13.

Kurz vor sechs Uhr – ich war damit beschäftigt, meine Darstellung der Ereignisse festzuhalten – schrillten die Alarmglocken. Gleich darauf knackte es im Lautsprecher.

»Commander – NC. Wäre es Ihnen wohl möglich, einmal ins Kartenhaus zu kommen, Sir?«

Es ließ sich nicht überhören: Lieutenant Kardorff war verlegen.

Ich drückte die Taste.

»So viel ich weiß, Lieutenant, wurde das Kommando über das Schiff an Captain Miller übertragen.«

Aus dem Lautsprecher drang ein Seufzer.

»Captain Miller, Sir, läßt sich nicht blicken. Ich nehme an …«

»Ja?« Die Stimme im Lautsprecher hörte sich von Sekunde zu Sekunde kleinlauter an.

»Ich nehme an, Sir, Captain Miller schläft seinen Rausch aus. Auf jeden Fall bekomme ich ihn nicht an die Leitung.«

»Ich verstehe. Und jetzt wollen Sie, daß ich …«

»Sir, wir haben es wieder mit ZG zu tun. Ich weiß sonst nicht, was ich tun soll.«

Ich schluckte herab, was mir auf den Lippen lag, und das war eine ganze Menge.

»In Ordnung, Lieutenant. Ich bin unterwegs.«

Die Tür zu Captain Millers Kammer stand halb auf. Dahinter war kräftiges Schnarchen zu hören. Captain Miller würde mit einem gehörigen Kater erwachen und womöglich nicht einmal wissen, was sich zu nächtlicher Stunde an Bord abgespielt hatte. Gleichwohl: In dieser Nacht war er zu weit gegangen. Und damit, daß er jetzt diesen Alarmfall verschlief, sprach er sich selbst das Urteil. Auch Dr. Mildrich würde eine solche Verfehlung nicht einfach übergehen können.

Die Alarmglocken schrillten weiter, und ich konnte sehen, wie zwei verkatert wirkende Lieutenants – Minulescu und Bokwe – in halbbekleidetem Zustand zu ihren Stationen stürzten. Lieutenant Bokwe mußte an mir vorbei. Ich hielt ihn an.

»Befindet sich noch Reisschnaps an Bord?«

Lieutenant Bokwe starrte mich an wie eine Erscheinung. »Ja, Sir. Ein paar Flaschen sind übriggeblieben.«

»Sorgen Sie dafür, daß das Zeug über Bord geht.«

»Jetzt gleich, Sir?«

»Jetzt gleich. Sofort. Weg mit dem Zeug!« 

Lieutenant Bokwe schluckte.

»Aye, aye, Sir. Übrigens, was vorhin gewesen ist …«

Ich scheuchte ihn los.

»Tun Sie, was ich gesagt habe!«

Vom Lärm der Alarmglocken aus dem Schlaf gerissen, tauchte mit verstörten Augen Tschang Li vor mir auf.

»Commandel Blandis …«

Ich strich ihr über das Haar und schob sie in die Gerätekammer zurück.

»Schlaf weiter und hab keine Angst!«

Lieutenant Kardorff saß mit offenem Hemdkragen unrasiert hinter dem Bordcomputer.

»Gut, daß Sie da sind, Sir«, empfing er mich. »Also, mir hat die Sache dann doch keine Ruhe gelassen, und ich habe mir noch einmal das Etmal vorgenommen …« Er riß den Streifen mit den ausgedruckten Daten ab und schob ihn mir zu.

»Und?«

Lieutenant Kardorff machte ein betretenes Gesicht.

»Sir, Captain Miller hat mich zwar für eine Weile überzeugen können – aber jetzt ist das Etmal minus zwei negativ.«

Ich überflog die Daten. An ihnen war nicht zu rütteln. Die Explorator hatte aufgehört, Fahrt voraus zu machen. Mit zwei Prozent ihrer als Durchschnitt angenommenen Reisegeschwindigkeit bewegte sie sich rückwärts. Was ich befürchtet hatte, war eingetreten.

Nie auf meinen unzähligen Reisen hatte ich es mit einer vergleichbaren Situation gehabt – und kaum je mit einer, die an Gefahr mit dieser gleichzusetzen war. Diesmal konnte es keinen Zweifel mehr geben. Aus der Annahme war Gewißheit geworden. Die Messung war korrekt durchgeführt, und die ausgedruckten Daten waren unumstößlich.

