Im Schwimmbad

Wie lange war ich nicht mehr im Hallenbad?

Die Kinder waren noch klein, das muss also bald dreißig Jahre her sein. Damals trug ich noch Bikini. Daran ist heute nicht mehr zu denken.

Ich habe mir einen Badeanzug mit gefütterter Bauchpartie besorgt. Sitzt wie eine Miederhose. So schwabbelt meine Fettschürze nicht. Die gut gepolsterten Körbchen sind zweilagig, damit man nicht sieht, wenn mir kalt ist. Der tollste Trick ist aber das Muster: Der Badeanzug ist schwarz und hat in der Mitte eine weiße Partie in Form einer Eieruhr. Das mogelt optisch drei Kilo weg.

Bei der Fußpflegerin war ich auch, es gibt ja nix ekelhafteres als Hornhaut an den Hacken, die dann im Wasser aufweicht. Hoffentlich seh ich das bei keinem.

Ich guck immer auf die Füße, auch früher schon. Wenn ich früher in der Batze, so hieß das Freibad damals, einen Jungen sah, der mir gefiel, beguckte ich mir zuerst die Füße und dann die Front. Wenn einer gelbe Hacken oder dicke Fußnägel hatte, konnte er direkt weiterziehen.

Auch später waren Männer mit dezenten Pflastern um die Zehen bei mir unten durch. Von wegen „Ich hab mich gestoßen!“ Fußpilz hatten die, jede Wette.

So ein Schwimmbad ist ein richtiges Outing. Da muss man, was die Figur und den aktuellen Stand der Körperpflege angeht, Farbe bekennen.

Ich stehe zu meinem Körper.

Ich hab mich als junges Ding mal schrecklich blamiert, weil ich nicht zu meinem Köper stand.

Ich trug damals einen rotweiß karierten Bikini. Das Oberteil hatte Körbchen aus Plastik, die sahen von innen aus wie Kaffeesiebe. Ich war leider sehr flach, und die Jungs sagten über mich, ich sei ein BMW. (Brett mit Warzen) Das gefiel mir nicht und deswegen trug ich diesen Bikini. 75 B ohne Inhalt.

Eines Tages stand ich in der langen Schlange vor dem Kiosk, und vor mir wartete ein total süßer Typ. Der sah aus wie Little Joe. Ich hatte schon seine Füße gecheckt, die Badehose war modern und hatte gottseidank kein blaugraues Frei- und Fahrtenschwimmer-Abzeichen aufgenäht, und er hatte keinen einzigen Pickel auf dem Rücken.

Ich suchte grade Blickkontakt mit Little Joe, als jemand an mir vorbei rannte und mich mit dem Ellenbogen anrempelte. Er traf mich am Busen. Am nicht vorhandenen Busen. Er traf, genau gesagt, das Körbchen. Also das Kaffeesieb. Und er haute mir dabei eine ordentliche Beule in den BH!

Ich habs erst gemerkt, als Little Joe mir auf die Brust starrte und dann laut lachte. Ich sah an mir runter.

Meine linke Brust war total nach innen gewölbt. Ich wurde knallrot, Tränen der Wut stiegen in mir hoch und ich bemühte mich um ein Pokerface, als ich den BH mit dem Daumen wieder ausbeulte.

Ich bin gespannt, wer mir heute begegnet. Vielleicht treffe ich den Mann meines Lebens beim Schwimmen, wer weiß? Das soll ja immer dann passieren, wenn man gar nicht damit rechnet.

Wenn ich ihn treffe, sehe ich ihn hoffentlich auch. Das ist nämlich ein Problem, das ich noch nicht gelöst habe: Die Brille. Ich kann nicht mit Brille schwimmen und ohne Brille kann ich nix sehen. Dreikommaneun Dioptrien sind kein Pappenstiel.

Wir werden sehen.

Fünf Euro vierzig Eintritt ist nicht grade billig.

Die Umkleidekabinen sind sauber und riechen nicht. Die Wände der Kabinen haben keine Löcher.

Bei uns in der Batze gab es früher keine einzige Kabine, in der nicht irgendwo ein Guckloch in die Wand gebohrt war. Die Jungs knieten sich draußen vor der Kabinenreihe hin, sahen, wo junge Füße waren und dann flitzten sie vor die Gucklöcher und beobachteten die Mädchen beim Umziehen. Meine Freundin Walli und ich hatten später immer einen dünnen Strohhalm in der Tasche, mit dem wir in die Löcher stachen. Da hat so mancher nebenan gejault.

Hier sind die Kabinen in Ordnung.

Ich hab an alles gedacht: Badeschlappen, passend zum Badeanzug. Knallrotes Handtuch. Die Fußnägel in der Farbe des Handtuches lackiert. Das Kulturtäschchen in dezentem Schwarz.

Die Brille kommt ins Etui.

Jetzt wird‘s verschwommen.

Man muss durch die Duschen ins Schwimmbad.

Aha, das ist da vorn, wo die Milchglastüren sind.

Da duschen sich welche, ganz nackt, man kann das durch die Scheiben sehen, das mache ich aber nicht!

