Kapitel 48. Zur Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben

Der Mensch hat sein Daseyn und Wesen entweder mit seinem Willen, d.h. seiner Einwilligung, oder ohne diese: im letztern Falle wäre eine solche, durch vielfache und unausbleibliche Leiden verbitterte Existenz eine schreiende Ungerechtigkeit. – Die Alten, namentlich die Stoiker, auch die Peripatetiker und Akademiker, bemühten sich vergeblich, zu beweisen, daß die Tugend hinreiche, das Leben glücklich zu machen: die Erfahrung schrie laut dagegen. Was dem Bemühen jener Philosophen, wenn gleich Ihnen nicht deutlich bewußt, eigentlich zum Grunde lag, war die vorausgesetzte Gerechtigkeit der Sache: wer schuldlos war, sollte auch frei von Leiden, also glücklich seyn. Allein die ernstliche und tiefe Lösung des Problems liegt in der Christlichen Lehre, daß die Werke nicht rechtfertigen; demnach ein Mensch, wenn er auch alle Gerechtigkeit und Menschenliebe, mithin das agathon, honestum, ausgeübt hat, dennoch nicht, wie Cicero meint, culpa omni carens (Tusc. V, 1) ist: sondern el delito mayor del hombre es haber nacido (des Menschen größte Schuld ist, daß er geboren ward), wie es, aus viel tieferer Erkenntniß, als jene Weisen, der durch das Christenthum erleuchtete Dichter Calderon ausgedrückt hat. Daß demnach der Mensch schon verschuldet auf die Welt kommt, kann nur Dem widersinnig erscheinen, der ihn für erst soeben aus Nichts geworden und für das Werk eines Andern hält. In Folge dieser Schuld also, die daher von seinem Willen ausgegangen seyn muß, bleibt der Mensch, mit Recht, auch wenn er alle jene Tugenden geübt hat, den physischen und geistigen Leiden preisgegeben, ist also nicht glücklich. Dies folgt aus der ewigen Gerechtigkeit, von der ich § 63 des ersten Bandes geredet habe. Daß aber, wie St. Paulus (Röm. 3, 21 ff.), Augustinus und Luther lehren, die Werke nicht rechtfertigen können, indem wir Alle wesentlich Sünder sind und bleiben, – beruht zuletzt darauf, daß, weil operari sequitur esse, wenn wir handelten, wie wir sollten, wir auch seyn müßten was wir sollten. Dann aber bedürften wir keiner Erlösung aus unserm jetzigen Zustande, wie solche nicht nur das Christenthum, sondern auch Brahmanismus und Buddhaismus (unter dem auf Englisch durch final emancipation ausgedrückten Namen) als das höchste Ziel darstellen: d.h. wir brauchten nicht etwas ganz Anderes, ja, Dem was wir sind Entgegengesetzes, zu werden. Weil wir aber sind was wir nicht seyn sollten, thun wir auch nothwendig was wir nicht thun sollten. Darum also bedürfen wir einer völligen Umgestaltung unsers Sinnes und Wesens, d.i. der Wiedergeburt, als deren Folge die Erlösung eintritt. Wenn auch die Schuld im Handeln, im operari, liegt; so liegt doch die Wurzel der Schuld in unserer essentia et existentia, da aus dieser das operari nothwendig hervorgeht, wie ich in der Preisschrift über die Freiheit des Willens dargethan habe. Demnach ist eigentlich unsere einzige wahre Sünde die Erbsünde. Diese nun läßt der Christliche Mythos zwar erst, nachdem der Mensch schon dawar, entstehn, und dichtet ihm dazu, per impossibile, einen freien Willen an: dies thut er aber eben als Mythos. Der Innerste Kern und Geist des Christenthums ist mit dem des Brahmanismus und Buddhaismus der selbe: sämmtlich lehren sie eine schwere Verschuldung des Menschengeschlechts durch sein Daseyn selbst; nur daß das Christenthum hiebei nicht, wie jene altern Glaubenslehren, direkt und unumwunden verfährt, also nicht die Schuld geradezu durch das Daseyn selbst gesetzt seyn, sondern sie durch eine That des ersten Menschenpaares entstehn läßt. Dies war nur unter der Fiktion eines liberi arbitrii indifferentiae möglich, und nur wegen des Jüdischen Grunddogmas, dem jene Lehre hier eingepflanzt werden sollte, nöthig. Weil, der Wahrheit nach, eben das Entstehn des Menschen selbst die That seines freien Willens und demnach mit dem Sündenfall Eins ist, und daher mit der essentia und existentia des Menschen die Erbsünde, von der alle andern Sünden die Folge sind, schon eintrat, das Jüdische Grunddogma aber eine solche Darstellung nicht zuließ; so lehrte Augustinus, in seinen Büchern de libero arbitrio, daß der Mensch nur als Adam vor dem Sündenfalle schuldlos gewesen und einen freien Willen gehabt habe, von dem an aber in der Nothwendigkeit der Sünde verstrickt sei. – Das Gesetz, ho nomos, im biblischen Sinn, fordert immerfort, daß wir unser Thun ändern sollen, während unser Wesen unverändert bliebe. Weil aber dies unmöglich ist; so sagt Paulus, daß Keiner vor dem Gesetz gerechtfertigt sei: die Wiedergeburt in Jesu Christo allein, in Folge der Gnadenwirkung, vermöge welcher ein neuer Mensch entsteht und der alte aufgehoben wird (d.h. eine fundamentale Sinnesänderung), könne uns aus dem Zustande der Sündhaftigkeit in den der Freiheit und Erlösung versetzen. Dies ist der Christliche Mythos, in Hinsicht auf die Ethik. Aber freilich hat der Jüdische Theismus, auf den er gepfropft wurde, gar wundersame Zusätze erhalten müssen, um sich jenem Mythos anzufügen: dabei bot die Fabel vom Sündenfall die einzige Stelle dar für das Pfropfreis Alt-Indischen Stammes. Jener gewaltsam überwundenen Schwierigkeit eben ist es zuzuschreiben, daß die Christlichen Mysterien ein so seltsames, dem gemeinen Verstande widerstrebendes Ansehn erhalten haben, welches den Proselytismus erschwert, und wegen dessen, aus Unfähigkeit den tiefen Sinn derselben zu fassen, der Pelagianismus, oder heutige Rationalismus, sich gegen sie auflehnt und sie wegzuexegesiren sucht, dadurch aber das Christenthum zum Judenthum zurückführt.

Aber ohne Mythos zu reden: so lange unser Wille der selbe ist, kann unsere Welt keine andere seyn. Zwar wünschen Alle erlöst zu werden aus dem Zustande des Leidens und des Todes: sie möchten, wie man sagt, zur ewigen Säligkeit gelangen, ins Himmelreich kommen; aber nur nicht auf eigenen Füßen; sondern hingetragen möchten sie werden, durch den Lauf der Natur. Allein das ist unmöglich. Denn die Natur ist nur das Abbild, der Schatten unsers Willens. Daher wird sie zwar uns nie fallen und zu nichts werden lassen; aber sie kann uns nirgends hinbringen, als immer nur wieder in die Natur. Wie mißlich es jedoch sei, als ein Theil der Natur zu existiren, erfährt Jeder an seinem eigenen Leben und Sterben. – Demnach ist allerdings das Daseyn anzusehn als eine Verirrung, von welcher zurückzukommen Erlösung ist: auch trägt es durchweg diesen Charakter. In diesem Sinne wird es daher von den alten Samanäischen Religionen aufgefaßt, und auch, wiewohl mit einem Umschweif, vom eigentlichen und ursprünglichen Christenthum: sogar das Judenthum selbst enthält wenigstens im Sündenfall (dieser seiner redeeming feature) den Keim zu solcher Ansicht. Bloß das Griechische Heidenthum und der Islam sind ganz optimistisch; daher im Ersteren die entgegengesetzte Tendenz sich wenigstens im Trauerspiel Luft machen mußte: im Islam aber, der, wie die neueste, so auch die schlechteste aller Religionen ist, trat sie als Sufismus auf, diese sehr schöne Erscheinung, welche durchaus Indischen Geistes und Ursprungs ist und jetzt schon über tausend Jahre fortbesteht. Als Zweck unsers Daseyns ist in der That nichts Anderes anzugeben, als die Erkenntniß, daß wir besser nicht dawären. Dies aber ist die wichtigste aller Wahrheiten, die daher ausgesprochen werden muß; so sehr sie auch mit der heutigen Europäischen Denkweise im Kontrast steht: ist sie doch dagegen im ganzen nicht-islamisirten Asien die anerkannteste Grundwahrheit, heute so gut, wie vor dreitausend Jahren.

Wenn wir nun den Willen zum Leben im Ganzen und objektiv betrachten; so haben wir, dem Gesagten gemäß, ihn uns zu denken als in einem Wahn begriffen, von welchem zurückzukommen, also sein ganzes vorhandenes Streben zu verneinen, Das ist, was die Religionen als die Selbstverleugnung, abnegatio sui ipsius, bezeichnen: denn das eigentliche Selbst ist der Wille zum Leben. Die moralischen Tugenden, also Gerechtigkeit und Menschenliebe, da sie, wie ich gezeigt habe, wenn lauter, daraus entspringen, daß der Wille zum Leben, das principium individuationis durchschauend, sich selbst in allen seinen Erscheinungen wiedererkennt, sind demzufolge zuvörderst ein Anzeichen, ein Symptom, daß der erscheinende Wille in jenem Wahn nicht mehr ganz fest befangen ist, sondern die Enttäuschung schon eintritt; so, daß man gleichnißweise sagen könnte, er schlage bereits mit den Flügeln, um davon zu fliegen. Umgekehrt, sind Ungerechtigkeit, Bosheit, Grausamkeit, Anzeichen des Gegentheils, also der tiefsten Befangenheit in jenem Wahn. Nächstdem aber sind jene moralischen Tugenden ein Beförderungsmittel der Selbstverleugnung und demnach der Verneinung des Willens zum Leben. Denn die wahre Rechtschaffenheit, die unverbrüchliche Gerechtigkeit, diese erste und wichtigste Kardinaltugend, ist eine so schwere Aufgabe, daß, wer sich unbedingt und aus Herzensgrunde zu ihr bekennt, Opfer zu bringen hat, die dem Leben bald die Süße, welche das Genügen an ihm erfordert, benehmen und dadurch den Willen von demselben abwenden, also zur Resignation leiten. Sind doch eben was die Rechtschaffenheit ehrwürdig macht die Opfer, welche sie kostet: in Kleinigkeiten wird sie nicht bewundert. Ihr Wesen besteht eigentlich darin, daß der Gerechte die Lasten und Leiden, welche das Leben mit sich bringt, nicht, durch List oder Gewalt, auf Andere wälzt, wie es der Ungerechte thut, sondern selbst trägt, was ihm beschieden ist; wodurch er die volle Last des dem Menschenleben aufgelegten Uebels unvermindert zu tragen bekommt. Dadurch wird die Gerechtigkeit ein Beförderungsmittel der Verneinung des Willens zum Leben, indem Noth und Leiden, diese eigentliche Bestimmung des Menschenlebens, ihre Folge sind, diese aber zur Resignation hinleiten. Noch schneller führt allerdings die weiter gehende Tugend der Menschenliebe, caritas, eben dahin: denn vermöge ihrer übernimmt man sogar die ursprünglich den Andern zugefallenen Leiden, eignet sich daher von diesen einen größern Theil an, als, nach dem Gange der Dinge, das eigene Individuum treffen würde. Wer von dieser Tugend beseelt ist, hat sein eigenes Wesen in jedem Andern wiedererkannt. Dadurch nun identificirt er sein eigenes Loos mit dem der Menschheit überhaupt: dieses nun aber ist ein hartes Loos, das des Mühens, Leidens und Sterbens. Wer also, indem er jedem zufälligen Vortheil entsagt, für sich kein anderes, als das Loos der Menschheit überhaupt will, kann auch dieses nicht lange mehr wollen: die Anhänglichkeit an das Leben und seine Genüsse muß jetzt bald welchen und einer allgemeinen Entsagung Platz machen: mithin wird die Verneinung des Willens eintreten. Weil nun diesem gemäß Armuth, Entbehrungen und eigenes Leiden vielfacher Art schon durch die vollkommenste Ausübung der moralischen Tugenden herbeigeführt werden, wird von Vielen, und vielleicht mit Recht, die Askese im allerengsten Sinne, also das Aufgeben jedes Eigenthums, das absichtliche Aufsuchen des Unangenehmen und Widerwärtigen, die Selbstpeinigung, das Fasten, das härene Hemd und die Kasteiung, als überflüssig verworfen. Die Gerechtigkeit selbst ist das härene Hemd, welches dem Eigener stete Beschwerde bereitet, und die Menschenliebe, die das Nöthige weggiebt, das immerwährende Fasten80. Eben deshalb ist der Buddhaismus frei von jener strengen und übertriebenen Askese, welche im Brahmanismus eine so große Rolle spielt, also von der absichtlichen Selbstpeinigung. Er läßt es bei dem Cölibat, der freiwilligen Armuth, Demuth und Gehorsam der Mönche und Enthaltung von thierischer Nahrung, wie auch von aller Weltlichkeit, bewenden. Weil ferner das Ziel, zu welchem die moralischen Tugenden führen, das hier nachgewiesene ist; so sagt die Vedantaphilosophie81 mit Recht, daß, nachdem die wahre Erkenntniß und in ihrem Gefolge die gänzliche Resignation, also die Wiedergeburt, eingetreten ist, alsdann die Moralität oder Immoralität des frühem Wandels gleichgültig wird, und gebraucht auch hier wieder den von den Brahmanen so oft angeführten Spruch: Finditur nodus cordis, dissolvuntur omnes dubitationes, ejusque opera evanescunt, viso supremo illo (Sancara, sloca 32). So anstößig nun diese Ansicht Manchen seyn mag, denen eine Belohnung im Himmel, oder Bestrafung in der Hölle, eine viel befriedigendere Erklärung der ethischen Bedeutsamkeit des menschlichen Handelns ist, wie denn auch der gute Windischmann jene Lehre, indem er sie darlegt, perhorrescirt; so wird doch, wer auf den Grund der Sachen zu gehn vermag, finden, daß dieselbe am Ende übereinstimmt mit jener Christlichen, zumal von Luther urgirten, daß nicht die Werke, sondern nur der durch Gnadenwirkung eintretende Glaube sälig mache, und daß wir daher durch unser Thun nie gerechtfertigt werden können, sondern nur vermöge der Verdienste des Mittlers Vergebung der Sünden erlangen. Es ist sogar leicht abzusehn, daß, ohne solche Annahmen, das Christenthum endlose Strafen für Alle, und der Brahmanismus endlose Wiedergeburten für Alle aufstellen müßte, es also in Beiden zu keiner Erlösung käme. Die sündlichen Werke und ihre Folgen müssen, sei es nun durch fremde Begnadigung, oder durch Eintritt eigener besserer Erkenntniß, ein Mal getilgt und vernichtet werden; sonst hat die Welt kein Heil zu hoffen: nachher aber werden sie gleichgültig. Dies ist auch die metanoia kai aphesis hamartiôn, deren Verkündigung der bereits auferstandene Christus seinen Aposteln, als die Summe ihrer Mission, schließlich auflegt (Luc. 24, 47). Die moralischen Tugenden sind eben nicht der letzte Zweck, sondern nur eine Stufe zu demselben. Diese Stufe ist im Christlichen Mythos bezeichnet durch das Essen vom Baum der Erkenntniß des Guten und Bösen, mit welchem die moralische Verantwortlichkeit zugleich mit der Erbsünde eintritt. Diese selbst ist in Wahrheit die Bejahung des Willens zum Leben; die Verneinung desselben hingegen, in Folge aufgegangener besserer Erkenntniß, ist die Erlösung. Zwischen diesen Beiden also liegt das Moralische: es begleitet den Menschen als eine Leuchte auf seinem Wege von der Bejahung zur Verneinung des Willens, oder, mythisch, vom Eintritt der Erbsünde bis zur Erlösung durch den Glauben an die Mittlerschaft des inkarnirten Gottes (Avatars); oder, nach der Veda-Lehre, durch alle Wiedergeburten, welche die Folge der jedesmaligen Werke sind, bis die rechte Erkenntniß und mit ihr die Erlösung (final emancipation), Mokscha, d.i. Wiedervereinigung mit dem Brahm, eintritt. Die Buddhaisten aber bezeichnen, mit voller Redlichkeit, die Sache bloß negativ, durch Nirwana, welches die Negation dieser Welt, oder des Sansara ist. Wenn Nirwana als das Nichts definirt wird; so will dies nur sagen, daß der Sansara kein einziges Element enthält, welches zur Definition, oder Konstruktion des Nirwana dienen könnte. Eben dieserhalb nennen die Jainas, welche nur dem Namen nach von den Buddhaisten verschieden sind, die vedagläubigen Brahmanen Sabdapramans, welcher Spottname bezeichnen soll, daß sie auf Hörensagen glauben, was sich nicht wissen, noch beweisen läßt (Asiat. researches. Vol. 6, p. 474).

Wenn manche alte Philosophen, wie Orpheus, die Pythagoreer, Plato (z.B. in Phaedone, p. 151, 183 sq. Bip., und siehe Clem. Alex. Storm. III, p. 400 sq.), ganz so wie der Apostel Paulus, die Gemeinschaft der Seele mit dem Leibe bejammern und von derselben befreit zu werden wünschen; so verstehn wir den eigentlichen und wahren Sinn dieser Klage, sofern wir, im zweiten Buch, erkannt haben, daß der Leib der Wille selbst ist, objektiv angeschaut, als räumliche Erscheinung.

In der Stunde des Todes entscheidet sich, ob der Mensch in den Schooß der Natur zurückfällt, oder aber dieser nicht mehr angehört, sondern – – –: für diesen Gegensatz fehlt uns Bild, Begriff und Wort, eben weil diese sämmtlich aus der Objektivation des Willens genommen sind, daher dieser angehören, folglich das absolute Gegentheil desselben auf keine Weise ausdrücken können, welches demnach für uns als eine bloße Negation stehn bleibt. Inzwischen ist der Tod des Individuums die jedesmalige und unermüdlich wiederholte Anfrage der Natur an den Willen zum Leben: »Hast du genug? Willst du aus mir hinaus?« Damit sie oft genug geschehe, ist das individuelle Leben so kurz. In diesem Sinne gedacht sind die Ceremonien, Gebete und Ermahnungen der Brahmanen zur Zeit des Todes, wie man sie im Upanischad an mehreren Stellen aufbewahrt findet, und eben so die Christliche Fürsorge für gehörige Benutzung der Sterbestunde, mittelst Ermahnung, Beichte, Kommunion und letzte Oelung: daher auch die Christlichen Gebete um Bewahrung vor einem plötzlichen Ende. Daß heut zu Tage Viele gerade dieses sich wünschen, beweist eben nur, daß sie nicht mehr auf dem Christlichen Standpunkt stehn, welcher der der Verneinung des Willens zum Leben ist, sondern auf dem der Bejahung, welcher der heidnische ist.

Der aber wird am wenigsten fürchten im Tode zu nichts zu werden, der erkannt hat, daß er schon jetzt nichts ist, und der mithin keinen Antheil mehr an seiner individuellen Erscheinung nimmt, indem in ihm die Erkenntniß den Willen gleichsam verbrannt und verzehrt hat, so daß kein Wille, also keine Sucht nach individualem Daseyn in ihm mehr übrig ist.