»ZG, Sir!« sagte Lieutenant Kardorff kleinlaut. »Sie hatten recht. Wenn Sie meine Entschuldigung annehmen wollen …«

Darauf, ob ich seine Entschuldigung annahm oder nicht, kam es längst nicht mehr an. Beim ersten ZG-Verdacht, als ich mich veranlaßt gesehen hatte, die Explorator auf Andromeda-Kurs zu legen, hatten wir uns noch an der Peripherie befunden: mit nicht einmal drei Grad Abdrift. Diesmal befanden wir uns bereits mitten im Strudel: mit plus zwei über den Achtersteven. Die Geschwindigkeit würde sich steigern. Sie würde sich so lange steigern, bis die Explorator irgendwann im Verlauf der nächsten drei, vier, fünf Tage eintauchen würde in die Zone des Unsichtbaren, um dann, zu einem Staubkorn zusammengepreßt, auf der Oberfläche des Schwarzen Lochs zu zerschellen. Dies und nichts anderes war auch das Schicksal der Uranus-Sonde gewesen.

Ich sei kein Anfänger, hatte Harris gesagt, aber zugleich hatte er mir Captain Miller mit auf die Reise gegeben: Und das, was jetzt geschah, war dafür die Quittung.

Mit dem Versuch, die Explorator noch einmal auf anderen Kurs zu legen, war nichts mehr zu gewinnen. Die Kraft, die auf das Schiff einwirkte, war zu gewaltig.

Lieutenant Kardorff hatte mir die Hand entgegengestreckt. Nun zog er sie zurück. Seine Selbstvorwürfe mochten warten.

»Quelle?«

Die Karte war bereits eingeblendet. Lieutenant Kardorff setzte den Leuchtstift an.

»Etwa hier, Sir.«

Das Feld, das er umriß, war diesmal nur in seiner Ausdehnung ungenau. Das Zentrum der Quelle lag, schräg versetzt zur Schiffsachse, irgendwo achteraus.

Meine Gedanken arbeiteten.

Drei Dinge mußten geschehen.

Ich mußte den neuen Vertikalkurs abstecken. Ich mußte, falls das noch möglich war, die Explorator auf den abgesteckten Vertikalkurs legen. Und ich mußte sie auf diesem Kurs mit Volldampf voraus aus dem Strudel ziehen, solange das Triebwerk noch in der Lage war, mit seinem Schub die Abdrift auszugleichen.

Der neue Vertikalkurs zielt auf das Sternbild des Phönix.

Ich überließ es Lieutenant Kardorff, die genauen Koordinaten zu ermitteln, und rannte los, um das VKS abzuschalten. Ich zwängte mich in den Sitz, ließ die Gurte einrasten, zog das Handruder an mich heran und drückte Alle Stationen. Die Alarmglocken verstummten.

Bei dem, was ich zu sagen hatte, nahm ich kein Blatt vor den Mund.

»Achtung«, sagte ich, »hier spricht der Commander. Wir befinden uns in einer Situation mit negativem Etmal. Ein ZG-Fall. Das heißt: Die Explorator befindet sich im Gravitationsbereich eines Schwarzen Lochs und macht Fahrt plus zwo über den Achtersteven. Ich werde jetzt versuchen, sie aus dem Strudel zu ziehen. Die Klarschiffmeldungen!«

Lieutenant Kardorff meldete sich auf Anhieb.

»NC ist klar, Sir. Wir sind jetzt bei minus zwokommafünf negativ.«

»Roger, NC. Halten Sie mich unaufgefordert auf dem laufenden. Wo zum Teufel sind die Phönix-Koordinaten?«

»Sind schon bei Ihnen auf der Brücke, Sir.«

Lieutenant Kardorff hatte recht. Auf dem Bildschirm des Kursgebers waren die Vertikalwerte bereits eingespeist. Es war mir entgangen.

Lieutenant Bokwe meldete sich. »FK ist klar, Sir.«

»Roger, FK«, sagte ich. »Sie springen ein für Lieutenant Wagner.«

Der Lautsprecher knackte erneut.

»Maschine ist klar, Sir«, sagte Lieutenant Minulescu. 

Ich drückte die Taste.

»Frage, TÜ: Ist die Maschine noch immer auf BMS geschaltet? »

»Jawohl, Sir.«

»Schalten Sie das BMS ab!«

»Sir, wenn das BMS nicht gleich seinen erforderlichen Energiestoß bekommt …«

Was Lieutenant Bokwe gegen meine Anordnung einwendete, mochte aus seiner Sicht berechtigt sein – aber darauf kam es nicht an. Ich benötigte die ungeschmälerte Triebwerksleistung.

