Das Date

Ich hätte die Einladung nicht annehmen sollen.

Tamara und Conny meinten zwar, ich hätte schließlich ewig darauf spekuliert, dass Hubert mich einlädt, und das stimmt auch, aber jetzt, wo er es wirklich getan hat, wird mir mulmig.

Wenn ein Mann in seinem Alter eine Frau in meinem Alter zum Essen einlädt, ist das unsittliche Angebot vorprogrammiert. Man hat mit kurz vor fünfzig nicht mehr so viel Zeit, sich neu zu orientieren, also hat man auch keine Zeit zu verlieren. Zeit ist die wichtigste Währung geworden, hätte man früher den Verstand von heute gehabt, wäre man sicher sorgsamer damit umgegangen.

Hubert ist ein sehr interessanter Typ.

Nicht schön, das ist er nicht, aber schön sind sie in dem Alter alle nicht mehr. Außer Typen wie Sean Connery und Ulrich Wickert, die entwickeln sich optisch gesehen. Otto Normalmänner nicht. Die werden schäbig, wenn sie altern. Kriegen lange Ohrläppchen, Haare in den Nasenlöchern, O-Beine und hängende Hintern.

Das muss man mögen.

Aber wenn einer in einer guten Position ist, hat er Geld, um diese Mängel zu kaschieren. Gute Anzüge wirken Wunder, und so ein Seidenschal zum Beispiel verdeckt einen gänsehäutigen Männerhals ganz dezent.

Ist ja bei uns Frauen auch so: Je älter die Ware ist, desto besser muss die Verpackung sein.

Hubert ist ein seltenes Exemplar.

Er hat noch einen knackigen Hintern und ist der Typ „Klubsakko“. Darauf stand ich schon immer: Klubsakko mit Wappen und Goldknöpfen, weißer Rolli drunter und dann Jeans. Klingt jetzt nach Heino, sieht aber bei normalen Männern gut aus. Außerdem hat Hubert einen Zopf. Den kann er sich auch erlauben, denn er hat noch volles Haar.

Er mag Mitte fünfzig sein, da polieren die meisten schon ihre Kahlköpfe.

Manni, der hatte mit dreißig schon Geheimratsecken und mit vierzig nur noch so einen Streifen Haare in der Mitte und hintenrum einen Kranz. Wie ein Mönch. Das kann kernig aussehen, wenn man das ganz kurz trägt, wenn man also dazu steht. Manni stand nicht dazu.

Er kämmte sich den mickrigen Streifen als Pony in die Stirn und sprühte Wella for Men drauf, damit es hielt. Und wenn ein Windstoß kam, klappte der Pony im Stück hoch und sah aus wie ein braunes Segel auf der Platte.

Manni trug auch gern Jeans, aber er zurrte sie mit einem Gürtel unter dem Bauch fest, den Gürtel sah man dann nicht mehr, und außerdem hing ihm der Schritt immer ziemlich weit unten. Da saß nix knackig, jedenfalls hinten nicht.

Ich bin gespannt, wie Hubert privat so ist.

Seine Einladung kam nicht wirklich überraschend. Wir haben am Fotokopierer schon oft geschäkert, und in der Kantine sitzt er seit Wochen immer schon an meinem Tisch, wenn ich mittags komme.

Clever fand ich, dass er gestern den versalzenen Bratfisch zum Anlass genommen hat, mich einzuladen.

„Ich weiß, wo es wirklich guten Fisch gibt, und ich würde Sie gern einladen, mit mir in Bons Restaurant zu essen.“

Ja, wir sagen „Sie“ und Vornamen, wie die Amerikaner, ich mag das. Herr Sieksmeier klingt so … weiß ich auch nicht.

Bons Restaurant. Conny und Eva Hansmeier vom Lottoladen sagen: „Stinkvornehm!“

Ich weiß gar nicht, wieso Hubert so ein Lokal kennt?

So viel verdient er doch gar nicht. Vielleicht hat er von Haus aus Geld. Oder geerbt. Er ist ja Witwer. Und der Sohn lebt im Ausland.

Wenn er mich einlädt, wird er doch wohl zahlen? Manni lud mich auch manchmal zum Essen ein, zu Ćevapčići in den „Adria Grill“ oder zum Gyros-Teller ins „Athen“, aber bezahlt hab ich immer. Vom Haushaltsgeld.

