Die Vorstellung, unabhängig vom Satze des Grundes: die Platonische Idee: das Objekt der Kunst.

Ti to on yen aei, genesin de ouk echon; kai ti to gignomenon men kai apollymenon, ontôs de oudepote on;

PLATÔN

§ 30

Nachdem wir die im ersten Buch als bloße Vorstellung, Objekt für ein Subjekt, dargestellte Welt im zweiten Buch von ihrer andern Seite betrachtet und gefunden haben, daß diese Wille sei, welcher allein als dasjenige sich ergab, was jene Welt noch außer der Vorstellung ist; so nannten wir, dieser Erkenntniß gemäß, die Welt als Vorstellung, sowohl im Ganzen als in ihren Theilen, die Objektität des Willens, welches demnach besagt: der Objekt, d.i. Vorstellung, gewordene Wille. Wir erinnern uns nun ferner, daß solche Objektivation des Willens viele, aber bestimmte Stufen hatte, auf welchen, mit gradweise steigender Deutlichkeit und Vollendung, das Wesen des Willens in die Vorstellung trat, d.h. sich als Objekt darstellte. In diesen Stufen erkannten wir schon dort Plato's Ideen wieder, sofern nämlich jene Stufen eben die bestimmten Species, oder die ursprünglichen, nicht wechselnden Formen und Eigenschaften aller natürlichen, sowohl unorganischen, als organischen Körper, wie auch die nach Naturgesetzen sich offenbarenden allgemeinen Kräfte sind. Diese Ideen also insgesammt stellen sich in unzähligen Individuen und Einzelheiten dar, als deren Vorbild sie sich zu diesen ihren Nachbildern verhalten. Die Vielheit solcher Individuen ist durch Zeit und Raum, das Entstehn und Vergehn derselben durch Kausalität allein vorstellbar, in welchen Formen allen wir nur die verschiedenen Gestaltungen des Satzes vom Grunde erkennen, der das letzte Princip aller Endlichkeit, aller Individuation und die allgemeine Form der Vorstellung, wie sie in die Erkenntniß des Individuums als solchen fällt, ist. Die Idee hingegen geht in jenes Princip nicht ein: daher ihr weder Vielheit noch Wechsel zukommt. Während die Individuen, in denen sie sich darstellt, unzählige sind und unaufhaltsam werden und vergehn, bleibt sie unverändert als die eine und selbe stehn, und der Satz vom Grunde hat für sie keine Bedeutung. Da dieser nun aber die Form ist, unter der alle Erkenntniß des Subjekts steht, sofern dieses als Individuum erkennt; so werden die Ideen auch ganz außerhalb der Erkenntnißsphäre desselben als solchen liegen. Wenn daher die Ideen Objekt der Erkenntniß werden sollen; so wird dies nur unter Aufhebung der Individualität im erkennenden Subjekt geschehn können. Die näheren und ausführlichen Erklärungen hierüber sind nunmehr was uns zunächst beschäftigen wird.

§ 31

Zuvor jedoch noch folgende sehr wesentliche Bemerkung. Ich hoffe, daß es mir im vorhergehenden Buche gelungen ist, die Ueberzeugung hervorzubringen, daß Dasjenige, was in der Kantischen Philosophie das Ding an sich genannt wird und daselbst als eine so bedeutende, aber dunkle und paradoxe Lehre auftritt, besonders aber durch die Art, wie Kant es einführte, nämlich durch den Schluß vom Begründeten auf den Grund, als ein Stein des Anstoßes, ja, als die schwache Seite seiner Philosophie befunden ward, daß, sage ich, dieses, wenn man auf dem ganz andern Wege, den wir gegangen sind, dazu gelangt, nichts Anderes ist, als der Wille, in der auf die angegebene Weise erweiterten und bestimmten Sphäre dieses Begriffs. Ich hoffe ferner, daß man, nach dem Vorgetragenen, kein Bedenken hegen wird, in den bestimmten Stufen der Objektivation jenes, das Ansich der Welt ausmachenden Willens, Dasjenige wiederzuerkennen, was Plato die ewigen Ideen, oder die unveränderlichen Formen (eidê) nannte, welche, als das hauptsächliche, aber zugleich dunkelste und paradoxeste Dogma seiner Lehre anerkannt, ein Gegenstand des Nachdenkens, des Streites, des Spottes und der Verehrung so vieler und verschieden gesinnter Köpfe in einer Reihe von Jahrhunderten gewesen sind.

Ist uns nun der Wille das Ding an sich, die Idee aber die unmittelbare Objektität jenes Willens auf einer bestimmten Stufe; so finden wir Kants Ding an sich und Plato's Idee, die ihm allein ontôs on ist, diese beiden großen dunkeln Paradoxen, der beiden größten Philosophen des Occidents, – zwar nicht als identisch, aber doch als sehr nahe verwandt und nur durch eine einzige Bestimmung unterschieden. Beide große Paradoxa sind sogar, eben weil sie, bei allem innern Einklang und Verwandtschaft, durch die außerordentlich verschiedenen Individualitäten ihrer Urheber, so höchst verschieden lauten, der beste Kommentar wechselseitig eines des andern, indem sie zwei ganz verschiedenen Wegen gleichen, die zu einem Ziele führen. – Dies läßt sich mit Wenigem deutlich machen. Nämlich was Kant sagt, ist, dem Wesentlichen nach, Folgendes: »Zeit, Raum und Kausalität sind nicht Bestimmungen des Dinges an sich; sondern gehören nur seiner Erscheinung an, indem sie nichts, als Formen unserer Erkenntniß sind. Da nun aber alle Vielheit und alles Entstehn und Vergehn allein durch Zeit, Raum und Kausalität möglich sind; so folgt, daß auch jene allein der Erscheinung, keineswegs dem Dinge an sich anhängen. Weil unsere Erkenntniß aber durch jene Formen bedingt ist; so ist die gesammte Erfahrung nur Erkenntniß der Erscheinung, nicht des Dinges an sich: daher auch können ihre Gesetze nicht auf das Ding an sich geltend gemacht werden. Selbst auf unser eigenes ich erstreckt sich das Gesagte, und wir erkennen es nur als Erscheinung, nicht nach dem, was es an sich seyn mag.« Dieses ist, in der betrachteten wichtigen Rücksicht, der Sinn und Inhalt der Lehre Kants. – Plato nun aber sagt: »Die Dinge dieser Welt, welche unsere Sinne wahrnehmen, haben gar kein wahres Seyn: sie werden immer, sind aber nie: sie haben nur ein relatives Seyn, sind insgesammt nur in und durch ihr Verhältniß zu einander: man kann daher ihr ganzes Daseyn eben so wohl ein Nichtseyn nennen. Sie sind folglich auch nicht Objekte einer eigentlichen Erkenntniß (epistêmê): denn nur von dem, was an und für sich und immer auf gleiche Weise ist, kann es eine solche geben: sie hingegen sind nur das Objekt eines durch Empfindung veranlaßten Dafürhaltens (doxa met' aisthêseôs alogou). So lange wir nun auf ihre Wahrnehmung beschränkt sind, gleichen wir Menschen, die in einer finstern Höhle so fest gebunden säßen, daß sie auch den Kopf nicht drehn könnten, und nichts sähen, als beim Lichte eines hinter Ihnen brennenden Feuers, an der Wand Ihnen gegenüber, die Schattenbilder wirklicher Dinge, welche zwischen ihnen und dem Feuer vorübergeführt würden, und auch sogar von einander, ja jeder von sich selbst, eben nur die Schatten auf jener Wand. Ihre Weisheit aber wäre, die aus Erfahrung erlernte Reihenfolge jener Schatten vorher zu sagen. Was nun hingegen allein wahrhaft Seiend (ontôs on) genannt werden kann, weil es immer ist, aber nie wird, noch vergeht: das sind die realen Urbilder jener Schattenbilder: es sind die ewigen Ideen, die Urformen aller Dinge. Ihnen kommt keine Vielheit zu: denn jedes ist seinem Wesen nach nur Eines, indem es das Urbild selbst ist, dessen Nachbilder, oder Schatten, alle ihm gleichnamige, einzelne, vergängliche Dinge der selben Art sind. Ihnen kommt auch kein Entstehn und Vergehn zu: denn sie sind wahrhaft seiend, nie aber werdend, noch untergehend, wie ihre hinschwindenden Nachbilder. (In diesen beiden verneinenden Bestimmungen ist aber nothwendig als Voraussetzung enthalten, daß Zeit, Raum und Kausalität für sie keine Bedeutung noch Gültigkeit haben, und sie nicht in diesen dasind.) Von ihnen allein daher giebt es eine eigentliche Erkenntniß, da das Objekt einer solchen nur Das seyn kann, was immer und in jedem Betracht (also an sich) ist; nicht Das, was ist, aber auch wieder nicht ist, je nachdem man es ansieht.« – Dies ist Plato's Lehre. Es ist offenbar und bedarf keiner weitem Nachweisung, daß der innere Sinn beider Lehren ganz der selbe ist, daß beide die sichtbare Welt für eine Erscheinung erklären, die an sich nichtig ist und nur durch das in ihr sich Ausdrückende (dem Einen das Ding an sich, dem Ändern die Idee) Bedeutung und geborgte Realität hat; welchem letzteren, wahrhaft Seienden aber, beiden Lehren zufolge, alle, auch die allgemeinsten und wesentlichsten Formen jener Erscheinung durchaus fremd sind. Kant hat, um diese Formen zu verneinen, sie unmittelbar selbst in abstrakten Ausdrücken gefaßt und geradezu Zeit, Raum und Kausalität, als bloße Formen der Erscheinung, dem Ding an sich abgesprochen: Plato dagegen ist nicht bis zum obersten Ausdruck gelangt, und hat jene Formen nur mittelbar seinen Ideen abgesprochen, indem er Das, was allein durch jene Formen möglich ist, von den Ideen verneint, nämlich Vielheit des Gleichartigen, Entstehn und Vergehn. Zum Ueberfluß jedoch will ich jene merkwürdige und wichtige Uebereinstimmung noch durch ein Beispiel anschaulich machen. Es stehe ein Thier vor uns, in voller Lebensthätigkeit. Plato wird sagen: »Dieses Thier hat keine wahrhafte Existenz, sondern nur eine scheinbare, ein beständiges Werden, ein relatives Daseyn, welches eben so wohl ein Nichtseyn, als ein Seyn heißen kann. Wahrhaft seiend ist allein die Idee, die sich in jenem Thier abbildet, oder das Thier an sich selbst (auto to thêrion), welches von nichts abhängig, sondern an und für sich ist (kath' heauto, aei hôsautôs), nicht geworden, nicht endend, sondern immer auf gleiche Weise (aei on, kai mêdepote oute gignomenon, oute apollymenon). Sofern wir nun in diesem Thiere seine Idee erkennen, ist es ganz einerlei und ohne Bedeutung, ob wir dies Thier jetzt vor uns haben, oder seinen vor tausend Jahren lebenden Vorfahr, ferner auch ob es hier oder in einem fernen Lande ist, ob es in dieser oder jener Weise, Stellung, Handlung sich darbietet, ob es endlich dieses, oder irgend ein anderes Individuum seiner Art ist: dieses Alles ist nichtig und geht nur die Erscheinung an: die Idee des Thieres allein hat wahrhaftes Seyn und ist Gegenstand wirklicher Erkenntniß.« – So Plato. Kant würde etwan sagen: »Dieses Thier ist eine Erscheinung in Zeit, Raum und Kausalität, welche sämmtlich die in unserm Erkenntnißvermögen liegenden Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung sind, nicht Bestimmungen des Dinges an sich. Daher ist dieses Thier, wie wir es zu dieser bestimmten Zeit, an diesem gegebenen Ort, als ein im Zusammenhang der Erfahrung, d.h. an der Kette von Ursachen und Wirkungen, gewordenes und eben so nothwendig vergängliches Individuum wahrnehmen, kein Ding an sich, sondern eine nur in Beziehung auf unsere Erkenntniß gültige Erscheinung. Um es nach dem, was es an sich seyn mag, folglich unabhängig von allen in der Zeit, dem Raum und der Kausalität liegenden Bestimmungen zu erkennen, wäre eine andere Erkenntnißweise, als die uns allein mögliche, durch Sinne und Verstand, erfordert.«

Um Kants Ausdruck dem Platonischen noch näher zu bringen, könnte man auch sagen: Zeit, Raum und Kausalität sind diejenige Einrichtung unsers Intellekts, vermöge deren das eigentlich allein vorhandene eine Wesen jeglicher Art sich uns darstellt als eine Vielheit gleichartiger, stets von Neuem entstehender und vergehender Wesen, in endloser Succession. Die Auffassung der Dinge mittelst und gemäß besagter Einrichtung ist die immamente; diejenige hingegen, die des Bewandnisses, welches es damit hat, sich bewußt wird, ist die transscendentale. Diese empfängt man in abstracto durch die Kritik der reinen Vernunft; aber ausnahmsweise kann sie sich auch intuitiv einstellen. Dieses Letztere ist mein Zusatz, welchen ich eben durch gegenwärtiges dritte Buch zu erläutern bemüht bin.

Hätte man jemals Kants Lehre, hätte man seit Kant den Plato eigentlich verstanden und gefaßt, hätte man treu und ernst dem Innern Sinn und Gehalt der Lehren beider großer Meister nachgedacht, statt mit den Kunstausdrücken des einen um sich zu werfen und den Stil des andern zu parodiren; es hätte nicht fehlen können, daß man längst gefunden hätte, wie sehr die beiden großen Weisen übereinstimmen und die reine Bedeutung, der Zielpunkt beider Lehren, durchaus der selbe ist. Nicht nur hätte man dann nicht den Plato beständig mit Leibnitz, auf welchem sein Geist durchaus nicht ruhte, oder gar mit einem noch lebenden bekannten Herrn48 verglichen, als wollte man die Manen des großen Denkers der Vorzelt verspotten; sondern überhaupt wäre man alsdann viel weiter gekommen als man ist, oder vielmehr man wäre nicht so schmachvoll weit zurückgeschritten, wie man in diesen letzten vierzig Jahren ist: man hätte sich nicht heute von diesem, morgen von einem andern Windbeutel naseführen lassen und nicht das sich so bedeutend ankündigende 19. Jahrhundert in Deutschland mit philosophischen Possenspielen eröffnet, die man über Kants Grabe aufführte (wie die Alten bisweilen bei der Leichenfeier der ihrigen), unter dem gerechten Spott anderer Nationen, da den ernsthaften und sogar steifen Deutschen Dergleichen am wenigsten kleidet. Aber so klein ist das eigentliche Publikum achter Philosophen, daß selbst die Schüler, die verstehn, ihnen nur sparsam von den Jahrhunderten gebracht werden. – Eisi dê narthêkophoroi men polloi, bakchoi de ge pauroi. (Thyrsigeri quidem multi, Bacchi vero pauci.) Hê atimia philosophia dia tauta prospeptôken, hoti ou kat' axian autês haptontai; ou gar nothous edei haptesthai, alla gnêsious. (Eam ob rem philosophia in infamiam incidit, quod non pro dignitate ipsam attingunt: neque enim a spuriis, sed a legitimis erat attrectanda.) Plat..

Man gieng den Worten nach, den Worten: »Vorstellungen a priori, unabhängig von der Erfahrung bewußte Formen des Anschauens und Denkens, Urbegriffe des reinen Verstandes«, u.s.w. – und fragte nun ob Plato's Ideen, die ja auch Urbegriffe und ferner auch Erinnerungen aus einer dem Leben vorhergegangenen Anschauung der wahrhaft seienden Dinge seyn sollen, etwan das Selbe wären mit Kants Formen des Anschauens und Denkens, die a priori in unserm Bewußtseyn liegen: diese zwei ganz heterogenen Lehren, die Kantische von den Formen, welche die Erkenntniß des Individuums auf die Erscheinung beschränken, und die Platonische von den Ideen, deren Erkenntniß eben jene Formen ausdrücklich verneint, – diese insofern diametral entgegengesetzten Lehren, da sie in ihren Ausdrücken sich ein wenig ähneln, verglich man aufmerksam, berathschlagte und stritt über ihre Einerleiheit, fand dann zuletzt, daß sie doch nicht das Selbe wären, und schloß, daß Plato's Ideenlehre und Kants Vernunftkritik gar keine Uebereinstimmung hätten49. Aber genug davon.

