Der Mann mit den Möpsen

Seit einer Woche hüte ich jetzt Tamaras Wohnung in Köln. Tamara ist in Kur. In Oberstaufen, zur Schrothkur. Sie zahlt ein Vermögen dafür, dass sie außer Blättern und Körnern nichts zu essen kriegt.

„Tante Maria“, hat sie gesagt, „Tante Maria, ohne Verzicht kein Genuss, ohne Kampf kein Sieg, ohne Reinigung keine Heilung. Das ist das Wesen der Schrothkur.“

Heilung wovon?, habe ich gefragt, und sie hat gemeint: „Vom Alltag und von seinen Folgen.“

Ich finde, man macht irgendwas falsch, wenn man seinen Alltag so gestaltet, dass man davon bekloppt wird und für ungewürzte Körnerbrühe, Leitungswasser und Packungen aus Getreidebrei ein paar Tausender auf den Tisch legt. Nicht mal Aerobic oder Gymnastikkurse oder ein Fitness-Center haben die in diesem Kurhotel, Tamara muss jeden Tag selber wandern und dafür zahlt sie auch.

Mir soll‘s egal sein.

Tamara kann froh sein, dass ich meinen Resturlaub noch hatte und als Wohnungssitter einspringen konnte.

Ich glaube, so ein Leben in der Großstadt wäre auf Dauer nichts für mich. Hier ist es auf den Straßen immer so voll wie bei uns zu Hause beim Herbst- und Bauernmarkt in der Fußgängerzone.

Wenn Schönwetter ist.

Hier in Köln ist die Fußgängerzone jeden Tag voll. Schildergasse heißt die. Erst fand ich es irritierend, weil es nämlich eine breite Straße und gar keine Gasse ist. Aber dann hab ich begriffen, warum sie so heißt: Weil die Geschäfte so viele Schilder an und vor ihren Schaufenstern und Fassaden haben, dass für die Fußgänger nur eine schmale Gasse auf jeder Seite frei bleibt.

Man darf nur immer in eine Richtung gehen, im Rechtsverkehr, wie beim Auto fahren.

Neulich ging ich auf der Seite lang, wo Piep und Klottenburg ist und wollte gegenüber was gucken. Das ging nicht, weil es da natürlich keine Ampel gibt.

Ich kam nicht rüber.

Man muss immer mit dem Strom gehen, bis die Straße zu Ende ist und dann kann man um die Kurve biegen und so kommt man wieder zurück. Außer, wenn man in die Hohe Straße will.

Das ist keine hohe, sondern eine sehr schmale Straße, die viel eher den Namen „Gasse“ verdient hätte als die mit den Schildern. Auf der Hohe Straße muss man, wenn man von unten kommt, bis zum Dom gehen, dann kann man auf der Domplatte ganz bequem wenden und kommt wieder zurück. Dauert alles ein bisschen, aber die Kölner haben das extra gemacht: Damit man an allen Geschäften vorbei kommt.

Sind eben Kaufleute. Und Katholiken.

Bei katholischen Kölner Kaufleuten läuft eben alles ein bisschen andersrum.

Apropos andersrum.

Das ist hier auch so eine Sache. In Berlin haben die einen schwulen Bürgermeister und einen schwulen Minister und viele normale Männer.

Hier ist das andersrum.

Nirgends gibt es so viele Homos wie in Köln.

Die sind hier überall: Halten Händchen auf der Straße, geben sich in aller Öffentlichkeit Küsschen und tragen rosa Hemden und Anoraks mit Pelz an der Kapuze.

Und viele von diesem Homos haben kleine Hunde. Kleine dicke Köter mit Glubschaugen, platter Schnauze und Husten trippeln hinter duftenden Anorak-Männern her und schittkern aufs Trottoir.

Bei uns zu Hause bliebe das liegen und der Hundebesitzer würde am helllichten Tag so tun, als sähe er sich den Sternenhimmel an. Nicht bei diesen Homos von den Hunden: Die starren ihren Kötern fasziniert auf den Hintern, begucken sich, was da rauskommt und reden mit den Viechern.

Neulich sagte einer: „Hach, da hat der Dschack aber fein Kacki gemacht“, und dann zog er eine Rolle Gefrierbeutel aus der Anoraktasche.

Nein, der wollte das nicht einfrieren!

Der packte mit der Hand in den Beutel wie in einen Handschuh, nahm den Köddel, zog ratzfatz den Beutel auf links, drehte ihn zu, machte einen ordentlichen Knoten rein und trug das - nun von innen beschlagene - Beutelchen zum nächsten Mülleimer.

Dann gab er Dschack einen Keks und die beiden trippelten weiter.

So geht’s. Wenn die das wegräumen, können die Köter ruhig auf den Bürgersteig machen.

