Die Vorstellung unterworfen dem Satze vom Grunde: das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft.

Sors de l'enfance, ami, réveille-toi!

Jean-Jacques Rousseau

§ 1

»Die Welt ist meine Vorstellung:« – dies ist die Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt; wiewohl der Mensch allein sie in das reflektirte abstrakte Bewußtseyn bringen kann: und thut er dies wirklich; so ist die philosophische Besonnenheit bei ihm eingetreten. Es wird ihm dann deutlich und gewiß, daß er keine Sonne kennt und keine Erde; sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde fühlt; daß die Welt, welche ihn umgiebt, nur als Vorstellung daist, d.h. durchweg nur in Beziehung auf ein Anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist. – Wenn irgendeine Wahrheit a priori ausgesprochen werden kann, so ist es diese: denn sie ist die Aussage derjenigen Form aller möglichen und erdenklichen Erfahrung, welche allgemeiner, als alle andern, als Zeit, Raum und Kausalität ist: denn alle diese setzen jene eben schon voraus, und wenn jede dieser Formen, welche alle wir als so viele besondere Gestaltungen des Satzes vom Grunde erkannt haben, nur für eine besondere Klasse von Vorstellungen gilt; so ist dagegen das Zerfallen in Objekt und Subjekt die gemeinsame Form aller jener Klassen, ist diejenige Form, unter welcher allein irgend eine Vorstellung, welcher Art sie auch sei, abstrakt oder intuitiv, rein oder empirisch, nur überhaupt möglich und denkbar ist. Keine Wahrheit ist also gewisser, von allen andern unabhängiger und eines Beweises weniger bedürftig, als diese, daß Alles, was für die Erkenntniß daist, also die ganze Welt, nur Objekt in Beziehung auf das Subjekt ist, Anschauung des Anschauenden, mit Einem Wort, Vorstellung. Natürlich gilt Dieses, wie von der Gegenwart, so auch von jeder Vergangenheit und jeder Zukunft, vom Fernsten, wie vom Nahen: denn es gilt von Zeit und Raum selbst, in welchen allein sich dieses alles unterscheidet. Alles, was irgend zur Welt gehört und gehören kann, ist unausweichbar mit diesem Bedingtseyn durch das Subjekt behaftet, und ist nur für das Subjekt da. Die Welt ist Vorstellung.

Neu ist diese Wahrheit keineswegs. Sie lag schon in den skeptischen Betrachtungen, von welchen Cartesius ausgieng. Berkeley aber war der erste, welcher sie entschieden aussprach: er hat sich dadurch ein unsterbliches Verdienst um die Philosophie erworben, wenn gleich das Uebrige seiner Lehren nicht bestehn kann. Kants erster Fehler war die Vernachlässigung dieses Satzes, wie im Anhange ausgeführt ist. – Wie früh hingegen diese Grundwahrheit von den Weisen Indiens erkannt worden ist, indem sie als der Fundamentalsatz der dem Vyasa zugeschriebenen Vedantaphilosophie auftritt, bezeugt W. Jones, in der letzten seiner Abhandlungen: on the philosophy of the Asiatics; Asiatic researches, Vol. IV, p. 164: the fundamental tenet of the Vedanta school consisted not in denying the existence of matter, that is of solidity, impenetrability, and extended figure (to deny which would be lunacy), but in correcting the popular notion of it, and in contending that it has no essence independent of mental perception; that existence and perceptibility are convertible terms5. Diese Worte drücken das Zusammenbestehn der empirischen Realität mit der transscendentalen Idealität hinlänglich aus.

Also nur von der angegebenen Seite, nur sofern sie Vorstellung ist, betrachten wir die Welt in diesem ersten Buche. Daß jedoch diese Betrachtung, ihrer Wahrheit unbeschadet, eine einseitige, folglich durch irgendeine willkürliche Abstraktion hervorgerufen ist, kündigt Jedem das innere Widerstreben an, mit welchem er die Welt als seine bloße Vorstellung annimmt; welcher Annahme er sich andererseits doch nimmermehr entziehn kann. Die Einseitigkeit dieser Betrachtung aber wird das folgende Buch ergänzen, durch eine Wahrheit, welche nicht so unmittelbar gewiß ist, wie die, von der wir hier ausgehn; sondern zu welcher nur tiefere Forschung, schwierigere Abstraktion, Trennung des Verschiedenen und Vereinigung des Identischen führen kann, – durch eine Wahrheit, welche sehr ernst und Jedem, wo nicht furchtbar, doch bedenklich seyn muß, nämlich diese, daß eben auch er sagen kann und sagen muß: »Die Welt ist mein Wille.« –

Bis dahin aber, also in diesem ersten Buch, ist es nöthig, unverwandt diejenige Seite der Welt zu betrachten, von welcher wir ausgehn, die Seite der Erkennbarkeit, und demnach, ohne Widerstreben, alle irgend vorhandenen Objekte, ja sogar den eigenen Leib (wie wir bald näher erörtern werden) nur als Vorstellung zu betrachten, bloße Vorstellung zu nennen. Das, wovon hiebei abstrahirt wird, ist, wie später hoffentlich Jedem gewiß seyn wird, immer nur der Wille, als welcher allein die andere Seite der Welt ausmacht: denn diese ist, wie einerseits durch und durch Vorstellung, so andererseits durch und durch Wille. Eine Realität aber, die keines von diesen Beiden wäre, sondern ein Objekt an sich (zu welcher auch Kants Ding an sich ihm leider unter den Händen ausgeartet ist), ist ein erträumtes Unding und dessen Annahme ein Irrlicht in der Philosophie.

§ 2

Dasjenige, was Alles erkennt und von Keinem erkannt wird, ist das Subjekt. Es ist sonach der Träger der Welt, die durchgängige, stets vorausgesetzte Bedingung alles Erscheinenden, alles Objekts: denn nur für das Subjekt ist, was nur immer daist. Als dieses Subjekt findet Jeder sich selbst, jedoch nur sofern er erkennt, nicht sofern er Objekt der Erkenntniß ist. Objekt ist aber schon sein Leib, welchen selbst wir daher, von diesem Standpunkt aus, Vorstellung nennen. Denn der Leib ist Objekt unter Objekten und den Gesetzen der Objekte unterworfen, obwohl er unmittelbares Objekt ist6. Er liegt, wie alle Objekte der Anschauung, in den Formen alles Erkennens, in Zeit und Raum, durch welche die Vielheit ist. Das Subjekt aber, das Erkennende, nie Erkannte, liegt auch nicht in diesen Formen, von denen selbst es vielmehr immer schon vorausgesetzt wird: ihm kommt also weder Vielheit, noch deren Gegensatz, Einheit, zu. Wir erkennen es nimmer, sondern es eben ist es, das erkennt, wo nur erkannt wird.

Die Welt als Vorstellung also, in welcher Hinsicht allein wir sie hier betrachten, hat zwei wesentliche, nothwendige und untrennbare Hälften. Die eine ist das Objekt: dessen Form ist Raum und Zeit, durch diese die Vielheit. Die andere Hälfte aber, das Subjekt, liegt nicht in Raum und Zeit: denn sie ist ganz und ungetheilt in jedem vorstellenden Wesen; daher ein einziges von diesen, eben so vollständig, als die vorhandenen Millionen, mit dem Objekt die Welt als Vorstellung ergänzt: verschwände aber auch jenes einzige; so wäre die Welt als Vorstellung nicht mehr. Diese Hälften sind daher unzertrennlich, selbst für den Gedanken: denn jede von beiden hat nur durch und für die andere Bedeutung und Daseyn, ist mit ihr da und verschwindet mit ihr. Sie begränzen sich unmittelbar: wo das Objekt anfängt, hört das Subjekt auf. Die Gemeinschaftlichkeit dieser Gränze zeigt sich eben darin, daß die wesentlichen und daher allgemeinen Formen alles Objekts, welche Zeit, Raum und Kausalität sind, auch ohne die Erkenntniß des Objekts selbst, vom Subjekt ausgehend gefunden und vollständig erkannt werden können, d.h. in Kants Sprache, a priori in unserm Bewußtseyn liegen. Dieses entdeckt zu haben, ist ein Hauptverdienst Kants und ein sehr großes. Ich behaupte nun überdies, daß der Satz vom Grunde der gemeinschaftliche Ausdruck für alle diese uns a priori bewußten Formen des Objekts ist, und daß daher Alles, was wir rein a priori wissen, nichts ist, als eben der Inhalt jenes Satzes und was aus diesem folgt, in ihm also eigentlich unsere ganze a priori gewisse Erkenntniß ausgesprochen ist. In meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde habe Ich ausführlich gezeigt, wie jedes irgend mögliche Objekt demselben unterworfen ist, d.h. in einer nothwendigen Beziehung zu andern Objekten steht, einerseits als bestimmt, andererseits als bestimmend: dies geht so weit, daß das ganze Daseyn aller Objekte, sofern sie Objekte, Vorstellungen und nichts anderes sind, ganz und gar zurückläuft auf jene ihre nothwendige Beziehung zu einander, nur in solcher besteht, also gänzlich relativ ist: wovon bald ein Mehreres. Ich habe ferner gezeigt, daß, gemäß den Klassen, in welche die Objekte ihrer Möglichkeit nach zerfallen, jene nothwendige Beziehung, welche der Satz vom Grunde im Allgemeinen ausdrückt, in andern Gestalten erscheint; wodurch wiederum die richtige Eintheilung jener Klassen sich bewährt. Ich setze hier beständig alles dort Gesagte als bekannt und dem Leser gegenwärtig voraus: denn es würde, wenn es nicht schon gesagt wäre, hier seine nothwendige Stelle haben.

§ 3

Der Hauptunterschied zwischen allen unsern Vorstellungen ist der des Intuitiven und Abstrakten. Letzteres macht nur eine Klasse von Vorstellungen aus, die Begriffe: und diese sind auf der Erde allein das Eigenthum des Menschen, dessen ihn von allen Thieren unterscheidende Fähigkeit zu denselben von jeher Vernunft genannt worden ist7. Wir werden weiterhin diese abstrakten Vorstellungen für sich betrachten, zuvörderst aber ausschließlich von der intuitiven Vorstellung reden. Diese nun befaßt die ganze sichtbare Welt, oder die gesammte Erfahrung, nebst den Bedingungen der Möglichkeit derselben. Es ist, wie gesagt, eine sehr wichtige Entdeckung Kants, daß eben diese Bedingungen, diese Formen derselben, d.h. das Allgemeinste in ihrer Wahrnehmung, das allen ihren Erscheinungen auf gleiche Weise Eigene, Zeit und Raum, auch für sich und abgesondert von ihrem Inhalt, nicht nur in abstracto gedacht, sondern auch unmittelbar angeschaut werden kann, und daß diese Anschauung nicht etwan ein durch Wiederholung von der Erfahrung entlehntes Phantasma ist, sondern so sehr unabhängig von der Erfahrung, daß vielmehr umgekehrt diese als von jener abhängig gedacht werden muß, indem die Eigenschaften des Raumes und der Zeit, wie sie die Anschauung a priori erkennt, für alle mögliche Erfahrung als Gesetze gelten, welchen gemäß diese überall ausfallen muß. Dieserhalb habe ich, in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde, Zeit und Raum, sofern sie rein und inhaltsleer angeschaut werden, als eine besondere und für sich bestehende Klasse von Vorstellungen betrachtet. So wichtig nun auch diese von Kant entdeckte Beschaffenheit jener allgemeinen Formen der Anschauung ist, daß sie nämlich für sich und unabhängig von der Erfahrung anschaulich und ihrer ganzen Gesetzmäßigkeit nach erkennbar sind, worauf die Mathematik mit ihrer Unfehlbarkeit beruht; so ist es doch eine nicht minder beachtungswerthe Eigenschaft derselben, daß der Satz vom Grunde, der die Erfahrung als Gesetz der Kausalität und Motivation, und das Denken als Gesetz der Begründung der Urtheile bestimmt, hier in einer ganz eigenthümlichen Gestalt auftritt, der ich den Namen Grund des Seyns gegeben habe, und welche in der Zeit die Folge ihrer Momente, und im Raum die Lage seiner sich ins Unendliche wechselseitig bestimmenden Theile ist.

Wem aus der einleitenden Abhandlung die vollkommene Identität des Inhalts des Satzes vom Grunde, bei aller Verschiedenheit seiner Gestalten, deutlich geworden ist, der wird auch überzeugt seyn, wie wichtig zur Einsicht in sein Innerstes Wesen gerade die Erkenntniß der einfachsten seiner Gestaltungen, als solcher, ist, und für diese haben wir die Zeit erkannt. Wie in ihr jeder Augenblick nur ist, sofern er den vorhergehenden, seinen Vater, vertilgt hat, um selbst wieder eben so schnell vertilgt zu werden; wie Vergangenheit und Zukunft (abgesehn von den Folgen ihres Inhalts) so nichtig als irgend ein Traum sind, Gegenwart aber nur die ausdehnungs- und bestandlose Gränze zwischen Beiden ist; eben so werden wir die selbe Nichtigkeit auch in allen andern Gestalten des Satzes vom Grunde wiedererkennen und einsehn, daß wie die Zeit, so auch der Raum, und wie dieser, so auch Alles, was in ihm und der Zeit zugleich ist, Alles also, was aus Ursachen oder Motiven hervorgeht, nur ein relatives Daseyn hat, nur durch und für ein Anderes, ihm gleichartiges, d.h. wieder nur eben so bestehendes, ist. Das Wesentliche dieser Ansicht ist alt: Herakleitos bejammerte in ihr den ewigen Fluß der Dinge: Plato würdigte ihren Gegenstand herab, als das immerdar Werdende, aber nie Seiende; Spinoza nannte es bloße Accidenzien der allein seienden und bleibenden einzigen Substanz; Kant setzte das so Erkannte als bloße Erscheinung dem Dinge an sich entgegen; endlich die uralte Weisheit der Inder spricht: »Es ist die Maja, der Schleier des Truges, welcher die Augen der Sterblichen umhüllt und sie eine Welt sehn läßt, von der man weder sagen kann, daß sie sei, noch auch, daß sie nicht sei: denn sie gleicht dem Traume, gleicht dem Sonnenglanz auf dem Sande, welchen der Wanderer von ferne für ein Wasser hält, oder auch dem hingeworfenen Strick, den er für eine Schlange ansieht.« (Diese Gleichnisse finden sich in unzähligen Stellen der Veden und Puranas wiederholt.) Was Alle diese aber meinten und wovon sie reden, ist nichts Anderes, als was auch wir jetzt eben betrachten: die Welt als Vorstellung, unterworfen dem Satze des Grundes.

