meinen halten, damit ich nicht laut loslachte. Das war noch besser, als ich es mir hätte vorstellen können.

»Zehn Flaschen Blut und was anderes zum Anziehen?«, fragte Jason mich, und an seiner veränderten Stimme konnte ich erkennen, dass er endlich kapiert hatte, was mit Eric los war.

»Richtig. Der Schnapsladen dürfte das Blut haben. Die Kleidung kannst du bei Wal-Mart kaufen.« Eric war der Jeans-und-T-Shirt-Typ, mehr konnte ich mir ohnehin nicht leisten. »Oh, und er braucht auch Schuhe.«

Jason trat neben den Vampir und stellte seinen Fuß neben seinen. Er pfiff, was Eric zusammenfahren ließ.

»Große Füße«, bemerkte Jason und warf mir einen Blick zu. »Stimmt das alte Sprichwort denn?«

Ich lächelte ihn an. Er versuchte, die Atmosphäre zu entspannen. »Auch wenn du's mir nicht glaubst, ich hab' keine Ahnung.«

»Na ... nichts für ungut. Also, ich geh' dann mal«, sagte Jason und nickte Eric zu. Ein paar Sekunden später hörte ich seinen Pick-up die Kurven der Auffahrt entlangrasen. Es war schon gänzlich dunkel geworden.

»Tut mir leid, dass ich rausgekommen bin, als er da war«, sagte Eric vorsichtig. »Ich glaube, du wolltest nicht, dass ich ihn treffe.« Er kam herüber zum Feuer und schien die Wärme genauso zu genießen, wie ich es getan hatte.

»Es ist mir nicht peinlich oder so was, dass du hier bist«, sagte ich. »Es kommt mir nur so vor, als wenn du einen Haufen Ärger am Hals hättest, und ich will nicht, dass mein Bruder da reingezogen wird.«

»Ist er dein einziger Bruder?«

»Ja. Und meine Eltern sind tot und meine Großmutter auch. Er ist alles, was ich habe, außer einer Cousine, die seit Jahren schon drogenabhängig ist. Sie ist verloren, glaub' ich.«

»Sei doch nicht so traurig«, sagte er, als könnte er sich nicht helfen.

»Schon okay.« Ich gab meiner Stimme einen forschen und sachlichen Ton.

»Du hast mein Blut in dir«, sagte er.

Oh. Ich stand absolut reglos da.

»Ich wäre nicht fähig, zu erkennen, was du fühlst, wenn du nicht mein Blut in dir hättest«, sagte er. »Sind wir - waren wir - ein Liebespaar?«

Das war sicher eine der liebenswürdigsten Weisen, es zu formulieren. Eric hatte sich, was Sex betraf, sonst immer sehr handfest ausgedrückt.

»Nein«, sagte ich unverzüglich, und das war die Wahrheit, wenn auch nur um Haaresbreite. Wir waren noch rechtzeitig gestört worden, Gott sei Dank. Ich bin nicht verheiratet. Ich habe meine schwachen Momente. Er ist umwerfend. Was soll ich noch sagen?

Doch er sah mich mit ernstem Blick an, und ich spürte, wie eine heiße Welle mein Gesicht erröten ließ.

»Das hier ist nicht der Bademantel deines Bruders.«

Oh, Mann. Ich starrte ins Feuer, als würde es eine Antwort für mich ausspucken.

»Wem gehört er dann?«

»Bill«, sagte ich. Das war einfach.

»Ist er dein Liebhaber?«

Ich nickte. »Er war es«, sagte ich aufrichtig.

»Ist er mein Freund?«

Ich dachte darüber nach. »Na ja, nicht direkt. Er lebt in dem Bezirk, in dem du Sheriff bist. In Bezirk Fünf.« Ich fing wieder an, mein Haar zu bürsten, und bemerkte, dass es inzwischen trocken war. Es knisterte, weil es elektrisch aufgeladen war, und blieb an der Bürste haften. Ich lächelte über den Effekt, als ich mich selbst im Spiegel über dem Kaminsims sah.

Eric konnte ich auch sehen. Ich habe keine Ahnung, warum die Geschichte, dass Vampire nicht in Spiegeln zu sehen sind, immer noch herumgeistert. Von Eric gab es eine ganze Menge zu sehen, weil er so groß war und weil er den Bademantel nicht fest genug zugeknotet hatte... Ich schloss die Augen.

»Fehlt dir etwas?«, fragte Eric besorgt.

Mehr Selbstbeherrschung.

»Mir geht's gut«, sagte ich und versuchte, nicht mit den Zähnen zu knirschen. »Deine Freunde werden bald kommen. Deine Jeans sind im Trockner, und Jason ist hoffentlich jeden Moment wieder da mit ein paar anderen Sachen zum Anziehen.«

»Meine Freunde?«

»Nun, die Vampire, die für dich arbeiten. Ich schätze, Pam geht als Freundin durch. Bei Chow weiß ich das nicht.«

»Sookie, wo arbeite ich? Wer ist Pam?«

Das war wirklich ein mühsames Gespräch. Ich versuchte, Eric seine Position zu erklären, dass er der Besitzer des Fangtasia war und welche anderen Unternehmungen und Interessen er noch hatte. Aber ehrlich gesagt, ich wusste selbst einfach nicht genug, um ihm das alles haarklein auseinander zu setzen.