Jetzt ist mir aber auch klar, warum die kleine Hunde haben. Bei einer Dogge reichen Melitta Toppits nicht.

Vorgestern ging ich zum Briefkasten und traf an der Haustür einen Mann, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Der Mann war sehr groß. Schlank. Blaue Augen, Dreitagebart, Grübchen im Kinn. Dichtes Haar mit grauen Schläfen. Wie Roy Black in blond sah er aus, toll!

Mitte vierzig, schätze ich. Er trug Jeans, ein schwarzes Shirt mit V-Ausschnitt und Flip-Flops. Also barfuß. Tiptop Füße. Man sagt ja immer: „An der Nase eines Mannes erkennt man den Johannes“, aber ich gucke immer auf die Füße, nie auf die Nase.

Oder jedenfalls selten. Wenn ein Mann kaputte Schuhe oder Sandalen oder womöglich Sandalen mit Socken trägt, hat er direkt verschissen. Dieser jedenfalls hatte eins a Füße.

Tiefe Stimme. Er sagte: „Guten Morgen, wie geht’s?“

Ich krächzte: „Gut!“ Und ich dachte: Himmel, was rede ich für einen Mist.

Der Mann lächelte und holte seine Post aus dem Briefkasten. Ich linste auf das Schild. Drossel. Oh Gott, konnte so ein schöner Mann Drossel heissen?

Er nahm einen Brief aus seinem Kasten, steckte ihn unter die Achsel, schloss mit einer Hand den Briefkasten wieder zu und reichte mir die andere.

„Angenehm, Daniel Drossel aus dem ersten Stock, wir kennen uns noch gar nicht.“

Ich dachte, dass wir das sehr gerne ändern können, konnte aber nix sagen, als ich seine Hand anfassen musste. Schlank, lange Finger, kräftiger Händedruck.

Trocken. Das ist auch wichtig, dass einer keine feuchten Hände hat.

Ich piepste: „Maria Jesse, angenehm, ich bin aber bloß auf Besuch“.

Daniel Drossel wünschte mir noch einen schönen Tag und schwebte wie ein junger Gott die Treppe hinauf. Ich sah ihm nach. Toller Hintern. Einen Moment lang wurden meine Gedanken richtig unanständig, das muss ich zugeben.

Das war mal ein schöner Mann. Mit knackigem Poppes und beknackten Namen. Daniel Drossel.

Als ich an seiner Tür vorbeiging, lauschte ich ein paar Sekunden. Nichts war zu hören. Saubere Fußmatte. Es stand nur ein Name an der Klingel.

Ob er verheiratet war?

Gestern ging ich dann in die Waschküche, morgens um acht. Ich war noch nicht gekämmt und hatte nur ein T-Shirt und meine orangen Jogginghosen an.

Keinen Büstenhalter. Es war ja erst acht, vor acht zieh ich nie einen Büstenhalter an, wenn ich nicht aus dem Haus muss.

Ich gehe also in die Waschküche und wer steht da und faltet blütenweiße Calvin-Klein-Unterhosen? Richtig.

Daniel Drossel. Weißes Shirt, Jeans, Flipflops.

Ping.

Ping.

Ich merkte, dass man plötzlich sah, dass ich ihn toll fand und ich sah, dass Daniel Drossel das sah und riss mir die Wäschewanne vor die Brust.

Nie wieder ohne BH, schwor ich mir.

Daniel Drossel lächelte und ich hörte nicht, was er sagte. Schnell steckte ich die Handtücher in die Maschine und ging mit erhobener Wanne wieder nach oben.

Fast hätte ich mich verliebt, wenn ich nicht vorhin ganz zufällig durch den Spion geguckt hätte, als Daniel Drossel grade durchs Treppenhaus ging.

Er hatte zwei Möpse dabei.

Erleichtert atmete ich auf. Ein Mann mit Möpsen, das war ein klarer Fall.

Das wäre sowieso nicht gut gegangen, so ein schöner Kerl. Jetzt war mir auch egal, dass er in der Waschküche gesehen haben musste, dass ich ihn gut fand.

Später machte ich einen Spaziergang.

In der kleinen Parkanlage an der Kirche sah ich einen Mann. Es war kein schöner Mann, nein, aber er hatte einen dicken beigen Mops dabei. Ich nickte dem Mann ihm zu. Er nickte zurück.

„Sie haben aber einen schönen Mops!“ sagte ich freundlich. Der Mann wies auf das breite cremefarbene Halsband des Hundes, auf dem mit rosa Buchstaben stand: „Kein Mops!“

Ich guckte irritiert.

„Englische Bulldogge“, sagte der Mann, „kein Mops.“

Einen Moment überlegte ich, ob Daniel Drossel gar keine Möpse hatte, sondern auch Bulldoggen.

Aber dann riss ich mich zusammen und dachte an etwas anderes.