§ 4

Wer die Gestaltung des Satzes vom Grunde, welche in der reinen Zeit als solcher erscheint und auf der alles Zählen und Rechnen beruht, erkannt hat, der hat eben damit auch das ganze Wesen der Zeit erkannt. Sie ist weiter nichts, als eben jene Gestaltung des Satzes vom Grunde, und hat keine andere Eigenschaft. Succession ist die Gestalt des Satzes vom Grunde in der Zeit; Succession ist das ganze Wesen der Zeit. – Wer ferner den Satz vom Grunde, wie er im bloßen rein angeschauten Raum herrscht, erkannt hat, der hat eben damit das ganze Wesen des Raumes erschöpft; da dieser durch und durch nichts Anderes ist, als die Möglichkeit der wechselseitigen Bestimmungen seiner Theile durch einander, welche Lage heißt. Die ausführliche Betrachtung dieser und Niederlegung der sich daraus ergebenden Resultate in abstrakte Begriffe, zu bequemerer Anwendung, ist der Inhalt der ganzen Geometrie, – Eben so nun, wer diejenige Gestaltung des Satzes vom Grunde, welche den Inhalt jener Formen (der Zeit und des Raumes), ihre Wahrnehmbarkeit, d.i. die Materie, beherrscht, also das Gesetz der Kausalität erkannt hat; der hat eben damit das ganze Wesen der Materie als solcher erkannt: denn diese ist durch und durch nichts als Kausalität, welches Jeder unmittelbar einsieht, sobald er sich besinnt. Ihr Seyn nämlich ist ihr Wirken: kein anderes Seyn derselben ist auch nur zu denken möglich. Nur als wirkend füllt sie den Raum, füllt sie die Zeit: ihre Einwirkung auf das unmittelbare Objekt (das selbst Materie ist) bedingt die Anschauung, in der sie allein existirt: die Folge der Einwirkung jedes andern materiellen Objekts auf ein anderes wird nur erkannt, sofern das letztere jetzt anders als zuvor auf das unmittelbare Objekt einwirkt, besteht nur darin. Ursache und Wirkung ist also das ganze Wesen der Materie: ihr Seyn ist ihr Wirken. (Das Nähere hierüber in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 21, S. 77.) Höchst treffend ist daher im Deutschen der Inbegriff alles Materiellen Wirklichkeit genannt8, welches Wort viel bezeichnender ist, als Realität. Das, worauf sie wirkt, ist allemal wieder Materie: ihr ganzes Seyn und Wesen besteht also nur in der gesetzmäßigen Veränderung, die ein Theil derselben im andern hervorbringt, ist folglich gänzlich relativ, nach einer nur innerhalb ihrer Gränzen geltenden Relation, also eben wie die Zeit, eben wie der Raum.

Zeit aber und Raum, jedes für sich, sind auch ohne die Materie anschaulich vorstellbar; die Materie aber nicht ohne jene. Schon die Form, welche von ihr unzertrennlich ist, setzt den Raum voraus, und ihr Wirken, in welchem ihr ganzes Daseyn besteht, betrifft immer eine Veränderung, also eine Bestimmung der Zeit. Aber Zeit und Raum werden nicht bloß jedes für sich von der Materie vorausgesetzt; sondern eine Vereinigung Beider macht ihr Wesen aus, eben weil dieses, wie gezeigt, im Wirken, in der Kausalität, besteht. Alle gedenkbaren, unzähligen Erscheinungen und Zustände nämlich könnten im unendlichen Raum, ohne sich zu beengen, neben einander liegen, oder auch in der unendlichen Zeit, ohne sich zu stören, auf einander folgen; daher dann eine nothwendige Beziehung derselben auf einander und eine Regel, welche sie dieser gemäß bestimmte, keineswegs nöthig, ja nicht ein Mal anwendbar wäre: folglich gäbe es alsdann, bei allem Nebeneinander im Raum und allem Wechsel in der Zeit, so lange jede dieser beiden Formen für sich, und ohne Zusammenhang mit der andern ihren Bestand und Lauf hätte, noch gar keine Kausalität, und da diese das eigentliche Wesen der Materie ausmacht, auch keine Materie. – Nun aber erhält das Gesetz der Kausalität seine Bedeutung und Nothwendigkeit allein dadurch, daß das Wesen der Veränderung nicht im bloßen Wechsel der Zustände an sich, sondern vielmehr darin besteht, daß an dem selben Ort im Raum jetzt ein Zustand ist und darauf ein anderer, und zu einer und der selben bestimmten Zeit hier dieser Zustand und dort jener: nur diese gegenseitige Beschränkung der Zeit und des Raums durch einander giebt einer Regel, nach der die Veränderung vorgehn muß, Bedeutung und zugleich Nothwendigkeit. Was durch das Gesetz der Kausalität bestimmt wird, ist also nicht die Succession der Zustände in der bloßen Zeit, sondern diese Succession in Hinsicht auf einen bestimmten Raum, und nicht das Daseyn der Zustände an einem bestimmten Ort, sondern an diesem Ort zu einer bestimmten Zeit. Die Veränderung, d. h, der nach dem Kausalgesetz eintretende Wechsel, betrifft also jedesmal einen bestimmten Theil des Raumes und einen bestimmten Theil der Zeit zugleich und im Verein. Demzufolge vereinigt die Kausalität den Raum mit der Zeit. Wir haben aber gefunden, daß im Wirken, also in der Kausalität, das ganze Wesen der Materie besteht: folglich müssen auch in dieser Raum und Zeit vereinigt seyn, d.h. sie muß die Eigenschaften der Zeit und die des Raumes, so sehr sich Beide widerstreiten, zugleich an sich tragen, und was in jedem von jenen Beiden für sich unmöglich ist, muß sie in sich vereinigen, also die bestandlose Flucht der Zeit mit dem starren unveränderlichen Beharren des Raumes, die unendliche Theilbarkeit hat sie von Beiden. Diesem gemäß finden wir durch sie zuvörderst das Zugleichseyn herbeigeführt, welches weder in der bloßen Zeit, die kein Nebeneinander, noch im bloßen Raum, der kein Vor, Nach oder Jetzt kennt, seyn konnte. Das Zugleichseyn vieler Zustände aber macht eigentlich das Wesen der Wirklichkeit aus: denn durch dasselbe wird allererst die Dauer möglich, indem nämlich diese nur erkennbar ist an dem Wechsel des mit dem Dauernden zugleich Vorhandenen; aber auch nur mittelst des Dauernden im Wechsel erhält dieser jetzt den Charakter der Veränderung, d.h. des Wandels der Qualität und Form, beim Beharren der Substanz, d.i. der Materie9. Im bloßen Raum wäre die Welt starr und unbeweglich: kein Nacheinander, keine Veränderung, kein Wirken: eben mit dem Wirken ist aber auch die Vorstellung der Materie aufgehoben. In der bloßen Zeit wiederum wäre alles flüchtig: kein Beharren, kein Nebeneinander und daher kein Zugleich, folglich keine Dauer: also wieder auch keine Materie. Erst durch die Vereinigung von Zeit und Raum erwächst die Materie, d.i. die Möglichkeit des Zugleichseyns und dadurch der Dauer, durch diese wieder des Beharrens der Substanz, bei der Veränderung der Zustände10. Im Verein von Zeit und Raum ihr Wesen habend, trägt die Materie durchweg das Gepräge von Beiden. Sie beurkundet ihren Ursprung aus dem Raum, theils durch die Form, die von ihr unzertrennlich ist, besonders aber (weil der Wechsel allein der Zeit angehört, in dieser allein und für sich aber nichts Bleibendes ist) durch ihr Beharren (Substanz), dessen Gewißheit a priori daher ganz und gar von der des Raumes abzuleiten ist11: ihren Ursprung aus der Zeit aber offenbart sie an der Qualität (Accidenz), ohne die sie nie erscheint, und welche schlechthin immer Kausalität, Wirken auf andere Materie, also Veränderung (ein Zeitbegriff) ist. Die Gesetzmäßigkeit dieses Wirkens aber bezieht sich immer auf Raum und Zeit zugleich und hat eben nur dadurch Bedeutung. Was für ein Zustand zu dieser Zeit an diesem Ort eintreten muß, ist die Bestimmung, auf welche ganz allein die Gesetzgebung der Kausalität sich erstreckt. Auf dieser Ableitung der Grundbestimmungen der Materie aus den uns a priori bewußten Formen unserer Erkenntniß beruht es, daß wir ihr gewisse Eigenschaften a priori zuerkennen, nämlich Raumerfüllung, d.i. Undurchdringlichkeit, d.i. Wirksamkeit, sodann Ausdehnung, unendliche Theilbarkeit, Beharrlichkeit, d.h. Unzerstörbarkeit, und endlich Beweglichkeit: hingegen ist die Schwere, ihrer Ausnahmslosigkeit ungeachtet, doch wohl der Erkenntniß a posteriori beizuzählen, obgleich Kant in den »Metaphys. Anfangsgr. d. Naturwiss.«, S. 71 (Rosenkranz. Ausg., S. 372) sie als a priori erkennbar aufstellt.

Wie aber das Objekt überhaupt nur für das Subjekt daist, als dessen Vorstellung; so ist jede besondere Klasse von Vorstellungen nur für eine eben so besondere Bestimmung im Subjekt da, die man ein Erkenntnißvermögen nennt. Das subjektive Korrelat von Zeit und Raum für sich, als leere Formen, hat Kant reine Sinnlichkeit genannt, welcher Ausdruck, weil Kant hier die Bahn brach, beibehalten werden mag; obgleich er nicht recht paßt, da Sinnlichkeit schon Materie voraussetzt. Das subjektive Korrelat der Materie oder der Kausalität, denn Beide sind Eines, ist der Verstand, und er ist nichts außerdem. Kausalität erkennen ist seine einzige Funktion, seine alleinige Kraft, und es ist eine große, Vieles umfassende, von mannigfaltiger Anwendung, doch unverkennbarer Identität aller ihrer Äußerungen. Umgekehrt ist alle Kausalität, also alle Materie, mithin die ganze Wirklichkeit, nur für den Verstand, durch den Verstand, im Verstande. Die erste, einfachste, stets vorhandene Aeußerung des Verstandes ist die Anschauung der wirklichen Welt: diese ist durchaus Erkenntniß der Ursache aus der Wirkung: daher ist alle Anschauung intellektual. Es könnte dennoch nie zu ihr kommen, wenn nicht irgend eine Wirkung unmittelbar erkannt würde und dadurch zum Ausgangspunkte diente. Dieses aber ist die Wirkung auf die thierischen Leiber. Insofern sind diese die unmittelbaren Objekte des Subjekts: die Anschauung aller andern Objekte ist durch sie vermittelt. Die Veränderungen, welche jeder thierische Leib erfährt, werden unmittelbar erkannt, d.h. empfunden, und indem sogleich diese Wirkung auf ihre Ursache bezogen wird, entsteht die Anschauung der letzteren als eines Objekts. Diese Beziehung ist kein Schluß in abstrakten Begriffen, geschieht nicht durch Reflexion, nicht mit Willkür, sondern unmittelbar, nothwendig und sicher. Sie ist die Erkenntnißweise des reinen Verstandes, ohne welchen es nie zur Anschauung käme; sondern nur ein dumpfes, pflanzenartiges Bewußtsein der Veränderungen des unmittelbaren Objekts übrig bliebe, die völlig bedeutungslos auf einander folgten, wenn sie nicht etwan als Schmerz oder Wollust eine Bedeutung für den Willen hätten. Aber wie mit dem Eintritt der Sonne die sichtbare Welt dasteht; so verwandelt der Verstand mit einem Schlage, durch seine einzige, einfache Funktion, die dumpfe, nichtssagende Empfindung in Anschauung. Was das Auge, das Ohr, die Hand empfindet, ist nicht die Anschauung: es sind bloße Data. Erst indem der Verstand von der Wirkung auf die Ursache übergeht, steht die Welt da, als Anschauung im Raume ausgebreitet, der Gestalt nach wechselnd, der Materie nach durch alle Zeit beharrend: denn er vereinigt Raum und Zeit in der Vorstellung Materie, d.i. Wirksamkeit. Diese Welt als Vorstellung ist, wie nur durch den Verstand, auch nur für den Verstand da. Im ersten Kapitel meiner Abhandlung »Ueber das Sehn und die Farben« habe ich bereits auseinandergesetzt, wie aus den Datis, welche die Sinne liefern, der Verstand die Anschauung schafft, wie durch Vergleichung der Eindrücke, welche vom nämlichen Objekt die verschiedenen Sinne erhalten, das Kind die Anschauung erlernt, wie eben nur dieses den Aufschluß über so viele Sinnenphänomene giebt, über das einfache Sehn mit zwei Augen, über das Doppeltsehn beim Schielen, oder bei ungleicher Entfernung hinter einander stehender Gegenstände, die man zugleich ins Auge faßt, und über allen Schein, welcher durch eine plötzliche Veränderung an den Sinneswerkzeugen hervorgebracht wird. Viel ausführlicher und gründlicher jedoch habe ich diesen wichtigen Gegenstand behandelt in der zweiten Auflage der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 21. Alles daselbst Gesagte hätte hier seine nothwendige Stelle, müßte also eigentlich hier nochmals gesagt werden: da Ich Indessen fast so viel Widerwillen habe, mich selbst, als Andere abzuschreiben, auch nicht im Stande bin, es besser, als dort geschehn, darzustellen; so verweise ich darauf, statt es hier zu wiederholen, setze es nun aber auch als bekannt voraus.

Das Sehnlernen der Kinder und operirter Blindgebornen, das einfache Sehn des doppelt, mit zwei Augen, Empfundenen, das Doppeltsehn und Doppelttasten bei der Verrückung der Sinneswerkzeuge aus ihrer gewöhnlichen Lage, die aufrechte Erscheinung der Gegenstände, während ihr Bild im Auge verkehrt steht, das Uebertragen der Farbe, welche bloß eine innere Funktion, eine polarische Theilung der Thätigkeit des Auges ist, auf die äußern Gegenstände, und endlich auch das Stereoskop – dies Alles sind feste und unwiderlegliche Beweise davon, daß alle Anschauung nicht bloß sensual, sondern intellektual, d.h. reine Verstandeserkenntniß der Ursache aus der Wirkung ist, folglich das Gesetz der Kausalität voraussetzt, von dessen Erkenntniß alle Anschauung, mithin alle Erfahrung, ihrer ersten und ganzen Möglichkeit nach, abhängt, nicht umgekehrt die Erkenntniß des Kausalgesetzes von der Erfahrung, welches letztere der Humische Skepticismus war, der erst hiedurch widerlegt ist. Denn die Unabhängigkeit der Erkenntniß der Kausalität von aller Erfahrung, d.h. ihre Apriorität, kann allein dargethan werden aus der Abhängigkeit aller Erfahrung von ihr: und dieses wieder kann allein geschehn, indem man auf die hier angegebene und an den soeben bezeichneten Stellen ausgeführte Art nachweist, daß die Erkenntniß der Kausalität in der Anschauung überhaupt, in deren Gebiet alle Erfahrung liegt, schon enthalten ist, also völlig a priori in Hinsicht auf die Erfahrung besteht, von ihr als Bedingung vorausgesetzt wird, nicht sie voraussetzt: nicht aber kann dasselbe dargethan werden auf die von Kant versuchte und von mir in der Abhandlung über den Satz vom Grunde § 23 kritisirte Weise.