Die Individualität inhärirt zwar zunächst dem Intellekt, der, die Erscheinung abspiegelnd, der Erscheinung angehört, welche das principium individuationis zur Form hat. Aber sie inhärirt auch dem Willen, sofern der Charakter individuell ist: dieser selbst jedoch wird in der Verneinung des Willens aufgehoben. Die Individualität inhärirt also dem Willen nur in seiner Bejahung, nicht aber in seiner Verneinung. Schon die Heiligkeit, welche jeder rein moralischen Handlung anhängt, beruht darauf, daß eine solche, im letzten Grunde, aus der unmittelbaren Erkenntniß der numerischen Identität des Innern Wesens alles Lebenden entspringt82. Diese Identität ist aber eigentlich nur im Zustande der Verneinung des Willens (Nirwana) vorhanden, da seine Bejahung (Sansara) die Erscheinung desselben in der Vielheit zur Form hat. Bejahung des Willens zum Leben, Erscheinungswelt, Diversität aller Wesen, Individualität, Egoismus, Haß, Bosheit entspringen aus einer Wurzel; und eben so andererseits Welt des Dinges an sich, Identität aller Wesen, Gerechtigkeit, Menschenliebe, Verneinung des Willens zum Leben. Wenn nun, wie ich genugsam gezeigt habe, schon die moralischen Tugenden aus dem Innewerden jener Identität aller Wesen entstehn, diese aber nicht in der Erscheinung, sondern nur im Dinge an sich, in der Wurzel aller Wesen liegt; so ist die tugendhafte Handlung ein momentaner Durchgang durch den Punkt, zu welchem die bleibende Rückkehr die Verneinung des Willens zum Leben ist.

Ein Folgesatz des Gesagten ist, daß wir keinen Grund haben anzunehmen, daß es noch vollkommenere Intelligenzen, als die menschliche gebe. Denn wir sehn, daß schon diese hinreicht, dem Willen diejenige Erkenntniß zu verleihen, in Folge welcher er sich selbst verneint und aufhebt, womit die Individualität und folglich die Intelligenz, als welche bloß ein Werkzeug individueller, mithin animalischer Natur ist, wegfällt. Dies wird uns weniger anstößig erscheinen, wenn wir erwägen, daß wir sogar die möglichst vollkommenen Intelligenzen, welche wir hiezu versuchsweise annehmen mögen, uns doch nicht wohl eine endlose Zeit hindurch bestehend denken können, als welche nämlich viel zu arm ausfallen würde, um jenen stets neue und ihrer würdige Objekte zu liefern. Weil nämlich das Wesen aller Dinge im Grunde Eines ist; so ist alle Erkenntniß desselben nothwendig tautologisch: ist es nun ein Mal gefaßt, wie es von jenen vollkommensten Intelligenzen bald gefaßt seyn würde; was bliebe ihnen übrig, als bloße Wiederholung und deren Langeweile, eine endlose Zeit hindurch? Auch von dieser Seite also werden wir dahin gewiesen, daß der Zweck aller Intelligenz nur Reaktion auf einen Willen seyn kann: weil aber alles Wollen Irrsal ist; so bleibt das letzte Werk der Intelligenz die Aufhebung des Wollens, dem sie bis dahin zu seinen Zwecken gedient hatte. Demnach kann selbst die vollkommenste mögliche Intelligenz nur eine Uebergangsstufe seyn zu Dem, wohin gar keine Erkenntniß je reichen kann: ja, eine solche kann im Wesen der Dinge nur die Stelle des Augenblicks erlangter, vollkommener Einsicht einnehmen.

In Uebereinstimmung mit allen diesen Betrachtungen und mit dem, im zweiten Buche nachgewiesenen, Ursprung der Erkenntniß aus dem Willen, den sie, indem sie ihm zu seinen Zwecken dienstbar ist, eben dadurch in seiner Bejahung abspiegelt, während das wahre Heil in seiner Verneinung liegt, sehn wir alle Religionen, auf ihrem Gipfelpunkte, in Mystik und Mysterien, d.h. in Dunkel und Verhüllung auslaufen, welche eigentlich bloß einen für die Erkenntniß leeren Fleck, nämlich den Punkt andeuten, wo alle Erkenntniß nothwendig aufhört; daher derselbe für das Denken nur durch Negationen ausgedrückt werden kann, für die sinnliche Anschauung aber durch symbolische Zeichen, in den Tempeln durch Dunkelheit und Schweigen bezeichnet wird, im Brahmanismus sogar durch die geforderte Einstellung alles Denkens und Anschauens, zum Behuf der tiefsten Einkehr in den Grund des eigenen Selbst, unter mentaler Aussprechung des mysteriösen OumA11. – Mystik, im weitesten Sinne, ist jede Anleitung zum unmittelbaren Innewerden Dessen, wohin weder Anschauung noch Begriff, also überhaupt keine Erkenntniß reicht. Der Mystiker steht zum Philosophen dadurch im Gegensatz, daß er von innen anhebt, dieser aber von außen. Der Mystiker nämlich geht aus von seiner innern, positiven, individuellen Erfahrung, in welcher er sich findet als das ewige, alleinige Wesen u.s.f. Aber mittheilbar ist hievon nichts, als eben Behauptungen, die man auf sein Wort zu glauben hat: folglich kann er nicht überzeugen. Der Philosoph hingegen geht aus von dem Allen Gemeinsamen, von der objektiven. Allen vorliegenden Erscheinung, und von den Thatsachen des Selbstbewußtseyns, wie sie sich in Jedem vorfinden. Seine Methode ist daher die Reflexion über alles Dieses und die Kombination der darin gegebenen Data: deswegen kann er überzeugen. Er soll sich daher hüten, in die Weise der Mystiker zu gerathen und etwan, mittelst Behauptung intellektualer Anschauungen, oder vorgeblicher unmittelbarer Vernunftvernehmungen, positive Erkenntniß von Dem vorspiegeln zu wollen, was, aller Erkenntniß ewig unzugänglich, höchstens durch eine Negation bezeichnet werden kann. Die Philosophie hat ihren Werth und ihre Würde darin, daß sie alle nicht zu begründenden Annahmen verschmäht und in ihre Data nur Das aufnimmt, was sich in der anschaulich gegebenen Außenwelt, in den unsern Intellekt konstituirenden Formen zur Auffassung derselben und in dem Allen gemeinsamen Bewußtsein des eigenen Selbst sicher nachweisen läßt. Dieserhalb muß sie Kosmologie bleiben und kann nicht Theologie werden. Ihr Thema muß sich auf die Welt beschränken: was diese sei, im tiefsten Innern sei, allseitig auszusprechen, ist Alles, was sie redlicherweise leisten kann. – Diesem nun entspricht es, daß meine Lehre, wann auf ihrem Gipfelpunkte angelangt, einen negativen Charakter annimmt, also mit einer Negation endigt. Sie kann hier nämlich nur von Dem reden, was verneint, aufgegeben wird: was dafür aber gewonnen, ergriffen wird, ist sie genöthigt (am Schlusse des vierten Buchs) als Nichts zu bezeichnen, und kann bloß den Trost hinzufügen, daß es nur ein relatives, kein absolutes Nichts sei. Denn, wenn etwas nichts ist von allen Dem, was wir kennen; so ist es allerdings für uns überhaupt nichts. Dennoch folgt hieraus noch nicht, daß es absolut nichts sei, daß es nämlich auch von jedem möglichen Standpunkt aus und in jedem möglichen Sinne nichts seyn müsse; sondern nur, daß wir auf eine völlig negative Erkenntniß desselben beschränkt sind; welches sehr wohl an der Beschränkung unsers Standpunkts liegen kann. – Hier nun gerade ist es, wo der Mystiker positiv verfährt, und von wo an daher nichts, als Mystik übrig bleibt. Wer inzwischen zu der negativen Erkenntniß, bis zu welcher allein die Philosophie ihn leiten kann, diese Art von Ergänzung wünscht, der findet sie am schönsten und reichlichsten im Oupnekhat, sodann in den Enneaden des Plotinos, im Scotus Erigena, stellenweise im Jakob Böhme, besonders aber in dem wundervollen Werk der Guion, Les torrens, und im Angelus Silesius, endlich noch in den Gedichten der Sufi, von denen Tholuk uns eine Sammlung in Lateinischer und eine andere in Deutscher Uebersetzung geliefert hat, auch noch in manchen andern Werken. Die Sufi sind die Gnostiker des Islams; daher auch Sadi sie mit einem Worte bezeichnet, welches durch »Einsichtsvolle« übersetzt wird. Der Theismus, auf die Kapacität der Menge berechnet, setzt den Urquell des Daseyns außer uns, als ein Objekt: alle Mystik, und so auch der Sufismus, zieht ihn, auf den verschiedenen Stufen ihrer Weihe, allmälig wieder ein, in uns, als das Subjekt, und der Adept erkennt zuletzt, mit Verwunderung und Freude, daß er es selbst ist. Diesen, aller Mystik gemeinsamen Hergang finden wir von Meister Eckhard, dem Vater der Deutschen Mystik, nicht nur in Form einer Vorschrift für den vollendeten Asketen ausgesprochen, »daß er Gott außer sich selbst nicht suche« (Eckhards Werke, herausgegeben von Pfeiffer, Bd. I, S. 626); sondern auch höchst naiv dadurch dargestellt, daß Eckhards geistige Tochter, nachdem sie jene Umwandelung an sich erfahren, ihn aufsucht, um ihm jubelnd entgegenzurufen: »Herr, freuet Euch mit mir, ich bin Gott geworden!« (Ebendas. S. 465). Eben diesem Geiste gemäß äußert sich durchgängig auch die Mystik der Sufi hauptsächlich als ein Schwelgen in dem Bewußtseyn, daß man selbst der Kern der Welt und die Quelle alles Daseyns ist, zu der Alles zurückkehrt. Zwar kommt dabei die Aufforderung zum Aufgeben alles Wollens, als wodurch allein die Befreiung von der individuellen Existenz und ihren Leiden möglich ist, auch oft vor, jedoch untergeordnet und als etwas Leichtes gefordert. In der Mystik der Hindu hingegen tritt die letztere Seite viel stärker hervor, und in der Christlichen Mystik ist diese ganz vorherrschend, so daß jenes pantheistische Bewußtseyn, welches aller Mystik wesentlich ist, hier erst sekundär, in Folge des Aufgebens alles Wollens, als Vereinigung mit Gott eintritt. Dieser Verschiedenheit der Auffassung entsprechend hat die Mohammedanische Mystik einen sehr heitern Charakter, die Christliche einen düstern und schmerzlichen, die der Hindu, über Beiden stehend, hält auch in dieser Hinsicht die Mitte.

Quietismus, d.i. Aufgeben alles Wollens, Askesis, d.i. absichtliche Ertödtung des Eigenwillens, und Mysticismus, d.i. Bewußtseyn der Identität seines eigenen Wesens mit dem aller Dinge, oder dem Kern der Welt, stehn in genauester Verbindung; so daß wer sich zu einem derselben bekennt allmälig auch zur Annahme der andern, selbst gegen seinen Vorsatz, geleitet wird. – Nichts kann überraschender seyn, als die Uebereinstimmung der jene Lehren vortragenden Schriftsteller unter einander, bei der allergrößten Verschiedenheit ihrer Zeitalter, Länder und Religionen, begleitet von der felsenfesten Sicherheit und innigen Zuversicht, mit der sie den Bestand ihrer Innern Erfahrung vortragen. Sie bilden nicht etwan eine Sekte, die ein theoretisch beliebtes und ein Mal ergriffenes Dogma festhält, vertheidigt und fortpflanzt; vielmehr wissen sie meistentheils nicht von einander; ja, die Indischen, Christlichen, Mohammedanischen Mystiker, Quietisten und Asketen sind sich in Allem heterogen, nur nicht im Innern Sinn und Geiste ihrer Lehren. Ein höchst auffallendes Beispiel hievon liefert die Vergleichung der Torrens der Guion mit der Lehre der Veden, namentlich mit der Stelle im Oupnekhat, Bd. I, S. 63, welche den Inhalt jeder Französischen Schrift in größter Kürze, aber genau und sogar mit den selben Bildern enthält, und dennoch der Frau von Guion, um 1680, unmöglich bekannt seyn konnte. In der »Deutschen Theologie« (alleinige unverstümmelte Ausgabe, Stuttgart 1851) wird Kapitel 2 und 3 gesagt, daß sowohl der Fall des Teufels, als der Adams, darin bestanden hätte, daß der Eine, wie der Andere, sich das Ich und Mich, das Mein und Mir beigelegt hätte; und S. 89 heißt es: »In der wahren Liebe bleibt weder Ich, noch Mich, Mein, Mir, Du, Dein, und desgleichen.« Diesem nun entsprechend heißt es im »Kural«, aus dem Tamulischen von Graul, S. 8: »Die nach außen gehende Leidenschaft des Mein und die nach innen gehende des Ich hören auf« (vgl. Vers 346). Und im Manual of Buddhism by Spence Hardy, S. 258, spricht Buddha: »Meine Schüler verwerfen den Gedanken, dies bin Ich, oder dies ist Mein.« Ueberhaupt, wenn man von den Formen, welche die äußern Umstände herbeiführen, absieht und den Sachen auf den Grund geht, wird man finden, daß Schakia Muni und Meister Eckhard das Selbe lehren; nur daß Jener seine Gedanken geradezu aussprechen durfte, Dieser hingegen genöthigt ist, sie in das Gewand des Christlichen Mythos zu kleiden und diesem seine Ausdrücke anzupassen. Es geht aber hiemit so weit, daß bei ihm der Christliche Mythos fast nur noch eine Bildersprache ist, beinahe wie den Neuplatonikern der Hellenische: er nimmt ihn durchweg allegorisch. In der selben Hinsicht ist es beachtenswerth, daß der Uebertritt des heiligen Franciscus aus dem Wohlstande zum Bettlerleben ganz ähnlich ist dem noch größern Schritte des Buddha Schakia Muni vom Prinzen zum Bettler, und daß dem entsprechend das Leben, wie auch die Stiftung des Franciscus eben nur eine Art Saniassithum war. Ja, es verdient erwähnt zu werden, daß seine Verwandtschaft mit dem Indischen Geiste auch hervortritt in seiner großen Liebe zu den Thieren und häufigen Umgang mit ihnen, wobei er sie durchgängig seine Schwestern und Brüder nennt; wie denn auch sein schöner Cantico, durch das Lob der Sonne, des Mondes, der Gestirne, des Windes, des Wassers, des Feuers, der Erde, seinen angeborenen Indischen Geist bekundet83.

Sogar werden die Christlichen Quietisten oft wenig, oder keine Kunde von einander gehabt haben, z.B. Molinos und die Guion von Taulern und der »Deutschen Theologie«, oder Gichtel von jenen Ersteren. Ebenfalls hat der große Unterschied ihrer Bildung, indem Einige, wie Molinos, gelehrt, Andere, wie Gichtel und Viele mehr, ungelehrt waren, keinen wesentlichen Einfluß auf ihre Lehren. Um so mehr beweist ihre große, innere Uebereinstimmung, bei der Festigkeit und Sicherheit ihrer Aussagen, daß sie aus wirklicher, innerer Erfahrung reden, einer Erfahrung, die zwar nicht Jedem zugänglich ist, sondern nur wenigen Begünstigten zu Theil wird, daher sie den Namen Gnadenwirkung erhalten hat, an deren Wirklichkeit jedoch aus obigen Gründen nicht zu zweifeln ist. Um dies Alles zu verstehn, muß man sie aber selbst lesen und nicht mit Berichten aus zweiter Hand sich begnügen: denn Jeder muß selbst vernommen werden, ehe man über ihn urtheilt. Zur Bekanntschaft mit dem Quietismus also empfehle ich besonders den Meister Eckhard, die Deutsche Theologie, den Tauler, die Guion, die Antoinette Bourignon, den Engländer Bunyan, den Molinos84, den Gichtel: imgleichen sind, als praktische Belege und Beispiele des tiefen Ernstes der Askese, das von Reuchlin herausgegebene Leben Pascals, nebst dessen Geschichte von Port-royal, wie auch die Histoire de Sainte Elisabeth par le comte de Montalembert und La vie de Rancé par Châteaubriand sehr lesenswerth; womit jedoch alles Bedeutende in dieser Gattung keineswegs erschöpft seyn soll. Wer solche Schriften gelesen und ihren Geist mit dem der Askese und des Quietismus, wie er alle Werke des Brahmanismus und Buddhaismus durchwebt und aus jeder Seite spricht, verglichen hat, wird zugeben, daß jede Philosophie, welche konsequenterweise jene ganze Denkungsart verwerfen muß, was nur geschehn kann, indem sie die Repräsentanten derselben für Betrüger oder Verrückte erklärt, schon dieserhalb nothwendig falsch seyn muß. In diesem Falle nun aber befinden sich alle Europäischen Systeme, mit Ausnahme des meinigen. Wahrlich eine seltsame Verrücktheit müßte es seyn, die sich, unter den möglichst weit verschiedenen Umständen und Personen, mit solcher Uebereinstimmung ausspräche und dabei von den ältesten und zahlreichsten Völkern der Erde, nämlich von etwan drei Viertel aller Bewohner Asiens, zu einer Hauptlehre ihrer Religion erhoben wäre. Das Thema des Quietismus und Asketismus aber dahingestellt seyn lassen darf keine Philosophie, wenn man ihr die Frage vorlegt; weil dasselbe mit dem aller Metaphysik und Ethik, dem Stoffe nach, identisch ist. Hier ist also ein Punkt, wo ich jede Philosophie, mit ihrem Optimismus, erwarte und verlange, daß sie sich darüber ausspreche. Und wenn, im Urtheil der Zeitgenossen, die paradoxe und beispiellose Uebereinstimmung meiner Philosophie mit dem Quietismus und Asketismus als ein offenbarer Stein des Anstoßes erscheint; so sehe ich hingegen gerade darin einen Beweis ihrer alleinigen Richtigkeit und Wahrheit, wie auch einen Erklärungsgrund des klugen Ignorirens und Sekretirens derselben auf den protestantischen Universitäten.

Denn nicht allein die Religionen des Orients, sondern auch das wahre Christenthum hat durchaus jenen asketischen Grundcharakter, den meine Philosophie als Verneinung des Willens zum Leben verdeutlicht; wenn gleich der Protestantismus, zumal in seiner heutigen Gestalt, dies zu vertuschen sucht. Haben doch sogar die in neuester Zeit aufgetretenen offenen Feinde des Christenthums ihm die Lehren der Entsagung, Selbstverleugnung, vollkommenen Keuschheit und überhaupt Mortifikation des Willens, welche sie ganz richtig mit dem Namen der »antikosmischen Tendenz« bezeichnen, nachgewiesen und daß solche dem ursprünglichen und ächten Christenthum wesentlich eigen sind gründlich dargethan. Hierin haben sie unleugbar Recht. Daß sie aber eben Dieses als einen offenbaren und am Tage liegenden Vorwurf gegen das Christenthum geltend machen, während gerade hierin seine tiefste Wahrheit, sein hoher Werth und sein erhabener Charakter liegt, dies zeugt von einer Verfinsterung des Geistes, die nur daraus erklärlich ist, daß jene Köpfe, wie leider heut zu Tage tausend andere in Deutschland, völlig verdorben und auf immer verschroben sind durch die miserable Hegelei, diese Schule der Plattheit, diesen Heerd des Unverstandes und der Unwissenheit, diese kopfverderbende Afterweisheit, welche man jetzt endlich als solche zu erkennen anfängt und die Verehrung derselben bald der Dänischen Akademie allein überlassen wird, in deren Augen ja jener plumpe Scharlatan ein summus philosophus ist, für den sie ins Feld tritt:

Car tous suivront la créance et estude,

De l'ignorante et sotte multitude,

Dont le plus lourd sera reçu pour juge.

Rabelais.