§ 32

In Folge unserer bisherigen Betrachtungen ist uns, bei aller innern Uebereinstimmung zwischen Kant und Plato, und der Identität des Zieles, das Beiden vorschwebte, oder der Weltanschauung, die sie zum Philosophiren aufregte und leitete, dennoch Idee und Ding an sich nicht schlechthin Eines und das Selbe: vielmehr ist uns die Idee nur die unmittelbare und daher adäquate Objektität des Dinges an sich, welches selbst aber der Wille ist, der Wille, sofern er noch nicht objektivirt, noch nicht Vorstellung geworden ist. Denn das Ding an sich soll, eben nach Kant, von allen dem Erkennen als solchem anhängenden Formen frei seyn: und es ist nur (wie im Anhange gezeigt wird) ein Fehler Kants, daß er zu diesen Formen nicht, vor allen andern, das Objekt-für-ein-Subjekt-seyn zählte, da eben dieses die erste und allgemeinste Form aller Erscheinung, d.i. Vorstellung, ist; daher er seinem Ding an sich das Objektseyn ausdrücklich hätte absprechen sollen, welches ihn vor jener großen, früh aufgedeckten Inkonsequenz bewahrt hätte. Die Platonische Idee hingegen ist nothwendig Objekt, ein Erkanntes, eine Vorstellung, und eben dadurch, aber auch nur dadurch, vom Ding an sich verschieden. Sie hat bloß die untergeordneten Formen der Erscheinung, welche alle wir unter dem Satz vom Grunde begreifen, abgelegt, oder vielmehr ist noch nicht in sie eingegangen; aber die erste und allgemeinste Form hat sie beibehalten, die der Vorstellung überhaupt, des Objektseyns für ein Subjekt. Die dieser untergeordneten Formen (deren allgemeiner Ausdruck der Satz vom Grunde ist) sind es, welche die Idee zu einzelnen und vergänglichen Individuen vervielfältigen, deren Zahl, in Beziehung auf die Idee, völlig gleichgültig ist. Der Satz vom Grund ist also wieder die Form, in welche die Idee eingeht, indem sie in die Erkenntniß des Subjekts als Individuums fällt. Das einzelne, in Gemäßheit des Satzes vom Grunde erscheinende Ding ist also nur eine mittelbare Objektivation des Dinges an sich (welches der Wille ist), zwischen welchem und ihm noch die Idee steht, als die alleinige unmittelbare Objektität des Willens, indem sie keine andere dem Erkennen als solchem eigene Form angenommen hat, als die der Vorstellung überhaupt, d.i. des Objektseyns für ein Subjekt. Daher ist auch sie allein die möglichst adäquate Objektität des Willens oder Dinges an sich, ist selbst das ganze Ding an sich, nur unter der Form der Vorstellung: und hierin liegt der Grund der großen Uebereinstimmung zwischen Plato und Kant, obgleich, der größten Strenge nach. Das, wovon Beide reden, nicht das Selbe ist. Die einzelnen Dinge aber sind keine ganz adäquate Objektität des Willens, sondern diese ist hier schon getrübt durch jene Formen, deren gemeinschaftlicher Ausdruck der Satz vom Grunde ist, welche aber Bedingung der Erkenntniß sind, wie sie dem Individuo als solchem möglich ist. – Wir würden in der That, wenn es erlaubt ist, aus einer unmöglichen Voraussetzung zu folgern, gar nicht mehr einzelne Dinge, noch Begebenheiten, noch Wechsel, noch Vielheit erkennen, sondern nur Ideen, nur die Stufenleiter der Objektivation jenes einen Willens, des wahren Dinges an sich, in reiner ungetrübter Erkenntniß auffassen, und folglich würde unsere Welt ein Nunc stans seyn; wenn wir nicht, als Subjekt des Erkennens, zugleich Individuen wären, d.h. unsere Anschauung nicht vermittelt wäre durch einen Leib, von dessen Affektionen sie ausgeht, und welcher selbst nur konkretes Wollen, Objektität des Willens, also Objekt unter Objekten ist und als solches, so wie er in das erkennende Bewußtsein kommt, dieses nur in den Formen des Satzes vom Grunde kann, folglich die Zeit und alle andern Formen, die jener Satz ausdrückt, schon voraussetzt und dadurch einführt. Die Zeit ist bloß die vertheilte und zerstückelte Ansicht, welche ein individuelles Wesen von den Ideen hat, die außer der Zeit, mithin ewig sind: daher sagt Plato, die Zeit sei das bewegte Bild der Ewigkeit: aiônos eikôn kinêtê ho chronos.50

§ 33

Da wir nun also als Individuen keine andere Erkenntniß haben, als die dem Satz vom Grunde unterworfen ist, diese Form aber die Erkenntniß der Ideen ausschließt; so ist gewiß, daß wenn es möglich ist, daß wir uns von der Erkenntniß einzelner Dinge zu der der Ideen erheben, solches nur geschehn kann dadurch, daß im Subjekt eine Veränderung vorgeht, welche jenem großen Wechsel der ganzen Art des Objekts entsprechend und analog ist, und vermöge welcher das Subjekt, sofern es eine Idee erkennt, nicht mehr Individuum ist.

Es ist uns aus dem vorigen Buch erinnerlich, daß das Erkennen überhaupt selbst zur Objektivation des Willens auf ihren höheren Stufen gehört, und die Sensibilität, Nerven, Gehirn, eben nur, wie andere Theile des organischen Wesens, Ausdruck des Willens in diesem Grade seiner Objektität sind und daher die durch sie entstehende Vorstellung auch eben so zu seinem Dienste bestimmt ist, als ein Mittel (mêchanê) zur Erreichung seiner jetzt komplicirteren (polytelestera) Zwecke, zur Erhaltung eines vielfache Bedürfnisse habenden Wesens. Ursprünglich also und ihrem Wesen nach ist die Erkenntniß dem Willen durchaus dienstbar, und wie das unmittelbare Objekt, welches mittelst Anwendung des Gesetzes der Kausalität ihr Ausgangspunkt wird, nur objektivirter Wille ist, so bleibt auch alle dem Satze vom Grunde nachgehende Erkenntniß in einer näheren oder entfernteren Beziehung zum Willen. Denn das Individuum findet seinen Leib als ein Objekt unter Objekten, zu denen allen derselbe mannigfaltige Verhältnisse und Beziehungen nach dem Satz vom Grunde hat, deren Betrachtung also immer, auf näherem oder fernerem Wege, zu seinem Leibe, also zu seinem Willen, zurückführt. Da es der Satz vom Grunde ist, der die Objekte in diese Beziehung zum Leibe und dadurch zum Willen stellt; so wird die diesem dienende Erkenntniß auch einzig bestrebt seyn, von den Objekten eben die durch den Satz vom Grunde gesetzten Verhältnisse kennen zu lernen, also ihren mannigfaltigen Beziehungen in Raum, Zeit und Kausalität nachgehn. Denn nur durch diese ist das Objekt dem Individuo interessant, d.h. hat ein Verhältniß zum Willen. Daher erkennt denn auch die dem Willen dienende Erkenntniß von den Objekten eigentlich nichts weiter, als ihre Relationen, erkennt die Objekte nur, sofern sie zu dieser Zeit, an diesem Ort, unter diesen Umständen, aus diesen Ursachen, mit diesen Wirkungen dasind, mit Einem Wort, als einzelne Dinge: und höbe man alle diese Relationen auf, so wären ihr auch die Objekte verschwunden, eben weil sie übrigens nichts an ihnen erkannte. – Wir dürfen auch nicht verhehlen, daß Das, was die Wissenschaften an den Dingen betrachten, im Wesentlichen gleichfalls nichts Anderes als alles Jenes ist, nämlich ihre Relationen, die Verhältnisse der Zeit, des Raumes, die Ursachen natürlicher Veränderungen, die Vergleichung der Gestalten, Motive der Begebenheiten, also lauter Relationen. Was sie von der gemeinen Erkenntniß unterscheidet, ist bloß ihre Form, das Systematische, die Erleichterung der Erkenntniß durch Zusammenfassung alles Einzelnen, mittelst Unterordnung der Begriffe, ins Allgemeine, und dadurch erlangte Vollständigkeit derselben. Alle Relation hat selbst nur ein relatives Daseyn: z.B. alles Seyn in der Zeit ist auch wieder ein Nichtseyn: denn die Zeit ist eben nur dasjenige, wodurch dem selben Dinge entgegengesetzte Bestimmungen zukommen können: daher ist jede Erscheinung in der Zeit eben auch wieder nicht: denn was ihren Anfang von ihrem Ende trennt, ist eben nur Zeit, ein wesentlich Hinschwindendes, Bestandloses und Relatives, hier Dauer genannt. Die Zeit ist aber die allgemeinste Form aller Objekte der im Dienste des Willens stehenden Erkenntniß und der Urtypus der übrigen Formen derselben.

Dem Dienste des Willens bleibt nun die Erkenntniß in der Regel immer unterworfen, wie sie ja zu diesem Dienste hervorgegangen, ja dem Willen gleichsam so entsprossen ist, wie der Kopf dem Rumpf. Bei den Thieren ist diese Dienstbarkeit der Erkenntniß unter dem Willen gar nie aufzuheben. Bei den Menschen tritt solche Aufhebung nur als Ausnahme ein, wie wir sogleich näher betrachten werden. Dieser Unterschied zwischen Mensch und Thier ist äußerlich ausgedrückt durch die Verschiedenheit des Verhältnisses des Kopfes zum Rumpf. Bei den unteren Thieren sind Beide noch ganz verwachsen: bei allen ist der Kopf zur Erde gerichtet, wo die Objekte des Willens liegen: selbst bei den oberen sind Kopf und Rumpf noch viel mehr Eines, als beim Menschen, dessen Haupt dem Leibe frei aufgesetzt erscheint, nur von ihm getragen, nicht ihm dienend. Diesen menschlichen Vorzug stellt im höchsten Grade der Apoll von Belvedere dar: das weitumherblickende Haupt des Musengottes steht so frei auf den Schultern, daß es dem Leibe ganz entwunden, der Sorge für ihn nicht mehr unterthan erscheint.

§ 34

Der, wie gesagt, mögliche, aber nur als Ausnahme zu betrachtende Uebergang von der gemeinen Erkenntniß einzelner Dinge zur Erkenntniß der Idee geschieht plötzlich, indem die Erkenntniß sich vom Dienste des Willens losreißt, eben dadurch das Subjekt aufhört ein bloß individuelles zu seyn und jetzt reines, willenloses Subjekt der Erkenntniß ist, welches nicht mehr, dem Satze vom Grunde gemäß, den Relationen nachgeht; sondern in fester Kontemplation des dargebotenen Objekts, außer seinem Zusammenhange mit irgend andern, ruht und darin aufgeht.

Dieses bedarf, um deutlich zu werden, nothwendig einer ausführlichen Auseinandersetzung, über deren Befremdendes man sich einstweilen hinauszusetzen hat, bis es, nach Zusammenfassung des ganzen in dieser Schrift mitzutheilenden Gedankens, von selbst verschwunden ist.

Wenn man, durch die Kraft des Geistes gehoben, die gewöhnliche Betrachtungsart der Dinge fahren läßt, aufhört, nur ihren Relationen zu einander, deren letztes Ziel immer die Relation zum eigenen Willen ist, am Leitfaden der Gestaltungen des Satzes vom Grunde, nachzugehn, also nicht mehr das Wo, das Wann, das Warum und das Wozu an den Dingen betrachtet; sondern einzig und allein das Was; auch nicht das abstrakte Denken, die Begriffe der Vernunft, das Bewußtsein einnehmen läßt; sondern, statt alles diesen, die ganze Macht seines Geistes der Anschauung hingiebt, sich ganz in diese versenkt und das ganze Bewußtsein ausfüllen läßt durch die ruhige Kontemplation des gerade gegenwärtigen natürlichen Gegenstandes, sei es eine Landschaft, ein Baum, ein Fels, ein Gebäude oder was auch immer; indem man, nach einer sinnvollen Deutschen Redensart, sich gänzlich in diesen Gegenstand verliert, d.h. eben sein Individuum, seinen Willen, vergißt und nur noch als reines Subjekt, als klarer Spiegel des Objekts bestehend bleibt; so, daß es ist, als ob der Gegenstand allein da wäre, ohne jemanden, der ihn wahrnimmt, und man also nicht mehr den Anschauenden von der Anschauung trennen kann, sondern Beide Eines geworden sind, indem das ganze Bewußtsein von einem einzigen anschaulichen Bilde gänzlich gefüllt und eingenommen ist; wenn also solchermaaßen das Objekt aus aller Relation zu etwas außer ihm, das Subjekt aus aller Relation zum Willen getreten ist: dann ist, was also erkannt wird, nicht mehr das einzelne Ding als solches; sondern es ist die Idee, die ewige Form, die unmittelbare Objektität des Willens auf dieser Stufe: und eben dadurch ist zugleich der in dieser Anschauung Begriffene nicht mehr Individuum: denn das Individuum hat sich eben in solche Anschauung verloren: sondern er ist reines, willenloses, schmerzloses, zeitloses Subjekt der Erkenntniß. Dieses für jetzt so Auffallende, (von dem ich sehr wohl weiß, daß es den von Thomas Paine herrührenden Ausspruch, du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas, bestätigt) wird durch das Folgende nach und nach deutlicher und weniger befremdend werden. Es war es auch, was dem Spinoza vorschwebte, als er niederschrieb: mens aeterna est, quatenus res sub aeternitatis specie concipit (Eth. V, pr. 31, schol.)51. In solcher Kontemplation nun wird mit Einem Schlage das einzelne Ding zur Idee seiner Gattung und das anschauende Individuum zum reinen Subjekt des Erkennens. Das Individuum als solches erkennt nur einzelne Dinge; das reine Subjekt des Erkennens nur Ideen. Denn das Individuum ist das Subjekt des Erkennens in seiner Beziehung auf eine bestimmte einzelne Erscheinung des Willens, und dieser dienstbar. Diese einzelne Willenserscheinung ist als solche dem Satz vom Grunde, in allen seinen Gestaltungen, unterworfen: alle auf dasselbe sich beziehende Erkenntniß folgt daher auch dem Satz vom Grunde, und zum Behuf des Willens taugt auch keine andere als diese, welche immer nur Relationen zum Objekt hat. Das erkennende Individuum als solches und das von ihm erkannte einzelne Ding sind immer irgendwo, irgendwann und Glieder in der Kette der Ursachen und Wirkungen. Das reine Subjekt der Erkenntniß und sein Korrelat, die Idee, sind aus allen jenen Formen des Satzes vom Grunde herausgetreten: die Zeit, der Ort, das Individuum, welches erkennt, und das Individuum, welches erkannt wird, haben für sie keine Bedeutung. Allererst indem auf die beschriebene Weise ein erkennendes Individuum sich zum reinen Subjekt des Erkennens und eben damit das betrachtete Objekt zur Idee erhebt, tritt die Welt als Vorstellung gänzlich und rein hervor, und geschieht die vollkommene Objektivation des Willens, da allein die Idee seine adäquate Objektität ist. Diese schließt Objekt und Subjekt auf gleiche Weise in sich, da solche ihre einzige Form sind: in ihr halten sich aber Beide ganz das Gleichgewicht: und wie das Objekt auch hier nichts als die Vorstellung des Subjekts ist, so ist auch das Subjekt, indem es im angeschauten Gegenstand ganz aufgeht, dieser Gegenstand selbst geworden, indem das ganze Bewußtsein nichts mehr ist, als dessen deutlichstes Bild. Dieses Bewußtseyn eben, indem man sämmtliche Ideen, oder Stufen der Objektität des Willens, der Reihe nach, durch dasselbe durchgehend sich denkt, macht eigentlich die ganze Welt als Vorstellung aus. Die einzelnen Dinge aller Zeiten und Raume sind nichts, als die durch den Satz vom Grund (die Form der Erkenntniß der Individuen als solcher) vervielfältigten und dadurch in ihrer reinen Objektität getrübten Ideen. Wie, indem die Idee hervortritt, in ihr Subjekt und Objekt nicht mehr zu unterscheiden sind, weil erst indem sie sich gegenseitig vollkommen erfüllen und durchdringen, die Idee, die adäquate Objektität des Willens, die eigentliche Welt als Vorstellung, ersteht; eben so sind auch das dabei erkennende und das erkannte Individuum, als Dinge an sich, nicht unterschieden. Denn sehn wir von jener eigentlichen Welt als Vorstellung gänzlich ab, so bleibt nichts übrig, denn die Welt als Wille. Der Wille ist das Ansich der Idee, die ihn vollkommen objektivirt; er auch ist das Ansich des einzelnen Dinges und des dasselbe erkennenden Individuums, die ihn unvollkommen objektiviren. Als Wille, außer der Vorstellung und allen ihren Formen, ist er einer und der selbe im kontemplirten Objekt und im Individuo, welches sich an dieser Kontemplation emporschwingend als reines Subjekt seiner bewußt wird: jene Beiden sind daher an sich nicht unterschieden: denn an sich sind sie der Wille, der hier sich selbst erkennt, und nur als die Art und Weise wie ihm diese Erkenntniß wird, d.h. nur in der Erscheinung, ist, vermöge ihrer Form, des Satzes vom Grund, Vielheit und Verschiedenheit. So wenig ich ohne das Objekt, ohne die Vorstellung, erkennendes Subjekt bin, sondern bloßer blinder Wille; eben so wenig ist ohne mich, als Subjekt des Erkennens, das erkannte Ding Objekt, sondern bloßer Wille, blinder Drang. Dieser Wille ist an sich, d.h. außer der Vorstellung, mit dem meinigen Einer und der selbe: nur in der Welt als Vorstellung, deren Form allemal wenigstens Subjekt und Objekt ist, treten wir aus einander als erkanntes und erkennendes Individuum. Sobald das Erkennen, die Welt als Vorstellung, aufgehoben ist, bleibt überhaupt nichts übrig, als bloßer Wille, blinder Drang, Daß er Objektität erhalte, zur Vorstellung werde, setzt, mit Einem Schlage, sowohl Subjekt als Objekt: daß aber diese Objektität rein, vollkommen, adäquate Objektität des Willens sei, setzt das Objekt als Idee, frei von den Formen des Satzes vom Grunde, und das Subjekt als reines Subjekt der Erkenntniß, frei von Individualität und Dienstbarkeit dem Willen.