§ 5

Man hüte sich aber vor dem großen Mißverständniß, daß, weil die Anschauung durch die Erkenntniß der Kausalität vermittelt ist, deswegen zwischen Objekt und Subjekt das Verhältniß von Ursache und Wirkung bestehe; da vielmehr dasselbe immer nur zwischen unmittelbarem und vermitteltem Objekt, also immer nur zwischen Objekten Statt findet. Eben auf jener falschen Voraussetzung beruht der thörichte Streit über die Realität der Außenwelt, in welchem sich Dogmatismus und Skepticismus gegenüberstehn und jener bald als Realismus, bald als Idealismus auftritt. Der Realismus setzt das Objekt als Ursache, und deren Wirkung ins Subjekt. Der Fichte'sche Idealismus macht das Objekt zur Wirkung des Subjekts. Weil nun aber, was nicht genug eingeschärft werden kann, zwischen Subjekt und Objekt gar kein Verhältniß nach dem Satz vom Grunde Statt findet; so konnte auch weder die eine, noch die andere der beiden Behauptungen je bewiesen werden, und der Skepticismus machte auf beide siegreiche Angriffe. – Wie nämlich das Gesetz der Kausalität schon, als Bedingung, der Anschauung und Erfahrung vorhergeht, daher nicht aus diesen (wie Hume meinte) gelernt seyn kann; so gehn Objekt und Subjekt, schon als erste Bedingung, aller Erkenntniß, daher auch dem Satz vom Grunde überhaupt, vorher, da dieser nur die Form alles Objekts, die durchgängige Art und Weise seiner Erscheinung ist; das Objekt aber immer schon das Subjekt voraussetzt: zwischen Beiden also kann kein Verhältniß von Grund und Folge seyn. Meine Abhandlung über den Satz vom Grunde soll eben dieses leisten, daß sie den Inhalt jenes Satzes als die wesentliche Form alles Objekts, d.h. als die allgemeine Art und Weise alles Objektseyns darstellt, als etwas, das dem Objekt als solchem zukommt: als solches aber setzt das Objekt überall das Subjekt voraus, als sein nothwendiges Korrelat: dieses bleibt also immer außerhalb des Gebietes der Gültigkeit des Satzes vom Grunde. Der Streit über die Realität der Außenwelt beruht eben auf jener falschen Ausdehnung der Gültigkeit des Satzes vom Grunde auch auf das Subjekt, und von diesem Mißverständnisse ausgehend konnte er sich selbst nie verstehn. Einerseits will der realistische Dogmatismus, die Vorstellung als Wirkung des Objekts betrachtend, diese Beiden, Vorstellung und Objekt, die eben Eines sind, trennen und eine von der Vorstellung ganz verschiedene Ursache annehmen, ein Objekt an sich, unabhängig vom Subjekt: etwas völlig Undenkbares: denn eben schon als Objekt setzt es immer wieder das Subjekt voraus und bleibt daher immer nur dessen Vorstellung. Ihm stellt der Skepticismus, unter der selben falschen Voraussetzung, entgegen, daß man in der Vorstellung immer nur die Wirkung habe, nie die Ursache, also nie das Seyn, immer nur das Wirken der Objekte kenne; dieses aber mit jenem vielleicht gar keine Aehnlichkeit haben möchte, ja wohl gar überhaupt ganz fälschlich angenommen würde, da das Gesetz der Kausalität erst aus der Erfahrung angenommen sei, deren Realität nun wieder darauf beruhen soll. – Hierauf nun gehört Beiden die Belehrung, erstlich, daß Objekt und Vorstellung das Selbe sind; dann, daß das Seyn der anschaulichen Objekte eben ihr Wirken ist, daß eben in diesem des Dinges Wirklichkeit besteht, und die Forderung des Daseyns des Objekts außer der Vorstellung des Subjekts und auch eines Seyns des wirklichen Dinges verschieden von seinem Wirken, gar keinen Sinn hat und ein Widerspruch ist; daß daher die Erkenntniß der Wirkungsart eines angeschauten Objekts eben auch es selbst erschöpft, sofern es Objekt, d.h. Vorstellung ist, da außerdem für die Erkenntniß nichts an ihm übrig bleibt. Insofern ist also die angeschaute Welt in Raum und Zeit, welche sich als lauter Kausalität kund giebt, vollkommen real, und ist durchaus das, wofür sie sich giebt, und sie giebt sich ganz und ohne Rückhalt, als Vorstellung, zusammenhängend nach dem Gesetz der Kausalität. Dieses ist ihre empirische Realität. Andererseits aber ist alle Kausalität nur im Verstande und für den Verstand, jene ganze wirkliche, d.i. wirkende Welt ist also als solche immer durch den Verstand bedingt und ohne ihn nichts. Aber nicht nur dieserhalb, sondern schon weil überhaupt kein Objekt ohne Subjekt sich ohne Widerspruch denken läßt, müssen wir dem Dogmatiker, der die Realität der Außenwelt als Ihre Unabhängigkeit vom Subjekt erklärt, eine solche Realität derselben schlechthin ableugnen. Die ganze Welt der Objekte ist und bleibt Vorstellung, und eben deswegen durchaus und in alle Ewigkeit durch das Subjekt bedingt: d.h. sie hat transscendentale Idealität. Sie ist aber dieserwegen nicht Lüge, noch Schein: sie giebt sich als das, was sie ist, als Vorstellung, und zwar als eine Reihe von Vorstellungen, deren gemeinschaftliches Band der Satz vom Grunde ist. Sie ist als solche dem gesunden Verstande, selbst ihrer Innersten Bedeutung nach, verständlich und redet eine ihm vollkommen deutliche Sprache. Bloß dem durch Vernünfteln verschrobenen Geist kann es einfallen, über ihre Realität zu streiten, welches allemal durch unrichtige Anwendung des Satzes vom Grunde geschieht, der zwar alle Vorstellungen, welcher Art sie auch seien, unter einander verbindet, keineswegs aber diese mit dem Subjekt, oder mit etwas, das weder Subjekt noch Objekt wäre, sondern bloß Grund des Objekts; ein Unbegriff, weil nur Objekte Grund seyn können und zwar immer wieder von Objekten. – Wenn man dem Ursprung dieser Frage nach der Realität der Außenwelt noch genauer nachforscht, so findet man, daß außer jener falschen Anwendung des Satzes vom Grunde auf Das, was außer seinem Gebiete liegt, noch eine besondere Verwechselung seiner Gestalten hinzukommt, nämlich diejenige Gestalt, die er bloß in Hinsicht auf die Begriffe oder abstrakten Vorstellungen hat, wird auf die anschaulichen Vorstellungen, die realen Objekte, übertragen und ein Grund des Erkennens gefordert von Objekten, die keinen andern als einen Grund des Werdens haben können. Ueber die abstrakten Vorstellungen, die zu Urtheilen verknüpften Begriffe, herrscht der Satz vom Grunde allerdings in der Art, daß jedes derselben seinen Werth, seine Gültigkeit, seine ganze Existenz, hier Wahrheit genannt, einzig und allein hat durch die Beziehung des Urtheils auf etwas außer ihm, seinen Erkenntnißgrund, auf welchen also immer zurückgegangen werden muß. Ueber die realen Objekte hingegen, die anschaulichen Vorstellungen, herrscht der Satz vom Grunde nicht als Satz vom Grund des Erkennens, sondern des Werdens, als Gesetz der Kausalität: jedes derselben hat ihm dadurch, daß es geworden ist, d.h. als Wirkung aus einer Ursache hervorgegangen ist, schon seine Schuld abgetragen: die Forderung eines Erkenntnißgrundes hat hier also keine Gültigkeit und keinen Sinn; sondern gehört einer ganz andern Klasse von Objekten an. Daher auch erregt die anschauliche Welt, so lange man bei ihr stehn bleibt, im Betrachter weder Skrupel noch Zweifel: es giebt hier weder Irrthum noch Wahrheit; diese sind ins Gebiet des Abstrakten, der Reflexion gebannt. Hier aber liegt für Sinne und Verstand die Welt offen da, giebt sich mit naiver Wahrheit für Das, was sie ist, für anschauliche Vorstellung, welche gesetzmäßig am Bande der Kausalität sich entwickelt.

So wie wir die Frage nach der Realität der Außenwelt bis hieher betrachtet haben, war sie immer hervorgegangen aus einer bis zum Mißverstehn ihrer selbst gehenden Verirrung der Vernunft, und insofern war die Frage nur durch Aufklärung ihres Inhalts zu beantworten. Sie mußte, nach Erforschung des ganzen Wesens des Satzes vom Grunde, der Relation zwischen Objekt und Subjekt und der eigentlichen Beschaffenheit der sinnlichen Anschauung, sich selbst aufheben, weil ihr eben gar keine Bedeutung mehr blieb. Allein jene Frage hat noch einen andern, von dem bisher angegebenen, rein spekulativen, gänzlich verschiedenen Ursprung, einen eigentlich empirischen, obwohl sie auch so noch immer in spekulativer Absicht aufgeworfen wird, und sie hat in dieser Bedeutung einen viel verständlicheren Sinn, als in jener ersteren, nämlich folgenden: wir haben Träume; ist nicht etwan das ganze Leben ein Traum? – oder bestimmter: giebt es ein sicheres Kriterium zwischen Traum und Wirklichkeit? zwischen Phantasmen und realen Objekten? – Das Vorgeben der geringern Lebhaftigkeit und Deutlichkeit der geträumten, als der wirklichen Anschauung, verdient gar keine Berücksichtigung; da noch Keiner diese beiden zum Vergleich neben einander gehalten hat; sondern man nur die Erinnerung des Traumes vergleichen konnte mit der gegenwärtigen Wirklichkeit. – Kant löst die Frage so: »Der Zusammenhang der Vorstellungen unter sich nach dem Gesetze der Kausalität unterscheidet das Leben vom Traum.« – Aber auch im Traume hängt alles Einzelne ebenfalls nach dem Satz vom Grunde in allen seinen Gestalten zusammen, und dieser Zusammenhang bricht bloß ab zwischen dem Leben und dem Traume und zwischen den einzelnen Träumen, Kants Antwort könnte daher nur noch so lauten: der lange Traum (das Leben) hat in sich durchgängigen Zusammenhang gemäß dem Satz vom Grunde, nicht aber mit den kurzen Träumen; obgleich jeder von diesen in sich den selben Zusammenhang hat: zwischen diesen und jenem also ist jene Brüche abgebrochen und daran unterscheidet man beide. – Jedoch eine Untersuchung, ob etwas geträumt oder geschehn sei, nach diesem Kriterium anzustellen, wäre sehr schwierig und oft unmöglich; da wir keineswegs im Stande sind, zwischen jeder erlebten Begebenheit und dem gegenwärtigen Augenblick den kausalen Zusammenhang Glied vor Glied zu verfolgen, deswegen aber doch nicht sie für geträumt erklären. Darum bedient man sich im wirklichen Leben, um Traum von Wirklichkeit zu unterscheiden, gemeiniglich nicht jener Art der Untersuchung. Das allein sichere Kriterium zur Unterscheidung des Traumes von der Wirklichkeit ist in der That kein anderes, als das ganz empirische des Erwachens, durch welches allerdings der Kausalzusammenhang zwischen den geträumten Begebenheiten und denen des wachen Lebens ausdrücklich und fühlbar abgebrochen wird. Einen vortrefflichen Beleg hiezu giebt die Bemerkung, welche Hobbes im Leviathan, Kap. 2, macht: nämlich daß wir Träume dann leicht auch hinterher für Wirklichkeit halten, wann wir, ohne es zu beabsichtigen, angekleidet geschlafen haben, vorzüglich aber, wann noch hinzukommt, daß irgend ein Unternehmen, oder Vorhaben, alle unsere Gedanken einnimmt und uns im Traum eben so wie im Wachen beschäftigt: in diesen Fällen wird nämlich das Erwachen fast so wenig als das Einschlafen bemerkt, Traum fließt mit Wirklichkeit zusammen und wird mit ihr vermengt. Dann bleibt freilich nur noch die Anwendung des Kantischen Kriteriums übrig: wenn nun aber nachher, wie es oft der Fall ist, der kausale Zusammenhang mit der Gegenwart, oder dessen Abwesenheit, schlechterdings nicht auszumitteln ist, so muß es auf immer unentschieden bleiben, ob ein Vorfall geträumt oder geschehn sei. – Hier tritt nun in der That die enge Verwandtschaft zwischen Leben und Traum sehr nahe an uns heran: auch wollen wir uns nicht schämen sie einzugestehn, nachdem sie von vielen großen Geistern anerkannt und ausgesprochen worden ist. Die Veden und Puranas wissen für die ganze Erkenntniß der wirklichen Welt, welche sie das Gewebe der Maja nennen, keinen bessern Vergleich und brauchen keinen häufiger, als den Traum. Plato sagt öfter, daß die Menschen nur im Traume leben, der Philosoph allein sich zu wachen bestrebe. Pindaros sagt (II. ê, 135): skias onar anthrôpos (umbrae somnium homo) und Sophokles:

Horô gar hêmas ouden ontas allo, plên

Eidôl', hosoiper zômen, ê kouphên skian.

Ajax 125.

(Nos enim, quicunque vivimus, nihil aliud esse comperio, quam simulacra et levem umbram.)

Neben welchem am würdigsten Shakespeare steht:

We are such stuff

As dreams are made of, and our little life

Is rounded with a sleep. –

Temp. A. 4. Sc 1.12

Endlich war Calderon von dieser Ansicht so tief ergriffen, daß er in einem gewissermaaßen metaphysischen Drama »Das Leben ein Traum« sie auszusprechen suchte.

Nach diesen vielen Dichterstellen möge es nun auch mir vergönnt sein, mich durch ein Gleichniß auszudrücken. Das Leben und die Träume sind Blätter eines und des nämlichen Buches. Das Lesen im Zusammenhang heißt wirkliches Leben. Wann aber die jedesmalige Lesestunde (der Tag) zu Ende und die Erholungszeit gekommen ist, so blättern wir oft noch müßig und schlagen, ohne Ordnung und Zusammenhang, bald hier, bald dort ein Blatt auf: oft ist es ein schon gelesenes, oft ein noch unbekanntes, aber immer aus dem selben Buch. So ein einzeln gelesenes Blatt ist zwar außer Zusammenhang mit der folgerechten Durchlesung: doch steht es hiedurch nicht so gar sehr hinter dieser zurück, wenn man bedenkt, daß auch das Ganze der folgerechten Lektüre eben so aus dem Stegreife anhebt und endigt und sonach nur als ein größeres einzelnes Blatt anzusehn ist.

Obwohl also die einzelnen Träume vom wirklichen Leben dadurch geschieden sind, daß sie in den Zusammenhang der Erfahrung, welcher durch dasselbe stetig geht, nicht mit eingreifen, und das Erwachen diesen Unterschied bezeichnet; so gehört ja doch eben jener Zusammenhang der Erfahrung schon dem wirklichen Leben als seine Form an, und der Traum hat eben so auch einen Zusammenhang in sich dagegen aufzuweisen. Nimmt man nun den Standpunkt der Beurtheilung außerhalb Beider an, so findet sich in ihrem Wesen kein bestimmter Unterschied, und man ist genöthigt, den Dichtern zuzugeben, daß das Leben ein langer Traum sei.