Ich ziehe mich nicht vor Fremden aus, das kann ich nicht ab. Großer Gott, hat die einen behaarten Hintern -HUUUCH!

„Entschuldigung!“

Das war die Männerdusche.

Wie soll man denn auch ohne Brille ein mintfarbenes Männchen auf hellblauen Fliesen vom mintfarbenem Mädchen auf hellblauen Fliesen unterscheiden.

Ich dusche mich nur so ab. Ich bin ja sauber.

Die Liege da vorn, da werde ich Stellung beziehen und mir den Betrieb angucken. Dabei kann ich die Brille noch mal aufsetzen.

Viele Badekappen auf grauem Haar. Gut, es ist zehn Uhr vormittags, da ist hier Rentnertreffen. Vielleicht ist der Abend für mich günstiger? Wenn die berufstätigen Männer hier schwimmen? Aber dann sind bestimmt auch jüngere Frauen da und ich bin wieder unsichtbar. Unter den Rentnern hier bin ich die jüngste und das sieht man auch.

Der alte Mann da drüben wirkt gutgelaunt und hat einen richtig drahtigen Körper. Blöd, dass viele Männer im Alter so dünne Beine kriegen und keinen Hintern mehr haben. Der da hat braungebrannte Lederhaut unter weißer Brustwolle. Luis Trenker in Boxershorts. Die Füße sind auch okay.

Links im Schwimmbecken haben sie die Bahnen mit rotweißen Kugelstrippen abgeteilt, das ist reserviert für Streckenschwimmer. Da werde ich gleich zwei Bahnen schwimmen. Das sind fünfzig Meter, die schaffe ich sicher, ich fange langsam an.

Luis Trenker hat das Prinzip aber nicht verstanden: Man soll hier im Rechtsverkehr im Uhrzeigersinn schwimmen. Jetzt hat er mich schon zweimal links überholt, und jedesmal hat er mich angerempelt. Ekelhaft ist das, wenn man den nackten Fuß eines fremden Mannes am Schenkel spürt. Macht hier einen auf Sportschwimmer mit seiner blöden Schwimmbrille. Sieht aus wie ne Stubenfliege. Man kann ja nicht mal was sagen, dann schluckt man Wasser.

Das Wasser riecht nicht so stark nach Chlor wie in meiner Jugend. Früher erinnerte mich der Geruch im Hallenbad immer an Gurkensalat.

Ich will gar nicht dran denken, wie viele Hautschüppchen von welchen Körperstellen hier im Wasser schwimmen.

So, zwei Bahnen, fünfzig Meter sind das, das muss reichen. Ich bin zwar noch nicht ins Schwitzen gekommen, wie man das bei richtigem Sport eigentlich sollte, aber das ist ja heute nur zum Orientieren. Kann man beim Schwimmen überhaupt schwitzen? Hitzewellen hatte ich jedenfalls hier noch keine.

Jetzt bin ich zwanzig Minuten hier, bezahlt habe ich für zweieinhalb Stunden, nach Hause kann ich also noch nicht. Ich wickele mich ins Handtuch, setze die Brille auf und gehe ein bisschen spazieren.

Gut, dass ich die Badeschlappen anhabe.

Die Badekappen spielen Wasserball. Die eine hat Haarbüschel unter den Achseln, die sehen aus wie nasses Heu.

Luis Trenker geht zum Dreimeter-Brett. Irre ich mich, oder grinst der mich an? Tatsächlich, er guckt, ob ich gucke. Nettes Lächeln. Die Zähne waren teuer, die sitzen gut und sind weder gelb noch zu groß. Die Badehose ist ein bisschen weit. Ob es in Männerbadehosen auch solche Miedereinsätze gibt wie bei meinem Badeanzug? Damit vorne nix zu sehen ist und nix schlabbert, wenn er geht? Luis Trenker steht ganz oben auf dem Dreier und macht Gymnastik. Arme hoch, Arme zurück, in die Knie, wippen, trippeln auf der Stelle. Er wiederholt die Übung. Er lächelt in meine Richtung. Ich winke ihm zu. Kann man ja mal machen, schadet ja nix. Luis lächelt wieder und macht noch mal dieselbe Übung. Ich lächele, winke und nicke mit dem Kopf. Das muss jetzt wirklich reichen, wir wollen es nicht übertreiben. Luis grinst mich wieder an, schlenkert noch mal die Extremitäten, macht noch eine Kniebeuge. Jetzt verstehe ich! Der sieht gar nicht, dass ich zurück lächle! Der ist ohne Brille.

Wenn ich es mir richtig überlege, möchte ich auch gar nicht ihm flirten. Soweit ist es nun doch nicht, dass ich einen Siebzigjährigen nehmen muss. Auch wenn er sogar in der Badebuxe charmant aussieht. Von so einem hab ich ja nix. Wenn man den gut pflegt, hält der noch fünfzehn Jahre, dann bin ich aber erst Mitte sechzig. Und dann, dann krieg ich nur noch die Scheintoten. Nein, ich werde nächstes Mal am Abend schwimmen gehen und mich nach einem knackigen Mann um die vierzig umsehen.

Ich will eine Geliebte sein und keine Altenpflegerin.