Hubert ist ein anderes Kaliber als Manni. So einer wie Manni hätte heute keine Chance mehr bei mir. Hubert hat bei mir Chancen.

Wenn der, nur mal so ins Unreine gedacht, mit mir nachher noch bei sich einen Kaffee trinken wollen würde, soll ich dann oder soll ich nicht?

Wenn so ein Angebot wirklich endlich mal käme, müsste ich es eigentlich annehmen.

Ich ziehe sicherheitshalber die neue Unterwäsche an, die gute schwarze, man weiß ja nie. Der BH macht ein schönes Dekolleté und puscht nicht. Das ist dumm, wenn man zum ersten Date einen Push-BH trägt.

Weil es Vorspiegelung falscher Tatsachen ist. Wenn einer erst alles kennt, was da drin steckt, kann man später mal tricksen, aber nicht vorher.

Blöd ist natürlich, dass die Slipeinlagen weiß sind.

Wenn ich die nicht rechtzeitig entsorgen kann … und dann im schwarzen Schlüpfer … muss ich mal sehen, wie ich das mache.

Darüber ziehe ich den Satinunterrock an. Das ist glamourös und man sieht meinen Bauch nicht sofort. Der ist nicht mehr so toll, nach zwei Kindern. Muss man als Mann auch mögen, so einen etwas älteren Bauch.

Ob ich halterlose Strümpfe anziehe? Lieber nicht, das ist zu eindeutig zweideutig, dann denkt er, ich wäre berechnend und hätte mir das Techtelmechtel schon vorher ausgemalt. Lieber Strumpfhosen, darin sehen die Beine auch besser aus. Wenn ich die gute mit den vierzig Denier anziehe, formt die den Hintern, dann sehen meine Orangenhaut-Beulen nicht gleich aus wie Schlaglöcher.

Und das schwarze Etuikleid. Mit Strickjacke drüber. Das ist immer richtig. Oh, dann muss ich mir noch die Achseln rasieren, das ist Kleid ist ärmellos. Falls ich die Jacke ausziehe und man dann die Haare sieht, das wär schon peinlich.

Untenrum lass ich so.

Da ist Natur in Ordnung. Meine Güte, wie lange hat das keiner mehr gesehen. Wo ist eigentlich der Taschenspiegel? Wär schon besser, wenn ich vorher mal gucke, ob alles noch ordentlich aussieht.

Haare offen oder hochgesteckt?

Brille oder Kontaktlinsen? Keine Linsen, damit kann ich die Speisekarte nicht lesen. Wenn man kurz- und weitsichtig ist, ist das blöd. Ich könnte mir ne Gleitsichtbrille besorgen, aber ich kann die nicht ab. Ich hab mal Connys Brille versucht, die hat Gleitsicht, das war eine Katastrophe. Ich hatte das Gefühl, neben die Treppenstufen zu treten, der Bürgersteig war gewölbt und Connys Hund sah plötzlich viel kleiner aus.

Ich muss zwischen Lese- und Weitsichtbrille wechseln. Mit Kontaktlinsen seh ich zwar viel besser aus, aber damit kann ich nah nicht scharf sehen. Schade.

Wenn, nur angenommen, ich hab mir jetzt nix vorgenommen, also wenn ich mit dem Hubert noch, sagen wir, Kaffee trinke, dann ist es schon ein Jammer, dass ich nah nicht scharf sehe. Oder eine Gnade, das stellt sich dann noch raus.

Also: Haare offen, Brille. Die Augen, wie schmink ich die Augen? Kajal? Wenn ich den wasserfesten finde, ist Kajal gut. Nicht mehr so gut wie früher, weil ich mit dem Stift jetzt die Falten vor der Mine herschiebe, aber wenn ich ihn drei Sekunden in die Mikrowelle lege, ist die Mine weich, dann geht das. Wasserfeste Wimperntusche ist klar. Gibt ja nix schlimmeres, als wenn man danach erschöpft in den Kissen liegt und um die Augen verschmiert ist.

Gut, dann hab ich an alles gedacht.

Der Abend kann kommen.

Hubert sieht fantastisch aus. Er hat ein Sakko mit rotem Futter an! Das ist ein verrückter Kerl.

