Wechseljahre

Die Wechseljahre habe ich unterschätzt.

Ich dachte: Wechseljahre sind ganz natürlich, die erleben alle Frauen, die erledige ich sozusagen nebenbei.

So wie Kinderkriegen: Da haben auch alle ein Riesentheater gemacht und ich hatte richtig Angst davor. Letztlich fand ich es aber sehr schön. Auch wenn‘s wirklich sehr wehtat.

Was also können Wechseljahre schon bedeuten?

Ich dachte: Irgendwann benutzt man seinen letzten Tampon, und erst wenn‘s lange vorbei ist, weiß man, wann das war.

Ich wusste: Man schwitzt manchmal und hat kein präoder postmenstruelles Syndrom mehr. Ist doch positiv, dachte ich. Ehrlich gesagt, hab ich mit Anfang vierzig sogar darauf gewartet, dass es endlich losging mit den Wechseljahren, denn ich hatte keine Lust mehr auf rote Welle.

Ich hab mir gesagt: Wechseljahre sind eben die Jahre, in denen ein Wechsel stattfindet. Ist ja nicht der erste Wechsel, den man als gestandene Frau überstehen muss. Man gewöhnt sich an die Wechsel, irgendwie sind sie doch das einzig Beständige im Leben.

Also können Wechseljahre nicht so schwer sein. Wie Pubertät rückwärts hab ich mir das vorgestellt.

Von wegen.

Pubertät war ein Kinderspiel dagegen, und nicht nur, weil man damals noch alles vor sich hatte, während man in den Wechseljahren das meiste hinter sich hat.

Vieles ändert sich nicht, zugegeben.

Die falsche Seite zum Beispiel.

Irgendwie gehörte ich immer der falschen Seite an.

In der ersten Klasse teilten sich die Gruppen in Besitzer von Schiefer- und Plastiktafeln.

In der zweiten ging‘s um stahlblaues Turnzeug gegen altmodisches schwarzes.

Dann gab es die Füllerfraktionen: Geha gegen Pelikan.

Ich hatte einen grünen Geha. Cool war aber der blaue Pelikan.

Danach waren es die Mofas der Jungs. Ein Freund mit einer gelben Kreidler war besser als einer mit blauer Hercules. So ging das immer weiter: Levis gegen Stoffhose, Parka gegen Öljacke, Mini gegen Maxi, Locken gegen Pottschnitt, Pickel gegen glatte Haut, Opel Manta gegen Ford Capri, Wolfgangsee gegen Mallorca, Mietwohnung gegen Bungalow, Kind gegen Karriere, Ehefrau gegen Geschiedene.

Immer wieder war ich zur falschen Zeit am falschen Ort. Jetzt auch.

Zwei Sorten Frauen gibt es nämlich in den Wechseljahren: die normalen und die anderen.

Ich bin eine von den normalen, und damit gehöre ich wieder zur falschen Fraktion. Weil ich, wie alle normalen Frauen, quasi über Nacht fett und faltig werde, nicht mehr schlafen kann und deswegen tagsüber genervt und müde bin.

Nicht so die anderen Frauen. Heiter, beschwingt und ausgeschlafen sind die.

Wenn du mal klagst, dass du plötzlich schwabbelige Chickenwings, Körbchengröße D und drei Kinne bekommst, sagt so eine von den anderen:

„Komisch, also damit hab ich überhaupt kein Problem!“ Und dann zeigt sie dir ihre straffen Oberarme und das durchaus konturierte Einfach-Kinn und du fühlst dich wie „Mattka vons Land“.

Dabei hat mein Frauenarzt gesagt, dass man im Schnitt ein Kilo im Jahr zunimmt, das wär ganz normal. Und dass Wechseljahre normal um die fünfzehn Jahre dauern. Na super. Fünfzehn Jahre, fünfzehn Kilo. In Fett umgerechnet sind das sechzig Pakete Butter! Wenn ich mir die auf meinen Hüften vorstelle…

Die normalen Frauen wechseln irgendwann Haarfarbe, Shampoo und den Friseur, weil ihnen plötzlich die Haare ausgehen. Horror! Wenn ich mich nicht vernünftig frisiere, gucken meine Segelohren an den Seiten raus, so dünn sind meine Haare jetzt, wie schlapper Schnittlauch. Das war früher nicht!

Jetzt weiß ich aber, warum es in meinem Alter kaum noch langhaarige Frauen gibt. Asymmetrische Kurzhaarfrisuren in Rot kaschieren das Dilemma. Irgendwann wage ich das auch.

Die anderen Frauen haben dichtes, glänzendes Haar, kein graues dazwischen, kein einziges, und sie fahren sich, wenn man mal was zu dem Thema sagt, mit einer lässigen Bewegung durchs Haar und sagen: „Ja? Ach! Also damit hab ich überhaupt keine Probleme.“

Normale Frauen haben es in den Gelenken. Das tut nicht nur weh, sondern nimmt einem auch die Möglichkeit, dicke Beine durch hohe Schuhe zu kaschieren. Jeder Zentimeter Absatz lässt einen ja eigentlich ein Kilo dünner aussehen.