Kehren wir nun von diesem ganz für sich bestehenden, empirischen Ursprung der Frage nach der Realität der Außenwelt zu ihrem spekulativen zurück, so haben wir zwar gefunden, daß dieser liege, erstlich in der falschen Anwendung des Satzes vom Grunde, nämlich auch zwischen Subjekt und Objekt, und sodann wieder in der Verwechselung seiner Gestalten, indem nämlich der Satz vom Grunde des Erkennens auf das Gebiet übertragen wurde, wo der Satz vom Grunde des Werdens gilt: allein dennoch hätte jene Frage schwerlich die Philosophen so anhaltend beschäftigen können, wenn sie ganz ohne allen wahren Gehalt wäre und nicht in ihrem Innersten doch irgend ein richtiger Gedanke und Sinn als ihr eigentlichster Ursprung läge, von welchem man demnach anzunehmen hätte, daß allererst, indem er in die Reflexion trat und seinen Ausdruck suchte, er in jene verkehrten, sich selbst nicht verstehenden Formen und Fragen eingegangen wäre. So ist es, meiner Meinung nach, allerdings; und als den reinen Ausdruck jenes Innersten Sinnes der Frage, welchen sie nicht zu treffen wußte, setze ich diesen: Was ist diese anschauliche Welt noch außerdem, daß sie meine Vorstellung ist? Ist sie, deren ich mir nur ein Mal und zwar als Vorstellung bewußt bin, eben wie mein eigener Leib, dessen ich mir doppelt bewußt bin, einerseits Vorstellung, andererseits Wille? – Die deutlichere Erklärung und die Bejahung dieser Frage wird der Inhalt des zweiten Buches seyn, und die Folgesätze aus ihr werden den übrigen Theil dieser Schrift einnehmen.

§ 6

Inzwischen betrachten wir für jetzt, in diesem ersten Buch, Alles nur als Vorstellung, als Objekt für das Subjekt: und wie alle andern realen Objekte, sehn wir auch den eigenen Leib, von dem das Anschauen der Welt in Jedem ausgeht, bloß von der Seite der Erkennbarkeit an: und er ist uns sonach nur eine Vorstellung. Zwar widerstrebt das Bewußtseyn eines Jeden, welches sich schon gegen das Erklären der andern Objekte für bloße Vorstellungen auflehnte, noch mehr, wenn der eigene Leib bloß eine Vorstellung seyn soll; welches daher kommt, daß Jedem das Ding an sich, sofern es als sein eigener Leib erscheint, unmittelbar, sofern es in den andern Gegenständen der Anschauung sich objektivirt, ihm nur mittelbar bekannt ist. Allein der Gang unserer Untersuchung macht diese Abstraktion, diese einseitige Betrachtungsart, dies gewaltsame Trennen des wesentlich zusammen Bestehenden nothwendig: daher muß jenes Widerstreben einstweilen unterdrückt und beruhigt werden durch die Erwartung, daß die folgenden Betrachtungen die Einseitigkeit der gegenwärtigen ergänzen werden, zur vollständigen Erkenntniß des Wesens der Welt.

Der Leib ist uns also hier unmittelbares Objekt, d.h. diejenige Vorstellung, welche den Ausgangspunkt der Erkenntniß des Subjekts macht, indem sie selbst, mit ihren unmittelbar erkannten Veränderungen, der Anwendung des Gesetzes der Kausalität vorhergeht und so zu dieser die ersten Data liefert. Alles Wesen der Materie besteht, wie gezeigt, in ihrem Wirken. Wirkung und Ursache giebt es aber nur für den Verstand, als welcher nichts weiter, als das subjektive Korrelat derselben ist. Aber der Verstand könnte nie zur Anwendung gelangen, wenn es nicht noch etwas Anderes gäbe, von welchem er ausgeht. Ein solches ist die bloß sinnliche Empfindung, das unmittelbare Bewußtsein der Veränderungen des Leibes, vermöge dessen dieser unmittelbares Objekt ist. Die Möglichkeit der Erkennbarkeit der anschaulichen Welt finden wir demnach in zwei Bedingungen: die erste ist, wenn wir sie objektiv ausdrücken, die Fähigkeit der Körper auf einander zu wirken, Veränderungen in einander hervorzubringen, ohne welche allgemeine Eigenschaft aller Körper auch mittelst der Sensibilität der thierischen doch keine Anschauung möglich würde; wollen wir aber diese nämliche erste Bedingung subjektiv ausdrücken, so sagen wir: der Verstand vor Allem macht die Anschauung möglich: denn nur aus ihm entspringt und für ihn auch nur gilt das Gesetz der Kausalität, die Möglichkeit von Wirkung und Ursache, und nur für Ihn und durch ihn ist daher die anschauliche Welt da. Die zweite Bedingung aber ist die Sensibilität thierischer Leiber, oder die Eigenschaft gewisser Körper, unmittelbar Objekte des Subjekts zu seyn. Die bloßen Veränderungen, welche die Sinnesorgane durch die ihnen specifisch angemessene Einwirkung von außen erleiden, sind nun zwar schon Vorstellungen zu nennen, sofern solche Einwirkungen weder Schmerz noch Wollust erregen, d.h. keine unmittelbare Bedeutung für den Willen haben, und dennoch wahrgenommen werden, also nur für die Erkenntniß dasind: und insofern also sage ich, daß der Leib unmittelbar erkannt wird, unmittelbares Objekt ist; jedoch ist hier der Begriff Objekt nicht ein Mal im eigentlichsten Sinn zu nehmen: denn durch diese unmittelbare Erkenntniß des Leibes, welche der Anwendung des Verstandes vorhergeht und bloße sinnliche Empfindung ist, steht der Leib selbst nicht eigentlich als Objekt da, sondern erst die auf ihn einwirkenden Körper; weil jede Erkenntniß eines eigentlichen Objekts, d.h. einer im Raum anschaulichen Vorstellung, nur durch und für den Verstand ist, also nicht vor, sondern erst nach dessen Anwendung. Daher wird der Leib als eigentliches Objekt, d.h. als anschauliche Vorstellung im Raum, eben wie alle andern Objekte, erst mittelbar, durch Anwendung des Gesetzes der Kausalität auf die Einwirkung eines seiner Theile auf den andern erkannt, also indem das Auge den Leib sieht, die Hand ihn betastet. Folglich wird durch das bloße Gemeingefühl die Gestalt des eigenen Leibes uns nicht bekannt; sondern nur durch die Erkenntniß, nur in der Vorstellung, d.h. nur im Gehirn, stellt auch der eigene Leib allererst sich dar als ein Ausgedehntes, Gegliedertes, Organisches: ein Blindgeborner erhält diese Vorstellung erst allmälig, durch die Data, welche das Getast ihm giebt; ein Blinder ohne Hände würde seine Gestalt nie kennen lernen, oder höchstens aus der Einwirkung anderer Körper auf ihn allmälig dieselbe erschließen und konstruiren. Mit dieser Restriktion also ist es zu verstehn, wenn wir den Leib unmittelbares Objekt nennen.

Uebrigens sind, dem Gesagten zufolge, alle thierischen Leiber unmittelbare Objekte, d.h. Ausgangspunkte der Anschauung der Welt, für das Alles erkennende und eben deshalb nie erkannte Subjekt. Das Erkennen, mit dem durch dasselbe bedingten Bewegen auf Motive, ist daher der eigentliche Charakter der Thierheit, wie die Bewegung auf Reize der Charakter der Pflanze: das Unorganisirte aber hat keine andere Bewegung, als die durch eigentliche Ursachen im engsten Verstande bewirkte; welches Alles ich ausführlicher erörtert habe in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, 2. Aufl., § 20, in der Ethik, erste Abhandl., III, und »Ueber das Sehn und die Farben«, § 1; wohin ich also verweise.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß alle Thiere Verstand haben, selbst die unvollkommensten: denn sie alle erkennen Objekte, und diese Erkenntniß bestimmt als Motiv ihre Bewegungen. – Der Verstand ist in allen Thieren und allen Menschen der nämliche, hat überall die selbe einfache Form: Erkenntniß der Kausalität, Uebergang von Wirkung auf Ursache und von Ursache auf Wirkung, und nichts außerdem. Aber die Grade seiner Schärfe und die Ausdehnung seiner Erkenntnißsphäre sind höchst verschieden, mannigfaltig und vielfach abgestuft, vom niedrigsten Grad, welcher nur das Kausalitätsverhältniß zwischen dem unmittelbaren Objekt und den mittelbaren erkennt, also eben hinreicht, durch den Uebergang von der Einwirkung, welche der Leib erleidet, auf deren Ursache, diese als Objekt im Raum anzuschauen, bis zu den höheren Graden der Erkenntniß des kausalen Zusammenhanges der bloß unmittelbaren Objekte unter einander, welche bis zum Verstehn der zusammengesetztesten Verkettungen von Ursachen und Wirkungen in der Natur geht. Denn auch dieses Letztere gehört immer noch dem Verstande an, nicht der Vernunft, deren abstrakte Begriffe nur dienen können, jenes unmittelbar Verstandene aufzunehmen, zu fixiren und zu verknüpfen, nie das Verstehn selbst hervorzubringen. Jede Naturkraft und Naturgesetz, jeder Fall, in welchem sie sich äußern, muß zuerst vom Verstande unmittelbar erkannt, intuitiv aufgefaßt werden, ehe er in abstracto für die Vernunft ins reflektirte Bewußtseyn treten kann. Intuitive, unmittelbare Auffassung durch den Verstand war R. Hooke's Entdeckung des Gravitationsgesetzes und die Zurückführung so vieler und großer Erscheinungen auf dies eine Gesetz, wie sodann Neuton's Berechnungen solche bewährten; eben das war auch Lavoisier's Entdeckung des Sauerstoffs und seiner wichtigen Rolle in der Natur; eben das Goethes Entdeckung der Entstehungsart physischer Farben. Diese Entdeckungen alle sind nichts Anderes, als ein richtiges unmittelbares Zurückgehn von der Wirkung auf die Ursache, welchem alsbald die Erkenntniß der Identität der in allen Ursachen der selben Art sich äußernden Naturkraft folgt: und diese gesammte Einsicht ist eine bloß dem Grade nach verschiedene Aeußerung der nämlichen und einzigen Funktion des Verstandes, durch welche auch ein Thier die Ursache, welche auf seinen Leib wirkt, als Objekt im Raum anschaut. Daher sind auch jene großen Entdeckungen alle, eben wie die Anschauung und jede Verstandesäußerung, eine unmittelbare Einsicht und als solche das Werk des Augenblicks, ein apperçu, ein Einfall, nicht das Produkt langer Schlußketten in abstracto; welche letztere hingegen dienen, die unmittelbare Verstandeserkenntniß für die Vernunft, durch Niederlegung in ihre abstrakten Begriffe, zu fixiren, d.h. sie deutlich zu machen, d.h. sich in den Stand zu setzen, sie Andern zu deuten, zu bedeuten. – Jene Schärfe des Verstandes im Auffassen der kausalen Beziehungen der mittelbar erkannten Objekte findet ihre Anwendung nicht allein in der Naturwissenschaft (deren sämmtliche Entdeckungen ihr zu verdanken sind); sondern auch im praktischen Leben, wo sie Klugheit heißt; da sie hingegen in der ersteren Anwendung besser Scharfsinn, Penetration und Sagacität genannt wird: genau genommen bezeichnet Klugheit ausschließlich den im Dienste des Willens stehenden Verstand. Jedoch sind die Gränzen dieser Begriffe nie scharf zu ziehn, da es immer eine und die selbe Funktion des nämlichen, schon bei der Anschauung der Objekte im Raum in jedem Thiere thätigen Verstandes ist, die, in ihrer größten Schärfe, bald in den Erscheinungen der Natur von der gegebenen Wirkung die unbekannte Ursache richtig erforscht und so der Vernunft den Stoff giebt zum Denken allgemeiner Regeln als Naturgesetze; bald, durch Anwendung bekannter Ursachen zu bezweckten Wirkungen, komplicirte sinnreiche Maschinen erfindet; bald, auf Motivation angewendet, entweder feine Intriguen und Machinationen durchschaut und vereitelt, oder aber auch selbst die Motive und die Menschen, welche für jedes derselben empfänglich sind, gehörig stellt, und sie eben nach Belieben, wie Maschinen durch Hebel und Räder, in Bewegung setzt und zu ihren Zwecken leitet. – Mangel an Verstand heißt im eigentlichen Sinne Dummheit und ist eben Stumpfheit in der Anwendung des Gesetzes der Kausalität, Unfähigkeit zur unmittelbaren Auffassung der Verkettungen von Ursache und Wirkung, Motiv und Handlung. Ein Dummer sieht nicht den Zusammenhang der Naturerscheinungen ein, weder wo sie sich selbst überlassen hervortreten, noch wo sie absichtlich gelenkt, d.h. zu Maschinen dienstbar gemacht sind: dieserhalb glaubt er gern an Zauberei und Wunder. Ein Dummer merkt nicht, daß verschiedene Personen, scheinbar unabhängig von einander, in der That aber in verabredetem Zusammenhange handeln: er läßt sich daher leicht mystificiren und intriguiren: er merkt nicht die verheimlichten Motive gegebener Rathschläge, ausgesprochener Urtheile u.s.w. Immer aber mangelt ihm nur das Eine: Schärfe, Schnelligkeit, Leichtigkeit der Anwendung des Gesetzes der Kausalität, d.i. Kraft des Verstandes. – Das größte und in der zu betrachtenden Rücksicht lehrreiche Beispiel von Dummheit, das mir je vorgekommen, war ein völlig blödsinniger Knabe von etwan elf Jahren, im Irrenhause, der zwar Vernunft hatte, da er sprach und vernahm, aber an Verstand manchem Thiere nachstand: denn er betrachtete, so oft ich kam, ein Brillenglas, das ich am Halse trug und in welchem, durch die Spiegelung, die Fenster des Zimmers und Baumgipfel hinter diesen erschienen: darüber hatte er jedesmal große Verwunderung und Freude, und wurde nicht müde, es mit Erstaunen anzusehn; weil er diese ganz unmittelbare Kausalität der Spiegelung nicht verstand.

