|51|13

Seit drei Tagen hocke ich in meiner Zelle. Außer einem Eimer Wasser, einem weiteren Eimer, den ich als Toilette benutzen kann, und dem leeren Tablett der gestrigen Mahlzeit ist die Zelle leer.

Nicht ein Krümelchen ist vom Essen übrig geblieben. Ich habe das Tablett vor lauter Hunger gestern abgeleckt.

Als ich vor drei Tagen in der Zelle aufgewacht bin, hatte ich eigentlich geplant, in den Hungerstreik zu treten und so lange jegliche Nahrung zu verweigern, bis sie mich Katarina sehen lassen würden. Aber die ersten zwei Tage vergingen, ohne dass ich überhaupt etwas zu essen oder trinken bekam. Ich glaubte schon, dass sie mich in meiner Zelle vergessen hätten. Als sie mir dann schließlich etwas brachten, war ich inzwischen so verzweifelt und hoffnungslos, dass ich meine ursprüngliche Absicht vergaß und den Fraß, den sie durch die kleine Luke in der Zellentür schoben, in mich hineinschlang.

Das Komische ist, dass ich nicht mal besonders hungrig war. Meine psychische Verfassung war auf dem Nullpunkt, aber ich verspürte keinen Hunger. Mein Amulett schlug mir während der Tage in der Dunkelheit ab und an dumpf gegen die Brust, deshalb vermutete ich, dass mich der Zauber vor dem Verhungern und Verdursten bewahren würde. Dennoch war ich noch nie im Leben so lange ohne Wasser und Nahrung ausgekommen, und die Erfahrung, meiner Freiheit beraubt worden zu sein, brachte mich an den Rand des Wahnsinns. Ich verspürte also kein körperliches Bedürfnis nach Nahrung, sehr wohl aber ein geistiges.

Die Wände sind aus grobem schwerem Fels, sodass sich die |52|Zelle weniger wie ein Gefängnis anfühlt, sondern eher wie eine provisorische Höhle oder ein Bau. Irgendwie scheint sie aus einer natürlichen Felsformation herausgehauen zu sein. Daraus schließe ich, dass wir uns in einer von der Natur geschaffenen Umgebung befinden – eine Höhle oder das hohle Innere eines Bergs. Mir ist durchaus klar, dass ich das vielleicht niemals herausfinden werde.

Ich habe schon versucht, an den Wänden meiner Zelle herumzuschaben, aber mir ist klar geworden, dass ich da nichts ausrichten kann. Das Einzige, was ich damit erreicht habe, sind blutige Fingerspitzen und abgerissene Nägel.

Mir bleibt derzeit nur übrig, in meiner Zelle zu sitzen und nicht völlig durchzudrehen.

Das ist meine einzige Aufgabe: mich von meiner Einsamkeit und Isolation nicht in den Wahnsinn treiben zu lassen. Es schadet nichts, wenn ich dadurch härter und zäher werde, aber ich darf mich nicht irre machen lassen.

Geistig normal zu bleiben, ist eine eigenartige Herausforderung. Wenn du dich zu sehr darauf konzentrierst, macht dich die ständige Beschäftigung mit dieser Aufgabe umso verrückter. Vergisst du auf der anderen Seite jedoch dein Vorhaben oder versuchst du, deine geistige Gesundheit dadurch zu bewahren, dass du gar nicht darüber nachdenkst, kann es passieren, dass sich dein Geist auf solch schwindelerregende Abwege begibt, dass du dich am Ende wieder nur dem Irrsinn gegenübersiehst.

Der Trick bei der Sache besteht darin, einen Mittelweg zu gehen – eine Distanz, einen Zustand der Neutralität zu bewahren.

Daher konzentriere ich mich auf meine Atmung: Einatmen, ausatmen. Einatmen, ausatmen. Wenn ich keine Dehnübungen oder Push-ups mache, tue ich nichts anderes als atmen. Ein, aus. Ein, aus.

Katarina bezeichnet es als Meditation. Lange hat sie mich zur Meditation ermutigt, um so meine Konzentration zu schärfen. Sie war der Ansicht, es könne mir in einer Kampfsituation helfen. Ich bin ihrem Rat nie gefolgt, weil es mir viel zu langweilig |53|erschien. Aber jetzt, in meiner Zelle, ist es die Rettungsleine und der beste Weg, eine gesunde Psyche zu bewahren.

Ich meditiere gerade, als meine Zellentür aufgerissen wird. Ich drehe mich herum und versuche, mich an das Licht zu gewöhnen, das aus dem Gang hereindringt. Begleitet von mehreren anderen im Hintergrund, steht ein Mogadori in der Tür.

Er hält einen Eimer in der Hand und ich glaube für eine Sekunde, dass er mir frisches Wasser zum Trinken gebracht hat.

Stattdessen kommt er einen Schritt auf mich zu und gießt mir das kalte Wasser aus dem Eimer über den Kopf. Das Ganze ist eine ziemlich heftige Erniedrigung. Ich zittere vor Kälte. Aber das Wasser ist auch belebend und erfrischend. Es weckt sowohl meine Lebensgeister als auch den blanken Hass auf diese verfluchten Mogs.

Nass wie ich bin, zieht er mich vom Boden hoch und verbindet mir die Augen. Dann lässt er mich wieder los und ich muss mich anstrengen, nicht hinzufallen.

»Komm«, sagt er und zerrt mich aus der Zelle in den Gang.

Die Augenbinde ist so dicht, dass ich in völliger Schwärze umherlaufe. Doch meine Sinne sind wach und so schaffe ich es, in einer geraden Linie zu gehen. Überall um mich herum kann ich weitere Mogadori spüren.

Während ich mit kalten, nackten Füßen über den groben Felsboden laufe, höre ich die Schreie und das Stöhnen von anderen Gefangenen. Einige sind Menschen, andere Tiere. Sie müssen in Zellen ähnlich meiner gefangen sein. Ich habe keine Ahnung, wer sie sind oder was die Mogs von ihnen wollen. Aber im Augenblick bin ich viel zu sehr mit meinem Überleben beschäftigt, als mir Gedanken um sie machen zu können. Ich verschließe mich dem Mitleid.

Nach einem langen Marsch sagt der mogadorische Anführer plötzlich: »Rechts!«, und stößt mich mit harter Hand vorwärts, sodass ich hinfalle und mir die Knie auf dem harten Boden aufscheuere.

Ich rappele mich wieder auf. Aber bevor ich stehe, packen |54|mich zwei Mogs und pressen mich gegen eine Wand. Meine Hände werden hochgerissen und mit einer von der Decke baumelnden Stahlmanschette gefesselt. Mein ganzer Körper ist jetzt lang gezogen, meine Füße berühren gerade noch den Boden.

Dann nehmen sie mir die Augenbinde ab. Ich befinde mich in einer anderen Zelle. Sie ist hell erleuchtet. Meine Augen fühlen sich nach drei Tagen fast vollständiger Dunkelheit an, als würden sie verbrennen. Als sie sich endlich an die Lichtverhältnisse gewöhnt haben, sehe ich sie.

Katarina.

Genau wie ich ist sie an die Wand gefesselt, sieht jedoch viel schlimmer aus: blutend, mit blauen Flecken, zusammengeschlagen.

Sie haben es zuerst bei ihr versucht.

»Katarina«, flüstere ich. »Bist du okay?«

Sie blickt mich an, ihre Augen sind voller Tränen. »Sieh mich nicht an«, sagt sie und schaut auf den Boden.

Ein weiterer Mogadori betritt den Raum. Es ist kaum zu glauben, aber er trägt ein weißes Polo-Shirt und saubere, khakifarbene Shorts. Seine Haare sind kurz geschnitten. Seine Schuhe bewegen sich lautlos über den Boden. Er könnte genauso gut irgendein Familienvater oder der Manager eines Supermarkts an der Ecke sein.

»Hallo«, sagt er. Die Hände in den Hosentaschen grinst er mich an. Seine Zähne sind so weiß wie in einer Zahnpastareklame.

»Ich hoffe, du genießt deinen Aufenthalt bei uns.« Ich entdecke ein paar Haarstoppeln auf seinen gebräunten Armen. Er sieht auf eine farblose Art gut aus, etwas untersetzt, aber kräftig gebaut. »Diese Höhlen sind manchmal schrecklich zugig, aber wir versuchen, es so angenehm wie möglich zu machen. Ich gehe davon aus, dass du zwei Eimer in deiner Zelle hast? So viel Komfort muss schon sein.« Plötzlich streckt er seine Hand so beiläufig aus, dass ich für eine Sekunde denke, er will meine Wange streicheln. Stattdessen kneift er mich heftig und dreht meine Haut zwischen seinen Fingern herum. »Schließlich seid |55|ihr hier unsere Ehrengäste.« Seine Verkäuferstimme trieft mittlerweile vor Gift.

Ich hasse mich dafür, aber ich fange an zu weinen. Meine Beine geben nach und ich baumele schwer in den Handschellen. Allerdings gestatte ich mir nicht, lauthals zu schluchzen. Er kann mich zwar weinen sehen, aber er bekommt nicht einen Ton zu hören.

»Okay, meine Damen«, sagt er, klatscht in die Hände und geht auf einen kleinen Tisch in der Ecke zu. Er öffnet eine Schublade und zieht ein Etui heraus, das er auf dem Schreibtisch auseinanderrollt. Das Deckenlicht wird von einer Reihe scharfer Stahlinstrumente reflektiert. Er nimmt eines nach dem anderen in die Hand, damit ich sie alle deutlich sehen kann. Skalpelle, Klingen, Zangen. Instrumente für jeden Zweck. Ein kleiner elektrischer Bohrer, den er mit einem nervenzehrenden Geräusch ein paar Mal aufheulen lässt, bevor er ihn wieder auf den Tisch legt.

Er kommt zu mir herüber und hält mir sein Gesicht genau vor die Nase. Als er spricht, drängt sich sein Atem in meine Nasenlöcher. Ich möchte würgen.

»Siehst du die hübschen Instrumente?«

Ich antworte nicht. Sein Atem riecht wie der dieser Kreatur im Lastwagen. Abgesehen von seinem blendenden Äußeren ist er aus demselben widerlichen Stoff geschaffen.

»Ich werde jedes dieser Instrumente so lange an dir und deiner Cêpan ausprobieren, bis du mir jede Frage wahrheitsgemäß beantwortet hast. Wenn nicht, werdet ihr beide wünschen, lieber tot zu sein. Das garantiere ich.«

Er schenkt mir ein hasserfülltes Grinsen, geht wieder zu dem kleinen Tisch und greift nach einer feinen Rasierklinge, die an einem dicken Gummigriff befestigt ist. Dann dreht er sich wieder zu mir und streicht mir mit der stumpfen Seite der Klinge über die Wange. Die Klinge fühlt sich kalt an.

»Ich jage euch Jugendlichen schon seit langer Zeit hinterher«, sagt er. »Zwei von euch haben wir schon getötet. Und jetzt haben wir ein weiteres Mitglied der Garde genau vor uns, egal welche |56|Nummer du auch bist. Und wie du dir vorstellen kannst, hoffe ich, dass du die Nummer Drei bist.«

Ich versuche, vor ihm zurückzuweichen, presse meinen Rücken dicht an die Zellenwand und wünschte, ich könnte darin verschwinden.

Er grinst mich an und drückt die stumpfe Klingenseite wieder gegen meine Wange, dieses Mal allerdings wesentlich fester. »Hoppla«, sagt er spöttisch. »Das ist ja die falsche Seite.«

Mit einer einzigen geschickten Bewegung dreht er die Klinge in seiner Hand herum. »Probieren wir es doch mal hiermit.«

Mit tierisch-kaltblütigem Vergnügen setzt er die Klinge an meine Wange und presst sie hart in mein Fleisch.

Ich spüre eine vertraute Wärme, aber keinen Schmerz. Dann sehe ich zu meinem Erstaunen, dass stattdessen seine Wange zu bluten beginnt. Das Blut fließt aus einer Wunde heraus, die sich wie eine aufplatzende Narbe öffnet.

Er lässt die Klinge fallen, drückt die Hand auf seine Wange und stampft vor lauter Frust und Schmerz wie ein Irrer durch die Zelle. Dann versetzt er dem Tischchen einen Tritt, woraufhin alle Folterinstrumente scheppernd zu Boden fallen, und stürmt aus der Zelle.

Die mogadorischen Wächter, die hinter ihm standen, werfen sich undurchschaubare Blicke zu.

Bevor ich Gelegenheit habe, etwas zu Katarina zu sagen, schließt einer der Mogs meine Handschellen auf und zerrt mich zurück in meine Zelle.