»Schalten Sie es ab!« wiederholte ich. »Schalten Sie alles ab, was sonst noch am Triebwerk hängt!«

Die Bestätigung traf ein: »Aye, aye, Sir. Ich schalte alles ab.«

Auf einmal griffen die Zahnräder reibungslos ineinander. Ich war der Commander, und das Schiff, von plötzlicher Ernüchterung überfallen, gehorchte. Die Männer waren erfahren genug, um zu begreifen, was auf dem Spiel stand. Nur Captain Miller, der seinen Rausch ausschlief, würde an diesen seinen Geburtstag noch lange zurückdenken: wenn dazu Gelegenheit blieb.

Das Triebwerk arbeitete. Ich erhöhte den Schub und entsicherte das Handruder. Es war, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ein zäher, verbissener Kampf mit dem unsichtbaren Gegner entspann sich, bis ich, mit wechselnden Schüben, das Schiff so weit hatte, daß auf dem Kursweiser der Vertikalkurs einwanderte.

Kurs Phönix. Der Vogel, der sich mit heilem Gefieder aus der eigenen Asche erhebt. Es hörte sich an wie ein Versprechen.

Die Hand, mit der ich die TÜ-Taste drückte, war verkrampft und schmerzte.

»Ich brauche gleich a.K. – und noch einiges mehr!« 

Lieutenant Minulescu erhob keinen Einspruch.

»Roger, Brücke. Sie bekommen, was Sie brauchen.«

Der Kurs war eingesteuert – und nun mußte es sich zeigen.

Nun mußte es sich zeigen, ob wir noch einmal davonkamen oder zu einem Fall wurden für die Vermißtenkartei. Mit einem Stoßgebet gab ich Schub. Ich gab Schub genug, um die Abdrift wettzumachen.

Das Triebwerk röhrte zum Gotterbarmen, und die Explorator zitterte und vibrierte in allen ihren Verbänden. »NC – was ist los?«

Das Vibrieren übertrug sich auf das Steuer und von dort auf meine Handgelenke. Es übertrug sich bis in die verspannten Schultern.

Der Lautsprecher knackte.

»Plus zwokommafünf minus – immer noch, Sir.«

Zu viel Zeit war verstrichen. Die unsichtbare Kraft, die das Schiff in den Strudel zwang, war stärker geworden. Sie wog auf, was ich ihr an Schub entgegensetzte. Das Triebwerk röhrte, das Schiff dröhnte und vibrierte, aber wir standen nicht einmal auf der Stelle – von Fahrt voraus gar nicht zu reden –, sondern drifteten nach wie vor über den Achtersteven.

»Roger, NC.«

Ich ließ das Steuer los und drückte den Geber nach vorn, bis er, bevor er in das rote Feld geriet, selbsttätig einrastete.

Das Röhren schwoll an. Das Schiff schüttelte sich. Durch die Verbände lief ein lautes Stöhnen. Das Material war bis auf das Äußerste beansprucht.

Der TÜ meldete sich.

»Maschine. Sir, wir fangen an, heißzulaufen.«

Das konnte nicht ausbleiben. Das Triebwerk glich einem Hund, der an der Leine zerrt, bis er sich schließlich selbst stranguliert. Oder bis die Leine reißt.

»Roger, TÜ. Kümmern sie sich nicht darum.« 

Das NC meldete sich.

»Kartenhaus. Plus nullkommafünf minus, Sir.«

»Roger, NC.«

Um anderthalb Punkte hatte die Explorator aufgeholt – aber immer noch nicht genug, um mit der Kraft, die sie gepackt hielt und zu verschlingen trachtete, fertig zu werden. Nach wie vor, wenn auch merklich verlangsamt, ging die Fahrt achteraus.

Mehr durfte ich dem Schiff nicht zumuten. Der rote Triebwerksbereich war einzig und allein für den Alarmfall im gravitationsfreien Raum gedacht – und auch dann nur für eine allenfalls kurzfristige Inbetriebnahme. Ich wischte mir den Schweiß aus den Augen und drückte den Hebel in das rote Feld.

Das Stöhnen in den Verbänden ging über in einen hohen, sirrenden Ton. Es hörte sich an wie das Klagelied einer verstimmten Geige. Irgendwo knallten die ersten Nieten – mit dem Geräusch eines vorsintflutlichen Maschinengewehres.

Der Lautsprecher brüllte: »Maschine. Sir, der Hauptsteuermodul qualmt.«

Natürlich qualmte er. Allmählich ging das ganze Schiff zu Bruch.