Wie bei den Menschen die Grade der Schärfe des Verstandes sehr verschieden sind, so sind sie zwischen den verschiedenen Thiergattungen es wohl noch mehr. Bei allen, selbst denen, welche der Pflanze am nächsten stehn, ist doch so viel Verstand da, als zum Uebergang von der Wirkung im unmittelbaren Objekt zum vermittelten als Ursache, also zur Anschauung, zur Apprehension eines Objekts, hinreicht: denn diese eben macht sie zu Thieren, indem sie ihnen die Möglichkeit giebt einer Bewegung nach Motiven und dadurch des Aufsuchens, wenigstens Ergreifens der Nahrung; statt daß die Pflanzen nur Bewegung auf Reize haben, deren unmittelbare Einwirkung sie abwarten müssen, oder verschmachten, nicht ihnen nachgehn, oder sie ergreifen können. In den vollkommensten Thieren bewundern wir ihre große Sagacität: so beim Hunde, Elephanten, Affen, beim Fuchse, dessen Klugheit Büffon so meisterhaft geschildert hat. An diesen allerklügsten Thieren können wir ziemlich genau abmessen, wie viel der Verstand ohne Beihülfe der Vernunft, d.h. der abstrakten Erkenntniß in Begriffen, vermag: an uns selbst können wir Dieses nicht so erkennen, weil Verstand und Vernunft sich da immer wechselseitig unterstützen. Wir finden deshalb oft die Verstandesäußerungen der Thiere bald über, bald unter unserer Erwartung. Einerseits überrascht uns die Sagacität jenes Elephanten, der, nachdem er auf seiner Reise in Europa schon über viele Brücken gegangen war, sich einst weigert, eine zu betreten, über welche er doch wie sonst den übrigen Zug von Menschen und Pferden gehn sieht, weil sie ihm für sein Gewicht zu leicht gebaut scheint; andererseits wieder wundern wir uns, daß die klugen Orang-Utane das vorgefundene Feuer, an dem sie sich wärmen, nicht durch Nachlegen von Holz unterhalten: ein Beweis, daß dieses schon eine Ueberlegung erfordert, die ohne abstrakte Begriffe nicht zu Stande kommt. Daß die Erkenntniß von Ursache und Wirkung, als die allgemeine Verstandesform, auch sogar a priori den Thieren einwohne, ist zwar schon daraus völlig gewiß, daß sie ihnen, wie uns, die vorhergehende Bedingung aller anschaulichen Erkenntniß der Außenwelt ist: will man jedoch noch einen besonderen Beleg dazu, so betrachte man z.B. nur, wie selbst ein ganz junger Hund nicht wagt vom Tische zu springen, so sehr er es auch wünscht, weil er die Wirkung der Schwere seines Leibes vorhersieht, ohne übrigens diesen besonderen Fall schon aus Erfahrung zu kennen. Wir müssen indessen bei Beurtheilung des Verstandes der Thiere uns hüten, nicht ihm zuzuschreiben, was Aeußerung des Instinkts ist, einer von ihm, wie auch von der Vernunft, gänzlich verschiedenen Eigenschaft, die aber oft der vereinigten Thätigkeit jener Beiden sehr analog wirkt. Die Erörterung desselben gehört jedoch nicht hieher, sondern wird bei Betrachtung der Harmonie oder sogenannten Teleologie der Natur im zweiten Buch ihre Stelle finden: und das 27. Kapitel der Ergänzungen ist ihr eigens gewidmet.

Mangel an Verstand hieß Dummheit; Mangel an Anwendung der Vernunft auf das Praktische werden wir später als Thorheit erkennen: so auch Mangel an Urtheilskraft als Einfalt; endlich stückweisen oder gar gänzlichen Mangel des Gedächtnisses als Wahnsinn. Doch von jedem an seinem Ort. – Das durch die Vernunft richtig Erkannte ist Wahrheit, nämlich ein abstraktes Unheil mit zureichendem Grunde (Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 29 ff.): das durch den Verstand richtig Erkannte ist Realität, nämlich richtiger Uebergang von der Wirkung im unmittelbaren Objekt auf deren Ursache. Der Wahrheit steht der Irrthum als Trug der Vernunft, der Realität der Schein als Trug des Verstandes gegenüber. Die ausführlichere Erörterung von allem Diesem ist im ersten Kapitel meiner Abhandlung über das Sehn und die Farben nachzulesen. – Schein tritt alsdann ein, wann eine und die selbe Wirkung durch zwei gänzlich verschiedene Ursachen herbeigeführt werden kann, deren eine sehr häufig, die andere selten wirkt: der Verstand, der kein Datum hat zu unterscheiden, welche Ursache hier wirkt, da die Wirkung ganz die selbe ist, setzt dann allemal die gewöhnliche Ursache voraus, und weil seine Thätigkeit nicht reflektiv und diskursiv ist, sondern direkt und unmittelbar, so steht solche falsche Ursache als angeschautes Objekt vor uns da, welches eben der falsche Schein ist. Wie auf diese Weise Doppeltsehn und Doppelttasten entstehn, wenn die Sinneswerkzeuge in eine ungewöhnliche Lage gebracht sind, habe ich am angeführten Orte gezeigt und eben damit einen unumstößlichen Beweis gegeben, daß die Anschauung nur durch den Verstand und für den Verstand dasteht. Beispiele von solchem Verstandestruge, oder Schein, sind ferner der ins Wasser getauchte Stab, welcher gebrochen erscheint; die Bilder sphärischer Spiegel, die bei konvexer Oberfläche etwas hinter derselben, bei konkaver weit vor derselben erscheinen: auch gehört hieher die scheinbar größere Ausdehnung des Mondes am Horizont als im Zenith, welche nicht optisch ist; da, wie das Mikrometer beweist, das Auge den Mond im Zenith sogar in einem etwas großem Sehewinkel auffaßt, als am Horizont; sondern der Verstand ist es, welcher als Ursache des schwachem Glanzes des Mondes und aller Sterne am Horizont eine größere Entfernung derselben annimmt, sie wie irdische Gegenstände nach der Luftperspektive schätzend, und daher den Mond am Horizont für sehr viel größer als im Zenith, auch zugleich das Himmelsgewölbe für ausgedehnter am Horizont, also für abgeplattet hält. Die selbe falsch angewandte Schätzung nach der Luftperspektive läßt uns sehr hohe Berge, deren uns allein sichtbarer Gipfel in reiner durchsichtiger Luft liegt, für näher als sie sind, zum Nachtheil ihrer Höhe, halten, z.B. den Montblanc von Salenche aus gesehn. – Und alle solche täuschende Scheine stehn in unmittelbarer Anschauung vor uns da, welche durch kein Räsonnement der Vernunft wegzubringen ist: ein solches kann bloß den Irrthum, d.h. ein Unheil ohne zureichenden Grund, verhüten, durch ein entgegengesetzes wahres, so z.B. in abstracto erkennen, daß nicht die größere Ferne, sondern die trüberen Dünste am Horizont Ursache des schwachem Glanzes von Mond und Sternen sind; aber der Schein bleibt in allen angeführten Fällen, jeder abstrakten Erkenntniß zum Trotz, unverrückbar stehn: denn der Verstand ist von der Vernunft, als einem beim Menschen allein hinzugekommenen Erkenntnißvermögen, völlig und scharf geschieden, und allerdings an sich auch im Menschen unvernünftig. Die Vernunft kann immer nur wissen: dem Verstand allein und frei von ihrem Einfluß bleibt das Anschauen.

§ 7

In Hinsicht auf unsere ganze bisherige Betrachtung ist noch Folgendes wohl zu bemerken. Wir sind in ihr weder vom Objekt noch vom Subjekt ausgegangen; sondern von der Vorstellung, welche jene Beiden schon enthält und voraussetzt; da das Zerfallen in Objekt und Subjekt Ihre erste, allgemeinste und wesentlichste Form ist. Diese Form als solche haben wir daher zuerst betrachtet, sodann (wiewohl hier der Hauptsache nach auf die einleitende Abhandlung verweisend) die andern ihr untergeordneten Formen, Zeit, Raum und Kausalität, welche allein dem Objekt zukommen; jedoch weil sie diesem als solchem wesentlich sind, dem Subjekt aber wieder als solchem das Objekt wesentlich ist, auch vom Subjekt aus gefunden, d.h. a priori erkannt werden können, und insofern als die gemeinschaftliche Gränze Beider anzusehn sind. Sie alle aber lassen sich zurückführen auf einen gemeinschaftlichen Ausdruck, den Satz vom Grunde, wie in der einleitenden Abhandlung ausführlich gezeigt ist.

Dies Verfahren unterscheidet nun unsere Betrachtungsart ganz und gar von allen je versuchten Philosophien, als welche alle entweder vom Objekt oder vom Subjekt ausgiengen, und demnach das eine aus dem andern zu erklären suchten, und zwar nach dem Satz vom Grunde, dessen Herrschaft wir hingegen das Verhältniß zwischen Objekt und Subjekt entziehn, ihr bloß das Objekt lassend. – Man könnte als nicht unter dem angegebenen Gegensatz begriffen die in unsern Tagen entstandene und allgemein bekannt gewordene Identitäts-Philosophie ansehn, sofern dieselbe weder Objekt noch Subjekt zum eigentlichen ersten Ausgangspunkte macht, sondern ein drittes, das durch Vernunft-Anschauung erkennbare Absolutum, welches weder Objekt noch Subjekt, sondern die Einerleiheit Beider ist. Obgleich ich, aus gänzlichem Mangel aller Vernunft-Anschauung, von der besagten ehrwürdigen Einerleiheit und dem Absolutum mitzureden, mich nicht unterfangen werde; so muß ich dennoch, indem ich bloß auf den Allen, auch uns Profanen, offenliegenden Protokollen der Vernunft-Anschauer fuße, bemerken, daß besagte Philosophie nicht von dem oben aufgestellten Gegensatze zweier Fehler auszunehmen ist; da sie trotz der nicht denkbaren, sondern bloß intellektual anschaubaren, oder durch eigenes Versenken in sie zu erfahrenden Identität von Subjekt und Objekt, dennoch jene beiden entgegengesetzten Fehler nicht vermeidet; sondern vielmehr nur beide in sich vereinigt, indem sie selbst in zwei Disciplinen zerfällt, nämlich den transscendentalen Idealismus, der die Fichte'sche Ich-Lehre ist und folglich, nach dem Satz vom Grunde, das Objekt vom Subjekt hervorgebracht oder aus diesem herausgesponnen werden läßt, und zweitens die Naturphilosophie, welche eben so aus dem Objekt allmälig das Subjekt werden läßt, durch Anwendung einer Methode, welche Konstruktion genannt wird, von der mir sehr wenig, aber doch so viel klar ist, daß sie ein Fortschreiten gemäß dem Satze vom Grunde in mancherlei Gestalten ist. Auf die tiefe Weisheit selbst, welche jene Konstruktion enthält, thue ich Verzicht; da mir, dem die Vernunft-Anschauung völlig abgeht, alle jene sie voraussetzenden Vorträge ein Buch mit sieben Siegeln seyn müssen; welches denn auch in solchem Grade der Fall ist, daß, es ist seltsam zu erzählen, bei jenen Lehren tiefer Weisheit mir immer ist, als hörte ich nichts als entsetzliche und noch obendrein höchst langweilige Windbeuteleien.

Die vom Objekt ausgehenden Systeme hatten zwar immer die ganze anschauliche Welt und ihre Ordnung zum Problem; doch ist das Objekt, welches sie zum Ausgangspunkte nehmen, nicht immer diese, oder deren Grundelement die Materie: vielmehr läßt sich, in Gemäßheit der in der einleitenden Abhandlung aufgestellten vier Klassen möglicher Objekte, eine Eintheilung jener Systeme machen. So kann man sagen, daß von der ersten jener Klassen, oder der realen Welt, ausgegangen sind: Thales und die Jonier, Demokritos, Epikuros, Jordan Bruno und die französischen Materialisten. Von der zweiten, oder dem abstrakten Begriff: Spinoza (nämlich vom bloß abstrakten und allein in seiner Definition existierenden Begriff Substanz) und früher die Eleaten. Von der dritten Klasse, nämlich der Zeit, folglich den Zahlen: die Pythagoreer und die Chinesische Philosophie im Y-king. Endlich von der vierten Klasse, nämlich dem durch Erkenntniß motivirten Willensakt: die Scholastiker, welche eine Schöpfung aus Nichts, durch den Willensakt eines außerweltlichen, persönlichen Wesens lehren.

Am konsequentesten und am weitesten durchzuführen ist das objektive Verfahren, wenn es als eigentlicher Materialismus auftritt. Dieser setzt die Materie, und Zeit und Raum mit ihr, als schlechthin bestehend, und überspringt die Beziehung auf das Subjekt, in welcher dies Alles doch allein daist. Er ergreift ferner das Gesetz der Kausalität zum Leitfaden, an dem er fortschreiten will, es nehmend als an sich bestehende Ordnung der Dinge, veritas aeterna; folglich den Verstand überspringend, in welchem und für welchen allein Kausalität ist. Nun sucht er den ersten, einfachsten Zustand der Materie zu finden, und dann aus ihm alle andern zu entwickeln, aufsteigend vom bloßen Mechanismus zum Chemismus, zur Polarität, Vegetation, Animalität, und gesetzt, dies gelänge, so wäre das letzte Glied der Kette die thierische Sensibilität, das Erkennen: welches folglich jetzt als eine bloße Modifikation der Materie, ein durch Kausalität herbeigeführter Zustand derselben, aufträte. Wären wir nun dem Materialismus, mit anschaulichen Vorstellungen, bis dahin gefolgt; so würden wir, auf seinem Gipfel mit ihm angelangt, eine plötzliche Anwandlung des unauslöschlichen Lachens der Olympier spüren, indem wir, wie aus einem Traum erwachend, mit einem Male inne würden, daß sein letztes, so mühsam herbeigeführtes Resultat, das Erkennen, schon beim allerersten Ausgangspunkt, der bloßen Materie, als unumgängliche Bedingung vorausgesetzt war, und wir mit ihm zwar die Materie zu denken uns eingebildet, in der That aber nichts Anderes als das die Materie vorstellende Subjekt, das sie sehende Auge, die sie fühlende Hand, den sie erkennenden Verstand gedacht hätten. So enthüllte sich unerwartet die enorme petitio principii: denn plötzlich zeigte sich das letzte Glied als den Anhaltspunkt, an welchem schon das erste hieng, die Kette als Kreis; und der Materialist gliche dem Freiherrn von Münchhausen, der, zu Pferde im Wasser schwimmend, mit den Beinen das Pferd, sich selbst aber an seinem nach Vorne übergeschlagenen Zopf in die Höhe zieht. Demnach besteht die Grundabsurdität des Materialismus darin, daß er vom Objektiven ausgeht, ein Objektives zum letzten Erklärungsgrunde nimmt, sei nun dieses die Materie, in abstracto, wie sie nur gedacht wird, oder die schon in die Form eingegangene, empirisch gegebene, also der Stoff, etwan die chemischen Grundstoffe, nebst ihren nächsten Verbindungen. Dergleichen nimmt er als an sich und absolut existirend, um daraus die organische Natur und zuletzt das erkennende Subjekt hervorgehn zu lassen und diese dadurch vollständig zu erklären; – während in Wahrheit alles Objektive, schon als solches, durch das erkennende Subjekt, mit den Formen seines Erkennens, auf mannigfaltige Weise bedingt ist und sie zur Voraussetzung hat, mithin ganz verschwindet, wenn man das Subjekt wegdenkt. Der Materialismus ist also der Versuch, das uns unmittelbar Gegebene aus dem mittelbar Gegebenen zu erklären. Alles Objektive, Ausgedehnte, Wirkende, also alles Materielle, welches der Materialismus für ein so solides Fundament seiner Erklärungen hält, daß eine Zurückführung darauf (zumal wenn sie zuletzt auf Stoß und Gegenstoß hinausliefe) nichts zu wünschen übrig lassen könne, – alles Dieses, sage ich, ist ein nur höchst mittelbar und bedingterweise Gegebenes, demnach nur relativ Vorhandenes: denn es ist durchgegangen durch die Maschinerie und Fabrikation des Gehirns und also eingegangen in deren Formen, Zeit, Raum und Kausalität, vermöge welcher allererst es sich darstellt als ausgedehnt im Raum und wirkend in der Zeit. Aus einem solchermaaßen Gegebenen will nun der Materialismus sogar das unmittelbar Gegebene, die Vorstellung (in der jenes Alles dasteht), und am Ende gar den Willen erklären, aus welchem vielmehr alle jene Grundkräfte, welche sich am Leitfaden der Ursachen und daher gesetzmäßig äußern, in Wahrheit zu erklären sind. – Der Behauptung, daß das Erkennen Modifikation der Materie ist, stellt sich also immer mit gleichem Recht die umgekehrte entgegen, daß alle Materie nur Modifikation des Erkennens des Subjekts, als Vorstellung desselben, ist. Dennoch ist im Grunde das Ziel und das Ideal aller Naturwissenschaft ein völlig durchgeführter Materialismus. Daß wir nun diesen hier als offenbar unmöglich erkennen, bestätigt eine andere Wahrheit, die aus unserer fernern Betrachtung sich ergeben wird, daß nämlich alle Wissenschaft im eigentlichen Sinne, worunter ich die systematische Erkenntniß am Leitfaden des Satzes vom Grunde verstehe, nie ein letztes Ziel erreichen, noch eine völlig genügende Erklärung geben kann; weil sie das Innerste Wesen der Welt nie trifft, nie über die Vorstellung hinaus kann, vielmehr im Grunde nichts weiter, als das Verhältniß einer Vorstellung zur andern kennen lehrt.