Wer nun besagtermaaßen sich in die Anschauung der Natur so weit vertieft und verloren hat, daß er nur noch als rein erkennendes Subjekt daist, wird eben dadurch unmittelbar inne, daß er als solches die Bedingung, also der Träger, der Welt und alles objektiven Daseyns ist, da dieses nunmehr als von dem seinigen abhängig sich darstellt. Er zieht also die Natur in sich hinein, so daß er sie nur noch als ein Accidenz seines Wesens empfindet. In diesem Sinne sagt Byron:

Are not the mountains, waves and skies, a part

Of me and of my soul, as I of them?52

Wie aber sollte, wer dieses fühlt, sich selbst, im Gegensatz der unvergänglichen Natur, für absolut vergänglich halten? Ihn wird vielmehr das Bewußtsein dessen ergreifen, was der Upanischad des Veda ausspricht: Hae omnes creaturae in totum ego sum, et praeter me aliud ens non est. (Oupnekhat, I, 122.)53

§ 35

Um eine tiefere Einsicht in das Wesen der Welt zu erlangen, ist unumgänglich nöthig, daß man unterscheiden lerne den Willen als Ding an sich von seiner adäquaten Objektität, sodann die verschiedenen Stufen, auf welchen diese deutlicher und vollendeter hervortritt, d.i. die Ideen selbst, von der bloßen Erscheinung der Ideen in den Gestaltungen des Satzes vom Grunde, der befangenen Erkenntnißweise der Individuen. Dann wird man dem Plato beistimmen, wenn er nur den Ideen eigentliches Seyn beilegt, hingegen den Dingen in Raum und Zeit, dieser für das Individuum realen Welt, nur eine scheinbare, traumartige Existenz zuerkennt. Dann wird man einsehn, wie die eine und selbe Idee sich in so vielen Erscheinungen offenbart und den erkennenden Individuen ihr Wesen nur stückweise, eine Seite nach der andern, darbietet. Man wird dann auch die Idee selbst unterscheiden von der Art und Weise wie ihre Erscheinung in die Beobachtung des Individuums fällt, jene für wesentlich, diese für unwesentlich erkennen. Wir wollen dieses im Geringsten und dann im Größten beispielsweise betrachten. – Wann die Wolken ziehn, sind die Figuren, welche sie bilden, ihnen nicht wesentlich, sind für sie gleichgültig: aber daß sie als elastischer Dunst, vom Stoß des Windes zusammengepreßt, weggetrieben, ausgedehnt, zerrissen werden; dies ist ihre Natur, ist das Wesen der Kräfte, die sich in ihnen objektiviren, ist die Idee: nur für den individuellen Beobachter sind die jedesmaligen Figuren. – Dem Bach, der über Steine abwärts rollt, sind die Strudel, Wellen, Schaumgebilde, die er sehn läßt, gleichgültig und unwesentlich: daß er der Schwere folgt, sich als unelastische, gänzlich verschiebbare, formlose, durchsichtige Flüssigkeit verhält; dies ist sein Wesen, dies ist, wenn anschaulich erkannt, die Idee: nur für uns, solange wir als Individuen erkennen, sind jene Gebilde. – Das Eis an der Fensterscheibe schießt an nach den Gesetzen der Krystallisation, die das Wesen der hier hervortretenden Naturkraft offenbaren, die Idee darstellen; aber die Bäume und Blumen, die es dabei bildet, sind unwesentlich und nur für uns da. – Was in Wolken, Bach und Krystall erscheint, ist der schwächste Nachhall jenes Willens, der vollendeter in der Pflanze, noch vollendeter im Thier, am vollendetesten im Menschen hervortritt. Aber nur das Wesentliche aller jener Stufen seiner Objektivation macht die Idee aus: hingegen die Entfaltung dieser, indem sie in den Gestaltungen des Satzes vom Grunde auseinandergezogen wird zu mannigfaltigen und vielseitigen Erscheinungen; dieses ist der Idee unwesentlich, liegt bloß in der Erkenntnißweise des Individuums und hat auch nur für dieses Realität. Das Selbe nun gilt nothwendig auch von der Entfaltung derjenigen Idee, welche die vollendeteste Objektität des Willens ist: folglich ist die Geschichte des Menschengeschlechts, das Gedränge der Begebenheiten, der Wechsel der Zeiten, die vielgestalteten Formen des menschlichen Lebens in verschiedenen Ländern und Jahrhunderten, – dieses Alles ist nur die zufällige Form der Erscheinung der Idee, gehört nicht dieser selbst, in der allein die adäquate Objektität des Willens liegt, sondern nur der Erscheinung an, die in die Erkenntniß des Individuums fällt, und ist der Idee selbst so fremd, unwesentlich und gleichgültig, wie den Wolken die Figuren, die sie darstellen, dem Bach die Gestalt seiner Strudel und Schaumgebilde, dem Eise seine Bäume und Blumen.

Wer dieses wohl gefaßt hat und den Willen von der Idee, und diese von ihrer Erscheinung zu unterscheiden weiß, dem werden die Weltbegebenheiten nur noch sofern sie die Buchstaben sind, aus denen die Idee des Menschen sich lesen läßt, Bedeutung haben, nicht aber an und für sich. Er wird nicht mit den Leuten glauben, daß die Zeit etwas wirklich Neues und Bedeutsames hervorbringe, daß durch sie oder in ihr etwas schlechthin Reales zum Daseyn gelange, oder gar sie selbst als ein Ganzes Anfang und Ende, Plan und Entwickelung habe, und etwan zum letzten Ziel die höchste Vervollkommnung (nach ihren Begriffen) des letzten, dreißig Jahre lebenden Geschlechts. Daher wird er so wenig mit Homer einen ganzen Olymp voll Götter zur Lenkung jener Zeitbegebenheiten bestellen, als mit Ossian die Figuren der Wolken für individuelle Wesen halten, da, wie gesagt, Beides, in Bezug auf die darin erscheinende Idee, gleich viel Bedeutung hat. In den mannigfaltigen Gestalten des Menschenlebens und dem unaufhörlichen Wechsel der Begebenheiten wird er als das Bleibende und Wesentliche nur die Idee betrachten, in welcher der Wille zum Leben seine vollkommenste Objektität hat, und welche ihre verschiedenen Seiten zeigt in den Eigenschaften, Leidenschaften, Irrthümern und Vorzügen des Menschengeschlechts, in Eigennutz, Haß, Liebe, Furcht, Kühnheit, Leichtsinn, Stumpfheit, Schlauheit, Witz, Genie u.s.w., welche alle, zu tausendfältigen Gestalten (Individuen) zusammenlaufend und gerinnend, fortwährend die große und die kleine Weltgeschichte aufführen, wobei es an sich gleichviel ist, ob, was sie in Bewegung setzt, Nüsse oder Kronen sind. Er wird endlich finden, daß es in der Welt ist, wie in den Dramen des Gozzi, in welchen allen immer die selben Personen auftreten, mit gleicher Absicht und gleichem Schicksal: die Motive und Begebenheiten freilich sind in jedem Stücke andere; aber der Geist der Begebenheiten ist der selbe: die Personen des einen Stücks wissen auch nichts von den Vorgängen im andern, in welchem doch sie selbst agirten: daher ist, nach allen Erfahrungen der früheren Stücke, doch Pantalone nicht behender oder freigebiger, Tartaglia nicht gewissenhafter, Brighella nicht beherzter und Kolombine nicht sittsamer geworden. –

Gesetzt es würde uns ein Mal ein deutlicher Blick in das Reich der Möglichkeit und über alle Ketten der Ursachen und Wirkungen gestattet, es träte der Erdgeist hervor und zeigte uns in einem Bilde die vortrefflichsten Individuen, Welterleuchter und Helden, die der Zufall vor der Zeit ihrer Wirksamkeit zerstört hat, – dann die großen Begebenheiten, welche die Weltgeschichte geändert und Perioden der höchsten Kultur und Aufklärung herbeigeführt haben würden, die aber das blindeste Ungefähr, der unbedeutendeste Zufall, bei ihrer Entstehung hemmte, endlich die herrlichen Kräfte großer Individuen, welche ganze Weltalter befruchtet haben würden, die sie aber, durch Irrthum oder Leidenschaft verleitet, oder durch Nothwendigkeit gezwungen, an unwürdigen und unfruchtbaren Gegenständen nutzlos verschwendeten, oder gar spielend vergeudeten; – sähen wir das Alles, wir würden schaudern und wehklagen über die verlorenen Schätze ganzer Weltalter. Aber der Erdgeist würde lächeln und sagen: »Die Quelle, aus der die Individuen und ihre Kräfte fließen, ist unerschöpflich und unendlich wie Zeit und Raum: denn jene sind, eben wie diese Formen aller Erscheinung, doch auch nur Erscheinung, Sichtbarkeit des Willens. Jene unendliche Quelle kann kein endliches Maaß erschöpfen: daher steht jeder im Keime erstickten Begebenheit, oder Werk, zur Wiederkehr noch immer die unverminderte Unendlichkeit offen. In dieser Welt der Erscheinung ist so wenig wahrer Verlust, als wahrer Gewinn möglich. Der Wille allein ist: er, das Ding an sich, er, die Quelle aller jener Erscheinungen. Seine Selbsterkenntniß und darauf sich entscheidende Bejahung oder Verneinung ist die einzige Begebenheit an sich.« –54

§ 36

Dem Faden der Begebenheiten geht die Geschichte nach: sie ist pragmatisch, sofern sie dieselben nach dem Gesetze der Motivation ableitet, welches Gesetz den erscheinenden Willen da bestimmt, wo er von der Erkenntniß beleuchtet ist. Auf den niedrigeren Stufen seiner Objektität, wo er noch ohne Erkenntniß wirkt, betrachtet die Gesetze der Veränderungen seiner Erscheinungen die Naturwissenschaft als Aetiologie, und das Bleibende an ihnen als Morphologie, welche ihr fast unendliches Thema sich durch Hülfe der Begriffe erleichtert, das Allgemeine zusammenfassend, um das Besondere daraus abzuleiten. Endlich die bloßen Formen, in welchen, für die Erkenntniß des Subjekts als Individuums, die Ideen zur Vielheit auseinandergezogen erscheinen, also Zeit und Raum, betrachtet die Mathematik. Diese alle, deren gemeinsamer Name Wissenschaft ist, gehn also dem Satz vom Grunde in seinen verschiedenen Gestaltungen nach, und ihr Thema bleibt die Erscheinung, deren Gesetze, Zusammenhang und daraus entstehende Verhältnisse. – Welche Erkenntnißart nun aber betrachtet jenes außer und unabhängig von aller Relation bestehende, allein eigentlich Wesentliche der Welt, den wahren Gehalt ihrer Erscheinungen, das keinem Wechsel Unterworfene und daher für alle Zeit mit gleicher Wahrheit Erkannte, mit Einem Wort, die Ideen, welche die unmittelbare und adäquate Objektität des Dinges an sich, des Willens, sind? – Es ist die Kunst, das Werk des Genius. Sie wiederholt die durch reine Kontemplation aufgefaßten ewigen Ideen, das Wesentliche und Bleibende aller Erscheinungen der Welt, und je nachdem der Stoff ist, in welchem sie wiederholt, ist sie bildende Kunst, Poesie oder Musik. Ihr einziger Ursprung ist die Erkenntniß der Ideen; ihr einziges Ziel Mittheilung dieser Erkenntniß. – Während die Wissenschaft dem rast- und bestandlosen Strohm vierfach gestalteter Gründe und Folgen nachgehend, bei jedem erreichten Ziel immer wieder weiter gewiesen wird und nie ein letztes Ziel, noch völlige Befriedigung finden kann, so wenig als man durch Laufen den Punkt erreicht, wo die Wolken den Horizont berühren; so ist dagegen die Kunst überall am Ziel. Denn sie reißt das Objekt ihrer Kontemplation heraus aus dem Strohme des Weltlaufs und hat es isolirt vor sich: und dieses Einzelne, was in jenem Strohm ein verschwindend kleiner Theil war, wird ihr ein Repräsentant des Ganzen, ein Aequivalent des in Raum und Zeit unendlich Vielen: sie bleibt daher bei diesem Einzelnen stehn: das Rad der Zeit hält sie an: die Relationen verschwinden ihr: nur das Wesentliche, die Idee, ist ihr Objekt. – Wir können sie daher geradezu bezeichnen als die Betrachtungsart der Dinge unabhängig vom Satze des Grundes, im Gegensatz der gerade diesem nachgehenden Betrachtung, welche der Weg der Erfahrung und Wissenschaft ist. Diese letztere Art der Betrachtung ist einer unendlichen, horizontal laufenden Linie zu vergleichen; die erstere aber der sie in jedem beliebigen Punkte schneidenden senkrechten. Die dem Satz vom Grunde nachgehende ist die vernünftige Betrachtungsart, welche im praktischen Leben, wie in der Wissenschaft, allein gilt und hilft: die vom Inhalt jenes Satzes wegsehende ist die geniale Betrachtungsart, welche in der Kunst allein gilt und hilft. Die erstere ist die Betrachtungsart des Aristoteles; die zweite ist im Ganzen die des Plato. Die erstere gleicht dem gewaltigen Sturm, der ohne Anfang und Ziel dahinfährt, Alles beugt, bewegt, mit sich fortreißt; die zweite dem ruhigen Sonnenstrahl, der den Weg dieses Sturmes durchschneidet, von ihm ganz unbewegt. Die erstere gleicht den unzähligen, gewaltsam bewegten Tropfen des Wasserfalls, die stets wechselnd, keinen Augenblick, rasten: die zweite dem auf diesem tobenden Gewühl stille ruhenden Regenbogen. – Nur durch die oben beschriebene, im Objekt ganz aufgehende, reine Kontemplation werden Ideen aufgefaßt, und das Wesen des Genius besteht eben in der überwiegenden Fähigkeit zu solcher Kontemplation: da nun diese ein gänzliches Vergessen der eigenen Person und ihrer Beziehungen verlangt; so ist Genialität nichts Anderes, als die vollkommenste Objektivität, d.h. objektive Richtung des Geistes, entgegengesetzt der subjektiven, auf die eigene Person, d.i. den Willen, gehenden. Demnach ist Genialität die Fähigkeit, sich rein anschauend zu verhalten, sich in die Anschauung zu verlieren und die Erkenntniß, welche ursprünglich nur zum Dienste des Willens daist, diesem Dienste zu entziehn, d.h. sein Interesse, sein Wollen, seine Zwecke, ganz aus den Augen zu lassen, sonach seiner Persönlichkeit sich auf eine Zeit völlig zu entäußern, um als rein erkennendes Subjekt, klares Weltauge, übrig zu bleiben: und dieses nicht auf Augenblicke; sondern so anhaltend und mit so viel Besonnenheit, als nöthig ist, um das Aufgefaßte durch überlegte Kunst zu wiederholen und »was in schwankender Erscheinung schwebt, zu befestigen in dauernden Gedanken«. – Es ist als ob, damit der Genius in einem Individuo hervortrete, diesem ein Maaß der Erkenntnißkraft zugefallen seyn müsse, welches das zum Dienste eines individuellen Willens erforderliche weit übersteigt; welcher frei gewordene Ueberschuß der Erkenntniß, jetzt zum willensreinen Subjekt, zum hellen Spiegel des Wesens der Welt wird. – Daraus erklärt sich die Lebhaftigkeit bis zur Unruhe in genialen Individuen, indem die Gegenwart ihnen selten genügen kann, weil sie ihr Bewußtseyn nicht ausfüllt: dieses giebt ihnen jene rastlose Strebsamkeit, jenes unaufhörliche Suchen neuer und der Betrachtung würdiger Objekte, dann auch jenes fast nie befriedigte Verlangen nach ihnen ähnlichen, ihnen gewachsenen Wesen, denen sie sich mittheilen könnten; während der gewöhnliche Erdensohn, durch die gewöhnliche Gegenwart ganz ausgefüllt und befriedigt, in ihr aufgeht, und dann auch seines Gleichen überall findend, jene besondere Behaglichkeit im Alltagsleben hat, die dem Genius versagt ist. – Man hat als einen wesentlichen Bestandtheil der Genialität die Phantasie erkannt, ja, sie sogar bisweilen für mit jener identisch gehalten: ersteres mit Recht; letzteres mit Unrecht. Da die Objekte des Genius als solchen die ewigen Ideen, die beharrenden wesentlichen Formen der Welt und aller ihrer Erscheinungen sind, die Erkenntniß der Idee aber nothwendig anschaulich, nicht abstrakt ist; so würde die Erkenntniß des Genius beschränkt seyn auf die Ideen der seiner Person wirklich gegenwärtigen Objekte und abhängig von der Verkettung der Umstände, die ihm jene zuführten, wenn nicht die Phantasie seinen Horizont weit über die Wirklichkeit seiner persönlichen Erfahrung erweiterte und ihn in den Stand setzte, aus dem Wenigen, was in seine wirkliche Apperception gekommen, alles Uebrige zu konstruiren und so fast alle möglichen Lebensbilder an sich vorübergehn zu lassen. Zudem sind die wirklichen Objekte fast immer nur sehr mangelhafte Exemplare der in ihnen sich darstellenden Idee: daher der Genius der Phantasie bedarf, um in den Dingen nicht Das zu sehn, was die Natur wirklich gebildet hat, sondern was sie zu bilden sich bemühte, aber, wegen des im vorigen Buche erwähnten Kampfes ihrer Formen unter einander, nicht zu Stande brachte. Wir werden hierauf unten, bei Betrachtung der Bildhauerei, zurückkommen. Die Phantasie also erweitert den Gesichtskreis des Genius über die seiner Person sich in der Wirklichkeit darbietenden Objekte, sowohl der Qualität, als der Quantität nach. Dieserwegen nun ist ungewöhnliche Stärke der Phantasie Begleiterin, ja Bedingung der Genialität. Nicht aber zeugt umgekehrt jene von dieser; vielmehr können selbst höchst ungeniale Menschen viel Phantasie haben. Denn wie man ein wirkliches Objekt auf zweierlei entgegengesetzte Weisen betrachten kann: rein objektiv, genial, die Idee desselben erfassend; oder gemein, bloß in seinen dem Satz. vom Grund gemäßen Relationen zu andern Objekten und zum eigenen Willen; so kann man auch eben so ein Phantasma auf beide Weisen anschauen: in der ersten Art betrachtet, ist es ein Mittel zur Erkenntniß der Idee, deren Mittheilung das Kunstwerk ist: im zweiten Fall wird das Phantasma verwendet, um Luftschlösser zu bauen, die der Selbstsucht und der eigenen Laune zusagen, momentan täuschen und ergötzen; wobei von den so verknüpften Phantasmen eigentlich immer nur ihre Relationen erkannt werden. Der dieses Spiel treibende ist ein Phantast: er wird leicht die Bilder, mit denen er sich einsam ergötzt, in die Wirklichkeit mischen und dadurch für diese untauglich werden: er wird die Gaukeleien seiner Phantasie vielleicht niederschreiben, wo sie die gewöhnlichen Romane aller Gattungen geben, die seines Gleichen und das große Publikum unterhalten, indem die Leser sich an die Stelle des Helden träumen und dann die Darstellung sehr »gemüthlich« finden.