Allerdings ist im ächten und ursprünglichen Christenthum, wie es sich, vom Kern des Neuen Testaments aus, in den Schriften der Kirchenväter entwickelte, die asketische Tendenz unverkennbar: sie ist der Gipfel, zu welchem Alles emporstrebt. Als die Hauptlehre derselben finden wir die Empfehlung des ächten und reinen Cölibats (diesen ersten und wichtigsten Schritt in der Verneinung des Willens) schon im Neuen Testament ausgesprochen85. Auch Strauß, in seinem »Leben Jesu« (Bd. I, S. 618 der ersten Auflage), sagt hinsichtlich der, Matth. 19, 11 fg. gegebenen, Empfehlung der Ehelosigkeit: »Man hat, um Jesum nichts den jetzigen Vorstellungen Zuwiderlaufendes sagen zu lassen, sich beeilt, den Gedanken einzuschwärzen, daß Jesus nur mit Rücksicht auf die Zeitumstände und um die apostolische Thätigkeit ungehindert zu lassen, die Ehelosigkeit anrühme: allein im Zusammenhange liegt davon noch weniger eine Andeutung, als in der verwandten Stelle I. Cor. 7, 25 fg.; sondern es ist auch hier wieder einer der Orte, wo asketische Grundsätze, wie sie unter den Essenern und wahrscheinlich auch weiter unter den Juden verbreitet waren, auch bei Jesu durchscheinen.« – Diese asketische Richtung tritt später entschiedener auf, als Anfangs, wo das Christenthum, noch Anhänger suchend, seine Forderungen nicht zu hoch spannen durfte: und mit dem Eintritt des dritten Jahrhunderts wird sie nachdrücklich urgirt. Die Ehe gilt, im eigentlichen Christenthum, bloß als ein Kompromiß mit der sündlichen Natur des Menschen, als ein Zugeständniß, ein Erlaubtes für Die, welchen die Kraft das Höchste anzustreben mangelt, und als ein Ausweg, größerem Verderben vorzubeugen: in diesem Sinne erhält sie die Sanktion der Kirche, damit das Band unauflösbar sei. Aber als die höhere Weihe des Christenthums, durch welche man in die Reihe der Auserwählten tritt, wird das Cölibat und die Virginität aufgestellt: durch diese allein erlangt man die Siegerkrone, welche sogar noch heut zu Tage durch den Kranz auf dem Sarge der Unverehelichten angedeutet wird, wie eben auch durch den, welchen die Braut am Tage der Verehelichung ablegt.

Ein jedenfalls aus der Urzeit des Christenthums stammendes Zeugniß über diesen Punkt ist die von Clemens Alexandrinus (Strom., III, 6 et 9) aus dem Evangelio der Aegypter angeführte prägnante Antwort des Herrn: Tê Salômê ho kyrios pynthanomenê, mechri pote thanatos ischysei; mechris an, eipen, hymeis, hai gynaikes, tiktête (Salomae interroganti »quousque vigebit mors?« Dominus »quoadusque«, inquit, »vos, mulieres, paritis«.) tout' esti, mechris an hai epithymiai energôsi (hoc est, quamdiu operabuntur cupiditates), setzt Clemens c. 9 hinzu, woran er sogleich die berühmte Stelle Rom. 5, 12 knüpft. Weiterhin, c. 13, führt er die Worte des Kassianus an: Pynthanomenês tês Salômês, pote gnôsthêsetai ta peri hôn êreto, ephê ho kyrios, Hotan tês aischynês endyma patêsête, kai hotan genêtai ta dyo hen, kai to arrhen meta tês thêleias oute arrhen, oute thêly (Cum interrogaret Salome, quando cognoscentur ea, de quibus interrogabat, ait Dominus: »quando pudoris indumentum conculcaveritis, et quando duo facta fuerint unum, et masculum cum foemina nec masculum nec foemineum.«), d.h. wann ihr den Schleier der Schaamhaftigkeit nicht mehr braucht, indem aller Geschlechtsunterschied weggefallen seyn wird.

Am weitesten sind in diesem Punkte allerdings die Ketzer gegangen: schon im zweiten Jahrhundert die Tatianiten oder Enkratiten, die Gnostiker, die Marcioniten, die Montanisten, Valentinianer und Kassianer; jedoch nur indem sie, mit rücksichtsloser Konsequenz, der Wahrheit die Ehre gaben, und demnach, dem Geiste des Christenthums gemäß, völlige Enthaltsamkeit, enkrateia, lehrten; während die Kirche Alles, was ihrer weitsehenden Politik zuwiderlief, klüglich für Ketzerei erklärte. Von den Tatianiten berichtet Augustinus: Nuptias damnant, atque omnino pares eas fornicationibus aliisque corruptionibus faciunt: nec recipiunt in suum numerum conjugio utentem, sive marem, sive foeminam. Non vescuntur carnibus, easque abominantur (De haeresi ad quod vult Deum. haer. 25.) Allein auch die orthodoxen Väter betrachten die Ehe in dem oben bezeichneten Lichte und predigen eifrig die gänzliche Enthaltsamkeit, die hagneia. Athanasius giebt als Ursache der Ehe an: hoti hypopiptontes esmen tê tou propatoros katadikê; – – – epeidê ho proêgoumenos skopos tou theou ên, to mê dia gamou genesthai hêmas kai phthoras; hê de parabasis tês entolês ton gamon eisêgagen dia to anomêsai ton Adam. (Quia subjacemus condemnationi propatoris nostri; – – – nam finis, a Deo praelatus, erat, nos non per nuptias et corruptionem fieri: sed transgressio mandati nuptias introduxit, propter legis violationem Adae. – Exposit. in psalm. 50) Tertullian nennt die Ehe genus mali inferioris, ex indulgentia ortum (de pudicitia, c. 16) und sagt: Matrimonium et stuprum est commixtio carnis; scilicet cujus concupiscentiam dominus stupro adaequavit. Ergo, inquis, jam et primas, id est unas nuptias destruis? Nec immerito: quoniam et ipsae ex eo constant, quod est stuprum (de exhort. castit. c. 9). Ja, Augustinus selbst bekennt sich ganz und gar zu dieser Lehre und allen ihren Folgen, indem er sagt: Novi quosdam, qui murmurent: quid, si, inquiunt, omnes velint ab omni concubitu abstinere, unde subsistet genus humanum? – Utinam omnes hoc vellent! dum taxat in caritate, de corde puro, et conscientia bona, et fide non ficta: multo citius Dei civitas compleretur, et acceleraretur terminus mundi (de bono conjugali c. 10). – und abermals: Non vos ab hoc studio, quo multos ad imitandum vos excitatis, frangat querela vanorum, qui dicunt: quomodo subsistet genus humanum, si omnes fuerint continentes? Quasi propter aliud retardetur hoc seculum, nisi ut impleatur praedestinatus numerus ille sanctorum, quo citius impleto, profecto nee terminus seculi differetur (de bono viduitatis, c. 23). Man sieht zugleich, daß er das Heil mit dem Ende der Welt identificirt. – Die übrigen diesen Punkt betreffenden Stellen aus den Werken Augustins findet man zusammengestellt in der Confessio Augustiniana e D. Augustini operibus compilata a Hieronymo Torrense, 1610, unter den Rubriken de matrimonio, de coelibatu u.s.w., und kann sich dadurch überzeugen, daß im alten, ächten Christenthum die Ehe eine bloße Koncession war, welche überdies auch nur die Kinderzeugung zum Zweck haben sollte, daß hingegen die gänzliche Enthaltsamkeit die jener weit vorzuziehende eigentliche Tugend war. Denen aber, welche nicht selbst auf die Quellen zurückgehn wollen, empfehle ich, zur Beseitigung aller etwanigen Zweifel über die in Rede stehende Tendenz des Christenthums, zwei Schriften: Carové, Ueber das Cölibatgesetz, 1832, und Lind, De coelibatu Christianorum per tria priora secula, Havniae, 1839. Es sind jedoch keineswegs die eigenen Ansichten dieser Schriftsteller, auf die ich verweise, da solche der meinigen entgegengesetzt sind, sondern ganz allein die von ihnen sorgfältig gesammelten Berichte und Anführungen, welche gerade darum, als ganz unverfänglich, volles Zutrauen verdienen, daß beide Schriftsteller Gegner des Cölibats sind, der Erstere ein rationalistischer Katholik, der Andere ein protestantischer Kandidat, welcher ganz und gar als ein solcher redet. In der zuerst genannten Schrift finden wir, Bd. I, S. 166, in jener Rücksicht folgendes Resultat ausgesprochen: »Der kirchlichen Ansicht zufolge, – wie bei den kanonischen Kirchenvätern, in den Synodal- und den päpstlichen Belehrungen und in unzähligen Schriften rechtgläubiger Katholiken zu lesen, – wird die immerwährende Keuschheit eine göttliche, himmlische, englische Tugend genannt und die Erwerbung der göttlichen Gnadenhülfe dazu vom ernsten Bitten um dieselbe abhängig gemacht. – Daß diese Augustinische Lehre sich bei Canisius und im Tridentinum als immer gleicher Kirchenglaube ausgesprochen findet, haben wir bereits nachgewiesen. Daß sie aber bis auf den heutigen Tag als Glaubenslehre festgehalten worden, dafür mag das Juniheft, 1831, der Zeitschrift ›Der Katholik‹ hinreichendes Zeugniß ablegen: daselbst, S. 263, heißt es: ›Im Katholicismus erscheint die Beobachtung einer ewigen Keuschheit, um Gotteswillen, an sich als das höchste Verdienst des Menschen. Die Ansicht, daß die Beobachtung der beständigen Keuschheit als Selbstzweck den Menschen heilige und erhöhe, ist, wie hievon jeder unterrichtete Katholik die Ueberzeugung hat, in dem Christenthum, seinem Geist und seiner ausdrücklichen Vorschrift nach, tief gegründet. Das Tridentinum hat allen möglichen Zweifel hierüber abgeschnitten‹ – – – Es muß allerdings von jedem Unbefangenen zugestanden werden, nicht nur, daß die vom ›Katholiken‹ ausgesprochene Lehre wirklich katholisch ist, sondern auch, daß die vorgebrachten Erweisgründe für eine katholische Vernunft durchaus unwiderleglich seyn mögen, da sie so recht aus der kirchlichen Grundansicht der Kirche vom Leben und seiner Bestimmung geschöpft sind.« – Ferner heißt es daselbst S. 270: »Wenn gleich sowohl Paulus das Eheverbot als Irrlehre bezeichnet und der noch jüdischere Verfasser des Hebräerbriefes gebietet, ›die Ehe solle in Ehren gehalten werden bei Allen und das Ehebett unbefleckt‹ (Hebr. 13, 4); so ist darum doch die Hauptrichtung dieser beiden Hagiographen nicht zu verkennen. Die Jungfräulichkeit war Beiden das Vollkommene, die Ehe nur ein Nothbedarf für die Schwächeren, und nur als solcher unverletzt zu halten. Das höchste Streben dagegen war auf völlige, materielle Entselbstung gerichtet. Das Selbst soll sich von Allem abwenden und enthalten, was nur ihm und was ihm nur zeitlich zur Freude gereicht.« – Endlich noch S. 288: »Wir stimmen dem Abte Zaccaria bei, welcher den Cölibat (nicht das Cölibatsgesetz) vor Allem aus der Lehre Christi und des Apostels Paulus abgeleitet wissen will.«

Was dieser eigentlich Christlichen Grundansicht entgegengestellt wird, ist überall und immer nur das Alte Testament mit seinem panta kala lian. Dies erhellt besonders deutlich aus jenem wichtigen dritten Buch der Stromata des Klemens, woselbst er, gegen die oben genannten enkratistischen Ketzer polemisirend, ihnen stets nur das Judenthum, mit seiner optimistischen Schöpfungsgeschichte, entgegenstellt, mit welcher die neutestamentliche, weltverneinende Richtung allerdings in Widerspruch steht. Allein die Verbindung des Neuen Testaments mit dem Alten ist im Grunde nur eine äußerliche, eine zufällige, ja erzwungene, und den einzigen Anknüpfungspunkt für die Christliche Lehre bot dieses, wie gesagt, nur in der Geschichte vom Sündenfall dar, welcher übrigens im Alten Testament isolirt dasteht und nicht weiter benutzt wird. Sind es doch, der evangelischen Darstellung zufolge, gerade die orthodoxen Anhänger des Alten Testaments, welche den Kreuzestod des Stifters herbeiführen, weil sie seine Lehren im Widerstreit mit den ihrigen finden. Im besagten dritten Buche der Stromata des Klemens tritt der Antagonismus zwischen Optimismus, nebst Theismus, einerseits, und Pessimismus, nebst asketischer Moral, andererseits, mit überraschender Deutlichkeit hervor. Dasselbe ist gegen die Gnostiker gerichtet, welche eben Pessimismus und Askese, namentlich enkrateia (Enthaltsamkeit jeder Art, besonders aber von aller Geschlechtsbefriedigung) lehrten; weshalb Klemens sie lebhaft tadelt. Dabei schimmert aber zugleich durch, daß schon der Geist des Alten Testaments mit dem des Neuen Testaments in diesem Antagonismus steht. Denn, abgesehn vom Sündenfall, der im Alten Testament wie ein hors d'oeuvre dasteht, ist der Geist des Alten Testaments dem des Neuen Testaments diametral entgegengesetzt: jener optimistisch, dieser pessimistisch. Diesen Widerspruch hebt Klemens selbst hervor, am Schlusse des elften Kapitels (prosapoteinomenon ton Paulon tô Ktistê k. t. l.), obwohl er ihn nicht gelten lassen will, sondern für scheinbar erklärt, – als ein guter Jude, der er ist. Ueberhaupt ist es interessant zu sehn, wie dem Klemens überall das Neue und das Alte Testament durcheinanderlaufen und er sie zu vereinbaren bemüht ist, jedoch meistens mit dem Alten Testament das Neue austreibt. Gleich am Eingang des dritten Kapitels wirft er den Markioniten vor, daß sie, nach dem Vorgang des Plato und Pythagoras, die Schöpfung schlecht befunden hätten, indem Markion lehre, es sei eine schlechte Natur, aus schlechtem Stoff (physis kakê, ek te hylês kakês); daher man diese Welt nicht bevölkern, sondern der Ehe sich enthalten solle (mê boulomenoi ton kosmon symplêroun, apechesthai gamou). Dies nimmt nun Klemens, dem überhaupt das Alte Testament viel mehr als das Neue zusagt und einleuchtet, ihnen höchlich übel. Er sieht darin ihren schreienden Undank, Feindschaft und Empörung gegen Den, der die Welt gemacht hat, den gerechten Demiurgos, dessen Werk sie selbst seien und dennoch von seinen Schöpfungen Gebrauch zu machen verschmäheten, in gottloser Rebellion »die naturgemäße Gesinnung verlassend« (antitassomenoi tô poiêtê tô sphôn, – – – enkrateis tê pros ton pepoiêkota echthra, mê boulomenoi chrêsthai tois hyp' autou ktistheisin, – – asebei theomachia tôn kata physin ekstantes logismôn). – Dabei will er, in seinem heiligen Eifer, den Markioniten nicht ein Mal die Ehre der Originalität lassen, sondern, gewaffnet mit seiner bekannten Gelehrsamkeit, hält er ihnen vor, und belegt es mit den schönsten Anführungen, daß schon die alten Philosophen, daß Herakleitos und Empedokles, Pythagoras und Plato, Orpheus und Pindaros, Herodot und Euripides, und noch die Sibylle dazu, die jammervolle Beschaffenheit der Welt tief beklagt, also den Pessimismus gelehrt haben. In diesem gelehrten Enthusiasmus merkt er nun nicht, daß er gerade dadurch den Markioniten Wasser auf ihre Mühle fördert, indem er ja zeigt, daß

»Alle die Weisesten aller der Zeiten«

das Selbe, wie sie, gelehrt und gesungen haben; sondern getrost und beherzt führt er die entschiedensten und energischesten Aussprüche der Alten in jenem Sinne an. Ihn freilich machen sie nicht irre; mögen Weise das Daseyn als traurig bejammern, mögen Dichter sich in den erschütterndesten Klagen darüber ergießen, mag Natur und Erfahrung noch so laut gegen den Optimismus schreien, – dies Alles ficht unsern Kirchenvater nicht an: hält er doch seine Jüdische Offenbarung in der Hand, und bleibt getrost. Der Demiurgos hat die Welt gemacht: hieraus ist a priori gewiß, daß sie vortrefflich sei: und da mag sie aussehn wie sie will. – Eben so geht es sodann mit dem zweiten Punkt, der enkrateia, durch welche, nach seiner Ansicht, die Markioniten ihren Undank gegen den Demiurgos (acharistein tô dêmiourgô) und die Widerspänstigkeit, mit der sie seine Gaben von sich weisen, an den Tag legen (di' antitaxin pros ton dêmiourgon, tên chrêsin tôn kosmikon paraitoumenoi). Da haben nun auch schon die Tragiker den Enkratiten (zum Nachtheil ihrer Originalität) vorgearbeitet und das Selbe gesagt: nämlich Indem auch sie den endlosen Jammer des Daseyns beklagten, haben sie hinzugefügt, es sei besser, keine Kinder in eine solche Welt zu setzen; – welches er nun wieder mit den schönsten Stellen belegt und zugleich die Pythagoreer beschuldigt, aus diesem Grunde dem Geschlechtsgenuß entsagt zu haben. Dies Alles aber schadet ihm nichts: er bleibt bei seinem Satz, daß alle Jene sich durch ihre Enthaltsamkeit versündigen an dem Demiurgos, indem sie ja lehren, daß man nicht heirathen, nicht Kinder zeugen, nicht neue Unglückliche in die Welt setzen, nicht dem Tode neues Futter vorwerfen soll di' enkrateias asebousi eis te tên ktisin kai ton hagion dêmiourgon, ton pantokratora monon theon, kai didaskousi, mê dein paradechesthai gamon kai paidopoiian, mêde anteisagein tô kosmô dystychêsontas heterous, mêde epichorêgein thanatô trophên. c. 6) – Dem gelehrten Kirchenvater, indem er so die enkrateia anklagt, scheint dabei nicht geahndet zu haben, daß gleich nach seiner Zeit die Ehelosigkeit des Christlichen Priesterstandes mehr und mehr eingeführt und endlich im 11. Jahrhundert zum Gesetz erhoben werden sollte, weil sie dem Geiste des Neuen Testaments entspricht. Gerade diesen haben die Gnostiker tiefer aufgefaßt und besser verstanden, als unser Kirchenvater, der mehr Jude, als Christ ist. Die Auffassung der Gnostiker tritt sehr deutlich hervor am Anfang des neunten Kapitels, wo aus dem Evangelio der Aegypter angeführt wird: autos eipen ho Sôtêr, »êlthon katalysai ta erga tês thêleias« thêleias men, tês epithymias; erga de, genesin kai phthoran (ajunt enim dixisse Servatorem: »veni ad dissolvendum Opera feminae«: feminae quidem, cupiditatis; opera autem, generationem et interitum); – ganz besonders aber am Schlusse des dreizehnten und Anfang des vierzehnten Kapitels. Die Kirche freilich mußte darauf bedacht seyn, eine Religion auf die Beine zu bringen, die doch auch gehn und stehn könne, in der Welt, wie sie ist, und unter den Menschen; daher sie diese Leute für Ketzer erklärte. – Am Schlusse des siebenten Kapitels stellt unser Kirchenvater den Indischen Asketismus, als schlecht, dem Christlich-Jüdischen entgegen; – wobei der fundamentale Unterschied des Geistes beider Religionen deutlich hervortritt. Nämlich im Judenthum und Christenthum läuft Alles zurück auf Gehorsam, oder Ungehorsam, gegen Gottes Befehl, – hypakoê kai parakoê; wie es uns Geschöpfen angemessen ist, hêmin tois peplasmenois hypo tês tou Pantokratoros boulêseôs (nobis, qui ab Omnipotentis voluntate efficti sumus) c. 14. – Dazu kommt, als zweite Pflicht, latreuein theô zônti, dem Herrn dienen, seine Werke preisen und von Dank überströhmen. – Da sieht es denn freilich im Brahmanismus und Buddhaismus ganz anders aus, indem in Letzterem alle Besserung, Bekehrung und zu hoffende Erlösung aus dieser Welt des Leidens, diesem Sansara, ausgeht von der Erkenntniß der vier Grundwahrheiten: 1) dolor, 2) doloris ortus, 3) doloris interitus, 4) octopartita via ad doloris sedationem. – Dhammapadam, ed. Fausböll, p.35 et 347. Die Erläuterung dieser vier Wahrheiten findet man in Burnouf, Introduct. à l'hist. du Buddhisme, p. 620, und in allen Darstellungen des Buddhaismus.

