Allerdings nämlich treten mehr noch als irgendwo Denken und Anschauung aus einander in dem besagten Kapitel »Von der Unterscheidung aller Gegenstände in Phänomena und Noumena«: allein die Art dieser Unterscheidung ist hier eine grundfalsche. Es heißt nämlich, S. 253, v, 309: »Wenn ich alles Denken (durch Kategorien) aus einer empirischen Erkenntniß wegnehme; so bleibt gar keine Erkenntniß eines Gegenstandes übrig: denn durch bloße Anschauung wird gar nichts gedacht, und daß diese Affektion der Sinnlichkeit in mir ist, macht gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellung auf irgend ein Objekt aus.« – Dieser Satz enthält gewissermaaßen alle Irrthümer Kants in einer Nuß; indem dadurch an den Tag kommt, daß er das Verhältniß zwischen Empfindung, Anschauung und Denken falsch gefaßt hat und demnach die Anschauung, deren Form denn doch der Raum und zwar nach allen drei Dimensionen seyn soll, mit der bloßen, subjektiven Empfindung in den Sinnesorganen identificirt, das Erkennen eines Gegenstandes aber allererst durch das vom Anschauen verschiedene Denken hinzukommen läßt. Ich sage hingegen: Objekte sind zunächst Gegenstände der Anschauung, nicht des Denkens, und alle Erkenntniß von Gegenständen ist ursprünglich und an sich selbst Anschauung: diese aber ist keineswegs bloße Empfindung, sondern schon bei ihr erzeigt der Verstand sich thätig. Das allein beim Menschen, nicht aber bei den Thieren, hinzukommende Denken ist bloße Abstraktion aus der Anschauung, giebt keine von Grund aus neue Erkenntniß, setzt nicht allererst Gegenstände, die vorher nicht dagewesen; sondern ändert bloß die Form der durch die Anschauung bereits gewonnenen Erkenntniß, macht sie nämlich zu einer abstrakten in Begriffen, wodurch die Anschaulichkeit verloren geht, dagegen aber die Kombination derselben möglich wird, welche deren Anwendbarkeit unermeßlich erweitert. Der Stoff unseres Denkens hingegen ist kein anderer, als unsere Anschauungen selbst, und nicht etwas, welches, in der Anschauung nicht enthalten, erst durch das Denken hinzugebracht würde: daher auch muß von Allem, was in unserm Denken vorkommt, der Stoff sich in unserer Anschauung nachweisen lassen; da es sonst ein leeres Denken wäre. Wiewohl dieser Stoff durch das Denken gar vielfältig bearbeitet und umgestaltet wird; so muß er doch daraus wieder hergestellt und das Denken auf ihn zurückgeführt werden können; – wie man ein Stück Gold aus allen seinen Auflösungen, Oxydationen, Sublimationen und Verbindungen zuletzt wieder reducirt und es regulinisch und unvermindert wieder vorlegt. Dem könnte nicht so seyn, wenn das Denken selbst etwas, ja gar die Hauptsache, dem Gegenstande hinzugethan hätte.

Das ganze darauf folgende Kapitel von der Amphibolie ist bloß eine Kritik der Leibnitzischen Philosophie und als solche im Ganzen richtig, obwohl der ganze Zuschnitt bloß der architektonischen Symmetrie zu Liebe gemacht ist, die auch hier den Leitfaden giebt. So wird, um die Analogie mit dem Aristotelischen Organen herauszubringen, eine transscendentale Topik aufgestellt, die darin besteht, daß man jeden Begriff nach vier Rücksichten überlegen soll, um erst auszumachen, vor welches Erkenntnißvermögen er gehöre. Jene vier Rücksichten aber sind ganz und gar beliebig angenommen, und mit gleichem Rechte ließen sich noch zehn andere hinzufügen: ihre Vierzahl entspricht aber den Kategorientiteln, daher werden unter sie die Leibnitzischen Hauptlehren vertheilt, so gut es gehn will. Auch wird durch diese Kritik gewissermaaßen zu natürlichen Irrthümern der Vernunft gestämpelt, was bloß falsche Abstraktionen Leibnitzens waren, der, statt von seinen großen philosophischen Zeltgenossen, Spinoza und Locke, zu lernen, lieber seine eigenen seltsamen Erfindungen auftischte. Im Kapitel von der Amphibolie der Reflexion wird zuletzt gesagt, es könne möglicherweise eine von der unserigen ganz verschiedene Art der Anschauung geben, auf dieselbe unsere Kategorien aber doch anwendbar seyn; daher die Objekte jener supponirten Anschauung die Noumena wären, Dinge, die sich von uns bloß denken ließen, aber da uns die Anschauung, welche jenem Denken Bedeutung gäbe, fehle, ja gar ganz problematisch sei, so wäre der Gegenstand jenes Denkens auch bloß eine ganz unbestimmte Möglichkeit. Ich habe oben durch angeführte Stellen gezeigt, daß Kant, im größten Widerspruch mit sich, die Kategorien bald als Bedingung der anschaulichen Vorstellung, bald als Funktion des bloß abstrakten Denkens aufstellt. Hier treten sie nun ausschließlich in letzterer Bedeutung auf, und es scheint ganz und gar, als wolle er ihnen bloß ein diskursives Denken zuschreiben. Ist aber dies wirklich seine Meinung, so hätte er doch nothwendig am Anfange der transscendentalen Logik, ehe er die verschiedenen Funktionen des Denkens so weitläuftig specificirte, das Denken überhaupt charakterisiren sollen, es folglich vom Anschauen unterscheiden, zeigen sollen, welche Erkenntniß das bloße Anschauen gebe und welche neue im Denken hinzukomme. Dann hätte man gewußt, wovon er eigentlich redet, oder vielmehr, dann würde er auch ganz anders geredet haben, nämlich ein Mal vom Anschauen und dann vom Denken, statt daß er jetzt es immer mit einem Mittelding von Beidem zu thun hat, welches ein Unding ist. Dann wäre auch nicht jene große Lücke zwischen der transscendentalen Aesthetik und der transscendentalen Logik, wo er, nach Darstellung der bloßen Form der Anschauung, ihren Inhalt, die ganze empirische Wahrnehmung, eben nur abfertigt mit dem »sie ist gegeben«, und nicht fragt, wie sie zu Stande kommt, ob mit, oder ohne Verstand; sondern mit einem Sprunge zum abstrakten Denken übergeht und nicht ein Mal zum Denken überhaupt, sondern gleich zu gewissen Denkformen, und kein Wort darüber sagt, was Denken sei, was Begriff, welches das Verhältniß des Abstrakten und Diskursiven zum Konkreten und Intuitiven, welches der Unterschied zwischen der Erkenntniß des Menschen und der des Thieres, und was die Vernunft sei.

Eben jener von Kant ganz übersehene Unterschied zwischen abstrakter und anschaulicher Erkenntniß war es aber, welchen die alten Philosophen durch phainomena und nooumena bezeichneten107 und deren Gegensatz und Inkommensurabilität ihnen so viel zu schaffen machte, in den Philosophemen der Eleaten, in Plato's Lehre von den Ideen, in der Dialektik der Megariker, und später den Scholastikern, im Streit zwischen Nominalismus und Realismus, zu welchem den sich spät entwickelnden Keim schon die entgegengesetzte Geistesrichtung des Plato und des Aristoteles enthielt. Kant aber, der, auf eine unverantwortliche Weise, die Sache gänzlich vernachlässigte, zu deren Bezeichnung jene Worte phainomena und nooumena bereits eingenommen waren, bemächtigt sich nun der Worte, als wären sie noch herrenlos, um seine Dinge an sich und seine Erscheinungen damit zu bezeichnen.

Nachdem ich Kants Lehre von den Kategorien eben so habe verwerfen müssen, wie er selbst die des Aristoteles verwarf, will ich doch hier auf einen dritten Weg zur Erreichung des Beabsichtigten vorschlagsweise hinzeigen. Was nämlich Beide unter dem Namen der Kategorien suchten, waren jedenfalls die allgemeinsten Begriffe, unter welche man alle noch so verschiedenen Dinge subsumiren müsse, durch welche daher alles Vorhandene zuletzt gedacht würde. Deshalb eben faßte sie Kant als die Formen alles Denkens auf.

Zur Logik verhält sich die Grammatik wie das Kleid zum Leibe. Sollten daher nicht diese allerobersten Begriffe, dieser Grundbaß der Vernunft, welcher die Unterlage alles speciellern Denkens ist, ohne dessen Anwendung daher gar kein Denken vor sich gehn kann, am Ende in den Begriffen liegen, welche eben wegen ihrer überschwänglichen Allgemeinheit (Transscendentalität) nicht an einzelnen Wörtern, sondern an ganzen Klassen von Wörtern ihren Ausdruck haben, indem bei jedem Worte, welches es auch sei, einer von ihnen schon mitgedacht ist; demgemäß man ihre Bezeichnung nicht im Lexikon, sondern in der Grammatik zu suchen hätte? Sollten es also nicht zuletzt jene Unterschiede der Begriffe seyn, vermöge welcher das sie ausdrückende Wort entweder ein Substantiv, oder ein Adjektiv, ein Verbum, oder ein Adverbium, ein Pronomen, eine Präposition, oder sonstige Partikel sei, kurz die partes orationis? Denn unstreitig bezeichnen diese die Formen, welche alles Denken zunächst annimmt und in denen es sich unmittelbar bewegt: deshalb eben sind sie die -wesentlichen Sprachformen, die Grundbestandtheile jeder Sprache, so daß wir uns keine Sprache denken können, die nicht wenigstens aus Substantiven, Adjektiven und Verben bestände. Diesen Grundformen wären dann diejenigen Gedankenformen unterzuordnen, welche durch die Flexionen jener, also durch Deklination und Konjugation ausgedrückt werden, wobei es in der Hauptsache unwesentlich ist, ob man zur Bezeichnung derselben den Artikel oder das Pronomen zu Hülfe nimmt. Wir wollen jedoch die Sache noch etwas näher prüfen und von Neuem die Frage aufwerfen: welches sind die Formen des Denkens?

1) Das Denken besteht durchweg aus Urtheilen: Urtheile sind die Fäden seines ganzen Gewebes. Denn ohne Gebrauch eines Verbi geht unser Denken nicht von der Stelle, und so oft wir ein Verbum gebrauchen, urtheilen wir.

2) Jedes Urtheil besteht im Erkennen des Verhältnisses zwischen Subjekt und Prädikat, die es trennt oder vereint mit mancherlei Restriktionen. Es vereint sie, vom Erkennen der wirklichen Identität Beider an, welche nur bei Wechselbegriffen Statt finden kann; dann im Erkennen, daß das Eine im Andern stets mitgedacht sei, wiewohl nicht umgekehrt, – im allgemein bejahenden Satz; bis zum Erkennen, daß das Eine bisweilen im Andern mitgedacht sei, im partikulär bejahenden Satz. Den umgekehrten Gang gehn die verneinenden Sätze. Demnach muß in jedem Urtheil Subjekt, Prädikat und Kopula, letztere affirmativ, oder negativ, zu finden seyn; wenn auch nicht Jedes von diesen durch ein eigenes Wort, wie jedoch meistens, bezeichnet ist. Oft bezeichnet ein Wort Prädikat und Kopula, wie: »Kajus altert«; bisweilen ein Wort alle Drei, wie: concurritur, d.h. »die Heere werden handgemein«. Hieraus erhellt, daß man die Formen des Denkens doch nicht so geradezu und unmittelbar in den Worten, noch selbst in den Redetheilen zu suchen hat; da das selbe Urtheil in verschiedenen, ja sogar in der selben Sprache durch verschiedene Worte und selbst durch verschiedene Redetheile ausgedrückt werden kann, der Gedanke aber dennoch der selbe bleibt, folglich auch seine Form: denn der Gedanke könnte nicht der selbe seyn, bei verschiedener Form des Denkens selbst. Wohl aber kann das Wortgebilde, bei gleichem Gedanken und gleicher Form desselben, ein verschiedenes seyn: denn es ist bloß die äußere Einkleidung des Gedankens, der hingegen von seiner Form unzertrennlich ist. Also erläutert die Grammatik nur die Einkleidung der Denkformen. Die Redetheile lassen sich daher ableiten aus den ursprünglichen, von allen Sprachen unabhängigen Denkformen selbst: diese, mit allen ihren Modifikationen, auszudrücken ist ihre Bestimmung. Sie sind das Werkzeug derselben, sind ihr Kleid, welches ihrem Gliederbau genau angepaßt seyn muß, so daß dieser darin zu erkennen ist.

3) Diese wirklichen, unveränderlichen, ursprünglichen Formen des Denkens sind allerdings die der logischen Tafel der Urtheile Kants; nur daß auf dieser sich blinde Fenster, zu Gunsten der Symmetrie und der Kategorientafel befinden, die also wegfallen müssen; imgleichen eine falsche Ordnung. Also etwan:

a) Qualität: Bejahung oder Verneinung, d. i. Verbindung oder Trennung der Begriffe: zwei Formen. Sie hängt der Kopula an.

b) Quantität: der Subjektbegriff wird ganz oder zum Theil genommen: Allheit oder Vielheit. Zur ersteren gehören auch die individuellen Subjekte: Sokrates, heißt: »alle Sokrates«. Also nur zwei Formen. Sie hängt dem Subjekt an.

c) Modalität: hat wirklich drei Formen. Sie bestimmt die Qualität als nothwendig, wirklich, oder zufällig. Sie hängt folglich ebenfalls der Kopula an.

Diese drei Denkformen entspringen aus den Denkgesetzen vom Widerspruch und von der Identität. Aber aus dem Satz vom Grunde und dem vom ausgeschlossenen Dritten entsteht die

d) Relation. Sie tritt bloß ein, wenn über fertige Urtheile geurtheilt wird und kann nur darin bestehn, daß sie entweder die Abhängigkeit eines Unheils von einem andern (auch in der Pluralität beider) angiebt, mithin sie verbindet, im hypothetischen Satz; oder aber angiebt, daß Urtheile einander ausschließen, mithin sie trennt, im disjunktiven Satz. Sie hängt der Kopula an, welche hier die fertigen Urtheile trennt oder verbindet.

Die Redetheile und grammatischen Formen sind Ausdrucksweisen der drei Bestandtheile des Urtheils, also des Subjekts, Prädikats und der Kopula, wie auch der möglichen Verhältnisse dieser, also der eben aufgezählten Denkformen, und der näheren Bestimmungen und Modifikationen dieser letzteren. Substantiv, Adjektiv und Verbum sind daher wesentliche Grundbestandtheile der Sprache überhaupt; weshalb sie in allen Sprachen zu finden seyn müssen. Jedoch ließe sich eine Sprache denken, in welcher Adjektiv und Verbum stets mit einander verschmolzen wären, wie sie es in allen bisweilen sind. Vorläufig ließe sich sagen: zum Ausdruck des Subjekts sind bestimmt: Substantiv, Artikel und Pronomen; – zum Ausdruck des Prädikats: Adjektiv, Adverbium, Präposition; – zum Ausdruck der Kopula: das Verbum, welches aber, mit Ausnahme von esse, schon das Prädikat mit enthält. Den genauen Mechanismus des Ausdrucks der Denkformen hat die philosophische Grammatik zu lehren; wie die Operationen mit den Denkformen selbst die Logik.

Anmerkung. Zur Warnung vor einem Abwege und zur Erläuterung des Obigen erwähne ich S. Sterns »Vorläufige Grundlage zur Sprachphilosophie«, 1835, als einen gänzlich mißlungenen Versuch, aus den grammatischen Formen die Kategorien zu konstruiren. Er hat nämlich ganz und gar das Denken mit dem Anschauen verwechselt und daher aus den grammatischen Formen, statt der Kategorien des Denkens, die angeblichen Kategorien des Anschauens deduciren wollen, mithin die grammatischen Formen in gerade Beziehung zur Anschauung gesetzt. Er steckt in dem großen Irrthum, daß die Sprache sich unmittelbar auf die Anschauung beziehe; statt daß sie unmittelbar sich bloß auf das Denken als solches, also auf die abstrakten Begriffe bezieht und allererst mittelst dieser auf die Anschauung, zu der sie nun aber ein Verhältniß haben, welches eine gänzliche Aenderung der Form herbeiführt. Was in der Anschauung daist, also auch die aus der Zeit und dem Raum entspringenden Verhältnisse, wird allerdings ein Gegenstand des Denkens; also muß es auch Sprachformen geben es auszudrücken, jedoch immer nur in abstracto, als Begriffe. Das nächste Material des Denkens sind allemal Begriffe, und nur auf solche beziehn sich die Formen der Logik, nie direkt auf die Anschauung. Diese bestimmt stets nur die materiale, nie die formale Wahrheit der Sätze, als welche sich nach den logischen Regeln allein richtet.

Ich kehre zur Kantischen Philosophie zurück und komme zur transscendentalen Dialektik. Kant eröffnet sie mit der Erklärung der Vernunft, welches Vermögen in ihr die Hauptrolle spielen soll, da bisher nur Sinnlichkeit und Verstand auf dem Schauplatz waren. Ich habe schon oben, unter seinen verschiedenen Erklärungen der Vernunft, auch von der hier gegebenen, »daß sie das Vermögen der Principien sei«, geredet. Hier wird nun gelehrt, daß alle bisher betrachteten Erkenntnisse a priori, welche die reine Mathematik und reine Naturwissenschaft möglich machen, bloße Regeln, aber keine Principien geben; weil sie aus Anschauungen und Formen der Erkenntniß hervorgehn, nicht aber aus bloßen Begriffen, welches erfordert sei, um Princip zu heißen. Ein solches soll demnach eine Erkenntniß aus bloßen Begriffen seyn und dennoch synthetisch. Dies aber ist schlechthin unmöglich. Aus bloßen Begriffen können nie andere, als analytische Sätze hervorgehn. Sollen Begriffe synthetisch und doch a priori verbunden werden; so muß nothwendig diese Verbindung durch ein Drittes vermittelt seyn, durch eine reine Anschauung der formellen Möglichkeit der Erfahrung; so wie die synthetischen Urtheile a posteriori, durch die empirische Anschauung vermittelt sind: folglich kann ein synthetischer Satz a priori, nie aus bloßen Begriffen hervorgehn. Ueberhaupt aber ist uns a priori nichts weiter bewußt, als der Satz vom Grunde, in seinen verschiedenen Gestaltungen, und es sind daher keine andere synthetische Urtheile a priori möglich, als die, welche aus dem, was jenem Satze den Inhalt giebt, hervorgehn.