Der gewöhnliche Mensch, diese Fabrikwaare der Natur, wie sie solche täglich zu Tausenden hervorbringt, ist, wie gesägt, einer in jedem Sinn völlig uninteressirten Betrachtung, welches die eigentliche Beschaulichkeit ist, wenigstens durchaus nicht anhaltend fähig: er kann seine Aufmerksamkeit auf die Dinge nur insofern richten, als sie irgend eine, wenn auch nur sehr mittelbare Beziehung auf seinen Willen haben. Da in dieser Hinsicht, welche immer nur die Erkenntniß der Relationen erfordert, der abstrakte Begriff des Dinges hinlänglich und meistens selbst tauglicher ist; so weilt der gewöhnliche Mensch nicht lange bei der bloßen Anschauung, heftet daher seinen Blick nicht lange auf einen Gegenstand; sondern sucht bei Allem, was sich ihm darbietet, nur schnell den Begriff, unter den es zu bringen ist, wie der Träge den Stuhl sucht, und dann Interessirt es ihn nicht weiter. Daher wird er so schnell mit Allem fertig, mit Kunstwerken, schönen Naturgegenständen und dem eigentlich überall bedeutsamen Anblick des Lebens in allen seinen Scenen. Er aber weilt nicht: nur seinen Weg im Leben sucht er, allenfalls auch Alles, was irgend ein Mal sein Weg werden könnte, also topographische Notizen im weitesten Sinn: mit der Betrachtung des Lebens selbst als solchen verliert er keine Zeit. Der Geniale dagegen, dessen Erkenntnißkraft, durch ihr Uebergewicht, sich dem Dienste seines Willens, auf einen Theil seiner Zeit, entzieht, verweilt bei der Betrachtung des Lebens selbst, strebt die Idee jedes Dinges zu erfassen, nicht dessen Relationen zu andern Dingen: darüber vernachlässigt er häufig die Betrachtung seines eigenen Weges im Leben, und geht solchen daher meistens ungeschickt genug. Während dem gewöhnlichen Menschen sein Erkenntnißvermögen die Laterne ist, die seinen Weg beleuchtet, ist es dem Genialen die Sonne, welche die Welt offenbar macht. Diese so verschiedene Weise in das Leben hineinzusehn, wird bald sogar im Aeußern Beider sichtbar. Der Blick des Menschen, in welchem der Genius lebt und wirkt, zeichnet ihn leicht aus, indem er, lebhaft und fest zugleich, den Charakter der Beschaulichkeit, der Kontemplation trägt; wie wir an den Bildnissen der wenigen genialen Köpfe, welche die Natur unter den zahllosen Millionen dann und wann hervorgebracht hat, sehn können: hingegen wird im Bliche der Ändern, wenn er nicht, wie meistens, stumpf oder nüchtern ist, leicht der wahre Gegensatz der Kontemplation sichtbar, das Spähen. Demzufolge besteht der »geniale Ausdruck« eines Kopfes darin, daß ein entschiedenes Uebergewicht des Erkennens über das Wollen darin sichtbar ist, folglich auch ein Erkennen ohne alle Beziehung auf ein Wollen, d.i. ein reines Erkennen, sich darin ausdrückt. Hingegen ist bei Köpfen, wie sie in der Regel sind, der Ausdruck des Wollens vorherrschend, und man sieht, daß das Erkennen immer erst auf Antrieb des Wollens in Thätigkeit geräth, also bloß auf Motive gerichtet ist.

Da die geniale Erkenntniß, oder Erkenntniß der Idee, diejenige ist, welche dem Satz vom Grunde nicht folgt, hingegen die, welche ihm folgt, im Leben Klugheit und Vernünftigkeit ertheilt und die Wissenschaften zu Stande bringt; so werden geniale Individuen mit den Mängeln behaftet seyn, welche die Vernachlässigung der letztem Erkenntnißweise nach sich zieht. Jedoch ist hiebei die Einschränkung zu merken, daß was ich in dieser Hinsicht anführen werde, sie nur trifft insofern und während sie in der genialen Erkenntnißweise wirklich begriffen sind, was keineswegs in jedem Augenblick ihres Lebens der Fall ist, da die große, wiewohl spontane Anspannung, welche zur willensfreien Auffassung der Ideen erfordert wird, nothwendig wieder nachläßt und große Zwischenräume hat, in welchen jene, sowohl in Hinsicht auf Vorzüge als auf Mängel, den gewöhnlichen Menschen ziemlich gleich stehn. Man hat dieserhalb von jeher das Wirken des Genius als eine Inspiration, ja wie der Name selbst bezeichnet, als das Wirken eines vom Individuo selbst verschiedenen übermenschlichen Wesens angesehn, das nur periodisch jenes in Besitz nimmt. Die Abneigung genialer Individuen, die Aufmerksamkeit auf den Inhalt des Satzes vom Grunde zu richten, wird sich zuerst in Hinsicht auf den Grund des Seyns zeigen, als Abneigung gegen Mathematik, deren Betrachtung auf die allgemeinsten Formen der Erscheinung, Raum und Zeit, welche selbst nur Gestaltungen des Satzes vom Grunde sind, geht und daher ganz das Gegentheil derjenigen Betrachtung ist, die gerade nur den Inhalt der Erscheinung, die sich darin aussprechende Idee, aufsucht, von allen Relationen absehend. Außerdem wird noch die logische Behandlung der Mathematik dem Genius widerstehn, da diese, die eigentliche Einsicht verschließend, nicht befriedigt, sondern eine bloße Verkettung von Schlüssen, nach dem Satz des Erkenntnißgrundes darbietend, von allen Geisteskräften am meisten das Gedächtniß in Anspruch nimmt, um nämlich immer alle die früheren Sätze, darauf man sich beruft, gegenwärtig zu haben. Auch hat die Erfahrung bestätigt, daß große Genien m der Kunst zur Mathematik keine Fähigkeit haben: nie war ein Mensch zugleich in Beiden sehr ausgezeichnet. Alfieri erzählt, daß er sogar nie nur den vierten Lehrsatz des Eukleides begreifen gekonnt. Goethen ist der Mangel mathematischer Kenntniß zur Genüge vorgeworfen worden von den unverständigen Gegnern seiner Farbenlehre: freilich hier, wo es nicht auf Rechnen und Messen nach hypothetischen Datis, sondern auf unmittelbare Verstandeserkenntniß der Ursache und Wirkung ankam, war jener Vorwurf so ganz queer und am unrechten Ort, daß jene ihren totalen Mangel an Urtheilskraft dadurch eben so sehr, als durch ihre übrigen Midas-Aussprüche an den Tag gelegt haben. Daß noch heute, fast ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen der Goethe'schen Farbenlehre, sogar in Deutschland, die Neutonischen Flausen ungestört im Besitz der Lehrstühle bleiben und man fortfährt, ganz ernsthaft von den sieben homogenen Lichtern und ihrer verschiedenen Brechbarkeit zu reden, – wird einst unter den großen intellektualen Charakterzügen der Menschheit überhaupt und der Deutschheit insbesondere aufgezählt werden. – Aus dem selben oben angegebenen Grunde erklärt sich die eben so bekannte Thatsache, daß umgekehrt, ausgezeichnete Mathematiker wenig Empfänglichkeit für die Werke der schönen Kunst haben, was sich besonders naiv ausspricht in der bekannten Anekdote von jenem französischen Mathematiker, der nach Durchlesung der Iphigenia des Racine achselzuckend fragte: Qu'est-ce-que cela prouve? – Da ferner scharfe Auffassung der Beziehungen gemäß dem Gesetze der Kausalität und Motivation eigentlich die Klugheit ausmacht, die geniale Erkenntniß aber nicht auf die Relationen gerichtet ist; so wird ein Kluger, sofern und während er es ist, nicht genial, und ein Genialer, sofern und während er es ist, nicht klug seyn. – Endlich steht überhaupt die anschauliche Erkenntniß, in deren Gebiet die Idee durchaus liegt, der vernünftigen oder abstrakten, welche der Satz vom Grunde des Erkennens leitet, gerade entgegen. Auch findet man bekanntlich selten große Genialität mit vorherrschender Vernünftigkeit gepaart, vielmehr sind umgekehrt geniale Individuen oft heftigen Affekten und unvernünftigen Leidenschaften unterworfen. Der Grund hievon ist dennoch nicht Schwäche der Vernunft, sondern theils ungewöhnliche Energie der ganzen Willenserscheinung, die das geniale Individuum ist, und welche sich durch Heftigkeit aller Willensakte äußert, theils Uebergewicht der anschauenden Erkenntniß durch Sinne und Verstand über die abstrakte, daher entschiedene Richtung auf das Anschauliche, dessen bei ihnen höchst energischer Eindruck die farblosen Begriffe so sehr überstrahlt, daß nicht mehr diese, sondern jener das Handeln leitet, welches eben dadurch unvernünftig wird: demnach ist der Eindruck der Gegenwart auf sie sehr mächtig, reißt sie hin zum Unüberlegten, zum Affekt, zur Leidenschaft. Daher auch, und überhaupt weil ihre Erkenntniß sich zum Theil dem Dienste des Willens entzogen hat, werden sie im Gespräche nicht sowohl an die Person denken, zu der, sondern mehr an die Sache, wovon sie reden, die ihnen lebhaft vorschwebt: daher werden sie für ihr Interesse zu objektiv urtheilen oder erzählen, nicht verschweigen, was klüger verschwiegen bliebe u.s.w. Daher endlich sind sie zu Monologen geneigt und können überhaupt mehrere Schwächen zeigen, die sich wirklich dem Wahnsinn nähern. Daß Genialität und Wahnsinn eine Seite haben, wo sie an einander gränzen, ja in einander übergehn, ist oft bemerkt und sogar die dichterische Begeisterung eine Art Wahnsinn genannt worden: amabilis insania nennt sie Horaz (Od. III, 4) und »holden Wahnsinn« Wieland im Eingang zum »Oberon«. Selbst Aristoteles soll, nach Seneka's Anführung (de tranq. animi, 15, 16), gesagt haben: Nullum magnum ingenium sine mixtura dementiae fuit. Plato drückt es, im oben angeführten Mythos von der finstern Höhle (de Rep. 7), dadurch aus, daß er sagt: Diejenigen, welche außerhalb der Höhle das wahre Sonnenlicht und die wirklich seienden Dinge (die Ideen) geschaut haben, können nachmals in der Höhle, weil ihre Augen der Dunkelheit entwöhnt sind, nicht mehr sehn, die Schattenbilder da unten nicht mehr recht erkennen, und werden deshalb, bei ihren Mißgriffen, von den Ändern verspottet, die nie aus dieser Höhle und von diesen Schattenbildern fortkamen. Auch sagt er im Phädros (S. 317) geradezu, daß ohne einen gewissen Wahnsinn kein achter Dichter seyn könne, ja (S. 327) daß jeder, welcher in den vergänglichen Dingen die ewigen Ideen erkennt, als wahnsinnig erscheine. Auch Cicero führt an: Negat enim, sine furore, Democritus, quemquam poetam magnum esse posse; quod idem dicit Plato (de divin. I, 37). Und endlich sagt Pope:

Great wits to madness sure are near allied,

And thin partitions do their bounds divide.55

Besonders lehrreich in dieser Hinsicht ist Goethes »Torquato Tasso«, in welchem er uns nicht nur das Leiden, das wesentliche Märtyrerthum des Genius als solchen, sondern auch dessen stetigen Uebergang zum Wahnsinn vor die Augen stellt. Endlich wird die Thatsache der unmittelbaren Berührung zwischen Genialität und Wahnsinn theils durch die Biographien sehr genialer Menschen, z.B. Rousseau's, Byron's, Alfieri's, und durch Anekdoten aus dem Leben anderer bestätigt; theils muß ich andererseits erwähnen, bei häufiger Besuchung der Irrenhäuser, einzelne Subjekte von unverkennbar großen Anlagen gefunden zu haben, deren Genialität deutlich durch den Wahnsinn durchblickte, welcher hier aber völlig die Oberhand erhalten hatte. Dieses kann nun nicht dem Zufall zugeschrieben werden, weil einerseits die Anzahl der Wahnsinnigen verhältnißmäßig sehr klein ist, andererseits aber ein geniales Individuum eine über alle gewöhnliche Schätzung seltene und nur als die größte Ausnahme in der Natur hervortretende Erscheinung ist; wovon man sich allein dadurch überzeugen kann, daß man die wirklich großen Genien, welche das ganze kultivirte Europa in der ganzen alten und neuen Zeit hervorgebracht hat, wohin aber allein diejenigen zu rechnen sind, welche Werke lieferten, die durch alle Zeiten einen bleibenden Werth für die Menschheit behalten haben, – daß man, sage ich, diese Einzelnen aufzählt und ihre Zahl vergleicht mit den 250 Millionen, welche, sich alle dreißig Jahre erneuernd, beständig in Europa leben. Ja, ich will nicht unerwähnt lassen, daß ich einige Leute von zwar nicht bedeutender, aber doch entschiedener, geistiger Ueberlegenheit gekannt habe, die zugleich einen leisen Anstrich von Verrücktheit verriethen. Danach möchte es scheinen, daß jede Steigerung des Intellekts über das gewöhnliche Maaß hinaus, als eine Abnormität, schon zum Wahnsinn disponirt. Inzwischen will ich über den rein intellektuellen Grund jener Verwandtschaft zwischen Genialität und Wahnsinn meine Meinung möglichst kurz vortragen, da diese Erörterung allerdings zur Erklärung des eigentlichen Wesens der Genialität, d.h. derjenigen Geisteseigenschaft, welche allein ächte Kunstwerke schaffen kann, beitragen wird. Dies macht aber eine kurze Erörterung des Wahnsinnes selbst nothwendig.56

Eine klare und vollständige Einsicht in das Wesen des Wahnsinnes, ein richtiger und deutlicher Begriff Desjenigen, was eigentlich den Wahnsinnigen vom Gesunden unterscheidet, ist, meines Wissens, noch immer nicht gefunden. – Weder Vernunft, noch Verstand kann den Wahnsinnigen abgesprochen werden: denn sie reden und vernehmen, sie schließen oft sehr richtig; auch schauen sie in der Regel das Gegenwärtige ganz richtig an und sehn den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung ein. Visionen, gleich Fieberphantasien, sind kein gewöhnliches Symptom des Wahnsinnes: das Delirium verfälscht die Anschauung, der Wahnsinn die Gedanken. Meistens nämlich irren die Wahnsinnigen durchaus nicht in der Kenntniß des unmittelbar Gegenwärtigen; sondern ihr Irrereden bezieht sich immer auf das Abwesende und Vergangene, und nur dadurch auf dessen Verbindung mit dem Gegenwärtigen. Daher nun scheint mir ihre Krankheit besonders das Gedächtniß zu treffen; zwar nicht so, daß es ihnen ganz fehlte: denn Viele wissen Vieles auswendig und erkennen bisweilen Personen, die sie lange nicht gesehn, wieder; sondern vielmehr so, daß der Faden des Gedächtnisses zerrissen, der fortlaufende Zusammenhang desselben aufgehoben und keine gleichmäßig zusammenhängende Rückerinnerung der Vergangenheit möglich ist. Einzelne Scenen der Vergangenheit stehn richtig da, so wie die einzelne Gegenwart; aber in ihrer Rückerinnerung sind Lücken, welche sie dann mit Fiktionen ausfüllen, die entweder, stets die selben, zu fixen Ideen werden: dann ist es fixer Wahn, Melancholie; oder jedesmal andere sind, augenblickliche Einfälle; dann heißt es Narrheit, fatuitas. Dieserhalb ist es so schwer, einem Wahnsinnigen, bei seinem Eintritt ins Irrenhaus, seinen frühem Lebenslauf abzufragen. Immer mehr nun vermischt sich in seinem Gedächtnisse Wahres mit Falschem. Obgleich die unmittelbare Gegenwart richtig erkannt wird, so wird sie verfälscht durch den fingirten Zusammenhang mit einer gewähnten Vergangenheit: sie halten daher sich selbst und Andere für identisch mit Personen, die bloß in ihrer fingirten Vergangenheit liegen, erkennen manche Bekannte gar nicht wieder, und haben so, bei richtiger Vorstellung des gegenwärtigen Einzelnen, lauter falsche Relationen desselben zum Abwesenden. Erreicht der Wahnsinn einen hohen Grad, so entsteht völlige Gedächtnißlosigkeit, weshalb dann der Wahnsinn durchaus keiner Rücksicht auf irgend etwas Abwesendes, oder Vergangenes fähig ist, sondern ganz allein durch die augenblickliche Laune, in Verbindung mit den Fiktionen, welche in seinem Kopf die Vergangenheit füllen, bestimmt wird: man ist alsdann bei ihm, wenn man ihm nicht stets die Uebermacht vor Augen hält, keinen Augenblick vor Mißhandlung, oder Mord gesichert. – Die Erkenntniß des Wahnsinnigen hat mit der des Thieres dies gemein, daß beide auf das Gegenwärtige beschränkt sind; aber was sie unterscheidet ist dieses: das Thier hat eigentlich gar keine Vorstellung von der Vergangenheit als solcher, obwohl dieselbe durch das Medium der Gewohnheit auf das Thier wirkt, daher z.B. der Hund seinen frühem Herrn auch nach Jahren wiederkennt, d.h. von dessen Anblick den gewohnten Eindruck erhält; aber von der seitdem verflossenen Zelt hat er doch keine Rückerinnerung: der Wahnsinnige dagegen trägt in seiner Vernunft auch immer eine Vergangenheit in abstracto herum, aber eine falsche, die nur für ihn existirt und dies entweder allezeit, oder auch nur eben jetzt: der Einfluß dieser falschen Vergangenheit verhindert nun auch den Gebrauch der richtig erkannten Gegenwart, den doch das Thier macht. Daß heftiges geistiges Leiden, unerwartete entsetzliche Begebenheiten häufig Wahnsinn veranlassen, erkläre ich mir folgendermaaßen. Jedes solches Leiden ist immer als wirkliche Begebenheit auf die Gegenwart beschränkt, also nur vorübergehend und insofern noch immer nicht übermäßig schwer: überschwänglich groß wird es erst, sofern es bleibender Schmerz ist; aber als solcher ist es wieder allein ein Gedanke und liegt daher im Gedächtniß: wenn nun ein solcher Kummer, ein solches schmerzliches Wissen, oder Andenken, so quaalvoll ist, daß es schlechterdings unerträglich fällt, und das Individuum ihm unterliegen würde, – dann greift die dermaaßen geängstigte Natur zum Wahnsinn als zum letzten Rettungsmittel des Lebens: der so sehr gepeinigte Geist zerreißt nun gleichsam den Faden seines Gedächtnisses, füllt die Lücken mit Fiktionen aus und flüchtet so sich von dem seine Kräfte übersteigenden geistigen Schmerz zum Wahnsinn – wie man ein vom Brande ergriffenes Glied abnimmt und es durch ein hölzernes ersetzt. – Als Beispiel betrachte man den rasenden Ajax, den König Lear und die Ophelia: denn die Geschöpfe des ächten Genius, auf welche allein man sich hier, als allgemein bekannt, berufen kann, sind wirklichen Personen an Wahrheit gleich zu setzen: übrigens zeigt auch die häufige wirkliche Erfahrung hier durchaus das Selbe. Ein schwaches Analogen jener Art des Ueberganges vom Schmerz zum Wahnsinn ist dieses, daß wir Alle oft ein peinigendes Andenken, das uns plötzlich einfällt, wie mechanisch, durch irgend eine laute Aeußerung oder eine Bewegung zu verscheuchen, uns selbst davon abzulenken, mit Gewalt uns zu zerstreuen suchen. –