In Wahrheit ist nicht das Judenthum, mit seinem panta kala lian, sondern Brahmanismus und Buddhaismus sind, dem Geiste und der ethischen Tendenz nach, dem Christenthum verwandt. Der Geist und die ethische Tendenz sind aber das Wesentliche einer Religion, nicht die Mythen, in welche sie solche kleidet. Ich gebe daher den Glauben nicht auf, daß die Lehren des Christenthums irgendwie aus jenen Urreligionen abzuleiten sind. Auf einige Spuren hievon habe ich schon im zweiten Bande der Parerga, § 179, hingewiesen. Ihnen ist hinzuzufügen, daß Epiphanias (Haeretic. XVIII) berichtet, die ersten Jerusalemitischen Juden-Christen, welche sich Nazaräer nannten, hätten sich aller thierischen Nahrung enthalten. Vermöge dieses Ursprungs (oder wenigstens dieser Uebereinstimmung) gehört das Christenthum dem alten, wahren und erhabenen Glauben der Menschheit an, welcher im Gegensatz steht zu dem falschen, platten und verderblichen Optimismus, der sich im Griechischen Heidenthum, im Judenthum und im Islam darstellt. Die Zendreligion hält gewissermaaßen das Mittel, indem sie, dem Ormuzd gegenüber, am Ahriman ein pessimistisches Gegengewicht hat. Aus dieser Zendreligion ist, wie J. G. Rhode, in seinem Buche »Die heilige Sage des Zendvolks«, gründlich nachgewiesen hat, die Judenreligion hervorgegangen: aus Ormuzd ist Jehova und aus Ahriman Satan geworden, der jedoch im Judenthum nur noch eine sehr untergeordnete Rolle spielt, ja, fast ganz verschwindet, wodurch denn der Optimismus die Oberhand gewinnt und nur noch der Mythos vom Sündenfall, der ebenfalls (als Fabel von Meschian und Meschiane) aus dem Zend-Avesta stammt, als pessimistisches Element übrig bleibt, jedoch in Vergessenheit geräth, bis er, wie auch der Satan, vom Christenthum wieder aufgenommen wird. Inzwischen stammt Ormuzd selbst aus dem Brahmanismus, wiewohl aus einer niedrigen Region desselben: er ist nämlich kein Anderer, als Indra, jener untergeordnete, oft mit Menschen rivalisirende Gott des Firmaments und der Atmosphäre; wie dies sehr richtig nachgewiesen hat der vortreffliche I. J. Schmidt, in seiner Schrift »Ueber die Verwandtschaft der gnostisch-theosophischen Lehren mit den Religionen des Orients«. Dieser Indra-Ormuzd-Jehova mußte nachmals in das Christenthum, da es in Judäa entstand, übergehn, dessen kosmopolitischem Charakter zufolge er jedoch seine Eigennamen ablegte, um in der Landessprache jeder bekehrten Nation durch das Appellativum der durch ihn verdrängten übermenschlichen Individuen bezeichnet zu werden, als theos, Deus, welches vom Sanskrit Deva kommt (wovon auch devil, Teufel), oder bei den Gothisch-Germanischen Völkern durch das von Odin oder Wodan, Guodan, Godan stammende Wort God, Gott. Eben so nahm er, in dem gleichfalls aus dem Judenthum stammenden Islam, den in Arabien auch schon früher vorhandenen Namen Allah an. Diesem analog haben auch die Götter des Griechischen Olymps, als sie, in vorhistorischer Zeit, nach Italien verpflanzt wurden, die Namen der dort vorher herrschenden Götter angenommen; daher Zeus bei den Römern Jupiter, Hera Juno, Hermes Merkur heißt u.s.f. In China erwächst den Missionarien ihre erste Verlegenheit daraus, daß die Chinesische Sprache gar kein Appellativ der Art, wie auch kein Wort für Schaffen hat86; da die drei Religionen Chinas keine Götter kennen, weder im Plural, noch im Singular.

Wie dem übrigens auch seyn möge, dem eigentlichen Christenthum ist jenes panta kala lian des Alten Testaments wirklich fremd: denn von der Welt wird im Neuen Testament durchgängig geredet als von etwas, dem man nicht angehört, das man nicht liebt, ja dessen Beherrscher der Teufel ist87. Dies stimmt zu dem asketischen Geiste der Verleugnung des eigenen Selbst und der Ueberwindung der Welt, welcher, eben wie die gränzenlose Liebe des Nächsten, selbst des Feindes, der Grundzug ist, welchen das Christenthum mit dem Brahmanismus und Buddhaismus gemein hat, und der ihre Verwandtschaft beurkundet. Bei keiner Sache hat man so sehr den Kern von der Schaale zu unterscheiden, wie beim Christenthum. Eben weil ich diesen Kern hoch schätze, mache ich mit der Schaale bisweilen wenig Umstände: sie ist jedoch dicker, als man meistens denkt.

Der Protestantismus hat, indem er die Askese und deren Centralpunkt, die Verdienstlichkeit des Cölibats, eliminirte, eigentlich schon den Innersten Kern des Christenthums aufgegeben und ist insofern als ein Abfall von demselben anzusehn. Dies hat sich in unsern Tagen herausgestellt in dem allmäligen Uebergang desselben in den platten Rationalismus, diesen modernen Pelagianismus, der am Ende hinausläuft auf eine Lehre von einem liebenden Vater, der die Welt gemacht hat, damit es hübsch vergnügt darauf zugehe (was ihm dann freilich mißrathen seyn müßte), und der, wenn man nur in gewissen Stücken sich seinem Willen anbequemt, auch nachher für eine noch viel hübschere Welt sorgen wird (bei der nur zu beklagen ist, daß sie eine so fatale Entree hat). Das mag eine gute Religion für komfortable, verheirathete und aufgeklärte protestantische Pastoren seyn; aber das ist kein Christenthum. Das Christenthum ist die Lehre von der tiefen Verschuldung des Menschengeschlechts durch sein Daseyn selbst und dem Drange des Herzens nach Erlösung daraus, welche jedoch nur durch die schwersten Opfer und durch die Verleugnung des eigenen Selbst, also durch eine gänzliche Umkehrung der menschlichen Natur erlangt werden kann. – Luther mochte, vom praktischen Standpunkte aus, d.h. in Beziehung auf die Kirchengräuel seiner Zeit, die er abstellen wollte, ganz Recht haben; nicht aber eben so vom theoretischen Standpunkte aus. Je erhabener eine Lehre ist, desto mehr steht sie, der im Ganzen niedrig und schlecht gesinnten Menschennatur gegenüber, dem Mißbrauch offen: darum sind im Katholicismus der Mißbräuche so sehr viel mehr und größere, als im Protestantismus. So z.B. ist das Mönchsthum, diese methodische und, zu gegenseitiger Ermuthigung, gemeinsam betriebene Verneinung des Willens, eine Anstalt erhabener Art, die aber eben darum meistens ihrem Geiste untreu wird. Die empörenden Mißbräuche der Kirche riefen im redlichen Geiste Luthers eine hohe Indignation hervor. Aber in Folge derselben kam er dahin, vom Christenthum selbst möglichst viel abdingen zu wollen, zu welchem Zweck er zunächst es auf die Worte der Bibel beschränkte, dann aber auch im wohlgemeinten Eifer zu weit gieng, indem er, im asketischen Princip, das Herz desselben angriff. Denn nach dem Austreten des asketischen Princips trat nothwendig bald das optimistische an seine Stelle. Aber Optimismus ist, in den Religionen, wie in der Philosophie, ein Grundirrthum, der aller Wahrheit den Weg vertritt. Nach dem Allen scheint mir der Katholicismus ein schmählich mißbrauchtes, der Protestantismus aber ein ausgeartetes Christenthum zu seyn, das Christenthum überhaupt also das Schicksal gehabt zu haben, dem alles Edele, Erhabene und Große anheimfällt, sobald es unter Menschen bestehn soll.

Dennoch aber hat, selbst im Schooß des Protestantismus, der wesentlich asketische und enkratistische Geist des Christenthums sich wieder Luft gemacht und ist daraus zu einem in solcher Größe und Bestimmtheit vielleicht nie zuvor dagewesenen Phänomen hervorgegangen, in der höchst merkwürdigen Sekte der Shakers, in Nord-Amerika, gestiftet durch eine Engländerin Anna Lee, 1774. Diese Sektirer sind bereits auf 6000 angewachsen, welche, in 15 Gemeinden getheilt, mehrere Dörfer in den Staaten Neu-York und Kentucki inne haben, vorzüglich im Distrikt Neu-Libanon, bei Nassau-village. Der Grundzug ihrer religiösen Lebensregel ist Ehelosigkeit und gänzliche Enthaltsamkeit von aller Geschlechtsbefriedigung. Diese Regel wird, wie selbst die sonst auf alle Weise sie verhöhnenden und verspottenden Englischen und Nordamerikanischen Besucher einmüthig zugeben, streng und mit vollkommener Redlichkeit befolgt; obgleich Brüder und Schwestern bisweilen sogar das selbe Haus bewohnen, am selben Tisch essen, ja, in der Kirche beim Gottesdienste gemeinschaftlich tanzen. Denn wer jenes schwerste aller Opfer gebracht hat, darf tanzen vor dem Herrn: er ist der Sieger, er hat überwunden. Ihre Gesänge in der Kirche sind überhaupt heiter, ja, zum Theil lustige Lieder. So wird denn auch jener, auf die Predigt folgende Kirchen-Tanz vom Gesänge der Uebrigen begleitet: taktmäßig und lebhaft ausgeführt schließt er mit einer Gallopade, die bis zur Erschöpfung fortgesetzt wird. Zwischen jedem Tanz ruft einer ihrer Lehrer laut aus: »Gedenket, daß ihr euch freuet vor dem Herrn, euer Fleisch ertödtet zu haben! denn Dieses hier ist der alleinige Gebrauch, den wir von unsern widerspänstigen Gliedern machen.« An die Ehelosigkeit knüpfen sich von selbst die meisten übrigen Bestimmungen. Es giebt keine Familie, daher auch kein Privateigenthum, sondern Gütergemeinschaft. Alle sind gleich gekleidet, quäkermäßig und mit großer Reinlichkeit. Sie sind industriell und fleißig: Müßiggang wird nicht geduldet. Auch haben sie die beneidenswerthe Vorschrift, alles unnöthige Geräusch zu vermeiden, wie Schreien, Thürenwerfen, Peitschenknallen, starkes Klopfen u.s.w. Ihre Lebensregel sprach Einer von ihnen so aus: »Führet ein Leben der Unschuld und Reinheit, liebt euren Nächsten, wie euch selbst, lebt mit allen Menschen in Frieden und enthaltet euch des Krieges, Blutvergießens und aller Gewaltthätigkeiten gegen Andere, wie auch alles Trachtens nach weltlicher Ehre und Auszeichnung. Gebt Jedem das Seine, und beobachtet Heiligkeit: denn ohne diese kann Keiner den Herrn schauen. Thut Allen Gutes, so weit Gelegenheit ist und eure Kräfte reichen.« Sie überreden Niemanden zum Beitritt, sondern prüfen die sich Meldenden durch ein mehrjähriges Noviziat. Auch steht Jedem der Austritt frei: höchst selten wird Einer, wegen Vergehungen, ausgestoßen. Zugebrachte Kinder werden sorgfältig erzogen, und erst wann sie erwachsen sind, thun sie freiwillig Profeß. Es wird angeführt, daß bei den Kontroversen ihrer Vorsteher mit anglikanischen Geistlichen diese meistens den Kürzeren ziehn, da die Argumente aus neutestamentlichen Bibelstellen bestehn. – Ausführlichere Berichte über sie findet man vorzüglich in Maxwell's Run through the United states, 1841; ferner auch in Benedict's History of all religions, 1830; desgleichen in den Times, Novr. 4. 1837; und in der deutschen Zeitschrift Columbus, Mai-Heft, 1831. – Eine ihnen sehr ähnliche Deutsche Sekte in Amerika, welche ebenfalls in strenger Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit lebt, sind die Rappisten, über welche berichtet wird in F. Löher's »Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika«, 1853. – Auch in Rußland sollen die Raskolnik eine ähnliche Sekte seyn. Die Gichtelianer leben ebenfalls in strenger Keuschheit. – Aber schon bei den alten Juden finden wir ein Vorbild aller dieser Sekten, die Essener, über welche selbst Plinius berichtet (Hist. nat.. V, 15), und die den Shakers sehr ähnlich waren, nicht allein im Cölibat, sondern auch in andern Stücken, sogar im Tanze beim Gottesdienst88, welches auf die Vermuthung führt, daß die Stifterin dieser jene zum Vorbild genommen habe. – Wie nimmt sich, solchen Thatsachen gegenüber, Luthers Behauptung aus: Ubi natura, quemadmodum a Deo nobis insita est, fertur ac rapitur, fieri nullo modo potest, ut extra matrimonium caste vivatur. (Catech. maj..) –?

Wenn gleich das Christenthum, im Wesentlichen, nur Das gelehrt hat, was ganz Asien damals schon lange und sogar besser wußte; so war dasselbe dennoch für Europa eine neue und große Offenbarung, in Folge welcher daher die Geistesrichtung der Europäischen Völker gänzlich umgestaltet wurde. Denn es schloß ihnen die metaphysische Bedeutung des Daseyns auf und lehrte sie demnach hinwegsehn über das enge, armsälige und ephemere Erdenleben, und es nicht mehr als Selbstzweck, sondern als einen Zustand des Leidens, der Schuld, der Prüfung, des Kampfes und der Läuterung betrachten, aus welchem man, mittelst moralischer Verdienste, schwerer Entsagung und Verleugnung des eigenen Selbst, sich emporschwingen könne zu einem bessern, uns unbegreiflichen Daseyn. Es lehrte nämlich die große Wahrheit der Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben, im Gewände der Allegorie, indem es sagte, daß durch Adams Sündenfall der Fluch Alle getroffen habe, die Sünde in die Welt gekommen, die Schuld auf Alle vererbt sei; daß aber dagegen durch Jesu Opfertod Alle entsühnt seien, die Welt erlöst, die Schuld getilgt und die Gerechtigkeit versöhnt. Um aber die in diesem Mythos enthaltene Wahrheit selbst zu verstehn, muß man die Menschen nicht bloß in der Zeit, als von einander unabhängige Wesen betrachten, sondern die (Platonische) Idee des Menschen auffassen, welche sich zur Menschenreihe verhält, wie die Ewigkeit an sich zu der zur Zeit auseinandergezogenen Ewigkeit; daher eben die, in der Zeit, zur Menschenreihe ausgedehnte ewige Idee Mensch durch das sie verbindende Band der Zeugung auch wieder in der Zeit als ein Ganzes erscheint. Behält man nun die Idee des Menschen im Auge; so sieht man, daß Adams Sündenfall die endliche, thierische, sündige Natur des Menschen darstellt, welcher gemäß er eben ein der Endlichkeit, der Sünde, dem Leiden und dem Tode anheim gefallenes Wesen ist. Dagegen stellt Jesu Christi Wandel, Lehre und Tod die ewige, übernatürliche Seite, die Freiheit, die Erlösung des Menschen dar. Jeder Mensch nun ist, als solcher und potentiâ, sowohl Adam als Jesus, je nachdem er sich auffaßt und sein Wille ihn danach bestimmt; in Folge wovon er sodann verdammt und dem Tode anheimgefallen, oder aber erlöst ist und das ewige Leben erlangt. – Diese Wahrheiten nun waren, im allegorischen, wie im eigentlichen Sinn, völlig neu, in Bezug auf Griechen und Römer, als welche noch gänzlich im Leben aufgiengen und über dasselbe nicht ernstlich hinausblickten. Wer dies Letztere bezweifelt, sehe wie noch Cicero (pro Cluentio, c. 61) und Sallust (Catil., c. 47) vom Zustande nach dem Tode reden. Die Alten, obwohl in fast allem Andern weit vorgerückt, waren in der Hauptsache Kinder geblieben, und wurden darin sogar von den Druiden übertroffen, die doch Metempsychose lehrten. Daß ein Paar Philosophen, wie Pythagoras und Plato, anders dachten, ändert, hinsichtlich auf das Ganze, nichts.

Jene große, im Christenthum, wie im Brahmanismus und Buddhaismus enthaltene Grundwahrheit also, nämlich das Bedürfniß der Erlösung aus einem Daseyn, welches dem Leiden und dem Tode anheimgefallen ist, und die Erreichbarkeit derselben durch Verneinung des Willens, also durch ein entschiedenes der Natur Entgegentreten, ist ohne allen Vergleich die wichtigste, die es geben kann, zugleich aber der natürlichen Richtung des Menschengeschlechts ganz entgegen und nach ihren wahren Gründen schwer zu fassen; wie denn alles bloß allgemein und abstrakt zu Denkende der großen Mehrzahl der Menschen ganz unzugänglich ist. Daher bedurfte es für diese, um jene große Wahrheit in den Bereich ihrer praktischen Anwendbarkeit zu bringen, überall eines mythischen Vehikels derselben, gleichsam eines Gefäßes, ohne welches jene sich verlieren und verflüchtigen würde. Die Wahrheit mußte daher überall das Gewand der Fabel borgen und zudem stets sich an das jedesmal historisch Gegebene, bereits Bekannte und bereits Verehrte anzuschließen bestrebt seyn. Was, bei der niedrigen Gesinnung, der intellektuellen Stumpfheit und überhaupt Brutalität des großen Haufens aller Zeiten und Länder, ihm sensu proprio unzugänglich bliebe, muß ihm, zum praktischen Behuf, sensu allegorico beigebracht werden, um sein Leitstern zu seyn. So sind denn die oben genannten Glaubenslehren anzusehn als die heiligen Gefäße, in welchen die seit mehreren Jahrtausenden, ja, vielleicht seit dem Beginn des Menschengeschlechts erkannte und ausgesprochene große Wahrheit, die jedoch an sich selbst, in Bezug auf die Masse der Menschheit, stets eine Geheimlehre bleibt, dieser nach Maaßgabe ihrer Kräfte zugänglich gemacht, aufbewahrt und durch die Jahrhunderte weitergegeben wird. Weil jedoch Alles, was nicht durch und durch aus dem unzerstörbaren Stoff der lauteren Wahrheit besteht, dem Untergange ausgesetzt ist; so muß, so oft diesem ein solches Gefäß, durch die Berührung mit einer ihm heterogenen Zeit, entgegengeht, der heilige Inhalt irgendwie, durch ein anderes, gerettet und der Menschheit erhalten werden. Die Philosophie aber hat die Aufgabe, jenen Inhalt, da er mit der lauteren Wahrheit Eins ist, für die allezeit äußerst geringe Anzahl der zu denken Fähigen, rein, unvermischt, also bloß in abstrakten Begriffen, mithin ohne jenes Vehikel darzustellen. Dabei verhält sie sich zu den Religionen, wie eine gerade Linie zu mehreren, neben ihr laufenden Kurven: denn sie spricht sensu proprio aus, erreicht mithin geradezu, was jene unter Verhüllungen zeigen und auf Umwegen erreichen.

