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Heute

 

 
 

  Ich verlasse das Café und kehre in mein Haus zurück, bevor die Sonne zu heiß und unangenehm wird.

  Ich gehe ins Bett, falle umgehend in einen tiefen Schlaf und erwache am Abend schlechtgelaunt.

  Ich lasse es zu, daß ich mich angstvoll verstecke. Obwohl ich behaupte, daß Aubrey mein Leben nicht beherrscht, verzichte ich seinetwegen auf die einzige Sache in dieser Welt, die mir immer noch Freude bereitet: Tora, meine Tigerin.

  Meine schöne, reine Tigerin, die einst frei war und nun gefangen ist.

  Aubrey hat mir so viel gestohlen. Ich habe geschworen, all die Leben zu rächen, die er genommen hat, aber ich bin jedesmal zu feige gewesen, ihn herauszufordern. Meine Laune ist so düster wie Aubreys Augen, unendlich schwarz, und ich will ihn bekämpfen. Also jage ich ganz bewußt in Aubreys Gebiet – dem sterbenden Herzen von New York, in dem die Straßen von den Schatten einer unsichtbaren Welt verdunkelt sind.

  In einer der Gassen treffe ich einen anderen Vampir, einen ganz jungen Schützling. Sie spürt meine Kraft und duckt sich verängstigt, während sie wie eine Kerze in der Nachtluft flackert.

  Sie ist schwach und stellt keine Gefahr für Aubreys Anspruch auf diese dunkle Ecke der Stadt dar, deshalb duldet er ihre Anwesenheit. Vielleicht beeindruckt er sie ab und zu mit einer angeberischen Aktion, nur um sie einzuschüchtern. Aber er weiß, daß sie ihn nie herausfordern würde. Ich dagegen bin seine Blutsschwester, wir sind von derselben dunklen Mutter geschaffen worden. Wenn er mich dulden würde, wäre ich eine ebensolche Gefahr für ihn wie ein Mungo in dem Nest einer Kobra, nicht etwa, weil ich stärker bin – das bin ich gar nicht –, sondern weil anderen Vampiren auffallen wird, daß er Angst vor mir hat, und das kann sein Stolz nicht zulassen.

  Ich jage und lasse meine Beute sterbend auf der Straße liegen. Vielleicht ist es dumm, Aubrey auf diese Art zu ködern, aber ich habe zu lange in seinem Schatten gelebt und sehe es nicht ein, mich noch länger zu ducken. Aubrey stellt mich nicht zur Rede, während ich trinke, und das weckt mein Mißtrauen. Wo ist er, frage ich mich, daß er meine Anwesenheit nicht bemerkt? Oder liegt es einfach daran, daß es ihm egal ist? Ist er sich seines Reviers etwa so sicher?

  Ich kehre mißgelaunt nach Hause zurück, aber als ich mein Zimmer betrete, gefrieren meine Gedanken zu Eis.

  Ich spüre die Aura eines Vampirs, eines Verwandten, und ich erkenne sie genau.

 

  Aubrey. Aubrey, der das Blut von meiner Hand tropfen sah und dabei lächelte, Aubrey, der lachte, als er meinen Bruder tötete.

  Aubrey ist der einzige Vampir, den ich kenne, der es vorzieht, ein Messer zu benutzen statt seines Geistes, seiner Zähne oder seiner Hände. Ich berühre die Narbe an meiner Schulter, die Narbe, die mir ein paar Tage nach meinem Tod zugefügt wurde, von derselben Klinge, die meinen Bruder erstach. Die Narbe, bei der ich schwor, daß ich sie gemeinsam mit dem Tod meines Bruders rächen würde.