Sehn wir nun angegebenermaaßen den Wahnsinnigen das einzelne Gegenwärtige, auch manches einzelne Vergangene, richtig erkennen, aber den Zusammenhang, die Relationen verkennen und daher irren und irrereden; so ist eben dieses der Punkt seiner Berührung mit dem genialen Individuo: denn auch dieses, da es die Erkenntniß der Relationen, welches die gemäß dem Satze des Grundes ist, verläßt, um in den Dingen nur ihre Ideen zu sehn und zu suchen, ihr sich anschaulich aussprechendes eigentliches Wesen zu ergreifen, in Hinsicht auf welches ein Ding seine ganze Gattung repräsentirt und daher, wie Goethe sagt, ein Fall für Tausende gilt, – auch der Geniale läßt darüber die Erkenntniß des Zusammenhangs der Dinge aus den Augen: das einzelne Objekt seiner Beschauung, oder die übermäßig lebhaft von ihm aufgefaßte Gegenwart, erscheinen in so hellem Licht, daß gleichsam die übrigen Glieder der Kette, zu der sie gehören, dadurch in Dunkel zurücktreten, und dies giebt eben Phänomene, die mit denen des Wahnsinns eine längst erkannte Aehnlichkeit haben. Was im einzelnen vorhandenen Dinge nur unvollkommen und durch Modifikationen geschwächt daist, steigert die Betrachtungsweise des Genius zur Idee davon, zum Vollkommenen: er sieht daher überall Extreme, und eben dadurch geräth sein Handeln auf Extreme: er weiß das rechte Maaß nicht zu treffen, ihm fehlt die Nüchternheit, und das Resultat ist das besagte. Er erkennt die Ideen vollkommen, aber nicht die Individuen. Daher kann, wie man bemerkt hat, ein Dichter den Menschen tief und gründlich kennen, die Menschen aber sehr schlecht; er ist leicht zu hintergehn und ein Spiel in der Hand des Listigen.57

§ 37

Obgleich nun, unserer Darstellung zufolge, der Genius in der Fähigkeit besteht, unabhängig vom Satze des Grundes und daher, statt der einzelnen Dinge, welche ihr Daseyn nur in der Relation haben, die Ideen derselben zu erkennen und diesen gegenüber selbst das Korrelat der Idee, also nicht mehr Individuum, sondern reines Subjekt des Erkennens zu seyn; so muß dennoch diese Fähigkeit, in geringerem und verschiedenem Grade auch allen Menschen einwohnen; da sie sonst eben so wenig fähig wären die Werke der Kunst zu genießen, als sie hervorzubringen, und überhaupt für das Schöne und Erhabene durchaus keine Empfänglichkeit besitzen, ja diese Worte für sie keinen Sinn haben könnten. Wir müssen daher in allen Menschen, wenn es nicht etwan welche giebt, die durchaus keines ästhetischen Wohlgefallens fähig sind, jenes Vermögen in den Dingen ihre Ideen zu erkennen, und eben damit sich ihrer Persönlichkeit augenblicklich zu entäußern, als vorhanden annehmen. Der Genius hat vor ihnen nur den viel hohem Grad und die anhaltendere Dauer jener Erkenntnißweise voraus, welche ihn bei derselben die Besonnenheit behalten lassen, die erfordert ist, um das so Erkannte in einem willkürlichen Werk zu wiederholen, welche Wiederholung das Kunstwerk ist. Durch dasselbe theilt er die aufgefaßte Idee den Ändern mit. Diese bleibt dabei unverändert und die selbe: daher ist das ästhetische Wohlgefallen wesentlich Eines und das selbe, es mag durch ein Werk der Kunst, oder unmittelbar durch die Anschauung der Natur und des Lebens hervorgerufen seyn. Das Kunstwerk ist bloß ein Erleichterungsmittel derjenigen Erkenntniß, in welcher jenes Wohlgefallen besteht. Daß aus dem Kunstwerk die Idee uns leichter entgegentritt, als unmittelbar aus der Natur und der Wirklichkeit, kommt allein daher, daß der Künstler, der nur die Idee, nicht mehr die Wirklichkeit erkannte, in seinem Werk auch nur die Idee rein wiederholt hat, sie ausgesondert hat aus der Wirklichkeit, mit Auslassung aller störenden Zufälligkeiten. Der Künstler läßt uns durch seine Augen in die Welt blicken. Daß er diese Augen hat, daß er das Wesentliche, außer allen Relationen liegende der Dinge erkennt, ist eben die Gabe des Genius, das Angeborene; daß er aber im Stande ist, auch uns diese Gabe zu leihen, uns seine Augen aufzusetzen: dies ist das Erworbene, das Technische der Kunst. Dieserhalb nun wird, nachdem ich im Vorhergehenden das innere Wesen der ästhetischen Erkenntnißart in seinen allgemeinsten Grundlinien dargestellt habe, die jetzt folgende nähere philosophische Betrachtung des Schönen und Erhabenen Beide in der Natur und in der Kunst zugleich erörtern, ohne diese weiter zu trennen. Was im Menschen vorgeht, wann ihn das Schöne, wann ihn das Erhabene rührt, werden wir zunächst betrachten: ob er diese Rührung unmittelbar aus der Natur, aus dem Leben schöpft, oder nur durch die Vermittelung der Kunst ihrer theilhaft wird, begründet keinen wesentlichen, sondern nur einen äußerlichen Unterschied.

§ 38

Wir haben in der ästhetischen Betrachtungsweise zwei unzertrennliche Bestandtheile gefunden: die Erkenntniß des Objekts, nicht als einzelnen Dinges, sondern als Platonischer Idee, d.h. als beharrender Form dieser ganzen Gattung von Dingen; sodann das Selbstbewußtseyn des Erkennenden, nicht als Individuums, sondern als reinen, willenlosen Subjekts der Erkenntniß. Die Bedingung, unter welcher beide Bestandtheile immer vereint eintreten, war das Verlassen der an den Satz vom Grund gebundenen Erkenntnißweise, welche hingegen zum Dienste des Willens, wie auch zur Wissenschaft, die allein taugliche ist. – Auch das Wohlgefallen, das durch die Betrachtung des Schönen erregt wird, werden wir aus jenen beiden Bestandtheilen hervorgehn sehn, und zwar bald mehr aus dem einen, bald mehr aus dem andern, je nachdem der Gegenstand der ästhetischen Kontemplation ist.

Alles Wollen entspringt aus Bedürfniß, also aus Mangel, also aus Leiden. Diesem macht die Erfüllung ein Ende; jedoch gegen einen Wunsch, der erfüllt wird, bleiben wenigstens zehn versagt: ferner, das Begehren dauert lange, die Forderungen gehn ins Unendliche; die Erfüllung ist kurz und kärglich bemessen. Sogar aber ist die endliche Befriedigung selbst nur scheinbar: der erfüllte Wunsch macht gleich einem neuen Platz: jener ist ein erkannter, dieser ein noch unerkannter Irrthum. Dauernde, nicht mehr weichende Befriedigung kann kein erlangtes Objekt des Wollens geben: sondern es gleicht immer nur dem Almosen, das dem Bettler zugeworfen, sein Leben heute fristet, um seine Quaal auf Morgen zu verlängern. – Darum nun, solange unser Bewußtseyn von unserm Willen erfüllt ist, solange wir dem Drange der Wünsche, mit seinem steten Hoffen und Fürchten, hingegeben sind, solange wir Subjekt des Wollens sind, wird uns nimmermehr dauerndes Glück, noch Ruhe. Ob wir jagen, oder fliehn, Unheil fürchten, oder nach Genuß streben, ist im Wesentlichen einerlei: die Sorge für den stets fordernden Willen, gleichviel in welcher Gestalt, erfüllt und bewegt fortdauernd das Bewußtseyn; ohne Ruhe aber ist durchaus kein wahres Wohlseyn möglich. So liegt das Subjekt des Wollens beständig auf dem drehenden Rade des Ixion, schöpft immer im Siebe der Danaiden, ist der ewig schmachtende Tantalus.

Wann aber äußerer Anlaß, oder innere Stimmung, uns plötzlich aus dem endlosen Strohme des Wollens heraushebt, die Erkenntniß dem Sklavendienste des Willens entreißt, die Aufmerksamkeit nun nicht mehr auf die Motive des Wollens gerichtet wird, sondern die Dinge frei von ihrer Beziehung auf den Willen auffaßt, also ohne Interesse, ohne Subjektivität, rein objektiv sie betrachtet, ihnen ganz hingegeben, sofern sie bloß Vorstellungen, nicht sofern sie Motive sind: dann ist die auf jenem ersten Wege des Wollens immer gesuchte, aber immer entfliehende Ruhe mit einem Male von selbst eingetreten, und uns ist völlig wohl. Es ist der schmerzenslose Zustand, den Epikuros als das höchste Gut und als den Zustand der Götter pries: denn wir sind, für jenen Augenblick, des schnöden Willensdranges entledigt, wir feiern den Sabbath der Zuchthausarbeit des Wollens, das Rad des Ixion steht still.

Dieser Zustand ist aber eben der, welchen ich oben beschrieb als erforderlich zur Erkenntniß der Idee, als reine Kontemplation, Aufgehn in der Anschauung, Verlieren ins Objekt, Vergessen aller Individualität, Aufhebung der dem Satz vom Grunde folgenden und nur Relationen fassenden Erkenntnißweise, wobei zugleich und unzertrennlich das angeschaute einzelne Ding zur Idee seiner Gattung, das erkennende Individuum zum reinen Subjekt des willenlosen Erkennens sich erhebt, und nun Beide als solche nicht mehr im Strohme der Zeit und aller andern Relationen stehn. Es ist dann einerlei, ob man aus dem Kerker, oder aus dem Palast die Sonne untergehn sieht.

Innere Stimmung, Uebergewicht des Erkennens über das Wollen, kann unter jeder Umgebung diesen Zustand hervorrufen. Dies zeigen uns jene trefflichen Niederländer, welche solche rein objektive Anschauung auf die unbedeutendesten Gegenstände richteten und ein dauerndes Denkmal ihrer Objektivität und Geistesruhe im Stillleben hinstellten, welches der ästhetische Beschauer nicht ohne Rührung betrachtet, da es ihm den ruhigen, stillen, willensfreien Gemüthszustand des Künstlers vergegenwärtigt, der nöthig war, um so unbedeutende Dinge so objektiv anzuschauen, so aufmerksam zu betrachten und diese Anschauung so besonnen zu wiederholen: und indem das Bild auch ihn zur Theilnahme an solchem Zustand auffordert, wird seine Rührung oft noch vermehrt durch den Gegensatz der eigenen, unruhigen, durch heftiges Wollen getrübten Gemüthsverfassung, in der er sich eben befindet. Im selben Geiste haben oft Landschaftsmaler, besonders Ruisdael, höchst unbedeutende landschaftliche Gegenstände gemalt, und dadurch die selbe Wirkung noch erfreulicher hervorgebracht.

So viel leistet ganz allein die innere Kraft eines künstlerischen Gemüthes: aber erleichtert und von außen befördert wird jene rein objektive Gemüthsstimmung durch entgegenkommende Objekte, durch die zu ihrem Anschauen einladende, ja sich aufdringende Fülle der schönen Natur. Ihr gelingt es, so oft sie mit einem Male unserm Blicke sich aufthut, fast immer, uns, wenn auch nur auf Augenblicke, der Subjektivität, dem Sklavendienste des Willens zu entreißen und in den Zustand des reinen Erkennens zu versetzen. Darum wird auch der von Leidenschaften, oder Noth und Sorge Gequälte durch einen einzigen freien Blick in die Natur so plötzlich erquickt, erheitert und aufgerichtet: der Sturm der Leidenschaften, der Drang des Wunsches und der Furcht und alle Quaal des Wollens sind dann sogleich auf eine wundervolle Art beschwichtigt. Denn in dem Augenblicke, wo wir, vom Wollen losgerissen, uns dem reinen willenlosen Erkennen hingegeben haben, sind wir gleichsam in eine andere Welt getreten, wo Alles, was unsern Willen bewegt und dadurch uns so heftig erschüttert, nicht mehr ist. Jenes Freiwerden der Erkenntniß hebt uns aus dem Allen eben so sehr und ganz heraus, wie der Schlaf und der Traum: Glück und Unglück sind verschwunden: wir sind nicht mehr das Individuum, es ist vergessen, sondern nur noch reines Subjekt der Erkenntniß: wir sind nur noch da als das eine Weltauge, was aus allen erkennenden Wesen blickt, im Menschen allein aber völlig frei vom Dienste des Willens werden kann, wodurch aller Unterschied der Individualität so gänzlich verschwindet, daß es alsdann einerlei ist, ob das schauende Auge einem mächtigen König, oder einem gepeinigten Bettler angehört. Denn weder Glück noch Jammer wird über jene Gränze mit hinüber genommen. So nahe liegt uns beständig ein Gebiet, auf welchem wir allem unserm Jammer gänzlich entronnen sind; aber wer hat die Kraft, sich lange darauf zu erhalten? Sobald irgend eine Beziehung eben jener also rein angeschauten Objekte zu unserm Willen, zu unserer Person, wieder ins Bewußtsein tritt, hat der Zauber ein Ende: wir fallen zurück in die Erkenntniß, welche der Satz vom Grunde beherrscht, erkennen nun nicht mehr die Idee, sondern das einzelne Ding, das Glied einer Kette, zu der auch wir gehören, und wir sind allem unserm Jammer wieder hingegeben. – Die meisten Menschen stehn, weil ihnen Objektivität, d.i. Genialität, gänzlich abgeht, fast immer auf diesem Standpunkt. Daher sind sie nicht gern allein mit der Natur: sie brauchen Gesellschaft, wenigstens ein Buch. Denn ihr Erkennen bleibt dem Willen dienstbar: sie suchen daher an den Gegenständen nur die etwanige Beziehung auf ihren Willen, und bei Allem, was keine solche Beziehung hat, ertönt in ihrem Innern, gleichsam wie ein Grundbaß, ein beständiges, trostloses »Es hilft mir nichts«: dadurch erhält in der Einsamkeit auch die schönste Umgebung ein ödes, finsteres, fremdes, feindliches Ansehn für sie.

Jene Säligkeit des willenlosen Anschauens ist es endlich auch, welche über die Vergangenheit und Entfernung einen so wundersamen Zauber verbreitet und sie in so sehr verschönerndem Lichte uns darstellt, durch eine Selbsttäuschung. Denn indem wir längst vergangene Tage, an einem fernen Orte verlebt, uns vergegenwärtigen, sind es die Objekte allein, welche unsere Phantasie zurückruft, nicht das Subjekt des Willens, das seine unheilbaren Leiden damals eben so wohl mit sich herumtrug, wie jetzt; aber diese sind vergessen, weil sie seitdem schon oft andern Platz gemacht haben. Nun wirkt die objektive Anschauung in der Erinnerung eben so, wie die gegenwärtige wirken würde, wenn wir es über uns vermöchten, uns willensfrei ihr hinzugeben. Daher kommt es, daß besonders wann mehr als gewöhnlich irgend eine Noth uns beängstiget, die plötzliche Erinnerung an Scenen der Vergangenheit und Entfernung wie ein verlorenes Paradies an uns vorüberfliegt. Bloß das Objektive, nicht das Individuell-Subjektive ruft die Phantasie zurück, und wir bilden uns ein, daß jenes Objektive damals eben so rein, von keiner Beziehung auf den Willen getrübt vor uns gestanden habe, wie jetzt sein Bild in der Phantasie: da doch vielmehr die Beziehung der Objekte auf unser Wollen uns damals Quaal schuf, so gut wie jetzt. Wir können durch die gegenwärtigen Objekte, eben so wohl, wie durch die entfernten, uns allem Leiden entziehn, sobald wir uns zur rein objektiven Betrachtung derselben erheben und so die Illusion hervorzubringen vermögen, daß allein jene Objekte, nicht wir selbst gegenwärtig wären: dann werden wir, des leidigen Selbst entledigt, als reines Subjekt des Erkennens mit jenen Objekten völlig Eins, und so fremd unsere Noth ihnen ist, so fremd ist sie, in solchen Augenblicken, uns selbst. Die Welt als Vorstellung ist dann allein noch übrig, und die Welt als Wille ist verschwunden.

Durch alle diese Betrachtungen wünsche ich deutlich gemacht zu haben, welcher Art und wie groß der Antheil sei, den am ästhetischen Wohlgefallen die subjektive Bedingung desselben hat, nämlich die Befreiung des Erkennens vom Dienste des Willens, das Vergessen seines Selbst als Individuums und die Erhöhung des Bewußtseins zum reinen, willenlosen, zeitlosen, von allen Relationen unabhängigen Subjekt des Erkennens. Mit dieser subjektiven Seite der ästhetischen Beschauung tritt als nothwendiges Korrelat immer zugleich die objektive Seite derselben ein, die intuitive Auffassung der Platonischen Idee. Bevor wir uns aber zur nähern Betrachtung dieser und zu den Leistungen der Kunst in Beziehung auf dieselbe wenden, ist es zweckmäßiger, noch etwas bei der subjektiven Seite des ästhetischen Wohlgefallens zu verweilen, um deren Betrachtung durch die Erörterung des von ihr allein abhängigen und durch eine Modifikation derselben entstehenden Eindrucks des Erhabenen zu vollenden. Danach wird unsere Untersuchung des ästhetischen Wohlgefallens, durch die Betrachtung der objektiven Seite desselben, ihre ganze Vollständigkeit erhalten.