Wollte ich nun noch, um das zuletzt Gesagte durch ein Beispiel zu erläutern und zugleich eine philosophische Mode meiner Zeit mitzumachen, etwan versuchen, das tiefste Mysterium des Christenthums, also das der Trinität, in die Grundbegriffe meiner Philosophie aufzulösen; so könnte Dieses, unter den bei solchen Deutungen zugestandenen Licenzen, auf folgende Weise geschehn. Der heilige Geist ist die entschiedene Verneinung des Willens zum Leben: der Mensch, in welchem solche sich in concreto darstellt, ist der Sohn. Er ist identisch mit dem das Leben bejahenden und dadurch das Phänomen dieser anschaulichen Welt hervorbringenden Willen, d.i. dem Vater, sofern nämlich die Bejahung und Verneinung entgegengesetzte Akte des selben Willens sind, dessen Fähigkeit zu Beidem die alleinige wahre Freiheit ist. – Inzwischen ist dies als ein bloßer lusus ingenii anzusehn.

Ehe ich dieses Kapitel schließe, will ich einige Belege zu Dem beibringen, was ich § 68 des ersten Bandes durch den Ausdruck Deuteros plous bezeichnet habe, nämlich die Herbeiführung der Verneinung des Willens durch das eigene, schwer gefühlte Leiden, also nicht bloß durch das Aneignen des fremden und die durch dieses vermittelte Erkenntniß der Nichtigkeit und Trübsäligkeit unsers Daseyns. Was bei einer Erhebung solcher Art und dem durch sie eingeleiteten Läuterungsproceß im Innern des Menschen vorgeht, kann man sich faßlich machen an Dem, was jeder erregbare Mensch beim Zuschauen eines Trauerspiels erfährt, als womit es verwandter Natur ist. Nämlich etwan im dritten und vierten Akt wird ein Solcher durch den Anblick: des mehr und mehr getrübten und bedrohten Glückes des Helden schmerzlich afficirt und beängstigt: wann hingegen dieses im fünften Akte gänzlich scheitert und zerschellt, da spürt er eine gewisse Erhebung seines Gemüthes, welche ihm ein Genügen unendlich höherer Art gewährt, als der Anblick des noch so sehr beglückten Helden je vermocht hätte. Dieses nun ist, in den schwachen Wasserfarben der Mitempfindung, wie sie eine wohlbewußte Täuschung erregen kann, das Selbe, was mit der Energie der Wirklichkeit in der Empfindung des eigenen Schicksals vorgeht, wann das schwere Unglück es ist, was den Menschen endlich in den Hafen gänzlicher Resignation treibt. Auf diesem Vorgange beruhen alle den Menschen ganz umwandelnden Bekehrungen, wie ich sie im Texte geschildert habe. Als eine der daselbst erzählten Bekehrungsgeschichte des Raimund Lullius auffallend ähnliche und überdies durch ihren Erfolg denkwürdige mag die des Abbé Rancé hier in wenigen Worten ihre Stelle finden. Seine Jugend war dem Vergnügen und der Lust gewidmet: er lebte endlich in einem leidenschaftlichen Verhältniß mit einer Frau von Montbazon. Eines Abends, als er diese besuchte, fand er ihre Zimmer leer, in Unordnung und dunkel. Mit dem Fuße stieß er an etwas: es war ihr Kopf, den man vom Rumpfe getrennt hatte, weil der Leichnam der plötzlich Gestorbenen sonst nicht in den bleiernen Sarg, der daneben stand, hätte gehn können. Nach Ueberstehung eines gränzenlosen Schmerzes wurde nunmehr, 1663, Rancé der Reformator des damals von der Strenge seiner Regeln gänzlich abgewichenen Ordens der Trappisten, in welchen er sofort trat, und der durch ihn zu jener furchtbaren Größe der Entsagung zurückgeführt wurde, in welcher er noch gegenwärtig zu Latrappe besteht und, als die methodisch durchgeführte, durch die schwersten Entsagungen und eine unglaublich harte und peinliche Lebensweise beförderte Verneinung des Willens, den Besucher mit heiligem Schauer erfüllt, nachdem ihn schon bei seinem Empfange die Demuth dieser ächten Mönche gerührt hat, die durch Fasten, Frieren, Nachtwachen, Beten und Arbeiten abgezehrt, vor ihm, dem Weltkinde und Sünder, niederknien, um seinen Segen zu erbitten. In Frankreich hat von allen Mönchsorden dieser allein sich, nach allen Umwälzungen, vollkommen erhalten; welches dem tiefen Ernst, der bei ihm unverkennbar ist und alle Nebenabsichten ausschließt, zuzuschreiben ist. Sogar vom Verfall der Religion ist er unberührt geblieben; weil seine Wurzel eine tiefer in der menschlichen Natur liegende ist, als irgend eine positive Glaubenslehre.

Daß die hier in Betrachtung genommene, von den Philosophen bisher gänzlich vernachlässigte, große und schnelle Umwälzung des Innersten Wesens im Menschen am häufigsten da eintritt, wo er, bei vollem Bewußtseyn, einem gewaltsamen und gewissen Tode entgegengeht, also bei Hinrichtungen, habe ich im Texte erwähnt. Um aber diesen Vorgang viel deutlicher vor Augen zu bringen, halte ich es keineswegs der Würde der Philosophie unangemessen, die Aeußerungen einiger Verbrecher vor der Hinrichtung herzusetzen; wenn ich mir auch den Spott, daß ich auf Galgenpredigten provocire, dadurch zuziehn sollte. Vielmehr glaube ich allerdings, daß der Galgen ein Ort ganz besonderer Offenbarungen und eine Warte ist, von welcher aus dem Menschen, der daselbst seine Besinnung behält, die Aussichten in die Ewigkeit sich oft weiter aufthun und deutlicher darstellen, als den meisten Philosophen über den Paragraphen ihrer rationalen Psychologie und Theologie. – Folgende Galgenpredigt also hielt, am 15. April 1837, zu Glocester, ein gewisser Bartlett, der seine Schwiegermutter gemordet hatte: »Engländer und Landsleute! Nur sehr wenige Worte habe ich zu sagen; aber ich bitte euch. Alle und Jeden, daß ihr diese wenigen Worte tief in eure Herzen dringen laßt, daß ihr sie im Andenken behaltet, nicht nur während ihr dem gegenwärtigen, traurigen Schauspiele zusehet, sondern sie nach Hause nehmt und sie euren Kindern und Freunden wiederholet. Hierum also flehe ich euch an, als ein Sterbender, als Einer, für den das Todeswerkzeug jetzt bereit steht. Und diese wenigen Worte sind: macht euch los von der Liebe zu dieser sterbenden Welt und ihren eitelen Freuden: denkt weniger an sie und mehr an euren Gott. Das thut! Bekehret euch, bekehret euch! Denn, seid versichert, daß ohne eine tiefe und wahre Bekehrung, ohne ein Umkehren zu eurem himmlischen Vater, ihr nicht die geringste Hoffnung haben könnt, jemals jene Gefilde der Säligkeit und jenes Landes des Friedens zu erreichen, welchem ich jetzt mit schnellen Schritten entgegenzugehn, die feste Zuversicht habe.« (Nach den Times, vom 18. April 1837.) – Noch merkwürdiger ist eine letzte Aeußerung des bekannten Mörders Greenacre, welcher am 1. Mai 1837 in London hingerichtet wurde. Die englische Zeitung The Post berichtet darüber Folgendes, welches auch in Galignani's Messenger vom 6. Mai 1837 abgedruckt ist: »Am Morgen seiner Hinrichtung empfahl ihm ein Herr, er möge sein Vertrauen auf Gott stellen und um Vergebung durch die Vermittelung Jesu Christi beten. Greenacre erwiderte: um Vergebung durch die Vermittelung Christi bitten sei eine Sache der Meinung; er, seines Theils, glaube, daß, in den Augen des höchsten Wesens, ein Mohammedaner einem Christen gleich gelte und eben so viel Anspruch auf Säligkeit habe. Er habe, seit seiner Gefangenschaft, seine Aufmerksamkeit auf theologische Gegenstände gerichtet, und ihm sei die Ueberzeugung geworden, daß der Galgen ein Paß (pass-port) zum Himmel ist.« Gerade die hier an den Tag gelegte Gleichgültigkeit gegen positive Religionen giebt dieser Aeußerung größeres Gewicht; indem sie beweist, daß derselben kein fanatischer Wahn, sondern eigene, unmittelbare Erkenntniß zum Grunde liegt. – Noch folgender Zug sei erwähnt, welchen Galignani's Messenger vom 15. August 1837 aus der Limerick Chronicle giebt: »Letzten Montag wurde Maria Cooney wegen des empörenden Mordes der Frau Anna Anderson hingerichtet. So tief war diese Elende von der Größe ihres Verbrechens durchdrungen, daß sie den Strick, der an ihren Hals gelegt wurde, küßte, indem sie demüthig Gottes Gnade anrief.« – Endlich noch dieses: die Times vom 29. April 1845 geben mehrere Briefe, welche der als Mörder des Delarüe verurtheilte Hocker am Tage vor seiner Hinrichtung geschrieben hat. In einem derselben sagt er: »Ich bin überzeugt, daß, wenn nicht das natürliche Herz gebrochen (the natural heart be broken) und durch göttliche Gnade erneuert ist, so edel und liebenswürdig dasselbe auch der Welt erscheinen mag, es doch nimmer der Ewigkeit gedenken kann, ohne innerlichen Schauder.« – Dies sind die oben erwähnten Aussichten in die Ewigkeit, die sich von jener Warte aus eröffnen, und ich habe um so weniger Anstand genommen, sie herzusetzen, als auch Shakespeare sagt:

out of these convertites

There is much matter to be heard and learn'd89.

(As you like it, last scene.)

Daß auch das Christenthum dem Leiden als solchem die hier dargestellte läuternde und heiligende Kraft beilegt und dagegen dem großen Wohlseyn eine entgegengesetzte Wirkung zuschreibt, hat Strauß in seinem »Leben Jesu« nachgewiesen. (Bd. I, Abschn. 2, Kap. 6, §§ 72 und 74.) Er sagt nämlich, daß die Makarismen in der Bergpredigt einen andern Sinn bei Lukas (6, 21), als bei Matthäus (5, 3) hätten: denn nur Dieser füge zu makarioi hoi ptôchoi hinzu tô pneumati, und zu peinôntes den Zusatz tên dikaiosynên: bei ihm allein also seien die Einfältigen und Demüthigen u.s.w. gemeint, hingegen bei Lukas die eigentlich Armen, so daß hier der Gegensatz der sei) zwischen jetzigem Leiden und künftigem Wohlergehn. Bei den Ebioniten sei ein Hauptsatz, daß wer in dieser Zeit sein Theil nehme, in der künftigen leer ausgehe, und umgekehrt. Auf die Makarismen folgen demgemäß bei Lukas eben so viele ouai, welche den plousiois, empeplêsmenois und gelôsi zugerufen werden, im Ebionitischen Sinn. Im selben Sinn, sagt er S. 604, sei die Parabel (Luk. 16, 19) vom reichen Mann und dem Lazarus gegeben, als welche durchaus kein Vergehn Jenes, noch Verdienst Dieses erzählt, und zum Maaßstab der künftigen Vergeltung nicht das in diesem Leben gethane Gute, oder verübte Böse, sondern das hier erlittene Uebel und genossene Gute nimmt, im Ebionitischen Sinne. »Eine ähnliche Werthschätzung der äußern Armuth«, fährt Strauß fort, »schreiben auch die andern Synoptiker (Matth. 19, 16; Mark. 10, 17 Luk. 18, 18) Jesu zu, in der Erzählung vom reichen Jüngling und der Gnome vom Kameel und Nadelöhr.«

Wenn man den Sachen auf den Grund geht, wird man erkennen, daß sogar die berühmtesten Stellen der Bergpredigt eine indirekte Anweisung zur freiwilligen Armuth, und dadurch zur Verneinung des Willens zum Leben, enthalten. Denn die Vorschrift (Matth. 5, 40 ff.), allen an uns gemachten Forderungen unbedingt Folge zu leisten, Dem, der um die Tunika mit uns rechten will, auch noch das Pallium dazu zu geben, u.s.w., imgleichen (eben daselbst 6, 25-34) die Vorschrift, uns aller Sorgen für die Zukunft, sogar für den morgenden Tag, zu entschlagen und so in den Tag hinein zu leben, sind Lebensregeln, deren Befolgung unfehlbar zur gänzlichen Armuth führt, und die demnach auf indirekte Weise eben Das besagen, was Buddha den Seinigen geradezu vorschreibt und durch sein eigenes Beispiel bekräftigt hat: werfet Alles weg und werdet Bikschu, d.h. Bettler. Noch entschiedener tritt Dieses hervor in der Stelle Matth. 10, 9-15, wo den Aposteln jedes Eigenthum, sogar Schuhe und Wanderstab, untersagt wird und sie auf das Betteln angewiesen werden. Diese Vorschriften sind nachmals die Grundlage der Bettelorden des Heil. Franciscus geworden (Bonaventurae vita S. Francisci, c. 3) Darum also sage ich, daß der Geist der Christlichen Moral mit dem des Brahmanismus und Buddhaismus identisch ist. – In Gemäßheit der ganzen hier dargelegten Ansicht, sagt auch Meister Eckhard (Werke, Bd. I, S. 492): »Das schnellste Thier, das euch trägt zur Vollkommenheit, das ist Leiden.«

Kapitel 49. Die Heilsordnung

Es giebt nur einen angeborenen Irrthum, und es ist der, daß wir dasind, um glücklich zu seyn. Angeboren ist er uns, weil er mit unserm Daseyn selbst zusammenfällt, und unser ganzes Wesen eben nur seine Paraphrase, ja unser Leib sein Monogramm ist: sind wir doch eben nur Wille zum Leben; die successive Befriedigung alles unsers Wollens aber ist was man durch den Begriff des Glückes denkt.

So lange wir in diesem angeborenen Irrthum verharren, auch wohl gar noch durch optimistische Dogmen in ihm bestärkt werden, erscheint uns die Welt voll Widersprüche. Denn bei jedem Schritt, im Großen wie im Kleinen, müssen wir erfahren, daß die Welt und das Leben durchaus nicht darauf eingerichtet sind, ein glückliches Daseyn zu enthalten. Während nun hiedurch der Gedankenlose sich eben bloß in der Wirklichkeit geplagt fühlt, kommt bei Dem, welcher denkt, zur Pein in der Realität noch die theoretische Perplexität hinzu, warum eine Welt und ein Leben, welche doch ein Mal dazu dasind, daß man darin glücklich sei, ihrem Zwecke so schlecht entsprechen? Sie macht vor der Hand sich Luft in Stoßseufzern, wie: »Ach, warum sind der Thränen unter'm Mond so viel?« u. dergl. m., in ihrem Gefolge aber kommen beunruhigende Skrupel gegen die Voraussetzungen jener vorgefaßten optimistischen Dogmen. Immerhin mag man dabei versuchen, die Schuld seiner individuellen Unglücksäligkeit bald auf die Umstände, bald auf andere Menschen, bald auf sein eigenes Mißgeschick, oder auch Ungeschick, zu schieben, auch wohl erkennen, wie Diese sämmtlich dazu mitgewirkt haben; Dieses ändert doch nichts in dem Ergebniß, daß man den eigentlichen Zweck des Lebens, der ja im Glücklichseyn bestehe, verfehlt habe; worüber dann die Betrachtung, zumal wann es mit dem Leben schon auf die Neige geht, oft sehr niederschlagend ausfällt: daher tragen fast alle ältlichen Gesichter den Ausdruck. Dessen, was man auf Englisch disappointment nennt. Ueberdies aber hat uns bis dahin schon jeder Tag unsers Lebens gelehrt, daß die Freuden und Genüsse, auch wenn erlangt, an sich selbst trügerisch sind, nicht leisten was sie versprechen, das Herz nicht zufrieden stellen und endlich ihr Besitz wenigstens durch die sie begleitenden, oder aus ihnen entspringenden Unannehmlichkeiten vergällt wird; während hingegen die Schmerzen und Leiden sich als sehr real erweisen und oft alle Erwartung übertreffen. – So ist denn allerdings im Leben Alles geeignet, uns von jenem ursprünglichen Irrthum zurückzubringen und uns zu überzeugen, daß der Zweck unsers Daseyns nicht der ist, glücklich zu seyn. Ja, wenn näher und unbefangen betrachtet, stellt das Leben sich vielmehr dar, wie ganz eigentlich darauf abgesehn, daß wir uns nicht glücklich darin fühlen sollen, indem dasselbe, durch seine ganze Beschaffenheit, den Charakter trägt von etwas, daran uns der Geschmack benommen, das uns verleidet werden soll und davon wir, als von einem Irrthum, zurückzukommen haben, damit unser Herz von der Sucht zu genießen, ja, zu leben, geheilt und von der Welt abgewendet werde. In diesem Sinne wäre es demnach richtiger, den Zweck des Lebens in unser Wehe, als in unser Wohl zu setzen. Denn die Betrachtungen am Schlusse des vorigen Kapitels haben gezeigt, daß, je mehr man leidet, desto eher der wahre Zweck des Lebens erreicht, und je glücklicher man lebt, desto weiter er hinausgeschoben wird. Diesem entspricht sogar der Schluß des letzten Briefes des Seneka: bonum tunc habebis tuum, quum intelliges infelicissimos esse felices; welcher allerdings auf einen Einfluß des Christenthums zu deuten scheint. – Auch die eigenthümliche Wirkung des Trauerspiels beruht im Grunde darauf, daß es jenen angeborenen Irrthum erschüttert, indem es die Vereitelung des menschlichen Strebens und die Nichtigkeit dieses ganzen Daseyns an einem großen und frappanten Beispiel lebhaft veranschaulicht und hiedurch den tiefsten Sinn des Lebens aufschließt; weshalb es als die erhabenste Dichtungsart anerkannt ist. – Wer nun, auf dem einen oder dem andern Wege, von jenem uns a priori einwohnenden Irrthum, jenem prôton pseudos unsers Daseyns, zurückgekommen ist, wird bald Alles in einem andern Lichte sehn und jetzt die Welt, wenn auch nicht mit seinem Wunsche, doch mit seiner Einsicht in Einklang finden. Die Unfälle, jeder Art und Größe, wenn sie ihn auch schmerzen, werden ihn nicht mehr wundern; da er eingesehn hat, daß gerade Schmerz und Trübsal auf den wahren Zweck des Lebens, die Abwendung des Willens von demselben, hinarbeiten. Dies wird ihm sogar, bei Allem was geschehn mag, eine wundersame Gelassenheit geben, der ähnlich, mit welcher ein Kranker, der eine lange und peinliche Kur gebraucht, den Schmerz derselben als ein Anzeichen ihrer Wirksamkeit erträgt. – Deutlich genug spricht aus dem ganzen menschlichen Daseyn das Leiden als die wahre Bestimmung desselben. Das Leben ist tief darin eingesenkt und kann ihm nicht entgehn: unser Eintritt in dasselbe geschieht unter Thränen, sein Verlauf ist im Grunde immer tragisch, und noch mehr sein Ausgang. Ein Anstrich von Absichtlichkeit hierin ist nicht zu verkennen. In der Regel fährt das Schicksal dem Menschen im Hauptzielpunkt seiner Wünsche und Bestrebungen auf eine radikale Weise durch den Sinn; wodurch alsdann sein Leben eine tragische Tendenz erhält, vermöge welcher es geeignet ist, ihn von der Sucht, deren Darstellung jede individuelle Existenz ist, zu befreien und ihn dahin zu führen, daß er vom Leben scheidet, ohne den Wunsch nach ihm und seinen Freuden zurückzubehalten. Das Leiden ist in der That der Läuterungsproceß, durch welchen allein, in den meisten Fällen, der Mensch geheiligt, d.h. von dem Irrweg des Willens zum Leben zurückgeführt wird. Dem entsprechend wird in den Christlichen Erbauungsbüchern so oft die Heilsamkeit des Kreuzes und Leidens erörtert und ist überhaupt sehr passend das Kreuz, ein Werkzeug des Leidens, nicht des Thuns, das Symbol der Christlichen Religion. Ja, schon der noch jüdische, aber so philosophische Koheleth sagt mit Recht: »Es ist Trauern besser, denn Lachen: denn durch Trauern wird das Herz gebessert« (Prediger Salomo, 7, 3). Unter der Bezeichnung des deuteros plous habe ich das Leiden gewissermaaßen als ein Surrogat der Tugend und Heiligkeit dargestellt: hier aber muß ich das kühne Wort aussprechen, daß wir, Alles wohl erwogen, für unser Heil und Erlösung mehr zu hoffen haben von Dem, was wir leiden, als von Dem, was wir thun. Gerade in diesem Sinne sagt Lamartine, in seiner Hymne à la douleur, den Schmerz anredend, sehr schön:

Tu me traites sans doute en favori des cieux,

Car tu n'épargnes pas les larmes à mes yeux.

