3.

Auf dem VEGA-Flugdeck, wo mich der Helikopter absetzte, stieß ich auf Commander Busch, der gerade aus dem Aufzug stieg, um sich zu seiner geparkten Tigretta zu begeben. Busch war in meinem Alter, ein verdienter VEGA-Pilot mit mannigfaltigen Erfahrungen, der es doch nie geschafft hatte, zu den wirklich bedeutsamen Aufgaben herangezogen zu werden. 

Seit einem Jahr führte er das Kommando über die Explorator, ein Expeditionsschiff kleineren Zuschnitts, ohne je weiter damit vorgestoßen zu sein als bis zur Venus: und auch dies nur, um vorrangig die auf der Explorator erstmalig eingeführte BMS-Anlage zu testen. Falls sich diese bewährte, sollten in absehbarer Zeit alle VEGA-Schiffe, vor allem aber die Kampfschiffe der Strategischen Raumflotte, mit diesen transportablen Ozonerien ausgerüstet werden, in denen die natürliche Fotosynthese durch einen biomechanischen Prozeß nachgeahmt wurde. Der Vorteil der BMS-Anlage lag auf der Hand. Durch das Einsparen tonnenschwerer Preßluftsysteme und Luftaufbereitungsanlagen konnte das Gewicht der Schiffe erheblich herabgesetzt werden, vor allem jedoch wurde ihr Aktionsradius praktisch ins Unbegrenzte ausgedehnt. Der Umstand freilich, daß Busch nach wie vor mit dem BMS experimentierte, ließ darauf schließen, daß John Harris als der verantwortliche VEGA-Direktor immer noch Gründe fand, um der Anlage das Serienzertifikat zu verweigern.

Busch war stehengeblieben, um mir die Hand zu reichen.

»Gerade habe ich mit dem Alten über Ihren Unfall gesprochen, Brandis. Scheußliche Sache. Die VEGA wird für den Schaden wohl aufkommen müssen, auch wenn Sie keine Schuld trifft. Von diesen Gelben ist ja nichts zu holen. Wie geht's Ihrer Frau?«

»Sie wird davonkommen.«

»Na, großartig.« Buschs Miene drückte aus, daß er sich um etwas betrogen fühlte. Seitdem sein einziger Sohn als Patrouillenflieger der Strategischen Raumflotte bei einem nie ganz geklärten Zusammenstoß mit einer VOR-Streife ums Leben gekommen war, machte Busch kein Hehl daraus, daß er den Vereinigten Orientalischen Republiken stets nur das Schlechteste wünschte. Bisher waren alle seine Versuche, mich zu seinem Gesinnungsgenossen zu machen, fehlgeschlagen. Ruths Tod hätte eine Handhabe sein können. »Wissen Sie, was ich jetzt tun würde, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Brandis?«

Ich nahm ihm den Wind aus den Segeln.

»Busch, Ruth ist über den Berg. Und im übrigen war es ein Unfall. Kein Mensch hat ihn absichtlich herbeigeführt.«

Busch musterte mich aus kalten Augen.

»Trotzdem, es geht darum, ein Exempel zu statuieren. Als Commander March, wie Sie wissen, auf dem Territorium der VOR eine Notlandung baute und dabei eine Scheune beschädigte – nur eine Scheune! –, schickten die Chinesen ihn für volle fünf Jahre zum Steineklopfen. Also, nur kein falsches Mitleid mit diesem Sampan-Piloten!«

»Wo ist der Mann jetzt?«

»Immer noch im Büro der Sicherheit. Hat angeblich so etwas wie einen Schock.« Buschs Stimme drückte Verachtung aus. »Ein Arzt mußte kommen.«

An Busch vorüber zwängte ich mich in den Aufzug.

Seitdem ich wußte, daß Ruth am Leben bleiben würde, war mein Groll gegen den VOR-Piloten wie weggewischt. Er hatte einen Unfall gebaut – daran war nicht zu rütteln; aber der Himmel war allen Beteiligten gnädig gewesen. Mit Buschs privatem Rachefeldzug hatte ich nichts im Sinn.

Henry Jackson, der Sicherheitsbeauftragte der VEGA, empfing mich mit einem knappen Händedruck.

»Alles in Ordnung, Commander?«

»Alles in Ordnung.«

»Und Ihre Frau?«

»Befindet sich auf dem Weg der Besserung.«

»Freut mich.« Jackson atmete auf. »Wollen Sie den Schuldigen sehen?« Jacksons Daumen wies auf eine gepolsterte Tür. »Im Augenblick freilich ist mit ihm nicht gerade viel los. Immerhin – so viel haben wir aus ihm herausbekommen: Er wähnte sich durch den Tower zur Landung freigegeben.«

»Wie das?«

»Verständigungsprobleme. Als Berger Ihre Diana zum Start freigab, fühlte sich der Unglücksrabe angesprochen und beeilte sich runterzukommen. Dabei hat's dann gekracht. Sie können ja mal einen Blick auf ihn werfen.« Jackson entriegelte eine Fensterklappe.

Der VOR-Pilot, der im Vernehmungszimmer apathisch auf der Pritsche lag, hätte den Jahren nach mein Sohn sein können: ein junges, glattes Gesicht.

»Er nimmt sich die Sache verdammt zu Herzen«, sagte Jackson und ließ die Klappe wieder einrasten.

»Wenn Sie nichts dagegen haben, Commander, würden wir den Zwischenfall auf sich beruhen lassen. Sie verstehen, was ich meine?«

Ich war überrascht. Der Sicherheitsbeauftragte der VEGA war ein hartgesottener Mann, der im allgemeinen kein Auge zudrückte.