Jede Wissenschaft geht immer von zwei Haupt-Datis aus. Deren eines ist allemal der Satz vom Grunde, in irgend einer Gestalt, als Organen; das andere ihr besonderes Objekt, als Problem. So hat z.B. die Geometrie den Raum als Problem; den Grund des Seyns in ihm als Organen: die Arithmetik hat die Zeit als Problem, und den Grund des Seyns in ihr als Organen: die Logik hat die Verbindungen der Begriffe als solche zum Problem, den Grund des Erkennens zum Organen: die Geschichte hat die geschehenen Thaten der Menschen im Großen und in Masse zum Problem, das Gesetz der Motivation als Organen: die Naturwissenschaft nun hat die Materie als Problem und das Gesetz der Kausalität als Organen: ihr Ziel und Zweck demnach ist, am Leitfaden der Kausalität, alle möglichen Zustände der Materie auf einander und zuletzt auf einen zurückzuführen, und wieder aus einander und zuletzt aus einem abzuleiten. Zwei Zustände stehn sich daher in ihr als Extreme entgegen: der Zustand der Materie, wo sie am wenigsten, und der, wo sie am meisten unmittelbares Objekt des Subjekts ist: d.h. die todteste, roheste Materie, der erste Grundstoff, und dann der menschliche Organismus. Den ersten sucht die Naturwissenschaft als Chemie, den zweiten als Physiologie. Aber bis jetzt sind beide Extreme unerreicht, und bloß zwischen beiden ist Einiges gewonnen. Auch ist die Aussicht ziemlich hoffnungslos. Die Chemiker, unter der Voraussetzung, daß die qualitative Theilung der Materie nicht wie die quantitative ins Unendliche gehn wird, suchen die Zahl ihrer Grundstoffe, jetzt noch etwan 60, immer mehr zu verringern: und wären sie bis auf zwei gekommen, so würden sie diese auf einen zurückführen wollen. Denn das Gesetz der Homogeneität leitet auf die Voraussetzung eines ersten chemischen Zustandes der Materie, der allen andern, als welche nicht der Materie als solcher wesentlich, sondern nur zufällige Formen, Qualitäten, sind, vorhergegangen ist und allein der Materie als solcher zukommt. Andererseits ist nicht einzusehn, wie dieser, da noch kein zweiter, um auf ihn zu wirken, dawar, je eine chemische Veränderung erfahren konnte; wodurch hier im Chemischen die selbe Verlegenheit eintritt, auf welche im Mechanischen Epikuros stieß, als er anzugeben hatte, wie zuerst das eine Atom aus der ursprünglichen Richtung seiner Bewegung kam: ja, dieser sich ganz von selbst entwickelnde und weder zu vermeidende, noch aufzulösende Widerspruch könnte ganz eigentlich als eine chemische Antinomie aufgestellt werden: wie er sich hier an dem ersten der beiden gesuchten Extreme der Naturwissenschaft findet, so wird sich uns auch am zweiten ein ihm entsprechendes Gegenstück, zeigen. – Zur Erreichung dieses andern Extrems der Naturwissenschaft ist eben so wenig Hoffnung; da man immer mehr einsieht, daß nie ein Chemisches auf ein Mechanisches, noch ein Organisches auf ein Chemisches, oder Elektrisches, zurückgeführt werden kann. Die aber, welche heut zu Tage diesen alten Irrweg von Neuem einschlagen, werden ihn bald, wie alle ihre Vorgänger, still und beschämt zurückschleichen. Hievon wird im folgenden Buch ausführlicher die Rede seyn. Die hier nur beiläufig erwähnten Schwierigkeiten stehn der Naturwissenschaft auf ihrem eigenen Gebiet entgegen. Als Philosophie genommen, wäre sie überdies Materialismus: dieser aber trägt, wie wir gesehn, schon bei seiner Geburt den Tod im Herzen; weil er das Subjekt und die Formen des Erkennens überspringt, welche doch bei der rohesten Materie, von der er anfangen möchte, schon eben so sehr, als beim Organismus, zu dem er gelangen will, vorausgesetzt sind. Denn »kein Objekt ohne Subjekt« ist der Satz, welcher auf immer allen Materialismus unmöglich macht. Sonnen und Planeten, ohne ein Auge, das sie sieht, und einen Verstand, der sie erkennt, lassen sich zwar mit Worten sagen; aber diese Worte sind für die Vorstellung ein Sideroxylon. Nun leitet aber dennoch andererseits das Gesetz der Kausalität und die ihm nachgehende Betrachtung und Forschung der Natur uns nothwendig zu der sichern Annahme, daß, in der Zeit, jeder höher organisirte Zustand der Materie erst auf einen roheren gefolgt ist: daß nämlich Thiere früher als Menschen, Fische früher als Landthiere, Pflanzen auch früher als diese, das Unorganische vor allem Organischen dagewesen ist; daß folglich die ursprüngliche Masse eine lange Reihe von Veränderungen durchzugehn gehabt, bevor das erste Auge sich öffnen konnte. Und dennoch bleibt immer von diesem ersten Auge, das sich öffnete, und habe es einem Insekt angehört, das Daseyn jener ganzen Welt abhängig, als von dem nothwendig Vermittelnden der Erkenntniß, für die und in der sie allein ist und ohne die sie nicht ein Mal zu denken ist: denn sie ist schlechthin Vorstellung, und bedarf als solche des erkennenden Subjekts, als Trägers ihres Daseyns: ja, jene lange Zeitreihe selbst, von unzähligen Veränderungen gefüllt, durch welche die Materie sich steigerte von Form zu Form, bis endlich das erste erkennende Thier ward, diese ganze Zeit selbst ist ja allein denkbar in der Identität eines Bewußtseyns, dessen Folge von Vorstellungen, dessen Form des Erkennens sie ist und außer der sie durchaus alle Bedeutung verliert und gar nichts ist. So sehn wir einerseits nothwendig das Daseyn der ganzen Welt abhängig vom ersten erkennenden Wesen, ein so unvollkommenes dieses immer auch seyn mag; andererseits eben so nothwendig dieses erste erkennende Thier völlig abhängig von einer langen ihm vorhergegangenen Kette von Ursachen und Wirkungen, in die es selbst als ein kleines Glied eintritt. Diese zwei widersprechenden Ansichten, auf jede von welchen wir in der That mit gleicher Nothwendigkeit geführt werden, könnte man allerdings wieder eine Antinomie in unserm Erkenntnißvermögen nennen und sie als Gegenstück der in jenem ersten Extrem der Naturwissenschaft gefundenen aufstellen; während die Kantische vierfache Antinomie in der, gegenwärtiger Schrift angehängten Kritik seiner Philosophie als eine grundlose Spiegelfechterei nachgewiesen werden wird. – Der sich uns hier zuletzt nothwendig ergebende Widerspruch findet jedoch seine Auflösung darin, daß, in Kants Sprache zu reden, Zeit, Raum und Kausalität nicht dem Dinge an sich zukommen, sondern allein seiner Erscheinung, deren Form sie sind; welches in meiner Sprache so lautet, daß die objektive Welt, die Welt als Vorstellung, nicht die einzige, sondern nur die eine, gleichsam die äußere Seite der Welt ist, welche noch eine ganz und gar andere Seite hat, die ihr Innerstes Wesen, ihr Kern, das Ding an sich ist: und dieses werden wir im folgenden Buche betrachten, es benennend, nach der unmittelbarsten seiner Objektivationen, Wille. Die Welt als Vorstellung aber, welche allein wir hier betrachten, hebt allerdings erst an mit dem Aufschlagen des ersten Auges, ohne welches Medium der Erkenntniß sie nicht seyn kann, also auch nicht vorher war. Aber ohne jenes Auge, d.h. außer der Erkenntniß, gab es auch kein Vorher, keine Zeit. Dennoch hat deswegen nicht die Zeit einen Anfang, sondern aller Anfang ist in ihr: da sie aber die allgemeinste Form der Erkennbarkeit ist, welcher sich alle Erscheinungen mittelst des Bandes der Kausalität einfügen, so steht mit dem ersten Erkennen auch sie (die Zeit) da, mit ihrer ganzen Unendlichkeit nach beiden Selten, und die Erscheinung, welche diese erste Gegenwart füllt, muß zugleich erkannt werden als ursächlich verknüpft und abhängig von einer Reihe von Erscheinungen, die sich unendlich in die Vergangenheit erstreckt, welche Vergangenheit selbst jedoch eben so wohl durch diese erste Gegenwart bedingt ist, als umgekehrt diese durch jene; so daß, wie die erste Gegenwart, so auch die Vergangenheit, aus der sie stammt, vom erkennenden Subjekt abhängig und ohne dasselbe nichts ist, jedoch die Nothwendigkeit herbeiführt, daß diese erste Gegenwart nicht als die erste, d.h. als keine Vergangenheit zur Mutter habend und als Anfang der Zeit, sich darstellt; sondern als Folge der Vergangenheit, nach dem Grunde des Seyns in der Zeit, und so auch die sie füllende Erscheinung als Wirkung früherer jene Vergangenheit füllender Zustände, nach dem Gesetz der Kausalität. – Wer mythologische Deuteleien liebt, mag als Bezeichnung des hier ausgedrückten Moments des Eintritts der dennoch anfangslosen Zeit die Geburt des Kronos (chronos), des jüngsten Titanen, ansehn, mit dem, da er seinen Vater entmannt, die rohen Erzeugnisse des Himmels und der Erde aufhören und jetzt das Götter-und Menschengeschlecht den Schauplatz einnimmt.

Diese Darstellung, auf welche wir gekommen sind, indem wir dem konsequentesten der vom Objekt ausgehenden philosophischen Systeme, dem Materialismus, nachgiengen, dient zugleich die untrennbare gegenseitige Abhängigkeit, bei nicht aufzuhebendem Gegensatz, zwischen Subjekt und Objekt anschaulich zu machen; welche Erkenntniß darauf leitet, das Innerste Wesen der Welt, das Ding an sich, nicht mehr in einem jener beiden Elemente der Vorstellung, sondern vielmehr in einem von der Vorstellung gänzlich Verschiedenen zu suchen, welches nicht mit einem solchen ursprünglichen, wesentlichen und dabei unauflöslichen Gegensatz behaftet ist.

Dem erörterten Ausgehn vom Objekt, um aus diesem das Subjekt entstehn zu lassen, steht das Ausgehn vom Subjekt entgegen, welches aus diesem das Objekt hervortreiben will. So häufig und allgemein aber in aller bisherigen Philosophie jenes Erstere gewesen ist; so findet sich dagegen vom Letzteren eigentlich nur ein einziges Beispiel, und zwar ein sehr neues, die Schein-Philosophie des J. G. Fichte, welcher daher in dieser Hinsicht bemerkt werden muß, so wenig ächten Werth und Innern Gehalt seine Lehre an sich auch hatte, ja, überhaupt nur eine Spiegelfechterei war, die jedoch mit der Miene des tiefsten Ernstes, gehaltenem Ton und lebhaftem Eifer vorgetragen und mit beredter Polemik schwachen Gegnern gegenüber vertheidigt, glänzen konnte und etwas zu seyn schien. Aber der ächte Ernst, der, allen äußeren Einflüssen unzugänglich, sein Ziel, die Wahrheit, unverwandt im Auge behält, fehlte diesem, wie allen ähnlichen, sich in die Umstände schickenden Philosophen, gänzlich. Dem konnte freilich nicht anders seyn. Der Philosoph nämlich wird es immer durch eine Perplexität, welcher er sich zu entwinden sucht, und welche des Plato's thaumazein, das er ein mala philosophikon nennt, ist. Aber hier scheidet die unächten Philosophen von den ächten dieses, daß letzteren aus dem Anblick der Welt selbst jene Perplexität erwächst, jenen ersteren hingegen nur aus einem Buche, einem vorliegenden Systeme: dieses war denn auch Fichtes Fall, da er bloß über Kants Ding an sich zum Philosophen geworden ist und ohne dasselbe höchst wahrscheinlich ganz andere Dinge mit viel besserem Erfolg getrieben hätte, da er bedeutendes rhetorisches Talent besaß. Wäre er jedoch in den Sinn des Buches, das ihn zum Philosophen gemacht hat, die Kritik der reinen Vernunft, nur irgend tief gedrungen; so würde er verstanden haben, daß ihre Hauptlehre, dem Geiste nach, diese ist: daß der Satz vom Grunde nicht, wie alle scholastische Philosophie will, eine veritas aeterna ist, d.h. nicht eine unbedingte Gültigkeit vor, außer und über aller Welt habe; sondern nur eine relative und bedingte, allein in der Erscheinung geltende, er mag als nothwendiger Nexus des Raumes oder der Zeit, oder als Kausalitäts-, oder als Erkenntnißgrundes-Gesetz auftreten; daß daher das innere Wesen der Welt, das Ding an sich, nimmer an seinem Leitfaden gefunden werden kann; sondern alles, wozu dieser führt, immer selbst wieder abhängig und relativ, immer nur Erscheinung, nicht Ding an sich ist; daß er ferner gar nicht das Subjekt trifft, sondern nur Form der Objekte ist, die eben deshalb nicht Dinge an sich sind, und daß mit dem Objekt schon sofort das Subjekt und mit diesem jenes daist; also weder das Objekt zum Subjekt, noch dieses zu jenem erst als Folge zu seinem Grunde hinzukommen kann. Aber von allem Diesem hat nicht das Mindeste an Fichte gehaftet: ihm war das allein Interessante bei der Sache das Ausgehn vom Subjekt, welches Kant gewählt hatte, um das bisherige Ausgehn vom Objekt, welches dadurch zum Ding an sich geworden, als falsch zu zeigen. Fichte aber nahm dies Ausgehn vom Subjekt für Das, worauf es ankomme, vermeinte, nach Weise aller Nachahmer, daß wenn er Kamen darin noch überböte, er ihn auch überträfe, und wiederholte nun in dieser Richtung die Fehler, welche der bisherige Dogmatismus in der entgegengesetzten begangen und eben dadurch Kants Kritik veranlaßt hatte; so daß in der Hauptsache nichts geändert war und der alte Grundfehler, die Annahme eines Verhältnisses von Grund und Folge zwischen Objekt und Subjekt, nach wie vor blieb, der Satz vom Grunde daher, eben wie zuvor, eine unbedingte Gültigkeit behielt und das Ding an sich, statt wie sonst ins Objekt, jetzt in das Subjekt des Erkennens verlegt war, die gänzliche Relativität dieser Beiden aber, welche anzeigt, daß das Ding an sich, oder innere Wesen der Welt, nicht in ihnen, sondern außer diesem, wie außer jedem andern nur beziehungsweise Existirenden zu suchen sei, nach wie vor unerkannt blieb. Gleich als ob Kant gar nicht dagewesen wäre, ist der Satz vom Grunde bei Fichte noch eben Das, was er bei allen Scholastikern war, eine aeterna veritas. Nämlich gleich wie über die Götter der Alten noch das ewige Schicksal herrschte, so herrschten über den Gott der Scholastiker noch jene aeternae veritates, d.h. die metaphysischen, mathematischen und metalogischen Wahrheiten, bei Einigen auch die Gültigkeit des Moralgesetzes. Diese veritates allein hiengen von nichts ab: durch ihre Nothwendigkeit aber war sowohl Gott als Welt. Dem Satz vom Grund, als einer solchen veritas aeterna, zufolge ist also bei Fichte das Ich Grund der Welt oder des Nicht-Ichs, des Objekts, welches eben seine Folge, sein Machwerk ist. Den Satz vom Grund weiter zu prüfen oder zu kontroliren, hat er sich daher wohl gehütet. Sollte ich aber die Gestalt jenes Satzes angeben, an deren Leitfaden Fichte das Nicht-Ich aus dem Ich hervorgehn läßt, wie aus der Spinne ihr Gewebe; so finde ich, daß es der Satz vom Grunde des Seyns im Raum ist: denn nur auf diesen bezogen erhalten jene quaalvollen Deduktionen der Art und Weise wie das Ich das Nicht-Ich aus sich producirt und fabricirt, welche den Inhalt des sinnlosesten und bloß dadurch langweiligsten Buchs, das je geschrieben, ausmachen, doch eine Art von Sinn und Bedeutung. – Diese Fichte'sche Philosophie, sonst nicht ein Mal der Erwähnung werth, ist uns also nur interessant als der spät erschienene eigentliche Gegensatz des uralten Materialismus, welcher das konsequenteste Ausgehn vom Objekt war, wie jene das vom Subjekt. Wie der Materialismus übersah, daß er mit dem einfachsten Objekt schon sofort auch das Subjekt gesetzt hatte; so übersah Fichte, daß er mit dem Subjekt (er mochte es nun tituliren, wie er wollte) nicht nur auch schon das Objekt gesetzt hatte, weil kein Subjekt ohne solches denkbar ist; sondern er übersah auch dieses, daß alle Ableitung a priori, ja alle Beweisführung überhaupt, sich auf eine Nothwendigkeit stützt, alle Nothwendigkeit aber ganz allein auf den Satz vom Grund; weil nothwendig seyn und aus gegebenem Grunde folgen – Wechselbegriffe sind13, daß der Satz vom Grunde aber nichts Anderes als die allgemeine Form des Objekts als solchen ist, mithin das Objekt schon voraussetzt, nicht aber, vor und außer demselben geltend, es erst herbeiführen und in Gemäßheit seiner Gesetzgebung entstehn lassen kann. Ueberhaupt also hat das Ausgehn vom Subjekt mit dem oben dargestellten Ausgehn vom Objekt den selben Fehler gemein, zum voraus anzunehmen, was es erst abzuleiten vorgiebt, nämlich das nothwendige Korrelat seines Ausgangspunkts.