Manieren hat er auch. Begleitet mich zum Tisch, als wär ich ein Filmstar. Hoffentlich hat er das mit dem Stuhl unter den Hintern schieben geübt.

Sehr schönes Lokal, dieses Bons Restaurant. Ganz modern und hell, keine Strohblumen oder Wagenräder wie beim Italiener.

Echte Stoff-Servietten, keine von Zewa. Ob das mit dem Servietten-Falten so ähnlich geht wie Conny das bei ihren Origami-Sachen macht? Die schönen Blumen fühlen sich echt an. Silberbesteck. Das kann nicht in die Spülmaschine! Da haben die aber viel zu tun.

Wie lange war ich nicht essen?

Der Chef setzt sich zu uns und erklärt, dass es keine Speisekarte gibt. Nur frische Sachen. Er fragt, was wir nicht essen möchten.

Ich esse alles außer fettem Fleisch und Blutwurst und Innereien.

Aperitif? Ach du liebe Güte. Was nehm ich denn? Hubert sucht was aus.

Variation vom Bonito mit Tatar, Carpaccio und im Noriblatt gebacken. Was zum Teufel ist das?

Ja, bitte wählen Sie die Getränke aus, Hubert, ich vertraue Ihnen voll und ganz. „Mit einem Aperitif in Form eines Roséchampagners eröffnen wir den kulinarischen Abend.“

Na denn. Wie der heute redet, so kenn ich ihn aus der Firma gar nicht. Der hat wirklich ein zweites Gesicht.

Gut, dass ich weiß, dass man die Gläser nur am Stiel anpackt, das kenn ich von der Weinprobe, bei der ich mit Tamara mal so fürchterlich abgestürzt bin. Heute muss ich aufpassen, denn wenn der bei fünf Gängen zu jedem Gang was anderes bestellt, bin ich in einer Stunde dicke.

Der Kellner ist ein zuckersüßes Sahneschnittchen. Könnte mein Sohn sein. Wieso bringt der denn - wir haben das nicht bestellt!

Aha. Gruß aus der Küche. Das ist ein feiner Zug. Kleine Hummerterrine an Chilidip und krosser Petersilie.

Soso. Ich kenne Suppenterrine.

Das hier ist eine Mini-Scheibe gepresstes Irgendwas in altrosa, ein schwarz frittiertes Blatt und drei Tropfen durchsichtiger Schleim mit roten Punkten. Chili.

Ist das wirklich umsonst? Bestellt haben wir‘s ja nicht, dann dürfen die das auch nicht berechnen. Sind ja nur Häppchen. Aber ganz lecker, das muss ich sagen.

Hubert: „… dass man in wenig Masse sehr viel Geschmack vereinen kann.“

Als Vorspeise gibt es „Süppchen von jungen Erbsen

mit gebratener Jakobsmuschel“.

„Hier zeigt sich, das der Küchenmeister auf einfache Weise und mit einfachen Produkten eine Variation auf den Teller zaubert, die geschmacklich wie optisch überzeugt.“

So kann man das auch sagen, ja.

Der Kellner ist unglaublich auf Zack. Mein Wasserglas ist nie länger als eine Minute leer. Ich gebe dem nachher zwei Euro extra. Solche Fürsorge am Gast muss man honorieren, sonst verliert der die Lust am arbeiten.

Der Kellner hat kaum abgeräumt, da kommt auch schon der Zwischengang: Graupenrisotto an Grünkohl und gebratener Hummer.

„Perfekt gegarter Hummer auf geschmacklich wunderbar angerichtetem Risotto lassen meine Vorfreude auf den Hauptgang weiter aufblühen…“

Ob Hubert das alles so meint, wie er das sagt?

Deichlamm auf zwei Arten an Bohnengemüse und Rosmarinkartoffeln. „Ganz kross gebratene Schulter und zart gegartes Filet, ein Hochgenuss, der, umspielt vom würzigen Bohnengeschmack und den mit Rosmarin parfümierten Kartoffeln, ein wunderbares Gesamtkunstwerk abliefert.“

Gesamtkunstwerk?