»Du weißt nicht sehr viel über das, was ich mache«, stellte er ganz richtig fest.

»Tja, ich bin nur im Fangtasia, wenn Bill mich mitnimmt, und er nimmt mich nur mit, wenn ich was für dich tun muss.« Ich schlug mir selbst mit der Bürste vor die Stirn. Dämlich, wie dämlich!

»Was musst du denn für mich tun? Gibst du mir bitte mal die Bürste?«, fragte Eric. Ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Er wirkte sehr grüblerisch und nachdenklich.

»Na klar«, sagte ich und ignorierte seine erste Frage. Ich gab ihm die Bürste. Er fing an, sich die Haare zu kämmen, und die Muskeln seiner Brust begannen einen spielerischen Tanz. O Himmel. Vielleicht sollte ich noch mal unter die Dusche gehen und das Wasser auf eiskalt drehen? Ich stapfte ins Schlafzimmer und holte mir ein Haargummi, um mir ganz oben am Hinterkopf einen so festen Pferdeschwanz zu binden, wie ich nur konnte. Ich benutzte meine zweitbeste Bürste und strich das Haar ganz glatt. Dann prüfte ich, ob ich auch die Mitte getroffen hatte, indem ich den Kopf hin und her drehte.

»Du bist angespannt«, sagte Eric von der Tür her, und ich schrie erschrocken auf.

»Tut mir leid, tut mir leid!«, sagte er hastig.

Ich sah ihn misstrauisch an, aber er schien aufrichtig zerknirscht zu sein. Wäre er er selbst gewesen, hätte Eric gelacht. Aber verflixt noch mal, ich vermisste den echten Eric richtig. Bei ihm wusste ich wenigstens immer, woran ich war.

Ich hörte, wie an der Vordertür geklopft wurde.

»Du bleibst hier drin«, sagte ich. Er schien ziemlich besorgt und setzte sich wie ein braver kleiner Junge in den Sessel in der Ecke des Zimmers. Zum Glück hatte ich in der Nacht noch meine auf dem Boden verstreuten Sachen weggeräumt, so wirkte das Zimmer nicht so privat. Ich ging durchs Wohnzimmer zur Haustür und hoffte, dass mir weitere Überraschungen erspart blieben.

»Wer ist da?«

»Wir sind es«, sagte Pam.

Ich drehte den Türknopf, hielt dann inne, erinnerte mich aber, dass sie ja ohnehin nicht reinkommen konnten, und öffnete die Tür.

Pam hatte helles glattes Haar und war weiß wie eine Magnolienblüte. Ansonsten sah sie aus wie eine junge Hausfrau aus einer Vorstadtsiedlung, die halbtags in der Vorschule arbeitet.

Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass irgendjemand Pam jemals seine Kleinkinder anvertrauen würde, hatte sie aber noch nie etwas sehr Grausames oder Bösartiges tun sehen. Doch sie ist definitiv davon überzeugt, dass Vampire besser sind als Menschen, und sie ist sehr direkt und nimmt kein Blatt vor den Mund. Und ich könnte schwören, wenn ihr Wohlergehen davon abhinge, würde Pam jedes noch so unheilvolle Vorhaben skrupellos in die Tat umsetzen. Sie schien eine hervorragende Stellvertreterin für Eric zu sein und war nicht übermäßig ehrgeizig. Wenn sie tatsächlich danach strebte, ihren eigenen Machtbereich zu haben, dann konnte sie diesen Wunsch ziemlich gut verbergen.

Mit Chow war das was ganz anderes. Ich wollte Chow gar nicht erst besser kennen lernen. Ich traute ihm nicht, und ich hatte mich in seiner Gegenwart auch nie wohl gefühlt. Chow ist Asiate, ein schmal gebauter, aber starker Vampir mit ziemlich langem schwarzem Haar. Er ist nicht sehr groß, und jeder sichtbare Zentimeter Haut (außer seinem Gesicht) ist mit komplizierten Tattoos bedeckt, echten kleinen Kunstwerken. Pam sagt, es sind Yakuza-Tattoos. An manchen Abenden arbeitet Chow im Fangtasia als Barkeeper, an anderen sitzt er einfach nur herum und präsentiert sich den Stammgästen. (Aus diesem Grund gibt es überhaupt Vampir-Bars: um den normalen Menschen das Gefühl eines wilden Lebens zu verschaffen, weil sie sich in einem Raum mit echten Untoten aufhalten. Ein sehr lukratives Geschäft, hat Bill mir erzählt.)

Pam trug einen flauschigen, cremeweißen Pullover und goldbraune Wollhosen, Chow hatte seine ewig gleiche Weste und Hosen an. Er trug nur selten ein Hemd, so kamen die Stammgäste des Fangtasia stets in den vollen Genuss seiner Tattookunstwerke.

Ich rief nach Eric, und er trat langsam ins Zimmer. Er wirkte äußerst misstrauisch.