Von diesen beiden entgegengesetzten Mißgriffen nun unterscheidet sich unser Verfahren toto genere, indem wir weder vom Objekt noch vom Subjekt ausgehn, sondern von der Vorstellung, als erster Thatsache des Bewußtseyns, deren erste wesentlichste Grundform das Zerfallen in Objekt und Subjekt ist, die Form des Objekts wieder der Satz vom Grund, in seinen verschiedenen Gestalten, deren jede die ihr eigene Klasse von Vorstellungen so sehr beherrscht, daß, wie gezeigt, mit der Erkenntniß jener Gestalt auch das Wesen der ganzen Klasse erkannt ist, indem diese (als Vorstellung) eben nichts Anderes als jene Gestalt selbst ist: so die Zeit selbst nichts Anderes als der Grund des Seyns in ihr, d.h. Succession; der Raum nichts Anderes als der Satz vom Grund in ihm, also Lage; die Materie nichts Anderes als Kausalität; der Begriff (wie sich sogleich zeigen wird) nichts Anderes als Beziehung auf den Erkenntnißgrund. Diese gänzliche und durchgängige Relativität der Welt als Vorstellung, sowohl nach Ihrer allgemeinsten Form (Subjekt und Objekt), als nach der dieser untergeordneten (Satz vom Grund), weist uns, wie gesagt, darauf hin, das Innerste Wesen der Welt in einer ganz andern, von der Vorstellung durchaus verschiedenen Seite derselben zu suchen, welche das nächste Buch in einer jedem lebenden Wesen eben so unmittelbar gewissen Thatsache nachweisen wird.

Doch ist zuvor noch diejenige Klasse von Vorstellungen zu betrachten, welche dem Menschen allein angehört, deren Stoff der Begriff und deren subjektives Korrelat die Vernunft ist, wie das der bisher betrachteten Vorstellungen Verstand und Sinnlichkeit war, welche auch jedem Thiere beizulegen sind14.

§ 8

Wie aus dem unmittelbaren Lichte der Sonne in den geborgten Wiederschein des Mondes, gehn wir von der anschaulichen, unmittelbaren, sich selbst vertretenden und verbürgenden Vorstellung über zur Reflexion, zu den abstrakten, diskursiven Begriffen der Vernunft, die allen Gehalt nur von jener anschaulichen Erkenntniß und in Beziehung auf dieselbe haben. So lange wir uns rein anschauend verhalten, ist Alles klar, fest und gewiß. Da giebt es weder Fragen, noch Zweifeln, noch Irren: man will nicht weiter, kann nicht weiter, hat Ruhe im Anschauen, Befriedigung in der Gegenwart. Die Anschauung ist sich selber genug; daher was rein aus ihr entsprungen und ihr treu geblieben ist, wie das ächte Kunstwerk, niemals falsch seyn, noch durch irgend eine Zeit widerlegt werden kann: denn es giebt keine Meinung, sondern die Sache selbst. Aber mit der abstrakten Erkenntniß, mit der Vernunft, ist im Theoretischen der Zweifel und der Irrthum, im Praktischen die Sorge und die Reue eingetreten. Wenn in der anschaulichen Vorstellung der Schein auf Augenblicke die Wirklichkeit entstellt, so kann in der abstrakten der Irrthum Jahrtausende herrschen, auf ganze Völker sein eisernes Joch werfen, die edelsten Regungen der Menschheit ersticken und selbst Den, welchen zu täuschen er nicht vermag, durch seine Sklaven, seine Getäuschten, in Fesseln legen lassen. Er ist der Feind, gegen welchen die weisesten Geister aller Zeiten den ungleichen Kampf unterhielten, und nur was sie ihm abgewannen, ist Eigenthum der Menschheit geworden. Daher ist es gut, sogleich auf ihn aufmerksam zu machen, indem wir den Boden betreten, auf welchem sein Gebiet liegt. Obwohl oft gesagt worden, daß man der Wahrheit nachspüren soll, auch wo kein Nutzen von ihr abzusehn, weil dieser mittelbar seyn und hervortreten kann, wo man ihn nicht erwartet; so finde ich hier doch noch hinzuzusetzen, daß man auch eben so sehr bestrebt seyn soll, jeden Irrthum aufzudecken und auszurotten, auch wo kein Schaden von ihm abzusehn, weil auch dieser sehr mittelbar seyn und einst hervortreten kann, wo man ihn nicht erwartet: denn jeder Irrthum trägt ein Gift in seinem Innern. Ist es der Geist, ist es die Erkenntniß, welche den Menschen zum Herrn der Erde macht; so giebt es keine unschädlichen Irrthümer, noch weniger ehrwürdige, heilige Irrthümer. Und zum Trost Derer, welche dem edlen und so schweren Kampf gegen den Irrthum, in irgend einer Art und Angelegenheit, Kraft und Leben widmen, kann ich mich nicht entbrechen, hier hinzuzusetzen, daß zwar so lange, als die Wahrheit noch nicht dasteht, der Irrthum sein Spiel treiben kann, wie Eulen und Fledermäuse in der Nacht; aber eher mag man erwarten, daß Eulen und Fledermäuse die Sonne zurück in den Osten scheuchen werden, als daß die erkannte und deutlich und vollständig ausgesprochene Wahrheit wieder verdrängt werde, damit der alte Irrthum seinen breiten Platz nochmals ungestört einnehme. Das ist die Kraft der Wahrheit, deren Sieg schwer und mühsam, aber dafür, wenn ein Mal errungen, ihr nicht mehr zu entreißen ist.

Außer den bis hieher betrachteten Vorstellungen nämlich, welche, ihrer Zusammensetzung nach, sich zurückführen ließen auf Zeit und Raum und Materie, wenn wir aufs Objekt, oder reine Sinnlichkeit und Verstand (d.i. Erkenntniß der Kausalität), wenn wir aufs Subjekt sehn, ist im Menschen allein, unter allen Bewohnern der Erde, noch eine andere Erkenntnißkraft eingetreten, ein ganz neues Bewußtseyn aufgegangen, welches sehr treffend und mit ahndungsvoller Richtigkeit die Reflexion genannt ist. Denn es ist in der That ein Wiederschein, ein Abgeleitetes von jener anschaulichen Erkenntniß, hat jedoch eine von Grund aus andere Natur und Beschaffenheit als jene angenommen, kennt deren Formen nicht, und auch der Satz vom Grund, der über alles Objekt herrscht, hat hier eine völlig andere Gestalt. Dieses neue, höher potenzirte Bewußtseyn, dieser abstrakte Reflex alles Intuitiven im nichtanschaulichen Begriff der Vernunft, ist es allein, der dem Menschen jene Besonnenheit verleiht, welche sein Bewußtseyn von dem des Thieres so durchaus unterscheidet, und wodurch sein ganzer Wandel auf Erden so verschieden ausfällt von dem seiner unvernünftigen Brüder. Gleich sehr übertrifft er sie an Macht und an Leiden. Sie leben in der Gegenwart allein; er dabei zugleich in Zukunft und Vergangenheit. Sie befriedigen das augenblickliche Bedürfniß; er sorgt durch die künstlichsten Anstalten für seine Zukunft, ja für Zeiten, die er nicht erleben kann. Sie sind dem Eindruck des Augenblicks, der Wirkung des anschaulichen Motivs gänzlich anheimgefallen; ihn bestimmen abstrakte Begriffe unabhängig von der Gegenwart. Daher führt er überlegte Pläne aus, oder handelt nach Maximen, ohne Rücksicht auf die Umgebung und die zufälligen Eindrücke des Augenblicks: er kann daher z.B. mit Gelassenheit die künstlichen Anstalten zu seinem eigenen Tode treffen, kann sich verstellen, bis zur Unerforschlichkeit, und sein Geheimniß mit ins Grab nehmen, hat endlich eine wirkliche Wahl zwischen mehreren Motiven: denn nur in abstracto können solche, neben einander im Bewußtseyn gegenwärtig, die Erkenntniß bei sich führen, daß eines das andere ausschließt, und so ihre Gewalt über den Willen gegen einander messen; wonach dann das überwiegende, indem es den Ausschlag giebt, die überlegte Entscheidung des Willens ist und als ein sicheres Anzeichen seine Beschaffenheit kund macht. Das Thier hingegen bestimmt der gegenwärtige Eindruck: nur die Furcht vor dem gegenwärtigen Zwange kann seine Begierde zähmen, bis jene Furcht endlich zur Gewohnheit geworden ist und nunmehr als solche es bestimmt: das ist Dressur. Das Thier empfindet und schaut an; der Mensch denkt überdies und weiß: Beide wollen. Das Thier theilt seine Empfindung und Stimmung mit, durch Geberde und Laut: der Mensch theilt dem andern Gedanken mit, durch Sprache, oder verbirgt Gedanken, durch Sprache. Sprache ist das erste Erzeugniß und das nothwendige Werkzeug seiner Vernunft: daher wird im Griechischen und im Italiänischen Sprache und Vernunft durch das selbe Wort bezeichnet: ho logos, il discorso. Vernunft kommt von Vernehmen, welches nicht synonym ist mit Hören, sondern das Innewerden der durch Worte mitgetheilten Gedanken bedeutet. Durch Hülfe der Sprache allein bringt die Vernunft ihre wichtigsten Leistungen zu Stande, nämlich das übereinstimmende Handeln mehrerer Individuen, das planvolle Zusammenwirken vieler Tausende, die Civilisation, den Staat; ferner die Wissenschaft, das Aufbewahren früherer Erfahrung, das Zusammenfassen des Gemeinsamen in einen Begriff, das Mittheilen der Wahrheit, das Verbreiten des Irrthums, das Denken und Dichten, die Dogmen und die Superstitionen. Das Thier lernt den Tod erst im Tode kennen: der Mensch geht mit Bewußtseyn in jeder Stunde seinem Tode näher, und dies macht selbst Dem das Leben bisweilen bedenklich, der nicht schon am ganzen Leben selbst diesen Charakter der steten Vernichtung erkannt hat. Hauptsächlich dieserhalb hat der Mensch Philosophien und Religionen: ob jedoch Dasjenige, was wir mit Recht an seinem Handeln über Alles hoch schätzen, das freiwillige Rechtthun und der Edelmuth der Gesinnung, je die Frucht einer jener Beiden gewesen, ist ungewiß. Als sichere, ihnen allein angehörige Erzeugnisse Beider und Produktionen der Vernunft auf diesem Wege stehn hingegen da die wunderlichsten, abenteuerlichsten Meinungen der Philosophen verschiedener Schulen, und die seltsamsten, bisweilen auch grausamen Gebräuche der Priester verschiedener Religionen.