Vorbei, alles vorbei.

Ich konnte früher auf zehn Zentimeter hohen Hacken arbeiten, und heute bin ich längst in Ballerinas angekommen. In Pumps krieg ich Knieschmerzen und steifen Rücken. Normal, sagt mein Frauenarzt.

Wenn ich aber als normale Frau in bequemen Boots neben einer Freundin watschele, die High Heels trägt, und wenn ich nur mal so erwähne, dass ich eigentlich auch gerne mal hohe Schuhe tragen würde, aber davon immer Rücken kriege, sagt die garantiert:

„Nee, also so was hab ich überhaupt nicht …“ und ich könnte verrückt werden, denn nicht mal seinen Schuhfetisch kann man mehr ausleben.

Von anderen Sachen ganz zu schweigen.

Ich bin jetzt schon so lange Single.

Wieder auf der falschen Seite.

In meinem Alter kann das nicht gesund sein.

Ich hatte neulich mal ein paar Wochen lang keine Ohrringe drin. Alles zugewachsen. Nach ein paar Wochen schon. Single bin ich jetzt aber schon ein paar Jahre!

Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich noch mal vor einem fremden Mann ausziehen kann. Wenn man einen Ehemann hat und mit dem zusammen alt wird, das ist eine Sache. Sich vor einem Fremden auszuziehen, wenn man nicht mehr taufrisch ist und zu den normalen Frauen gehört, ist was ganz anderes.

Das hab ich neulich mal zu Conny gesagt.

(Conny: Dünn, volles Haar, hohe Schuhe.) Und? Was hat sie geantwortet? Genau: „Komisch, damit hab ich überhaupt keine Probleme.“

Und dann erzählte Conny mir, dass sie beim Fotografen war, um Fotos von sich machen zu lassen.

„Erotische Fotos“, hat sie gesagt. Sie sagte, dass sie jetzt im Internet in einem Flirtforum angemeldet ist und dass man dort schon mal so ein Foto braucht, um die Chancen auf dem Markt zu erhöhen.

„Die Fotos, bist du darauf ganz nackt?“, habe ich sie gefragt, und sie sagte: „Nicht ganz nackt, sondern in erotischer Unterwäsche und in erotischen Posen.“

Ich hab mir das so vorgestellt: Die vertrocknete Conny, das Deckhaar wild frisiert, die Runzeln verrucht geschminkt, solarienbraun, ohne Bauch (obenrum auch platt), räkelt sich im roten Tanga mit Perlenkette im Mund auf einem Flokati. Nie im Leben würde ich so ein Tanga-Teil anziehen, bei dem nur ein Strick hinten durch die Backen geht. Wie ein Brauereipferd auf dem Schützenfest sähe ich damit aus.

Ich fand Connys Aktion pornös.

Nein, das wär alles mit Weichzeichner und Photoshop bearbeitet und sähe ganz toll aus, sagte sie.

Ich verstand das nicht.

Wenn sie mit so einem Kerl aus dem Internet in die Falle geht, gibt‘s keinen Weichzeichner und kein Photoshop, wozu soll das also gut sein, außer zur mutwilligen Vorspiegelung falscher Tatsachen?

Ich muss auch bei den Prominenten immer den Kopf schütteln, wenn sie gefragt werden, ob oder warum sie sich für den Playboy ausziehen. Die sagen fast alle:

„Ja, also wenn es ästhetische Fotos sind, hab ich damit überhaupt kein Problem …“

Wovon keine erzählt, sind die zigtausend, die sie dafür kassieren. Man munkelt von dreihunderttausend. Bei so einer Summe überlegte ich, ehrlich gesagt, auch. Aber mich fragt ja keiner.

Conny hat gesagt: „Meiner Mutter gefallen die Bilder, sie findet sie ästhetisch und erotisch, und Mutter ist über siebzig!“ Von ihrem Vater hat sie nix gesagt, der ist auch über siebzig.

Conny gehört eindeutig zu den anderen Frauen.

Beim Thema Nummer eins zum Beispiel, da fällt sie völlig aus der Rolle.

Ich hatte früher Angst vor dem Älterwerden, weil ich dachte, dass ich dann vielleicht nicht mehr attraktiv genug bin, um einen Mann zu reizen. Heute bin ich sozusagen im späten Mittel-Alter, und ich vermisse DAS gar nicht so sehr. Natürlich würde ich es machen, wenn ich einen kennenlerne, sonst bleiben die ja nicht, ist ja klar. Wenn einer sein „Handwerk“ versteht, kann ES ja durchaus Spaß machen und es entspannt die Gesichtszüge.

Die Mundwinkel vor allem.

Die Mundwinkel sind überhaupt DAS Indiz fürs Sexualleben. Ich gucke jeder Frau zuerst auf die Mundwinkel, dann weiß man ziemlich schnell, ob es eine Normale oder eine Andere ist. (Meine zeigen nur ein bisschen nach unten, wenn ich nicht dran denke.) Man muss sich unter Kontrolle haben, wenn es um diese Signale geht.