Inzwischen tritt Kant endlich mit einem seiner Forderung entsprechenden angeblichen Princip der Vernunft hervor, aber auch nur mit diesem einen, aus dem nachher andere Folgesätze fließen. Es ist nämlich der Satz, den Chr. Wolf aufstellt und erläutert in seiner »Cosmologia«, sect. 1, c. 2, § 93, und in seiner »Ontologia«, § 178. Wie nun oben, unter dem Titel der Amphibolie, bloße Leibnitzische Philosopheme für natürliche und nothwendige Irrwege der Vernunft genommen und als solche kritisirt wurden; gerade so geschieht das Selbe hier mit den Philosophemen Wolfs. Kant trägt dies Vernunftprincip noch durch Undeutlichkeit, Unbestimmtheit und Zerstückelung in ein Dämmerlicht gebracht vor (S. 307; v, 364, und 322; v, 379): es ist aber, deutlich ausgesprochen, folgendes: »Wenn das Bedingte gegeben ist, so muß auch die Totalität seiner Bedingungen, mithin auch das Unbedingte, dadurch jene Totalität allein vollzählig wird, gegeben seyn.« Der scheinbaren Wahrheit dieses Satzes wird man am lebhaftesten inne werden, wenn man sich die Bedingungen und die Bedingten vorstellt als die Glieder einer herabhängenden Kette, deren oberes Ende jedoch nicht sichtbar ist, daher sie ins Unendliche fortgehn könnte: da aber die Kette nicht fällt, sondern hängt, so muß oben ein Glied das erste und irgendwie befestigt seyn. Oder kürzer: die Vernunft möchte für die ins Unendliche zurückweisende Kausalkette einen Anknüpfungspunkt haben; das wäre ihr bequem. Aber wir wollen den Satz nicht an Bildern, sondern an sich selbst prüfen. Synthetisch ist derselbe allerdings: denn analytisch folgt aus dem Begriff des Bedingten nichts weiter, als der der Bedingung. Aber Wahrheit a priori hat er nicht, auch nicht a posteriori, sondern er erschleicht sich seinen Schein von Wahrheit auf eine sehr feine Weise, die ich jetzt aufdecken muß. Unmittelbar und a priori haben wir die Erkenntnisse, welche der Satz vom Grunde in seinen vier Gestaltungen ausdrückt. Von diesen unmittelbaren Erkenntnissen sind alle abstrakten Ausdrücke des Satzes vom Grunde schon entlehnt und sind also mittelbar: noch mehr aber deren Folgesätze. Ich habe schon oben erörtert, wie die abstrakte Erkenntniß oft mannigfaltige intuitive Erkenntnisse in eine Form oder einen Begriff so vereint, daß sie nun nicht mehr zu unterscheiden sind: daher sich die abstrakte Erkenntniß zur intuitiven verhält, wie der Schatten zu den wirklichen Gegenständen, deren große Mannigfaltigkeit er durch einen sie alle befassenden Umriß wiedergiebt. Diesen Schatten benutzt nun das angebliche Princip der Vernunft. Um aus dem Satz vom Grunde das Unbedingte, welches ihm geradezu widerspricht, doch zu folgern, verläßt es klüglich die unmittelbare, anschauliche Erkenntniß des Inhalts des Satzes vom Grunde in seinen einzelnen Gestalten, und bedient sich nur der abstrakten Begriffe, die aus jener abgezogen sind, und nur durch jene Werth und Bedeutung haben, um in den weiten Umfang jener Begriffe sein Unbedingtes irgendwie einzuschwärzen. Sein Verfahren wird durch dialektische Einkleidung am deutlichsten; z.B. so: »Wenn das Bedingte daist, muß auch seine Bedingung gegeben seyn, und zwar ganz, also vollständig, also die Totalität seiner Bedingungen, folglich, wenn sie eine Reihe ausmachen, die ganze Reihe, folglich auch der erste Anfang derselben, also das Unbedingte.« – Hiebei ist schon falsch, daß die Bedingungen zu einem Bedingten als solche eine Reihe ausmachen können. Vielmehr muß zu jedem Bedingten die Totalität seiner Bedingungen in seinem nächsten Grunde, aus dem es unmittelbar hervorgeht und der erst dadurch zureichender Grund ist, enthalten seyn. So z.B. die verschiedenen Bestimmungen des Zustandes welcher Ursache ist, als welche alle zusammengekommen seyn müssen, ehe die Wirkung eintritt. Die Reihe aber, z.B. die Kette der Ursachen, entsteht nur dadurch, daß wir Das, was soeben die Bedingung war, nun wieder als ein Bedingtes betrachten, wo dann aber sogleich die ganze Operation von vorne anfängt und der Satz vom Grunde mit seiner Forderung von Neuem auftritt. Nie aber kann es zu einem Bedingten eine eigentliche successive Reihe von Bedingungen geben, welche bloß als solche und des endlichen letzten Bedingten wegen daständen; sondern es ist immer eine abwechselnde Reihe von Bedingten und Bedingungen: bei jedem zurückgelegten Gliede aber ist die Kette unterbrochen und die Forderung des Satzes vom Grunde gänzlich getilgt; sie hebt von Neuem an, indem die Bedingung zum Bedingten wird. Also fordert der Satz vom zureichenden Grunde immer nur die Vollständigkeit der nächsten Bedingung, nie die Vollständigkeit einer Reihe. Aber eben dieser Begriff von Vollständigkeit der Bedingung läßt unbestimmt, ob solche eine simultane, oder eine successive seyn soll: und indem nun Letzteres gewählt wird, entsteht die Forderung einer vollständigen Reihe auf einander folgender Bedingungen. Bloß durch eine willkürliche Abstraktion wird eine Reihe von Ursachen und Wirkungen als eine Reihe von lauter Ursachen angesehn, die bloß der letzten Wirkung wegen dawären und daher als deren zureichender Grund gefordert würden. Bei näherer und besonnener Betrachtung und herabsteigend von der unbestimmten Allgemeinheit der Abstraktion zum einzelnen bestimmten Realen, findet sich hingegen, daß die Forderung eines zureichenden Grundes bloß auf die Vollständigkeit der Bestimmungen der nächsten Ursache geht, nicht auf die Vollständigkeit einer Reihe. Die Forderung des Satzes vom Grunde erlischt vollkommen in jedem gegebenen zureichenden Grunde. Sie hebt aber alsbald von Neuem an, indem dieser Grund wieder als Folge betrachtet wird: nie aber fordert sie unmittelbar eine Reihe von Gründen. Wenn man hingegen, statt zur Sache selbst zu gehn, sich innerhalb der abstrakten Begriffe hält, so sind jene Unterschiede verschwunden: dann wird eine Kette von abwechselnden Ursachen und Wirkungen, oder abwechselnden logischen Gründen und Folgen für eine Kette von lauter Ursachen oder Gründen zur letzten Wirkung ausgegeben, und die Vollständigkeit der Bedingungen, durch die ein Grund erst zureichend wird, erscheint als eine Vollständigkeit jener angenommenen Reihe von lauter Gründen, die nur der letzten Folge wegen dawären. Da tritt dann das abstrakte Vernunftprincip sehr keck mit seiner Forderung des Unbedingten auf. Aber um die Ungültigkeit derselben zu erkennen, bedarf es noch keiner Kritik der Vernunft, mittelst Antinomien und deren Auflösung, sondern nur einer Kritik der Vernunft, in meinem Sinne verstanden, nämlich einer Untersuchung des Verhältnisses der abstrakten Erkenntniß zur unmittelbar intuitiven, mittelst Herabsteigen von der unbestimmten Allgemeinheit jener zur festen Bestimmtheit dieser. Aus solcher ergiebt sich dann hier, daß keineswegs das Wesen der Vernunft im Fordern eines Unbedingten bestehe: denn sobald sie mit völliger Besonnenheit verfährt, muß sie selbst finden, daß ein Unbedingtes geradezu ein Unding ist. Die Vernunft, als ein Erkenntnißvermögen, kann es immer nur mit Objekten zu thun haben; alles Objekt für das Subjekt aber ist nothwendig und unwiderruflich dem Satz vom Grunde unterworfen und anheimgefallen, sowohl a parte ante als a parte post. Die Gültigkeit des Satzes vom Grunde liegt so sehr in der Form des Bewußtseins, daß man schlechterdings sich nichts objektiv vorstellen kann, davon kein Warum weiter zu fordern wäre, also kein absolutes Absolutum, wie ein Brett vor dem Kopf. Daß Diesen oder Jenen seine Bequemlichkeit irgendwo stillstehn und ein solches Absolutum beliebig annehmen heißt, kann nichts ausrichten gegen jene unumstößliche Gewißheit a priori, auch nicht wenn man sehr vornehme Mienen dazu macht. In der That ist das ganze Gerede vom Absoluten, dieses fast alleinige Thema der seit Kant versuchten Philosophien, nichts Anderes, als der kosmologische Beweis incognito. Dieser nämlich, in Folge des ihm von Kant gemachten Processes, aller Rechte verlustig und vogelfrei erklärt, darf sich in seiner wahren Gestalt nicht mehr zeigen, tritt daher in allerlei Verkleidungen auf, bald in vornehmen, bemäntelt durch intellektuale Anschauung, oder reines Denken, bald als verdächtiger Vagabunde, der was er verlangt halb erbettelt, halb ertrotzt, in den bescheideneren Philosophemen. Wollen die Herren absolut ein Absolutum haben; so will ich ihnen eines in die Hand geben, welches allen Anforderungen an ein Solches viel besser genügt, als ihre erfaselten Nebelgestalten: es ist die Materie. Sie ist unentstanden und unvergänglich, also wirklich unabhängig und quod per se est et per se concipitur: aus ihrem Schooß geht Alles hervor und Alles in ihn zurück: was kann man von einem Absolutum weiter verlangen? – Aber vielmehr sollte man ihnen, bei denen keine Kritik der Vernunft angeschlagen hat, zurufen:

Seid ihr nicht wie die Weiber, die beständig

Zurück nur kommen auf ihr erstes Wort,

Wenn man Vernunft gesprochen stundenlang?

Daß das Zurückgehn zu einer unbedingten Ursache, zu einem ersten Anfang, keineswegs im Wesen der Vernunft begründet sei, ist übrigens auch faktisch bewiesen, dadurch, daß die Urreligionen unsers Geschlechtes, welche auch noch jetzt die größte Anzahl von Bekennern auf Erden haben, also Brahmanismus und Buddhaismus, dergleichen Annahmen nicht kennen, noch zulassen, sondern die Reihe der einander bedingenden Erscheinungen ins Unendliche hinaufführen. Ich verweise hierüber auf die weiter unten, bei der Kritik der ersten Antinomie, folgende Anmerkung, wozu man noch Uphams »Doctrine of Buddhaism« (S, 9), und überhaupt jeden ächten Bericht über die Religionen Asiens nachsehn kann. Man soll nicht Judenthum und Vernunft identificiren. –

Kant, der sein angebliches Vernunftprincip auch keineswegs als objektiv gültig, sondern nur als subjektiv nothwendig behaupten will, deducirt es, selbst als solches, nur durch ein seichtes Sophisma, S. 307; v, 364. Nämlich, weil wir jede uns bekannte Wahrheit unter eine allgemeinere zu subsumiren suchen, so lange es geht; so soll dieses nichts Anderes seyn, als eben schon die Jagd nach dem Unbedingten, welches wir voraussetzten. In Wahrheit aber thun wir durch solches Suchen nichts Anderes, als daß wir die Vernunft, d.h. jenes Vermögen abstrakter, allgemeiner Erkenntniß, welches den besonnenen, sprachbegabten, denkenden Menschen vom Thier, dem Sklaven der Gegenwart, unterscheidet, anwenden und zweckmäßig gebrauchen zur Vereinfachung unserer Erkenntniß durch Uebersicht. Denn der Gebrauch der Vernunft besteht eben darin, daß wir das Besondere durch das Allgemeine, den Fall durch die Regel, diese durch die allgemeinere Regel erkennen, daß wir also die allgemeinsten Gesichtspunkte suchen: durch solche Uebersicht wird eben unsere Erkenntniß so sehr erleichtert und vervollkommnet, daß daraus der große Unterschied entsteht zwischen dem thierischen und dem menschlichen Lebenslauf, und wieder zwischen dem Leben des gebildeten und dem des rohen Menschen. Nun findet allerdings die Reihe der Erkenntnißgründe, welche allein auf dem Gebiet des Abstrakten, also der Vernunft, existirt, allemal ein Ende beim Unbeweisbaren, d.h. bei einer Vorstellung, die nach dieser Gestaltung des Satzes vom Grunde nicht weiter bedingt ist, also an dem, a priori oder a posteriori, unmittelbar anschaulichen Grunde des obersten Satzes der Schlußkette. Ich habe schon in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 50, gezeigt, daß hier eigentlich die Reihe der Erkenntnißgründe übergeht in die der Gründe des Werdens, oder des Seyns. Diesen Umstand nun aber geltend machen wollen, um ein nach dem Gesetz der Kausalität Unbedingtes, sei es auch nur als Forderung, nachzuweisen; dies kann man nur, wenn man die Gestaltungen des Satzes vom Grunde noch gar nicht unterschieden hat, sondern, an den abstrakten Ausdruck sich haltend, sie alle konfundirt. Aber diese Verwechselung sucht Kant sogar durch ein bloßes Wortspiel mit Universalitas und Universitas zu begründen, S. 322; v, 379. – Es ist also grundfalsch, daß unser Aufsuchen höherer Erkenntnißgründe, allgemeiner Wahrheiten, entspringe aus der Voraussetzung eines seinem Daseyn nach unbedingten Objekts, oder nur irgend etwas hiemit gemein habe. Wie sollte es auch der Vernunft wesentlich seyn, etwas vorauszusetzen, das sie für ein Unding erkennen muß, sobald sie sich besinnt. Vielmehr ist der Ursprung jenes Begriffs vom Unbedingten nie in etwas Anderm nachzuweisen, als in der Trägheit des Individuums, das sich damit aller fremden und eigenen fernem Fragen entledigen will, wiewohl ohne alle Rechtfertigung.

Diesem angeblichen Vernunftprincip nun spricht zwar Kant selbst die objektive Gültigkeit ab, giebt es aber doch für eine nothwendige subjektive Voraussetzung und bringt so einen unauflöslichen Zwiespalt in unsere Erkenntniß, welchen er bald deutlicher hervortreten läßt. Zu diesem Zweck entfaltet er jenes Vernunftprincip weiter, S. 322; V, 379, nach der beliebten architektonisch-symmetrischen Methode. Aus den drei Kategorien der Relation entspringen drei Arten von Schlüssen, jede von welchen den Leitfaden giebt zur Aufsuchung eines besondern Unbedingten, deren es daher wieder drei giebt: Seele, Welt (als Objekt an sich und geschlossene Totalität), Gott. Hiebei ist nun sogleich ein großer Widerspruch zu bemerken, von welchem Kant aber keine Notiz nimmt, weil er der Symmetrie sehr gefährlich wäre: zwei dieser Unbedingten sind ja selbst wieder bedingt, durch das Dritte, nämlich Seele und Welt durch Gott, der ihre hervorbringende Ursache ist: jene haben also mit diesem gar nicht das Prädikat der Unbedingtheit gemein, worauf es doch hier ankommt, sondern nur das des Erschlossenseyns nach Principien der Erfahrung, über das Gebiet der Möglichkeit derselben hinaus.

Dies bei Seite gesetzt, finden wir in den drei Unbedingten, auf welche, nach Kant, jede Vernunft, ihren wesentlichen Gesetzen folgend, gerathen muß, die drei Hauptgegenstände wieder, um welche sich die ganze, unter dem Einfluß des Christenthums stehende Philosophie, von den Scholastikern an, bis auf Christian Wolf herab, gedreht hat. So zugänglich und geläufig jene Begriffe durch alle jene Philosophen auch jetzt der bloßen Vernunft geworden sind; so ist dadurch doch keineswegs ausgemacht, daß sie, auch ohne Offenbarung, aus der Entwickelung jeder Vernunft hervorgehn müßten, als ein dem Wesen dieser selbst eigenthümliches Erzeugniß. Um Dieses auszumachen, wäre die historische Untersuchung zu Hülfe zu nehmen, und zu erforschen, ob die alten und die nichteuropäischen Völker, besonders die Hindostanischen, und viele der ältesten Griechischen Philosophen auch wirklich zu jenen Begriffen gelangt seien; oder ob bloß wir, zu gutmüthig, sie ihnen zuschreiben, so wie die Griechen überall ihre Götter wiederfanden, indem wir ganz fälschlich das Brahm der Hindu und das Tien der Chinesen mit »Gott« übersetzen; ob nicht vielmehr der eigentliche Theismus allein in der Jüdischen und den beiden aus ihr hervorgegangenen Religionen zu finden sei, deren Bekenner gerade deshalb Anhänger aller andern Religionen auf Erden unter dem Namen Heiden zusammenfassen, – einem, beiläufig gesagt, höchst einfältigen und rohen Ausdruck, der wenigstens aus den Schriften der Gelehrten verbannt seyn sollte, weil er Brahmanisten, Buddhaisten, Aegypter, Griechen, Römer, Germanen, Gallier, Irokesen, Patagonier, Karaiben, Otaheiter, Australier u.a.m. identificirt und in Einen Sack steckt. Für Pfaffen ist ein solcher Ausdruck passend: in der gelehrten Welt aber muß ihm sogleich die Thüre gewiesen werden, er kann nach England reisen und sich in Oxford niederlassen. – Daß namentlich der Buddhaismus, diese auf Erden am zahlreichsten vertretene Religion, durchaus keinen Theismus enthält, ja, ihn perhorrescirt, ist eine ganz ausgemachte Sache. Was den Plato betrifft, so bin ich der Meinung, daß er seinen ihn periodisch anwandelnden Theismus den Juden verdankt. Numenius hat ihn deshalb (nach Clem. Alex. Strom., I, c. 22, Euseb. praep. evang., XIII, 12, und der Suda, unter Numenius) den Moses graecisans genannt: Ti gar esti Platôn, ê Môsês attikizôn; und er wirft ihm vor, daß er seine Lehren von Gott und der Schöpfung aus den Mosaischen Schriften gestohlen (aposylêsas) habe. Klemens kommt oft darauf zurück, daß Plato den Moses gekannt und benutzt habe, z.B. Strom., I, 25.-V, c. 14, § 90 u.s.f.- Paedagog., II 10, und III, 11; auch in der Cohortatio ad gentes, c. 6, woselbst er, nachdem er, im vorhergehenden Kapitel, sämmtliche Griechische Philosophen kapuzinerhaft gescholten und verhöhnt hat, weil sie keine Juden gewesen sind, den Plato ausschließlich lobt und in lauten Jubel darüber ausbricht, daß derselbe, wie er seine Geometrie von den Aegyptern, seine Astronomie von den Babyloniern, Magie von den Thrakiern, auch Vieles von den Assyriern gelernt habe, so seinen Theismus von den Juden: Oida sou tous didaskalous, kan apoksyptein ethelês, – – – – doxan tên tou theou par' autôn ôphelêsai tôn Ebraiôn (tuos magistros novi, licet eos celare velis, – – – – – illa de Deo sententia suppeditata tibi est ab Hebraeis). Eine rührende Erkennungsscene. – Aber eine sonderbare Bestätigung der Sache entdecke ich in Folgendem. Nach Plutarch (in Mario) und besser nach Laktanz (I, 3, 19) hat Plato der Natur gedankt, daß er ein Mensch und kein Thier, ein Mann und kein Weib, ein Grieche und kein Barbar geworden sei. Nun steht in Isaak Euchels Gebeten der Juden, aus dem Hebräischen, zweite Auflage, 1799, S. 7, ein Morgengebet, worin sie Gott danken und loben, daß der Dankende ein Jude und kein Heide, ein Freier und kein Sklave, ein Mann und kein Weib geworden sei. – Eine solche historische Untersuchung würde Kanten einer schlimmen Nothwendigkeit überhoben haben, in die er jetzt geräth, indem er jene drei Begriffe aus der Natur der Vernunft nothwendig entspringen läßt, und doch darthut, daß sie unhaltbar und von der Vernunft nicht zu begründen sind, und deshalb die Vernunft selbst zum Sophisten macht, indem er S. 339; v, 397, sagt: »Es sind Sophistikationen, nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen selbst der Weiseste sich nicht losmachen und vielleicht zwar nach vieler Bemühung den Irrthum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich zwackt und äfft, niemals loswerden kann.« Danach wären diese Kantischen »Ideen der Vernunft« dem Fokus zu vergleichen, in welchen die von einem Hohlspiegel konvergirend zurückgeworfenen Strahlen, einige Zolle vor seiner Oberfläche, zusammenlaufen, in Folge wovon, durch einen unvermeidlichen Verstandesproceß, sich uns daselbst ein Gegenstand darstellt, welcher ein Ding ohne Realität ist.

Sehr unglücklich ist aber für Jene drei angeblich nothwendigen Produktionen der reinen theoretischen Vernunft der Name Ideen gewählt und dem Plato entrissen, der damit die unvergänglichen Gestalten bezeichnete, welche, durch Zeit und Raum vervielfältigt, in den unzähligen, individuellen, vergänglichen Dingen unvollkommen sichtbar werden. Plato's Ideen sind diesem zufolge durchaus anschaulich, wie auch das Wort, das er wählte, so bestimmt bezeichnet, welches man nur durch Anschaulichkeiten oder Sichtbarkeiten, entsprechend übersetzen könnte. Und Kant hat es sich zugeeignet, um Das zu bezeichnen, was von aller Möglichkeit der Anschauung so ferne liegt, daß sogar das abstrakte Denken nur halb dazu gelangen kann. Das Wort Idee, welches Plato zuerst einführte, hat auch seitdem, zweiundzwanzig Jahrhunderte hindurch, immer die Bedeutung behalten, in der Plato es gebrauchte: denn nicht nur alle Philosophen des Alterthums, sondern auch alle Scholastiker und sogar die Kirchenväter und die Theologen des Mittelalters brauchten es allein in jener Platonischen Bedeutung, nämlich im Sinn des lateinischen Wortes exemplar, wie Suarez ausdrücklich anführt in seiner fünfundzwanzigsten Disputation, Sect. 1. – Daß später Engländer und Franzosen die Armuth ihrer Sprache zum Mißbrauch jenes Wortes verleitet hat, ist schlimm genug, aber nicht von Gewicht. Kants Mißbrauch des Wortes Idee, durch Unterschiebung einer neuen Bedeutung, welche am dünnen Faden des Nicht Objekt der Erfahrungseyns, die es mit Plato's Ideen, aber auch mit allen möglichen Chimären gemein hat, herbeigezogen wird, ist also durchaus nicht zu rechtfertigen. Da nun der Mißbrauch weniger Jahre nicht in Betracht kommt gegen die Auktorität vieler Jahrhunderte, so habe ich das Wort immer in seiner alten, ursprünglichen, Platonischen Bedeutung gebraucht.

Die Widerlegung der rationalen Psychologie ist in der ersten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft« sehr viel ausführlicher und gründlicher, als in der zweiten und folgenden; daher man hier schlechterdings sich jener bedienen muß. Diese Widerlegung hat im Ganzen sehr großes Verdienst und viel Wahres. Jedoch bin ich durchaus der Meinung, daß Kant bloß seiner Symmetrie zu Liebe den Begriff der Seele aus jenem Paralogismus mittelst Anwendung der Forderung des Unbedingten auf den Begriff Substanz, der die erste Kategorie der Relation ist, als nothwendig herleitet und demnach behauptet, daß auf diese Weise in jeder spekulirenden Vernunft der Begriff von einer Seele entstände. Hätte derselbe wirklich seinen Ursprung in der Voraussetzung eines letzten Subjekts aller Prädikate eines Dinges, so würde man ja nicht allein im Menschen, sondern auch in jedem leblosen Dinge eben so nothwendig eine Seele angenommen haben, da auch ein solches ein letztes Subjekt aller seiner Prädikate verlangt. Ueberhaupt aber bedient Kant sich eines ganz unstatthaften Ausdrucks, wenn er von einem Etwas redet, das nur als Subjekt und nicht als Prädikat existiren könne (z.B. »Kritik der reinen Vernunft«, S. 323; v, 412; »Prolegomena«, § 4 und 47); obgleich schon in des Aristoteles »Metaphysik«, IV, Kap. 8, ein Vorgang dazu zu finden ist. Als Subjekt und Prädikat existirt gar nichts: denn diese Ausdrücke gehören ausschließlich der Logik an und bezeichnen das Verhältniß abstrakter Begriffe zueinander. In der anschaulichen Welt soll nun ihr Korrelat oder Stellvertreter Substanz und Accidenz seyn. Dann aber brauchen wir Das, was stets nur als Substanz und nie als Accidenz existirt, nicht weiter zu suchen, sondern haben es unmittelbar an der Materie. Sie ist die Substanz zu allen Eigenschaften der Dinge, als welche ihre Accidenzien sind. Sie ist wirklich, wenn man Kants eben gerügten Ausdruck beibehalten will, das letzte Subjekt aller Prädikate jedes empirisch gegebenen Dinges, nämlich Das, was übrig bleibt, nach Abzug aller seiner Eigenschaften jeder Art: und dies gilt vom Menschen, wie vom Thiere, Pflanze oder Stein, und ist so evident, daß, um es nicht zu seyn, ein determinirtes Nichtsehnwollen erfordert ist. Daß sie wirklich der Prototypos des Begriffs Substanz sei, werde ich bald zeigen. – Subjekt und Prädikat aber verhält sich zu Substanz und Accidenz vielmehr wie der Satz des zureichenden Grundes in der Logik zum Gesetz der Kausalität in der Natur, und so unstatthaft die Verwechselung oder Identificirung dieser, ist es auch die jener Beiden. Letztere Verwechselung und Identifikation treibt aber Kant bis zum höchsten Grade in den »Prolegomenen«, § 46, um den Begriff der Seele aus dem des letzten Subjekts aller Prädikate und aus der Form des kategorischen Schlusses entstehn zu lassen. Um die Sophistikation dieses Paragraphen aufzudecken, braucht man nur sich zu besinnen, daß Subjekt und Prädikat rein logische Bestimmungen sind, die einzig und allein abstrakte Begriffe, und zwar nach ihrem Verhältniß im Urtheil, betreffen: Substanz und Accidenz hingegen gehören der anschaulichen Welt und ihrer Apprehension im Verstande an, finden sich daselbst aber nur als identisch mit Materie und Form oder Qualität: davon sogleich ein Mehreres.