»Wieso das? Sind Ihnen plötzlich Engelsflügel gewachsen?«

Jackson reagierte mit einer verärgerten Bewegung.

»Höhere Weisung, Commander«, erwiderte er. »Allerdings, wenn Sie auf einer offiziellen Untersuchung bestehen …«

»Ich werde darüber nachdenken.«

»Tun Sie das, Sir.« Jacksons Daumen zielte aufwärts. »Der Alte hat schon nach Ihnen gefragt. Sobald ich Ihrer habhaft werde, sagt er, soll ich Sie zu ihm hochjagen, unverzüglich. Er sagt, Sie sollen sich durch das Rotlicht nicht abschrecken lassen.«

Ich warf einen Blick in den Spiegel. Im Krankenhaus hatte ich mir zumindest den Ruß aus dem Gesicht gewaschen, aber das, was ich am Leibe hatte, sah schlimm aus. Ich war noch nicht dazu gekommen, mich umzuziehen.

»Es ist dringend«, sagte Jackson. »Die ganze Meute ist oben versammelt. Und Modefragen stehen kaum zur Debatte.«

Ein direkter Aufzug brachte mich nach oben. In der Direktionsetage herrschte die übliche feierliche Ruhe. Über der Tür zum Konferenzsaal leuchtete die rote Lampe mit der Aufschrift NICHT STÖREN. Davor drängelte sich ein halbes hundert Reporter.

Mein Erscheinen brachte die Schar in Bewegung. Ein Dutzend TV-Kameras war plötzlich auf mich gerichtet.

»Commander Brandis, wie geht es Ihrer Frau?«

»Es geht ihr, den Umständen entsprechend, gut.«

»Haben Sie schon eine Ahnung, was man von Ihnen will?«

»Nicht die geringste.«

»Trifft es zu, daß Sie die Bergung der Han Wu Ti leiten werden?«

»Von einer solchen Aufgabe ist mir nichts bekannt.«

»Sind Sie überhaupt der Ansicht, daß wir in dieser Sache aktiv werden sollen? Immerhin sind die VORs nicht gerade unsere Freunde.«

»Bitte, meine Damen und Herren, ich weiß ja noch nicht einmal, worum es geht. Im übrigen befinde ich mich im Urlaub und stehe nicht zur Verfügung.«

»Wie lange würden Sie im Ernstfall benötigen, um Ihre Kronos startklar zu haben?«

»Die Kronos wird, wie Sie vielleicht wissen, zur Zeit generalüberholt.

Ich war hindurch, bekam die Klinke zu fassen und drückte sie nieder, ohne anzuklopfen. Danach mußte ich mich mit aller Kraft gegen die Tür stemmen, um sie gegen den Druck meiner Verfolger wieder zu schließen.

Nur wenige Gesichter der im Konferenzsaal Versammelten waren mir bekannt. Da war John Harris, den man den Alten nannte; da war der VOR-Botschafter Sen Sung Yang; und da war der bebrillte Staatssekretär Dr. Mildrich vom Auswärtigen Amt.

Bei der gesondert sitzenden Gruppe mußte es sich um die angereiste Delegation aus Peking handeln. Auch eine Frau war darunter. Ihr auf mich gerichteter Blick enthielt – ohne daß ich begriff: weshalb und warum – eine flehentliche Bitte.

Harris stand auf und kam mir entgegen. Der grauhaarige, einarmige Held des Bürgerkrieges, der im Anschluß daran, bis zu seinem freiwilligen Verzicht, das Amt des Präsidenten der EAAU bekleidet hatte, wirkte bedrückt. 

»Ich wollte Sie nicht aus der Klinik zerren, Brandis«, sagte er. »Aber nun, da Sie da sind, sollten wir zur Sache kommen. Wie geht es Ruth?«

»Sie ist gerade noch einmal davongekommen, Sir.« Harris legte seinen Arm um meine Schulter.

»Wir alle haben mit Ihnen gebangt, Brandis. Seine Exzellenz, der Botschafter der Vereinigten Orientalischen Republiken, Sen Sung Yang, legt Wert darauf, Ihnen sein Bedauern über den Zwischenfall persönlich auszusprechen.«

Der VOR-Botschafter stand auf.

»Es beruhigt mich unendlich, Commander«, sprach er mich in gepflegtem Metro an, »zu hören, daß es Ihrer Frau Gemahlin bereits besser geht. Uns alle hat dieser entsetzliche Unfall tief betroffen – und ich kann nur hoffen, daß Sie ihm keine politische Dimension bemessen. Im Namen der Vereinigten Orientalischen Republiken bitte ich Sie darum, meine Entschuldigung anzunehmen.«

In der Hochstimmung, in der ich mich befand, seitdem ich wußte, daß Ruth außer Gefahr war, wäre ich bereit gewesen, alle Entschuldigungen dieser Welt anzunehmen.

»Ich bin dafür, Exzellenz«, erwiderte ich, »daß wir diesen Zwischenfall vergessen.«

Es entging mir nicht, daß Dr. Mildrich daraufhin ein säuerliches Gesicht machte, während der VOR-Botschafter hingegen hörbar aufatmete.

Harris drängte mich auf den freigehaltenen Platz zu seiner Linken hin.

»Ich habe allen Anwesenden bereits mitgeteilt, Commander«, sagte er, »daß Sie sich im Urlaub befinden. Dennoch kann ich mir vorstellen, daß Sie uns ein paar Minuten von Ihrer Zeit schenken. Wir haben da nämlich ein gewisses Problem …«