»Geben Sie Preßluft darauf!«

Lieutenant Minulescu zögerte. Worauf zum Teufel wartete er? Endlich bestätigte er: »Preßluft läuft, Sir. Aber das Überhitzen geht weiter.«

»Kümmern Sie sich nicht darum!«

Wer in das Schwarze Loch einfuhr, dem mochte es egal sein, wie heiß oder wie kühl sein Triebwerk war. Noch waren wir aus dem Strudel nicht heraus.

Die Explorator stieß und holperte. Meine Hände schmerzten. Meine Schultern schmerzten. Ich schwitzte. Meine Augen brannten und tränten. Das BMS war außer Betrieb. In die verbrauchte Luft mischte sich der scharfe, heizende Geruch giftiger Gase und die Hitze, die aus dem Triebwerksschacht stieg. Ein Wunder, daß Lieutenant Minulescu es darin noch aushielt.

Der Lautsprecher knackte.

»NC. Fahrt voraus, Sir. Minus neunundneunzig positiv.«

»Roger, NC.«

Um endgültig aufzuatmen, war es zu früh. Das Rennen war noch nicht gewonnen. Langsam, schwerfällig, widerwillig begann das Schiff wieder Fahrt aufzunehmen – Fahrt voraus: vorankatapultiert durch die Schubleistung eines Triebwerkes, das vor dem Zusammenbruch stand. Ein Prozent Leistung – das war noch nicht der Sieg. Beim ersten Atemholen, das ich dem Triebwerk gönnte, würde das Schiff unweigerlich in den Strudel zurückfallen. Fahrt positiv minus 99: Das bedeutete, daß wir immer noch auf der Nullmarke herumritten.

Der Lautsprecher knackte.

»Maschine. Sir, die Pulsanten sind jetzt weißglühend.«

Mochten sie glühen. Solange sie arbeiteten, kamen wir voran.

»Roger, TÜ.«

Die Explorator zerrte am Ruder. Im Bestreben, sie auf Kurs zu halten, stemmte ich die Füße gegen das Pult.

Verdammte Situation! Als ich die Wache an Captain Miller abgetreten hatte, war das Schiff so gut wie außer Gefahr gewesen: auf sicherem Kurs zu den Andromedanebeln. Ich hatte gewußt, was ich tat. Und deshalb trug ich über den vier goldenen Streifen am Ärmel den Stern. Die Luft war kaum noch zu atmen.

Gase. Hitze. Rote und grüne Nebel. Gestank. Das Röhren des Triebwerkes. Und dazu dieser hohe, widerliche Geigenton.

Und nun auch die Sirene. Das FDS – Fire Detectiv System – schlug an. Die Sirene hatte mir noch gefehlt. Sie machte mich taub.

Der Lautsprecher knackte.

»NC. Fahrt positiv minus zweiundachtzig, Sir.«

»Roger, NC.«

Wir kamen voran. Langsam, aber stetig kamen wir voran. Die Fahrt voraus wurde schneller. Erneut hatten wir um siebzehn Punkte aufgeholt.

Ich drückte die FK-Taste.

»Brücke. Kümmern Sie sich um den FDS-Alarm. Es könnte sein, daß Lieutenant Minulescu Hilfe benötigt.«

»Aye, aye, Sir.« 

Kein Widerspruch, keine Einwände, keine Fragen. Zu Harris hatte ich gesagt: Dieser Crew müsse man zeigen, wo es lang ging. Nun, jetzt bekam sie es gezeigt. Auf dem Vertikalkurs ging es lang – buchstäblich um Kopf und Kragen.

Der Lautsprecher knackte.

»Kartenhaus. Fahrt positiv minus dreiundsechzig, Sir.«

»Roger, NC.«

Die Explorator war am Beschleunigen und mithin aus dem Gröbsten heraus – aber erst als mir Lieutenant Kardorff das Überschreiten der Positivmarke minus 50 gemeldet hatte, wagte ich es, den Geber aus dem roten Feld zu ziehen. Das Röhren wurde schwächer, das Stöhnen in den Verbänden hörte auf. Ich drückte die NC-Taste. »Brücke. Frage: Fahrt?«

Zehn Sekunden später war ich im Besitz der Antwort, die Erlösung bedeutete: »Kartenhaus. Fahrt positiv minus einundvierzig.« Lieutenant Kardorff machte eine Pause und setzte hinzu: »Beschleunigung immer noch zunehmend. Sir, wir haben's geschafft!«

Wir hatten es geschafft, in der Tat. Buchstäblich im letzten Augenblick hatten wir es geschafft, das drohende Verhängnis abzuwenden – jenes Verhängnis, das einen mit Verschollen überschriebenen Aktenordner gefüllt hätte. Die Explorator fuhr fort zu beschleunigen; ihre Geschwindigkeit näherte sich mehr und mehr der eines normalen Fluges durch den leeren Raum. Wir waren aus dem tödlichen Strudel heraus.