Der Gegensatz, welcher Anlaß zur Annahme zweier grundverschiedener Substanzen, Leib und Seele, gegeben hat, ist in Wahrheit der des Objektiven und Subjektiven. Faßt der Mensch sich in der äußeren Anschauung objektiv auf, so findet er ein räumlich ausgedehntes und überhaupt durchaus körperliches Wesen; faßt er hingegen sich im bloßen Selbstbewußtseyn, also rein subjektiv auf, so findet er ein bloß Wollendes und Vorstellendes, frei von allen Formen der Anschauung, also auch ohne irgend eine der den Körpern zukommenden Eigenschaften. Jetzt bildet er den Begriff der Seele, wie alle die transscendenten, von Kant Ideen genannten Begriffe, dadurch, daß er den Satz vom Grunde, die Form alles Objekts, auf Das anwendet, was nicht Objekt ist, und zwar hier auf das Subjekt des Erkennens und Wollens. Er betrachtet nämlich Erkennen, Denken und Wollen als Wirkungen, deren Ursache er sucht und den Leib nicht dafür annehmen kann, setzt also eine vom Leibe gänzlich verschiedene Ursache derselben. Auf diese Weise beweist der erste und der letzte Dogmatiker das Daseyn der Seele: nämlich schon Plato im Phädros und auch noch Wolf: nämlich aus dem Denken und Wollen als den Wirkungen, die auf jene Ursache leiten. Erst nachdem auf diese Weise, durch Hypostasirung einer der Wirkung entsprechenden Ursache, der Begriff von einem immateriellen, einfachen, unzerstörbaren Wesen entstanden war, entwickelte und demonstrirte diesen die Schule aus dem Begriff Substanz. Aber diesen selbst hatte sie vorher ganz eigens zu diesem Behuf gebildet, durch folgenden beachtenswerthen Kunstgriff.

Mit der ersten Klasse der Vorstellungen, d.h. der anschaulichen, realen Welt, ist auch die Vorstellung der Materie gegeben, weil das in jener herrschende Gesetz der Kausalität den Wechsel der Zustände bestimmt, welche selbst ein Beharrendes voraussetzen, dessen Wechsel sie sind. Oben, beim Satz der Beharrlichkeit der Substanz, habe ich, mit Berufung auf frühere Stellen, gezeigt, daß diese Vorstellung der Materie entsteht, indem im Verstande, für welchen allein sie daist, durch das Gesetz der Kausalität (seine einzige Erkenntnißform) Zeit und Raum innig vereinigt werden und der Antheil des Raumes an diesem Produkt als das Beharren der Materie, der Antheil der Zeit aber als der Wechsel der Zustände derselben sich darstellen. Rein für sich kann die Materie auch nur in abstracto gedacht, nicht aber angeschaut werden; da sie der Anschauung immer schon in Form und Qualität erscheint. Von diesem Begriff der Materie ist nun Substanz wieder eine Abstraktion, folglich ein höheres Genus, und ist dadurch entstanden, daß man von dem Begriff der Materie nur das Prädikat der Beharrlichkeit stehn ließ, alle ihre übrigen, wesentlichen Eigenschaften, Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Theilbarkeit u.s.w. aber wegdachte. Wie jedes höhere Genus enthält also der Begriff Substanz weniger in sich als der Begriff Materie: aber er enthält nicht dafür, wie sonst immer das höhere Genus, mehr unter sich, indem er nicht mehrere niedere genera, neben der Materie, umfaßt; sondern diese bleibt die einzige wahre Unterart des Begriffes Substanz, das einzige Nachweisbare, dadurch sein Inhalt realisirt wird und einen Beleg erhält. Der Zweck also, zu welchem sonst die Vernunft durch Abstraktion einen hohem Begriff hervorbringt, nämlich um in ihm mehrere, durch Nebenbestimmungen verschiedene Unterarten zugleich zu denken, hat hier gar nicht Statt: folglich ist jene Abstraktion entweder ganz zwecklos und müßig vorgenommen, oder sie hat eine heimliche Nebenabsicht. Diese tritt nun ans Licht, indem unter den Begriff Substanz, seiner ächten Unterart Materie eine zweite koordinirt wird, nämlich die immaterielle, einfache, unzerstörbare Substanz, Seele, Die Erschleichung dieses Begriffs geschah aber dadurch, daß schon bei der Bildung des hohem Begriffes Substanz gesetzwidrig und unlogisch verfahren wurde. In ihrem gesetzmäßigen Gange bildet die Vernunft einen hohem Geschlechtsbegriff immer nur dadurch, daß sie mehrere Artbegriffe neben einander stellt, nun vergleichend, diskursiv, verfährt und, durch Weglassen ihrer Unterschiede und Beibehalten ihrer Uebereinstimmungen, den sie alle umfassenden, aber weniger enthaltenden Geschlechtsbegriff erhält: woraus folgt, daß die Artbegriffe immer dem Geschlechtsbegriff vorhergehn müssen. Im gegenwärtigen Fall ist es aber umgekehrt. Bloß der Begriff Materie war vor dem Geschlechtsbegriff Substanz da, welcher ohne Anlaß und folglich ohne Berechtigung, müßigerweise aus jenem gebildet wurde, durch beliebige Weglassung aller Bestimmungen desselben bis auf eine. Erst nachher wurde neben den Begriff Materie die zweite unächte Unterart gestellt und so untergeschoben. Zur Bildung dieser aber bedurfte es nun weiter nichts, als einer ausdrücklichen Verneinung dessen, was man vorher stillschweigend schon im hohem Geschlechtsbegriff weggelassen hatte, nämlich Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Theilbarkeit. So wurde also der Begriff Substanz bloß gebildet, um das Vehikel zur Erschleichung des Begriffs der immateriellen Substanz zu seyn. Er ist folglich sehr weit davon entfernt für eine Kategorie oder nothwendige Funktion des Verstandes gelten zu können: vielmehr ist er ein höchst entbehrlicher Begriff, weil sein einziger wahrer Inhalt schon im Begriff der Materie liegt, neben welchem er nur noch eine große Leere enthält, die durch nichts ausgefüllt werden kann, als durch die erschlichene Nebenart immaterielle Substanz, welche aufzunehmen er auch allein gebildet worden: weswegen er, der Strenge nach, gänzlich zu verwerfen und an seine Stelle überall der Begriff der Materie zu setzen ist.

Die Kategorien waren für jedes mögliche Ding ein Bett des Prokrustes, aber die drei Arten der Schlüsse sind es nur für die drei sogenannten Ideen. Die Idee der Seele war gezwungen worden in der kategorischen Schlußform ihren Ursprung zu finden. Jetzt trifft die Reihe die dogmatischen Vorstellungen über das Weltganze, sofern es, als Objekt an sich, zwischen zwei Gränzen, der des Kleinsten (Atom) und der des Größten (Weltgränzen in Zeit und Raum) gedacht wird. Diese müssen nun aus der Form des hypothetischen Schlusses hervorgehn. Dabei ist an sich kein sonderlicher Zwang nöthig. Denn das hypothetische Urtheil hat seine Form vom Satze des Grundes, und aus der besinnungslosen, unbedingten Anwendung dieses Satzes und sodann beliebiger Beiseitelegung desselben entstehn in der That alle jene sogenannten Ideen, nicht die kosmologischen allein: nämlich dadurch, daß, jenem Satze gemäß, immer nur die Abhängigkeit eines Objekts vom andern gesucht wird, bis endlich die Ermüdung der Einbildungskraft ein Ziel der Reise schafft: wobei aus den Augen gelassen wird, daß jedes Objekt, ja die ganze Reihe derselben und der Satz vom Grunde selbst in einer viel nähern und großem Abhängigkeit steht, nämlich in der vom erkennenden Subjekt, für dessen Objekte, d.h. Vorstellungen, jener Satz allein gültig ist, indem deren bloße Stelle in Raum und Zeit durch ihn bestimmt wird. Da also die Erkenntnißform, aus welcher hier bloß die kosmologischen Ideen abgeleitet werden, nämlich der Satz vom Grunde, der Ursprung aller vernünftelnden Hypostasen ist; so bedarf es dazu diesmal keiner Sophismen; desto mehr aber, um jene Ideen nach den vier Titeln der Kategorien zu klassificiren.

1) Die kosmologischen Ideen in Hinsicht auf Zeit und Raum, also von den Gränzen der Welt in Beiden, werden kühn angesehn als bestimmt durch die Kategorie der Quantität, mit der sie offenbar nichts gemein haben, als die in der Logik zufällige Bezeichnung des Umfangs des Subjektbegriffes im Urtheil durch das Wort Quantität, einen bildlichen Ausdruck, statt dessen eben so gut ein anderer hätte gewählt werden können. Aber für Kants Liebe zur Symmetrie ist dies genug, um den glücklichen Zufall dieser Namengebung zu benutzen und die transscendenten Dogmen von der Weltausdehnung daran zu knüpfen.

2) Noch kühner knüpft Kant an die Qualität, d.i. die Bejahung oder Verneinung in einem Urtheil, die transscendenten Ideen über die Materie, wobei nicht ein Mal eine zufällige Wortähnlichkeit zum Grunde liegt: denn gerade auf die Quantität und nicht auf die Qualität der Materie bezieht sich ihre mechanische (nicht chemische) Theilbarkeit. Aber, was noch mehr ist, diese ganze Idee von der Theilbarkeit gehört gar nicht unter die Folgerungen nach dem Satze vom Grunde, aus welchem, als dem Inhalt der hypothetischen Form, doch alle kosmologischen Ideen fließen sollen. Denn die Behauptung, auf welcher Kant dabei fußet, daß das Verhältniß der Theile zum Ganzen das der Bedingung zum Bedingten, also ein Verhältniß gemäß dem Satz vom Grunde sei, ist ein zwar feines, aber doch grundloses Sophisma. Jenes Verhältniß stützt sich vielmehr auf den Satz vom Widerspruch. Denn das Ganze ist nicht durch die Theile, noch diese durch jenes; sondern Beide sind nothwendig zusammen, weil sie Eines sind und ihre Trennung nur ein willkürlicher Akt ist. Darauf beruht es, nach dem Satz vom Widerspruch, daß, wenn die Theile weggedacht werden, auch das Ganze weggedacht ist, und umgekehrt; keineswegs aber darauf, daß die Theile als Grund das Ganze als Folge bedingten und wir daher, nach dem Satz vom Grunde, nothwendig getrieben würden, die letzten Theile zu suchen, um daraus, als seinem Grunde, das Ganze zu verstehn. – So große Schwierigkeiten überwältigt hier die Liebe zur Symmetrie.

3) Unter den Titel der Relation würde nun ganz eigentlich die Idee von der ersten Ursache der Welt gehören. Kant muß aber diese für den vierten Titel, den der Modalität, aufbewahren, für den sonst nichts übrig bliebe und unter welchen er jene Idee dann dadurch zwängt, daß das Zufällige (d.h. nach seiner, der Wahrheit diametral entgegengesetzten Erklärung, jede Folge aus ihrem Grunde) durch die erste Ursache zum Nothwendigen wird. – Als dritte Idee tritt daher, zu Gunsten der Symmetrie, hier der Begriff der Freiheit auf, womit aber eigentlich doch nur die nun ein Mal allein hieher passende Idee von der Weltursache gemeint ist, wie die Anmerkung zur Thesis des dritten Widerstreits deutlich aussagt. Der dritte und vierte Widerstreit sind also im Grunde tautologisch.

Ueber alles dieses aber finde und behaupte ich, daß die ganze Antinomie eine bloße Spiegelfechterei, ein Scheinkampf ist. Nur die Behauptungen der Antithesen beruhen wirklich auf den Formen unsers Erkenntnißvermögens, d.h. wenn man es objektiv ausdrückt, auf den nothwendigen, a priori gewissen, allgemeinsten Naturgesetzen. Ihre Beweise allein sind daher aus objektiven Gründen geführt. Hingegen haben die Behauptungen und Beweise der Thesen keinen andern als subjektiven Grund, beruhen ganz allein auf der Schwäche des vernünftelnden Individuums, dessen Einbildungskraft bei einem unendlichen Regressus ermüdet und daher demselben durch willkürliche Voraussetzungen, die sie bestens zu beschönigen sucht, ein Ende macht, und dessen Urtheilskraft noch überdies durch früh und fest eingeprägte Vorurtheile an dieser Stelle gelähmt ist. Dieserwegen ist der Beweis für die Thesis in allen vier Widerstreiten überall nur ein Sophisma; statt daß der für die Antithesis eine unvermeidliche Folgerung der Vernunft aus den uns a priori bewußten Gesetzen der Welt als Vorstellung ist. Auch hat Kant nur mit vieler Mühe und Kunst die Thesis aufrecht erhalten können und sie scheinbare Angriffe auf den mit ursprünglicher Kraft begabten Gegner machen lassen. Hiebei nun ist sein erster und durchgängiger Kunstgriff dieser, daß er nicht, wie man thut, wenn man sich der Wahrheit seines Satzes bewußt ist, den nervus argumentationis hervorhebt und so isolirt, nackt und deutlich, als nur immer möglich, vor die Augen bringt; sondern vielmehr führt er auf beiden Seiten denselben, unter einem Schwall überflüssiger und weitläuftiger Sätze verdeckt und eingemengt ein.

Die hier nun so im Widerstreit auftretenden Thesen und Antithesen erinnern an den dikaios und adikos logos, welche Sokrates in den Wolken des Aristophanes streitend auftreten läßt. Jedoch erstreckt sich diese Aehnlichkeit nur auf die Form, nicht aber auf den Inhalt, wie wohl Diejenigen gern behaupten möchten, welche diesen spekulativesten aller Fragen der theoretischen Philosophie einen Einfluß auf die Moralität zuschreiben und daher im Ernst die These für den dikaios die Antithese aber für den adikos logos halten. Auf solche beschränkte und verkehrte kleine Geister Rücksicht zu nehmen, werde ich mich hier jedoch nicht bequemen und nicht ihnen, sondern der Wahrheit die Ehre gebend, die von Kant geführten Beweise der einzelnen Thesen als Sophismen aufdecken, während die der Antithesen ganz ehrlich, richtig und aus objektiven Gründen geführt sind. – Ich setze voraus, daß man bei dieser Prüfung die Kantische Antinomie selbst immer vor sich habe.

Wollte man den Beweis der Thesis im ersten Widerstreit gelten lassen; so bewiese er zu viel, indem er eben so gut auf die Zeit selbst, als auf den Wechsel in ihr anwendbar wäre und daher beweisen würde, daß die Zeit selbst: angefangen haben muß, was widersinnig ist. Uebrigens besteht das Sophisma darin, daß statt der Anfangslosigkeit der Reihe der Zustände, wovon zuerst die Rede, plötzlich die Endlosigkeit (Unendlichkeit) derselben untergeschoben und nun bewiesen wird, was Niemand bezweifelt, daß dieser das Vollendetseyn logisch widerspreche und dennoch jede Gegenwart das Ende der Vergangenheit sei. Das Ende einer anfangslosen Reihe läßt sich aber immer denken, ohne ihrer Anfangslosigkeit Abbruch zu thun: wie sich auch umgekehrt der Anfang einer endlosen Reihe denken läßt. Gegen das wirklich richtige Argument der Antithesis aber, daß die Veränderungen der Welt rückwärts eine unendliche Reihe von Veränderungen schlechthin nothwendig voraussetzen, wird gar nichts vorgebracht. Die Möglichkeit, daß die Kausalreihe dereinst in einen absoluten Stillstand endige, können wir denken; keineswegs aber die Möglichkeit eines absoluten Anfangs108.

In Hinsicht auf die räumlichen Gränzen der Welt wird bewiesen, daß wenn sie ein gegebenes Ganzes heißen soll, sie nothwendig Gränzen haben muß: die Konsequenz ist richtig, nur war eben ihr vorderes Glied das, was zu beweisen war, aber unbewiesen bleibt. Totalität setzt Gränzen, und Gränzen setzen Totalität voraus: Beide zusammen werden hier aber willkürlich vorausgesetzt. – Die Antithesis liefert für diesen zweiten Punkt jedoch keinen so befriedigenden Beweis, als für den ersten, weil das Gesetz der Kausalität bloß in Hinsicht auf die Zeit, nicht auf den Raum, nothwendige Bestimmungen an die Hand giebt und uns zwar a priori die Gewißheit ertheilt, daß keine erfüllte Zeit je an eine ihr vorhergegangene leere gränzen und keine Veränderung die erste seyn konnte, nicht aber darüber, daß ein erfüllter Raum keinen leeren neben sich haben kann. Insofern wäre über Letzteres keine Entscheidung a priori möglich. Jedoch liegt die Schwierigkeit, die Welt im Räume als begränzt zu denken, darin, daß der Raum selbst nothwendig unendlich ist, und daher eine begränzte endliche Welt in ihm, so groß sie auch sei, zu einer unendlich kleinen Größe wird; an welchem Mißverhältniß die Einbildungskraft einen unüberwindlichen Anstoß findet; indem ihr danach nur die Wahl bleibt, die Welt entweder unendlich groß, oder unendlich klein zu denken. Dies haben schon die alten Philosophen eingesehn: Mêtrodôros, ho kathêgêtês Epikourou, phêsin atopon einai en megalô pediô hena stachyn gennêthênai, kai hena kosmon en tô apeirô (Metrodorus, caput scholae Epicuri, absurdum ait, in magno campo spicam unam produci, et unum in infinito mundum). Stob. Ecl., I, c. 23. – Daher lehrten Viele von ihnen (wie gleich darauf folgt), apeirous kosmous en tô apeirô (infinitos mundos in infinito). Dieses ist auch der Sinn des Kantischen Arguments für die Antithese; nur hat er es durch einen scholastischen, geschrobenen Vertrag verunstaltet. Das selbe Argument könnte man auch gegen die Gränzen der Welt in der Zeit gebrauchen, wenn man nicht schon ein viel besseres am Leitfaden der Kausalität hätte. Ferner entsteht, bei der Annahme einer im Räume begränzten Welt, die unbeantwortbare Frage, welches Vorrecht denn der erfüllte Theil des Raumes vor dem unendlichen, leer geblichenen gehabt hätte. Eine ausführliche und sehr lesenswerthe Darlegung der Argumente für und gegen die Endlichkeit der Welt giebt Jordanus Brunus im fünften Dialog seines Buches »Del infinito, universo e mondi«. Uebrigens behauptet Kant selbst im Ernst und aus objektiven Gründen die Unendlichkeit der Welt im Raum, in seiner »Naturgeschichte und Theorie des Himmels«, Theil II, Kap. 7. Zu derselben bekennt sich auch Aristoteles, »Phys.«, III, Kap. 4, welches Kapitel nebst den folgenden, in Hinsicht auf diese Antinomie sehr lesenswerth ist.

Beim zweiten Widerstreit begeht die Thesis sogleich eine gar nicht feine petitio principii, indem sie anhebt: »Jede zusammengesetzte Substanz besteht aus einfachen Theilen.« Aus dem hier willkürlich angenommenen Zusammengesetztseyn beweist sie nachher freilich die einfachen Theile sehr leicht. Aber eben der Satz »alle Materie ist zusammengesetzt«, auf welchen es ankommt, bleibt unbewiesen, weil er eben eine grundlose Annahme ist. Dem Einfachen steht nämlich nicht das Zusammengesetzte, sondern das Extendirte, das Theilehabende, das Theilbare gegenüber. Eigentlich aber wird hier stillschweigend angenommen, daß die Theile vor dem Ganzen dawaren und zusammengetragen wurden, wodurch das Ganze entstanden sei: denn Dies besagt das Wort »zusammengesetzt«. Doch läßt sich Dieses so wenig behaupten, wie das Gegentheil. Die Theilbarkeit besagt bloß die Möglichkeit, das Ganze in Theile zu zerlegen; keineswegs, daß es aus Theilen zusammengesetzt und dadurch entstanden sei. Die Theilbarkeit behauptet bloß die Theile a parte post; das Zusammengesetztseyn behauptet sie a parte ante. Denn zwischen den Theilen und dem Ganzen ist wesentlich kein Zeitverhältniß: vielmehr bedingen sie sich wechselseitig und sind insofern stets zugleich: denn nur sofern Beide dasind, besteht das räumlich Ausgedehnte. Was daher Kant in der Anmerkung zur Thesis sagt: »Den Raum sollte man eigentlich nicht Compositum, sondern Totum nennen u.s.w.«, dies gilt ganz und gar auch von der Materie, als welche bloß der wahrnehmbar gewordene Raum ist. – Dagegen folgt die unendliche Theilbarkeit der Materie, welche die Antithese behauptet, a priori und unwidersprechlich aus der des Raumes, den sie erfüllt. Dieser Satz hat gar nichts gegen sich: daher ihn auch Kant, S. 513; v, 541, wo er ernstlich und in eigener Person, nicht mehr als Wortführer des adikos logos spricht, als objektive Wahrheit darstellt: desgleichen in den »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft« (S. 108, erste Ausgabe) steht der Satz, »die Materie ist ins Unendliche theilbar«, als ausgemachte Wahrheit an der Spitze des Beweises des ersten Lehrsatzes der Mechanik, nachdem er in der Dynamik als vierter Lehrsatz aufgetreten war und bewiesen worden. Hier aber verdirbt Kant den Beweis für die Antithese, durch die größte Verworrenheit des Vertrags und unnützen Wortschwall, in der schlauen Absicht, daß die Evidenz der Antithese die Sophismen der These nicht zu sehr in Schatten stelle. – Die Atome sind kein nothwendiger Gedanke der Vernunft, sondern bloß eine Hypothese zur Erklärung der Verschiedenheit des specifischen Gewichts der Körper. Daß wir aber auch dieses anderweitig und sogar besser und einfacher, als durch Atomistik erklären können, hat Kant selbst gezeigt, in der Dynamik seiner »Metaphysischen Anfangsgründe zur Naturwissenschaft«; vor ihm jedoch Priestley, »On matter und spirit«; sect. I. Ja, schon im Aristoteles, »Phys.«, IV, 9, ist der Grundgedanke davon zu finden.