Conny hat das mit den Mundwinkeln raus: Sie lächelt immer. Das ist aber antrainiert, das ist nicht Natur.

So befriedigt, wie die manchmal guckt, kann man gar nicht sein. Ich bin sicher, die tut nur so erotisch, weil normale Frauen sich neben ihr dann erst recht alt fühlen.

Neulich hatte ich einen ganz schwachen Moment und habe vor Conny zugegeben, dass ich zwar gerne wieder einen Mann hätte, aber „dazu“ irgendwie gar nicht so die große Lust habe.

„Komisch, also damit habe ich überhaupt keine Probleme, ich könnte jeden Tag …“, krähte sie durch die Eisdiele.

Luciano, der niedliche kleine Kellner, guckte sofort sehr anzüglich. Hatte der natürlich sofort verstanden, worüber wir sprachen. Connys Mundwinkel reichten fast bis zu den Ohren.

Es ist also ungerecht: Conny geht es in allen Belangen gut und ich schwitze. Tagsüber fünfzig Mal, nachts zehn Mal. Vor jeder nächtlichen Hitzewelle werde ich wach. Dann schmeiße ich die Decke weg und mein Nachthemd direkt hinterher und liege nackig, japsend und nass geschwitzt auf meinem klammen Laken. In solchen Momenten bin ich heilfroh, dass kein Kerl neben mir schläft.

„Also damit hab ich überhaupt keine Probleme“, sagte Conny und prahlte: „Das liegt vielleicht daran, dass ich öfter Sex habe als du!“

Blöde Kuh.

Meine Omma sagte früher zu meiner Mutter, wenn die ihre fliegende Hitze kriegte: „Jede Wallung ist fünf Mark wert.“

Sie meinte damit, dass man den ganzen überflüssigen Dreck, den man im Körper hat, ausschwitzt. Ich hab schon ein kleines Vermögen verschwitzt und stelle fest, dass es mir mit dem Dreck im Körper auch nicht schlechter ging.

Aber wer weiß, was danach kommt, wenn man mit dem ganzen Kram fertig ist.

Wie machen das eigentlich Frauen, die im öffentlichen Leben stehen? Birgit Schrowange oder Angela Merkel zum Beispiel, die müssten jetzt auch in den Wechseljahren sein. Bestimmt nimmt die Kanzlerin Hormone, zur Vorbeugung. Kein Mensch könnte Politik machen und dabei plötzlich sichtbar schwitzen wie ein Preisboxer.

Ich stell mir grad vor, dass sie sich mitten im Gespräch mit Obama erst mal ein Tempo aus dem Blazerärmel holt und sich den Schweiß unter den Achseln wegwischt.

Das ist auch so ein Thema: Die Blazer von Angela Merkel. Immer hat sie dasselbe an: biedere Sakkos, weil sie um die Hüften auch fett geworden ist und das kaschieren muss, immer ein einfarbiges Shirt drunter und immer eine kurze Kette im runden Ausschnitt. Und dazu trägt sie schlichte Hosen mit eingeschweißten Bügelfalten und langweilige flache Schuhe. Kann die sich nicht mal schick machen wie Michelle Obama oder Carla Bruni oder Sylvia von Schweden?

Vielleicht geht das aber nicht, weil Frau Merkel ein Land regieren muss und die anderen regieren nur ihren Mann.

Nee, ich bin sicher, Angela Merkel nimmt Hormone. Gegen ihre Mundwinkel helfen die aber auch nicht.

Vor Hormonen hab ich Angst. Vielleicht werde ich davon noch dicker. Und ob die Nebenwirkungen bei Hormonen erträglicher sind als die Hauptwirkungen der Wechseljahre weiß ich auch nicht.

Ich hab mit Conny drüber gesprochen, weil ich ihren Rat brauchte, aber damit hat sie „…natürlich überhaupt keine Probleme.“

Freundinnen sind auch nicht mehr, was sie mal waren.

Früher, als wir jung waren, haben wir auf unsere Männer aufgepasst wie die Schießhunde. Dabei hätt ich es bei Manni ruhig lässiger angehen lassen können, denn den wollte außer mir gar keine.

Wenn eine von uns Eheprobleme hatte, haben alle anderen ihr geraten, um jeden Preis mit dem Ehemann zusammenzubleiben. Man musste gemeinsam mit allen Mitteln verhindern, dass diejenige als Single wieder auf dem Markt kam und unsere Männer wuschig machte. Das war ein stilles Abkommen unter uns Ehefrauen, an das sich alle hielten. Inzwischen sind die meisten von uns geschieden.

Und fast alle sind trotzdem ständig auf der Suche nach einem neuen Kerl.

Sagte Conny neulich zu mir: „Ich kann einfach nicht alleine leben, ich genieße das Leben viel mehr, wenn ich einen Mann an meiner Seite habe.“

Darauf konnte ich antworten: „Ja? Komisch, also damit habe ich überhaupt keine Probleme!“

Das war natürlich gelogen.