Dem Bisherigen aber gehören zuvor noch folgende Bemerkungen an. Das Licht ist das Erfreulichste der Dinge: es ist das Symbol alles Guten und Heilbringenden geworden. In allen Religionen bezeichnet es das ewige Heil, und die Finsterniß die Verdammniß. Ormuzd wohnt im reinsten Lichte, Ahriman in ewiger Nacht. In Dante's Paradiese sieht es ungefähr aus wie im Vauxhall zu London, indem alle säligen Geister daselbst als Lichtpunkte erscheinen, die sich zu regelmäßigen Figuren zusammenstellen. Die Abwesenheit des Lichtes macht uns unmittelbar traurig; seine Wiederkehr beglückt: die Farben erregen unmittelbar ein lebhaftes Ergötzen, welches, wenn sie transparent sind, den höchsten Grad erreicht. Dies Alles kommt allein daher, daß das Licht das Korrelat und die Bedingung der vollkommensten anschaulichen Erkenntnißweise ist, der einzigen, die unmittelbar durchaus nicht den Willen afficirt. Denn das Sehn ist gar nicht, wie die Affektion der andern Sinne, an sich, unmittelbar und durch seine sinnliche Wirkung, einer Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit der Empfindung im Organ fähig, d.h. hat keine unmittelbare Verbindung mit dem Willen: sondern erst die im Verstande entspringende Anschauung kann eine solche haben, die dann in der Relation des Objekts zum Willen liegt. Schon beim Gehör ist dies anders: Töne können unmittelbar Schmerz erregen und auch unmittelbar sinnlich, ohne Bezug auf Harmonie oder Melodie, angenehm seyn. Das Getast, als mit dem Gefühl des ganzen Leibes Eines, ist diesem unmittelbaren Einfluß auf den Willen noch mehr unterworfen: doch giebt es noch ein schmerz- und wollustloses Tasten. Gerüche aber sind immer angenehm oder unangenehm: Geschmäcke noch mehr. Die beiden letzteren Sinne sind also am meisten mit dem Willen inquinirt: daher sind sie immer die unedelsten und von Kant die subjektiven Sinne genannt worden. Die Freude über das Licht ist also in der That nur die Freude über die objektive Möglichkeit der reinsten und vollkommensten anschaulichen Erkenntnißweise und als solche daraus abzuleiten, daß das reine von allem Wollen befreite und entledigte Erkennen höchst erfreulich ist und schon als solches einen großen Antheil am ästhetischen Genüsse hat. – Aus dieser Ansicht des Lichtes ist wieder die unglaublich große Schönheit abzuleiten, die wir der Abspiegelung der Objekte im Wasser zuerkennen, jene leichteste, schnellste, feinste Art der Einwirkung von Körpern auf einander, sie, der wir auch die bei weitem vollkommenste und reinste unserer Wahrnehmungen verdanken: die Einwirkung mittelst zurückgeworfener Lichtstrahlen: diese wird uns hier ganz deutlich, übersehbar und vollständig, in Ursache und Wirkung, und zwar im Großen, vor die Augen gebracht: daher unsere ästhetische Freude darüber, welche, der Hauptsache nach, ganz im subjektiven Grunde des ästhetischen Wohlgefallens wurzelt und Freude über das reine Erkennen und seine Wege ist58.

§ 39

An alle diese Betrachtungen nun, welche den subjektiven Theil des ästhetischen Wohlgefallens hervorheben sollen, also dieses Wohlgefallen, sofern es Freude über das bloße, anschauliche Erkennen als solches, im Gegensatz des Willens, ist, – schließt sich, als unmittelbar damit zusammenhängend, folgende Erklärung derjenigen Stimmung, welche man das Gefühl des Erhabenen genannt hat.

Es ist schon oben bemerkt, daß das Versetzen in den Zustand des reinen Anschauens am leichtesten eintritt, wenn die Gegenstände demselben entgegenkommen, d.h. durch ihre mannigfaltige und zugleich bestimmte und deutliche Gestalt leicht zu Repräsentanten ihrer Ideen werden, worin eben die Schönheit, im objektiven Sinne, besteht. Vor Allem hat die schöne Natur diese Eigenschaft und gewinnt dadurch selbst dem Unempfindlichsten wenigstens ein flüchtiges ästhetisches Wohlgefallen ab: ja, es ist so auffallend, wie besonders die Pflanzenwelt zur ästhetischen Betrachtung auffordert und sich gleichsam derselben aufdringt, daß man sagen möchte, dieses Entgegenkommen stände damit in Verbindung, daß diese organischen Wesen nicht selbst, wie die thierischen Leiber, unmittelbares Objekt der Erkenntniß sind, daher sie des fremden verständigen Individuums bedürfen, um aus der Welt des blinden Wollens in die der Vorstellung einzutreten, weshalb sie gleichsam nach diesem Eintritt sich sehnten, um wenigstens mittelbar zu erlangen, was ihnen unmittelbar versagt ist. Ich lasse übrigens diesen gewagten und vielleicht an Schwärmerei gränzenden Gedanken ganz und gar dahingestellt seyn, da nur eine sehr innige und hingebende Betrachtung der Natur ihn erregen oder rechtfertigen kann59. Solange nun dieses Entgegenkommen der Natur, die Bedeutsamkeit und Deutlichkeit ihrer Formen, aus denen die in ihnen individualisirten Ideen uns leicht ansprechen, es ist, die uns aus der dem Willen dienstbaren Erkenntniß bloßer Relationen in die ästhetische Kontemplation versetzt und eben damit zum willensfreien Subjekt des Erkennens erhebt: so lange ist es bloß das Schöne, was auf uns wirkt, und Gefühl der Schönheit was erregt ist. Wenn nun aber eben jene Gegenstände, deren bedeutsame Gestalten uns zu ihrer reinen Kontemplation einladen, gegen den menschlichen Willen überhaupt, wie er in seiner Objektität, dem menschlichen Leibe, sich darstellt, ein feindliches Verhältniß haben, ihm entgegen sind, durch ihre allen Widerstand aufhebende Uebermacht ihn bedrohen, oder vor ihrer unermeßlichen Größe ihn bis zum Nichts verkleinern; der Betrachter aber dennoch nicht auf dieses sich aufdringende feindliche Verhältniß zu seinem Willen seine Aufmerksamkeit richtet; sondern, obwohl es wahrnehmend und anerkennend, sich mit Bewußtseyn davon abwendet, indem er sich von seinem Willen und dessen Verhältnissen gewaltsam losreißt und allein der Erkenntniß hingegeben, eben jene dem Willen furchtbaren Gegenstände als reines willenloses Subjekt des Erkennens ruhig kontemplirt, ihre jeder Relation fremde Idee allein auffassend, daher gerne bei ihrer Betrachtung weilend, folglich eben dadurch über sich selbst, seine Person, sein Wollen und alles Wollen hinausgehoben wird; – dann erfüllt ihn das Gefühl des Erhabenen, er ist im Zustand der Erhebung, und deshalb nennt man auch den solchen Zustand veranlassenden Gegenstand erhaben. Was also das Gefühl des Erhabenen von dem des Schönen unterscheidet, ist dieses: beim Schönen hat das reine Erkennen ohne Kampf die Oberhand gewonnen, indem die Schönheit des Objekts, d.h. dessen die Erkenntniß seiner Idee erleichternde Beschaffenheit, den Willen und die seinem Dienste fröhnende Erkenntniß der Relationen, ohne Widerstand und daher unmerklich aus dem Bewußtseyn entfernte und dasselbe als reines Subjekt des Erkennens übrig ließ, so daß selbst keine Erinnerung an den Willen nachbleibt: hingegen bei dem Erhabenen ist jener Zustand des reinen Erkennens allererst gewonnen durch ein bewußtes und gewaltsames Losreißen von den als ungünstig erkannten Beziehungen des selben Objekts zum Willen, durch ein freies, von Bewußtseyn begleitetes Erheben über den Willen und die auf ihn sich beziehende Erkenntniß. Diese Erhebung muß mit Bewußtseyn nicht nur gewonnen, sondern auch erhalten werden und ist daher von einer steten Erinnerung an den Willen begleitet, doch nicht an ein einzelnes, individuelles Wollen, wie Furcht oder Wunsch, sondern an das menschliche Wollen überhaupt, sofern es durch seine Objektität, den menschlichen Leib, allgemein ausgedrückt ist. Träte ein realer einzelner Willensakt ins Bewußtseyn, durch wirkliche, persönliche Bedrängniß und Gefahr vom Gegenstande; so würde der also wirklich bewegte individuelle Wille alsbald die Oberhand gewinnen, die Ruhe der Kontemplation unmöglich werden, der Eindruck des Erhabenen verloren gehn, indem er der Angst Platz machte, in welcher das Streben des Individuums, sich zu retten, jeden andern Gedanken verdrängte. – – Einige Beispiele werden sehr viel beitragen, diese Theorie des Aesthetisch-Erhabenen deutlich zu machen und außer Zweifel zu setzen; zugleich werden sie die Verschiedenheit der Grade jenes Gefühls des Erhabenen zeigen. Denn da dasselbe mit dem des Schönen in der Hauptbestimmung, dem reinen, willensfreien Erkennen und der mit demselben nothwendig eintretenden Erkenntniß der außer aller durch den Satz des Grundes bestimmten Relation stehenden Ideen, Eines ist und nur durch einen Zusatz, nämlich die Erhebung über das erkannte feindliche Verhältniß eben des kontemplirten Objekts zum Willen überhaupt, sich vom Gefühl des Schönen unterscheidet; so entstehn, je nachdem dieser Zusatz stark, laut, dringend, nah, oder nur schwach, fern, bloß angedeutet ist, mehrere Grade des Erhabenen, ja, Uebergänge des Schönen zum Erhabenen. Ich halte es der Darstellung angemessener, diese Uebergänge und überhaupt die schwächeren Grade des Eindrucks des Erhabenen zuerst in Beispielen vor die Augen zu bringen, obwohl Diejenigen, deren ästhetische Empfänglichkeit überhaupt nicht sehr groß und deren Phantasie nicht lebhaft ist, bloß die später folgenden Beispiele der höheren, deutlicheren Grade jenes Eindrucks verstehn werden, an welche allein sie sich daher zu halten und die zuerst anzuführenden Beispiele der sehr schwachen Grade des besagten Eindrucks auf sich beruhen zu lassen haben.

Wie der Mensch zugleich ungestümer und finsterer Drang des Wollens (bezeichnet durch den Pol der Genitalien als seinen Brennpunkt) und ewiges, freies, heiteres Subjekt des reinen Erkennens (bezeichnet durch den Pol des Gehirns) ist; so ist, diesem Gegensatz entsprechend, die Sonne zugleich Quelle des Lichtes, der Bedingung zur vollkommensten Erkenntnißart, und eben dadurch des erfreulichsten der Dinge, – und Quelle der Wärme, der ersten Bedingung alles Lebens, d.i. aller Erscheinung des Willens auf den höheren Stufen derselben. Was daher für den Willen die Wärme, das ist für die Erkenntniß das Licht. Das Licht ist eben daher der größte Demant in der Krone der Schönheit und hat auf die Erkenntniß jedes schönen Gegenstandes den entschiedensten Einfluß: seine Anwesenheit überhaupt ist unerläßliche Bedingung; seine günstige Stellung erhöht auch die Schönheit des Schönsten, Vor allem Ändern aber wird das Schöne der Baukunst durch seine Gunst erhöht, durch welche jedoch selbst das Unbedeutendeste zum schönen Gegenstande wird. – Sehn wir nun im strengen Winter, bei der allgemeinen Erstarrung der Natur, die Strahlen der niedrig stehenden Sonne von steinernen Massen zurückgeworfen, wo sie erleuchten, ohne zu wärmen, also nur der reinsten Erkenntnißweise, nicht dem Willen günstig sind; so versetzt die Betrachtung der schönen Wirkung des Lichtes auf diese Massen, uns, wie alle Schönheit, in den Zustand des reinen Erkennens, der jedoch hier durch die leise Erinnerung an den Mangel der Erwärmung durch eben jene Strahlen, also des belebenden Princips, schon ein gewisses Erheben über das Interesse des Willens verlangt, eine leise Aufforderung zum Verharren im reinen Erkennen, mit Abwendung von allem Wollen, enthält, eben dadurch aber ein Uebergang vom Gefühl des Schönen zu dem des Erhabenen ist. Es ist der schwächste Anhauch des Erhabenen am Schönen, welches letztere selbst hier nur in geringem Grade hervortritt. Ein fast noch eben so schwaches Beispiel ist folgendes.

Versetzen wir uns in eine sehr einsame Gegend, mit unbeschränktem Horizont, unter völlig wolkenlosem Himmel, Bäume und Pflanzen in ganz unbewegter Luft, keine Thiere, keine Menschen, keine bewegte Gewässer, die tiefste Stille; – so ist solche Umgebung wie ein Aufruf zum Ernst, zur Kontemplation, mit Losreißung von allem Wollen und dessen Dürftigkeit: eben dieses aber giebt schon einer solchen, bloß einsamen und tiefruhenden Umgebung einen Anstrich des Erhabenen. Denn weil sie für den des steten Strebens und Erreichens bedürftigen Willen keine Objekte darbietet, weder günstige noch ungünstige, so bleibt nur der Zustand der reinen Kontemplation übrig, und wer dieser nicht fähig ist, wird der Leere des nichtbeschäftigten Willens, der Quaal der Langenweile, mit beschämender Herabsetzung Preis gegeben. Sie giebt insofern ein Maaß unsers eigenen intellektualen Werthes, für welchen überhaupt der Grad unserer Fähigkeit zum Ertragen, oder Lieben der Einsamkeit ein guter Maaßstab ist. Die geschilderte Umgebung giebt also ein Beispiel des Erhabenen in niedrigem Grad, indem in ihr dem Zustand des reinen Erkennens, in seiner Ruhe und Allgenugsamkeit, als Kontrast, eine Erinnerung an die Abhängigkeit und Armsäligkeit des eines steten Treibens bedürftigen Willens beigemischt ist. – Dies ist die Gattung des Erhabenen, welche dem Anblick der endlosen Prärien im innern Nord-Amerikas nachgerühmt wird.

Lassen wir nun aber eine solche Gegend auch der Pflanzen entblößt seyn und nur nackte Felsen zeigen; so wird, durch die gänzliche Abwesenheit des zu unserer Subsistenz nöthigen Organischen, der Wille schon geradezu beängstigt: die Oede gewinnt einen furchtbaren Charakter; unsere Stimmung wird mehr tragisch: die Erhebung zum reinen Erkennen geschieht mit entschiedenerem Losreißen vom Interesse des Willens, und indem wir im Zustande des reinen Erkennens beharren, tritt das Gefühl des Erhabenen deutlich hervor.

In noch höherem Grade kann es folgende Umgebung veranlassen. Die Natur in stürmischer Bewegung; Helldunkel, durch drohende schwarze Gewitterwolken; ungeheure, nackte, herabhängende Felsen, welche durch ihre Verschränkung die Aussicht verschließen; rauschende schäumende Gewässer; gänzliche Oede; Wehklage der durch die Schluchten streichenden Luft. Unsere Abhängigkeit, unser Kampf mit der feindlichen Natur, unser darin gebrochener Wille, tritt uns jetzt anschaulich vor Augen: so lange aber nicht die persönliche Bedrängniß die Oberhand gewinnt, sondern wir in ästhetischer Beschauung bleiben, blickt durch jenen Kampf der Natur, durch jenes Bild des gebrochenen Willens, das reine Subjekt des Erkennens durch und faßt ruhig, unerschüttert, nicht mitgetroffen (unconcerned), an eben den Gegenständen, welche dem Willen drohend und furchtbar sind, die Ideen auf. In diesem Kontrast eben liegt das Gefühl des Erhabenen.

Aber noch mächtiger wird der Eindruck, wenn wir den Kampf der empörten Naturkräfte im Großen vor Augen haben, wenn in jener Umgebung ein fallender Strohm durch sein Toben uns die Möglichkeit die eigene Stimme zu hören benimmt; – oder wenn wir am weiten, im Sturm empörten Meere stehn: häuserhohe Wellen steigen und sinken, gewaltsam gegen schroffe Uferklippen geschlagen, spritzen sie den Schaum hoch in die Luft, der Sturm heult, das Meer brüllt, Blitze aus schwarzen Wolken zucken und Donnerschläge übertönen Sturm und Meer. Dann erreicht im unerschütterten Zuschauer dieses Auftritts die Duplicität seines Bewußtseyns die höchste Deutlichkeit: er empfindet sich zugleich als Individuum, als hinfällige Willenserscheinung, die der geringste Schlag jener Kräfte zertrümmern kann, hülflos gegen die gewaltige Natur, abhängig, dem Zufall Preis gegeben, ein verschwindendes Nichts, ungeheuren Mächten gegenüber; und dabei nun zugleich als ewiges ruhiges Subjekt des Erkennens, welches, als Bedingung alles Objekts, der Träger eben dieser ganzen Welt ist und der furchtbare Kampf der Natur nur seine Vorstellung, es selbst in ruhiger Auffassung der Ideen, frei und fremd allem Wollen und allen Nöthen. Es ist der volle Eindruck des Erhabenen. Hier veranlaßt ihn der Anblick einer dem Individuo Vernichtung drohenden, ihm ohne allen Vergleich überlegenen Macht.

Auf ganz andere Weise kann er entstehn bei der Vergegenwärtigung einer bloßen Größe in Raum und Zeit, deren Unermeßlichkeit das Individuum zu Nichts verkleinert. Wir können die erstere Art das Dynamisch-, die zweite das Mathematisch-Erhabene nennen, Kants Benennungen und seine richtige Eintheilung beibehaltend, obgleich wir in der Erklärung des innern Wesens jenes Eindrucks ganz von ihm abweichen und weder moralischen Reflexionen, noch Hypostasen aus der scholastischen Philosophie einen Antheil dabei zugestehn.

Wenn wir uns in die Betrachtung der unendlichen Größe der Welt in Raum und Zeit verlieren, den verflossenen Jahrtausenden und den kommenden nachsinnen, – oder auch, wenn der nächtliche Himmel uns zahllose Welten wirklich vor Augen bringt, und so die Unermeßlichkeit der Welt auf das Bewußtseyn eindringt, – so fühlen wir uns selbst zu Nichts verkleinert, fühlen uns als Individuum, als belebter Leib, als vergängliche Willenserscheinung, wie ein Tropfen im Ocean, dahin schwinden, ins Nichts zerfließen. Aber zugleich erhebt sich gegen solches Gespenst unserer eigenen Nichtigkeit, gegen solche lügende Unmöglichkeit, das unmittelbare Bewußtseyn, daß alle diese Welten ja nur in unserer Vorstellung dasind, nur als Modifikationen des ewigen Subjekts des reinen Erkennens, als welches wir uns finden, sobald wir die Individualität vergessen, und welches der nothwendige, der bedingende Träger aller Welten und aller Zeiten ist. Die Größe der Welt, die uns vorher beunruhigt, ruht jetzt in uns: unsere Abhängigkeit von ihr wird aufgehoben durch ihre Abhängigkeit von uns. – Dieses Alles kommt jedoch nicht sofort in die Reflexion, sondern zeigt sich als ein nur gefühltes Bewußtseyn, daß man, in irgend einem Sinne (den allein die Philosophie deutlich macht), mit der Welt Eines ist und daher durch ihre Unermeßlichkeit nicht niedergedrückt, sondern gehoben wird. Es ist das gefühlte Bewußtseyn Dessen, was die Upanischaden der Veden in so mannigfaltigen Wendungen wiederholt aussprechen, vorzüglich in dem schon oben beigebrachten Spruch: Hae omnes creaturae in totum ego sum, et praeter me aliud ens non est (Oupnek'hat, Bd. I, S. 122). Es ist Erhebung über das eigene Individuum, Gefühl des Erhabenen.

Auf eine ganz unmittelbare Weise erhalten wir diesen Eindruck des Mathematisch-Erhabenen schon durch einen Raum, der zwar gegen das Weltgebäude betrachtet klein ist, der aber dadurch daß er uns unmittelbar ganz wahrnehmbar geworden ist, nach allen drei Dimensionen mit seiner ganzen Große auf uns wirkt, welche hinreicht, das Maaß unsers eigenen Leibes fast unendlich klein zu machen. Dies kann ein für die Wahrnehmung leerer Raum nie, daher nie ein offener, sondern nur ein durch die Begränzung nach allen Dimensionen unmittelbar wahrnehmbarer, also ein sehr hohes und großes Gewölbe, wie das der Peterskirche in Rom, oder der Paulskirche in London. Das Gefühl des Erhabenen entsteht hier durch das Innewerden des verschwindenden Nichts unsers eigenen Leibes vor einer Größe, die andererseits selbst wieder nur in unserer Vorstellung liegt und deren Träger wir als erkennendes Subjekt sind, also hier wie überall durch den Kontrast der Unbedeutsamkeit und Abhängigkeit unsers Selbst als Individuums, als Willenserscheinung, gegen das Bewußtseyn unserer als reinen Subjekts des Erkennens. Selbst das Gewölbe des gestirnten Himmels wirkt, wenn es ohne Reflexion betrachtet wird, nur eben so wie jenes steinerne Gewölbe, und nicht mit seiner wahren, sondern nur mit seiner scheinbaren Größe. – Manche Gegenstände unserer Anschauung erregen den Eindruck des Erhabenen dadurch, daß, sowohl vermöge ihrer räumlichen Größe, als ihres hohen Alters, also ihrer zeitlichen Dauer, wir ihnen gegenüber uns zu Nichts verkleinert fühlen, und dennoch im Genüsse ihres Anblicks schwelgen: der Art sind sehr hohe Berge, Aegyptische Pyramiden, kolossale Ruinen von hohem Alterthume.

Ja, auch auf das Ethische läßt unsere Erklärung des Erhabenen sich übertragen, nämlich auf Das, was man als den erhabenen Charakter bezeichnet. Auch dieser nämlich entspringt daraus, daß der Wille nicht erregt wird durch Gegenstände, welche allerdings geeignet wären, ihn zu erregen; sondern das Erkennen auch dabei die Oberhand behält. Ein solcher Charakter wird demnach die Menschen rein objektiv betrachten, nicht aber nach den Beziehungen, welche sie zu seinem Willen haben könnten: er wird z.B. ihre Fehler, sogar ihren Haß und ihre Ungerechtigkeit gegen ihn selbst, bemerken, ohne dadurch seinerseits zum Haß erregt zu werden; er wird ihr Glück ansehn, ohne Neid zu empfinden; er wird ihre guten Eigenschaften erkennen, ohne jedoch nähere Verbindung mit ihnen zu wünschen; er wird die Schönheit der Weiber wahrnehmen, ohne ihrer zu begehren. Sein persönliches Glück oder Unglück wird ihn nicht stark afficiren, vielmehr wird er seyn, wie Hamlet den Horatio beschreibt:

for thou hast been

As one, in suffering all, that suffers nothing;

A man, that fortune's buffets and rewards

Hast ta'en with equal thanks, etc. (A. 3. sc. 2.)60

Denn er wird in seinem eigenen Lebenslauf und dessen Unfällen weniger sein individuelles, als das Loos der Menschheit überhaupt erblicken, und demnach sich dabei mehr erkennend als leidend verhalten.

§ 40

Weil die Gegensätze sich erläutern, mag hier die Bemerkung ihre Stelle finden, daß das eigentliche Gegentheil des Erhabenen etwas ist, was man auf den ersten Blick wohl nicht dafür erkennt: das Reizende. Ich verstehe aber hierunter Dasjenige, was den Willen, dadurch daß es ihm die Gewährung, die Erfüllung, unmittelbar vorhält, aufregt. – Entstand das Gefühl des Erhabenen dadurch, daß ein dem Willen geradezu ungünstiger Gegenstand Objekt der reinen Kontemplation wird, die dann nur durch eine stete Abwendung vom Willen und Erhebung über sein Interesse erhalten wird, welches eben die Erhabenheit der Stimmung ausmacht; so zieht dagegen das Reizende den Beschauer aus der reinen Kontemplation, die zu jeder Auffassung des Schönen erfordert ist, herab, indem es seinen Willen, durch demselben unmittelbar zusagende Gegenstände, nothwendig aufreizt, wodurch der Betrachter nicht mehr reines Subjekt des Erkennens bleibt, sondern zum bedürftigen, abhängigen Subjekt des Wollens wird. – Daß man gewöhnlich jedes Schöne von der heitern Art reizend nennt, ist ein, durch Mangel an richtiger Unterscheidung, zu weit gefaßter Begriff, den ich ganz bei Seite setzen, ja mißbilligen muß. – Im angegebenen und erklärten Sinn aber, finde ich im Gebiete der Kunst nur zwei Arten des Reizenden und beide ihrer unwürdig. Die eine, recht niedrige, im Stilleben der Niederländer, wenn es sich dahin verirrt, daß die dargestellten Gegenstände Eßwaaren sind, die durch ihre täuschende Darstellung nothwendig den Appetit darauf erregen, welches eben eine Aufregung des Willens ist, die jeder ästhetischen Kontemplation des Gegenstandes ein Ende macht. Gemaltes Obst ist noch zulässig, da es als weitere Entwickelung der Blume und durch Form und Farbe als ein schönes Naturprodukt sich darbietet, ohne daß man geradezu genöthigt ist, an seine Eßbarkeit zu denken; aber leider finden wir oft, mit täuschender Natürlichkeit, aufgetischte und zubereitete Speisen, Austern, Heringe, Seekrebse, Butterbrod, Bier, Wein u.s.w., was ganz verwerflich ist. – In der Historienmalerei und Bildhauerei besteht das Reizende in nackten Gestalten, deren Stellung, halbe Bekleidung und ganze Behandlungsart darauf hinzielt im Beschauer Lüsternheit zu erregen, wodurch die rein ästhetische Betrachtung sogleich aufgehoben, also dem Zweck der Kunst entgegengearbeitet wird. Dieser Fehler entspricht ganz und gar dem soeben an den Niederländern gerügten. Die Antiken sind, bei aller Schönheit und völliger Nacktheit der Gestalten, fast immer davon frei, weil der Künstler selbst mit rein objektivem, von der idealen Schönheit erfülltem Geiste sie schuf, nicht im Geiste subjektiver, schnöder Begierde. – Das Reizende ist also in der Kunst überall zu vermeiden.

Es giebt auch ein Negativ-Reizendes, welches noch verwerflicher, als das eben erörterte Positiv-Reizende ist: und dieses ist das Ekelhafte. Eben wie das eigentlich Reizende erweckt es den Willen des Beschauers und zerstört dadurch die rein ästhetische Betrachtung, Aber es ist ein heftiges Nichtwollen, ein Widerstreben, was dadurch angeregt wird: es erweckt den Willen, indem es ihm Gegenstände seines Abscheus vorhält. Daher hat man von je erkannt, daß es in der Kunst durchaus unzulässig sei, wo doch selbst das Häßliche, solange es nicht ekelhaft ist, an der rechten Stelle gelitten werden kann, wie wir weiter unten sehn werden.

§ 41

Der Gang unserer Betrachtung hat es nothwendig gemacht, die Erörterung des Erhabenen hier einzuschalten, wo die des Schönen erst zur Hälfte, bloß ihrer einen, der subjektiven, Seite nach vollendet war. Denn eben nur eine besondere Modifikation dieser subjektiven Seite war es, die das Erhabene vom Schönen unterschied. Ob nämlich der Zustand des reinen willenlosen Erkennens, den jede ästhetische Kontemplation voraussetzt und fordert, sich, indem das Objekt dazu einlud und hinzog, ohne Widerstand, durch bloßes Verschwinden des Willens aus dem Bewußtseyn, wie von selbst einfand; oder ob derselbe erst errungen ward durch freie bewußte Erhebung über den Willen, zu welchem der kontemplirte Gegenstand selbst ein ungünstiges, feindliches Verhältniß hat, welchem nachzuhängen die Kontemplation aufheben würde; – dies ist der Unterschied zwischen dem Schönen und dem Erhabenen. Im Objekte sind Beide nicht wesentlich unterschieden: denn in jedem Falle ist das Objekt der ästhetischen Betrachtung nicht das einzelne Ding, sondern die in demselben zur Offenbarung strebende Idee, d.h. adäquate Objektität des Willens auf einer bestimmten Stufe: ihr nothwendiges, wie sie selbst, dem Satz vom Grunde entzogenes Korrelat ist das reine Subjekt des Erkennens, wie das Korrelat des einzelnen Dinges das erkennende Individuum ist, welche Beide im Gebiete des Satzes vom Grunde liegen.

Indem wir einen Gegenstand schön nennen, sprechen wir dadurch aus, daß er Objekt unserer ästhetischen Betrachtung ist, welches zweierlei in sich schließt, einerseits nämlich, daß sein Anblick uns objektiv macht, d.h. daß wir in der Betrachtung desselben nicht mehr unserer als Individuen, sondern als reinen willenlosen Subjekts des Erkennens uns bewußt sind; und andererseits, daß wir im Gegenstande nicht das einzelne Ding, sondern eine Idee erkennen, welches nur geschehn kann, sofern unsere Betrachtung des Gegenstandes nicht dem Satz vom Grunde hingegeben ist, nicht seiner Beziehung zu irgend etwas außer ihm (welche zuletzt immer mit Beziehung auf unser Wollen zusammenhängt) nachgeht, sondern auf dem Objekte selbst ruhet. Denn die Idee und das reine Subjekt des Erkennens treten als nothwendige Korrelata immer zugleich ins Bewußtsein, bei welchem Eintritt auch aller Zeitunterschied sogleich verschwindet, da Beide dem Satz vom Grunde in allen seinen Gestaltungen völlig fremd sind und außerhalb der durch ihn gesetzten Relationen liegen, dem Regenbogen und der Sonne zu vergleichen, die an der steten Bewegung und Succession der fallenden Tropfen keinen Theil haben. Daher, wenn ich z.B. einen Baum ästhetisch, d.h. mit künstlerischen Augen betrachte, also nicht ihn, sondern seine Idee erkenne, es sofort ohne Bedeutung ist, ob es dieser Baum oder sein vor tausend Jahren blühender Vorfahr ist, und eben so ob der Betrachter dieses, oder irgend ein anderes, irgendwann und irgendwo lebendes Individuum ist; mit dem Satz vom Grunde ist das einzelne Ding und das erkennende Individuum aufgehoben und nichts bleibt übrig, als die Idee und das reine Subjekt des Erkennens, welche zusammen die adäquate Objektität des Willens auf dieser Stufe ausmachen. Und nicht allein der Zeit, sondern auch dem Raum ist die Idee enthoben: denn nicht die mir vorschwebende räumliche Gestalt, sondern der Ausdruck, die reine Bedeutung derselben, ihr innerstes Wesen, das sich mir aufschließt und mich anspricht, ist eigentlich die Idee und kann ganz das Selbe seyn, bei großem Unterschied der räumlichen Verhältnisse der Gestalt.

Da nun einerseits jedes vorhandene Ding rein objektiv und außer aller Relation betrachtet werden kann; da ferner auch andererseits in jedem Dinge der Wille, auf irgend einer Stufe seiner Objektität, erscheint, und dasselbe sonach Ausdruck einer Idee ist; so ist auch jedes Ding schön. – Daß auch das Unbedeutendeste die rein objektive und willenlose Betrachtung zuläßt und dadurch sich als schön bewährt, bezeugt das schon oben (§ 38) in dieser Hinsicht erwähnte Stillleben der Niederländer. Schöner ist aber Eines als das Andere dadurch, daß es jene rein objektive Betrachtung erleichtert, ihr entgegenkommt, ja gleichsam dazu zwingt, wo wir es dann sehr schön nennen. Dies ist der Fall theils dadurch, daß es als einzelnes Ding, durch das sehr deutliche, rein bestimmte, durchaus bedeutsame Verhältniß seiner Theile die Idee seiner Gattung rein ausspricht und durch in ihm vereinigte Vollständigkeit aller seiner Gattung möglichen Aeußerungen die Idee derselben vollkommen offenbart, so daß es dem Betrachter den Uebergang vom einzelnen Ding zur Idee und eben damit auch den Zustand der reinen Beschaulichkeit sehr erleichtert; theils liegt jener Vorzug besonderer Schönheit eines Objekts darin, daß die Idee selbst, die uns aus ihm anspricht, eine hohe Stufe der Objektität des Willens und daher durchaus bedeutend und vielsagend sei. Darum ist der Mensch vor allem Ändern schön und die Offenbarung seines Wesens das höchste Ziel der Kunst. Menschliche Gestalt und menschlicher Ausdruck sind das bedeutendeste Objekt der bildenden Kunst, so wie menschliches Handeln das bedeutendeste Objekt der Poesie. – Es hat aber dennoch jedes Ding seine eigenthümliche Schönheit: nicht nur jedes Organische und in der Einheit einer Individualität sich darstellende; sondern auch jedes Unorganische, Formlose, ja jedes Artefakt. Denn alle diese offenbaren die Ideen, durch welche der Wille sich auf den untersten Stufen objektivirt, geben gleichsam die tiefsten, verhallenden Baßtöne der Natur an. Schwere, Starrheit, Flüssigkeit, Licht u.s.w. sind die Ideen, welche sich in Felsen, Gebäuden, Gewässern aussprechen. Die schöne Gartenkunst und Baukunst können nichts weiter, als ihnen helfen, jene ihre Eigenschaften deutlich, vielseitig und vollständig zu entfalten, ihnen Gelegenheit geben, sich rein auszusprechen, wodurch sie eben zur ästhetischen Beschauung auffordern und dieselbe erleichtern. Dies leisten dagegen schlechte Gebäude und Gegenden, welche die Natur vernachlässigte oder die Kunst verdarb, wenig oder gar nicht: dennoch können auch aus ihnen jene allgemeinen Grundideen der Natur nicht ganz verschwinden. Den sie suchenden Betrachter sprechen sie auch hier an, und selbst schlechte Gebäude u. dgl. sind noch einer ästhetischen Betrachtung fähig: die Ideen der allgemeinsten Eigenschaften ihres Stoffes sind noch in ihnen erkennbar, nur daß die ihnen künstlich gegebene Form kein Erleichterungsmittel, ja vielmehr ein Hinderniß ist, das die ästhetische Betrachtung erschwert. Auch Artefakta dienen folglich dem Ausdruck von Ideen: nur ist es nicht die Idee des Artefakts, die aus ihnen spricht, sondern die Idee des Materials, dem man diese künstliche Form gab. In der Sprache der Scholastiker läßt sich dieses sehr bequem mit zwei Worten ausdrücken, nämlich im Artefakt spricht sich die Idee seiner forma substantialis, nicht die seiner forma accidentalis aus, welche letztere auf keine Idee, sondern nur auf einen menschlichen Begriff, von dem sie ausgegangen, leitet. Es versteht sich, daß hier mit dem Artefakt ausdrücklich kein Werk der bildenden Kunst gemeint ist. Uebrigens verstanden die Scholastiker in der That unter forma substantialis Dasjenige, was ich den Grad der Objektivation des Willens in einem Dinge nenne. Wir werden sogleich, bei Betrachtung der schönen Baukunst, auf den Ausdruck der Idee des Materials zurückkommen. – Unserer Ansicht zufolge können wir nun aber nicht dem Plato beistimmen, wenn er (De Rep. X, p. 284-285, et Parmen., p. 79, ed. Bip.) behauptet. Tisch und Stuhl drückten die Ideen Tisch und Stuhl aus; sondern wir sagen, daß sie die Ideen ausdrücken, die schon in ihrem bloßen Material als solchem sich aussprechen. Nach dem Aristoteles (Metaph., XI, Kap. 3) hätte jedoch Plato selbst nur von den Naturwesen Ideen statuirt: ho Platôn ephê, hoti eidê estin hoposa physei. (Plato dixit, quod ideae eorum sunt, quae natura sunt), und Kap. 5 wird gesagt, daß es, nach den Platonikern, keine Ideen von Haus und Ring gebe. Jedenfalls haben schon Plato's nächste Schüler, wie uns Alkinoos (introductio in Platonicam philosophiam, Kap. 9) berichtet, geleugnet, daß es Ideen von Artefakten gäbe. Dieser sagt nämlich: Horizontai de tên idean, paradeigma tôn kata physin aiônion. Oute gar tois pleistois tôn apo Platônos areskei, tôn technikôn einai ideas, hoion aspidos ê lyras, oute mên tôn para physin, hoion pyretou kai choleras, oute tôn kata meros, hoion Sôkratous kai Platônos, all' oute tôn eutelôn tinos, hoion rypou kai karphous, oute tôn pros ti, hoion meizonos kai hyperechontos; einai gar tas ideas noêseis theou aiônious te kai autoteleis. – (Definiunt autem ideam exemplar aeternum eorum, quae secundum naturam existunt. Nam plurimis ex iis, qui Platonem secuti sunt, minime placuit, arte factorum ideas esse, ut clypei atque lyrae, neque rursus eorum, quae praeter naturam, ut febris et cholerae; neque particularium, ceu Socratis et Platonis, neque etiam rerum vilium, veluti sordium et festucae; neque relationum, ut majoris et excedentis: esse namque ideas intellectiones dei aeternas, ac seipsis perfectas.) – Bei dieser Gelegenheit mag noch ein anderer Punkt erwähnt werden, in welchem unsere Ideenlehre von der des Plato gar sehr abweicht. Er lehrt nämlich (De Rep., X, S. 288), daß der Gegenstand, den die schöne Kunst darzustellen beabsichtigt, das Vorbild der Malerei und Poesie, nicht die Idee wäre, sondern das einzelne Ding. Unsere bisherige Auseinandersetzung behauptet gerade das Gegentheil, und Plato's Meinung wird uns hierin um so weniger irre machen, als dieselbe die Quelle eines der größten und anerkannten Fehler jenes großen Mannes ist, nämlich seiner Geringschätzung und Verwerfung der Kunst, besonders der Poesie: sein falsches Urtheil über diese knüpft er unmittelbar an die angeführte Stelle.