Das Argument für die dritte Thesis ist ein sehr feines Sophisma und eigentlich Kants vorgebliches Princip der reinen Vernunft selbst, ganz unvermischt und unverändert. Es will die Endlichkeit der Reihe der Ursachen daraus beweisen, daß eine Ursache, um zureichend zu seyn, die vollständige Summe der Bedingungen enthalten muß, aus denen der folgende Zustand, die Wirkung, hervorgeht. Dieser Vollständigkeit der in dem Zustand, welcher Ursache ist, zugleich vorhandenen Bestimmungen schiebt nun das Argument die Vollständigkeit der Reihe von Ursachen unter, durch die jener Zustand selbst erst zur Wirklichkeit gekommen ist: und weil Vollständigkeit Geschlossenheit, diese aber Endlichkeit voraussetzt, so folgert das Argument hieraus eine erste, die Reihe schließende, mithin unbedingte Ursache. Aber die Taschenspielerei liegt am Tage. Um den Zustand A als zureichende Ursache des Zustandes B zu begreifen, setze ich voraus, er enthalte die Vollständigkeit der hiezu erforderlichen Bestimmungen, durch deren Beisammenseyn der Zustand B unausbleiblich erfolgt. Hiedurch ist nun meine Anforderung an ihn als zureichende Ursache gänzlich befriedigt und sie hat keine unmittelbare Verbindung mit der Frage, wie der Zustand A selbst zur Wirklichkeit gekommen sei: vielmehr gehört diese einer ganz andern Betrachtung an, in der ich den nämlichen Zustand A nicht mehr als Ursache, sondern selbst wieder als Wirkung ansehe, wobei ein anderer Zustand sich zu ihm wieder eben so verhalten muß, wie er selbst sich zu B verhielt. Die Voraussetzung der Endlichkeit der Reihe von Ursachen und Wirkungen, und demnach eines ersten Anfanges, erscheint dabei aber nirgends als nothwendig, so wenig wie die Gegenwart des gegenwärtigen Augenblicks einen Anfang der Zeit selbst zur Voraussetzung hat; sondern jene wird erst hinzugethan von der Trägheit des spekulirenden Individuums. Daß jene Voraussetzung in der Annahme einer Ursache als zureichenden Grundes liege, ist also erschlichen und falsch; wie ich dieses oben, bei Betrachtung des Kantischen, mit dieser Thesis zusammenfallenden Princips der Vernunft ausführlich gezeigt habe. Zur Erläuterung der Behauptung dieser falschen Thesis entblödet sich Kant nicht, in der Anmerkung zu derselben, sein Aufstehn vom Stuhl als Beispiel eines unbedingten Anfangs zu geben: als ob es ihm nicht so unmöglich wäre, ohne Motiv aufzustehn, wie der Kugel ohne Ursache zu rollen. Die Grundlosigkeit seiner vom Gefühl der Schwäche eingegebenen Berufung auf die Philosophen des Alterthums brauche ich wohl nicht erst aus dem Okellos Lukanos, den Eleaten u.s.w. nachzuweisen; der Hindu ganz zu geschweigen. Gegen die Beweisführung der Antithese ist, wie bei den vorhergehenden, nichts einzuwenden.

Der vierte Widerstreit ist, wie ich schon bemerkt habe, mit dem dritten eigentlich tautologisch. Auch ist der Beweis der These im Wesentlichen wieder der selbe, wie der der vorhergehenden. Seine Behauptung, daß jedes Bedingte eine vollständige und daher mit dem Unbedingten sich endende Reihe von Bedingungen voraussetze, ist eine petitio principii, die man geradezu ableugnen muß. Jedes Bedingte setzt nichts voraus, als seine Bedingung: daß diese wieder bedingt sei, hebt eine neue Betrachtung an, welche in der ersten nicht unmittelbar enthalten ist.

Eine gewisse Scheinbarkeit ist der Antinomie nicht abzusprechen: dennoch ist es merkwürdig, daß kein Theil der Kantischen Philosophie so wenig Widerspruch erfahren, ja, so viel Anerkennung gefunden hat, wie diese so höchst paradoxe Lehre. Fast alle philosophische Parteien und Lehrbücher haben sie gelten gelassen und wiederholt, auch wohl bearbeitet; während beinahe alle andern Lehren Kants angefochten worden sind, ja, es nie an einzelnen schiefen Köpfen gefehlt hat, welche sogar die transscendentale Aesthetik verwarfen. Der ungetheilte Beifall, den hingegen die Antinomie gefunden, mag am Ende daher kommen, daß gewisse Leute mit innerlichem Behagen den Punkt betrachten, wo so recht eigentlich der Verstand stille stehn soll, indem er auf etwas gestoßen wäre, was zugleich ist und nicht ist, und sie demnach das sechste Kunststück des Philadelphia, in Lichtenbergs Anschlagszettel, hier wirklich vor sich hätten.

Kants nun folgende Kritische Entscheidung des kosmologischen Streites ist, wenn man ihren eigentlichen Sinn erforscht, nicht Das, wofür er sie giebt, nämlich die Auflösung des Streites durch die Eröffnung, daß beide Theile, von falschen Voraussetzungen ausgehend, im ersten und zweiten Widerstreit beide Unrecht, aber im dritten und vierten beide Recht haben; sondern sie ist in der That die Bestätigung der Antithesen durch die Erläuterung ihrer Aussage.

Zuerst behauptet Kant in dieser Auflösung, mit offenbarem Unrecht, beide Theile giengen von der Voraussetzung, als Obersatz, aus, daß mit dem Bedingten auch die vollendete (also geschlossene) Reihe seiner Bedingungen gegeben sei. Bloß die Thesis legte diesen Satz, Kants reines Vernunftprincip, ihren Behauptungen zum Grunde: die Antithesis hingegen leugnete ihn ja überall ausdrücklich, und behauptete das Gegentheil. Ferner legt Kant beiden Theilen noch diese Voraussetzung zur Last, daß die Welt an sich selbst, d.h. unabhängig von ihrem Erkanntwerden und den Formen dieses, dasei; aber auch diese Voraussetzung ist abermals bloß von der Thesis gemacht; hingegen liegt sie den Behauptungen der Antithesis so wenig zum Grunde, daß sie sogar mit ihnen durchaus unvereinbar ist. Denn dem Begriff einer unendlichen Reihe widerspricht es geradezu, daß sie ganz gegeben sei: es ist ihr daher wesentlich, daß sie immer nur in Beziehung auf das Durchgehn derselben, nicht aber unabhängig von ihm, dasei. Hingegen liegt in der Voraussetzung bestimmter Gränzen auch die eines Ganzen, welches für sich bestehend und unabhängig von dem Vollziehn seiner Ausmessung daist. Also nur die Thesis macht die falsche Voraussetzung von einem an sich bestehenden, d.h. vor aller Erkenntniß gegebenen Weltganzen, zu welchem die Erkenntniß bloß hinzukäme. Die Antithese streitet durchaus schon ursprünglich mit dieser Voraussetzung: denn die Unendlichkeit der Reihen, welche sie bloß nach Anleitung des Satzes vom Grund behauptete, kann nur daseyn, sofern der Regressus vollzogen wird, nicht unabhängig von diesem. Wie nämlich das Objekt überhaupt das Subjekt voraussetzt, so setzt auch das als eine endlose Kette von Bedingungen bestimmte Objekt nothwendig die diesem entsprechende Erkenntnißart, nämlich das beständige Verfolgen der Glieder jener Kette, im Subjekt voraus. Dies ist aber eben was Kant als Auflösung des Streites giebt und so oft wiederholt: »Die Unendlichkeit der Weltgröße ist nur durch den Regressus, nicht vor demselben.« Diese seine Auflösung des Widerstreits ist also eigentlich nur die Entscheidung zu Gunsten der Antithese, in deren Behauptung jene Wahrheit schon liegt, so wie dieselbe mit den Behauptungen der These ganz unvereinbar ist. Hätte die Antithese behauptet, daß die Welt aus unendlichen Reihen von Gründen und Folgen bestehe und dabei doch unabhängig von der Vorstellung und deren regressiver Reihe, also an sich existire und daher ein gegebenes Ganzes ausmache; so hätte sie nicht nur der These, sondern auch sich selber widersprochen: denn ein Unendliches kann nie ganz gegeben seyn, noch eine endlose Reihe daseyn, als sofern sie endlos durchlaufen wird, noch ein Gränzenloses ein Ganzes ausmachen. Nur der Thesis also kommt jene Voraussetzung zu, von der Kant behauptet, daß sie beide Theile irre geführt hätte.

Es ist schon Lehre des Aristoteles, daß ein Unendliches nie actu, d.h. wirklich und gegeben seyn könne, sondern bloß potentiâ, Ouk estin energeia einai to apeiron; – – – – – all' adynaton to entelecheia on apeiron (infinitum non potest esse actu: – – – – – sed impossibile, actu esse infinitum). Metaph. K, 10. – Ferner: kat' energeian men gar ouden estin apeiron, dynamei de epi tên diairesin (nihil enim actu infinitum est, sed potentia tantum, nempe divisione ipsa). De generat. et corrupt., 1, 3. – Dies führt er weitläufig aus, Phys. III, 5 u. 6, woselbst er gewissermaaßen die ganz richtige Auflösung sämmtlicher antinomischer Gegensätze giebt. Er stellt, in seiner kurzen Art, die Antinomien dar und sagt dann: »Eines Vermittlers (diaitêtou) bedarf es«: wonach er die Auflösung giebt, daß das Unendliche, sowohl der Welt Im Raum, als in der Zeit und in der Theilung, nie vor dem Regressus, oder Progressus, sondern in demselben ist. – Also liegt diese Wahrheit schon im richtig gefaßten Begriff des Unendlichen. Man mißversteht sich also selbst, wenn man das Unendliche, welcher Art es auch sei, als ein objektiv Vorhandenes und Fertiges, und unabhängig vom Regressus zu denken vermeint.

Ja, wenn man, umgekehrt verfahrend, zum Ausgangspunkt Dasjenige nimmt, was Kant als die Auflösung des Widerstreits giebt; so folgt eben schon aus demselben geradezu die Behauptung der Antithese. Nämlich: ist die Welt kein unbedingtes Ganzes und existirt nicht an sich, sondern nur in der Vorstellung, und sind ihre Reihen von Gründen und Folgen nicht vor dem Regressus der Vorstellungen davon da, sondern erst durch diesen Regressus; so kann die Welt nicht bestimmte und endliche Reihen enthalten, weil deren Bestimmung und Begränzung unabhängig von der dann nur hinzukommenden Vorstellung seyn müßte: sondern alle ihre Reihen müssen endlos, d.h. durch keine Vorstellung zu erschöpfen seyn.

S. 506; v, 534, will Kant aus dem Unrechthaben beider Theile die transscendentale Idealität der Erscheinung beweisen und hebt an: »Ist die Welt ein an sich existirendes Ganzes, so ist sie entweder endlich oder unendlich.« – Dies ist aber falsch: ein an sich existirendes Ganzes kann durchaus nicht unendlich seyn. – Vielmehr ließe sich jene Idealität aus der Unendlichkeit der Reihen in der Welt folgendermaaßen schließen: Sind die Reihen der Gründe und Folgen in der Welt durchaus ohne Ende; so kann die Welt nicht ein unabhängig von der Vorstellung gegebenes Ganzes seyn: denn ein solches setzt immer bestimmte Gränzen, so wie hingegen unendliche Reihen unendlichen Regressus voraus. Daher muß die vorausgesetzte Unendlichkeit der Reihen durch die Form von Grund und Folge, und diese durch die Erkenntnißweise des Subjekts bestimmt seyn, also die Welt wie sie erkannt wird, nur in der Vorstellung des Subjekts daseyn.

Ob nun Kant selbst gewußt habe, oder nicht, daß seine kritische Entscheidung des Streits eigentlich ein Ausspruch zu Gunsten der Antithese ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Denn es hängt davon ab, ob dasjenige, was Schelling irgendwo sehr treffend Kants Akkommodationssystem genannt hat, sich so weit erstrecke, oder ob Kants Geist hier schon in einer unbewußten Akkommodation zum Einfluß seiner Zeit und Umgebung befangen ist.

Die Auflösung der dritten Antinomie, deren Gegenstand die Idee der Freiheit war, verdient eine besondere Betrachtung, sofern es für uns sehr merkwürdig ist, daß Kant vom Ding an sich, das bisher nur im Hintergrunde gesehn wurde, gerade hier, bei der Idee der Freiheit, ausführlicher zu reden genöthigt wird. Dies ist uns sehr erklärlich, nachdem wir das Ding an sich als den Willen erkannt haben, Ueberhaupt liegt hier der Punkt, wo Kants Philosophie auf die meinige hinleitet, oder wo diese aus ihr als ihrem Stamm hervorgeht. Hievon wird man sich überzeugen, wenn man in der Kritik der reinen Vernunft, S. 356 und 537; v, 564 und 565, mit Aufmerksamkeit liest: mit dieser Stelle vergleiche man noch die Einleitung zur Kritik der Urtheilskraft, S. XVIII und XIX der dritten, oder S. 13 der Rosenkranzischen Ausgabe, wo es sogar heißt: »Der Freiheitsbegriff kann in seinem Objekt (das ist denn doch der Wille) ein Ding an sich, aber nicht in der Anschauung, vorstellig machen; dagegen der Naturbegriff seinen Gegenstand zwar in der Anschauung, aber nicht als Ding an sich vorstellig machen kann.« Besonders aber lese man über die Auflösung der Antinomien den § 53 der Prolegomena und beantworte dann aufrichtig die Frage, ob alles dort Gesagte nicht lautet wie ein Räthsel, zu welchem meine Lehre das Wort ist. Kant ist mit seinem Denken nicht zu Ende gekommen: ich habe bloß seine Sache durchgeführt. Demgemäß habe ich was Kant von der menschlichen Erscheinung allein sagt auf alle Erscheinung überhaupt, als welche von jener nur dem Grade nach verschieden ist, übertragen, nämlich daß das Wesen an sich derselben ein absolut Freies, d.h. ein Wille ist. Wie fruchtbar aber diese Einsicht im Verein mit Kants Lehre von der Idealität des Raumes, der Zeit und der Kausalität ist, ergiebt sich aus meinem Werk.

Kant hat das Ding an sich nirgends zum Gegenstand einer besondern Auseinandersetzung oder deutlichen Ableitung gemacht. Sondern, so oft er es braucht, zieht er es sogleich herbei durch den Schluß, daß die Erscheinung, also die sichtbare Welt, doch einen Grund, eine intelligibele Ursache, die nicht Erscheinung wäre und daher zu keiner möglichen Erfahrung gehöre, haben müsse. Dies thut er, nachdem er unablässig eingeschärft hat, die Kategorien, also auch die der Kausalität, hätten einen durchaus nur auf mögliche Erfahrung beschränkten Gebrauch, wären bloße Formen des Verstandes, welche dienten, die Erscheinungen der Sinnenwelt zu buchstabiren, über welche hinaus sie hingegen gar keine Bedeutung hätten u.s.w., daher er ihre Anwendung auf Dinge jenseit der Erfahrung aufs strengste verpönt und aus der Verletzung dieses Gesetzes, mit Recht, allen frühem Dogmatismus erklärt und zugleich umwirft. Die unglaubliche Inkonsequenz, welche Kant hierin begieng, wurde von seinen ersten Gegnern bald bemerkt und zu Angriffen benutzt, denen seine Philosophie keinen Widerstand leisten konnte. Denn allerdings wenden wir zwar völlig a priori und vor aller Erfahrung das Gesetz der Kausalität an auf die in unsern Sinnesorganen empfundenen Veränderungen; aber gerade darum ist dasselbe eben so subjektiven Ursprungs, wie diese Empfindungen selbst, führt also nicht zum Dinge an sich. Die Wahrheit ist, daß man auf dem Wege der Vorstellung nie über die Vorstellung hinaus kann: sie ist ein geschlossenes Ganzes und hat in ihren eigenen Mitteln keinen Faden, der zu dem von ihr toto genere verschiedenen Wesen des Dinges an sich führt. Wären wir bloß vorstellende Wesen, so wäre der Weg zum Dinge an sich uns gänzlich abgeschlossen. Nur die andere Seite unsers eigenen Wesens kann uns Aufschluß geben über die andere Seite des Wesens an sich der Dinge. Diesen Weg habe ich eingeschlagen. Einige Beschönigung gewinnt Kants von ihm selbst verpönter Schluß auf das Ding an sich jedoch durch Folgendes. Er setzt nicht, wie es die Wahrheit verlangte, einfach und schlechthin das Objekt als bedingt durch das Subjekt, und umgekehrt; sondern nur die Art und Weise der Erscheinung des Objekts als bedingt durch die Erkenntnißformen des Subjekts, welche daher auch a priori zum Bewußtsein kommen. Was nun aber, im Gegensatz hievon, bloß a posteriori erkannt wird, ist ihm schon unmittelbare Wirkung des Dinges an sich, welches nur im Durchgang durch jene a priori gegebenen Formen zur Erscheinung wird. Aus dieser Ansicht ist es einigermaaßen erklärlich, wie es ihm entgehn konnte, daß schon das Objektseyn überhaupt zur Form der Erscheinung gehört und durch das Subjektseyn überhaupt eben so wohl bedingt ist, als die Erscheinungsweise des Objekts durch die Erkenntnißformen des Subjekts, daß also, wenn ein Ding an sich angenommen werden soll, es durchaus auch nicht Objekt seyn kann, als welches er es jedoch immer voraussetzt, sondern ein solches Ding an sich in einem von der Vorstellung (dem Erkennen und Erkanntwerden) toto genere verschiedenen Gebiet liegen müßte, und es daher auch am wenigsten nach den Gesetzen der Verknüpfung der Objekte unter einander erschlossen werden könnte.

Mit der Nachweisung des Dinges an sich ist es Kanten gerade so gegangen, wie mit der der Apriorität des Kausalitätsgesetzes: Beide Lehren sind richtig, aber ihre Beweisführung falsch: sie gehören also zu den richtigen Konklusionen aus falschen Prämissen. Ich habe Beide beibehalten, jedoch sie auf ganz andere Weise und sicher begründet.

Das Ding an sich habe ich nicht erschlichen noch erschlossen, nach Gesetzen die es ausschließen, indem sie schon seiner Erscheinung angehören; noch bin ich überhaupt auf Umwegen dazu gelangt: vielmehr habe ich es unmittelbar nachgewiesen, da, wo es unmittelbar liegt, im Willen, der sich Jedem als das Ansich seiner eigenen Erscheinung unmittelbar offenbaret.

Und diese unmittelbare Erkenntniß des eigenen Willens ist es auch, aus der im menschlichen Bewußtsein der Begriff von Freiheit hervorgeht; weil allerdings der Wille als Weltschaffendes, als Ding an sich, frei vom Satz des Grundes und damit von aller Nothwendigkeit, also vollkommen unabhängig, frei, ja allmächtig ist. Doch gilt dies, der Wahrheit nach, nur vom Willen an sich, nicht von seinen Erscheinungen, den Individuen, die schon, eben durch ihn selbst, als seine Erscheinungen in der Zeit, unveränderlich bestimmt sind. Im gemeinen, nicht durch Philosophie geläuterten Bewußtseyn wird aber auch sogleich der Wille mit seiner Erscheinung verwechselt und was nur ihm zukommt, dieser beigelegt: wodurch der Schein der unbedingten Freiheit des Individuums entsteht. Spinoza sagt eben deswegen mit Recht, daß auch der geworfene Stein, wenn er Bewußtseyn hätte, glauben würde freiwillig zu fliegen. Denn allerdings ist das Ansich auch des Steines der alleinige freie Wille, aber, wie in allen seinen Erscheinungen, auch hier, wo er als Stein erscheint, schon völlig bestimmt. Doch von dem Allen ist im Haupttheile dieser Schrift schon zur Genüge geredet.

Kant, indem er diese unmittelbare Entstehung des Begriffs von Freiheit in jedem menschlichen Bewußtseyn verkennt und übersieht, setzt nun, S. 533; v, 561, den Ursprung jenes Begriffs in eine sehr subtile Spekulation, durch welche nämlich das Unbedingte, auf welches die Vernunft immer ausgehn soll, die Hypostasirung des Begriffs von Freiheit veranlaßt, und auf diese transscendente Idee der Freiheit soll sich allererst auch der praktische Begriff derselben gründen. In der Kritik der praktischen Vernunft, § 6, und S. 185 der vierten, S. 235 der Rosenkranzischen Ausgabe, leitet er diesen letztem Begriff jedoch wieder anders ab, daraus, daß der kategorische Imperativ ihn voraussetze: zum Behuf dieser Voraussetzung sei sonach jene spekulative Idee nur der erste Ursprung des Begriffs von Freiheit; hier aber erhalte er eigentlich Bedeutung und Anwendung. Beides ist jedoch nicht der Fall. Denn der Wahn einer vollkommenen Freiheit des Individuums in seinen einzelnen Handlungen ist am lebendigsten in der Ueberzeugung des rohesten Menschen, der nie nachgedacht hat, ist also auf keine Spekulation gegründet, wiewohl oft dahin hinübergenommen. Frei davon sind hingegen nur Philosophen und zwar die tiefsten, ebenfalls sind es auch die denkendesten und erleuchtetesten Schriftsteller der Kirche.