Wir hatten es auch deshalb geschafft, weil Lieutenant Kardorff dann doch noch eine zusätzliche Messung vorgenommen hatte, statt wie die anderen nach der durchzechten Nacht zu Bett zu geben im blinden Vertrauen auf das reibungslose Funktionieren der Automatik. Er verdiente, daß dies nicht vergessen wurde.

Bei minus null rief ich das TÜ und ließ das BMS wieder zuschalten. Ein minutenlanger Energiestoß reichte aus, um die Luft wieder zum Zirkulieren zu bringen. Die Absauger traten in Aktion und pumpten die verbrauchte Luft samt der darin enthaltenen Gase und Rauchschwaden hinaus ins Freie.

Das Triebwerk abzuschalten wagte ich erst, als nach erfolgter Auskuppelung die Messung ergab, daß die Explorator fortfuhr, den Phönixkurs mit unverminderter Geschwindigkeit zu halten. Wir waren noch einmal davongekommen – aber noch stand es nicht fest, um welchen Preis.

Ich schaltete die Automatik ein und drückte das Handruder zurück in die Ruhestellung; erschöpft und ausgelaugt wie nach einem Boxkampf über fünfzehn Runden. Aufatmend wischte ich mir den Schweiß aus dem Gesicht.

Inzwischen war auch die Feuersirene verstummt – ein Zeichen dafür, daß die Lage im Maschinenraum unter Kontrolle war.

Ich rief den TÜ.

»Brücke. Die Schadensmeldungen!«

Lieutenant Minulescu meldete sich mit heiserer Stimme.

»Maschine. Sir, wir sind noch am Ermitteln. Auf jeden Fall ist der Hauptsteuermodul so ziemlich durchgeschmort.«

Nach dem, wie ich das Triebwerk beansprucht hatte, war damit zu rechnen gewesen; und dennoch war es eine Hiobsbotschaft.

Der Preis für unser Davonkommen war ein lädiertes Schiff. Über den Hauptsteuermodul liefen alle für den Maschinenraum maßgebenden elektronischen Impulse.

Die Situation, in der wir uns befanden, unterschied sich kaum wesentlich von der der Han Wu Ti. Früher oder später mußte die Explorator den Phönixkurs wieder verlassen, bevor sie, dem Gesetz der Trägheit der Massen folgend, hinausgetragen wurde in das unendliche Nichts. Jedoch um den Kurs zu ändern, bedurfte ich des Triebwerkes, und um das Triebwerk zu zünden, bedurfte ich eines funktionsfähigen Hauptsteuermoduls.

Das war das eine Problem.

Das andere Problem hing damit zusammen.

Selbst wenn es mir gelang, die Explorator auf Erdkurs zu legen, indem ich den lädierten Hauptsteuermodul noch einmal überlistete, war nichts gewonnen. Die Erde erschien plötzlich so unerreichbar wie die fernste Galaxis. Um zu ihr heimzukehren, benötigten wir Luft – und das verdammte BMS war abhängig vom regelmäßigen Anspringen des Triebwerkes. Ohne BMS keine Luft zum Atmen. Die Rechnung war von brutaler Einfachheit.

Ich drückte die Taste.

»Roger, TÜ. Frage: Würden Sie sagen, daß der Hauptsteuermodul noch ein paarmal standhält, Lieutenant?«

Lieutenant Minulescu nahm kein Blatt vor den Mund. 

»Ein paarmal bestimmt nicht, Sir. Ich würde sagen: Noch einmal zünden – danach ist der Ofen endgültig aus. Spätestens jedoch nach dem zweiten Start.«

»Roger, TÜ. Frage: Können Sie den Schaden beheben?«

Er konnte es nicht; ich wußte es bereits; und er bestätigte das.

»Leider nicht, Sir. Wir würden einen neuen Modul benötigen. Und der ist nicht greifbar.«

Er war nicht greifbar, weil er nicht auf der von Commander Busch abgezeichneten Ersatzteilliste stand. Unterwegs hatte ich mir die Liste vorgenommen, und bei der Gelegenheit war mir dieser fehlende Posten aufgefallen. Ich warf die Gurte ab, stand auf und stellte mich vor die Scheibe.

Goldgesprenkelter schwarzer Samt: leerer Raum. Vor dem Bug, Lichtjahre weit entfernt, das Sternbild des Phönix. Und mitten in diesem Nichts, als fünftes Rad am Großen Wagen, die Explorator.