Angewohnheiten

Heute ist mir im Rewe an der Kasse der Kragen geplatzt.

Ich habe die Kassiererin angekeift. Irgendwie war dann plötzlich alles ganz leise und alle haben mich angestarrt. Ich glaube, demnächst muss ich beim Plus einkaufen, zum Rewe geh ich jetzt nicht mehr.

Das kam so:

Erst war ich bei Eva Hansmeier im Lottoladen und habe meine Rubbellose gekauft. Das mache ich jeden Freitag, das ist traditionell mein Einstieg ins Wochenende. Hab ich mir so angewöhnt, seit ich alleine lebe. Fünf Rubbellose, und die rubbel ich immer mit demselben alten Markstück auf.

Ich hatte meine Frauenzeitschrift, die Fernsehzeitung für diese Woche und die Rubbellose bezahlt, ging zur Tür und Eva Hansmeier krähte hinter mir her:

„Schön‘ Tach noch!“

Da hab ich noch: „Danke gleichfalls.“ gesagt.

Danach war ich beim Bäcker. Jede Woche, wenn ich aus Hansmeiers Lottoladen komme, hole ich mein Sechskornbrot ab, die legen das bei Bäcker Klimke schon immer für mich zurück. Ich nahm noch eine Rosinenschnecke mit, zahlte und drehte mich zur Tür, als Frau Klimke rief: „Tschüss, schön‘ Tach noch!“

Da hab ich „Auch so!“ gesagt.

Bei Schlachter Sulzbacher hab ich mein Viertel gemischten Aufschnitt gekauft, das reicht immer bis Mittwochs, dann noch zwei Bratwürstchen und für Sonntag ein schönes Kasslerkotelett, gehe raus, ruft Frau Sulzbacher: „Schön‘ Tach noch!“

Dann musste ich zur Reinigung, der schwarze Blazer war fertig, was höre ich beim Rausgehen?

„Schön‘ Tach noch!“

Zuletzt ging ich zum Rewe. Ich kaufe mir Freitags immer zwei Piccolöchen und einmal im Monat eine Flasche Baileys und zum Naschen beim Fernsehen ein paar Erfrischungsstäbchen und Ültjekerne, und an der Kasse sagt Fatma Hügelün: „Und zweizehn zurück, dankeschön, schön‘ Tach noch!“

Da hab ich sie angeguckt und gekeift: „Wissen Sie eigentlich, was sie da sagen?“

Alles war still. Alles guckte.

Frau Hügelün sagte: „Hä?“

Ein Typ, der nach mir dran war, rief: „Wie können Sie die arme Frau so diskriminieren?“

Jetzt sagte ich: „Hä?“

Frau Hügelün sagte: „Ich bin in Deutschland geboren!“ Sie guckte sehr angriffslustig.

„Das ist mir doch egal, wo sie geboren sind, aber dieses dämliche ,schön Tach noch‘ geht mir auf die Nerven! Kein Mensch meint das so, das ist doch bloß eine blöde Angewohnheit.“

Frau Hügelün sagte: „Häh?“

Der Marktleiter war inzwischen dazugekommen, bohrte die Fäuste in die Taschen seines weißen Kittels, stellte sich auf Zehenspitzen und wippte und sagte mit sanfter Säuselstimme:

„Wir schulen unsere Mitarbeiter dahingehend, dass sie jedem Kunden einen schönen Tag, Nachmittag oder Abend wünschen, je nach Tageszeit. Jeden Mittwoch gibt es nach Feierabend ein Meeting, in dem das immer und immer wieder in Rollenspielen geübt wird.“

Ich nahm meine Tüten und sagte:

„Na denn: Schön‘ Tach noch!“