Eh bien! je les reçois comme tu les envoies,

Tes maux seront mes biens, et tes soupirs mes joies.

Je sens qu'il est en toi, sans avoir combattu,

Une vertu divine au lieu de ma vertu,

Que tu n' es pas la mort de l'âme, mais sa vie,

Que ton bras, en frappant, guérit et vivifie.

(Lamartine, Harmonies poétiques et religieuses,

II, 7, v. 59 ff.)

Hat also schon das Leiden eine solche heiligende Kraft, so wird diese in noch höherm Grade dem mehr als alles Leiden gefürchteten Tode zukommen. Dem entsprechend wird eine der Ehrfurcht, welche großes Leiden uns abnöthigt, verwandte vor jedem Gestorbenen gefühlt, ja, jeder Todesfall stellt sich gewissermaaßen als eine Art Apotheose oder Heiligsprechung dar; daher wir den Leichnam auch des unbedeutendesten Menschen nicht ohne Ehrfurcht betrachten, und sogar, so seltsam an dieser Stelle die Bemerkung klingen mag, vor jeder Leiche die Wache ins Gewehr tritt. Das Sterben ist allerdings als der eigentliche Zweck des Lebens anzusehn: im Augenblick desselben wird alles Das entschieden, was durch den ganzen Verlauf des Lebens nur vorbereitet und eingeleitet war. Der Tod ist das Ergebniß, das Résumé des Lebens, oder die zusammengezogene Summe, welche die gesammte Belehrung, die das Leben vereinzelt und stückweise gab, mit Einem Male ausspricht, nämlich diese, daß das ganze Streben, dessen Erscheinung das Leben ist, ein vergebliches, eiteles, sich widersprechendes war, von welchem zurückgekommen zu seyn eine Erlösung ist. Wie die gesammte, langsame Vegetation der Pflanze sich verhält zur Frucht, die mit Einem Schlage jetzt hundertfach leistet, was jene allmälig und stückweise; so verhält sich das Leben, mit seinen Hindernissen, getäuschten Hoffnungen, vereitelten Plänen und stetem Leiden, zum Tode, der Alles, Alles, was der Mensch gewollt hat, mit Einem Schlage zerstört und so der Belehrung, die das Leben ihm gab, die Krone aufsetzt. – Der vollbrachte Lebenslauf, auf welchen man sterbend zurückblickt, hat auf den ganzen, in dieser untergehenden Individualität sich objektivirenden Willen eine Wirkung, welche der analog ist, die ein Motiv auf das Handeln des Menschen ausübt: er giebt nämlich demselben eine neue Richtung, welche sonach das moralische und wesentliche Resultat des Lebens ist. Eben weil ein plötzlicher Tod diesen Rückblick unmöglich macht, sieht die Kirche einen solchen als ein Unglück an, um dessen Abwendung gebetet wird. Weil sowohl dieser Rückblick, wie auch die deutliche Vorhersicht des Todes, als durch Vernunft bedingt, nur im Menschen, nicht im Thiere, möglich ist, und deshalb auch nur er den Becher des Todes wirklich leert, ist die Menschheit die alleinige Stufe, auf welcher der Wille sich verneinen und vom Leben ganz abwenden kann. Dem Willen, der sich nicht verneint, verleiht jede Geburt einen neuen und verschiedenen Intellekt, – bis er die wahre Beschaffenheit des Lebens erkannt hat und in Folge hievon es nicht mehr will.

Bei dem naturgemäßen Verlauf kommt im Alter das Absterben des Leibes dem Absterben des Willens entgegen. Die Sucht nach Genüssen verschwindet leicht mit der Fähigkeit zu denselben. Der Anlaß des heftigsten Wollens, der Brennpunkt des Willens, der Geschlechtstrieb, erlischt zuerst, wodurch der Mensch in einen Stand versetzt wird, der dem der Unschuld, die vor der Entwickelung des Genitalsystems dawar, ähnlich ist. Die Illusionen, welche Chimären als höchst wünschenswerthe Güter darstellten, verschwinden, und an ihre Stelle tritt die Erkenntniß der Nichtigkeit aller irdischen Güter. Die Selbstsucht wird durch die Liebe zu den Kindern verdrängt, wodurch der Mensch schon anfängt mehr im fremden Ich zu leben, als im eigenen, welches nun bald nicht mehr seyn wird. Dieser Verlauf ist wenigstens der wünschenswerthe: es ist die Euthanasie des Willens. In Hoffnung auf denselben ist dem Brahmanen verordnet, nach Zurücklegung der besten Lebensjahre, Eigenthum und Familie zu verlassen und ein Einsiedlerleben zu führen. (Menü, B. 6.) Aber wenn, umgekehrt, die Gier die Fähigkeit zum Genießen überlebt, und man jetzt einzelne, im Leben verfehlte Genüsse bereuet, statt die Leerheit und Nichtigkeit aller einzusehn; und wenn sodann an die Stelle der Gegenstände der Lüste, für welche der Sinn abgestorben ist, der abstrakte Repräsentant aller dieser Gegenstände, das Geld, tritt, welches nunmehr die selben heftigen Leidenschaften erregt, die ehemals von den Gegenständen wirklichen Genusses, verzeihlicher, erweckt wurden, und also jetzt, bei abgestorbenen Sinnen, ein lebloser aber unzerstörbarer Gegenstand mit gleich unzerstörbarer Gier gewollt wird; oder auch wenn, auf gleiche Weise, das Daseyn in der fremden Meinung die Stelle des Daseyns und Wirkens in der wirklichen Welt vertreten soll und nun die gleichen Leidenschaften entzündet; – dann hat sich im Geiz, oder in der Ehrsucht, der Wille sublimirt und vergeistigt, dadurch aber sich in die letzte Festung geworfen, in welcher nur noch der Tod ihn belagert. Der Zweck des Daseyns ist verfehlt.

Alle diese Betrachtungen liefern eine nähere Erklärung der im vorigen Kapitel durch den Ausdruck deuteros plous bezeichneten Läuterung, Wendung des Willens und Erlösung, welche durch die Leiden des Lebens herbeigeführt wird und ohne Zweifel die häufigste ist. Denn sie ist der Weg der Sünder, wie wir Alle sind. Der andere Weg, der, mittelst bloßer Erkenntniß und demnächst Aneignung der Leiden einer ganzen Welt, eben dahin führt, ist die schmale Straße der Auserwählten, der Heiligen, mithin als eine seltene Ausnahme zu betrachten. Ohne jenen erstern würde daher für die Meisten kein Heil zu hoffen seyn. Inzwischen sträuben wir uns, denselben zu betreten, und streben vielmehr, mit allen Kräften, uns ein sicheres und angenehmes Daseyn zu bereiten, wodurch wir unsern Willen immer fester an das Leben ketten. Umgekehrt handeln die Asketen, welche ihr Leben absichtlich möglichst arm, hart und freudenleer machen, weil sie ihr wahres und letztes Wohl im Auge haben. Aber für uns sorgt das Schicksal und der Lauf der Dinge besser, als wir selbst, indem es unsere Anstalten zu einem Schlaraffenleben, dessen Thörichtes schon an seiner Kürze, Bestandlosigkeit, Leerheit und Beschließung durch den bittern Tod erkennbar genug ist, allenthalben vereitelt. Dornen über Dornen auf unsern Pfad streuet und das heilsame Leiden, das Panakeion unsers Jammers, uns überall entgegen bringt. Wirklich ist was unserm Leben seinen wunderlichen und zweideutigen Charakter giebt Dieses, daß darin zwei einander diametral entgegengesetzte Grundzwecke sich beständig kreuzen: der des individuellen Willens, gerichtet auf chimärisches Glück, in einem ephemeren, traumartigen, täuschenden Daseyn, wo hinsichtlich des Vergangenen Glück und Unglück gleichgültig sind, das Gegenwärtige aber jeden Augenblick zum Vergangenen wird; und der des Schicksals, sichtlich genug gerichtet auf Zerstörung unsers Glücks und dadurch auf Mortifikation unsers Willens und Aufhebung des Wahnes, der uns in den Banden dieser Welt gefesselt hält.

Die gangbare, besonders protestantische Ansicht, daß der Zweck des Lebens ganz allein und unmittelbar in den moralischen Tugenden, also in der Ausübung der Gerechtigkeit und Menschenliebe liege, verräth ihre Unzulänglichkeit schon dadurch, daß so erbärmlich wenig wirkliche und reine Moralität unter den Menschen angetroffen wird. Ich will gar nicht von hoher Tugend, Edelmuth, Großmuth und Selbstaufopferung reden, als welchen man schwerlich anders, als in Schauspielen und Romanen begegnet seyn wird; sondern nur von jenen Tugenden, die Jedem zur Pflicht gemacht werden. Wer alt ist, denke zurück an alle Die, mit welchen er zu thun gehabt hat; wie viele auch nur wirklich und wahrhaft ehrliche Leute werden ihm wohl vorgekommen seyn? Waren nicht bei Weitem die Meisten, trotz ihrem schaamlosen Auffahren beim leisesten Verdacht einer Unredlichkeit, oder nur Unwahrheit, gerade heraus gesagt, das wirkliche Gegentheil? War nicht niederträchtiger Eigennutz, gränzenlose Geldgier, wohlversteckte Gaunerei, dazu giftiger Neid und teuflische Schadenfreude, so allgemein herrschend, daß die kleinste Ausnahme davon mit Bewunderung aufgenommen wurde? Und die Menschenliebe, wie höchst selten erstreckt sie sich weiter, als bis zu einer Gabe des so sehr Entbehrlichen, daß man es nie vermissen kann? Und in solchen, so überaus seltenen und schwachen Spuren von Moralität sollte der ganze Zweck des Daseyns liegen? Setzt man ihn hingegen in die gänzliche Umkehrung dieses unsers Wesens (welches die eben besagten schlechten Früchte trägt), herbeigeführt durch das Leiden; so gewinnt die Sache ein Ansehn und tritt in Uebereinstimmung mit dem thatsächlich Vorliegenden. Das Leben stellt sich alsdann dar als ein Läuterungsproceß, dessen reinigende Lauge der Schmerz ist. Ist der Proceß vollbracht, so läßt er die ihm vorhergegangene Immoralität und Schlechtigkeit als Schlacke zurück, und es tritt ein, was der Veda sagt: finditur nodus cordis, dissolvuntur omnes dubitationes, ejusque Opera evanescunt. – In Uebereinstimmung mit dieser Ansicht wird man die sehr lesenswerthe 15te Predigt des Meisters Eckhard finden.

Kapitel 50. Epiphilosophie

Am Schlusse meiner Darstellung mögen einige Betrachtungen über meine Philosophie selbst ihre Stelle finden. – Dieselbe maaßt sich, wie schon gesagt, nicht an, das Daseyn der Welt aus seinen letzten Gründen zu erklären: vielmehr bleibt sie bei dem Thatsächlichen der äußern und Innern Erfahrung, wie sie Jedem zugänglich sind, stehn, und weist den wahren und tiefsten Zusammenhang derselben nach, ohne jedoch eigentlich darüber hinauszugehn zu irgend außerweltlichen Dingen und deren Verhältnissen zur Welt. Sie macht demnach keine Schlüsse auf das jenseit aller möglichen Erfahrung Vorhandene, sondern liefert bloß die Auslegung des in der Außenwelt und dem Selbstbewußtseyn Gegebenen, begnügt sich also damit, das Wesen der Welt, seinem Innern Zusammenhange mit sich selbst nach, zu begreifen. Sie ist folglich immanent, im Kantischen Sinne des Worts. Eben deshalb aber läßt sie noch viele Fragen übrig, nämlich warum das thatsächlich Nachgewiesene so und nicht anders sei, u.s.w. Allein alle solche Fragen, oder vielmehr die Antworten darauf, sind eigentlich transscendent, d.h. sie lassen sich mittelst der Formen und Funktionen unsers Intellekts nicht denken, gehn in diese nicht ein: er verhält sich daher zu ihnen wie unsere Sinnlichkeit zu etwanigen Eigenschaften der Körper, für die wir keine Sinne haben. Man kann z.B., nach allen meinen Auseinandersetzungen, noch fragen, woraus denn dieser Wille, welcher frei ist sich zu bejahen, wovon die Erscheinung die Welt, oder zu verneinen, wovon wir die Erscheinung nicht kennen, entsprungen sei? welches die jenseit aller Erfahrung liegende Fatalität sei, welche ihn in die höchst mißliche Alternative, als eine Welt, in der Leiden und Tod herrscht, zu erscheinen, oder aber sein eigenstes Wesen zu verneinen, versetzt habe? oder auch, was ihn vermocht haben möge, die unendlich vorzuziehende Ruhe des säligen Nichts zu verlassen? Ein individueller Wille, mag man hinzufügen, kann zu seinem eigenen Verderben allein durch Irrthum bei der Wahl, also durch Schuld der Erkenntniß, sich hinlenken; aber der Wille an sich, vor aller Erscheinung, folglich noch ohne Erkenntniß, wie konnte er irre gehn und in das Verderben seines jetzigen Zustandes gerathen? woher überhaupt der große Mißton, der diese Welt durchdringt? Ferner kann man fragen, wie tief, im Wesen an sich der Welt, die Wurzeln der Individualität gehn? worauf sich allenfalls noch antworten ließe: sie gehn so tief, wie die Bejahung des Willens zum Leben; wo die Verneinung eintritt, hören sie auf: denn mit der Bejahung sind sie entsprungen. Aber man könnte wohl gar die Frage aufwerfen: »Was wäre ich, wenn ich nicht Wille zum Leben wäre?« und mehr dergleichen. – Auf alle solche Fragen wäre zunächst zu antworten, daß der Ausdruck der allgemeinsten und durchgängigsten Form unsers Intellekts der Satz vom Grunde ist, daß aber dieser eben deshalb nur auf die Erscheinung, nicht auf das Wesen an sich der Dinge Anwendung findet: auf ihm allein aber beruht alles Woher und Warum. In Folge der Kantischen Philosophie ist er nicht mehr eine aeterna veritas, sondern bloß die Form, d.i. Funktion, unsers Intellekts, der wesentlich ein cerebraler und ursprünglich ein bloßes Werkzeug zum Dienste unsers Willens ist, welchen, nebst allen seinen Objektivationen, er daher voraussetzt. An seine Formen aber ist unser gesammtes Erkennen und Begreifen gebunden: demzufolge müssen wir Alles in der Zeit, mithin als ein Vorher oder Nachher, sodann als Ursache und Wirkung, wie auch als oben, unten, Ganzes und Theile u.s.w. auffassen und können aus dieser Sphäre, worin alle Möglichkeit unsers Erkennens liegt, gar nicht heraus. Diese Formen nun aber sind den hier aufgeworfenen Problemen durchaus nicht angemessen, noch deren Lösung, gesetzt sie wäre gegeben, zu fassen irgend geeignet und fähig. Darum stoßen wir mit unserm Intellekt, diesem bloßen Willens-Werkzeug, überall an unauflösliche Probleme, wie an die Mauer unsers Kerkers. – Ueberdies aber läßt sich wenigstens als wahrscheinlich annehmen, daß von allem jenen Nachgefragten nicht bloß für uns keine Erkenntniß möglich sei, sondern überhaupt keine, also nie und nirgends; daß nämlich jene Verhältnisse nicht bloß relativ, sondern absolut unerforschlich seien; daß nicht nur niemand sie wisse, sondern daß sie an sich selbst nicht wißbar seien, indem sie in die Form der Erkenntniß überhaupt nicht eingehen. (Dies entspricht Dem, was Skotus Erigena sagt, de mirabili divina ignorantia, qua Deus non intelligit quid ipse sit Lib. II.) Denn die Erkennbarkeit überhaupt, mit ihrer wesentlichsten, daher stets nothwendigen Form von Subjekt und Objekt, gehört bloß der Erscheinung an, nicht dem Wesen an sich der Dinge. Wo Erkenntniß, mithin Vorstellung ist, da ist auch nur Erscheinung, und wir stehn daselbst schon auf dem Gebiete der Erscheinung: ja, die Erkenntniß überhaupt ist uns nur als ein Gehirnphänomen bekannt, und wir sind nicht nur unberechtigt, sondern auch unfähig, sie anderweitig zu denken. Was die Welt als Welt sei, läßt sich verstehn: sie ist Erscheinung, und wir können, unmittelbar aus uns selbst, vermöge des wohlzerlegten Selbstbewußtseyns, das darin Erscheinende erkennen: dann aber läßt sich, mittelst dieses Schlüssels zum Wesen der Welt, die ganze Erscheinung, ihrem Zusammenhange nach, entziffern; wie ich glaube dies geleistet zu haben. Aber verlassen wir die Welt, um die oben bezeichneten Fragen zu beantworten; so haben wir auch den ganzen Boden verlassen, auf dem allein nicht nur Verknüpfung nach Grund und Folge, sondern selbst Erkenntniß überhaupt möglich ist: dann ist Alles instabilis tellus, innabilis unda. Das Wesen der Dinge vor oder jenseit der Welt und folglich jenseit des Willens, steht keinem Forschen offen; weil die Erkenntniß überhaupt selbst nur Phänomen ist, daher nur in der Welt Statt findet, wie die Welt nur in ihr. Das innere Wesen an sich der Dinge ist kein erkennendes, kein Intellekt, sondern ein erkenntnißloses: die Erkenntniß kommt erst als ein Accidenz, ein Hülfsmittel der Erscheinung jenes Wesens, hinzu, kann daher es selbst nur nach Maaßgabe ihrer eigenen, auf ganz andere Zwecke (die des individuellen Willens) berechneten Beschaffenheit, mithin sehr unvollkommen, in sich aufnehmen. Hieran liegt es, daß vom Daseyn, Wesen und Ursprung der Welt ein vollständiges, bis auf den letzten Grund gehendes und jeder Anforderung genügendes Verständniß unmöglich ist. So viel von den Gränzen meiner und aller Philosophie. –

Das hen kai pan, d.h. daß das innere Wesen in allen Dingen schlechthin Eines und das Selbe sei, hatte, nachdem die Eleaten, Skotus Erigena, Jordan Bruno und Spinoza es ausführlich gelehrt und Schelling diese Lehre aufgefrischt hatte, meine Zelt bereits begriffen und eingesehn. Aber was dieses Eine sei und wie es dazu komme sich als das Viele darzustellen, ist ein Problem, dessen Lösung man zuerst bei mir findet. – Ebenfalls hatte man, seit den ältesten Zeiten, den Menschen als Mikrokosmos angesprochen. Ich habe den Satz umgekehrt und die Welt als Makranthropos nachgewiesen; sofern Wille und Vorstellung ihr wie sein Wesen erschöpft. Offenbar aber ist es richtiger, die Welt aus dem Menschen verstehn zu lehren, als den Menschen aus der Welt: denn aus dem unmittelbar Gegebenen, also dem Selbstbewußtseyn, hat man das mittelbar Gegebene, also das der äußern Anschauung, zu erklären; nicht umgekehrt.