Allem Gesagten zufolge ist also der eigentliche Ursprung des Begriffs der Freiheit auf keine Weise wesentlich ein Schluß, weder aus der spekulativen Idee einer unbedingten Ursache, noch daraus, daß ihn der kategorische Imperativ voraussetze; sondern er entspringt unmittelbar aus dem Bewußtseyn, darin sich Jeder selbst, ohne Weiteres, als den Willen, d.h. als dasjenige, was als Ding an sich nicht den Satz vom Grunde zur Form hat und das selbst von nichts, von dem vielmehr alles andere abhängt, erkennt, nicht aber zugleich mit philosophischer Kritik und Besonnenheit sich, als schon in die Zeit eingetretene und bestimmte Erscheinung dieses Willens, man könnte sagen Willensakt, von jenem Willen zum Leben selbst unterscheidet, und daher, statt sein ganzes Daseyn als Akt seiner Freiheit zu erkennen, diese vielmehr in seinen einzelnen Handlungen sucht. Hierüber verweise ich auf meine Preisschrift von der Freiheit des Willens.

Hätte nun Kant, wie er hier vorgiebt und auch scheinbar bei früheren Gelegenheiten that, das Ding an sich bloß erschlossen und dazu mit der großen Inkonsequenz eines von ihm selbst durchaus verpönten Schlusses; – welch ein sonderbarer Zufall wäre es dann, daß er hier, wo er zum ersten Mal näher an das Ding an sich herangeht und es beleuchtet, in ihm sogleich den Willen erkennt, den freien, in der Welt sich nur durch zeitliche Erscheinungen kund gebenden Willen! – Ich nehme daher wirklich an, obwohl es nicht zu beweisen ist, daß Kant, so oft er vom Ding an sich redete, in der dunkelsten Tiefe seines Geistes, immer schon den Willen undeutlich dachte. Einen Beleg hiezu giebt, in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, S. XXVII und XXVIII, in der Rosenkranzischen Ausgabe S. 677 der Supplemente.

Uebrigens ist es eben diese beabsichtigte Auflösung des vorgeblichen dritten Widerstreits, welche Kanten Gelegenheit giebt, die tiefsten Gedanken seiner ganzen Philosophie sehr schön auszusprechen. So im ganzen »sechsten Abschnitt der Antinomie der reinen Vernunft«; vor allem aber die Auseinandersetzung des Gegensatzes zwischen empirischem und intelligibelem Charakter, S. 534-550; v, 562-578, welche ich dem Vortrefflichsten beizähle, das je von Menschen gesagt worden (als ergänzende Erläuterung dieser Stelle ist anzusehn eine ihr parallele in der »Kritik der praktischen Vernunft«, S. 169-179 der vierten, oder S. 224-231 der Rosenkranzischen Ausgabe). Es ist jedoch um so mehr zu bedauern, daß solches hier nicht am rechten Orte steht, sofern nämlich, als es theils nicht auf dem Wege gefunden ist, den die Darstellung angiebt und daher auch anders, als geschieht, abzuleiten wäre, theils auch nicht den Zweck erfüllt, zu welchem es dasteht, nämlich die Auflösung der vorgeblichen Antinomie. Es wird von der Erscheinung auf ihren intelligibeln Grund, das Ding an sich, geschlossen, durch den schon genugsam gerügten inkonsequenten Gebrauch der Kategorie der Kausalität über alle Erscheinung hinaus. Als dieses Ding an sich wird für diesen Fall des Menschen Wille (den Kant höchst unstatthaft, mit unverzeihlicher Verletzung alles Sprachgebrauchs, Vernunft betitelt) aufgestellt, mit Berufung auf ein unbedingtes Sollen, den kategorischen Imperativ, der ohne Weiteres postulirt wird.

Statt alles diesen nun wäre das lautere, offene Verfahren gewesen, unmittelbar vom Willen auszugehn, diesen nachzuweisen als das ohne alle Vermittelung erkannte Ansich unserer eigenen Erscheinung, und dann jene Darstellung des empirischen und intelligibeln Charakters zu geben, darzuthun, wie alle Handlungen, obwohl durch Motive necessitirt, dennoch, sowohl von ihrem Urheber, als vom fremden Beurtheiler, jenem selbst und allein, nothwendig und schlechthin zugeschrieben werden, als lediglich von ihm abhängend, dem sonach Schuld und Verdienst ihnen gemäß zuerkannt werden. – Dieses allein war der gerade Weg zur Erkenntniß Dessen, was nicht Erscheinung ist, folglich auch nicht nach den Gesetzen der Erscheinung gefunden wird, sondern Das ist, was durch die Erscheinung sich offenbart, erkennbar wird, sich objektivirt, der Wille zum Leben. Derselbe hätte sodann, bloß nach Analogie, als das Ansich jeder Erscheinung dargestellt werden müssen. Dann hätte aber freilich nicht (S. 546; v, 574) gesagt werden können, bei der leblosen, ja der thierischen Natur, sei kein Vermögen anders als sinnlich bedingt zu denken; womit in Kants Sprache eigentlich gesagt ist, die Erklärung nach dem Gesetze der Kausalität erschöpfe auch das Innerste Wesen jener Erscheinungen, wodurch sodann, sehr inkonsequent, das Ding an sich bei ihnen wegfällt. – Durch die unrechte Stelle und die ihr gemäße umgehende Ableitung, welche die Darstellung des Dinges an sich bei Kant erhalten hat, ist auch der ganze Begriff desselben verfälscht worden. Denn, durch Nachforschung einer unbedingten Ursache gefunden, tritt hier der Wille, oder das Ding an sich, zur Erscheinung in das Verhältniß der Ursache zur Wirkung. Dieses Verhältniß findet aber nur innerhalb der Erscheinung Statt, setzt diese daher schon voraus und kann nicht sie selbst mit dem verbinden, was außer ihr liegt und toto genere von ihr verschieden ist.

Ferner wird der vorgesetzte Zweck, die Auflösung der dritten Antinomie, durch die Entscheidung, daß beide Theile, jeder in einem andern Sinne, Recht haben, gar nicht erreicht. Denn sowohl Thesis als Antithesis reden keineswegs vom Dinge an sich, sondern durchaus von der Erscheinung, der objektiven Welt, der Welt als Vorstellung. Diese und durchaus nichts Anderes ist es, von der die Thesis durch das aufgezeigte Sophisma darthun will, daß sie unbedingte Ursachen enthalte, und diese auch ist es, von der die Antithesis dasselbe, mit Recht, leugnet. Daher ist die ganze zur Rechtfertigung der Thesis hier gegebene Darstellung von der transscendentalen Freiheit des Willens, sofern er Ding an sich ist, so vortrefflich an sich auch solche ist, hier doch ganz eigentlich eine metabasis eis allo genos. Denn die dargestellte transscendentale Freiheit des Willens ist keineswegs die unbedingte Kausalität einer Ursache, welche die Thesis behauptet, weil eine Ursache wesentlich Erscheinung seyn muß, nicht ein jenseit aller Erscheinung liegendes toto genere Verschiedenes.

Wenn von Ursache und Wirkung geredet wird, darf das Verhältniß des Willens zu seiner Erscheinung (oder des intelligibeln Charakters zum empirischen) nie herbeigezogen werden, wie hier geschieht: denn es ist vom Kausalverhältniß durchaus verschieden. Inzwischen wird auch hier, in dieser Auflösung der Antinomie, der Wahrheit gemäß gesagt, daß der empirische Charakter des Menschen, wie der jeder andern Ursache in der Natur, unabänderlich bestimmt ist, und demgemäß aus ihm, nach Maaßgabe der äußern Einwirkungen, die Handlungen nothwendig hervorgehn; daher denn auch, ohngeachtet aller transscendentalen Freiheit (d. i. Unabhängigkeit des Willens an sich von den Gesetzen des Zusammenhangs seiner Erscheinung), kein Mensch das Vermögen hat, eine Reihe von Handlungen von selbst zu beginnen: welches Letztere hingegen von der Thesis behauptet wurde. Also hat auch die Freiheit keine Kausalität: denn frei ist nur der Wille, welcher außerhalb der Natur oder Erscheinung liegt, die eben nur seine Objektivation ist, aber nicht in einem Verhältniß der Kausalität zu ihm steht, als welches Verhältniß erst innerhalb der Erscheinung angetroffen wird, also diese schon voraussetzt, nicht sie selbst einschließen und mit Dem verbinden kann, was ausdrücklich nicht Erscheinung ist. Die Welt selbst ist allein aus dem Willen (da sie eben er selbst ist, sofern er erscheint) zu erklären und nicht durch Kausalität.

Aber in der Welt ist Kausalität das einzige Princip der Erklärung und geschieht Alles lediglich nach Gesetzen der Natur. Also liegt das Recht ganz auf der Seite der Antithese, welche bei Dem bleibt, wovon die Rede war, und das Princip der Erklärung gebraucht, das davon gilt, daher auch keiner Apologie bedarf; da hingegen die These durch eine Apologie aus der Sache gezogen werden soll, die erstlich zu etwas ganz anderm, als wonach die Frage war, überspringt und dann ein Princip der Erklärung hinüber nimmt, das daselbst nicht anzuwenden ist.

Der vierte Widerstreit ist, wie schon gesagt, seinem Innersten Sinn nach, mit dem dritten tautologisch. In der Auflösung dazu entwickelt Kant noch mehr die Unhaltbarkelt der Thesis: für ihre Wahrheit hingegen und ihr vorgebliches Zusammenbestehn mit der Antithesis bringt er keinen Grund vor, so wie er umgekehrt keinen der Antithese entgegenzustellen vermag. Nur ganz bittweise führt er die Annahme der Thesis ein, nennt sie jedoch selbst (S. 562; v, 590) eine willkürliche Voraussetzung, deren Gegenstand an sich wohl unmöglich seyn möchte, und zeigt bloß ein ganz ohnmächtiges Bestreben, demselben vor der durchgreifenden Macht der Antithese irgendwo ein sicheres Plätzchen zu verschaffen, um nur die Nichtigkeit des ganzen ihm ein Mal beliebten Vorgebens der nothwendigen Antinomie in der menschlichen Vernunft nicht aufzudecken.

Es folgt das Kapitel vom transscendentalen Ideale, welches uns mit einem Mal in die starre Scholastik des Mittelalters zurückversetzt. Man glaubt den Anselmus von Kanterbury selbst zu hören. Das ens realissimum, der Inbegriff aller Realitäten, der Inhalt aller bejahenden Sätze, tritt auf und zwar mit dem Anspruch ein nothwendiger Gedanke der Vernunft zu seyn! – Ich meinerseits muß gestehn, daß meiner Vernunft ein solcher Gedanke unmöglich ist, und daß ich bei den Worten, die ihn bezeichnen, nichts Bestimmtes zu denken vermag.

Ich zweifle übrigens nicht, daß Kant zu diesem seltsamen und seiner unwürdigen Kapitel bloß durch seine Liebhaberei zur architektonischen Symmetrie genöthigt wurde. Die drei Hauptobjekte der Scholastischen Philosophie (welche man, wie gesagt, im weitern Sinn verstanden, bis auf Kant gehn lassen kann), die Seele, die Welt und Gott sollten aus den drei möglichen Obersätzen von Schlüssen abgeleitet werden; obwohl es offenbar ist, daß sie einzig und allein durch unbedingte Anwendung des Satzes vom Grunde entstanden sind und entstehn können. Nachdem nun die Seele in das kategorische Urtheil gezwängt worden, das hypothetische für die Welt verwendet war, blieb für die dritte Idee nichts übrig, als der disjunktive Obersatz. Glücklicherweise fand sich in diesem Sinn eine Vorarbeit, nämlich das ens realissimum der Scholastiker, nebst dem ontologischen Beweise des Daseyns Gottes, rudimentarisch von Anselm von Kanterbury aufgestellt und dann von Cartesius vervollkommnet. Dieses wurde von Kant mit Freuden benutzt, auch wohl mit einiger Reminiscenz einer frühem lateinischen Jugendarbeit. Indessen ist das Opfer, welches Kant seiner Liebe zur architektonischen Symmetrie durch dieses Kapitel bringt, überaus groß. Aller Wahrheit zum Trotz wird die, man muß sagen grotteske Vorstellung eines Inbegriffs aller möglichen Realitäten zu einem der Vernunft wesentlichen und nothwendigen Gedanken gemacht. Zur Ableitung desselben ergreift Kant das falsche Vorgeben, daß unsere Erkenntniß einzelner Dinge durch eine immer weiter gehende Einschränkung allgemeiner Begriffe, folglich auch eines allerallgemeinsten, der alle Realität in sich enthielte, entstehe. Hierin steht er eben so sehr mit seiner eigenen Lehre, wie mit der Wahrheit in Widerspruch; da gerade umgekehrt unsere Erkenntniß, vom Einzelnen ausgehend, zum Allgemeinen erweitert wird, und alle allgemeinen Begriffe durch Abstraktion von realen, einzelnen, anschaulich erkannten Dingen entstehn, welche bis zum allerallgemeinsten Begriff fortgesetzt werden kann, der dann Alles unter sich, aber fast nichts in sich begreift. Kant hat also hier das Verfahren unsers Erkenntnißvermögens gerade auf den Kopf gestellt und könnte deshalb wohl gar beschuldigt werden, Anlaß gegeben zu haben zu einer in unsern Tagen berühmt gewordenen philosophischen Charlatanerie, welche, statt die Begriffe für aus den Dingen abstrahirte Gedanken zu erkennen, umgekehrt die Begriffe zum Ersten macht und in den Dingen nur konkrete Begriffe sieht, auf diese Weise die verkehrte Welt, als eine philosophische Hanswurstiade, die natürlich großen Beifall finden mußte, zu Markte bringend. –

Wenn wir auch annehmen, jede Vernunft müsse, oder wenigstens könne, auch ohne Offenbarung zum Begriff von Gott gelangen; so geschieht dies doch offenbar allein am Leitfaden der Kausalität: was so einleuchtend ist, daß es keines Beweises bedarf. Daher sagt auch Chr. Wolf (Cosmologia generalis, praef. p. 1): Sane in theologia naturali existentiam Numinis e principiis cosmologicis demonstramus. Contingentia universi et ordinis naturae, una cum impossibilitate casus, sunt scala, per quam a mundo hoc adspectabili ad Deum ascenditur. Und vor ihm sagte schon Leibnitz, in Beziehung auf das Kausalgesetz: Sans ce grand principe nous ne pourrions jamais prouver l'existence de Dieu (Théod., § 44). Und eben so in seiner Kontroverse mit Clarke, § 126: J'ose dire que sans ce grand principe on ne saurait venir à la preuve de l'existence de Dieu. Hingegen ist der in diesem Kapitel ausgeführte Gedanke soweit davon entfernt, ein der Vernunft wesentlicher und nothwendiger zu seyn, daß er vielmehr zu betrachten ist als ein rechtes Musterstück von den monströsen Erzeugnissen eines durch wunderliche Umstände auf die seltsamsten Abwege und Verkehrtheiten gerathenen Zeitalters, wie das der Scholastik war, das ohne Aehnliches in der Weltgeschichte dasteht, noch je wiederkehren kann. Diese Scholastik hat allerdings, als sie zu ihrer Vollendung gediehen war, den Hauptbeweis für das Daseyn Gottes aus dem Begriffe des ens realissimum geführt und die andern Beweise nur daneben gebraucht, accessorisch: dies ist aber bloße Lehrmethode und beweist nichts über den Ursprung der Theologie im menschlichen Geist. Kant hat hier das Verfahren der Scholastik für das der Vernunft genommen, welches ihm überhaupt öfter begegnet ist. Wenn es wahr wäre, daß, nach wesentlichen Gesetzen der Vernunft, die Idee von Gott aus dem disjunktiven Schlüsse hervorgienge, unter Gestalt einer Idee vom allerrealsten Wesen; so würde doch auch bei den Philosophen des Alterthums diese Idee sich eingefunden haben; aber vom ens realissimum ist nirgends eine Spur, bei keinem der alten Philosophen, obgleich einige derselben allerdings einen Weltschöpfer, aber nur als Formgeber der ohne ihn vorhandenen Materie, dêmiourgos, lehren, den sie jedoch einzig und allein nach dem Gesetz der Kausalität erschließen. Zwar führt Sextus Empirikus (adv. Math., IX, § 88) eine Argumentation des Kleanthes an, welche Einige für den ontologischen Beweis halten. Dies ist sie jedoch nicht, sondern ein bloßer Schluß aus der Analogie: weil nämlich die Erfahrung lehrt, daß auf Erden ein Wesen immer vorzüglicher, als das andere ist, und zwar der Mensch, als das vorzüglichste, die Reihe schließt, er jedoch noch viele Fehler hat; so muß es noch vorzüglichere und zuletzt ein allervorzüglichstes (kratiston, ariston) geben, und dieses wäre der Gott.

Ueber die nunmehr folgende ausführliche Widerlegung der spekulativen Theologie habe ich nur in der Kürze zu bemerken, daß sie, wie überhaupt die ganze Kritik der drei sogenannten Ideen der Vernunft, also die ganze Dialektik der reinen Vernunft, zwar gewissermaaßen das Ziel und der Zweck des ganzen Werkes ist, dennoch aber dieser polemische Theil nicht eigentlich, wie der vorhergehende doktrinale, d. i, die Aesthetik und Analytik, ein ganz allgemeines, bleibendes und rein philosophisches Interesse hat; sondern mehr ein temporelles und lokales, indem derselbe in besonderer Beziehung steht zu den Hauptmomenten der bis auf Kant in Europa herrschenden Philosophie, deren völliger Umsturz durch diese Polemik jedoch Kanten zum unsterblichen Verdienst gereicht. Er hat aus der Philosophie den Theismus eliminirt, da in ihr, als einer Wissenschaft, und nicht Glaubenslehre, nur Das eine Stelle finden kann, was entweder empirisch gegeben, oder durch haltbare Beweise festgestellt ist. Natürlich ist hier bloß die wirkliche, ernstlich verstandene, auf Wahrheit und nichts Anderes gerichtete Philosophie gemeint, und keineswegs die Spaaßphilosophie der Universitäten, als in welcher, nach wie vor, die spekulative Theologie die Hauptrolle spielt; wie denn auch daselbst die Seele, als eine bekannte Person, nach wie vor, ohne Umstände auftritt. Denn sie ist die mit Gehalten und Honoraren, ja gar noch mit Hofrathstiteln ausgestattete Philosophie, welche, von ihrer Höhe stolz herabsehend, Leutchen, wie ich bin, vierzig Jahre hindurch, gar nicht gewahr wird, und den alten Kant, mit seinen Kritiken, auch herzlich gern los wäre, um den Leibnitz aus voller Brust hoch leben zu lassen. – Ferner ist hier zu bemerken, daß, wie Kant zu seiner Lehre von der Apriorität des Kausalitätsbegriffes eingeständlich veranlaßt worden ist durch Hume's Skepsis in Hinsicht auf jenen Begriff, vielleicht eben so Kants Kritik aller spekulativen Theologie ihren Anlaß hat in Hume's Kritik aller populären Theologie, welche dieser dargelegt hatte in seiner so lesens-werthen »Natural history of religion«, und den »Dialogues on natural religion«, ja, daß Kant diese gewissermaaßen ergänzen gewollt. Denn die zuerst genannte Schrift Hume's ist eigentlich eine Kritik der populären Theologie, deren Erbärmlichkeit sie zeigen und dagegen auf die rationale oder spekulative Theologie, als die ächte, achtungsvoll hinweisen will. Kant aber deckt nun das Grundlose dieser letztem auf, läßt hingegen die populäre unangetastet und stellt sie sogar in veredelter Gestalt auf, als einen auf moralisches Gefühl gestützten Glauben, Diesen verdrehten späterhin die Philosophaster zu Vernunftvernehmungen, Gottesbewußtseynen, oder intellektuellen Anschauungen des Uebersinnlichen, der Gottheit u. dgl. m.; während vielmehr Kant, als er alte, ehrwürdige Irrthümer einriß und die Gefährlichkeit der Sache kannte, nur hatte, durch die Moraltheologie, einstweilen ein Paar schwache Stützen unterschieben wollen, damit der Einsturz nicht ihn träfe, sondern er Zeit gewönne, sich wegzubegeben.

Was nun die Ausführung betrifft, so war zur Widerlegung des ontologischen Beweises des Daseyns Gottes gar noch keine Vernunftkritik von Nöthen, indem auch ohne Voraussetzung der Aesthetik und Analytik es sehr leicht ist deutlich zu machen, daß jener ontologische Beweis nichts ist, als ein spitzfündiges Spiel mit Begriffen, ohne alle Ueberzeugungskraft. Schon im Organon des Aristoteles steht ein Kapitel, welches zur Widerlegung des ontotheologischen Beweises so vollkommen hinreicht, als ob es absichtlich dazu geschrieben wäre: sie ist das siebente Kapitel des zweiten Buches der Analyt. post.: unter Anderm heißt es dort ausdrücklich: to de einai ouk ousia oudeni: d.h. existentia nunquam ad essentiam rei pertinet.

Die Widerlegung des kosmologischen Beweises ist eine Anwendung der bis dahin vorgetragenen Lehre der Kritik auf einen gegebenen Fall, und nichts dagegen zu erinnern. – Der physikotheologische Beweis ist eine bloße Amplifikation des kosmologischen, den er voraussetzt, und findet auch seine ausführliche Widerlegung erst in der Kritik der Urtheilskraft. Meinen Leser verweise ich in dieser Hinsicht auf die Rubrik »Vergleichende Anatomie« in meiner Schrift über den Willen in der Natur.

Kant hat es, wie gesagt, bei der Kritik dieser Beweise bloß mit der spekulativen Theologie zu thun und beschränkt sich auf die Schule. Hätte er hingegen auch das Leben und die populäre Theologie im Auge gehabt, so hätte er zu den drei Beweisen noch einen vierten fügen müssen, der bei dem großen Haufen der eigentlich wirksame ist und in Kants Kunstsprache wohl am passendsten der keraunologische zu benennen wäre: es ist der, welcher sich gründet auf das Gefühl der Hülfsbedürftigkeit, Ohnmacht und Abhängigkeit des Menschen, unendlich überlegenen, unergründlichen und meistens unheildrohenden Naturmächten gegenüber; wozu sich sein natürlicher Hang Alles zu personificiren gesellt und endlich noch die Hoffnung kommt, durch Bitten und Schmeicheln, auch wohl durch Geschenke, etwas auszurichten. Bei jeder menschlichen Unternehmung ist nämlich etwas, das nicht in unserer Macht steht und nicht in unsere Berechnung fällt: der Wunsch, dieses für sich zu gewinnen, ist der Ursprung der Götter. Primus in orbe Deos fecit timor ist ein altes Wahrwort des Petronius. Diesen Beweis hauptsächlich kritisirt Hume, der durchaus als Kants Vorläufer erscheint, in den oben erwähnten Schriften. – Wen nun aber Kant durch seine Kritik der spekulativen Theologie in dauernde Verlegenheit gesetzt hat, das sind die Philosophieprofessoren: von Christlichen Regierungen besoldet dürfen sie den Hauptglaubensartikel nicht im Stich lassen109. Wie helfen sich nun die Herren? – Sie behaupten eben, das Daseyn Gottes verstände sich von selbst. – So! nachdem die alte Welt, auf Kosten ihres Gewissens, Wunder gethan hat, es zu beweisen, und die neue Welt, auf Kosten ihres Verstandes, ontologische, kosmologische und physikotheologische Beweise ins Feld gestellt hat, – versteht es sich bei den Herren von selbst. Und aus diesem sich von selbst verstehenden Gott erklären sie sodann die Welt: das ist ihre Philosophie.