»Eric«, sagte Pam. In ihrer Stimme schwang Erleichterung. »Geht es dir gut?« Besorgt sah sie Eric an. Sie verbeugte sich nicht, aber sie vollführte so eine Art tiefes Nicken.

»Meister«, sagte Chow und verbeugte sich.

Ich versuchte, nicht überzuinterpretieren, was ich da sah und hörte. Aber mir schien, dass die unterschiedliche Begrüßung einiges über die Beziehungen der drei untereinander aussagte.

Eric sah verunsichert aus. »Ich kenne euch«, sagte er und versuchte, es wie eine Feststellung und nicht wie eine Frage klingen zu lassen.

Die anderen beiden Vampire tauschten einen Blick. »Wir arbeiten für dich«, sagte Pam. »Wir schulden dir Treue.«

Ich begann, mich aus dem Zimmer zurückzuziehen, weil sie sicher über geheime Vampir-Sachen reden wollten. Und wenn es irgendetwas gab, worüber ich nichts weiter erfahren wollte, dann das.

»Geh bitte nicht«, sagte Eric zu mir. Seine Stimme klang ängstlich. Ich erstarrte und sah mich um. Pam und Chow blickten mich über Erics Schulter hinweg an, und ihre Mienen konnten unterschiedlicher nicht sein. Pam wirkte fast amüsiert. Chow dagegen sah deutlich missbilligend drein.

Ich versuchte, Eric nicht in die Augen zu sehen, damit ich ihn mit gutem Gewissen allein lassen konnte, aber es funktionierte einfach nicht. Er wollte nicht allein sein mit seinen beiden Kumpanen. Ich atmete tief aus. Na gut, verdammt noch mal. Ich trottete wieder zu Eric hinüber und ließ Pam die ganze Zeit nicht aus den Augen.

Wieder klopfte es an der Haustür, und Pam und Chow reagierten auf dramatische Weise. Im Bruchteil einer Sekunde waren sie beide kampfbereit, und Vampire in diesem Zustand sind kein angenehmer Anblick. Ihre Fangzähne treten hervor, ihre Hände krümmen sich zu Krallen und ihre Körper sind in höchster Alarmbereitschaft. Die Luft um sie herum scheint zu knistern.

»Ja?«, sagte ich direkt hinter der Tür. Ich musste unbedingt einen Türspion anbringen lassen.

»Hier ist dein Bruder«, sagte Jason schroff. Er ahnte ja gar nicht, was für ein Glück er gehabt hatte, dass er nicht einfach wie immer hereinmarschiert war.

Irgendetwas hatte Jason in schlechte Laune versetzt, und ich fragte mich, ob jemand anders bei ihm war. Fast hätte ich die Tür geöffnet. Aber ich zögerte. Ich fühlte mich wie ein Verräter, doch schließlich drehte ich mich zu Pam um. Schweigend deutete ich die Diele entlang zur Hintertür, machte eine Tür-auf-Tür-zu-Geste, damit es kein Missverständnis gab, was ich meinte. Dann deutete ich mit dem Finger einen großen Kreis in der Luft an - Komm ums Haus herum, Pam - und zeigte auf die vordere Haustür.

Pam nickte und rannte die Diele entlang zur Rückseite des Hauses. Ihre Schritte konnte ich nicht hören. Erstaunlich.

Eric trat zurück von der Tür. Chow stellte sich vor ihn. Das gefiel mir. Das war genau das, was ein Untergebener zu tun hatte.

Weniger als eine Minute später hörte ich Jason in einer Entfernung von etwa fünfzehn Zentimeter brüllen. Ich tat einen Sprung zurück.

Pam sagte: »Mach auf!«

Ich riss die Tür auf und sah Jason, den Pam mit den Armen fest umklammert hielt. Sie hielt ihn knapp über dem Boden, ohne jede Anstrengung, obwohl er wild mit den Armen um sich schlug und es ihr so schwer wie möglich machte, der Gute.

»Du bist allein«, sagte ich voller Erleichterung.

»Natürlich, verdammt noch mal! Warum hast du die auf mich gehetzt? Lass mich runter!«

»Es ist mein Bruder, Pam«, sagte ich. »Lass ihn bitte herunter.«

Pam stellte Jason auf den Boden, und er fuhr herum, um sie anzusehen. »Hör mal, du Weibsstück! Du kannst dich nicht einfach so an einen Mann heranschleichen! Du hast Glück gehabt, dass ich dir nicht eins auf den Schädel gegeben hab'!«

Pam sah ihn höchst amüsiert an, und selbst Jason war die Sache jetzt peinlich. Immerhin brachte er ein Lächeln zustande. »Ich schätze mal, das wäre ziemlich schwierig geworden«, gab er zu und hob die Tüten auf, die er fallen gelassen hatte. Pam half ihm. »Zum Glück hab' ich das Blut in diesen großen Plastikflaschen genommen«, sagte er. »Sonst müsste diese schöne Lady hier wohl hungrig nach Hause gehen.«

Er lächelte Pam gewinnend an. Jason liebt die Frauen. Pam war allerdings eine Nummer zu groß für ihn; doch ihm fehlte das Gespür, das zu erkennen.