Mit den Pantheisten habe ich nun zwar jenes hen kai pan gemein, aber nicht das pan theos; weil ich über die (im weitesten Sinne genommene) Erfahrung nicht hinausgehe und noch weniger mich mit den vorliegenden Datis in Widerspruch setze. Skotus Erigena erklärt, im Sinne des Pantheismus ganz konsequent, jede Erscheinung für eine Theophanie; dann muß aber dieser Begriff auch auf die schrecklichen und scheußlichen Erscheinungen übertragen werden: saubere Theophanien! Was mich ferner von den Pantheisten unterscheidet, ist hauptsächlich Folgendes, 1) Daß ihr theos ein x, eine unbekannte Größe ist, der Wille hingegen unter allem Möglichen das uns am genauesten Bekannte, das allein unmittelbar Gegebene, daher zur Erklärung des Uebrigen ausschließlich Geeignete. Denn überall muß das Unbekannte aus dem Bekannteren erklärt werden; nicht umgekehrt. – 2) Daß ihr theos sich manifestirt animi causa, um seine Herrlichkeit zu entfalten, oder gar sich bewundern zu lassen. Abgesehn von der ihm hiebei untergelegten Eitelkeit, sind sie dadurch in den Fall gesetzt, die kolossalen Uebel der Welt hinwegsophisticiren zu müssen; aber die Welt bleibt in schreiendem und entsetzlichem Widerspruch mit jener phantasirten Vortrefflichkeit stehn. Bei mir hingegen kommt der Wille durch seine Objektivation, wie sie auch immer ausfalle, zur Selbsterkenntniß, wodurch seine Aufhebung, Wendung, Erlösung, möglich wird. Auch hat demgemäß bei mir allein die Ethik ein sicheres Fundament und wird vollständig durchgeführt, in Uebereinstimmung mit den erhabenen und tiefgedachten Religionen, also dem Brahmanismus, Buddhaismus und Christenthum, nicht bloß mit dem Judenthum und Islam. Auch die Metaphysik des Schönen wird erst in Folge meiner Grundwahrheiten vollständig aufgeklärt, und braucht nicht mehr sich hinter leere Worte zu flüchten. Bei mir allein werden die Uebel der Welt in ihrer ganzen Größe redlich eingestanden: sie können dies, weil die Antwort auf die Frage nach ihrem Ursprung zusammenfällt mit der auf die nach dem Ursprung der Welt. Hingegen ist in allen andern Systemen, weil sie sämmtlich optimistisch sind, die Frage nach dem Ursprung des Uebels die stets wieder hervorbrechende unheilbare Krankheit, mit welcher behaftet sie sich, unter Palliativen und Quacksalbereien, dahinschleppen. – 3) Daß ich von der Erfahrung und dem natürlichen, Jedem gegebenen Selbstbewußtseyn ausgehe und auf den Willen als das einzige Metaphysische hinleite, also den aufsteigenden, analytischen Gang nehme. Die Pantheisten hingegen gehn, umgekehrt, den herabsteigenden, den synthetischen: von ihrem theos, den sie, wenn auch bisweilen unter dem Namen substantia oder Absolutum, erbitten oder ertrotzen, gehn sie aus, und dieses völlig Unbekannte soll dann alles Bekanntere erklären. – 4) Daß bei mir die Welt nicht die ganze Möglichkeit alles Seyns ausfüllt, sondern in dieser noch viel Raum bleibt für Das, was wir nur negativ bezeichnen als die Verneinung des Willens zum Leben. Pantheismus hingegen ist wesentlich Optimismus: ist aber die Welt das Beste, so hat es bei ihr sein Bewenden. – 5) Daß den Pantheisten die anschauliche Welt, also die Welt als Vorstellung, eben eine absichtliche Manifestation des ihr inwohnenden Gottes ist, welches keine eigentliche Erklärung ihres Hervortretens enthält, vielmehr selbst einer bedarf: bei mir hingegen findet die Welt als Vorstellung sich bloß per accidens ein, indem der Intellekt, mit seiner äußern Anschauung, zunächst nur das medium der Motive für die vollkommeneren Willenserscheinungen ist, welches sich allmälig zu jener Objektivität der Anschaulichkeit steigert, in welcher die Welt dasteht. In diesem Sinne wird von ihrer Entstehung, als anschaulichen Objektes, wirklich Rechenschaft gegeben, und zwar nicht, wie bei jenen, mittelst unhaltbarer Fiktionen.

Da, in Folge der Kantischen Kritik aller spekulativen Theologie, die Philosophirenden in Deutschland sich fast alle auf den Spinoza zurückwarfen, so daß die ganze unter dem Namen der Nachkantischen Philosophie bekannte Reihe verfehlter Versuche bloß geschmacklos aufgeputzter, in allerlei unverständliche Reden gehüllter und noch sonst verzerrter Spinozismus ist; will ich, nachdem ich das Verhältniß meiner Lehre zum Pantheismus überhaupt dargelegt habe, noch das, in welchem sie zum Spinozismus insbesondere steht, bezeichnen. Zu diesem also verhält sie sich wie das Neue Testament zum alten. Was nämlich das Alte Testament mit dem neuen gemein hat ist der selbe Gott-Schöpfer. Dem analog, ist bei mir, wie bei Spinoza, die Welt aus ihrer Innern Kraft und durch sich selbst da. Allein beim Spinoza ist seine substantia aeterna, das innere Wesen der Welt, welches er selbst Deus betitelt, auch seinem moralischen Charakter und seinem Werthe nach, der Jehova, der Gott- der seiner Schöpfung Beifall klatscht und findet, daß Alles vortrefflich gerathen sei, panta kala lian. Spinoza hat ihm weiter nichts, als die Persönlichkeit entzogen. Auch bei ihm also ist die Welt und Alles in ihr ganz vortrefflich und wie es seyn soll: daher hat der Mensch weiter nichts zu thun, als vivere, agere, suum Esse conservare, ex fundamento proprium utile quaerendi (Eth. IV, pr. 6-7): er soll eben sich seines Lebens freuen, so lange es währt; ganz nach Koheleth, 9, 7-10. Kurz, es ist Optimismus: daher ist die ethische Seite schwach, wie im Alten Testament, ja, sie ist sogar falsch und zum Theil empörend90. – Bei mir hingegen ist der Wille, oder das innere Wesen der Welt, keineswegs der Jehova, vielmehr ist es gleichsam der gekreuzigte Heiland, oder aber der gekreuzigte Schacher, je nachdem es sich entscheidet: demzufolge stimmt meine Ethik auch zur Christlichen durchweg und bis zu den höchsten Tendenzen dieser, wie nicht minder zu der des Brahmanismus und Buddhaismus. Spinoza hingegen konnte den Juden nicht los werden: quo semel est imbuta recens servabit odorem – Ganz Jüdisch, und im Verein mit dem Pantheismus obendrein absurd und abscheulich zugleich, ist seine Verachtung der Thiere, welche auch er, als bloße Sachen zu unserm Gebrauch, für rechtlos erklärt: Eth. IV, appendix, c. 27. – Bei dem Allen bleibt Spinoza ein sehr großer Mann. Aber um seinen Werth richtig zu schätzen, muß man sein Verhältniß zum Cartesius im Auge behalten. Dieser hatte die Natur in Geist und Materie, d.i. denkende und ausgedehnte Substanz, scharf gespalten, und eben so Gott und Welt im völligen Gegensatz zu einander aufgestellt: auch Spinoza, so lange er Cartesianer war, lehrte das Alles, in seinen Cogitatis metaphysicis, c. 12, i. J. 1665. Erst in seinen letzten Jahren sah er das Grundfalsche jenes zwiefachen Dualismus ein: und demzufolge besteht seine eigene Philosophie hauptsächlich in der indirekten Aufhebung jener zwei Gegensätze, welcher er jedoch, theils um seinen Lehrer nicht zu verletzen, theils um weniger anstößig zu seyn, mittelst einer streng dogmatischen Form, ein positives Ansehn gab, obgleich der Gehalt hauptsächlich negativ ist. Diesen negativen Sinn allein hat auch seine Identifikation der Welt mit Gott. Denn die Welt Gott nennen heißt nicht sie erklären: sie bleibt ein Räthsel unter diesem Namen, wie unter jenem. Aber jene beiden negativen Wahrheiten hatten Werth für ihre Zeit, wie für jede, in der es noch bewußte, oder unbewußte Cartesianer giebt. Mit allen Philosophen vor Locke hat er den großen Fehler gemein, von Begriffen auszugehn, ohne vorher deren Ursprung untersucht zu haben, wie da sind Substanz, Ursache u.s.w., die dann bei solchem Verfahren eine viel zu weit ausgedehnte Geltung erhalten. – Die, welche, in neuester Zeit, sich zum aufgekommenen Neo-Spinozismus nicht bekennen wollten, wurden wie z.B. Jacobi, hauptsächlich durch das Schreckbild des Fatalismus davon zurückgescheucht. Unter diesem nämlich ist jede Lehre zu verstehn, welche das Daseyn der Welt, nebst der kritischen Lage des Menschengeschlechts in ihr, auf irgend eine absolute, d.h. nicht weiter erklärbare Nothwendigkeit zurückführt. Jene hingegen glaubten, es sei Alles daran gelegen, die Welt aus dem freien Willensakt eines außer ihr befindlichen Wesens abzuleiten; als ob zum voraus gewiß wäre, welches von Beiden richtiger, oder auch nur in Beziehung auf uns besser wäre. Besonders aber wird dabei das non datur tertium vorausgesetzt, und demgemäß hat jede bisherige Philosophie das Eine oder das Andere vertreten. Ich zuerst bin hievon abgegangen, indem ich das Tertium wirklich aufstellte: der Willensakt, aus welchem die Welt entspringt, ist unser eigener. Er ist frei: denn der Satz vom Grunde, von dem allein alle Nothwendigkeit ihre Bedeutung hat, ist bloß die Form seiner Erscheinung. Eben darum ist diese, wenn ein Mal da, in ihrem Verlauf durchweg nothwendig: in Folge hievon allein können wir aus ihr die Beschaffenheit jenes Willensaktes erkennen und demgemäß eventualiter anders wollen.

Fußnoten

1 Daß das dreizehige Faulthier deren neun hätte, soll als Irrthum erkannt worden seyn: jedoch führt Owen, Ostéologie comp., p. 405, es noch an.

2 Dies entschuldigt jedoch nicht einen Professor der Philosophie, welcher, auf Kants Stuhle sitzend, sich also vernehmen läßt: »Daß die Mathematik als solche die Arithmetik und Geometrie enthält, ist richtig; unrichtig jedoch die Arithmetik als die Wissenschaft der Zeit zu fassen, in der That aus keinem andern Grunde, als um der Geometrie, als der Wissenschaft des Raumes, einen Pendanten (sic) zu geben.« (Rosenkranz, im »Deutschen Museum«, 1857, 14. Mai, Nr. 20.) Dies sind die Früchte der Hegelei: ist durch deren sinnlosen Gallimathias der Kopf ein Mal gründlich verdorben; so geht ernsthafte Kantische Philosophie nicht mehr hinein; und von dem Meister hat man die Dreistigkeit ererbt, in den Tag hinein zu reden über Dinge, die man nicht versteht: so kommt man endlich dahin, die Grundlehren eines großen Geistes ohne Umstände im peremtorisch entscheidenden Tone zu verurtheilen, als wären es eben Hegel'sche Narrenspossen. Wir dürfen es aber nicht hingehn lassen, daß die kleinen Leutchen da unten die Spur der großen Denker auszutreten sich bemühen. Sie thäten daher besser, sich an Kant nicht zu reiben, sondern sich damit zu begnügen, ihrem Publiko über Gott, die Seele, die thatsächliche Freiheit des Willens und was sonst dahin einschlägt, nähere Auskunft zu ertheilen und sodann in ihrer finstern Hinterboutique, dem philosophischen Journal, sich ein Privatvergnügen zu machen: da können sie ungenirt thun und treiben was sie wollen, kein Mensch sieht hin.

3 Dieses Kapitel, mit sammt dem folgenden, steht in Beziehung auf § 8 und 9 des ersten Bandes.

4 Illgens Zeitschrift für historische Theologie, 1839, erstes Heft, S. 182.

5 Gall et Spurzheim, Des dispositions innées, 1811, p. 253.

6 Dieses Kapitel steht in Beziehung zu § 12 des ersten Bandes.

7 Beständig lesend, um nie gelesen zu werden.

8

Nicht mehr, – nicht mehr, – o nimmermehr auf mich

Kann, gleich dem Thau, des Herzens Frische fallen,

Die aus den holden Dingen, die wir sehn,

Gefühle auszieht, neu und wonnevoll:

Die Brust bewahrt sie, wie die Zell' den Honig.

Denkst du, der Honig sei der Dinge Werk?

Ach nein, nicht sie, nur deine eig'ne Kraft

Kann selbst der Blume Süßigkeit verdoppeln.

9 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 13 des ersten Bandes.

10 Dieses Kapitel, mit sammt dem folgenden, steht in Beziehung zu § 9 des ersten Bandes.

11 Dieses Kapitel steht in Beziehung zum Schlusse des § 9 des ersten Bandes.

12 Dieses Kapitel steht in Beziehung zu § 14 des ersten Bandes.

13 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 15 des ersten Bandes.

14

Die Einsamkeit der Könige zu fühlen,

Jedoch der Macht entbehren, welche sie

Die Krone tragen läßt.

15 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 16 des ersten Bandes.

16 Dieses Kapitel steht in Beziehung zu § 15 des ersten Bandes.

17 »Es findet sich eine Beschreibung ihrer Unterredung, deren Gegenstand die Schöpfung ist, – durch wen die Welt hervorgebracht sei? Buddha richtet mehrere Fragen an Brahma: ob er es gewesen, der dies oder jenes Ding gemacht, oder hervorgebracht, und es mit dieser oder jener Eigenschaft begabt habe? ob er es gewesen, der die verschiedenen Umwälzungen zur Zerstörung und Wiederherstellung der Welt verursacht habe? – Brahma leugnet, daß er jemals irgend etwas dergleichen gethan habe. Endlich fragt er selbst den Buddha, wie die Welt hervorgebracht sei, – durch wen? Nun werden alle Veränderungen der Welt den moralischen Werken animalischer Wesen zugeschrieben, und wird gesagt, daß Alles in der Welt bloße Illusion sei, keine Realität in den Dingen, Alles leer. Der also in Buddha's Lehre unterrichtete Brahma wird sein Anhänger.«

18 Dieses Kapitel steht in Beziehung zu § 18 des ersten Bandes.

19 Dieses Kapitel steht in Beziehung zu § 19 des ersten Bandes.

20 Merkwürdig ist, daß schon Augustinus dieses erkannt hat. Nämlich im vierzehnten Buche De civ. Dei, c. 6, redet er von den affectionibus animi, welche er, im vorhergehenden Buche, unter vier Kategorien, cupiditas, timor, laetitia, tristitia, gebracht hat, und sagt: voluntas est quippe in omnibus, imo omnes nihil aliud, quam voluntates sunt: nam quid est cupiditas et laetitia, nisi voluntas in eorum consensionem, quae volumus? et quid est metus atque tristitia, nisi voluntas in dissensionem ab his, quae nolumus? etc.

21 Etwas, das wir als falsch erkennen, dennoch ernstlich fürchten; weil das Schlimmste stets der Wahrheit am nächsten liegt.

22 Durch nichts erbittert Einer die meisten Menschen mehr, als dadurch, daß er seine Ueberlegenheit in der Konversation zu glänzen an den Tag legt. Für den Augenblick scheinen sie Wohlgefallen daran zu haben: aber in ihrem Herzen verfluchen sie ihn, aus Neid.

23 Den weisesten, glänzendesten, niederträchtigsten der Menschen.

24 Von Denen, welche Geist und Gelehrsamkeit über alle andern menschlichen Eigenschaften stellen, wird dieser Mann den größesten seines Jahrhunderts beigezählt werden: aber von Denen, welche die Tugend allem Andern vorgehn lassen, wird sein Andenken nie genug verflucht werden können. Er war der grausamste unter den Bürgern, im Verfolgen, Tödten und Verbannen.

25

Dem Strohfeu'r gleich, ist Jünglings Zorn nicht schlimm:

Rothglüh'ndem Eisen gleicht des Alten Grimm.

26 Times vom 18. Oktober 1845; nach dem Athenaeum.

27 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 20 des ersten Bandes.

28 Spallanzani, Risultati di esperienze sopra la riproduzione della testa nelle lumache terrestri: in den Memorie di matematica e fisica della Società Italiana, Tom. I, p. 581. – Voltaire, Les colimaçons du révérend père l'escarbotier.

29 »Tout ce qui est relatif à l'entendement appartient à la vie animale«, dit Bichat, et jusque-là point de doute; »tout ce qui est relatif aux passions appartient à la vie organique«, – et ceci est absolument faux. – So?! – decrevit Florentius magnus.

30 Dieses Kapitel bezieht sich auf die letztere Hälfte des § 27 des ersten Bandes.

31 De augm. scient., L. VI, c. 3.

32 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 23 des ersten Bandes.

33 Dieses, wie auch das folgende Kapitel bezieht sich auf § 28 des ersten Bandes.

34 Hier sei es beiläufig bemerkt, daß, nach der Deutschen Litteratur seit Kant zu urtheilen, man glauben müßte, Hume's ganze Weisheit hätte in seinem handgreiflich falschen Skepticismus gegen das Kausalitätsgesetz bestanden, als wovon überall ganz allein geredet wird. Um Hume kennen zu lernen, muß man seine Natural history of religion und die Dialogues on natural religion lesen: da sieht man ihn in seiner Größe, und dies, nebst dem essay 20, on national character, sind die Schriften, wegen welcher er, – ich wüßte zu seinem Ruhme nichts Besseres zu sagen – bis auf den heutigen Tag der Englischen Pfaffenschaft über Alles verhaßt ist.

35 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 29 des ersten Bandes.

36 Augustini de civit. Dei, L. XI, c. 27 verdient, als ein interessanter Kommentar zu dem hier Gesagten, verglichen zu werden.

37 Dieses Kapitel bezieht sich auf §§ 30-32 des ersten Bandes.

38 Dieses Kapitel bezieht sich auf §§ 33, 34 des ersten Bandes.

39 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 36 des ersten Bandes.

40 Es giebt nichts Anderes auf der Welt, als Vulgus.

41 In Medwin's Conversations of L. Byron, p. 333.

42 Dieses Kapitel bezieht sich auf die zweite Hälfte des § 36 des ersten Bandes.

43 Rgya Tcher Rol Pa, Hist. de Bouddha Chakya Mouni, trad. du Tibétain p. Foucaux, 1848, p. 91 et 99.

44 Dieses Kapitel steht in Beziehung zu § 38 des ersten Bandes.

45 Dieses Kapitel steht in Beziehung zu § 49 des ersten Bandes.

46 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 43 des ersten Bandes.

47 Dieses Kapitel bezieht sich auf §§ 44-50 des ersten Bandes.

48 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 51 des ersten Bandes.

49 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 51 des ersten Bandes.

50 Beiläufig sei hier bemerkt, daß aus diesem Gegensatz von poiêsis und historia der Ursprung und damit der eigentliche Sinn des ersteren Wortes ungemein deutlich hervortritt: es bedeutet nämlich das Gemachte, Ersonnene, im Gegensatz des Erfragten.

51 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 52 des ersten Bandes.

52 Es wäre ein falscher Einwurf, daß auch Skulptur und Malerei bloß im Raume seien: denn ihre Werke hängen zwar nicht unmittelbar, aber doch mittelbar mit der Zeit zusammen, indem sie Leben, Bewegung, Handlung darstellen. Eben so falsch wäre es zu sagen, daß auch die Poesie, als Rede, allein der Zeit angehöre: dies gilt, eben so, nur unmittelbar von den Worten: ihr Stoff ist alles Daseiende, also das Räumliche.

53 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 54 des ersten Bandes.