Bis auf Kant stand ein wirkliches Dilemma fest zwischen Materialismus und Theismus, d.h. zwischen der Annahme, daß ein blinder Zufall, oder daß eine von außen ordnende Intelligenz nach Zwecken und Begriffen, die Welt zu Stande gebracht hätte, neque dabatur tertium. Daher war Atheismus und Materialismus das Selbe: daher der Zweifel, ob es wohl einen Atheisten geben könne, d.h. einen Menschen, der wirklich die so überschwänglich zweckmäßige Anordnung der Natur, zumal der organischen, dem blinden Zufall zutrauen könne: man sehe z.B. Bacon's essays (sermones fideles), essay 16, on Atheism. In der Meinung des großen Haufens und der Engländer, welche in solchen Dingen gänzlich zum großen Haufen (mob) gehören, steht es noch so, sogar bei ihren berühmtesten Gelehrten: man sehe nur des R. Owen Ostéologie comparée, von 1855, préface p. 11, 12, wo er noch immer vor dem alten Dilemma steht zwischen Demokrit und Epikur einerseits und einer intelligence andererseits, in welcher la connaissance d'un être tel que l'homme a existé avant que l'homme fit son apparition. Von einer Intelligenz muß alle Zweckmäßigkeit ausgegangen seyn: daran zu zweifeln ist ihm noch nicht im Traume eingefallen. Hat er doch in der am 5. Sept. 1853 in der Académie des sciences gehaltenen Vorlesung dieser hier etwas modificirten préface, mit kindlicher Naivetät gesagt: La téléologie, ou in théologie scientiftque (Comptes rendus, Sept. 1853), das ist ihm unmittelbar Eins! Ist etwas in der Natur zweckmäßig; nun so ist es ein Werk der Absicht, der Ueberlegung, der Intelligenz. Nun freilich, was geht so einen Engländer und die Académie des sciences die Kritik der Urtheilskraft an, oder gar mein Buch über den Willen in der Natur? So tief sehn die Herren nicht herab. Diese illustres confrères verachten ja die Metaphysik und die philosophie allemande; – sie halten sich an die Rockenphilosophie. Die Gültigkeit jenes disjunktiven Obersatzes, jenes Dilemmas zwischen Materialismus und Theismus, beruht aber auf der Annahme, daß die vorliegende Welt die der Dinge an sich sei, daß es folglich keine andere Ordnung der Dinge gebe, als die empirische. Nachdem aber, durch Kant, die Welt und ihre Ordnung zur bloßen Erscheinung geworden war, deren Gesetze hauptsächlich auf den Formen unsers Intellekts beruhen, brauchte das Daseyn und Wesen der Dinge und der Welt nicht mehr nach Analogie der von uns wahrgenommenen, oder bewirkten Veränderungen in der Welt erklärt zu werden, noch Das, was wir als Mittel und Zweck auffassen, auch in Folge einer solchen Erkenntniß entstanden zu seyn. Indem also Kant, durch seine wichtige Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich, dem Theismus sein Fundament entzog, eröffnete er andererseits den Weg zu ganz anderartigen und tiefsinnigeren Erklärungen des Daseyns.

Im Kapitel von den Endabsichten der natürlichen Dialektik der Vernunft wird vorgegeben, die drei transscendenten Ideen seien als regulative Principien für die Fortschreitung der Kenntniß der Natur von Werth. Aber schwerlich kann es Kanten mit dieser Behauptung Ernst gewesen seyn. Wenigstens wird ihr Gegentheil, daß nämlich jene Voraussetzungen für alle Naturforschung hemmend und ertödtend sind, jedem Naturkundigen außer Zweifel seyn. Um dies an einem Beispiel zu erproben, überlege man, ob die Annahme einer Seele, als immaterieller, einfacher, denkender Substanz, den Wahrheiten, welche Cabanis so schön dargelegt hat, oder den Entdeckungen Flourens', Marshall Halls, und Ch. Bells hätte förderlich, oder im höchsten Grade hinderlich seyn müssen. Ja, Kant selbst sagt (Prolegomena, § 44), »daß die Vernunftideen den Maximen der Vernunfterkenntniß der Natur entgegen und hinderlich sind.« –

Es ist gewiß keines der geringsten Verdienste Friedrichs des Großen, daß unter seiner Regierung Kant sich entwickeln konnte und die »Kritik der reinen Vernunft« veröffentlichen durfte. Schwerlich würde unter irgend einer andern Regierung ein besoldeter Professor so etwas gewagt haben. Schon dem Nachfolger des großen Königs mußte Kant versprechen, nicht mehr zu schreiben.

Der Kritik des ethischen Theils der Kantischen Philosophie könnte ich mich hier entübrigt erachten, sofern ich eine solche ausführlicher und gründlicher, 22 Jahre später, als die gegenwärtige, geliefert habe, in den »beiden Grundproblemen der Ethik«. Indessen kann das aus der ersten Auflage hier Beibehaltene, welches schon der Vollständigkeit wegen nicht wegfallen durfte, als zweckmäßige Prolusion zu jener spätem und viel gründlichem Kritik dienen, auf welche ich demnach, in der Hauptsache, den Leser verweise.

Gemäß der Liebe zur architektonischen Symmetrie mußte die theoretische Vernunft auch einen Pendant haben. Der intellectus practicus der Scholastik, welcher wieder abstammt vom nous praktikos des Aristoteles (De anima, III, 10, und Polit., VII, c. 14: ho men gar praktikos esti logos, ho de theôrêtikos), giebt das Wort an die Hand. Jedoch wird hier etwas ganz Anderes damit bezeichnet, nicht wie dort die auf Technik gerichtete Vernunft; sondern hier tritt die praktische Vernunft auf als Quell und Ursprung der unleugbaren ethischen Bedeutsamkeit des menschlichen Handelns, so wie auch aller Tugend, alles Edelmuths und jedes erreichbaren Grades von Heiligkeit. Dieses Alles demnach käme aus bloßer Vernunft und erforderte nichts, als diese. Vernünftig handeln und tugendhaft, edel, heilig handeln wäre Eines und das Selbe: und eigennützig, boshaft, lasterhaft handeln wäre bloß unvernünftig handeln. Inzwischen haben alle Zeiten, alle Völker, alle Sprachen Beides immer sehr unterschieden und gänzlich für zweierlei gehalten, wie auch noch bis auf den heutigen Tag alle Die thun, welche von der Sprache der neuem Schule nichts wissen, d.h. die ganze Welt mit Ausnahme eines kleinen Häufchens Deutscher Gelehrten: jene alle verstehn unter einem tugendhaften Wandel und einem vernünftigen Lebenslauf durchaus zwei ganz verschiedene Dinge. Daß der erhabene Urheber der Christlichen Religion, dessen Lebenslauf uns als das Vorbild aller Tugend aufgestellt wird, der allervernünftigste Mensch gewesen wäre, würde man eine sehr unwürdige, wohl gar eine blasphemirende Redensart nennen, und fast eben so auch, wenn gesagt würde, daß seine Vorschriften nur die beste Anweisung zu einem ganz vernünftigen Leben enthielten. Ferner, daß, wer diesen Vorschriften gemäß, statt an sich und seine eigenen zukünftigen Bedürfnisse zum voraus zu denken, allemal nur dem großem gegenwärtigen Mangel Anderer abhilft, ohne weitere Rücksicht; ja, seine ganze Habe den Armen schenkt, um dann, aller Hülfsmittel entblößt, hinzugehn, die Tugend, welche er selbst geübt, auch Andern zu predigen; dies verehrt Jeder mit Recht: wer aber wagt es als den Gipfel der Vernünftigkeit zu preisen? Und endlich, wer lobt es als eine überaus vernünftige That, daß Arnold von Winkelried, mit überschwänglichem Edelmuth, die feindlichen Speere zusammenfaßte, gegen seinen eigenen Leib, um seinen Landsleuten Sieg und Rettung zu verschaffen? – Hingegen, wenn wir einen Menschen sehn, der von Jugend an, mit seltener Ueberlegung darauf bedacht ist, sich die Mittel zu einem sorgenfreien Auskommen, zur Unterhaltung von Weib und Kindern, zu einem guten Namen bei den Leuten, zu äußerer Ehre und Auszeichnung zu verschaffen, und dabei sich nicht durch den Reiz gegenwärtiger Genüsse, oder den Kitzel dem Uebermuth der Mächtigen zu trotzen, oder den Wunsch erlittene Beleidigungen oder unverdiente Demüthigung zu rächen, oder die Anziehungskraft unnützer ästhetischer oder philosophischer Geistesbeschäftigung und Reisen nach sehenswerthen Ländern, – der sich durch alles Dieses und dem Aehnliches nicht irre machen, noch verleiten läßt, jemals sein Ziel aus den Augen zu verlieren; sondern mit größter Konsequenz einzig darauf hinarbeitet: wer wagt es zu leugnen, daß ein solcher Philister ganz außerordentlich vernünftig sei? sogar auch dann noch, wenn er sich einige nicht lobenswerthe, aber gefahrlose Mittel erlaubt hätte. Ja, noch mehr: wenn ein Bösewicht mit überlegter Verschmitztheit, nach einem wohldurchdachten Plan, sich zu Reichthümern, zu Ehren, ja zu Thronen und Kronen verhilft, dann mit der feinsten Arglist benachbarte Staaten umstrickt, sie einzeln überwältigt und nun zum Welteroberer wird, dabei sich nicht irre machen läßt durch irgend eine Rücksicht auf Recht, oder Menschlichkeit, sondern mit scharfer Konsequenz Alles zertritt und zermalmt, was seinem Plane entgegensteht, ohne Mitleid Millionen in Unglück jeder Art, Millionen in Blut und Tod stürzt, jedoch seine Anhänger und Helfer königlich belohnt und jederzeit schützt, nichts jemals vergessend, und dann so sein Ziel erreicht: wer sieht nicht ein, daß ein solcher überaus vernünftig zu Werk gehn mußte, daß, wie zum Entwurf der Pläne ein gewaltiger Verstand, so zu ihrer Ausführung vollkommene Herrschaft der Vernunft, ja recht eigentlich praktische Vernunft erfordert war? – Oder sind etwan auch die Vorschriften, welche der kluge und konsequente, überlegte und weitsehende Machiavelli dem Fürsten giebt, unvernünftig ?110

Wie Bosheit mit Vernunft sehr gut zusammen besteht, ja erst in dieser Vereinigung recht furchtbar ist; so findet sich umgekehrt auch bisweilen Edelmuth verbunden mit Unvernunft. Dahin kann man die That des Koriolanus rechnen, der, nachdem er Jahrelang alle seine Kraft aufgewendet hatte, um sich Rache an den Römern zu verschaffen, jetzt, nachdem die Zeit endlich gekommen ist, sich durch das Flehn des Senats und das Weinen seiner Mutter und Gattin erweichen läßt, die so lange und so mühsam vorbereitete Rache aufgiebt, ja sogar, indem er dadurch den gerechten Zorn der Volsker auf sich ladet, für jene Römer stirbt, deren Undankbarkeit er kennt und mit so großer Anstrengung strafen gewollt hat. – Endlich, der Vollständigkeit wegen sei es erwähnt, kann Vernunft sehr wohl mit Unverstand sich vereinigen. Dies ist der Fall, wann eine dumme Maxime gewählt, aber mit Konsequenz durchgeführt wird. Ein Beispiel der Art gab die Prinzessin Isabella, Tochter Philipp's II., welche gelobte, so lange Ostende nicht erobert worden, kein reines Hemd anzuziehn, und Wort hielt, drei Jahre hindurch. Ueberhaupt gehören alle Gelübde hieher, deren Ursprung allemal Mangel an Einsicht gemäß dem Gesetz der Kausalität, d.h. Unverstand ist; nichts desto weniger ist es vernünftig, sie zu erfüllen, wenn man ein Mal von so beschränktem Verstande ist, sie zu geloben.

Dem Angeführten entsprechend sehn wir auch die noch dicht vor Kant auftretenden Schriftsteller das Gewissen, als den Sitz der moralischen Regungen, mit der Vernunft in Gegensatz stellen: so Rousseau im vierten Buche des Émile: La raison nous trompe, mais la conscience ne trompe jamais; und etwas weiterhin: il est impossible d'expliquer par les conséquences de notre nature le principe immédiat de la conscience indépendant de la raison même. Noch weiter: Mes sentimens naturels parlaient pour l'intérêt commun, ma raison rapportait tout à moi. – – – On a beau vouloir établir la vertu par la raison seule, quelle solide base peut-on lui donner? – In den Rêveries du promeneur, prom. 4ème, sagt er: Dans toutes les questions de morale difficiles je me suis toujours bien trouvé de les résoudre par le dictamen de la conscience, plutôt que par les lumières de la raison. – Ja, schon Aristoteles sagt ausdrücklich (Eth. magna, I, 5), daß die Tugenden ihren Sitz im alogô moriô tês psychês (in parte irrationali animi) haben und nicht im logos echonti (in parte rationali). Diesem gemäß sagt Stobäos (Ecl., II, c. 7), von den Peripatetikern redend: Tên êthikên aretên hypolambanousi peri to alogon meros gignesthai tês psychês, epeidê dimerê pros tên parousan theôrian hypethento tên psychên, to men logikon echousan, to d' alogon. Kai peri men to logikon tên kalokagathian gignesthai, kai tên phronêsin, kai tên anchinoian, kai sophian, kai eumatheian, kai mnêmên, kai tas homoious; peri de to alogon, sôphrosynên, kai dikaiosynên, kai andreian, kai tas allas tas êthikas kaloumenas aretas. (Ethicam virtutem circa partem animae ratione carentem versari putant, cum duplicem, ad hanc disquisitionem, animam ponant, ratione praeditam, et ea carentem. In parte vero ratione praedita collocant ingenuitatem, prudentiam, perspicacitatem, sapientiam, docilitatem, memoriam et reliqua; in parte vero ratione destituta temperantiam, justitiam, fortitudinem, et reliquas virtutes, quas ethicas vocant.) Und Cicero setzt (De nat. Deor., III, c. 26-31) weitläuftig auseinander, daß Vernunft das nothwendige Mittel und Werkzeug zu allen Verbrechen ist.

Für das Vermögen der Begriffe habe ich die Vernunft erklärt. Diese ganz eigene Klasse allgemeiner, nicht anschaulicher, nur durch Worte symbolisirter und fixirter Vorstellungen ist es, die den Menschen vom Thiere unterscheidet und ihm die Herrschaft auf Erden giebt. Wenn das Thier der Sklave der Gegenwart ist, keine andere, als unmittelbar sinnliche Motive kennt und daher, wenn sie sich ihm darbieten, so nothwendig von ihnen gezogen oder abgestoßen wird, wie das Eisen vom Magnet; so ist dagegen im Menschen durch die Gabe der Vernunft die Besonnenheit aufgegangen. Diese läßt ihn, rückwärts und vorwärts blickend, sein Leben und den Lauf der Welt leicht, im Ganzen übersehn, macht ihn unabhängig von der Gegenwart, läßt ihn überlegt, planmäßig und mit Bedacht zu Werke gehn, zum Bösen wie zum Guten. Aber was er thut, thut er mit vollkommnem Selbstbewußtseyn: er weiß genau, wie sein Wille sich entscheidet, was er jedesmal erwählt und welche andere Wahl, der Sache nach, möglich war, und aus diesem selbstbewußten Wollen lernt er sich selbst kennen und spiegelt sich an seinen Thaten. In allen diesen Beziehungen auf das Handeln des Menschen ist die Vernunft praktisch zu nennen: theoretisch ist sie nur, sofern die Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigt, auf das Handeln des Denkenden keine Beziehung, sondern lediglich ein theoretisches Interesse haben, dessen sehr wenige Menschen fähig sind. Was in diesem Sinne praktische Vernunft heißt, wird so ziemlich durch das Lateinische Wort prudentia (Umsicht, Lebensklugheit), welches nach Cicero (De nat. Deor., II, 22), das zusammengezogene providentia ist, bezeichnet; da hingegen ratio, wenn von einer Geisteskraft gebraucht, meistens die eigentliche theoretische Vernunft bedeutet, wiewohl die Alten den Unterschied nicht strenge beobachten. – In fast allen Menschen hat die Vernunft eine beinahe ausschließlich praktische Richtung: wird nun aber auch diese verlassen, verliert das Denken die Herrschaft über das Handeln, wo es dann heißt: Scio meliora, proboque, deteriora sequor, oder »Le matin je fais des projets, et le soir je fais des sottises«, läßt also der Mensch sein Handeln nicht durch sein Denken geleitet werden, sondern durch den Eindruck der Gegenwart, fast nach Weise des Thieres, so nennt man ihn unvernünftig (ohne dadurch ihm moralische Schlechtigkeit vorzuwerfen), obwohl es Ihm eigentlich nicht an Vernunft, sondern an Anwendung derselben auf sein Handeln fehlt, und man gewissermaaßen sagen könnte, seine Vernunft sei lediglich theoretisch, aber nicht praktisch. Er kann dabei ein recht guter Mensch seyn, wie Mancher, der keinen Unglücklichen sehn kann, ohne ihm zu helfen, selbst mit Aufopferung, hingegen seine Schulden unbezahlt läßt. Der Ausübung großer Verbrechen ist ein solcher unvernünftiger Charakter gar nicht fähig, weil die dabei immer nöthige Planmäßigkeit, Verstellung und Selbstbeherrschung ihm unmöglich ist. Zu einem sehr hohen Grade von Tugend wird er es jedoch auch schwerlich bringen: denn, wenn er auch von Natur noch so sehr zum Guten geneigt ist; so können doch die einzelnen lasterhaften und boshaften Aufwallungen, denen jeder Mensch unterworfen ist, nicht ausbleiben und müssen, wo nicht Vernunft sich praktisch erzeigend, ihnen unveränderliche Maximen und feste Vorsätze entgegenhält, zu Thaten werden.

Als praktisch zeigt sich endlich die Vernunft ganz eigentlich in den recht vernünftigen Charakteren, die man deswegen im gemeinen Leben praktische Philosophen nennt, und die sich auszeichnen durch einen ungemeinen Gleichmuth bei unangenehmen, wie bei erfreulichen Vorfällen, gleichmäßige Stimmung und festes Beharren bei gefaßten Entschlüssen. In der That ist es das Vorwalten der Vernunft in ihnen, d.h. das mehr abstrakte, als intuitive Erkennen und daher das Ueberschauen des Lebens, mittelst der Begriffe, im Allgemeinen, Ganzen und Großen, welches sie ein für alle Mal bekannt gemacht hat mit der Täuschung des momentanen Eindrucks, mit dem Unbestand aller Dinge, der Kürze des Lebens, der Leerheit der Genüsse, dem Wechsel des Glücks und den großen und kleinen Tücken des Zufalls. Nichts kommt ihnen daher unerwartet, und was sie in abstracto wissen, überrascht sie nicht und bringt sie nicht aus der Fassung, wann es nun in der Wirklichkeit und im Einzelnen ihnen entgegentritt, wie dieses der Fall ist bei den nicht so vernünftigen Charakteren, auf welche die Gegenwart, das Anschauliche, das Wirkliche solche Gewalt ausübt, daß die kalten, farblosen Begriffe ganz in den Hintergrund des Bewußtseins treten und sie, Vorsätze und Maximen vergessend, den Affekten und Leidenschaften jeder Art preisgegeben sind. Ich habe bereits am Ende des ersten Buches auseinandergesetzt, daß, meiner Ansicht nach, die Stoische Ethik ursprünglich nichts, als eine Anweisung zu einem eigentlich vernünftigen Leben, in diesem Sinne, war. Ein solches preiset auch Horatius wiederholentlich an sehr vielen Stellen. Dahin gehört auch sein Nil admirari, und dahin ebenfalls das Delphische Mêden agan. Nil admirari mit »Nichts bewundern« zu übersetzen ist ganz falsch. Dieser Horazische Ausspruch geht nicht sowohl auf das Theoretische, als auf das Praktische, und will eigentlich sagen: »Schätze keinen Gegenstand unbedingt, vergaffe dich in nichts, glaube nicht, daß der Besitz irgend einer Sache Glücksäligkeit verleihen könne: jede unsägliche Begierde auf einen Gegenstand ist nur eine neckende Chimäre, die man eben so gut, aber viel leichter, durch verdeutlichte Erkenntniß, als durch errungenen Besitz, los werden kann.« In diesem Sinne gebraucht das admirari auch Cicero, De divinatione, II, 2. Was Horaz meint, ist also die athambia und akataplêxis, auch athaumasia, welche schon Demokritos als das höchste Gut pries (siehe Clem. Alex. Strom., II, 21, und vgl. Strabo, 1, S. 98 und 105). – Von Tugend und Laster ist bei solcher Vernünftigkeit des Wandels eigentlich nicht die Rede, aber dieser praktische Gebrauch der Vernunft macht das eigentliche Vorrecht, welches der Mensch vor dem Thiere hat, geltend, und allein in dieser Rücksicht hat es einen Sinn und ist zulässig von einer Würde des Menschen zu reden.