Morgen liegt das ganze Zeug verdaut im Klo, da hat sich das mit dem Kunstwerk. Und, ich hab das eben mal überschlagen, zweihundert Euro sind dann mit im Kanal. Was sagt Hubert grade: „Das ist das Stichwort, liebe Maria: Kunstwerk.“

Kunstwerk? Stichwort wofür? Macht er mir jetzt ein Angebot wegen nachher? Er prostet mir zu. Ich proste ihm zu.

Ob der mit jeder, bevor er mit ihr eine Liebschaft anfängt, so fein ausgeht? Teurer Spaß.

Sagt man „Prost“ oder „Wohlsein“ oder nickt man nur?

Ich nicke. Das passt am besten zum Outfit. Manni sagte beim Prosten immer: „Und immer in die Augen gucken, sonst hat man sieben Jahre schlechten Sex!“

Da hab ich bei Manni offensichtlich tausendmal falsch geguckt.

Wie war das jetzt mit dem Stichwort Kunstwerk?

„Liebe Maria, Sie kennen mich nun aus der Firma, und ich Sie haben sicher ein ganz bestimmtes Bild von mir.“

Das kann man wohl sagen. Auf meinem Bild hast den Zopf offen und eine behaarte Brust. Ich hätte den zweiten Wein nicht so schnell trinken dürfen, mir wird richtig frivol zumute.

„Ja, ich habe natürlich ein Bild von Ihnen, lieber Hubert.“

„Meine liebe Maria, ich meinte das doppeldeutig.“

Doppeldeutig? Der macht aber schnell Ernst!

Er sieht gut aus, wenn er lächelt, ob das seine echten oder die dritten Zähne sind? Doppeldeutig. Der wird doch nicht mitten im Restaurant unanständige Sachen sagen?

„Ich habe kein Bild von Ihnen?“ Wie meint er das?

„Bildlich meine ich das.“

Er malt. Ach so. Er malt Bilder. Kunstwerke. Natürlich.

Nein, so ein Bild habe ich nicht von ihm. Wie witzig! Das ist ein lustiges Missverständnis.

„Worauf ich hinaus will, liebe Maria …“

Das kann ich mir denken, Schätzelein, worauf du hinaus willst.

„Sie haben doch diese bezaubernde Nichte. Tamara heißt sie doch, nicht wahr? Ich hörte, sie hat eine Galerie in …“

Hab ich mich verhört?

Ich spring ihm gleich ins Gesicht! Der will über mich an Tamara rankommen, um seine blöden Bilder zu verscherbeln. So ein abgebrühter Hund. Na, der investiert ja was. Und ich mach so einen Aufstand. Rasiere mich sogar unter den Armen. Der will gar nichts von mir. Gut, dass ich bis jetzt so kühl getan habe. Er hat nichts von meinen Gedanken gemerkt. Gottseidank.

Dem werd ichs zeigen.

So ein Armleuchter! Und ich hab mich schon mit dem im Bett gesehen.

Männer. Berechnend. Ist ja widerlich.

Vor dem Nachtisch sag ich gar nichts über Tamara.

Molekulare Dessertvariation mit Himbeer-Olivensorbet, Schokoladennudeln, Thymianluft, Nitros von Maracuja, Kokosnuss und Nougat für neunzehnfünfzig.

Das ist jetzt genau das Richtige.

Und gerne einen Espresso zum Abschluss.

Ja, auch gern mit Pötieh Fua.

Und einen doppelten Calvados.

Ich werde natürlich nicht sehen, was ich tun kann für Herrn Hubert, das kann ich versprechen.

Der kann mich erst mal schön nach Hause bringen. Mit dem Taxi. Fahren kann er nicht mehr.

Mist, ich hab Frau Schweiger aus der Personalabteilung von dem Date erzählt, was sag ich der denn am Montag?

Ach, ich deute einfach an, dass er impotent ist. Nee.

Nee, dann denkt die Schweiger, dass ich ihn nicht reizen konnte. Ich sage, ach, das überleg mir noch.

Jetzt will ich erst mal nach Hause.

Und dann geh ich zu Mehlhaffs Imbiss rüber.

Dieses Etepetete-Essen ist mir auf den Magen geschlagen. In Mehlhaffs Imbiss bestell ich mir was gegen meinen Frust.

Sagen wir das mal so: „Fantasie vom Schwein an indischer Sauce“.

Was das ist? Currywurst.