Daß alle diese so mannigfaltigen und so weit reichenden Äußerungen aus einem gemeinschaftlichen Princip entspringen, aus jener besonderen Geisteskraft, die der Mensch vor dem Thiere voraus hat, und welche man Vernunft, ho logos, to logistikon, to logimon, ratio, genannt hat, ist die einstimmige Meinung aller Zeiten und Völker. Auch wissen alle Menschen sehr wohl die Aeußerungen dieses Vermögens zu erkennen und zu sagen, was vernünftig, was unvernünftig sei, wo die Vernunft im Gegensatz mit andern Fähigkeiten und Eigenschaften des Menschen auftritt, und endlich, was wegen des Mangels derselben auch vom klügsten Thiere nie zu erwarten steht. Die Philosophen aller Zeiten sprechen im Ganzen auch übereinstimmend mit jener allgemeinen Kenntniß der Vernunft, und heben überdies einige besonders wichtige Aeußerungen derselben hervor, wie die Beherrschung der Affekte und Leidenschaften, die Fähigkeit, Schlüsse zu machen und allgemeine Principien, sogar solche, die vor aller Erfahrung gewiß sind, aufzustellen u.s.w. Dennoch sind alle ihre Erklärungen vom eigentlichen Wesen der Vernunft schwankend, nicht scharf bestimmt, weitläuftig, ohne Einheit und Mittelpunkt, bald diese bald jene Aeußerung hervorhebend, daher oft von einander abweichend. Dazu kommt, daß Viele dabei von dem Gegensatz zwischen Vernunft und Offenbarung ausgehn, welcher der Philosophie ganz fremd ist, und nur dient die Verwirrung zu vermehren. Es ist höchst auffallend, daß bisher kein Philosoph alle jene mannigfaltigen Aeußerungen der Vernunft strenge auf eine einfache Funktion zurückgeführt hat, die in ihnen allen wiederzuerkennen wäre, aus der sie alle zu erklären wären und die demnach das eigentliche innere Wesen der Vernunft ausmachte. Zwar giebt der vortreffliche Locke, im »Essay on human understanding«. Buch 2, Kap. 11, §10 u. 11, als den unterscheidenden Charakter zwischen Thier und Mensch die abstrakten allgemeinen Begriffe sehr richtig an, und Leibnitz wiederholt Dieses völlig beistimmend, in den »Nouveaux essays sur l'entendement humain«. Buch 2, Kap. 11, § 10 u. 11. Allein wenn Locke in Buch 4, Kap. 17, § 2, 3, zur eigentlichen Erklärung der Vernunft kommt, so verliert er ganz jenen einfachen Hauptcharakter derselben aus dem Gesicht, und geräth eben auch auf eine schwankende, unbestimmte, unvollständige Angabe zerstückelter und abgeleiteter Aeußerungen derselben: auch Leibnitz, an der mit jener korrespondirenden Stelle seines Werkes, verhält sich im Ganzen eben so, nur mit mehr Konfusion und Unklarheit. Wie sehr nun aber Kant den Begriff vom Wesen der Vernunft verwirrt und verfälscht hat, darüber habe ich im Anhange ausführlich geredet. Wer aber gar sich die Mühe giebt, die Masse philosophischer Schriften, welche seit Kant erschienen sind, in dieser Hinsicht zu durchgehn, der wird erkennen, daß, so wie die Fehler der Fürsten von ganzen Völkern gebüßt werden, die Irrthümer großer Geister ihren nachtheiligen Einfluß auf ganze Generationen, sogar auf Jahrhunderte verbreiten, ja, wachsend und sich fortpflanzend, zuletzt in Monstrositäten ausarten: welches Alles daher abzuleiten ist, daß, wie Berkeley sagt: Few men think; yet all will have opinions.15

Wie der Verstand nur eine Funktion hat: unmittelbare Erkenntniß des Verhältnisses von Ursache und Wirkung, und die Anschauung der wirklichen Welt, wie auch alle Klugheit, Sagacität und Erfindungsgabe, so mannigfaltig auch ihre Anwendung ist, doch ganz offenbar nichts Anderes sind, als Aeußerungen jener einfachen Funktion; so hat auch die Vernunft eine Funktion: Bildung des Begriffs; und aus dieser einzigen erklären sich sehr leicht und ganz und gar von selbst alle jene oben angeführten Erscheinungen, die das Leben des Menschen von dem des Thieres unterscheiden, und auf die Anwendung oder Nicht-Anwendung jener Funktion deutet schlechthin Alles, was man überall und jederzeit vernünftig oder unvernünftig genannt hat16.

§ 9

Die Begriffe bilden eine eigenthümliche, von den bisher betrachteten, anschaulichen Vorstellungen toto genere verschiedene Klasse, die allein im Geiste des Menschen vorhanden ist. Wir können daher nimmer eine anschauliche, eine eigentlich evidente Erkenntniß von ihrem Wesen erlangen; sondern auch nur eine abstrakte und diskursive. Es wäre daher ungereimt zu fordern, daß sie in der Erfahrung, sofern unter dieser die reale Außenwelt, welche eben anschauliche Vorstellung ist, verstanden wird, nachgewiesen, oder wie anschauliche Objekte vor die Augen, oder vor die Phantasie gebracht werden sollten. Nur denken, nicht anschauen lassen sie sich, und nur die Wirkungen, welche durch sie der Mensch hervorbringt, sind Gegenstände der eigentlichen Erfahrung. Solche sind die Sprache, das überlegte planmäßige Handeln und die Wissenschaft; hernach was aus diesen allen sich ergiebt. Offenbar ist die Rede, als Gegenstand der äußeren Erfahrung, nichts Anderes als ein sehr vollkommener Telegraph, der willkürliche Zeichen mit größter Schnelligkeit und feinster Nüancirung mittheilt. Was bedeuten aber diese Zeichen? Wie geschieht ihre Auslegung? Uebersetzen wir etwan, während der Andere spricht, sogleich seine Rede in Bilder der Phantasie, die blitzschnell an uns vorüberfliegen und sich bewegen, verketten, umgestalten und ausmalen, gemäß den hinzuströhmenden Worten und deren grammatischen Flexionen? Welch ein Tumult wäre dann in unserm Kopfe, während des Anhörens einer Rede, oder des Lesens eines Buches! So geschieht es keineswegs. Der Sinn der Rede wird unmittelbar vernommen, genau und bestimmt aufgefaßt, ohne daß in der Regel sich Phantasmen einmengten. Es ist die Vernunft die zur Vernunft spricht, sich in ihrem Gebiete hält, und was sie mittheilt und empfängt, sind abstrakte Begriffe, nichtanschauliche Vorstellungen, welche ein für alle Mal gebildet und verhältnißmäßig in geringer Anzahl, doch alle unzähligen Objekte der wirklichen Welt befassen, enthalten und vertreten. Hieraus allein ist es erklärlich, daß nie ein Thier sprechen und vernehmen kann, obgleich es die Werkzeuge der Sprache und auch die anschaulichen Vorstellungen mit uns gemein hat; aber eben weil die Worte jene ganz eigenthümliche Klasse von Vorstellungen bezeichnen, deren subjektives Korrelat die Vernunft ist, sind sie für das Thier ohne Sinn und Bedeutung. So ist die Sprache, wie jede andere Erscheinung, die wir der Vernunft zuschreiben, und wie Alles, was den Menschen vom Thiere unterscheidet, durch dieses Eine und Einfache als seine Quelle zu erklären: die Begriffe, die abstrakten, nicht anschaulichen, allgemeinen, nicht in Zeit und Raum individuellen Vorstellungen. Nur in einzelnen Fällen gehn wir von den Begriffen zur Anschauung über, bilden uns Phantasmen als anschauliche Repräsentanten der Begriffe, denen sie jedoch nie adäquat sind. Diese sind in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 28, besonders erörtert worden, daher ich hier nicht das Selbe wiederholen will: mit dem dort Gesagten ist zu vergleichen, was Hume im zwölften seiner »Philosophical essays«, S. 244, und was Herder in der »Metakritik« (einem übrigens schlechten Buch), Theil 1, S. 274, sagt. – Die Platonische Idee, welche durch den Verein von Phantasie und Vernunft möglich wird, macht den Hauptgegenstand des dritten Buchs gegenwärtiger Schrift aus.

Obgleich nun also die Begriffe von den anschaulichen Vorstellungen von Grund aus verschieden sind, so stehn sie doch in einer nothwendigen Beziehung zu diesen, ohne welche sie nichts wären, welche Beziehung folglich ihr ganzes Wesen und Daseyn ausmacht. Die Reflexion ist nothwendig Nachbildung, Wiederholung, der urbildlichen anschaulichen Welt, wiewohl Nachbildung ganz eigener Art, in einem völlig heterogenen Stoff. Deshalb sind die Begriffe ganz passend Vorstellungen von Vorstellungen zu nennen. Der Satz vom Grunde hat hier ebenfalls eine eigene Gestalt, und wie diejenige, unter welcher er in einer Klasse von Vorstellungen herrscht, auch eigentlich immer das ganze Wesen dieser Klasse, sofern sie Vorstellungen sind, ausmacht und erschöpft, so daß, wie wir gesehn haben, die Zeit durch und durch Succession und sonst nichts, der Raum durch und durch Lage und sonst nichts, die Materie durch und durch Kausalität und sonst nichts ist; so besteht auch das ganze Wesen der Begriffe, oder der Klasse der abstrakten Vorstellungen, allein in der Relation, welche in ihnen der Satz vom Grunde ausdrückt: und da diese die Beziehung auf den Erkenntnißgrund ist, so hat die abstrakte Vorstellung ihr ganzes Wesen einzig und allein in ihrer Beziehung auf eine andere Vorstellung, welche ihr Erkenntnißgrund ist. Diese kann nun zwar wieder zunächst ein Begriff, oder abstrakte Vorstellung seyn, und sogar auch dieser wieder nur einen eben solchen abstrakten Erkenntnißgrund haben; aber nicht so ins Unendliche: sondern zuletzt muß die Reihe der Erkenntnißgründe mit einem Begriff schließen, der seinen Grund in der anschaulichen Erkenntniß hat. Denn die ganze Welt der Reflexion ruht auf der anschaulichen als ihrem Grunde des Erkennens. Daher hat die Klasse der abstrakten Vorstellungen von den andern das Unterscheidende, daß in diesen der Satz vom Grund immer nur eine Beziehung auf eine andere Vorstellung der nämlichen Klasse fordert, bei den abstrakten Vorstellungen aber zuletzt eine Beziehung auf eine Vorstellung aus einer andern Klasse.

Man hat diejenigen Begriffe, welche, wie eben angegeben, nicht unmittelbar, sondern nur durch Vermittelung eines oder gar mehrerer anderer Begriffe sich auf die anschauliche Erkenntniß beziehn, vorzugsweise abstracta, und hingegen die, welche ihren Grund unmittelbar in der anschaulichen Welt haben, concreta genannt. Diese letztere Benennung paßt aber nur ganz uneigentlich auf die durch sie bezeichneten Begriffe, da nämlich auch diese immer noch abstracta sind und keineswegs anschauliche Vorstellungen. Jene Benennungen sind aber auch nur aus einem sehr undeutlichen Bewußtseyn des damit gemeinten Unterschiedes hervorgegangen, können jedoch, mit der hier gegebenen Deutung, stehn bleiben. Beispiele der ersten Art, also abstracta im eminenten Sinn, sind Begriffe wie »Verhältniß, Tugend, Untersuchung, Anfang« u.s.w. Beispiele der letztern Art, oder uneigentlich so genannte concreta sind die Begriffe »Mensch, Stein, Pferd« u.s.w. Wenn es nicht ein etwas zu bildliches und dadurch ins Scherzhafte fallendes Gleichniß wäre; so könnte man sehr treffend die letzteren das Erdgeschoß, die ersteren die oberen Stockwerke des Gebäudes der Reflexion nennen17.

Daß ein Begriff Vieles unter sich begreift, d.h. daß viele anschauliche, oder auch selbst wieder abstrakte Vorstellungen in der Beziehung des Erkenntnißgrundes zu ihm stehn, d.h. durch ihn gedacht werden, dies ist nicht, wie man meistens angiebt, eine wesentliche, sondern nur eine abgeleitete sekundäre Eigenschaft desselben, die sogar nicht immer in der That, wiewohl immer der Möglichkeit nach, daseyn muß. Jene Eigenschaft fließt daraus her, daß der Begriff Vorstellung einer Vorstellung ist, d.h. sein ganzes Wesen allein hat in seiner Beziehung auf eine andere Vorstellung; da er aber nicht diese Vorstellung selbst ist, ja diese sogar meistens zu einer ganz andern Klasse von Vorstellungen gehört, nämlich anschaulich ist, so kann sie zeitliche, räumliche und andere Bestimmungen, und überhaupt noch viele Beziehungen haben, die im Begriff gar nicht mit gedacht werden, daher mehrere im Unwesentlichen verschiedene Vorstellungen durch den selben Begriff gedacht, d.h. unter ihn subsumirt werden können. Allein dies Gelten von mehreren Dingen ist keine wesentliche, sondern nur accidentale Eigenschaft des Begriffs. Es kann daher Begriffe geben, durch welche nur ein einziges reales Objekt gedacht wird, die aber deswegen doch abstrakt und allgemein, keineswegs aber einzelne und anschauliche Vorstellungen sind: dergleichen ist z.B. der Begriff, den Jemand von einer bestimmten Stadt hat, die er aber bloß aus der Geographie kennt: obgleich nur diese eine Stadt dadurch gedacht wird, so wären doch mehrere in einigen Stücken verschiedene Städte möglich, zu denen allen er paßte. Nicht also weil ein Begriff von mehreren Objekten abstrahirt ist, hat er Allgemeinheit; sondern umgekehrt, weil Allgemeinheit, d.i. Nichtbestimmung des Einzelnen, ihm als abstrakter Vorstellung der Vernunft wesentlich ist, können verschiedene Dinge durch den selben Begriff gedacht werden.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß jeder Begriff, eben weil er abstrakte und nicht anschauliche und eben daher nicht durchgängig bestimmte Vorstellung ist, Dasjenige hat, was man einen Umfang oder Sphäre nennt, auch sogar in dem Fall, daß nur ein einziges reales Objekt vorhanden ist, das ihm entspricht. Nun finden wir durchgängig, daß die Sphäre jedes Begriffs mit den Sphären anderer etwas Gemeinschaftliches hat, d.h. daß in ihm zum Theil das Selbe gedacht wird, was in jenen andern, und in diesen wieder zum Theil das Selbe, was in jenem erstern; obgleich, wenn sie wirklich verschiedene Begriffe sind, jeder, oder wenigstens einer von beiden etwas enthält, das der andere nicht hat: in diesem Verhältniß steht jedes Subjekt zu seinem Prädikat. Dieses Verhältniß erkennen, heißt urtheilen. Die Darstellung jener Sphären durch räumliche Figuren ist ein überaus glücklicher Gedanke. Zuerst hat ihn wohl Gottfried Ploucquet gehabt, der Quadrate dazu nahm; Lambert, wiewohl nach ihm, bediente sich noch bloßer Linien, die er unter einander stellte: Euler führte es zuerst mit Kreisen vollständig aus. Worauf diese so genaue Analogie zwischen den Verhältnissen der Begriffe und denen räumlicher Figuren zuletzt beruhe, weiß ich nicht anzugeben. Es ist inzwischen für die Logik ein sehr günstiger Umstand, daß alle Verhältnisse der Begriffe sich sogar ihrer Möglichkeit nach, d.h. a priori, durch solche Figuren anschaulich darstellen lassen, in folgender Art:

1) Die Sphären zweier Begriffe sind sich ganz gleich: z.B. der Begriff der Nothwendigkeit und der der Folge aus gegebenem Grunde; desgleichen der von Ruminantia und Bisulca (Wiederkäuer und Thiere mit gespaltenem Huf); auch von Wirbelthieren und Rothblütigen (wogegen jedoch wegen der Anneliden etwas einzuwenden wäre): es sind Wechselbegriffe. Solche stellt dann ein einziger Kreis dar, der sowohl den einen als den andern bedeutet.

2) Die Sphäre eines Begriffs schließt die eines andern ganz ein:

3) Eine Sphäre schließt zwei oder mehrere ein, die sich ausschließen und zugleich die Sphäre füllen: