Zwei Tage vergehen. In der Dunkelheit meiner Zelle muss ich mich nun mit weitaus mehr als Langweile und Wahnsinn auseinandersetzen. Darüber hinaus muss ich versuchen, die Erinnerung an Katarina – blutverschmiert und völlig gebrochen – aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Ich möchte mich an Katarina so erinnern, wie ich sie kenne: stark und weise.
Ich habe wieder mit den Atemübungen angefangen. Sie helfen mir ein wenig. Aber nicht viel.
Nach einiger Zeit öffnet sich erneut die Zellentür. Wieder werde ich mit kaltem Wasser übergossen und dieses Mal sogar geknebelt. Dann bekomme ich die Augen verbunden und werde zurück in dieselbe Folterzelle gebracht. Als ich erneut an die Wand gefesselt bin, wird mir die Augenbinde abgenommen.
Katarina ist genau da, wo sie sich zuletzt befunden hat. Sie sieht auch genauso schlimm aus wie beim letzten Mal. Ich kann nur hoffen, dass man ihr irgendwann ein bisschen Ruhe gönnt.
Der Mogadori ist auch da und hockt, mit einem Verband um seine aufgeschlitzte Wange, auf der Tischkante. Ich kann spüren, dass er genauso bedrohlich wirken möchte wie vor ein paar Tagen. Doch jetzt betrachtet er uns nicht ohne eine gewisse Angst.
Ich hasse ihn. Mehr als jeden anderen, der mir je begegnet ist. Wenn ich ihn mit bloßen Händen zerreißen könnte, würde ich es tun. Und wenn es nicht mit den Händen ginge, würde ich es mit meinen Zähnen tun.
Er bemerkt, dass ich ihn anstarre. Plötzlich kommt er zu mir gesprungen und reißt mir den Knebel aus dem Mund. Dann |58|nimmt er wieder die Klinge mit dem Gummigriff und dreht sie vor meinem Gesicht hin und her, sodass das Deckenlicht von ihr reflektiert wird. »Ich weiß nicht, welche Nummer du bist …«, sagt er. Unwillkürlich zucke ich zusammen und erwarte, dass er erneut versucht, mich zu verletzen. Doch er hält inne. Dann dreht er sich mit sadistisch anmutender Besonnenheit zu Katarina und zieht an ihrem Haar. Da sie noch immer geknebelt ist, kann sie nur ein gedämpftes Jammern von sich geben. »Aber du wirst es mir sofort verraten.«
»Nein!«, schreie ich. Höchst befriedigt angesichts meiner Qualen – so, als hätte er diese Reaktion erwartet –, grinst er mich an. Dann drückt er die Klinge in Katarinas Arm und schlitzt ihn der Länge nach auf. Die Wunde öffnet sich und Blut quillt heraus. Katarina zerrt an ihren Ketten, ihre Wangen sind tränenüberströmt. Ich will schreien, doch meine Stimme versagt. Nur ein schmerzvolles Piepsen ist zu hören.
Der Mogadori macht einen zweiten, parallelen Schnitt, doch dieses Mal wesentlich tiefer. Katarina ergibt sich in ihren Schmerz und entspannt die Muskeln.
Mit meinen Zähnen, denke ich.
»Ich kann das den ganzen Tag machen«, sagt er. »Verstehst du mich? Du wirst mir jetzt alles sagen, was ich wissen will. Angefangen bei deiner Nummer.«
Ich schließe die Augen. Mein Herz steht in Flammen. Ich fühle mich wie ein Vulkan. Nur dass es keine Öffnung gibt, keinen Ausweg für die Wut, die sich in mir aufstaut.
Als ich die Augen wieder öffne, steht er am Schreibtisch und lässt ein großes Skalpell spielerisch zwischen seinen Händen hin- und hergleiten. Er wartet darauf, dass ich ihn anschaue. Als er meinen Blick auffängt, hält er die Klinge hoch, damit ich sie genau sehen kann.
Sie beginnt in seinen Händen aufzuglühen und verändert ihre Farbe: violett in der einen Sekunde, grün in der nächsten.
»Also … deine Nummer? Vier? Sieben? Oder bist du die glückliche Nummer Neun?«
|59|Katarina, die kaum noch bei Bewusstsein ist, schüttelt den Kopf. Ich weiß, dass sie mir signalisieren will, den Mund zu halten. Bis zu diesem Moment hat sie nicht ein Wort verraten.
Ich versuche mit allen Kräften, nichts zu sagen. Aber ich kann es nicht aushalten, kann nicht dabei zusehen, wie er meiner Katarina wehtut. Meiner Cêpan.
Immer noch mit der Klinge herumspielend, geht er zu Katarina hinüber. Katarina brummt irgendwas durch ihren Knebel hindurch. Erstaunlicherweise nimmt er ihn ihr ab.
Sie spuckt einen dicken Batzen Blut auf den Boden. »Ihr wollt mich foltern, um sie zum Sprechen zu bringen?« Ihre Augen sind hasserfüllt, ungeduldig. »Ja, das passt zu euch.« Sie stößt ein lang gezogenes, verächtliches Lachen aus. »Ihr habt zwei ganze Tage gebraucht, um auf diese Idee zu kommen?«
Ich kann sehen, dass seine Wangen angesichts dieses perfekt platzierten Hiebs knallrot werden. Sogar Mogadori haben ihren Stolz.
»Ihr müsst ja ziemliche Idioten sein!«, ruft sie. Mir läuft es kalt den Rücken herunter. Ich bin zwar stolz, dass sie ihm die Stirn bietet, fürchte mich aber ebenso sehr vor den möglichen Konsequenzen.
»Ich habe alle Zeit der Welt für das hier«, sagt der Mog völlig emotionslos. »Während ihr hier bei mir seid, sind wir gleichzeitig da draußen mit dem Rest von euch beschäftigt. Glaubt ja nicht, dass uns irgendwas von unserem Weg abbringen wird, nur weil wir euch jetzt in unserer Gewalt haben. Wir wissen viel mehr, als ihr glaubt. Aber wir wollen alles wissen.«
Bevor Katarina etwas sagen kann, versetzt er ihr mit dem Messergriff einen harten Schlag.
Dann wendet er sich wieder zu mir. »Wenn du nicht zusehen möchtest, wie sie in kleine Scheibchen zerlegt wird, dann fängst du jetzt besser an zu erzählen. Und sag lieber die Wahrheit, denn ich werde merken, wann du lügst.«
Ich weiß, dass er jetzt keine Spielchen mehr mit mir treibt. Ich kann es auch nicht ertragen, dass er Katarina noch einmal |60|wehtut. Vielleicht zeigt er ja Gnade, wenn ich rede. Vielleicht lässt er sie dann in Ruhe.
Es kommt so schnell aus mir hervorgesprudelt, dass ich nicht einmal Zeit habe, meine Gedanken zu ordnen, und gar nicht richtig weiß, was ich da eigentlich sage. Ich habe nur eine einzige Absicht, die ich jedoch verschleiern muss: Ich werde ihm alles Mögliche sagen, das er nicht gegen mich oder die anderen Loriener verwenden kann. Ich erzähle ihm belanglose Details über meine zurückliegenden Reisen mit Katarina oder unsere verschiedenen Identitäten. Ich erzähle ihm von meinem Kasten, verrate aber nicht, wo er vergraben ist, sondern behaupte, dass er verloren ging.
Nachdem ich zu reden angefangen habe, fürchte ich mich davor, wieder aufzuhören. Denn wenn ich erst einmal innehalte, um meine Worte abzuwägen, wird er meine Täuschung durchschauen.
Irgendwann fragt er mich, wie meine Nummer lautet.
Ich weiß, was er gerne hören würde: dass ich Nummer Vier bin. Drei kann ich nicht sein, denn dann hätten sie mich bereits töten können. Aber wenn ich Nummer Vier wäre, müssten sie bloß Nummer Drei finden und umbringen, dann könnte er sein blutiges Handwerk gleich darauf an mir ausüben.
»Ich bin Nummer Acht«, sage ich schließlich. Ich bin so verängstigt, als ich es ausspreche, stoße es mit solch einem verzweifelten und hoffnungslosen Seufzen aus, dass ich genau weiß: Er kauft es mir ab.
Sein Gesicht spricht Bände.
»Tut mir leid, dass ich euch enttäuschen muss«, krächze ich.
Seine Enttäuschung ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn plötzlich setzt er ein triumphierendes Grinsen auf. Ich bin vielleicht nicht die Nummer, die er gern gehört hätte, aber immerhin – er hat meine Nummer aus mir herausbekommen. Glaubt er zumindest.
Ich versuche, Katarinas Blick aufzufangen. Obwohl sie kaum noch bei Bewusstsein ist, kann ich in den Tiefen ihrer Augen |61|Dankbarkeit erkennen. Sie ist stolz auf mich. Stolz, weil ich ihm eine falsche Nummer verraten habe.
»Du bist wirklich ein schwaches Geschöpf, oder?« Er sieht mich geringschätzig an.
Lass ihn nur, denke ich und spüre dabei einen Anflug von Überlegenheit. Er war dumm genug, mir meine Lüge abzukaufen.
»Deine Verwandten auf Lorien … Sie sind zwar schnell gefallen, aber immerhin haben sie gekämpft. Immerhin hatten sie eine gewisse Würde und sogar Mut. Aber du …« Er schüttelt den Kopf und spuckt auf den Boden. »Du hast nichts, Nummer Acht.«
Im selben Moment hebt er den Arm und rammt Katarina die Klinge tief in die Brust.
Ich höre das Geräusch brechender Knochen, höre, wie das Skalpell durch ihr Brustbein fährt und in ihr Herz eindringt.
Ich schreie. Meine Augen suchen Katarinas Augen. Für einen letzten Augenblick sieht sie mich an. Mit aller Kraft reiße ich an meinen Ketten und versuche, in diesem letzten Moment ganz nah bei ihr zu sein.
Aber der letzte Moment ist schnell vorbei.
Meine Katarina ist tot.