In allen dargestellten und in allen erdenklichen Fällen läuft der Unterschied zwischen vernünftigem und unvernünftigem Handeln darauf zurück, ob die Motive abstrakte Begriffe, oder anschauliche Vorstellungen sind. Daher eben stimmt die Erklärung, welche ich von der Vernunft gegeben, genau mit dem Sprachgebrauch aller Zeiten und Völker zusammen, welchen selbst man doch wohl nicht für etwas Zufälliges oder Beliebiges halten wird, sondern einsehn, daß er eben hervorgegangen ist aus dem jedem Menschen bewußten Unterschiede der verschiedenen Geistesvermögen, welchem Bewußtseyn gemäß er redet, aber freilich es nicht zur Deutlichkeit abstrakter Definition erhebt. Unsere Vorfahren haben nicht die Worte, ohne ihnen einen bestimmten Sinn beizulegen, gemacht, etwan damit sie bereit lägen für Philosophen, die nach Jahrhunderten kommen und bestimmen möchten, was dabei zu denken seyn sollte; sondern sie bezeichneten damit ganz bestimmte Begriffe. Die Worte sind also nicht mehr herrenlos, und ihnen einen ganz andern Sinn unterlegen, als den sie bisher gehabt, heißt sie mißbrauchen, heißt eine Licenz einführen, nach der Jeder jedes Wort in beliebigem Sinn gebrauchen könnte, wodurch gränzenlose Verwirrung entstehn müßte. Schon Locke hat ausführlich dargethan, daß die meisten Uneinigkeiten in der Philosophie vom falschen Gebrauch der Worte kommen. Man werfe, der Erläuterung halber, nur einen Blick auf den schändlichen Mißbrauch, den heut zu Tage gedankenarme Philosophaster mit den Worten Substanz, Bewußtsein, Wahrheit u.a.m. treiben. Auch die Aeußerungen und Erklärungen aller Philosophen, aus allen Zeiten, mit Ausnahme der neuesten, über die Vernunft, stimmen nicht weniger, als die unter allen Völkern herrschenden Begriffe von jenem Vorrecht des Menschen, mit meiner Erklärung davon überein. Man sehe was Plato, im vierten Buche der Republik und an unzähligen zerstreuten Stellen, das logikon oder logistikon tês psychês nennt, was Cicero sagt, De nat. Deor., III, 26-31, was Leibnitz, Locke in den im ersten Buch bereits angeführten Stellen hierüber sagen. Es würde hier der Anführungen gar kein Ende seyn, wenn man zeigen wollte, wie alle Philosophen vor Kant von der Vernunft im Ganzen in meinem Sinn geredet haben, wenn sie gleich nicht mit vollkommener Bestimmtheit und Deutlichkeit das Wesen derselben, durch dessen Zurückführung auf einen Punkt, zu erklären wußten. Was man kurz vor Kants Auftreten unter Vernunft verstand, zeigen im Ganzen zwei Abhandlungen von Sulzer, im ersten Bande seiner vermischten philosophischen Schriften: die eine, »Zergliederung des Begriffes der Vernunft«, die andere, »Ueber den gegenseitigen Einfluß von Vernunft und Sprache«. Wenn man dagegen liest, wie in der neuesten Zeit, durch den Einfluß des Kantischen Fehlers, der sich nachher lawinenartig vergrößert hat, von der Vernunft geredet wird; so ist man genöthigt anzunehmen, daß sämmtliche Weisen des Alterthums, wie auch alle Philosophen vor Kant, ganz und gar keine Vernunft gehabt haben: denn die jetzt entdeckten unmittelbaren Wahrnehmungen, Anschauungen, Vernehmungen, Ahndungen der Vernunft sind ihnen so fremd geblieben, wie uns der sechste Sinn der Fledermäuse ist. Was übrigens mich betrifft, so muß ich bekennen, daß ich ebenfalls jene das Uebersinnliche, das Absolutum, nebst langen Geschichten, die sich mit demselben zutragen, unmittelbar wahrnehmende, oder auch vernehmende, oder intellektual anschauende Vernunft mir, in meiner Beschränktheit, nicht anders faßlich und vorstellig machen kann, als gerade so, wie den sechsten Sinn der Fledermäuse. Das aber muß man der Erfindung, oder Entdeckung, einer solchen Alles was beliebt sogleich unmittelbar wahrnehmenden Vernunft nachrühmen, daß sie ein unvergleichliches expédient ist, um allen Kanten mit ihren Vernunftkritiken zum Trotz sich und seine fixirten Favoritideen auf die leichteste Weise von der Welt aus der Affäre zu ziehn. Die Erfindung und die Aufnahme, welche sie gefunden, macht dem Zeitalter Ehre.

Wenn gleich also das Wesentliche der Vernunft (to logimon, hê phronêsis, ratio, raison, reason) von allen Philosophen aller Zeiten im Ganzen und Allgemeinen richtig erkannt, obwohl nicht scharf genug bestimmt, noch auf einen Punkt zurückgeführt wurde; so ist hingegen was der Verstand (nous, dianoia, intellectus, esprit, intellect, understanding) sei, ihnen nicht so deutlich geworden; daher sie ihn oft mit der Vernunft vermischen und eben dadurch auch zu keiner ganz vollkommenen, reinen und einfachen Erklärung des Wesens dieser gelangen. Bei den Christlichen Philosophen erhielt nun der Begriff der Vernunft noch eine ganz fremdartige Nebenbedeutung, durch den Gegensatz zur Offenbarung, und hievon ausgehend behaupten dann Viele, mit Recht, daß die Erkenntniß der Verpflichtung zur Tugend auch aus bloßer Vernunft, d.h. auch ohne Offenbarung, möglich sei. Sogar auf Kants Darstellung und Wortgebrauch hat diese Rücksicht gewiß Einfluß gehabt. Allein jener Gegensatz ist eigentlich von positiver, historischer Bedeutung und daher ein der Philosophie fremdes Element, von welchem sie frei gehalten werden muß.

Man hätte erwarten dürfen, daß Kant in seinen Kritiken der theoretischen und praktischen Vernunft ausgegangen seyn würde von einer Darstellung des Wesens der Vernunft überhaupt, und, nachdem er so das Genus bestimmt hätte, zur Erklärung der beiden Species geschritten wäre, nachweisend, wie die eine und selbe Vernunft sich auf zwei so verschiedene Weisen äußert und doch, durch Beibehaltung des Hauptcharakters, sich als die selbe beurkundet. Allein von dem allen findet sich nichts. Wie ungenügend, schwankend und disharmonirend die Erklärungen sind, die er in der Kritik der reinen Vernunft von dem Vermögen, welches er kritisiert, hin und wieder beiläufig giebt, habe ich bereits nachgewiesen. Die praktische Vernunft findet sich schon in der Kritik der reinen Vernunft unangemeldet ein und steht nachher, in der ihr eigens gewidmeten Kritik, als ausgemachte Sache da, ohne weitere Rechenschaft und ohne daß der mit Füßen getretene Sprachgebrauch aller Zeiten und Völker, oder die Begriffsbestimmungen der größten früheren Philosophen ihre Stimmen erheben dürfen. Im Ganzen kann man aus den einzelnen Stellen abnehmen, daß Kants Meinung dahin geht: das Erkennen von Principien a priori sei wesentlicher Charakter der Vernunft: da nun die Erkenntniß der ethischen Bedeutsamkeit des Handelns nicht empirischen Ursprungs ist; so ist auch sie ein principium a priori und stammt demnach aus der Vernunft, die dann insofern praktisch ist. – Ueber die Unrichtigkeit jener Erklärung der Vernunft habe ich schon genugsam geredet. Aber auch hievon abgesehn, wie oberflächlich und ungründlich ist es, hier das einzige Merkmal der Unabhängigkeit von der Erfahrung zu benutzen, um die heterogensten Dinge zu vereinigen, ihren übrigen, grundwesentlichen, unermeßlichen Abstand dabei übersehend. Denn auch angenommen, wiewohl nicht zugestanden, die Erkenntniß der ethischen Bedeutsamkeit des Handelns entspringe aus einem in uns liegenden Imperativ, einem unbedingten Soll; wie grundverschieden wäre doch ein solches von jenen allgemeinen Formen der Erkenntniß, welche er in der Kritik der reinen Vernunft als a priori uns bewußt nachweist, vermöge welches Bewußtseins wir ein unbedingtes Muß zum Voraus aussprechen können, gültig für alle mögliche Erfahrung. Der Unterschied aber zwischen diesem Muß , dieser schon im Subjekt bestimmten nothwendigen Form des Objekts, und jenem Soll der Moralität, ist so himmelweit und so augenfällig, daß man das Zusammentreffen Beider im Merkmal der nichtempirischen Erkenntnißart wohl als ein witziges Gleichniß, nicht aber als eine philosophische Berechtigung zur Identificirung des Ursprungs Beider geltend machen kann.

Uebrigens ist die Geburtsstätte dieses Kindes der praktischen Vernunft, des absoluten Solls oder kategorischen Imperativs, nicht in der Kritik der praktischen, sondern schon in der reinen Vernunft, S. 802; v, 830. Die Geburt ist gewaltsam und gelingt nur mittelst der Geburtszange eines Daher, welches keck und kühn, ja man möchte sagen unverschämt, sich zwischen zwei einander wildfremde und keinen Zusammenhang habende Sätze stellt, um sie als Grund und Folge zu verbinden. Nämlich, daß nicht bloß anschauliche, sondern auch abstrakte Motive uns bestimmen, ist der Satz, von dem Kant ausgeht, ihn folgendermaaßen ausdrückend: »Nicht bloß was reizt, d.i. die Sinne unmittelbar afficirt, bestimmt die menschliche Willkür; sondern wir haben ein Vermögen, durch Vorstellungen von dem, was selbst auf entferntere Art nützlich oder schädlich ist, die Eindrücke auf unser sinnliches Begehrungsvermögen zu überwinden. Diese Ueberlegungen von dem, was in Ansehung unsers ganzen Zustandes begehrungswerth, d. i. gut und nützlich, ist, beruhen auf der Vernunft.« (Vollkommen richtig: spräche er nur immer so vernünftig von der Vernunft!) »Diese giebt daher! auch Gesetze, welche Imperativen, d. i. objektive Gesetze der Freiheit sind und sagen was geschehn soll, ob es gleich vielleicht nie geschieht.« –! So, ohne weitere Beglaubigung, springt der kategorische Imperativ in die Welt, um daselbst das Regiment zu führen mit seinem unbedingten Soll, – einem Scepter aus hölzernem Eisen. Denn im Begriff Sollen liegt durchaus und wesentlich die Rücksicht auf angedrohte Strafe, oder versprochene Belohnung, als nothwendige Bedingung, und ist nicht von ihm zu trennen, ohne ihn selbst aufzuheben und ihm alle Bedeutung zu nehmen: daher ist ein unbedingtes Soll eine contradictio in adjecto. Dieser Fehler mußte gerügt werden, so nahe er übrigens mit Kants großem Verdienst um die Ethik verwandt ist, welches eben darin besteht, daß er die Ethik von allen Principien der Erfahrungswelt, namentlich von aller direkten oder indirekten Glücksäligkeitslehre frei gemacht und ganz eigentlich gezeigt hat, daß das Reich der Tugend nicht von dieser Welt sei. Dieses Verdienst ist um so größer, als schon alle alten Philosophen, mit Ausnahme des einzigen Plato, nämlich Peripatetiker, Stoiker, Epikureer, durch sehr verschiedene Kunstgriffe, Tugend und Glücksäligkeit bald nach dem Satz vom Grunde von einander abhängig machen, bald nach dem Satz vom Widerspruch identificiren wollten. Nicht minder trifft der selbe Vorwurf alle Philosophen der neuem Zeit, bis auf Kant. Sein Verdienst hierin ist daher sehr groß: jedoch fordert die Gerechtigkeit auch hiebei zu erinnern, daß theils seine Darstellung und Ausführung der Tendenz und dem Geist seiner Ethik oft nicht entspricht, wie wir sogleich sehn werden, theils auch, daß er, selbst so, nicht der allererste ist, der die Tugend von allen Glücksäligkeitsprincipien gereinigt hat. Denn schon Plato, besonders in der Republik, deren Haupttendenz eben dieses ist, lehrt ausdrücklich, daß die Tugend allein ihrer selbst wegen zu wählen sei, auch wenn Unglück und Schande unausbleiblich mit ihr verknüpft wäre. Noch mehr aber predigt das Christenthum eine völlig uneigennützige Tugend, welche auch nicht wegen des Lohnes in einem Leben nach dem Tode, sondern ganz unentgeltlich, aus Liebe zu Gott, geübt wird, sofern die Werke nicht rechtfertigen, sondern allein der Glaube, welchen, gleichsam als sein bloßes Symptom, die Tugend begleitet und daher ganz unentgeltlich und von selbst eintritt. Man lese Luther, De libertate Christiana. Ich will gar nicht die Inder in Rechnung bringen, in deren heiligen Büchern überall das Hoffen eines Lohnes seiner Werke als der Weg der Finsterniß geschildert wird, der nie zur Säligkeit führen kann. So rein finden wir Kants Tugendlehre doch nicht: oder vielmehr die Darstellung ist hinter dem Geiste weit zurückgeblieben, ja, in Inkonsequenz verfallen. In seinem nachher abgehandelten höchsten Gut finden wir die Tugend mit der Glücksäligkeit vermählt. Das ursprünglich so unbedingte Soll postulirt sich hinterdrein doch eine Bedingung, eigentlich um den Innern Widerspruch los zu werden, mit welchem behaftet es nicht leben kann. Die Glücksäligkeit im höchsten Gut soll nun zwar nicht eigentlich das Motiv zur Tugend seyn: dennoch steht sie da, wie ein geheimer Artikel, dessen Anwesenheit alles Uebrige zu einem bloßen Scheinvertrage macht: sie ist nicht eigentlich der Lohn der Tugend, aber doch eine freiwillige Gabe, zu der die Tugend, nach ausgestandener Arbeit, verstohlen die Hand offen hält. Man überzeuge sich hievon durch die »Kritik der praktischen Vernunft« (S. 223-266 der vierten, oder S. 264-295 der Rosenkranzischen Ausgabe). Die selbe Tendenz hat auch seine ganze Moraltheologie: durch diese vernichtet eben deshalb eigentlich die Moral sich selbst. Denn, ich wiederhole es, alle Tugend, die irgendwie eines Lohnes wegen geübt wird, beruht auf einem klugen, methodischen, weitsehenden Egoismus.

Der Inhalt des absoluten Solls, das Grundgesetz der praktischen Vernunft, ist nun das Gerühmte: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.« – Dieses Princip giebt Dem, welcher ein Regulativ für seinen eigenen Willen verlangt, die Aufgabe gar eines für den Willen Aller zu suchen. – Dann fragt sich, wie ein solches zu finden sei. Offenbar soll ich, um die Regel meines Verhaltens aufzufinden, nicht mich allein berücksichtigen, sondern die Gesammtheit aller Individuen. Alsdann wird, statt meines eigenen Wohlseins, das Wohlseyn Aller, ohne Unterschied, mein Zweck. Derselbe bleibt aber noch immer Wohlseyn. Ich finde sodann, daß Alle sich nur so gleich wohl befinden können, wenn Jeder seinem Egoismus den fremden zur Schranke setzt. Hieraus folgt freilich, daß ich Niemanden beeinträchtigen soll, weil, indem dies Princip als allgemein angenommen wird, auch ich nicht beeinträchtigt werde, welches aber der alleinige Grund ist, weshalb ich, ein Moralprincip noch nicht besitzend, sondern erst suchend, dieses zum allgemeinen Gesetz wünschen kann. Aber offenbar bleibt, auf diese Weise, Wunsch nach Wohlseyn, d.h. Egoismus, die Quelle dieses ethischen Princips. Als Basis der Staatslehre wäre es vortrefflich, als Basis der Ethik taugt es nicht. Denn zu der in jenem Moralprincip aufgegebenen Festsetzung eines Regulativs für den Willen Aller, bedarf, der es sucht, nothwendig selbst wieder eines Regulativs, sonst wäre ihm ja Alles gleichgültig. Dies Regulativ aber kann nur der eigene Egoismus seyn, da nur auf diesen das Verhalten Anderer einfließt, und daher nur mittelst desselben und in Rücksicht auf ihn, Jener einen Willen in Betreff des Handelns Anderer haben kann und es ihm nicht gleichgültig ist. Sehr naiv giebt Kant dieses selbst zu erkennen, S. 123 der »Kritik der praktischen Vernunft« (Rosenkranzische Ausgabe, S. 192), wo er das Aufsuchen der Maxime für den Willen also ausführt: »Wenn Jeder Anderer Noth mit völliger Gleichgültigkeit ansähe, und du gehörtest mit zu einer solchen Ordnung der Dinge, würdest du darin willigen?« – Quam temere in nosmet legem sancimus iniquam! wäre das Regulativ der nachgefragten Einwilligung. Eben so in der »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, S. 56 der dritten, S. 50 der Rosenkranzischen Ausgabe: »Ein Wille, der beschlösse. Niemanden in der Noth beizustehn, würde sich widerstreiten, indem sich Fälle ereignen können, wo er Anderer Liebe und Theilnahme bedarf« u.s.w. Dieses Princip der Ethik, welches daher, beim Licht betrachtet, nichts Anderes, als ein indirekter und verblümter Ausdruck des alten, einfachen Grundsatzes, quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris ist, bezieht sich also zuerst und unmittelbar auf das Passive, das Leiden, und dann erst vermittelst dieses auf das Thun: daher wäre es, wie gesagt, als Leitfaden zur Errichtung des Staats, welcher auf die Verhütung des Unrechtleidens gerichtet ist, auch Allen und Jedem die größte Summe von Wohlseyn verschaffen möchte, ganz brauchbar; aber in der Ethik, wo der Gegenstand der Untersuchung das Thun als Thun und in seiner unmittelbaren Bedeutung für den Thäter ist, nicht aber seine Folge, das Leiden, oder seine Beziehung auf Andere, ist jene Rücksicht durchaus nicht zulässig, indem sie im Grunde doch wieder auf ein Glücksäligkeitsprincip, also auf Egoismus, hinausläuft.

Wir können daher auch nicht Kants Freude theilen, die er daran hat, daß sein Princip der Ethik kein materiales, d.h. ein Objekt als Motiv setzendes, sondern ein bloß formales ist, wodurch es symmetrisch entspricht den formalen Gesetzen, welche die Kritik der reinen Vernunft uns kennen gelehrt hat. Es ist freilich statt eines Gesetzes, nur die Formel zur Auffindung eines solchen; aber theils hatten wir diese Formel schon kürzer und klarer in dem: quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris, theils zeigt die Analyse dieser Formel, daß einzig und allein die Rücksicht auf eigene Glücksäligkeit ihr Gehalt giebt, daher sie nur dem vernünftigen Egoismus dienen kann, dem auch alle gesetzliche Verfassung ihren Ursprung verdankt.

Ein anderer Fehler, der, weil er dem Gefühl eines Jeden Anstoß giebt, oft gerügt und von Schiller in einem Epigramm persiflirt ist, ist die pedantische Satzung, daß eine That, um wahrhaft gut und verdienstlich zu seyn, einzig und allein aus Achtung vor dem erkannten Gesetz und dem Begriff der Pflicht, und nach einer der Vernunft in abstracto bewußten Maxime vollbracht werden muß, nicht aber irgend aus Neigung, nicht aus gefühltem Wohlwollen gegen Andere, nicht aus weichherziger Theilnahme, Mitleid oder Herzensaufwallung, welche (laut »Kritik der praktischen Vernunft«, S. 213; Rosenkranzische Ausgabe, S. 257) wohldenkenden Personen, als ihre überlegten Maximen verwirrend, sogar sehr lästig sind; sondern die That muß ungern und mit Selbstzwang geschehn. Man erinnere sich, daß dabei dennoch Hoffnung des Lohnes nicht einfließen soll, und ermesse die große Ungereimtheit der Forderung. Aber, was mehr sagen will, dieselbe ist dem ächten Geiste der Tugend gerade entgegen: nicht die That, sondern das Gernthun derselben, die Liebe, aus der sie hervorgeht und ohne welche sie ein todtes Werk ist, macht das Verdienstliche derselben aus. Daher lehrt auch das Christenthum mit Recht, daß alle äußern Werke werthlos sind, wenn sie nicht aus jener ächten Gesinnung, welche in der wahren Gernwilligkeit und reinen Liebe besteht, hervorgehn, und daß nicht die verrichteten Werke (opera operata), sondern der Glaube, die ächte Gesinnung, welche allein der heilige Geist verleiht, nicht aber der freie und überlegte, das Gesetz allein vor Augen habende Wille gebiert, sälig mache und erlöse. – Mit jener Forderung Kants, daß jede tugendhafte Handlung aus reiner, überlegter Achtung vor dem Gesetz und nach dessen abstrakten Maximen, kalt und ohne, ja gegen alle Neigung geschehn solle, ist es gerade so, wie wenn behauptet würde, jedes ächte Kunstwerk müßte durch wohl überlegte Anwendung ästhetischer Regeln entstehn. Eines ist so verkehrt wie das Andere. Die schon von Plato und Seneka behandelte Frage, ob die Tugend sich lehren lasse, ist zu verneinen. Man wird sich endlich entschließen müssen einzusehn, was auch der Christlichen Lehre von der Gnadenwahl den Ursprung gab, daß, der Hauptsache und dem Innern nach, die Tugend gewissermaaßen wie der Genius angeboren ist, und daß eben so wenig, als alle Professoren der Aesthetik, mit vereinten Kräften, irgend Einem die Fähigkeit genialer Produktionen, d.h. achter Kunstwerke beibringen können, eben so wenig alle Professoren der Ethik und Prediger der Tugend einen unedeln Charakter zu einem tugendhaften, edeln umzuschaffen vermögen, wovon die Unmöglichkeit sehr viel offenbarer ist, als die der Umwandlung des Bleies in Gold; und das Aufsuchen einer Ethik und eines obersten Princips derselben, die praktischen Einfluß hätten und wirklich das Menschengeschlecht umwandelten und besserten, ist ganz gleich dem Suchen des Steines der Weisen. – Von der Möglichkeit jedoch einer gänzlichen Sinnesänderung des Menschen (Wiedergeburt), nicht mittelst abstrakter (Ethik), sondern mittelst intuitiver Erkenntniß (Gnadenwirkung), ist am Ende unsers vierten Buches ausführlich geredet; der Inhalt welches Buches mich überhaupt der Nothwendigkeit überhebt, hiebei länger zu verweilen.