»Danke. Jetzt musst du gehen«, sagte ich unvermittelt. Ich nahm ihm die Plastiktüten aus den Händen. Pam und er hatten immer noch ihre Blicke ineinander versenkt. »Pam«, sagte ich scharf. »Pam, er ist mein Bruder.«

»Ich weiß«, sagte sie ruhig. »Jason, wolltest du uns etwas sagen?«

Ich hatte ganz vergessen, dass Jason klang, als wäre er nicht ganz er selbst, als er vor der Haustür stand.

»Ja«, sagte er und konnte kaum die Augen von der Vampirin wenden. Doch als er schließlich mich ansah, entdeckte er auch Chow, und seine Augen weiteten sich. Immerhin war er schlau genug, sich vor Chow zu fürchten. »Sookie?«, sagte er. »Alles in Ordnung?« Er trat einen Schritt ins Zimmer hinein, und ich sah, wie das restliche Adrenalin, das das Erlebnis mit Pam noch übrig gelassen hatte, durch seinen Körper zu jagen begann.

»Ja. Alles okay. Das sind bloß Freunde von Eric, die sehen wollen, wie's ihm geht.«

»Na, die sollten mal lieber losziehen und diese Suchplakate von den Wänden reißen.«

Das erregte die volle Aufmerksamkeit aller. Was Jason freute.

»Die Plakate hängen bei Wal-Mart und Grabbit Kwik und im Schnapsladen und auch sonst überall in der Stadt«, sagte er. »Auf allen steht: >Haben Sie diesen Vampir gesehen?< und weiter, dass er entführt wurde und dass seine engen Freunde sich große Sorgen machen, und die Belohnung beläuft sich auf 50000 Dollar, wenn jemand sagen kann, wo er ist.«

Ich konnte all dem nicht so recht folgen und dachte immer bloß »Was?«, bis Pam es auf den Punkt brachte.

»Sie hoffen, dass ihn jemand sieht und sie ihn sich schnappen können«, sagte sie zu Chow. »Das wird funktionieren.«

»Wir sollten uns darum kümmern«, sagte er und nickte zu Jason hinüber.

»Wehe, du rührst meinen Bruder auch nur an«, sagte ich. Ich stellte mich zwischen Jason und Chow, und es juckte mich geradezu in den Händen, mit einem Pfahl, einem Hammer oder was auch immer diesen Vampir davon abzuhalten, meinen Bruder anzufassen.

Jetzt konzentrierten Pam und Chow diese intensive Aufmerksamkeit auf mich. Mir schmeichelte das gar nicht, anders als Jason vorhin. Ich fand es einfach nur todgefährlich. Jason öffnete den Mund, um etwas zu sagen - ich spürte, wie die Wut in ihm aufstieg und der Impuls anzugreifen -, doch ich presste die Finger um sein Handgelenk. Er knurrte, und ich sagte: »Halt den Mund.« Und wie durch ein Wunder tat er das auch. Er schien zu spüren, dass die Ereignisse zu schnell aufeinander folgten und in eine fatale Richtung liefen.

»Da müsst ihr mich auch umbringen«, sagte ich.

Chow zuckte die Achseln. »Ist ja 'ne fürchterliche Drohung.«

Pam sagte gar nichts. Wenn sie sich entscheiden musste zwischen der Aufrechterhaltung von Vampir-Interessen und meiner Freundschaft... tja, dann konnten wir wohl getrost alle weiteren gemeinsamen Kaffeekränzchen glatt absagen.

»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Eric. Seine Stimme klang um einiges strenger. »Erklär mir das... Pam.«

Eine Minute verging, in der alles in der Schwebe war. Dann drehte sich Pam zu Eric um, und vielleicht war sie sogar ein klein wenig erleichtert, dass sie mich nicht gleich in diesem Augenblick umbringen musste. »Sookie und dieser Mann, ihr Bruder, haben dich gesehen«, erklärte sie. »Sie sind Menschen. Sie brauchen das Geld. Sie werden dich den Hexen ausliefern.«

»Was für Hexen?«, sagten Jason und ich gleichzeitig.

»Vielen Dank, Eric, dass du uns in diesen Mist reingezogen hast«, murmelte Jason unfair. »Und kannst du nicht mal mein

Handgelenk loslassen, Sook? Du bist stärker, als du aussiehst.«

Ich war stärker, als ich sein sollte, weil ich Vampirblut bekommen hatte - erst vor kurzem, von Eric. Die Wirkung würde noch etwa drei Wochen andauern, vielleicht sogar länger. Das wusste ich aus Erfahrung.

Diese Extrastärke hatte ich an einem Tiefpunkt meines Lebens leider gebraucht. Und der Vampir, der jetzt in den Bademantel meines Exfreundes gehüllt dastand, hatte mir dieses Blut gegeben, als ich schwer verletzt gewesen war, aber unbedingt weitermachen musste.

»Jason«, sagte ich mit unterdrückter Stimme - als ob die Vampire mich so nicht hören könnten -, »nimm dich bitte zusammen.« Noch deutlicher konnte ich ihm nicht zu verstehen geben, dass er sich doch wenigstens einmal in seinem Leben klug verhalten sollte. Er war einfach viel zu stolz darauf, einer von den ganz wilden Kerlen zu sein.