§ 42

Ich kehre zu unserer Auseinandersetzung des ästhetischen Eindrucks zurück. Die Erkenntniß des Schönen setzt zwar immer rein erkennendes Subjekt und erkannte Idee als Objekt zugleich und unzertrennlich. Dennoch aber wird die Quelle des ästhetischen Genusses bald mehr in der Auffassung der erkannten Idee liegen, bald mehr in der Säligkeit und Geistesruhe des von allem Wollen und dadurch von aller Individualität und der aus ihr hervorgehenden Pein befreiten reinen Erkennens: und zwar wird dieses Vorherrschen des einen oder des andern Bestandtheils des ästhetischen Genusses davon abhängen, ob die intuitiv aufgefaßte Idee eine höhere oder niedere Stufe der Objektität des Willens ist. So wird bei ästhetischer Betrachtung (in der Wirklichkeit, oder durch das Medium der Kunst) der schönen Natur im Anorganischen und Vegetabilischen und der Werke der schönen Baukunst, der Genuß des reinen willenlosen Erkennens überwiegend seyn, weil die hier aufgefaßten Ideen nur niedrige Stufen der Objektität des Willens, daher nicht Erscheinungen von tiefer Bedeutsamkeit und vielsagendem Inhalt sind. Hingegen wird, wenn Thiere und Menschen der Gegenstand der ästhetischen Betrachtung oder Darstellung sind, der Genuß mehr in der objektiven Auffassung dieser Ideen, welche die deutlichsten Offenbarungen des Willens sind, bestehn; weil solche die größte Mannigfaltigkeit der Gestalten, Reichthum und tiefe Bedeutsamkeit der Erscheinungen darlegen und uns am vollkommensten das Wesen des Willens offenbaren, sei es in seiner Heftigkeit, Schrecklichkeit, Befriedigung, oder in seiner Brechung (letzteres in den tragischen Darstellungen), endlich sogar in seiner Wendung oder Selbstaufhebung, welche besonders das Thema der Christlichen Malerei ist; wie überhaupt die Historienmalerei und das Drama die Idee des vom vollen Erkennen beleuchteten Willens zum Objekt haben. – Wir wollen nunmehr die Künste einzeln durchgehn, wodurch eben die aufgestellte Theorie des Schönen Vollständigkeit und Deutlichkeit erhalten wird.

§ 43

Die Materie als solche kann nicht Darstellung einer Idee seyn. Denn sie ist, wie wir im ersten Buche fanden, durch und durch Kausalität: ihr Seyn ist lauter Wirken. Kausalität aber ist Gestaltung des Satzes vom Grunde: Erkenntniß der Idee hingegen schließt wesentlich den Inhalt jenes Satzes aus. Auch fanden wir im zweiten Buch die Materie als das gemeinsame Substrat aller einzelnen Erscheinungen der Ideen, folglich als das Verbindungsglied zwischen der Idee und der Erscheinung oder dem einzelnen Ding. Also aus dem einen sowohl, als aus dem andern Grunde kann die Materie für sich keine Idee darstellen. A posteriori aber bestätigt sich dieses dadurch, daß von der Materie als solcher gar keine anschauliche Vorstellung, sondern nur ein abstrakter Begriff möglich ist: in jener nämlich stellen allein die Formen und Qualitäten sich dar, deren Trägerin die Materie ist, und in welchen allen sich Ideen offenbaren. Dieses entspricht auch Dem, daß Kausalität (das ganze Wesen der Materie) für sich nicht anschaulich darstellbar ist, sondern allein eine bestimmte Kausalverknüpfung. – Dagegen muß andererseits jede Erscheinung einer Idee, da sie als solche eingegangen ist in die Form des Satzes vom Grund, oder in das principium individuationis, an der Materie, als Qualität derselben, sich darstellen. Insofern ist also, wie gesagt, die Materie das Bindungsglied zwischen der Idee und dem principio individuationis, welches die Form der Erkenntniß des Individuums, oder der Satz vom Grund ist. – Plato hat daher ganz richtig neben der Idee und ihrer Erscheinung, dem einzelnen Dinge, welche Beide sonst alle Dinge der Welt unter sich begreifen, nur noch die Materie als ein drittes, von Beiden Verschiedenes aufgestellt (Timaeus, S. 345). Das Individuum ist, als Erscheinung der Idee, immer Materie. Auch ist jede Qualität der Materie immer Erscheinung einer Idee, und als solche auch einer ästhetischen Betrachtung, d.i. Erkenntniß der in ihr sich darstellenden Idee, fähig. Dies gilt nun selbst von den allgemeinsten Qualitäten der Materie, ohne welche sie nie ist, und deren Ideen die schwächste Objektität des Willens sind. Solche sind: Schwere, Kohäsion, Starrheit, Flüssigkeit, Reaktion gegen das Licht u.s.f.

Wenn wir nun die Baukunst, bloß als schöne Kunst, abgesehn von ihrer Bestimmung zu nützlichen Zwecken, in welchen sie dem Willen, nicht der reinen Erkenntniß dient und also nicht mehr Kunst in unserm Sinne ist, betrachten; so können wir ihr keine andere Absicht unterlegen, als die, einige von jenen Ideen, welche die niedrigsten Stufen der Objektität des Willens sind, zu deutlicher Anschaulichkeit zu bringen: nämlich Schwere, Kohäsion, Starrheit, Härte, diese allgemeinen Eigenschaften des Steines, diese ersten, einfachsten, dumpfesten Sichtbarkeiten des Willens, Grundbaßtöne der Natur; und dann neben ihnen das Licht, welches in vielen Stücken ein Gegensatz jener ist. Selbst auf dieser tiefen Stufe der Objektität des Willens sehn wir schon sein Wesen sich in Zwietracht offenbaren: denn eigentlich ist der Kampf zwischen Schwere und Starrheit der alleinige ästhetische Stoff der schönen Architektur: ihn auf mannigfaltige Weise vollkommen deutlich hervortreten zu lassen, ist ihre Aufgabe. Sie löst solche, indem sie jenen unvertilgbaren Kräften den kürzesten Weg zu ihrer Befriedigung benimmt und sie durch einen Umweg hinhält, wodurch der Kampf verlängert und das unerschöpfliche Streben beider Kräfte auf mannigfaltige Weise sichtbar wird. – Die ganze Masse des Gebäudes würde, ihrer ursprünglichen Neigung überlassen, einen bloßen Klumpen darstellen, so fest als möglich dem Erdkörper verbunden, zu welchem die Schwere, als welche hier der Wille erscheint, unablässig drängt, während die Starrheit, ebenfalls Objektität des Willens, widersteht. Aber eben diese Neigung, dieses Streben, wird von der Baukunst an der unmittelbaren Befriedigung verhindert und ihm nur eine mittelbare, auf Umwegen, gestattet. Da kann nun z.B. das Gebälk nur mittelst der Säule die Erde drücken; das Gewölbe muß sich selbst tragen und nur durch Vermittelung der Pfeiler kann es sein Streben zur Erdmasse hin befriedigen u.s.f. Aber eben auf diesen erzwungenen Umwegen, eben durch diese Hemmungen entfalten sich auf das deutlichste und mannigfaltigste jene der rohen Steinmasse inwohnenden Kräfte: und weiter kann der rein ästhetische Zweck der Baukunst nicht gehn. Daher liegt allerdings die Schönheit eines Gebäudes in der augenfälligen Zweckmäßigkeit jedes Theiles, nicht zum äußern willkürlichen Zweck des Menschen (Insofern gehört das Werk der nützlichen Baukunst an); sondern unmittelbar zum Bestande des Ganzen, zu welchem die Stelle, Größe und Form jedes Theiles ein so nothwendiges Verhältniß haben muß, daß, wo möglich, wenn irgend ein Theil weggezogen würde, das Ganze einstürzen müßte. Denn nur indem jeder Theil soviel trägt, als er füglich kann, und jeder gestützt ist gerade da und gerade so sehr, als er muß, entfaltet sich jenes Widerspiel, jener Kampf zwischen Starrheit und Schwere, welche das Leben, die Willensäußerungen des Steines ausmachen, zur vollkommensten Sichtbarkeit, und es offenbaren sich deutlich diese tiefsten Stufen der Objektität des Willens. Eben so muß auch die Gestalt jedes Theiles bestimmt seyn durch seinen Zweck und sein Verhältniß zum Ganzen, nicht durch Willkür. Die Säule ist die allereinfachste, bloß durch den Zweck bestimmte Form der Stütze: die gewundene Säule ist geschmacklos: der viereckige Pfeiler ist in der That weniger einfach, wiewohl zufällig leichter zu machen, als die runde Säule. Eben so sind die Formen von Fries, Balken, Bogen, Kuppel durch ihren unmittelbaren Zweck ganz und gar bestimmt und erklären dadurch sich selbst. Die Verzierungen der Kapitelle u.s.w. gehören der Skulptur, nicht der Architektur an, von der sie, als hinzukommender Schmuck, bloß zugelassen werden und auch wegfallen könnten. – Dem Gesagten gemäß ist es zum Verständniß und ästhetischen Genuß eines Werkes der Architektur unumgänglich nöthig, von seiner Materie, nach ihrem Gewicht, ihrer Starrheit und Kohäsion, eine unmittelbare, anschauliche Kenntniß zu haben, und unsere Freude an einem solchen Werke würde plötzlich sehr verringert werden, durch die Eröffnung, daß Bimmstein das Baumaterial sei: denn da würde es uns wie eine Art Scheingebäude vorkommen. Fast eben so würde die Nachricht wirken, daß es nur von Holz sei, während wir Stein voraussetzten; eben weil dies nunmehr das Verhältniß zwischen Starrheit und Schwere, und dadurch die Bedeutung und Nothwendigkeit aller Theile, ändert und verschiebt, da jene Naturkräfte am hölzernen Gebäude viel schwächer sich offenbaren. Daher auch kann aus Holz eigentlich kein Werk der schönen Baukunst werden, so sehr dasselbe auch alle Formen annimmt: dies ist ganz allein durch unsere Theorie erklärlich. Wenn man aber vollends uns sagte, das Gebäude, dessen Anblick uns erfreut, bestehe aus ganz verschiedenen Materien, von sehr ungleicher Schwere und Konsistenz, die aber durch das Auge nicht zu unterscheiden wären; so würde dadurch das ganze Gebäude uns so ungenießbar, wie ein Gedicht in einer uns unbekannten Sprache. Dieses Alles beweist eben, daß die Baukunst nicht bloß mathematisch wirkt, sondern dynamisch, und daß was durch sie zu uns redet, nicht etwan bloße Form und Symmetrie, sondern vielmehr jene Grundkräfte der Natur sind, jene ersten Ideen, jene niedrigsten Stufen der Objektität des Willens. – Die Regelmäßigkeit des Gebäudes und seiner Theile wird theils durch die unmittelbare Zweckmäßigkeit jedes Gliedes zum Bestande des Ganzen herbeigeführt, theils dient sie, die Uebersicht und das Verständniß des Ganzen zu erleichtern, theils endlich tragen die regelmäßigen Figuren, indem sie die Gesetzmäßigkeit des Raumes als solchen offenbaren, zur Schönheit bei. Dies Alles ist aber nur von untergeordnetem Werth und Nothwendigkeit und keineswegs die Hauptsache, da sogar die Symmetrie nicht unnachläßlich erfordert ist, indem ja auch Ruinen noch schön sind.

Eine ganz besondere Beziehung haben nun noch die Werke der Baukunst zum Lichte: sie gewinnen doppelte Schönheit im vollen Sonnenschein, den blauen Himmel zum Hintergrund, und zeigen wieder eine ganz andere Wirkung im Mondschein. Daher auch bei Aufführung eines schönen Werkes der Baukunst immer besondere Rücksicht auf die Wirkungen des Lichtes und auf die Himmelsgegenden genommen wird. Dieses Alles hat seinen Grund zwar großentheils darin, daß helle und scharfe Beleuchtung alle Theile und ihre Verhältnisse erst recht sichtbar macht: außerdem aber bin ich der Meinung, daß die Baukunst, so wie Schwere und Starrheit, auch zugleich das diesen ganz entgegengesetzte Wesen des Lichtes zu offenbaren bestimmt ist. Indem nämlich das Licht von den großen, undurchsichtigen, scharfbegränzten und mannigfach gestalteten Massen aufgefangen, gehemmt, zurückgeworfen wird, entfaltet es seine Natur und Eigenschaften am reinsten und deutlichsten, zum großen Genuß des Beschauers, da das Licht das erfreulichste der Dinge ist, als die Bedingung und das objektive Korrelat der vollkommensten anschaulichen Erkenntnißweise.

Weil nun die Ideen, welche durch die Baukunst zur deutlichen Anschauung gebracht werden, die niedrigsten Stufen der Objektität des Willens sind und folglich die objektive Bedeutsamkeit Dessen, was uns die Baukunst offenbart, verhältnißmäßig gering ist; so wird der ästhetische Genuß beim Anblick eines schönen und günstig beleuchteten Gebäudes, nicht so sehr in der Auffassung der Idee, als in dem mit dieser Auffassung gesetzten subjektiven Korrelat derselben liegen, also überwiegend darin bestehn, daß an diesem Anblick der Beschauer von der Erkenntnißart des Individuums, die dem Willen dient und dem Satz vom Grunde nachgeht, losgerissen und emporgehoben wird zu der des reinen willensfreien Subjekts des Erkennens; also in der reinen, von allem Leiden des Wollens und der Individualität befreiten Kontemplation selbst. – In dieser Hinsicht ist der Gegensatz der Architektur und das andere Extrem in der Reihe der schönen Künste das Drama, welches die allerbedeutsamsten Ideen zur Erkenntniß bringt, daher im ästhetischen Genuß desselben die objektive Seite durchaus überwiegend ist.

Die Baukunst hat von den bildenden Künsten und der Poesie das Unterscheidende, daß sie nicht ein Nachbild, sondern die Sache selbst giebt: nicht wiederholt sie, wie jene, die erkannte Idee, wodurch der Künstler dem Beschauer seine Augen leiht; sondern hier stellt der Künstler dem Beschauer bloß das Objekt zurecht, erleichtert ihm die Auffassung der Idee, dadurch daß er das wirkliche individuelle Objekt zum deutlichen und vollständigen Ausdruck seines Wesens bringt.

Die Werke der Baukunst werden sehr selten, gleich den übrigen Werken der schönen Kunst, zu rein ästhetischen Zwecken aufgeführt: vielmehr werden diese andern, der Kunst selbst fremden, nützlichen Zwecken untergeordnet, und da besteht denn das große Verdienst des Baukünstlers darin, die rein ästhetischen Zwecke, in jener ihrer Unterordnung unter fremdartige, doch durchzusetzen und zu erreichen, indem er sie auf mannigfaltige Weise dem jedesmaligen willkürlichen Zwecke geschickt anpaßt, und richtig beurtheilt, welche ästhetisch-architektonische Schönheit sich mit einem Tempel, welche mit einem Palast, welche mit einem Zeughause u.s.w. verträgt und vereinigen läßt. Je mehr ein rauhes Klima jene Forderungen des Bedürfnisses, der Nützlichkeit vermehrt, sie fester bestimmt und unerläßlicher vorschreibt, desto weniger Spielraum hat das Schöne in der Baukunst. Im milden Klima Indiens, Aegyptens, Griechenlands und Roms, wo die Forderungen der Nothwendigkeit geringer und loser bestimmt waren, konnte die Baukunst ihre ästhetischen Zwecke am freiesten verfolgen: unter dem nordischen Himmel wurden ihr diese sehr verkümmert: hier, wo Kasten, spitze Dächer und Thürme die Forderung waren, mußte die Baukunst, da sie ihre eigene Schönheit nur in sehr engen Schranken entfalten durfte, sich zum Ersatz desto mehr mit dem von der Skulptur geborgten Schmucke zieren, wie an der Gothischen schönen Baukunst zu sehn.

Muß nun diesergestalt die Baukunst, durch die Forderungen der Nothwendigkeit und Nützlichkeit, große Beschränkungen leiden; so hat sie andererseits an eben diesen eine kräftige Stütze, da sie, bei dem Umfange und der Kostbarkeit ihrer Werke und der engen Sphäre ihrer ästhetischen Wirkungsart, sich als bloß schöne Kunst gar nicht erhalten könnte, wenn sie nicht zugleich als nützliches und nothwendiges Gewerbe einen festen und ehrenvollen Platz unter den menschlichen Handtierungen hätte. Der Mangel dieses letztem eben ist es, der eine andere Kunst verhindert, ihr als Schwester zur Seite zu stehn, obgleich dieselbe, in ästhetischer Rücksicht, ganz eigentlich ihr als Seitenstück beizuordnen ist: ich meine die schöne Wasserleitungskunst. Denn was die Baukunst für die Idee der Schwere, wo diese mit der Starrheit verbunden erscheint, leistet, das Selbe leistet jene für die selbe Idee, da, wo ihr die Flüssigkeit, d.h. Formlosigkeit, leichteste Verschiebbarkeit, Durchsichtigkeit, beigesellt ist. Schäumend und brausend über Felsen stürzende Wasserfälle, still zerstäubende Katarakte, als hohe Wassersäulen emporstrebende Springbrunnen und klarspiegelnde Seen offenbaren die Ideen der flüssigen schweren Materie gerade so, wie die Werke der Baukunst die Ideen der starren Materie entfalten. An der nützlichen Wasserleitungskunst findet die schöne keine Stütze; da die Zwecke dieser sich mit den ihrigen, in der Regel, nicht vereinigen lassen, sondern dies nur ausnahmsweise Statt findet, z.B. in der Cascata di Trevi zu Rom.61