54 In gladiatoriis pugnis timidos et supplices, et, ut vivere liceat, obsecrantes etiam odisse solemus; fortes et animosos, et se acriter ipsos morti offerentes servare cupimus. Cic. pro Milone, c. 34.

55 »Gegen das System der Bhagavatas, welches nur zum Theil ketzerisch ist, ist die Einwendung, auf welche Vyasa das größte Gewicht legt, diese, daß die Seele nicht ewig seyn würde, wenn sie hervorgebracht wäre und folglich einen Anfang hätte.«

56 »In der Hölle ist das härteste Loos das jener Irreligiosen, die Deitty genannt werden: dies sind solche, welche, das Zeugnis Buddha's verwerfend, der ketzerischen Lehre anhängen, daß alle lebenden Wesen ihren Anfang im Mutterleibe nehmen und ihr Ende im Tode erreichen.«

57 »Die Metempsychose ist daher das einzige System dieser Art, auf welches die Philosophie hören kann.« – Diese posthume Abhandlung findet sich in den Essays on suicide and the immortality of the soul, by the late Dav. Hume, Basil 1799, sold by James Decker. Durch diesen Baseler Nachdruck nämlich sind jene beiden Werke eines der größten Denker und Schriftsteller Englands vom Untergange gerettet worden, nachdem sie in ihrem Vaterlande, in Folge der daselbst herrschenden stupiden und überaus verächtlichen Bigotterie, durch den Einfluß einer mächtigen und frechen Pfaffenschaft unterdrückt worden waren, zur bleibenden Schande Englands. Es sind ganz leidenschaftslose, kalt vernünftige Untersuchungen der beiden genannten Gegenstände.

58 Sancara, s. de theologumenis Vedanticorum, ed. F. H. H. Windischmann, p. 37. Oupnekhat, Vol. I, p. 387, et p. 78.Colebrooke's Miscellaneous essays, Vol. I, p. 363.

59 Die Etymologie des Wortes Nirwana wird verschieden angegeben. Nach Colebrooke (Transact. of the Roy. Asiat. soc., Vol. I, p. 566) kommt es von Wa, wehen, wie der Wind, mit vorgesetzter Negation Nir, bedeutet also Windstille, aber als Adjektiv »erloschen«. – Auch Obry, du Nirvana Indien, sagt p. 3: Nirvanam en sanscrit signifie à la lettre extinction, telle que celle d'un feu. – Nach dem Asiatic Journal, Vol. 24, p. 735, heißt es eigentlich Nerawana, von nera, ohne, und wana, Leben, und die Bedeutung wäre annihilatio. – Im Eastern Monachism, by Spence Hardy, wird, S. 295, Nirwana abgeleitet von Wana, sündliche Wünsche, mit der Negation nir. – J. J. Schmidt, in seiner Uebersetzung der Geschichte der Ostmongolen, S. 307, sagt, das Sanskritwort Nirwana werde im Mongolischen übersetzt durch eine Phrase, welche bedeutet: »vom Jammer abgeschieden«, – »dem Jammer entwichen«. – Nach des selben Gelehrten Vorlesungen in der Petersburger Akademie ist Nirwana das Gegentheil von Sansara, welches die Welt der steten Wiedergeburten, des Gelüstes und Verlangens, der Sinnentäuschung und wandelbaren Formen, des Geborenwerdens, Alterns, Erkrankens und Sterbens ist. – In der Burmesischen Sprache wird das Wort Nirwana, nach Analogie der übrigen Sanskritworte, umgestaltet in Nieban und wird übersetzt durch »vollständige Verschwindung«. Siehe Sangermano's Description of the Burmese empire, transl. by Tandy, Rome 1833, § 27. In der ersten Auflage von 1819 schrieb auch ich Nieban, weil wir damals den Buddhaismus nur aus dürftigen Nachrichten von den Birmanen kannten.

60 Memmen zeugen Memmen, und Niederträchtiges Niederträchtiges.

61 Disputatio de corporum habitudine, animae, hujusque virium indice. Harderov. 1789, § 9.

62 Unsere Mutter war eine Frau von ausgezeichneten Vorzügen.

63 Ich habe mich hier nicht eigentlich ausdrücken dürfen: der geneigte Leser hat daher die Phrase in eine Aristophanische Sprache zu übersetzen.

64 Das Ausführlichere hierüber findet man in Parerga, Bd. 2, § 92 der ersten Auflage.

65 Wer liebte je, der nicht beim ersten Anblick liebte?

66 Himmel! also Du liebst mich?! Dafür würde ich hunderttausend Siege aufgeben, würde umkehren, u.s.w.

67

Ich frag' nicht, ich sorg' nicht,

Ob Schuld in dir ist:

Ich lieb' dich, das weiß ich,

Was immer du bist.

68 Ich liebe und hasse sie.

69 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 60 des ersten Bandes.

70 Vom Baum der Erkenntniß ist gepflückt worden: – Alles ist bekannt.

71 Dieses Kapitel bezieht sich auf §§ 56-59 des ersten Bandes. Auch ist damit zu vergleichen Kapitel 11 und 12 des zweiten Bandes der Parerga und Paralipomena.

72

Bis Alter und Erfahrung, Hand in Hand,

Zum Tod' ihn führen und er hat erkannt,

Daß, nach so langem, mühevollen Streben,

Er Unrecht hatte, durch sein ganzes Leben.

73 Tausend Genüsse sind nicht eine Quaal werth.

74 Unser Leben ist falscher Art: in der Harmonie der Dinge kann es nicht liegen, dieses harte Verhängniß, diese unausrottbare Seuche der Sünde, dieser gränzenlose Upas, dieser Alles vergiftende Baum, dessen Wurzel die Erde ist, dessen Blätter und Zweige die Wolken sind, welche ihre Plagen auf die Menschen herabregnen, wie Thau, – Krankheit, Tod, Knechtschaft, – all das Wehe, welches wir sehn, – und, was schlimmer, das Wehe, welches wir nicht sehn, – und welches die unheilbare Seele durchwallt, mit immer neuem Gram.

75

O, könnte man im Schicksalsbuche lesen,

Der Zeiten Umwälzung, des Zufalls Hohn

Darin ersehn, und wie Veränderung

Bald diesen Trank, bald jenen uns kredenzet, –

O, wer es säh! und wär's der frohste Jüngling,

Der, seines Lebens Lauf durchmusternd,

Das Ueberstandene, das Drohende erblickte, –

Er schlüg' es zu, und setzt' sich hin, und stürbe.

76 Ueberzähle die Freuden, welche deine Stunden gesehn haben; überzähle die Tage, die von Angst frei gewesen; und wisse, daß, was immer du gewesen seyn magst, es etwas Besseres ist, nicht zu seyn.

77 Dieses Kapitel bezieht sich auf §§ 55, 62, 67 des ersten Bandes.

78 Diese ist erörtert im Anhang zu meiner Preisschrift über die Freiheit des Willens.

79 Dieses Kapitel bezieht sich auf § 68 des ersten Bandes. Auch ist damit zu vergleichen Kap. 14 des zweiten Bandes der Parerga.

80 Sofern man hingegen die Askese gelten läßt, wäre die in meiner Preisschrift über das Fundament der Moral gegebene Aufstellung der letzten Triebfedern des menschlichen Handelns, nämlich 1) eigenes Wohl, 2) fremdes Wehe und 3) fremdes Wohl, noch durch eine vierte zu ergänzen: eigenes Wehe: welches ich hier bloß im Interesse der systematischen Konsequenz beiläufig bemerke. Dort nämlich mußte, da die Preisfrage im Sinn der im protestantischen Europa geltenden philosophischen Ethik gestellt war, diese vierte Triebfeder stillschweigend übergangen werden.

81 Siehe F. H. H. Windischmann's Sancara, sive de theologumenis Vedanticorum, p. 116, 117 et 121-23: wie auch Oupnekhat, Vol. I, p. 340, 356, 360.

82 Vergl. die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 274.

83 S. Bonaventurae vita S. Francisci, c. 8. – K. Hase, Franz von Assisi, Kap. 10. – I cantici di S. Francesco, editi da Schlosser e Steinle. Francoforto s. M. 1842.

84 Michaelis de Molinos manuductio spiritualis: hispanice 1675, italice 1680, latine 1687, gallice in libro non adeo raro, cui titulus: Recueil de diverses pièces concernant le quiétisme, ou Molinos et ses disciples. Amstd. 1688.

85 Matth. 19, 11 fg. – Luc. 20, 35-37. – 1. Cor. 7, 1-11 und 25-40. – (1. Thess. 4, 3. – 1. Joh. 3, 3. -) Apokal. 14, 4. –

86 Vgl. »Ueber den Willen in der Natur«, zweite Auflage, S. 124.

87 Z.B. Job. 12, 25 und 31. – 14, 30. – 15, 18. 19. – 16, 33. – Coloss. 2, 20. – Eph. 2, 1-3. – 1. Joh. 2, 15-17 und 4, 4. 5. Bei dieser Gelegenheit kann man sehen, wie gewisse protestantische Theologen in ihren Bemühungen, den Text des Neuen Testaments ihrer rationalistischen, optimistischen und unsäglich platten Weltansicht gemäß zu mißdeuten, so weit gehn, daß sie diesen Text in ihren Uebersetzungen geradezu verfälschen. So hat denn H. A. Schott, in seiner dem Griesbachischen Texte 1805 beigegebenen neuen lateinischen Version das Wort kosmos, Joh. 15, 18. 19, mit Judaei übersetzt, 1. Joh. 4, 4, mit profani homines, und Coloss. 2, 20, stiocheia tou kosmou mit elementa Judaica; während Luther überall das Wort ehrlich und richtig durch »Welt« wiedergiebt.

88 Bellermann, Geschichtliche Nachrichten über Essäer und Therapeuten. 1821, S. 106.

89 Von diesen Bekehrten ist gar Vieles zu hören und zu lernen.

90 Unusquisqe tantum juris habet, quantum potentiâ valet. Tract. pol., c. 2, §8. – Fides alicui data tamdiu rata manet, quamdiu ejus, qui fidem dedit, non mutatur voluntas. Ibid. § 12. – Uniuscujusque jus potentiâ ejus definitur. Eth. IV, pr. 37, schol. I. – Besonders ist das 16. Kapitel des Tractatus theologico-politicus das rechte Kompendium der Immoralität Spinozischer Philosophie.

Zusätze

A1 Ich empfehle hier besonders die Stelle in Lichtenbergs vermischten Schriften (Göttingen 1801, Bd. 2, pag. 12 fg.): »Euler sagt in seinen Briefen über verschiedene Gegenstände aus der Naturlehre (Band 2, S. 228), es würde eben so gut donnern und blitzen, wenn auch kein Mensch vorhanden wäre, den der Blitz erschlagen könnte. Es ist ein gar gewöhnlicher Ausdruck, ich muß aber gestehn, daß es mir nie leicht gewesen ist, ihn ganz zu fassen. Mir kommt es immer vor, als wenn der Begriff seyn etwas von unserm Denken erborgtes wäre, und wenn es keine empfindenden und denkenden Geschöpfe mehr gibt, so ist auch nichts mehr.«

A2 Lichtenberg sagt in seinen »Nachrichten und Bemerkungen von und über sich selbst« (Vermischte Schriften, Göttingen 1800, Bd. 1, pag. 43): »Ich bin außerordentlich empfindlich gegen alles Getöse, allein es verliert ganz seinen widrigen Eindruck, sobald es mit einem vernünftigen Zweck verbunden ist.«

A3 Ein Hauptnutzen des Studiums der Alten ist, daß es uns vor der Weitschweifigkeit bewahrt; indem die Alten stets bemüht sind, koncis und prägnant zu schreiben und der Fehler fast aller Neueren Weitschweifigkeit ist, welche die Allerneuesten durch Silben- und Buchstabensuppression gut zu machen suchen. Daher soll man das ganze Leben hindurch das Studium der Alten fortsetzen, wenn auch mit Beschränkung der darauf zu verwendenden Zeit. Die Alten wußten, daß man nicht schreiben soll, wie man spricht: Die Neuesten hingegen haben sogar die Unverschämtheit gehaltene Vorlesungen drucken zu lassen.

A4 Vergl. p. 314.

A5 Vergl. p. 284.

A6 Im Siècle, 10 Avril 1859, steht, sehr schön beschrieben, die Geschichte eines Eichhörnchens, das von einer Schlange magisch bis in ihren Rachen gezogen worden: »Un voyageur qui vient de parcourir plusieurs provinces de l'île de Java cite un exemple remarquable du pouvoir fascinateur des serpens. Le voyageur dont il est question commençait à gravir le Junjind, un des monts appelés par les Hollandais Pepergebergte. Après avoir pénétré dans une épaisse forêt, il aperçut sur les branches d'un kijatile un écureuil de Java à tête blanche, folâtrant avec la grâce et l'agilité qui distinguent cette charmante espèce de rongeurs. Un nid sphérique, formé de brins flexibles et de mousse, placé dans les parties les plus élevées de l'arbre, à l'enfourchure de deux branches, et une cavité dans le tronc, semblaient les points de mire de ses yeux. A peine s'en était-il éloigné qu'il y revenait avec une ardeur extrême. On était dans le mois de juillet, et probablement l'écureuil avait en haut ses petits, et dans le bas le magasin à fruits. Bientôt il fut comme saisi d'effroi, ses mouvemens devinrent désordonnés, on eut dit qu'il cherchait toujours à mettre un obstacle entre lui et certaines parties de l'arbre: puis il se tapit et resta immobile entre deux branches. Le voyageur eut le sentiment d'un danger pour l'innocente bête, mais il ne pouvait deviner lequel. Il approcha, et un examen attentif lui fit découvrir dans un creux du tronc une couleuvre lien, dardant ses yeux fixes dans la direction de l'écureuil... Notre voyageur trembla pour le pauvre écureuil. – L'appareil destiné à la perception des sons est peu parfait chez les serpens et ils ne paraissent pas avoir l'ouïe très fine. La couleuvre était d'ailleurs si attentive à sa proie qu'elle ne semblait nullement remarquer la présence d'un homme. Notre voyageur, qui était armé, aurait donc pu venir en aide à l'infortuné rongeur en tuant le serpent. Mais la science l'emporta sur la pitié, et il voulut voir quelle issue aurait le drame. Le dénoûment fut tragique. L'écureuil ne tarda point à pousser un cri plaintif qui, pour tous ceux qui le connaissent, dénote le voisinage d'un serpent. Il avança un peu, essaya de reculer, revint encore en avant, tâcha de retourner en arrière, mais s'approcha toujours plus du reptile. La couleuvre, roulée en spirale, la tête au-dessus des anneaux, et immobile comme un morceau de bois, ne le quittait pas du regard. L'écureuil, de branche en branche, et descendant toujours plus bas, arriva jusqu' à la partie nue du tronc. Alors le pauvre animal ne tenta même plus de fuir le danger. Attiré par une puissance invincible, et comme poussé par le vertige, il se précipita dans la gueule du serpent, qui s'ouvrit tout à coup démesurément pour le recevoir. Autant la couleuvre avait été inerte jusque là, autant elle devint active dès qu'elle fut en possession de sa proie. Déroulant ses anneaux et prenant sa course de bas en haut avec une agilité inconcevable, sa reptation la porta en un clin d'oeil au sommet de l'arbre, où elle alla sans doute digérer et dormir.«

An diesem Beispiel ersieht man, welcher Geist die Natur belebt, indem er sich darin offenbart, und wie sehr wahr der oben (S. 398) angeführte Ausspruch des Aristoteles ist. Diese Geschichte ist nicht bloß in magischer Hinsicht wichtig, sondern auch als Argument zum Pessimismus: daß ein Thier vom andern überfallen und gefressen wird, ist schlimm, jedoch kann man sich darüber beruhigen: aber daß so ein armes unschuldiges Eichhorn, neben dem Neste mit seinen Jungen sitzend, gezwungen ist, schrittweise, zögernd, mit sich selbst kämpfend und wehklagend dem weit offenen Rachen der Schlange entgegenzugehn und mit Bewußtseyn sich hineinstürzen, – ist so empörend und himmelschreiend, daß man fühlt wie Recht Aristoteles hat zu sagen: hê physis daimonia men esti, ou de theia. – Was für eine entsetzliche Natur ist diese, der wir angehören!

A7 Lichtenberg führt (Vermischte Schriften, neue Ausgabe, Göttingen 1844, Bd. 3, S. 19) an, daß Stanislaus Leszczynski gesagt hat: »La modestie devroit être la vertu de ceux, à qui les autres manquent.«

A8 Es giebt nur Eine Gegenwart, und diese ist immer: denn sie ist die alleinige Form des wirklichen Daseyns. Man muß dahin gelangen einzusehn, daß die Vergangenheit nicht an sich von der Gegenwart verschieden ist, sondern nur in unserer Apprehension, als welche die Zeit zur Form hat, vermöge welcher allein sich das Gegenwärtige als verschieden vom Vergangenen darstellt. Zur Beförderung dieser Einsicht denke man sich alle Vorgänge und Scenen des Menschenlebens, schlechte und gute, glückliche und unglückliche, erfreuliche und entsetzliche, wie sie im Laufe der Zeiten und Verschiedenheit der Oerter sich successiv in buntester Mannigfaltigkeit und Abwechselung uns darstellen, als auf ein Mal und zugleich und immerdar vorhanden, im Nunc stans, während nur scheinbar jetzt Dies, jetzt Das ist; – dann wird man verstehn, was die Objektivation des Willens zum Leben eigentlich besagt. – Auch unser Wohlgefallen an Genre-Bildern beruht hauptsächlich darauf, daß sie die flüchtigen Scenen des Lebens fixiren. – Aus dem Gefühl der ausgesprochenen Wahrheit ist das Dogma von der Metempsychose hervorgegangen.

A9 Der Tod sagt: Du bist das Produkt eines Aktes, der nicht hätte seyn sollen: darum mußt du, ihn auszulöschen, sterben.

A10 Lichtenberg sagt in seinen vermischten Schriften (Göttingen 1801, Bd. 2, pag. 447): »In England ward vorgeschlagen, die Diebe zu kastriren. Der Vorschlag ist nicht übel: die Strafe ist sehr hart, sie macht die Leute verächtlich, und doch noch zu Geschäften fähig; und wenn Stehlen erblich ist, so erbt es sich nicht fort. Auch legt der Muth sich, und da der Geschlechtstrieb so häufig zu Diebereyen verleitet, so fällt auch diese Veranlassung weg. Muthwillig bloß ist die Bemerkung, daß die Weiber ihre Männer desto eifriger vom Stehlen abhalten würden; denn so wie die Sachen jetzt stehn, riskiren sie ja sie ganz zu verlieren.«

A11 Wenn wir diese wesentliche Immanenz unserer und jeder Erkenntniß im Auge behalten, welche daraus entspringt, daß sie ein Sekundäres, bloß zu den Zwecken des Willens Entstandenes ist; – dann wird es uns erklärlich, daß alle Mystiker aller Religionen zuletzt bei einer Art Ekstase anlangen, in der alle und jede Erkenntniß, mit sammt ihrer Grundform Objekt und Subjekt, gänzlich aufhört, und erst in diesem jenseit aller Erkenntniß Liegenden ihr höchstes Ziel erreicht zu haben versichern, indem sie da angelangt sind, wo es kein Subjekt und kein Objekt, mithin keine Art von Erkenntniß mehr giebt, eben weil es keinen Willen mehr giebt, welchem zu dienen die alleinige Bestimmung der Erkenntniß ist.

Wer nun Dies begriffen hat, wird es nicht mehr so über alle Maaßen toll finden, daß Fakire sich hinsetzen und, auf ihre Nasenspitze sehend, alles Denken und Vorstellen zu bannen versuchen, und daß in manchen Stellen des Upanischads Anleitung gegeben wird, sich, unter stillem innern Aussprechen des mysteriösen Oum, in das eigene Innere zu versenken, wo Subjekt und Objekt und alle Erkenntniß wegfällt.