Sehr langsam und vorsichtig, als liefe ein Löwe frei im Zimmer herum, gingen Jason und ich zu dem alten Sofa neben dem Kamin hinüber und setzten uns. Das regelte die allgemeine Spannung um ein paar Grad herunter. Eric zögerte kurz, setzte sich dann auf den Boden und lehnte sich gegen meine Beine. Pam ließ sich auf der Kante des Sessels nieder, der am nächsten beim Kamin stand, und nur Chow beschloss, ganz in Jasons Nähe stehen zu bleiben (eine Distanz, die er mit einem einzigen Satz überbrücken konnte). Die Atmosphäre war zwar keineswegs locker, hatte aber schon gewaltige Fortschritte gemacht.

»Dein Bruder muss bleiben und sich das anhören«, sagte Pam. »Ganz egal, wie sehr du auch möchtest, dass er von nichts weiß. Er muss erfahren, warum er sich dieses Geld lieber nicht verdienen sollte.«

Jason und ich nickten sofort. Ich war wohl kaum in der Lage, sie einfach vor die Tür zu setzen. Das heißt ... klar konnte ich das! Ich konnte ihnen sagen, dass ich die Erlaubnis, mein Haus zu betreten, widerrief, und zisch, schon würden sie rückwärts durch die Tür verschwinden. Ich merkte, wie mir ein Lächeln auf die Lippen trat. So eine Erlaubnis zu widerrufen war eine äußerst befriedigende Sache. Einmal hatte ich es schon getan. Ich hatte sowohl Bill als auch Eric aus meinem Wohnzimmer hinausgezoomt; und das war ein so verdammt gutes Gefühl gewesen, dass ich die Erlaubnis für alle Vampire, die ich kannte, gleich mit widerrufen hatte. Mein Lächeln erlosch, als ich etwas genauer darüber nachdachte.

Wenn ich diesem Impuls nachgab, musste ich für den Rest meines Lebens jede Nacht zu Hause bleiben, weil sie am nächsten Tag bei Einbruch der Dunkelheit wiederkommen würden und den Tag danach und so weiter, bis sie mich hatten, da ich ihren Boss hatte. Ich sah Chow finster an. Ich war drauf und dran, ihn für die ganze Situation hier verantwortlich zu machen.

»Vor einigen Nächten hörten wir im Fangtasia«, erklärte Pam, »dass eine Gruppe Hexen in Shreveport angekommen war. Eine Frau erzählte es uns, die... Absichten auf Chow hat. Sie verstand nicht, warum wir an der Information so interessiert waren.«

Das klang in meinen Ohren nicht sonderlich bedrohlich. Jason zuckte die Achseln. »Und?«, sagte er. »Mann, ihr seid alle Vampire. Was kann eine Bande schwarzgekleideter Mädels euch schon anhaben?«

»Echte Hexen können Vampiren eine ganze Menge antun«, sagte Pam mit bemerkenswerter Beherrschung. »Die >schwarzgekleideten Mädels<, von denen du redest, sind bloß Angeberinnen. Echte Hexen können Frauen oder Männer jeden Alters sein. Sie sind außerordentlich stark und sehr mächtig. Sie kontrollieren die magischen Kräfte, und unsere Existenz gründet in der Magie. Diese Gruppe hier hat anscheinend ein paar ganz besondere ...« Sie machte eine Pause, weil ihr kein passendes Wort einfiel.

»Tricks auf Lager?«, schlug Jason hilfsbereit vor.

»Fähigkeiten«, sagte sie. »Wir haben noch nicht herausgefunden, was sie so stark macht.«

»Aus welchem Grund sind sie nach Shreveport gekommen?«, fragte ich.

»Eine gute Frage«, sagte Chow anerkennend. »Eine sehr gute Frage.«

Ich runzelte die Stirn. Ich brauchte seine Anerkennung nicht.

»Sie wollten - sie wollen - Erics Geschäfte übernehmen«, sagte Pam. »Hexen sind genauso hinter dem Geld her wie alle anderen auch. Sie wollen entweder die Geschäfte übernehmen oder sich von Eric dafür bezahlen lassen, dass sie ihn in Ruhe lassen.«

»Schutzgeld.« Dies Konzept war jedem Fernsehzuschauer vertraut. »Aber wie können sie euch zu irgendwas zwingen? Ihr seid doch selbst so stark.«

»Du ahnst gar nicht, wie viele Probleme in deinen Geschäften plötzlich entstehen können, wenn Hexen ein Stück davon haben wollen. Als wir uns das erste Mal mit ihnen trafen, setzten ihre Anführer - ein Team aus Bruder und Schwester - uns das haarklein auseinander. Hallow erklärte, sie könne alle unsere Angestellten verzaubern, unsere Drinks vergiften, Stammgäste auf der Tanzfläche ausrutschen lassen, so dass sie uns verklagen, gar nicht zu reden von Schwierigkeiten mit verstopften Toiletten.« Angewidert warf Pam die Hände in die Luft. »Jede Nacht wäre wie ein Albtraum, und unsere Einnahmen würden einbrechen, vielleicht sogar bis zu dem Punkt, dass das Fangtasia völlig wertlos wird.«

Jason und ich warfen uns vorsichtige Blicke zu. Es war kein Wunder, dass Vampire sich im Bar-Geschäft betätigten - das war in der Nacht das lukrativste, und nachts waren sie eben wach. Die Vampire hatten sich alle möglichen Nachtlizenzen verschafft, etwa für Waschsalons, Restaurants, Kinos ... aber am meisten Geld war mit den Bars zu verdienen. Wenn das Fangtasia zumachte, wäre das ein schwerer Schlag für Erics finanzielle Lage.

»Und wie kam es dazu, dass Eric schließlich ohne Hemd und Schuhe nachts die Straße entlang rannte?«, fragte ich, da ich fand, wir könnten langsam mal zur Sache kommen.

Die beiden Untergebenen tauschten jede Menge Blicke. Ich sah zu Eric hinunter, der sich an meine Beine drückte. Er schien genauso interessiert an der Antwort wie wir. Mit einer Hand umfasste er ganz fest mein Fußgelenk. Ich fühlte mich wie eine große Rettungsdecke.

Chow beschloss, dass er jetzt mit Erzählen dran war. »Wir sagten ihnen, wir würden uns ihre Drohung durch den Kopf gehen lassen. Doch als wir gestern Abend zur Arbeit kamen, wartete eine der weniger hochrangigen Hexen im Fangtasia mit einem anderen Vorschlag auf uns.« Er wirkte ein wenig beklommen. »Während unseres ersten Treffens befand das Oberhaupt des Hexenzirkels, Hallow, plötzlich, dass sie Eric, äh, begehrte. So eine Verbindung wird von den Hexen gar nicht gern gesehen, wisst ihr - wir sind tot, und die Hexenkunst gilt ja als etwas so... Organisches.« Chow spuckte das Wort förmlich aus. »Die meisten Hexen würden so was wie dieser Hexenzirkel hier natürlich nie tun. Das sind Leute, die von der schieren Macht angezogen sind und mit der Religion dahinter nichts am Hut haben.«

Das klang interessant, aber ich wollte den Rest der Geschichte erfahren. Jason auch, er machte eine Handbewegung, die besagte: »Weiter.« Chow schüttelte sich leicht, als müsse er sich selbst erst von diesen Gedanken befreien, und fuhr fort. »Die Oberhexe, diese Hallow, ließ Eric durch ihre Untergebene wissen, dass sie nur auf einem Fünftel seiner Geschäfte bestehen würde statt auf der Hälfte, wenn er sieben Nächte lang zu ihrem Vergnügen bereitstünde.«

»Na, dir muss ja ein gewaltiger Ruf vorauseilen«, sagte mein Bruder zu Eric, in seiner Stimme schwang aufrichtige Ehrfurcht. Eric war nicht sehr erfolgreich bei dem Versuch, seine entzückte Miene zu unterdrücken. Es freute ihn zu hören, dass er solch ein Romeo war. Im nächsten Augenblick sah er mit leicht verändertem Ausdruck zu mir hinauf, und mich überkam ein Gefühl von entsetzlicher Unvermeidlichkeit - als würdest du beobachten, wie dein Auto bergab rollt (obwohl du schwören könntest, dass du den Hebel auf Parken gestellt hast), und du weißt, dass du es nie mehr einholen und die Handbremse ziehen kannst, wie sehr du es auch wünschen magst. Das Auto wird einen Totalschaden erleiden.

»Obwohl einige von uns meinten, es sei das Klügste, wenn er zustimmte, widersetzte sich unser Meister«, sagte Chow und warf »unserem Meister« einen nicht sehr liebevollen Blick zu. »Und unser Meister hielt es für angebracht, seine Ablehnung in solch harsche Worte zu kleiden, dass Hallow ihn verwünschte.«

Eric wirkte beschämt.

»Warum um alles auf der Welt hast du einen solchen Deal denn abgelehnt?«, fragte Jason, ehrlich verwirrt.

»Ich kann mich nicht daran erinnern«, sagte Eric und presste sich noch eine Spur dichter an meine Beine. Sehr viel mehr als eine Spur ging auch nicht, noch näher konnte er ihnen nicht kommen. Er wirkte ruhig, doch ich wusste, dass er es nicht war. Ich spürte die Anspannung seines Körpers. »Ich wusste nicht mal meinen Namen, bis diese junge Frau hier, Sookie, ihn mir nannte.«

»Und wie kommt es, dass du draußen auf dem Land warst?«

»Das weiß ich auch nicht.«

»Er verschwand einfach«, sagte Pam. »Wir saßen mit dieser jungen Hexe in unserem Büro, und Chow und ich stritten uns mit Eric über seine Ablehnung. Und dann war er nicht mehr da.«

»Klingelt's da irgendwie bei dir, Eric?«, fragte ich. Ich erwischte mich dabei, dass ich eine Hand ausstreckte, um Eric übers Haar zu streichen, wie ich es bei einem Hund getan hätte, der sich an mich schmiegte.

Der Vampir sah mich verwirrt an. Obwohl Eric mit modernen Redewendungen im Allgemeinen gut klarkam, gab es hin und wieder eine, die ihn aus der Fassung brachte.

»Weißt du noch irgendetwas von all dem?«, sagte ich etwas verständlicher. »Hast du Erinnerungen daran?«

»Ich wurde geboren in dem Augenblick, als ich in Dunkelheit und Kälte die Straße entlang rannte«, sagte er. »Bevor du mich aufgelesen hast, war ich eine leere Hülle.«

So ausgedrückt klang es wirklich schauerlich.

»Das ergibt einfach keinen Sinn«, sagte ich. »So etwas passiert doch nicht aus heiterem Himmel, so ganz ohne Vorwarnung.«

Pam sah nicht beleidigt aus, aber Chow gab sich alle Mühe.

»Ihr zwei habt irgendetwas getan, stimmt's? Ihr habt Mist gebaut. Was habt ihr getan?« Eric umschlang mit beiden Armen meine Beine, jetzt war ich an meinem Platz festgeklemmt. Ich unterdrückte eine leichte Aufwallung von Panik. Er war einfach nur verunsichert.

»Chow hat die Geduld mit der Hexe verloren«, sagte Pam nach einer bedeutsamen Pause.

Ich schloss die Augen. Selbst Jason schien zu begreifen, was Pam da gerade erzählte, weil seine Augen immer größer wurden. Eric drehte den Kopf und rieb seine Wange an meinem Oberschenkel. Ich fragte mich, was er eigentlich bei all dem dachte.

»Und in dem Moment, in dem sie angegriffen wurde, verschwand Eric?«, fragte ich.

Pam nickte.

»Sie war also mit einem Zauberspruch belegt.«

»Anscheinend«, sagte Chow. »Ich hatte von so einer Sache noch nie was gehört, man kann mich nicht dafür verantwortlich machen.« Mit seinem Blick hielt er jede Erwiderung in Schach.

Ich wandte mich zu Jason um und verdrehte die Augen. Es war nicht meine Angelegenheit, mich mit Chows Dummheiten zu befassen. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Königin von Louisiana, Erics oberste Herrin, ein paar Worte in dieser Sache an Chow richten würde, wenn sie von der Geschichte erfuhr.

Es trat ein kurzes Schweigen ein. Jason stand auf und legte noch ein Scheit Holz ins Feuer. »Ihr wart schon mal in Merlotte's Bar, oder?«, fragte er die Vampire. »Da, wo Sookie arbeitet.«

Eric zuckte die Achseln, er erinnerte sich nicht. Pam sagte: »Ich schon, aber Eric noch nicht.« Sie sah mich an, damit ich das bestätigte, und ich nickte.

»Also wird erst mal keiner Eric mit Sookie in Verbindung bringen.« Jason ließ diese Bemerkung ganz nebenbei fallen, aber er wirkte sehr zufrieden, fast selbstgefällig.

»Nein«, sagte Pam langsam. »Wahrscheinlich nicht.«

Da bahnte sich eindeutig etwas an, über das ich mir jetzt sofort Sorgen machen sollte, aber ich bekam es noch nicht so recht zu fassen.

»Dann habt ihr, was Bon Temps angeht, keine Probleme«, fuhr Jason fort. »Ich glaub' ja nicht, dass ihn gestern Nacht da draußen irgendwer gesehen hat, außer Sookie. Und ich will verdammt sein, wenn ich weiß, warum er gerade auf dieser einen bestimmten Straße gestrandet ist.«

Da hatte mein Bruder eine zweite ausgezeichnete Bemerkung gemacht. Heute Abend schienen wirklich all seine Batterien auf Hochtouren zu laufen.

»Aber viele Leute von hier fahren nach Shreveport, um in die Bar Fangtasia zu gehen. Ich war auch schon dort«, sagte Jason. Das hörte ich zum ersten Mal, und ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Er zuckte die Achseln und schien nur wenig verlegen. »Was passiert eigentlich, wenn irgendwer sich die Belohnung verdienen will? Wenn jemand die angegebene Telefonnummer anruft?«

Chow beschloss, noch mehr zum Gespräch beizutragen. »Natürlich wird der >enge Freund<, der den Hörer abnimmt, sich umgehend mit dem Informanten treffen. Wenn der den >engen Freund< davon überzeugen kann, dass er Eric wirklich gesehen hat, nachdem diese verruchte Hexe ihn verwünscht hat, werden die Hexen in einem bestimmten Gebiet zu suchen beginnen. Und sie werden ihn finden. Sie werden Kontakt mit den Hexen vor Ort aufnehmen und sie um Mithilfe bitten.«

»In Bon Temps gibt's keine Hexen«, sagte Jason, erstaunt, wie Chow überhaupt auf die Idee kommen konnte. Das war wieder ganz mein Bruder, der nur von seinen eigenen Vorstellungen ausging.

»Oh, ich würde wetten, da gibt es auch welche«, sagte ich. »Warum denn nicht? Weißt du nicht mehr, was ich zu dir gesagt habe?« Auch wenn ich an Werwölfe und Gestaltwandler gedacht hatte, als ich ihn warnte, dass es Dinge auf dieser Welt gab, von denen er sicher nichts wissen wollte.

Mein armer Bruder wurde an diesem Abend regelrecht mit Neuigkeiten zugeschüttet. »Warum denn nicht?«, wiederholte er schwach. »Wer sollte das sein?«

»Ein paar Frauen, ein paar Männer«, sagte Pam und wischte sich die Hände ab, als würde sie von einer hoch ansteckenden Krankheit sprechen. »Sie sind wie alle anderen auch, die ein geheimes Leben führen - die meisten sind sogar recht freundlich und ziemlich harmlos.« Pam klang allerdings nicht allzu überzeugt, als sie das sagte. »Aber die bösen Hexen versuchen stets die guten zu verderben.«

»Wie auch immer«, sagte Chow, der Pam nachdenklich ansah, »Bon Temps ist so ein abgelegenes Nest, da kann es durchaus nur sehr wenige Hexen geben. Sie gehören ja nicht alle einem Hexenzirkel an, und eine eigenständige Hexe zur Zusammenarbeit zu überreden, dürfte Hallow und ihren Anhängern ziemlich schwer fallen.«

»Warum können die Hexen aus Shreveport nicht einfach einen Zauber aussprechen, mit dem sie Eric finden?«, fragte ich.

»Sie können nichts von ihm finden, um ihren Zauber daran zu knüpfen«, sagte Pam. Es klang, als wüsste sie genau, wovon sie sprach. »Sie haben keinen Zugriff auf seinen Ruheort, wo sie ein Haar oder Kleidung finden könnten, die seinen Geruch tragen. Und es ist niemand in der Gegend, der Erics Blut in sich hat.«

Oh. Eric und ich tauschten einen ganz kurzen Blick. Niemand außer mir. Ich hoffte inständig, dass bis auf Eric und mich keiner davon wusste.

»Und außerdem«, sagte Chow und trat von einem Fuß auf den anderen, »bin ich der Ansicht, dass solche Dinge gar nicht für einen Zauber taugen würden - schließlich sind wir tot.«

Pams Blick klinkte sich in Chows Blick ein. Sie tauschten wieder ihre Gedanken aus, und das gefiel mir gar nicht. Eric, die Ursache des Austausches all dieser Botschaften, sah hin und her zwischen seinen beiden Vampirfreunden. Sogar für meine Augen wirkte er völlig ahnungslos.

Pam drehte sich zu mir um. »Eric sollte bleiben, wo er ist, nämlich hier. Wenn wir ihn durch die Gegend fahren, bedeutet das nur noch größere Gefahr für ihn. Solange er verschwunden bleibt und in Sicherheit ist, können wir Abwehrmaßnahmen gegen die Hexen ergreifen.«

Jetzt, da Pam es laut ausgesprochen hatte, war mir klar, warum ich mir vorhin hätte Sorgen machen sollen, als Jason so betonte, wie unwahrscheinlich es war, dass irgendjemand Eric mit mir in Verbindung bringen würde. Niemand würde glauben, dass ein Vampir von Erics Macht und Wichtigkeit vorübergehend bei einer menschlichen Kellnerin geparkt wurde.

Mein erinnerungsloser Gast sah verblüfft drein. Ich beugte mich vor, gab kurz meinem Impuls nach und strich ihm übers Haar, dann legte ich ihm die Hände über die Ohren. Er ließ das zu und legte sogar noch seine Hände über meine. Ich würde so tun, als könnte er nicht hören, was ich nun zu sagen hatte.

»Hört zu, Chow, Pam. Das ist die miserabelste Idee, die ich je gehört habe. Und ich sag' euch auch, warum.« Ich konnte die Worte kaum schnell genug, energisch genug herausbringen. »Wie soll ich ihn denn schützen? Ihr wisst doch ganz genau, wie das enden wird! Ich werde zusammengeschlagen. Oder vielleicht sogar getötet.«

Pam und Chow sahen mich beide mit absolut übereinstimmenden verständnislosen Mienen an. Hätte nur noch gefehlt, dass sie sagten: »Na und?«

»Wenn meine Schwester das tut«, sagte Jason und beachtete mich überhaupt nicht, »muss sie dafür zumindest bezahlt werden.«

Etwas legte sich über uns, was man wohl als bedeutungsschwangeres Schweigen bezeichnet. Ich starrte ihn an.

Pam und Chow nickten gleichzeitig.

»Mindestens so viel, wie der Informant kriegen würde, der diese Telefonnummer auf dem Plakat anruft«, sagte Jason. Seine hellblauen Augen wanderten von dem einen bleichen Gesicht zum anderen. »Fünfzigtausend.«

»Jason!« Ich hatte endlich meine Stimme wiedergefunden und drückte meine Hände noch fester gegen Erics Ohren. Ich fühlte mich beschämt und gedemütigt, ohne genau sagen zu können, warum eigentlich. Zum ersten Mal kümmerte mein Bruder sich so um meine Angelegenheiten, als wären es seine eigenen.

»Zehn«, sagte Chow.

»Fünfundvierzig«, entgegnete Jason.

»Zwanzig.«

»Fünfunddreißig.«

»Abgemacht.«

»Sookie, ich bring' dir meine Schrotflinte vorbei«, sagte Jason.