Daß Kant in die eigentliche Bedeutung des ethischen Gehaltes der Handlungen keineswegs eingedrungen sei, zeigt er endlich auch durch seine Lehre vom höchsten Gut als der nothwendigen Vereinigung von Tugend und Glücksäligkeit und zwar so, daß jene die Würdigkeit zu dieser wäre. Schon der logische Tadel trifft ihn hier, daß der Begriff der Würdigkeit, der hier den Maaßstab macht, bereits eine Ethik als seinen Maaßstab voraussetzt, also nicht von ihm ausgegangen werden durfte. In unserm vierten Buche hat sich ergeben, daß alle ächte Tugend, nachdem sie ihren höchsten Grad erreicht hat, zuletzt hinleitet zu einer völligen Entsagung, in der alles Wollen ein Ende findet: hingegen ist Glücksäligkeit ein befriedigtes Wollen, Beide sind also von Grund aus unvereinbar. Für Den, welchem meine Darstellung eingeleuchtet hat, bedarf es weiter keiner Auseinandersetzung der gänzlichen Verkehrtheit dieser Kantischen Ansicht vom höchsten Gut. Und unabhängig von meiner positiven Darstellung habe ich hier weiter keine negative zu geben.

Kants Liebe zur architektonischen Symmetrie tritt uns denn auch in der »Kritik der praktischen Vernunft« entgegen, indem er dieser ganz den Zuschnitt der »Kritik der reinen Vernunft« gegeben und die selben Titel und Formen wieder angebracht hat, mit augenscheinlicher Willkür, welche besonders sichtbar wird an der Tafel der Kategorien der Freiheit.

Die Rechtslehre ist eines der spätesten Werke Kants und ein so schwaches, daß, obgleich ich sie gänzlich mißbillige, ich eine Polemik gegen dieselbe für überflüssig halte, da sie, gleich als wäre sie nicht das Werk dieses großen Mannes, sondern das Erzeugniß eines gewöhnlichen Erdensohnes, an ihrer eigenen Schwäche natürlichen Todes sterben muß. Ich begebe mich also in Hinsicht auf die Rechtslehre des negativen Verfahrens, und beziehe mich auf das positive, also auf die kurzen Grundzüge derselben, die in unserm vierten Buche aufgestellt sind. Bloß ein Paar allgemeine Bemerkungen über Kants Rechtslehre mögen hier stehn. Die Fehler, welche ich, als Kanten überall anhängend, bei der Betrachtung der »Kritik der reinen Vernunft« gerügt habe, finden sich in der Rechtslehre in solchem Uebermaaß, daß man oft eine satirische Parodie der Kantischen Manier zu lesen, oder doch wenigstens einen Kantianer zu hören glaubt. Zwei Hauptfehler sind aber diese. Er will (und Viele haben es seitdem gewollt) die Rechtslehre von der Ethik scharf trennen, dennoch aber erstere nicht von positiver Gesetzgebung, d.h. willkürlichem Zwange, abhängig machen, sondern den Begriff des Rechts rein und a priori für sich bestehn lassen. Allein dieses ist nicht möglich; weil das Handeln, außer seiner ethischen Bedeutsamkeit und außer der physischen Beziehung auf Andere und dadurch auf äußern Zwang, gar keine dritte Ansicht auch nur möglicherweise zuläßt. Folglich wenn er sagt: »Rechtspflicht ist die, welche erzwungen werden kann«; so ist dieses Kann entweder physisch zu verstehn: dann ist alles Recht positiv und willkürlich, und wieder auch alle Willkür, die sich durchsetzen läßt, ist Recht: oder das Kann ist ethisch zu verstehn, und wir sind wieder auf dem Gebiet der Ethik. Bei Kant schwebt folglich der Begriff des Rechts zwischen Himmel und Erde, und hat keinen Boden, auf dem er fußen kann: bei mir gehört er in die Ethik. Zweitens ist seine Bestimmung des Begriffs Recht ganz negativ und dadurch ungenügend111: »Recht ist das, was sich mit dem Zusammenbestehn der Freiheiten der Individuen neben einander nach einem allgemeinen Gesetze verträgt.« – Freiheit (hier die empirische, d. i. physische, nicht die moralische des Willens) bedeutet das Nichtgehindertseyn, ist also eine bloße Negation: ganz die selbe Bedeutung hat das Zusammenbestehn wieder: wir bleiben also bei lauter Negationen und erhalten keinen positiven Begriff, ja erfahren gar nicht, wovon eigentlich die Rede ist, wenn wir es nicht schon anderweitig wissen. – In der Ausführung entwickeln sich nachher die verkehrtesten Ansichten, wie die, daß es im natürlichen Zustande, d.h. außer dem Staat, gar kein Recht auf Eigenthum gebe, welches eigentlich heißt, daß alles Recht positiv sei, und wodurch das Naturrecht auf das positive gestützt wird, statt daß der Fall umgekehrt seyn sollte; ferner die Begründung der rechtlichen Erwerbung durch Besitzergreifung; die ethische Verpflichtung zur Errichtung der bürgerlichen Verfassung; der Grund des Strafrechts u.s.w., welches alles ich, wie gesagt, gar keiner besondern Widerlegung werth achte. Inzwischen haben auch diese Kantischen Irrthümer einen sehr nachtheiligen Einfluß bewiesen, längst erkannte und ausgesprochene Wahrheiten wieder verwirrt und verdunkelt, seltsame Theorien, viel Schreibens und Streitens veranlaßt. Von Bestand kann das freilich nicht seyn, und schon sehn wir, wie Wahrheit und gesunde Vernunft sich wieder Bahn machen: von letzterer zeugt, im Gegensatz so mancher verschrobenen Theorie, besonders J. C. F. Meister's Naturrecht, obgleich ich dieses darum nicht als Muster erreichter Vollkommenheit ansehe.

Auch über die Kritik der Urtheilskraft kann ich, nach dem Bisherigen, sehr kurz seyn. Man muß es bewundern, wie Kant, dem die Kunst wohl sehr fremd geblieben ist, und der, allem Anschein nach, wenig Empfänglichkeit für das Schöne hatte, ja der zudem wahrscheinlich nie Gelegenheit gehabt, ein bedeutendes Kunstwerk zu sehn, und der endlich sogar von seinem, sowohl im Jahrhundert als in der Nation, allein ihm an die Seite zu stellenden Riesenbruder Goethe keine Kunde gehabt zu haben scheint, – es ist, sage ich, zu bewundern, wie bei diesem Allen Kant sich um die philosophische Betrachtung der Kunst und des Schönen ein großes und bleibendes Verdienst erwerben konnte. Dieses Verdienst liegt darin, daß, so viel auch über das Schöne und die Kunst waren Betrachtungen angestellt worden, man doch eigentlich die Sache immer nur vom empirischen Standpunkt aus betrachtet hatte und auf Thatsachen gestützt untersuchte, welche Eigenschaft das schön genannte Objekt irgend einer Art von andern Objekten der selben Art unterschied. Auf diesem Wege gelangte man Anfangs zu ganz speciellen Sätzen, dann zu allgemeineren. Man suchte das ächte Kunstschöne vom unächten zu sondern und Merkmale dieser Aechtheit aufzufinden, die dann eben auch wieder als Regeln dienen konnten. Was als schön gefalle, was nicht, was daher nachzuahmen, anzustreben, was zu vermeiden sei, welche Regeln, wenigstens negativ, festzustellen, kurz, welches die Mittel zur Erregung des ästhetischen Wohlgefallens, d.h. welches die im Objekt liegenden Bedingungen hiezu seien, das war fast ausschließlich das Thema aller Betrachtungen über die Kunst. Diesen Weg hatte Aristoteles eingeschlagen, und auf demselben finden wir noch in der neuesten Zeit Home, Burke, Winckelmann, Lessing, Herder u.a.m. Zwar führte die Allgemeinheit der aufgefundenen ästhetischen Sätze zuletzt auch auf das Subjekt zurück, und man merkte, daß wenn die Wirkung in diesem gehörig bekannt wäre, man alsdann auch die im Objekt liegende Ursache derselben würde a priori bestimmen können, wodurch allein diese Betrachtung zur Sicherheit einer Wissenschaft gelangen könnte. Dieses veranlaßte hin und wieder psychologische Erörterungen, besonders aber stellte in dieser Absicht Alexander Baumgarten eine allgemeine Aesthetik alles Schönen auf, wobei er ausgieng vom Begriff der Vollkommenheit der sinnlichen, also anschaulichen Erkenntniß. Mit der Aufstellung dieses Begriffs ist bei ihm aber auch der subjektive Theil sogleich abgethan, und es wird zum objektiven und dem sich darauf beziehenden Praktischen geschritten. – Kanten aber war auch hier das Verdienst aufbehalten, die Anregung selbst, in Folge welcher wir das sie veranlassende Objekt schön nennen, ernstlich und tief zu untersuchen, um, wo möglich, die Bestandtheile und Bedingungen derselben in unserm Gemüth aufzufinden. Seine Untersuchung nahm daher ganz die subjektive Richtung. Dieser Weg war offenbar der richtige: weil, um eine in ihren Wirkungen gegebene Erscheinung zu erklären, man, um die Beschaffenheit der Ursache gründlich zu bestimmen, erst diese Wirkung selbst genau kennen muß. Viel weiter jedoch, als den rechten Weg gezeigt und durch einen einstweiligen Versuch ein Beispiel gegeben zu haben, wie man ungefähr ihn gehn müsse, erstreckt sich Kants Verdienst hierin eigentlich nicht. Denn was er gab, kann nicht als objektive Wahrheit und realer Gewinn betrachtet werden. Er gab die Methode dieser Untersuchung an, brach die Bahn, verfehlte übrigens das Ziel.

Bei der Kritik der ästhetischen Urtheilskraft wird zuvörderst sich uns die Bemerkung aufdringen, daß er die Methode, welche seiner ganzen Philosophie eigen ist und welche ich oben ausführlich betrachtet habe, beibehielt: ich meine das Ausgehn von der abstrakten Erkenntniß, zur Ergründung der anschaulichen, so daß ihm jene gleichsam als camera obscura dient, um diese darin aufzufangen und zu übersehn. Wie, in der Kritik der reinen Vernunft, die Formen der Urtheile ihm Aufschluß geben sollten über die Erkenntniß unserer ganzen anschaulichen Welt; so geht er auch in dieser Kritik der ästhetischen Urtheilskraft nicht vom Schönen selbst, vom anschaulichen, unmittelbaren Schönen aus, sondern vom Urtheil über das Schöne, dem sehr häßlich sogenannten Geschmacksurtheil. Dieses ist ihm sein Problem. Besonders erregt seine Aufmerksamkeit der Umstand, daß ein solches Urtheil offenbar die Aussage eines Vorgangs im Subjekt ist, dabei aber doch so allgemein gültig, als beträfe es eine Eigenschaft des Objekts. Dies hat ihn frappirt, nicht das Schöne selbst. Er geht immer nur von den Aussagen Anderer aus, vom Urtheil über das Schöne, nicht vom Schönen selbst. Es ist daher, als ob er es ganz und gar nur von Hörensagen, nicht unmittelbar kennte. Fast eben so könnte ein höchst verständiger Blinder, aus genauen Aussagen, die er über die Farben hörte, eine Theorie derselben kombiniren. Und wirklich dürfen wir Kants Philosopheme über das Schöne beinahe nur in solchem Verhältniß betrachten. Dann werden wir finden, daß seine Theorie sehr sinnreich ist, ja, daß hin und wieder treffende und wahre allgemeine Bemerkungen gemacht sind; aber seine eigentliche Auflösung des Problems ist so sehr unstatthaft, bleibt so tief unter der Würde des Gegenstandes, daß es uns nicht einfallen kann, sie für objektive Wahrheit zu halten; daher ich selbst einer Widerlegung derselben mich überhoben achte und auch hier auf den positiven Theil meiner Schrift verweise.

In Hinsicht auf die Form seines ganzen Buches ist zu bemerken, daß sie aus dem Einfall entsprungen ist, im Begriff der Zweckmäßigkeit den Schlüssel zum Problem des Schönen zu finden. Der Einfall wird deducirt, was überall nicht schwer ist, wie wir aus den Nachfolgern Kants gelernt haben. So entsteht nun die barocke Vereinigung der Erkenntniß des Schönen mit der des Zweckmäßigen der natürlichen Körper, in ein Erkenntnißvermögen, Urtheilskraft genannt, und die Abhandlung beider heterogenen Gegenstände in einem Buch. Mit diesen drei Erkenntnißkräften, Vernunft, Urtheilskraft und Verstand, werden nachher mancherlei symmetrisch-architektonische Belustigungen vorgenommen, die Liebhaberei zu welchen überhaupt in diesem Buch sich vielfältig zeigt, schon in dem, dem Ganzen gewaltsam angepaßten Zuschnitt der Kritik der reinen Vernunft, ganz besonders aber in der bei den Haaren herbeigezogenen Antinomie der ästhetischen Urtheilskraft. Man könnte auch einen Vorwurf großer Inkonsequenz daraus nehmen, daß, nachdem in der Kritik der reinen Vernunft unablässig wiederholt ist, der Verstand sei das Vermögen zu urtheilen, und nachdem die Formen seiner Urtheile zum Grundstein aller Philosophie gemacht sind, nun noch eine ganz eigenthümliche Urtheilskraft auftritt, die von jenem völlig verschieden ist. Was übrigens ich Urtheilskraft nenne, nämlich die Fähigkeit, die anschauliche Erkenntniß in die abstrakte zu übertragen und diese wieder richtig auf jene anzuwenden, ist im positiven Theil meiner Schrift ausgeführt.

Bei weitem das Vorzüglichste in der Kritik der ästhetischen Urtheilskraft ist die Theorie des Erhabenen: sie ist ungleich besser gelungen, als die des Schönen, und giebt nicht nur, wie jene, die allgemeine Methode der Untersuchung an, sondern auch noch ein Stück des rechten Weges dazu, so sehr, daß wenn sie gleich nicht die eigentliche Auflösung des Problems giebt, sie doch sehr nahe daran streift.

In der Kritik der teleologischen Urtheilskraft kann man, wegen der Einfachheit des Stoffs, vielleicht mehr als irgendwo Kants seltsames Talent erkennen, einen Gedanken hin und her zu wenden und auf mannigfaltige Weise auszusprechen, bis daraus ein Buch geworden. Das ganze Buch will allein dieses: obgleich die organisirten Körper uns nothwendig so erscheinen, als wären sie einem ihnen vorhergegangenen Zweckbegriff gemäß zusammengesetzt; so berechtigt uns dies doch nicht, es objektiv so anzunehmen. Denn unser Intellekt, dem die Dinge von außen und mittelbar gegeben werden, der also nie das Innere derselben, wodurch sie entstehn und bestehn, sondern bloß ihre Außenseite erkennt, kann sich eine gewisse, den organischen Naturprodukten eigenthümliche Beschaffenheit nicht anders faßlich machen, als durch Analogie, indem er sie vergleicht mit den von Menschen absichtlich verfertigten Werken, deren Beschaffenheit durch einen Zweck und den Begriff von diesem bestimmt wird. Diese Analogie ist hinreichend, die Uebereinstimmung aller ihrer Theile zum Ganzen uns faßlich zu machen und dadurch sogar den Leitfaden zu ihrer Untersuchung abzugeben; aber keineswegs darf sie deshalb zum wirklichen Erklärungsgrunde des Ursprungs und Daseyns solcher Körper gemacht werden. Denn die Nothwendigkeit sie so zu begreifen ist subjektiven Ursprungs. – So etwan würde ich Kants Lehre hierüber resumiren. Der Hauptsache nach hatte er sie bereits in der Kritik der reinen Vernunft, S. 692-702; v, 720-730, dargelegt. Aber auch in der Erkenntniß dieser Wahrheit finden wir den David Hume als Kants ruhmwürdigen Vorläufer: auch er hatte jene Annahme scharf bestritten, in der zweiten Abtheilung seiner Dialogues concerning natural religion. Der Unterschied der Hume'schen Kritik jener Annahme von der Kantischen ist hauptsächlich dieser, daß Hume dieselbe als eine auf Erfahrung gestützte, Kant hingegen sie als eine apriorische kritisirt. Beide haben Recht und ihre Darstellungen ergänzen einander. Ja, das Wesentliche der Kantischen Lehre hierüber finden wir schon ausgesprochen im Kommentar des Simplicius zur Physik des Aristoteles:

hê de planê gegonen autois apo tou hêgeisthai, panta ta heneka ton ginomena kata proairesin genesthai kai logismon, ta de physei mê houtôs horan ginomena. (Error iis ortus est ex eo, quod credebant, omnia, quae propter finem aliquem fierent, ex proposito et ratiocinio fieri, dum videbant, naturae opera non ita fieri.) Schol. in Arist, ex. edit. Berol. p. 354. Kant hat in der Sache vollkommen Recht: auch war es nöthig, daß, nachdem gezeigt war, daß auf das Ganze der Natur überhaupt, ihrem Daseyn nach, der Begriff von Wirkung und Ursache nicht anzuwenden, auch gezeigt wurde, daß sie ihrer Beschaffenheit nach nicht als Wirkung einer von Motiven (Zweckbegriffen) geleiteten Ursache zu denken sei. Wenn man die große Scheinbarkeit des physikotheologischen Beweises bedenkt, den sogar Voltaire für unwiderleglich hielt; so war es von der größten Wichtigkeit, zu zeigen, daß das Subjektive in unserer Auffassung, welchem Kant Raum, Zeit und Kausalität vindicirt hat, sich auch auf unsere Beurtheilung der Naturkörper erstreckt, und demnach die Nöthigung, welche wir empfinden, sie uns als prämeditirt, nach Zweckbegriffen, also auf einem Wege, wo die Vorstellung derselben ihrem Daseyn vorangegangen wäre, enstanden zu denken, eben so subjektiven Ursprungs ist, wie die Anschauung des so objektiv sich darstellenden Raums, mithin nicht als objektive Wahrheit geltend gemacht werden darf. Kants Auseinandersetzung der Sache ist, abgesehn von der ermüdenden Weitschweifigkeit und Wiederholung, vortrefflich. Mit Recht behauptet er, daß wir nie dahin gelangen werden, die Beschaffenheit der organischen Körper aus bloß mechanischen Ursachen, worunter er die absichtslose und gesetzmäßige Wirkung aller allgemeinen Naturkräfte versteht, zu erklären. Ich finde hier jedoch noch eine Lücke. Er leugnet nämlich die Möglichkeit einer solchen Erklärung bloß in Rücksicht auf die Zweckmäßigkeit und anscheinende Absichtlichkeit der organischen Körper. Allein wir finden, daß, auch wo diese nicht Statt hat, die Erklärungsgründe aus einem Gebiet der Natur nicht in das andere hinübergezogen werden können, sondern uns, sobald wir ein neues Gebiet betreten, verlassen, und statt ihrer neue Grundgesetze auftreten, deren Erklärung aus denen des vorigen gar nicht zu hoffen ist. So herrschen im Gebiet des eigentlich Mechanischen die Gesetze der Schwere, Kohäsion, Starrheit, Flüssigkeit, Elasticität, welche an sich (abgesehn von meiner Erklärung aller Naturkräfte als niederer Stufen der Objektivation des Willens) als Aeußerungen weiter nicht zu erklärender Kräfte dastehn, selbst aber die Principien aller fernem Erklärung, welche bloß in Zurückführung auf jene besteht, ausmachen. Verlassen wir dieses Gebiet und kommen zu den Erscheinungen des Chemismus, der Elektricität, Magnetismus, Krystallisation; so sind jene Principien durchaus nicht mehr zu gebrauchen, ja, jene Gesetze gelten nicht mehr, jene Kräfte werden von andern überwältigt und die Erscheinungen gehn in geradem Widerspruch mit ihnen vor sich, nach neuen Grundgesetzen, die, eben wie jene ersteren, ursprünglich und unerklärlich, d.h. auf keine allgemeineren zurückzuführen sind. So z.B. wird es nie gelingen, nach jenen Gesetzen des eigentlichen Mechanismus auch nur die Auflösung eines Salzes im Wasser zu erklären, geschweige die komplicirteren Erscheinungen der Chemie. Im zweiten Buch gegenwärtiger Schrift ist dieses Alles bereits ausführlicher dargestellt. Eine Erörterung dieser Art würde, wie es mir scheint, in der Kritik der teleologischen Urtheilskraft von großem Nutzen gewesen seyn und viel Licht über das dort Gesagte verbreitet haben. Besonders günstig wäre eine solche seiner vortrefflichen Andeutung gewesen, daß eine tiefere Kenntniß des Wesens an sich, dessen Erscheinung die Dinge in der Natur sind, sowohl in dem mechanischen (gesetzmäßigen) als in dem scheinbar absichtlichen Wirken der Natur, ein und das selbe letzte Princip wiederfinden würde, welches als gemeinschaftlicher Erklärungsgrund beider dienen könnte. Ein solches hoffe ich durch Aufstellung des Willens als des eigentlichen Dinges an sich gegeben zu haben, demgemäß überhaupt, in unserm zweiten Buch und dessen Ergänzungen, zumal aber in meiner Schrift, »Ueber den Willen in der Natur«, die Einsicht in das innere Wesen der anscheinenden Zweckmäßigkeit und der Harmonie und Zusammenstimmung der gesammten Natur vielleicht heller und tiefer geworden ist. Daher ich hier nichts weiter darüber zu sagen habe. –

Der Leser, welchen diese Kritik der Kantischen Philosophie interessirt, unterlasse nicht, in der zweiten Abhandlung des ersten Bandes meiner Parerga und Paralipomena die unter der Ueberschrift »Noch einige Erläuterungen zur Kantischen Philosophie« gelieferte Ergänzung derselben zu lesen. Denn man muß erwägen, daß meine Schriften, so wenige ihrer auch sind, nicht alle zugleich, sondern successiv, im Laufe eines langen Lebens und mit weiten Zwischenräumen abgefaßt sind; demnach man nicht erwarten darf, daß Alles, was ich über einen Gegenstand gesagt habe, auch an Einem Orte zusammen stehe.