Kapitel 22. Objektive Ansicht des Intellekts

Es giebt zwei von Grund aus verschiedene Betrachtungsweisen des Intellekts, welche auf der Verschiedenheit des Standpunkts beruhen und, so sehr sie auch, in Folge dieser, einander entgegengesetzt sind, dennoch in Uebereinstimmung gebracht werden müssen. – Die eine ist die subjektive, welche, von innen ausgehend und das Bewußtseyn als das Gegebene nehmend, uns darlegt, durch welchen Mechanismus in demselben die Welt sich darstellt, und wie aus den Materialien, welche Sinne und Verstand liefern, sie sich darin aufbaut. Als den Urheber dieser Betrachtungsweise haben wir Locke anzusehn: Kant brachte sie zu ungleich höherer Vollendung, und ebenfalls ist unser erstes Buch, nebst den Ergänzungen dazu, ihr gewidmet.

Die dieser entgegengesetzte Betrachtungsweise des Intellekts ist die objektive, welche von außen anhebt, nicht das eigene Bewußtseyn, sondern die in der äußern Erfahrung gegebenen, sich ihrer selbst und der Welt bewußten Wesen zu ihrem Gegenstande nimmt, und nun untersucht, welches Verhältniß der Intellekt derselben zu ihren übrigen Eigenschaften hat, wodurch er möglich, wodurch er nothwendig geworden, und was er ihnen leistet. Der Standpunkt dieser Betrachtungsweise ist der empirische: sie nimmt die Welt und die darin vorhandenen thierischen Wesen als schlechthin gegeben, indem sie von ihnen ausgeht. Sie ist demnach zunächst zoologisch, anatomisch, physiologisch, und wird erst durch die Verbindung mit jener erstern und von dem dadurch gewonnenen hohem Standpunkt aus philosophisch. Die bis jetzt allein gegebene Grundlage zu ihr verdanken wir den Zootomen und Physiologen, zumeist den Französischen. Besonders ist hier Cabanis zu nennen, dessen vortreffliches Werk, Des rapports du physique au moral, auf dem physiologischen Wege, für diese Betrachtungsweise bahnbrechend gewesen ist. Gleichzeitig wirkte der berühmte Bichat, dessen Thema jedoch ein viel umfassenderes war. Selbst Gall ist hier zu nennen; wenn gleich sein Hauptzweck verfehlt wurde. Unwissenheit und Vorurtheil haben gegen diese Betrachtungsweise die Anklage des Materialismus erhoben; weil dieselbe, sich rein an die Erfahrung haltend, die immaterielle Substanz, Seele, nicht kennt. Die neuesten Fortschritte in der Physiologie des Nervensystems, durch Charles Bell, Magendie, Marshall Hall u. a., haben den Stoff dieser Betrachtungsweise ebenfalls bereichert und berichtigt. Eine Philosophie, welche, wie die Kantische, diesen Gesichtspunkt für den Intellekt gänzlich ignorirt, ist einseitig und eben dadurch unzureichend. Sie läßt zwischen unserm philosophischen und unserm physiologischen Wissen eine unübersehbare Kluft, bei der wir nimmermehr Befriedigung finden können.

Obwohl schon Das, was ich in den beiden vorhergegangenen Kapiteln über das Leben und die Thätigkeit des Gehirns gesagt habe, dieser Betrachtungsweise angehört, imgleichen, in der Abhandlung über den Willen in der Natur, alle unter der Rubrik »Pflanzenphysiologie« gegebenen Erläuterungen und auch ein Theil der unter der Rubrik »Vergleichende Anatomie« befindlichen ihr gewidmet sind, wird die hier folgende Darlegung ihrer Resultate im Allgemeinen keineswegs überflüssig seyn.

Des grellen Kontrastes zwischen den beiden im Obigen einander entgegengestellten Betrachtungsweisen des Intellekts wird man am lebhaftesten inne werden, wenn man, die Sache auf die Spitze stellend, sich vergegenwärtigt, daß was die eine als besonnenes Denken und lebendiges Anschauen unmittelbar aufnimmt und zu ihrem Stoffe macht, für die andere nichts weiter ist, als die physiologische Funktion eines Eingeweides, des Gehirns; ja, daß man berechtigt ist, zu behaupten, die ganze objektive Welt, so gränzenlos im Raum, so unendlich in der Zeit, so unergründlich in der Vollkommenheit, sei eigentlich nur eine gewisse Bewegung oder Affektion der Breimasse im Hirnschädel. Da fragt man erstaunt: was ist dieses Gehirn, dessen Funktion ein solches Phänomen aller Phänomene hervorbringt? Was ist die Materie, die zu einer solchen Breimasse raffinirt und potenzirt werden kann, daß die Reizung einiger ihrer Partikeln zum bedingenden Träger des Daseyns einer objektiven Welt wird? Die Scheu vor solchen Fragen trieb zur Hypostase der einfachen Substanz einer immateriellen Seele, die im Gehirn bloß wohnte. Wir sagen unerschrocken: auch diese Breimasse ist, wie jeder vegetabilische oder animalische Theil, ein organisches Gebilde, gleich allen ihren geringeren Anverwandten, in der schlechtem Behausung der Köpfe unserer unvernünftigen Brüder, bis zum geringsten, kaum noch apprehendirenden herab; jedoch ist jene organische Breimasse das letzte Produkt der Natur, welches alle übrigen schon voraussetzt. An sich selbst aber und außerhalb der Vorstellung ist auch das Gehirn, wie Alles Andere, Wille. Denn Für-ein-Anderes-daseyn ist Vorgestelltwerden, Ansichseyn ist Wollen: hierauf eben beruht es, daß wir auf dem rein objektiven Wege nie zum Innern der Dinge gelangen; sondern, wenn wir von außen und empirisch ihr Inneres zu finden versuchen, dieses Innere, unter unsern Händen, stets wieder zu einem Aeußern wird, – das Mark des Baumes, so gut wie seine Rinde, das Herz des Thieres, so gut wie sein Fell, die Keimhaut und der Dotter des Eis, so gut wie seine Schaale. Hingegen auf dem subjektiven Wege ist das Innere uns jeden Augenblick zugänglich: da finden wir es als den Willen zunächst in uns selbst, und müssen, am Leitfaden der Analogie mit unserm eigenen Wesen, die übrigen enträthseln können, indem wir zu der Einsicht gelangen, daß ein Seyn an sich, unabhängig vom Erkanntwerden, d.h. Sichdarstellen in einem Intellekt, nur als ein Wollen denkbar ist.

Gehn wir nun, in der objektiven Auffassung des Intellekts, so weit wir irgend können, zurück; so werden wir finden, daß die Nothwendigkeit, oder das Bedürfniß der Erkenntniß überhaupt entsteht aus der Vielheit und dem getrennten Daseyn der Wesen, also aus der Individuation. Denn denkt man sich, es sei nur ein einziges Wesen vorhanden; so bedarf ein solches keiner Erkenntniß: weil nichts daist, was von ihm selbst verschieden wäre, und dessen Daseyn es daher erst mittelbar, durch Erkenntniß, d.h. Bild und Begriff, in sich aufzunehmen hätte. Es wäre eben selbst schon Alles in Allem, mithin bliebe ihm nichts zu erkennen, d.h. nichts Fremdes, das als Gegenstand, Objekt, aufgefaßt werden könnte, übrig. Bei der Vielheit der Wesen hingegen befindet jedes Individuum sich in einem Zustande der Isolation von allen übrigen, und daraus entsteht die Nothwendigkeit der Erkenntniß. Das Nervensystem, mittelst dessen das thierische Individuum zunächst sich seiner selbst bewußt wird, ist durch seine Haut begränzt: jedoch, im Gehirn bis zum Intellekt gesteigert, überschreitet es diese Gränze, mittelst seiner Erkenntnißform der Kausalität, und so entsteht ihm die Anschauung, als ein Bewußtseyn anderer Dinge, als ein Bild von Wesen in Raum und Zeit, die sich verändern, gemäß der Kausalität. – In diesem Sinne wäre es richtiger zu sagen: »nur das Verschiedene wird vom Verschiedenen erkannt«, als, wie Empedokles sagte, »nur das Gleiche vom Gleichen«, welches ein gar schwankender und vieldeutiger Satz war; obgleich sich auch wohl Gesichtspunkte fassen lassen, von welchen aus er wahr ist; wie, beiläufig gesagt, schon der des Helvetius, wenn er so schön wie treffend bemerkt: Il n'y a que l'esprit qui sente l'esprit: c'est une corde qui ne frémit qu'à l'unison; – welches zusammentrifft mit dem Xenophanischen sophon einai dei ton epignôsomenon ton sophon (sapientem esse oportet eum, qui sapientem agniturus sit), und ein großes Herzeleid ist. – Nun aber wieder von der andern Seite wissen wir, daß, umgekehrt, die Vielheit des Gleichartigen erst möglich wird durch Zeit und Raum, also durch die Formen unserer Erkenntniß. Der Raum entsteht erst, indem das erkennende Subjekt nach außen sieht: er ist die Art und Weise, wie das Subjekt etwas als von sich verschieden auffaßt. Soeben aber sahen wir die Erkenntniß überhaupt durch Vielheit und Verschiedenheit bedingt. Also die Erkenntniß und die Vielheit, oder Individuation, stehn und fallen mit einander, indem sie sich gegenseitig bedingen. – Hieraus ist zu schließen, daß jenseit der Erscheinung, im Wesen an sich aller Dinge, welchem Zeit und Raum, und deshalb auch die Vielheit, fremd seyn muß, auch keine Erkenntniß vorhanden seyn kann. Dieses bezeichnet der Buddhaismus als Pradschna Paramita, d.i. das Jenseits aller Erkenntniß. (Hierüber siehe I. J. Schmidt, »Ueber das Maha-Jana und Pradschna Paramita«.) Ein »Erkennen der Dinge an sich«, im strengsten Sinne des Worts, – wäre demnach schon darum unmöglich, weil wo das Wesen an sich der Dinge anfängt, das Erkennen wegfällt, und alle Erkenntniß schon grundwesentlich bloß auf Erscheinungen geht. Denn sie entspringt aus einer Beschränkung, durch welche sie nöthig gemacht wird, um die Schranken zu erweitern.

Für die objektive Betrachtung ist das Gehirn die Efflorescenz des Organismus; daher erst wo dieser seine höchste Vollkommenheit und Komplikation erlangt hat, es in seiner größten Entwickelung auftritt. Den Organismus aber haben wir im vorhergehenden Kapitel als die Objektivation des Willens kennen gelernt: zu dieser muß daher auch das Gehirn, als sein Theil, gehören. Ferner habe ich daraus, daß der Organismus nur die Sichtbarkeit des Willens, also an sich dieser selbst ist, abgeleitet, daß jede Affektion des Organismus zugleich und unmittelbar den Willen afficirt, d.h. angenehm oder schmerzlich empfunden wird. Jedoch tritt, durch die Steigerung der Sensibilität, bei höherer Entwickelung des Nervensystems, die Möglichkeit ein, daß in den edleren, d.h. den objektiven Sinnesorganen (Gesicht, Gehör) die ihnen angemessenen, höchst zarten Affektionen empfunden werden, ohne an sich selbst und unmittelbar den Willen zu afficiren, d.h. ohne schmerzlich oder angenehm zu seyn, daß sie mithin als an sich gleichgültige, bloß wahrgenommene Empfindungen ins Bewußtsein treten. Im Gehirn erreicht nun aber diese Steigerung der Sensibilität einen so hohen Grad, daß auf empfangene Sinneseindrücke sogar eine Reaktion entsteht, welche nicht unmittelbar vom Willen ausgeht, sondern zunächst eine Spontaneität der Verstandesfunktion ist, als welche von der unmittelbar wahrgenommenen Sinnesempfindung den Uebergang zu deren Ursache macht, wodurch, indem dabei das Gehirn zugleich die Form des Raumes hervorbringt, die Anschauung eines äußern Objektes entsteht. Man kann daher den Punkt, wo von der Empfindung auf der Retina, welche noch eine bloße Affektion des Leibes und insofern des Willens ist, der Verstand den Uebergang macht zur Ursache jener Empfindung, die er mittelst seiner Form des Raumes als ein Aeußeres und von der eigenen Person Verschiedenes projicirt, – als die Gränze betrachten zwischen der Welt als Wille und der Welt als Vorstellung, oder auch als die Geburtsstätte dieser letzteren. Beim Menschen geht nun aber die, in letzter Instanz freilich doch vom Willen verliehene, Spontaneität der Gehirntätigkeit noch weiter, als zur bloßen Anschauung und unmittelbaren Auffassung der Kausalverhältnisse; nämlich bis zum Bilden abstrakter Begriffe aus jenen Anschauungen, und zum Operiren mit diesen, d.h. zum Denken, als worin seine Vernunft besteht. Die Gedanken sind daher von den Affektionen des Leibes, welche, weil dieser die Objektivation des Willens ist, selbst in den Sinnesorganen, durch Steigerung, sogleich in Schmerz übergehn können, am entferntesten. Vorstellung und Gedanke können, dem Gesagten zufolge, auch als die Efflorescenz des Willens angesehn werden, sofern sie aus der höchsten Vollendung und Steigerung des Organismus entspringen, dieser aber, an sich selbst und außerhalb der Vorstellung, der Wille ist. Allerdings setzt, in meiner Erklärung, das Daseyn des Leibes die Welt der Vorstellung voraus; sofern auch er, als Körper oder reales Objekt, nur in ihr ist: und andererseits setzt die Vorstellung selbst eben so sehr den Leib voraus; da sie nur durch die Funktion eines Organs desselben entsteht. Das der ganzen Erscheinung zum Grunde Liegende, das allein an sich selbst Seiende und Ursprüngliche darin, ist ausschließlich der Wille: denn er ist es, welcher, eben durch diesen Proceß, die Form der Vorstellung annimmt, d.h. in das sekundäre Daseyn einer gegenständlichen Welt, oder die Erkennbarkeit, eingeht. – Die Philosophen vor Kant, wenige ausgenommen, haben die Erklärung des Hergangs unsers Erkennens von der verkehrten Seite angegriffen. Sie giengen nämlich dabei aus von einer sogenannten Seele, einem Wesen, dessen innere Natur und eigenthümliche Funktion im Denken bestände, und zwar ganz eigentlich im abstrakten Denken, mit bloßen Begriffen, die ihr um so vollkommener angehörten, als sie von aller Anschaulichkeit ferner lagen. (Hier bitte ich, die Anmerkung am Ende des § 6 meiner Preisschrift über das Fundament der Moral nachzusehn.) Diese Seele sei unbegreiflicherweise in den Leib gerathen, woselbst sie in ihrem reinen Denken nur Störungen erleide, schon durch die Sinneseindrücke und Anschauungen, noch mehr durch die Gelüste, welche diese erregen, endlich durch die Affekte, ja Leidenschaften, zu welchen wieder diese sich entwickeln; während das selbsteigene und ursprüngliche Element dieser Seele lauteres, abstraktes Denken sei, welchem überlassen sie nur Universalia, angeborene Begriffe und aeternas veritates zu ihren Gegenständen habe und alles Anschauliche tief unter sich liegen lasse. Daher stammt denn auch die Verachtung, mit welcher noch jetzt von den Philosophieprofessoren die »Sinnlichkeit« und das »Sinnliche« erwähnt, ja, zur Hauptquelle der Immoralität gemacht werden; während gerade die Sinne, da sie im Verein mit den apriorischen Funktionen des Intellekts, die Anschauung hervorbringen, die lautere und unschuldige Quelle aller unserer Erkenntnisse sind, von welcher alles Denken seinen Gehalt erst erborgt. Man könnte wahrlich glauben, jene Herren dächten bei der Sinnlichkeit stets nur an den vorgeblichen sechsten Sinn der Franzosen. – Besagtermaaßen also machte man, beim Proceß des Erkennens, das allerletzte Produkt desselben, das abstrakte Denken, zum Ersten und Ursprünglichen, griff demnach, wie gesagt, die Sache am verkehrten Ende an. – Wie nun, meiner Darstellung zufolge, der Intellekt aus dem Organismus und dadurch aus dem Willen entspringt, mithin ohne diesen nicht seyn könnte; so fände er ohne ihn auch keinen Stoff und Beschäftigung: weil alles Erkennbare eben nur die Objektivation des Willens ist.

Aber nicht nur die Anschauung der Außenwelt, oder das Bewußtsein anderer Dinge, ist durch das Gehirn und seine Funktionen bedingt, sondern auch das Selbstbewußtseyn. Der Wille an sich selbst ist bewußtlos und bleibt es im größten Theile seiner Erscheinungen. Die sekundäre Welt der Vorstellung muß hinzutreten, damit er sich seiner bewußt werde; wie das Licht erst durch die es zurückwerfenden Körper sichtbar wird und außerdem sich wirkungslos in die Finsterniß verliert. Indem der Wille, zum Zweck der Auffassung seiner Beziehungen zur Außenwelt, im thierischen Individuo, ein Gehirn hervorbringt, entsteht erst in diesem das Bewußtsein des eigenen Selbst, mittelst des Subjekts des Erkennens, welches die Dinge als daseiend, das Ich als wollend auffaßt. Nämlich die im Gehirn aufs Höchste gesteigerte, jedoch in die verschiedenen Theile desselben ausgebreitete Sensibilität muß zuvörderst alle Strahlen ihrer Thätigkeit zusammenbringen, sie gleichsam in einen Brennpunkt koncentriren, der jedoch nicht, wie bei Hohlspiegeln, nach außen, sondern, wie bei Konvexspiegeln, nach innen fällt: mit diesem Punkte nun beschreibt sie zunächst die Linie der Zeit, auf der daher Alles, was sie vorstellt, sich darstellen muß und welche die erste und wesentlichste Form alles Erkennens, oder die Form des innern Sinnes ist. Dieser Brennpunkt der gesammten Gehirnthätigkeit ist Das, was Kant die synthetische Einheit der Apperception nannteA5: erst mittelst desselben wird der Wille sich seiner selbst bewußt, indem dieser Fokus der Gehirnthätigkeit, oder das Erkennende, sich mit seiner eigenen Basis, daraus er entsprungen ist, dem Wollenden, als identisch auffaßt und so das Ich entsteht. Dieser Fokus der Gehirnthätigkeit bleibt dennoch zunächst ein bloßes Subjekt des Erkennens und als solches fähig, der kalte und antheilslose Zuschauer, der bloße Lenker und Berather des Willens zu seyn, wie auch, ohne Rücksicht auf diesen und sein Wohl oder Weh, die Außenwelt rein objektiv aufzufassen. Aber sobald er sich nach innen richtet, erkennt er als die Basis seiner eigenen Erscheinung den Willen, und fließt daher mit diesem in das Bewußtseyn eines Ich zusammen. Jener Brennpunkt der Gehirnthätigkeit (oder das Subjekt der Erkenntniß) ist, als untheilbarer Punkt, zwar einfach, deshalb aber doch keine Substanz (Seele), sondern ein bloßer Zustand. Das, dessen Zustand er selbst ist, kann nur indirekt, gleichsam durch Reflex, von ihm erkannt werden: aber das Aufhören des Zustandes darf nicht angesehn werden als die Vernichtung Dessen, von dem es ein Zustand ist. Dieses erkennende und bewußte Ich verhält sich zum Willen, welcher die Basis der Erscheinung desselben ist, wie das Bild im Fokus des Hohlspiegels zu diesem selbst, und hat, wie jenes, nur eine bedingte, ja eigentlich bloß scheinbare Realität. Weit entfernt, das schlechthin Erste zu seyn (wie z.B. Fichte lehrte), ist es im Grunde tertiär, indem es den Organismus voraussetzt, dieser aber den Willen. – Ich gebe zu, daß alles hier Gesagte doch eigentlich nur Bild und Gleichniß, auch zum Theil hypothetisch sei: allein wir stehn bei einem Punkte, bis zu welchem kaum die Gedanken, geschweige die Beweise reichen. Ich bitte daher, es mit Dem zu vergleichen, was ich im zwanzigsten Kapitel über diesen Gegenstand ausführlich beigebracht habe.

Obgleich nun das Wesen an sich jedes Daseienden in seinem Willen besteht, und die Erkenntniß, nebst dem Bewußtseyn, nur als ein Sekundäres, auf den höheren Stufen der Erscheinung hinzukommt; so finden wir doch, daß der Unterschied, den die Anwesenheit und der verschiedene Grad des Bewußtseyns und Intellekts zwischen Wesen und Wesen setzt, überaus groß und folgenreich ist. Das subjektive Daseyn der Pflanze müssen wir uns denken als ein schwaches Analogen, einen bloßen Schatten von Behagen und Unbehagen: und selbst in diesem äußerst schwachen Grade weiß die Pflanze allein von sich, nicht von irgend etwas außer ihr. Hingegen schon das ihr am nächsten stehende, unterste Thier ist durch gesteigerte und genauer specificirte Bedürfnisse veranlaßt, die Sphäre seines Daseins über die Gränze seines Leibes hinaus zu erweitern. Dies geschieht durch die Erkenntniß: es hat eine dumpfe Wahrnehmung seiner nächsten Umgebung, aus welcher ihm Motive für sein Thun, zum Zweck seiner Erhaltung, erwachsen. Hiedurch tritt sonach das Medium der Motive ein: und dieses ist – die in Zeit und Raum objektiv dastehende Welt, die Welt als Vorstellung; so schwach, dumpf und kaum dämmernd auch dieses erste und niedrigste Exemplar derselben seyn mag. Aber deutlicher und immer deutlicher, immer weiter und immer tiefer, prägt sie sich aus, in dem Maaße, wie in der aufsteigenden Reihe thierischer Organisationen das Gehirn immer vollkommener producirt wird. Diese Steigerung der Gehirnentwickelung, also des Intellekts und der Klarheit der Vorstellung, auf jeder dieser immer höheren Stufen, wird aber herbeigeführt durch das sich immer mehr erhöhende und komplicirende Bedürfniß dieser Erscheinungen des Willens. Dieses muß immer erst den Anlaß dazu geben: denn ohne Noth bringt die Natur (d.h. der in ihr sich objektivirende Wille) nichts, am wenigsten die schwierigste ihrer Produktionen, ein vollkommneres Gehirn hervor; in Folge ihrer lex parsimoniae: natura nihil agit frustra et nihil facit supervacaneum. Jedes Thier hat sie ausgestattet mit den Organen, die zu seiner Erhaltung, den Waffen, die zu seinem Kampfe nothwendig sind; wie ich dies in der Schrift »Ueber den Willen in der Natur« unter der Rubrik »Vergleichende Anatomie« ausführlich dargestellt habe: nach dem nämlichen Maaßstabe daher ertheilte sie jedem das wichtigste der nach außen gerichteten Organe, das Gehirn, mit seiner Funktion, dem Intellekt. Je komplicirter nämlich, durch höhere Entwickelung, seine Organisation wurde, desto mannigfaltiger und specieller bestimmt wurden auch seine Bedürfnisse, folglich desto schwieriger und von der Gelegenheit abhängiger die Herbeischaffung des sie Befriedigenden. Da bedurfte es also eines weitem Gesichtskreises, einer genauem Auffassung, einer richtigern Unterscheidung der Dinge in der Außenwelt, in allen ihren Umständen und Beziehungen. Demgemäß sehn wir die Vorstellungskräfte und ihre Organe, Gehirn, Nerven und Sinneswerkzeuge, immer vollkommener hervortreten, je höher wir in der Stufenleiter der Thiere aufwärts gehn: und in dem Maaße, wie das Cerebralsystem sich entwickelt, stellt sich die Außenwelt immer deutlicher, vielseitiger, vollkommener, im Bewußtsein dar. Die Auffassung derselben erfordert jetzt immer mehr Aufmerksamkeit, und zuletzt in dem Grade, daß bisweilen ihre Beziehung auf den Willen momentan aus den Augen verloren werden muß, damit sie desto reiner und richtiger vor sich gehe. Ganz entschieden tritt dies erst beim Menschen ein: bei ihm allein findet eine reine Sonderung des Erkennens vom Wollen Statt. Dies ist ein wichtiger Punkt, den ich hier bloß berühre, um seine Stelle zu bezeichnen und weiter unten ihn wieder aufnehmen zu können. – Aber auch diesen letzten Schritt in der Ausdehnung und Vervollkommnung des Gehirns, und damit in der Erhöhung der Erkenntnißkräfte, thut die Natur, wie alle übrigen, bloß in Folge der erhöhten Bedürfnisse, also zum Dienste des Willens. Was dieser im Menschen bezweckt und erreicht, ist zwar im Wesentlichen das Selbe und nicht mehr, als was auch im Thiere sein Ziel ist: Ernährung und Fortpflanzung. Aber durch die Organisation des Menschen wurden die Erfordernisse zur Erreichung jenes Ziels so sehr vermehrt, gesteigert und specificirt, daß, zur Erreichung des Zwecks, eine ungleich beträchtlichere Erhöhung des Intellekts, als die bisherigen Stufen darboten, nothwendig, oder wenigstens das leichteste Mittel war. Da nun aber der Intellekt, seinem Wesen zufolge, ein Werkzeug von höchst vielseitigem Gebrauch und auf die verschiedenartigsten Zwecke gleich anwendbar ist; so konnte die Natur, ihrem Geist der Sparsamkeit getreu, alle Forderungen der so mannigfach gewordenen Bedürfnisse nunmehr ganz allein durch ihn decken: daher stellte sie den Menschen, ohne Bekleidung, ohne natürliche Schutzwehr, oder Angriffswaffe, ja mit verhältnißmäßig geringer Muskelkraft, bei großer Gebrechlichkeit und geringer Ausdauer gegen widrige Einflüsse und Mangel, hin, im Verlaß auf jenes eine große Werkzeug, zu welchem sie nur noch die Hände, von der nächsten Stufe unter ihm, dem Affen, beizubehalten hatte. Durch den also hier auftretenden überwiegenden Intellekt ist aber nicht nur die Auffassung der Motive, die Mannigfaltigkeit derselben und überhaupt der Horizont der Zwecke unendlich vermehrt, sondern auch die Deutlichkeit, mit welcher der Wille sich seiner selbst bewußt wird, aufs höchste gesteigert, in Folge der eingetretenen Klarheit des ganzen Bewußtseins, welche, durch die Fähigkeit des abstrakten Erkennens unterstützt, jetzt bis zur vollkommenen Besonnenheit geht. Dadurch aber, wie auch durch die als Träger eines so erhöhten Intellekts nothwendig vorausgesetzte Vehemenz des Willens, ist eine Erhöhung aller Affekte eingetreten, ja die Möglichkeit der Leidenschaften, welche das Thier eigentlich nicht kennt. Denn die Heftigkeit des Willens hält mit der Erhöhung der Intelligenz gleichen Schritt; eben weil diese eigentlich immer aus den gesteigerten Bedürfnissen und dringendem Forderungen des Willens entspringt: zudem aber unterstützen Beide sich wechselseitig. Die Heftigkeit des Charakters nämlich hängt zusammen mit größerer Energie des Herzschlags und Blutumlaufs, welche physisch die Thätigkeit des Gehirns erhöht. Andererseits wieder erhöht die Klarheit der Intelligenz, mittelst der lebhafteren Auffassung der äußeren Umstände, die durch diese hervorgerufenen Affekte. Daher z.B. lassen junge Kälber sich ruhig auf einen Wagen packen und fortschleppen: junge Löwen aber, wenn nur von der Mutter getrennt, bleiben fortwährend unruhig und brüllen unablässig, vom Morgen bis zum Abend; Kinder, in einer solchen Lage, würden sich fast zu Tode schreien und quälen. Die Lebhaftigkeit und Heftigkeit des Affen steht mit seiner schon sehr entwickelten Intelligenz in genauer Verbindung. Auf eben diesem Wechselverhältniß beruht es, daß der Mensch überhaupt viel größerer Leiden fähig ist, als das Thier; aber auch größerer Freudigkeit, in den befriedigten und frohen Affekten. Eben so macht der erhöhte Intellekt ihm die Langeweile fühlbarer, als dem Thier, wird aber auch, wenn er individuell sehr vollkommen ist, zu einer unerschöpflichen Quelle der Kurzweil. Im Ganzen also verhält sich die Erscheinung des Willens im Menschen zu der im Thier der obern Geschlechter wie ein angeschlagener Ton zu seiner zwei bis drei Oktaven tiefer gegriffenen Quinte. Aber auch zwischen den verschiedenen Thierarten sind die Unterschiede des Intellekts und dadurch des Bewußtseyns groß und endlos abgestuft. Das bloße Analogen von Bewußtsein, welches wir noch der Pflanze zuschreiben müssen, wird sich zu dem noch viel dumpferen subjektiven Wesen eines unorganischen Körpers ungefähr verhalten wie das Bewußtsein des untersten Thieres zu jenem quasi Bewußtseyn der Pflanze. Man kann sich die zahllosen Abstufungen im Grade des Bewußtseyns veranschaulichen unter dem Bilde der verschiedenen Geschwindigkeit, welche die vom Centro ungleich entfernten Punkte einer drehenden Scheibe haben. Aber das richtigste, ja, wie unser drittes Buch lehrt, das natürliche Bild jener Abstufung liefert die Tonleiter, in ihrem ganzen Umfang, vom tiefsten noch hörbaren bis zum höchsten Ton. Nun aber ist es der Grad des Bewußtseyns, welcher den Grad des Daseyns eines Wesens bestimmt. Denn alles unmittelbare Daseyn ist ein subjektives: das objektive Daseyn ist im Bewußtseyn eines Andern vorhanden, also nur für dieses, mithin ganz mittelbar. Durch den Grad des Bewußtseyns sind die Wesen so verschieden, wie sie durch den Willen gleich sind, sofern dieser das Gemeinsame in ihnen allen ist.

Was wir aber jetzt zwischen Pflanze und Thier, und dann zwischen den verschiedenen Thiergeschlechtern betrachtet haben, findet auch noch zwischen Mensch und Mensch Statt. Auch hier nämlich begründet das Sekundäre, der Intellekt, mittelst der von ihm abhängigen Klarheit des Bewußtseyns und Deutlichkeit des Erkennens, einen fundamentalen und unabsehbar großen Unterschied in der ganzen Weise des Daseyns, und dadurch im Grade desselben. Je höher gesteigert das Bewußtseyn ist, desto deutlicher und zusammenhängender die Gedanken, desto klarer die Anschauungen, desto inniger die Empfindungen. Dadurch gewinnt Alles mehr Tiefe: die Rührung, die Wehmuth, die Freude und der Schmerz. Die gewöhnlichen Flachköpfe sind nicht ein Mal rechter Freude fähig: sie leben in Dumpfheit dahin. Während dem Einen sein Bewußtseyn nur das eigene Daseyn, nebst den Motiven, welche zum Zweck der Erhaltung und Erheiterung desselben apprehendirt werden müssen, in einer dürftigen Auffassung der Außenwelt vergegenwärtigt, ist es dem Andern eine camera obscura, in welcher sich der Makrokosmos darstellt:

»Er fühlet, daß er eine kleine Welt

In seinem Gehirne brütend hält,

Daß die fängt an zu wirken und zu leben,

Daß er sie gerne möchte von sich geben.«

Die Verschiedenheit der ganzen Art des Daseyns, welche die Extreme der Gradation der intellektuellen Fähigkeiten zwischen Mensch und Mensch feststellen, ist so groß, daß die zwischen König und Tagelöhner dagegen gering erscheint. Und auch hier ist, wie bei den Thiergeschlechtern, ein Zusammenhang zwischen der Vehemenz des Willens und der Steigerung des Intellekts nachweisbar. Genie ist durch ein leidenschaftliches Temperament bedingt, und ein phlegmatisches Genie ist undenkbar; es scheint, daß ein überaus heftiger, also gewaltig verlangender Wille daseyn mußte, wenn die Natur einen abnorm erhöhten Intellekt, als jenem angemessen, dazugeben sollte; während die bloß physische Rechenschaft hierüber auf die größere Energie, mit der die Arterien des Kopfes das Gehirn bewegen und die Turgescenz desselben vermehren, hinweist. Freilich aber ist die Quantität, Qualität und Form des Gehirns selbst die andere und ungleich seltenere Bedingung des Genies. Andererseits sind die Phlegmatici in der Regel von sehr mittelmäßigen Geisteskräften: und eben so stehn die nördlichen, kaltblütigen und phlegmatischen Völker, im Allgemeinen, den südlichen, lebhaften und leidenschaftlichen an Geist merklich nach; obgleich, wie Bako31 überaus treffend bemerkt hat, wenn ein Mal ein Nordländer von der Natur hochbegabt wird, dies alsdann einen Grad erreichen kann, bis zu welchem kein Südländer je gelangt. Demnach ist es so verkehrt als gewöhnlich, zum Maaßstab der Vergleichung der Geisteskräfte verschiedener Nationen die großen Geister derselben zu nehmen: denn das heißt, die Regel durch die Ausnahmen begründen wollen. Vielmehr ist es die große Pluralität jeder Nation, die man zu betrachten hat: denn eine Schwalbe macht keinen Sommer. – Noch ist hier zu bemerken, daß eben die Leidenschaftlichkeit, welche Bedingung des Genies ist, mit seiner lebhaften Auffassung der Dinge verbunden, im praktischen Leben, wo der Wille ins Spiel kommt, zumal bei plötzlichen Ereignissen, eine so große Aufregung der Affekte herbeiführt, daß sie den Intellekt stört und verwirrt; während der Phlegmatikus auch dann noch den vollen Gebrauch seiner, wenn gleich viel geringern, Geisteskräfte behält und damit alsdann viel mehr leistet, als das größte Genie vermag. Sonach begünstigt ein leidenschaftliches Temperament die ursprüngliche Beschaffenheit des Intellekts, ein phlegmatisches aber dessen Gebrauch. Deshalb ist das eigentliche Genie durchaus nur zu theoretischen Leistungen, als zu welchen es seine Zeit wählen und abwarten kann; welches gerade die seyn wird, wo der Wille gänzlich ruht und keine Welle den reinen Spiegel der Weltanschauung trübt: hingegen ist zum praktischen Leben das Genie ungeschickt und unbrauchbar, daher auch meistens unglücklich. In diesem Sinn ist Goethes Tasso gedichtet. Wie nun das eigentliche Genie auf der absoluten Stärke des Intellekts beruht, welche durch eine ihr entsprechende, übermäßige Heftigkeit des Gemüths erkauft werden muß; so beruht hingegen die große Ueberlegenheit im praktischen Leben, welche Feldherren und Staatsmänner macht, auf der relativen Stärke des Intellekts, nämlich auf dem höchsten Grad desselben, der ohne eine zu große Erregbarkeit der Affekte, nebst zu großer Heftigkeit des Charakters erreicht werden kann und daher auch im Sturm noch Stand hält. Viel Festigkeit des Willens und Unerschütterlichkeit des Gemüths, bei einem tüchtigen und feinen Verstande, reicht hier aus; und was darüber hinausgeht, wirkt schädlich: denn die zu große Entwickelung der Intelligenz steht der Festigkeit des Charakters und Entschlossenheit des Willens geradezu im Wege. Deshalb ist auch diese Art der Eminenz nicht so abnorm und ist hundert Mal weniger selten, als jene andere: demgemäß sehn wir große Feldherren und große Minister zu allen Zeiten, sobald nur die äußern Umstände ihrer Wirksamkeit günstig sind, auftreten. Große Dichter und Philosophen hingegen lassen Jahrhunderte auf sich warten: doch kann die Menschheit auch an diesem seltenen Erscheinen derselben sich genügen lassen; da ihre Werke bleiben und nicht bloß für die Gegenwart dasind, wie die Leistungen jener Andern. – Dem oben erwähnten Gesetze der Sparsamkeit der Natur ist es auch völlig gemäß, daß sie die geistige Eminenz überhaupt höchst Wenigen, und das Genie nur als die seltenste aller Ausnahmen ertheilt, den großen Haufen des Menschengeschlechts aber mit nicht mehr Geisteskräften ausstattet, als die Erhaltung des Einzelnen und der Gattung erfordert. Denn die großen und, durch ihre Befriedigung selbst, sich beständig vermehrenden Bedürfnisse des Menschengeschlechts machen es nothwendig, daß der bei weitem größte Teil desselben sein Leben mit grob körperlichen und ganz mechanischen Arbeiten zubringt; wozu sollte nun diesem ein lebhafter Geist, eine glühende Phantasie, ein subtiler Verstand, ein tief eindringender Scharfsinn nutzen? Dergleichen würde die Leute nur untauglich und unglücklich machen. Daher also ist die Natur mit dem kostbarsten aller ihrer Erzeugnisse am wenigsten verschwenderisch umgegangen. Von diesem Gesichtspunkt aus sollte man auch, um nicht unbillig zu urtheilen, seine Erwartungen von den geistigen Leistungen der Menschen überhaupt feststellen und z.B. auch Gelehrte, da in der Regel bloß äußere Veranlassungen sie zu solchen gemacht haben, zunächst betrachten als Männer, welche die Natur eigentlich zum Ackerbau bestimmt hatte: ja, selbst Philosophieprofessoren sollte man nach diesem Maaßstabe abschätzen und wird dann ihre Leistungen allen billigen Erwartungen entsprechend finden. – Beachtenswerth ist es, daß im Süden, wo die Noth des Lebens weniger schwer auf dem Menschengeschlecht lastet und mehr Muße gestattet, auch die geistigen Fähigkeiten, selbst der Menge, sogleich regsamer und feiner werden. – Physiologisch merkwürdig ist, daß das Uebergewicht der Masse des Gehirns über die des Rückenmarks und der Nerven, welches, nach Sömmerings scharfsinniger Entdeckung, den wahren nächsten Maaßstab für den Grad der Intelligenz, sowohl in den Thiergeschlechtern, als in den menschlichen Individuen, abgiebt, zugleich die unmittelbare Beweglichkeit, die Agilität der Glieder vermehrt; weil, durch die große Ungleichheit des Verhältnisses, die Abhängigkeit aller motorischen Nerven vom Gehirn entschiedener wird; wozu wohl noch kommt, daß an der qualitativen Vollkommenheit des großen Gehirns auch die des kleinen, dieses nächsten Lenkers der Bewegungen, Theil nimmt; durch Beides also alle willkürlichen Bewegungen größere Leichtigkeit, Schnelle und Behändigkeit gewinnen, und durch die Koncentration des Ausgangspunktes aller Aktivität Das entsteht, was Lichtenberg an Garrick lobt: »daß er allgegenwärtig in den Muskeln seines Körpers schien«. Daher deutet Schwerfälligkeit im Gange des Körpers auf Schwerfälligkeit im Gange der Gedanken und wird, so gut wie Schlaffheit der Gesichtszüge und Stumpfheit des Blicks, als ein Zeichen von Geistlosigkeit betrachtet, sowohl an Individuen, wie an Nationen. Ein anderes Symptom des angeregten physiologischen Sachverhältnisses ist der Umstand, daß viele Leute, sobald ihr Gespräch mit ihrem Begleiter anfängt einigen Zusammenhang zu gewinnen, sogleich stillstehn müssen; weil nämlich ihr Gehirn, sobald es ein Paar Gedanken an einander zu haken hat, nicht mehr so viel Kraft übrig behält, wie erforderlich ist, um durch die motorischen Nerven die Beine in Bewegung zu erhalten: so knapp ist bei ihnen Alles zugeschnitten.

Aus dieser ganzen objektiven Betrachtung des Intellekts und seines Ursprungs geht hervor, daß derselbe zur Auffassung der Zwecke, auf deren Erreichung das individuelle Leben und die Fortpflanzung desselben beruht, bestimmt ist, keineswegs aber, das vom Erkennenden unabhängig vorhandene Wesen an sich der Dinge und der Welt wiederzugeben. Was der Pflanze die Empfänglichkeit für das Licht ist, in Folge derer sie ihr Wachsthum der Richtung desselben entgegen lenkt, das Selbe ist, der Art nach, die Erkenntniß des Thieres, ja, auch des Menschen, wenn gleich, dem Grade nach, in dem Maaße gesteigert, wie die Bedürfnisse jedes dieser Wesen es heischen. Bei ihnen allen bleibt die Wahrnehmung ein bloßes Innewerden ihrer Relation zu andern Dingen, und ist keineswegs bestimmt, das eigentliche, schlechthin reale Wesen dieser im Bewußtseyn des Erkennenden noch ein Mal darzustellen. Vielmehr ist der Intellekt, als aus dem Willen stammend, auch nur zum Dienste dieses, also zur Auffassung der Motive, bestimmt: darauf ist er eingerichtet, mithin von durchaus praktischer Tendenz. Dies gilt auch insofern, als wir die metaphysische Bedeutung des Lebens als eine ethische begreifen: denn auch in diesem Sinne finden wir den Menschen nur zum Behufe seines Handelns erkennend. Ein solches, ausschließlich zu praktischen Zweiten vorhandenes Erkenntnißvermögen wird, seiner Natur nach, stets nur die Relationen der Dinge zu einander auffassen, nicht aber das eigene Wesen derselben, wie es an sich selbst ist. Nun aber den Komplex dieser Relationen für das schlechthin und an sich selbst vorhandene Wesen der Welt, und die Art und Weise, wie sie sich, nach den im Gehirn präformirten Gesetzen, nothwendig darstellen, für die ewigen Gesetze des Daseyns aller Dinge zu halten, und nun danach Ontologie, Kosmologie und Theologie zu konstruiren, – dies war eigentlich der uralte Grund-Irrthum, dem Kants Lehre ein Ende gemacht hat. Hier also kommt unsere objektive und daher großentheils physiologische Betrachtung des Intellekts seiner transscendentalen entgegen, ja, tritt, in gewissem Sinne, sogar als eine Einsicht a priori in dieselbe auf, indem sie, von einem außerhalb derselben genommenen Standpunkt, uns genetisch und daher als nothwendig erkennen läßt, was jene, von Thatsachen des Bewußtseins ausgehend, auch nur thatsächlich darlegt. Denn in Folge unserer objektiven Betrachtung des Intellekts ist die Welt als Vorstellung, wie sie, in Raum und Zeit ausgebreitet, dasteht und nach der strengen Regel der Kausalität sich gesetzmäßig fortbewegt, zunächst nur ein physiologisches Phänomen, eine Funktion des Gehirns, welche dieses, zwar auf Anlaß gewisser äußerer Reize, aber doch seinen eigenen Gesetzen gemäß vollzieht. Demnach versteht es sich zum voraus, daß was in dieser Funktion selbst, mithin durch sie und für sie vorgeht, keineswegs für die Beschaffenheit unabhängig von ihr vorhandener und ganz von ihr verschiedener Dinge an sich gehalten werden darf, sondern zunächst bloß die Art und Weise dieser Funktion selbst darstellt, als welche immer nur eine sehr untergeordnete Modifikation durch das von ihr völlig unabhängig Vorhandene, welches als Reiz sie in Bewegung setzt, erhalten kann. Wie demnach Locke Alles, was mittelst der Empfindung in die Wahrnehmung kommt, den Sinnesorganen vindicirte, um es den Dingen an sich abzusprechen; so hat Kant, in gleicher Absicht und auf dem selben Wege weitergehend, Alles was die eigentliche Anschauung möglich macht, nämlich Raum, Zeit und Kausalität, als Gehirnfunktion nachgewiesen; wenn gleich er dieses physiologischen Ausdrucks sich enthalten hat, zu welchem jedoch unsere jetzige, von der entgegengesetzten, realen Seite kommende Betrachtungsweise uns nothwendig hinführt. Kant kam, auf seinem analytischen Wege, zu dem Resultat, daß was wir erkennen bloße Erscheinungen seien. Was dieser räthselhafte Ausdruck eigentlich besage, wird aus unserer objektiven und genetischen Betrachtung des Intellekts klar: es sind die Motive, für die Zwecke eines individuellen Willens, wie sie in dem, zu diesem Behuf von ihm hervorgebrachten Intellekt (welcher selbst, objektiv, als Gehirn erscheint) sich darstellen, und welche, so weit man ihre Verkettung verfolgen mag, aufgefaßt, in ihrem Zusammenhange die in Zeit und Raum sich objektiv ausbreitende Welt liefern, welche ich die Welt als Vorstellung nenne. Auch verschwindet, von unserm Gesichtspunkt aus, das Anstößige, welches in der Kantischen Lehre daraus entsteht, daß, indem der Intellekt, statt der Dinge, wie sie an sich sind, bloße Erscheinungen erkennt, ja, in Folge derselben zu Paralogismen und ungegründeten Hypostasen verleitet wird, mittelst »Sophistikationen, nicht der Menschen, sondern der Vernunft selbst, von denen selbst der Weiseste sich nicht losmachen, und vielleicht zwar nach vieler Bemühung den Irrthum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich zwackt und äfft, niemals los werden kann«, – es das Ansehn gewinnt, als sei unser Intellekt absichtlich bestimmt, uns zu Irrthümern zu verleiten. Denn die hier gegebene objektive Ansicht des Intellekts, welche eine Genesis desselben enthält, macht begreiflich, daß er, ausschließlich zu praktischen Zwecken bestimmt, das bloße Medium der Motive ist, mithin durch richtige Darstellung dieser seine Bestimmung erfüllt, und daß, wenn wir aus dem Komplex und der Gesetzmäßigkeit der hiebei sich uns objektiv darstellenden Erscheinungen das Wesen der Dinge an sich selbst zu konstruiren unternehmen, dieses auf eigene Gefahr und Verantwortlichkeit geschieht. Wir haben nämlich erkannt, daß die ursprünglich erkenntnißlose und im Finstern treibende innere Kraft der Natur, welche, wenn sie sich bis zum Selbstbewußtseyn emporgearbeitet hat, sich diesem als Wille entschleiert, diese Stufe nur mittelst Produktion eines animalischen Gehirns und der Erkenntniß, als Funktion desselben, erreicht, wonach in diesem Gehirn das Phänomen der anschaulichen Welt entsteht. Nun aber dieses bloße Gehirnphänomen, mit der seinen Funktionen unwandelbar anhängenden Gesetzmäßigkeit, für das, unabhängig von ihm, vor ihm und nach ihm vorhandene, objektive Wesen an sich selbst der Welt und der Dinge in ihr zu erklären, ist offenbar ein Sprung, zu welchem nichts uns berechtigt. Aus diesem mundus phaenomenon, aus dieser, unter so vielfachen Bedingungen entstehenden Anschauung sind nun aber alle unsere Begriffe geschöpft, haben allen Gehalt nur von ihr, oder doch nur in Beziehung auf sie. Daher sind sie, wie Kant sagt, nur von immanentem, nicht von transscendentem Gebrauch: d.h. diese unsere Begriffe, dieses erste Material des Denkens, folglich noch mehr die durch ihre Zusammensetzung entstehenden Urtheile, sind der Aufgabe, das Wesen der Dinge an sich und den wahren Zusammenhang der Welt und des Daseyns zu denken, unangemessen: ja, dieses Unternehmen ist dem, den stereometrischen Gehalt eines Körpers in Quadratzollen auszudrücken, analog. Denn unser Intellekt, ursprünglich nur bestimmt, einem individuellen Willen seine kleinlichen Zwecke vorzuhalten, faßt demgemäß bloße Relationen der Dinge auf und dringt nicht in ihr Inneres, in ihr eigenes Wesen: er ist demnach eine bloße Flächenkraft, haftet an der Oberfläche der Dinge und faßt bloße species transitivas, nicht das wahre Wesen derselben. Hieraus eben entspringt es, daß wir kein einziges Ding, auch nicht das einfachste und geringste, durch und durch verstehn und begreifen können; sondern an jedem etwas uns völlig Unerklärliches übrig bleibt. – Eben weil der Intellekt ein Produkt der Natur und daher nur auf ihre Zwecke berechnet ist, haben die Christlichen Mystiker ihn recht artig das »Licht der Natur« benannt und in seine Schranken zurückgewiesen: denn die Natur ist das Objekt, zu welchem allein er das Subjekt ist. Jenem Ausdruck liegt eigentlich schon der Gedanke zum Grunde, aus dem die Kritik der reinen Vernunft entsprungen ist. Daß wir auf dem unmittelbaren Wege, d.h. durch die unkritische, direkte Anwendung des Intellekts und seiner Data, die Welt nicht begreifen können, sondern beim Nachdenken über sie uns immer tiefer in unauflösliche Räthsel verstricken, rührt eben daher, daß der Intellekt, also die Erkenntniß selbst, schon ein Sekundäres, ein bloßes Produkt ist, herbeigeführt durch die Entwickelung des Wesens der Welt, die ihm folglich bis dahin vorhergängig war, und er zuletzt eintrat, als ein Durchbruch ans Licht aus der dunkeln Tiefe des erkenntnißlosen Strebens, dessen Wesen sich in dem zugleich dadurch entstehenden Selbstbewußtseyn als Wille darstellt. Das der Erkenntniß als ihre Bedingung Vorhergängige, wodurch sie allererst möglich wurde, also ihre eigene Basis, kann nicht unmittelbar von ihr gefaßt werden; wie das Auge nicht sich selbst sehn kann. Vielmehr sind die auf der Oberfläche der Dinge sich darstellenden Verhältnisse zwischen Wesen und Wesen allein ihre Sache, und sind es nur mittelst des Apparats des Intellekts, nämlich seiner Formen, Raum, Zeit, Kausalität. Eben weil die Welt ohne Hülfe der Erkenntniß sich gemacht hat, geht ihr ganzes Wesen nicht in die Erkenntniß ein, sondern diese setzt das Daseyn der Welt schon voraus; weshalb der Ursprung desselben nicht in ihrem Bereiche liegt. Sie ist demnach beschränkt auf die Verhältnisse zwischen dem Vorhandenen, und damit für den individuellen Willen, zu dessen Dienst allein sie entstand, ausreichend. Denn der Intellekt ist, wie gezeigt worden, durch die Natur bedingt, liegt in ihr, gehört zu ihr, und kann daher nicht sich ihr als ein ganz Fremdes gegenüberstellen, um so ihr ganzes Wesen schlechthin objektiv und von Grund aus in sich aufzunehmen. Er kann, wenn das Glück gut ist, Alles in der Natur verstehn, aber nicht die Natur selbst, wenigstens nicht unmittelbar.

So entmuthigend für die Metaphysik diese aus der Beschaffenheit und dem Ursprung des Intellekts hervorgehende wesentliche Beschränkung desselben auch seyn mag; so hat eben diese doch auch eine andere, sehr tröstliche Seite. Sie benimmt nämlich den unmittelbaren Aussagen der Natur ihre unbedingte Gültigkeit, in deren Behauptung der eigentliche Naturalismus besteht. Wenn daher auch die Natur uns jedes Lebende als aus dem Nichts hervorgehend und, nach einem ephemeren Daseyn, auf immer dahin zurückkehrend darstellt, und sie sich daran zu vergnügen scheint, unaufhörlich von Neuem hervorzubringen, um unaufhörlich zerstören zu können, hingegen nichts Bestehendes zu Tage zu fördern vermag; wenn wir demnach als das einzige Bleibende die Materie anerkennen müssen, welche, unentstanden und unvergänglich, Alles aus ihrem Schooße gebiert, weshalb ihr Name aus mater rerum entstanden scheint, und neben ihr, als den Vater der Dinge, die Form, welche, eben so flüchtig, wie jene beharrlich, eigentlich jeden Augenblick wechselt und sich nur erhalten kann, so lange sie sich der Materie parasitisch anklammert (bald diesem, bald jenem Theil derselben), aber wenn sie diesen Anhall ein Mal ganz verliert, untergeht, wie die Paläotherien und Ichthyosauren bezeugen; so müssen wir dies zwar als die unmittelbare und unverfälschte Aussage der Natur anerkennen; aber, wegen des oben auseinandergesetzten Ursprungs und daraus sich ergebender Beschaffenheit des Intellekts, können wir dieser Aussage keine unbedingte Wahrheit zugestehn, vielmehr nur eine durchweg bedingte, welche Kant treffend als eine solche bezeichnet hat, indem er sie die Erscheinung im Gegensatz des Dinges an sich nannte. –

Wenn es, trotz dieser wesentlichen Beschränkung des Intellekts, möglich wird, auf einem Umwege, nämlich mittelst der weit verfolgten Reflexion und durch künstliche Verknüpfung der nach außen gerichteten, objektiven Erkenntniß mit den Datis des Selbstbewußtseyns, zu einem gewissen Verständniß der Welt und des Wesens der Dinge zu gelangen; so wird dieses doch nur ein sehr limitirtes, ganz mittelbares und relatives, nämlich eine parabolische Uebersetzung in die Formen der Erkenntniß, also ein quadam prodire tenus seyn, welches stets noch viele Probleme ungelöst übrig lassen muß. – Hingegen war der Grundfehler des alten, durch Kant zerstörten Dogmatismus, in allen seinen Formen, dieser, daß er schlechthin von der Erkenntniß, d.i. der Welt als Vorstellung, ausgieng, um aus deren Gesetzen das Seiende überhaupt abzuleiten und aufzubauen, wobei er jene Welt der Vorstellung, nebst ihren Gesetzen, als etwas schlechthin Vorhandenes und absolut Reales nahm; während das ganze Daseyn derselben von Grund aus relativ und ein bloßes Resultat oder Phänomen des ihr zum Grunde liegenden Wesens an sich ist, – oder, mit andern Worten, daß er eine Ontologie konstruirte, wo er bloß zu einer Dianoiologie Stoff hatte. Kant deckte das subjektiv Bedingte und deshalb schlechterdings Immanente, d.h. zum transscendenten Gebrauch Untaugliche, der Erkenntniß, aus der eigenen Gesetzmäßigkeit dieser selbst, auf: weshalb er seine Lehre sehr treffend Kritik der Vernunft nannte. Er führte dies theils dadurch aus, daß er den beträchtlichen und durchgängigen apriorischen Theil aller Erkenntniß nachwies, welcher, als durchaus subjektiv, alle Objektivität verkümmert; theils dadurch, daß er angeblich darthat, daß die Grundsätze der als rein objektiv genommenen Erkenntniß, wenn bis ans Ende verfolgt, auf Widersprüche leiteten. Nur aber hatte er voreilig angenommen, daß außer der objektiven Erkenntniß, d.h. außer der Welt als Vorstellung, uns nichts gegeben sei, als etwan noch das Gewissen, aus welchem er das Wenige, was noch von Metaphysik übrig blieb, konstruirte, nämlich die Moraltheologie, welcher er jedoch auch schlechterdings nur praktische, durchaus nicht theoretische Gültigkeit zugestand. – Er hatte übersehn, daß, wenn gleich allerdings die objektive Erkenntniß, oder die Welt als Vorstellung, nichts, als Erscheinungen, nebst deren phänomenalen Zusammenhang und Regressus liefert; dennoch unser selbsteigenes Wesen nothwendig auch der Welt der Dinge an sich angehört, indem es in dieser wurzeln muß: hieraus aber müssen, wenn auch die Wurzel nicht gerade zu Tage gezogen werden kann, doch einige Data zu erfassen seyn, zur Aufklärung des Zusammenhangs der Welt der Erscheinungen mit dem Wesen an sich der Dinge. Hier also liegt der Weg, auf welchem ich über Kant und die von ihm gezogene Gränze hinausgegangen bin, jedoch stets auf dem Boden der Reflexion, mithin der Redlichkeit, mich haltend, daher ohne das windbeutelnde Vorgeben intellektualer Anschauung, oder absoluten Denkens, welches die Periode der Pseudophilosophie zwischen Kant und mir charakterisirt. Kant gieng, bei seiner Nachweisung des Unzulänglichen der vernünftigen Erkenntniß zur Ergründung des Wesens der Welt, von der Erkenntniß, als einer Thatsache, die unser Bewußtseyn liefert, aus, verfuhr also, in diesem Sinne, a posteriori. Ich aber habe in diesem Kapitel, wie auch in der Schrift »Ueber den Willen in der Natur«, nachzuweisen gesucht, was die Erkenntniß ihrem Wesen und Ursprung nach sei, nämlich ein Sekundäres, zu individuellen Zwecken Bestimmtes: woraus folgt, daß sie zur Ergründung des Wesens der Welt unzulänglich seyn muß; bin also, insofern, zum selben Ziel a priori gelangt. Man erkennt aber nichts ganz und vollkommen, als bis man darum herumgekommen und nun von der andern Seite zum Ausgangspunkt zurückgelangt ist. Daher muß man, auch bei der hier in Betracht genommenen, wichtigen Grunderkenntniß, nicht bloß, wie Kant gethan, vom Intellekt zur Erkenntniß der Welt gehn, sondern auch, wie ich hier unternommen habe, von der als vorhanden genommenen Welt zum Intellekt. Dann wird diese, im weitem Sinn, physiologische Betrachtung die Ergänzung jener ideologischen, wie die Franzosen sagen, richtiger transscendentalen.

Im Obigen habe ich, um den Faden der Darstellung nicht zu unterbrechen, die Erörterung eines Punktes, den ich berührte, hinausgeschoben: es war dieser, daß in dem Maaße als, in der aufsteigenden Thierreihe, der Intellekt sich immer mehr entwickelt und vollkommener auftritt, das Erkennen sich immer deutlicher vom Wollen sondert und dadurch reiner wird. Das Wesentliche hierüber findet man in meiner Schrift »Ueber den Willen in der Natur«, unter der Rubrik »Pflanzenphysiologie« (S. 68-72 der zweiten Auflage), wohin ich, um mich nicht zu wiederholen, verweise und hier bloß einige Bemerkungen daran knüpfe. Indem die Pflanze weder Irritabilität noch Sensibilität besitzt, sondern in ihr der Wille sich allein als Plasticität oder Reproduktionskraft objektivirt; so hat sie weder Muskel noch Nerv. Auf der niedrigsten Stufe des Thierreichs, in den Zoophyten, namentlich den Polypen, können wir die Sonderung dieser beiden Bestandtheile noch nicht deutlich erkennen, setzen jedoch ihr Vorhandenseyn, wenn gleich in einem Zustande der Verschmelzung, voraus; weil wir Bewegungen wahrnehmen, die nicht, gleich denen der Pflanze, auf bloße Reize, sondern auf Motive, d.h. in Folge einer gewissen Wahrnehmung, vor sich gehn; daher eben wir diese Wesen als Thiere ansprechen. In dem Maaße nun, als, in der aufsteigenden Thierreihe, das Nerven- und das Muskelsystem sich immer deutlicher von einander sondern, bis das erstere, in den Wirbelthieren und am vollkommensten im Menschen, sich in ein organisches und ein cerebrales Nervensystem scheidet und dieses wieder sich zu dem überaus zusammengesetzten Apparat von großem und kleinem Gehirn, verlängertem und Rücken-Mark, Cerebral-und Spinal-Nerven, sensibeln und motorischen Nervenbündeln steigert, davon allein das große Gehirn, nebst den ihm anhängenden sensibeln Nerven und den hintern Spinalnervenbündeln zur Aufnahme der Motive aus der Außenwelt, alle übrigen Theile hingegen nur zur Transmission derselben an die Muskeln, in denen der Wille sich direkt äußert, bestimmt sind; in dem selben Maaße sondert sich im Bewußtseyn immer deutlicher das Motiv von dem Willensakt, den es hervorruft, also die Vorstellung vom Willen: dadurch nun nimmt die Objektivität des Bewußtseyns beständig zu, indem die Vorstellungen sich immer deutlicher und reiner darin darstellen. Beide Sonderungen sind aber eigentlich nur eine und die selbe, die wir hier von zwei Seiten betrachtet haben, nämlich von der objektiven und von der subjektiven, oder erst im Bewußtseyn anderer Dinge, und dann im Selbstbewußtseyn. Auf dem Grade dieser Sonderung beruht, im tiefsten Grunde, der Unterschied und die Stufenfolge der intellektuellen Fähigkeiten, sowohl zwischen verschiedenen Thierarten, als auch zwischen menschlichen Individuen: er giebt also das Maaß für die intellektuelle Vollkommenheit dieser Wesen. Denn die Klarheit des Bewußtseins der Außenwelt, die Objektivität der Anschauung, hängt von ihm ab. In der oben angeführten Stelle habe ich gezeigt, daß das Thier die Dinge nur so weit wahrnimmt, als sie Motive für seinen Willen sind, und daß selbst die intelligentesten Thiere diese Gränze kaum überschreiten; weil ihr Intellekt noch zu fest am Willen haftet, aus dem er entsprossen ist. Hingegen faßt selbst der stumpfeste Mensch die Dinge schon einigermaaßen objektiv auf, indem er in ihnen nicht bloß erkennt, was sie in Bezug auf ihn, sondern auch Einiges von Dem, was sie in Bezug auf sich selbst und auf andere Dinge sind. Jedoch bei den Wenigsten erreicht dies den Grad, daß sie im Stande wären, irgend eine Sache rein objektiv zu prüfen und zu beurtheilen: sondern »das muß ich thun, das muß ich sagen, das muß ich glauben« ist das Ziel, welchem, bei jedem Anlaß, ihr Denken in gerader Linie zueilt und woselbst ihr Verstand alsbald die willkommene Rast findet. Denn dem schwachen Kopf ist das Denken so unerträglich, wie dem schwachen Arm das Heben einer Last: daher Beide eilen niederzusetzen. Die Objektivität der Erkenntniß, und zunächst der anschauenden, hat unzählige Grade, die auf der Energie des Intellekts und seiner Sonderung vom Willen beruhen und deren höchster das Genie ist, als in welchem die Auffassung der Außenwelt so rein und objektiv wird, daß ihm in den einzelnen Dingen sogar mehr als diese selbst, nämlich das Wesen ihrer ganzen Gattung, d.i. die Platonische Idee derselben, sich unmittelbar aufschließt; welches dadurch bedingt ist, daß hiebei der Wille gänzlich aus dem Bewußtseyn schwindet. Hier ist der Punkt, wo sich die gegenwärtige, von physiologischen Grundlagen ausgehende Betrachtung an den Gegenstand unsers dritten Buches, also an die Metaphysik des Schönen anknüpft, woselbst die eigentlich ästhetische Auffassung, die im höhern Grade nur dem Genie eigenthümlich ist, als der Zustand des reinen, d.h. völlig willenlosen und eben dadurch vollkommen objektiven Erkennens ausführlich betrachtet wird. Dem Gesagten zufolge ist die Steigerung der Intelligenz, vom dumpfesten thierischen Bewußtseyn bis zu dem des Menschen, eine fortschreitende Ablösung des Intellekts vom Willen, welche vollkommen, wiewohl nur ausnahmsweise, im Genie eintritt: daher kann man dieses als den höchsten Grad der Objektivität des Erkennens definiren. Die so selten vorhandene Bedingung zu demselben ist ein entschieden größeres Maaß von Intelligenz, als zum Dienste des ihre Grundlage ausmachenden Willens erfordert ist: dieser demnach frei werdende Ueberschuß ist es erst, der recht eigentlich die Welt gewahr wird, d.h. sie vollkommen objektiv auffaßt und nun danach bildet, dichtet, denkt.

Kapitel 23. Ueber die Objektivation des Willens in der erkenntnißlosen Natur

Daß der Wille, welchen wir in unserm Innern finden, nicht, wie die bisherige Philosophie annahm, allererst aus der Erkenntniß hervorgeht, ja, eine bloße Modifikation dieser, also ein Sekundäres, Abgeleitetes und, wie die Erkenntniß selbst, durch das Gehirn Bedingtes sei; sondern daß er das Prius derselben, der Kern unsers Wesens und jener Urkraft selbst sei, welche den thierischen Leib schafft und erhält, indem sie die unbewußten, so gut wie die bewußten Funktionen desselben vollzieht; – dies ist der erste Schritt in der Grunderkenntniß meiner Metaphysik. So paradox es auch jetzt noch Vielen erscheint, daß der Wille an sich selbst ein Erkenntnißloses sei; so haben doch schon sogar die Scholastiker es irgendwie erkannt und eingesehn; da der in ihrer Philosophie durchaus bewanderte Jul. Cäs. Vaninus (jenes bekannte Opfer des Fanatismus und der Pfaffenwuth), in seinem Amphitheatro, p. 181, sagt: Voluntas potentia coeca est, ex scholasticorum opinione. – Daß nun ferner jener selbe Wille es sei, welcher auch in der Pflanze die Gemme ansetzt, um Blatt oder Blume aus ihr zu entwickeln, ja, daß die regelmäßige Form des Krystalls nur die zurückgelassene Spur seines momentanen Strebens sei, daß er überhaupt, als das wahre und einzige automaton, im eigentlichen Sinne des Worts, auch allen Kräften der unorganischen Natur zum Grunde liege, in allen ihren mannigfaltigen Erscheinungen spiele, wirke, ihren Gesetzen die Macht verleihe, und selbst in der rohesten Masse sich noch als Schwere zu erkennen gebe; – diese Einsicht ist der zweite Schritt in jener Grunderkenntniß, und schon durch eine fernere Reflexion vermittelt. Das gröbste aller Mißverständnisse aber wäre es, zu meinen, daß es sich hiebei nur um ein Wort handle, eine unbekannte Größe damit zu bezeichnen: vielmehr ist es die realste aller Realerkenntnisse, welche hier zur Sprache gebracht wird. Denn es ist die Zurückführung jenes unserer unmittelbaren Erkenntniß ganz Unzugänglichen, daher uns im Wesentlichen Fremden und Unbekannten, welches wir mit dem Worte Naturkraft bezeichnen, auf das uns am genauesten und intimsten Bekannte, welches jedoch nur in unserm eigenen Wesen uns unmittelbar zugänglich ist; daher es von diesem aus auf die andern Erscheinungen übertragen werden muß. Es ist die Einsicht, daß das Innere und Ursprüngliche in allen, wenn gleich noch so verschiedenartigen Veränderungen und Bewegungen der Körper, dem Wesen nach, identisch ist; daß wir jedoch nur eine Gelegenheit haben, es näher und unmittelbar kennen zu lernen, nämlich in den Bewegungen unsers eigenen Leibes; in Folge welcher Erkenntniß wir es Wille nennen müssen. Es ist die Einsicht, daß was in der Natur wirkt und treibt und in immer vollkommeneren Erscheinungen sich darstellt, nachdem es sich so hoch emporgearbeitet hat, daß das Licht der Erkenntniß unmittelbar darauf fällt, – d.h. nachdem es bis zum Zustande des Selbstbewußtseyns gelangt ist, – nunmehr dasteht als jener Wille, der das uns am genauesten Bekannte und deshalb durch nichts Anderes ferner zu Erklärende ist, welches vielmehr zu allem Andern die Erklärung giebt. Er ist demnach das Ding an sich, so weit dieses von der Erkenntniß irgend erreicht werden kann. Folglich ist er Das, was in jedem Dinge auf der Welt, in irgend einer Weise, sich äußern muß: denn er ist das Wesen der Welt und der Kern aller Erscheinungen.

Da meine Abhandlung »Ueber den Willen in der Natur« dem Gegenstande dieses Kapitels ganz eigentlich gewidmet ist und auch die Zeugnisse unbefangener Empiriker für diesen Hauptpunkt meiner Lehre beibringt; so habe ich hier nur noch einige Ergänzungen zu dem dort Gesagten hinzuzufügen, welche daher etwas fragmentarisch sich an einander reihen.

Zuvörderst also, in Hinsicht auf das Pflanzenleben, mache ich auf die merkwürdigen zwei ersten Kapitel der Abhandlung des Aristoteles über die Pflanzen aufmerksam. Das Interessanteste darin sind, wie so oft im Aristoteles, die von ihm angeführten Meinungen der früheren, tiefsinnigeren Philosophen. Da sehn wir, daß Anaxagoras und Empedokles ganz richtig gelehrt haben, die Pflanzen hätten die Bewegung ihres Wachsthums vermöge der ihnen einwohnenden Begierde(epithymia); ja, daß sie ihnen auch Freude und Schmerz, mithin Empfindung, beilegten; Plato aber die Begierde allein ihnen zuerkannte, und zwar wegen ihres starken Nahrungstriebes (vergl. Plato im Timäos, S. 403, Bip.). Aristoteles hingegen, seiner gewöhnlichen Methode getreu, gleitet auf der Oberfläche der Dinge hin, hält sich an vereinzelte Merkmale und durch gangbare Ausdrücke fixirte Begriffe, behauptet, daß ohne Empfindung keine Begierde seyn könne, jene aber hätten doch die Pflanzen nicht, ist indessen, wie sein konfuses Gerede bezeugt, in bedeutender Verlegenheit, bis denn auch hier, »wo die Begriffe fehlen, ein Wort zur rechten Zeit sich einstellt«, nämlich to threptikon, das Ernährungsvermögen: dies hätten die Pflanzen, also einen Theil der sogenannten Seele, nach seiner beliebten Eintheilung in anima vegetativa, sensitiva, et intellectiva. Das ist aber eben eine scholastische Quidditas und besagt: plantae nutriuntur, quia habent facultatem nutritivam; ist mithin ein schlechter Ersatz für die tiefere Forschung seiner von ihm kritisirten Vorgänger. Auch sehn wir, im zweiten Kapitel, daß Empedokles sogar die Sexualität der Pflanzen erkannt hatte; welches Aristoteles denn ebenfalls bekrittelt, und seinen Mangel an eigentlicher Sachkenntniß hinter allgemeine Principien verbirgt, wie dieses, daß die Pflanzen nicht beide Geschlechter im Verein haben könnten, da sie sonst vollkommener, als die Thiere seyn würden. – Durch ein ganz analoges Verfahren hat er das richtige astronomische Weltsystem der Pythagoreer verdrängt und durch seine absurden Grundprincipien, die er besonders in den Büchern de coelo darlegt, das System des Ptolemäos veranlaßt, wodurch die Menschheit einer bereits gefundenen Wahrheit, von höchster Wichtigkeit, wieder auf fast 2000 Jahre verlustig ward.

Aber den Ausspruch eines vortrefflichen Biologen unserer Zeit, der genau mit meiner Lehre übereinstimmt, kann ich mich nicht entbrechen herzusetzen. G. R. Treviranus ist es, der in seinem Werke »Ueber die Erscheinungen und Gesetze des organischen Lebens«, 1832, Bd. 2, Abth. 1, S. 49, Folgendes sagt: »Es läßt sich aber eine Form des Lebens denken, wobei die Wirkung des Aeußeren auf das Innere bloße Gefühle von Lust und Unlust, und in deren Folge Begehrungen veranlaßt. Eine solche ist das Pflanzenleben. In den höheren Formen des thierischen Lebens wird das Aeußere als etwas Objektives empfunden.« Treviranus spricht hier aus reiner und unbefangener Naturauffassung, und ist sich der metaphysischen Wichtigkeit seines Ausspruchs so wenig bewußt, wie der contradictio in adjecto, die im Begriff eines »als Objektives Empfundenen« liegt, welches er sogar noch weitläuftig ausführt. Er weiß nicht, daß alle Empfindung wesentlich subjektiv, alles Objektive aber Anschauung, mithin Produkt des Verstandes ist. Dies thut jedoch dem Wahren und Wichtigen seines Ausspruchs keinen Abbruch.

In der That ist die Wahrheit, daß Wille auch ohne Erkenntniß bestehn könne, am Pflanzenleben augenscheinlich, man möchte sagen handgreiflich erkennbar. Denn hier sehn wir ein entschiedenes Streben, durch Bedürfnisse bestimmt, mannigfaltig modificirt und der Verschiedenheit der Umstände sich anpassend, – dennoch offenbar ohne Erkenntniß. – Und eben weil die Pflanze erkenntnißlos ist, trägt sie ihre Geschlechtstheile prunkend zur Schau, in gänzlicher Unschuld: sie weiß nichts davon. Sobald hingegen, in der Wesenreihe, die Erkenntniß eintritt, verlegen die Geschlechtstheile sich an eine verborgene Stelle. Der Mensch aber, bei welchem dies wieder weniger der Fall ist, verhüllt sich absichtlich: er schämt sich ihrer. –

Zunächst nun also ist die Lebenskraft identisch mit dem Willen: allein auch alle andern Naturkräfte sind es; obgleich dies weniger augenfällig ist. Wenn wir daher die Anerkennung einer Begierde, d.h. eines Willens, als Basis des Pflanzenlebens, zu allen Zeiten, mit mehr oder weniger Deutlichkeit des Begriffs, ausgesprochen finden; so ist hingegen die Zurückführung der Kräfte der unorganischen Natur auf die selbe Grundlage in dem Maaße seltener, als die Entfernung dieser von unserm eigenen Wesen größer ist. – In der That ist die Gränze zwischen dem Organischen und dem Unorganischen die am schärfsten gezogene in der ganzen Natur und vielleicht die einzige, welche keine Uebergänge zuläßt; so daß das natura non facit saltus hier eine Ausnahme zu erleiden scheint. Wenn auch manche Krystallisationen eine der vegetabilischen ähnelnde äußere Gestalt zeigen; so bleibt doch selbst zwischen der geringsten Flechte, dem niedrigsten Schimmel, und allem Unorganischen ein grundwesentlicher Unterschied. Im unorganischen Körper ist das Wesentliche und Bleibende, also Das, worauf seine Identität und Integrität beruht, der Stoff, die Materie; das Unwesentliche und Wandelbare hingegen ist die Form. Beim organischen Körper verhält es sich gerade umgekehrt: denn eben im beständigen Wechsel des Stoffs, unter dem Beharren der Form, besteht sein Leben, d.h. sein Daseyn als eines Organischen. Sein Wesen und seine Identität liegt also allein in der Form. Daher hat der unorganische Körper seinen Bestand durch Ruhe und Abgeschlossenheit von äußern Einflüssen: hiebei allein erhält sich sein Daseyn, und, wenn dieser Zustand vollkommen ist, ist ein solcher Körper von endloser Dauer. Der organische hingegen hat seinen Bestand gerade durch die fortwährende Bewegung und stetes Empfangen äußerer Einflüsse: sobald diese wegfallen und die Bewegung in ihm stockt, ist er todt und hört damit auf organisch zu seyn, wenn auch die Spur des dagewesenen Organismus noch eine Weile beharrt. – Demnach ist auch das in unsern Tagen so beliebte Gerede vom Leben des Unorganischen, ja sogar des Erdkörpers, und daß dieser, wie auch das Planetensystem, ein Organismus sei, durchaus unstatthaft. Nur dem Organischen gebührt das Prädikat Leben. Jeder Organismus aber ist durch und durch organisch, ist es in allen seinen Theilen und nirgend sind diese, selbst nicht in ihren kleinsten Partikeln, aus Unorganischem aggregativ zusammengesetzt. Wäre also die Erde ein Organismus; so müßten alle Berge und Felsen und das ganze Innere ihrer Masse organisch seyn und demnach eigentlich gar nichts Unorganisches existiren, mithin der ganze Begriff desselben wegfallen.

Hingegen daß die Erscheinung eines Willens so wenig an das Leben und die Organisation, als an die Erkenntniß gebunden sei, mithin auch das Unorganische einen Willen habe, dessen Aeußerungen alle seine nicht weiter erklärlichen Grundeigenschaften sind, dies ist ein wesentlicher Punkt meiner Lehre; wenn gleich die Spur eines solchen Gedankens bei den mir vorhergegangenen Schriftstellern viel seltener zu finden ist, als die vom Willen in den Pflanzen, wo er doch auch schon erkenntnißlos ist.

Im Anschießen des Krystalls sehn wir gleichsam noch einen Ansatz, einen Versuch zum Leben, zu welchem es jedoch nicht kommt, weil die Flüssigkeit, aus der er, gleich einem Lebendigen, im Augenblick jener Bewegung besteht, nicht, wie stets bei diesem, in einer Haut eingeschlossen ist, und er demnach weder Gefäße hat, in denen jene Bewegung sich fortsetzen könnte, noch irgend etwas ihn von der Außenwelt absondert. Daher ergreift die Erstarrung alsbald jene augenblickliche Bewegung, von der nur die Spur als Krystall bleibt. –

Auch den »Wahlverwandtschaften« von Goethe liegt, wie schon der Titel andeutet, wenn gleich ihm unbewußt, der Gedanke zum Grunde, daß der Wille, der die Basis unsers eigenen Wesens ausmacht, der selbe ist, welcher sich schon in den niedrigsten, unorganischen Erscheinungen kund giebt, weshalb die Gesetzmäßigkeit beider Erscheinungen vollkommene Analogie zeigt.

Die Mechanik und Astronomie zeigen uns eigentlich, wie dieser Wille sich benimmt, so weit als er, auf der niedrigsten Stufe seiner Erscheinung, bloß als Schwere, Starrheit und Trägheit auftritt. Die Hydraulik zeigt uns das Selbe da, wo die Starrheit wegfällt, und nun der flüssige Stoff seiner vorherrschenden Leidenschaft, der Schwere, ungezügelt hingegeben ist. Die Hydraulik kann, in diesem Sinne, als eine Charakterschilderung des Wassers aufgefaßt werden, indem sie uns die Willensäußerungen angiebt, zu welchen dasselbe durch die Schwere bewogen wird: diese sind, da bei allen nichtindividuellen Wesen kein partikularer Charakter neben dem generellen besteht, den äußern Einflüssen stets genau angemessen, lassen sich also, durch Erfahrung dem Wasser abgemerkt, leicht auf feste Grundzüge, die man Gesetze nennt, zurückführen, welche genau angeben, wie das Wasser, vermöge seiner Schwere, bei unbedingter Verschiebbarkeit seiner Theile und Mangel der Elasticität, unter allen verschiedenen Umständen sich benehmen wird. Wie es durch die Schwere zur Ruhe gebracht wird, lehrt die Hydrostatik, wie zur Bewegung, die Hydrodynamik, die hiebei durch Hindernisse, welche die Adhäsion dem Willen des Wassers entgegensetzt, zu berücksichtigen hat: Beide zusammen machen die Hydraulik aus. – Eben so lehrt uns die Chemie, wie sich der Wille benimmt, wann die inneren Qualitäten der Stoffe, durch den herbeigeführten Zustand der Flüssigkeit, freies Spiel erhalten, und nun jenes wunderbare Suchen und Fliehen, sich Trennen und Vereinen, Fahrenlassen des Einen, um das Andere zu ergreifen, wovon jeder Niederschlag zeugt, auftritt, welches Alles man als Wahl verwandtschaft (einen ganz dem bewußten Willen entlehnten Ausdruck) bezeichnet. – Aber die Anatomie und Physiologie läßt uns sehn, wie sich der Wille benimmt, um das Phänomen des Lebens zu Stande zu bringen und eine Weile zu unterhalten. – Der Poet endlich zeigt uns, wie sich der Wille unter dem Einfluß der Motive und der Reflexion benimmt. Er stellt ihn daher meistens in der vollkommensten seiner Erscheinungen dar, in vernünftigen Wesen, deren Charakter individuell ist, und deren Handeln und Leiden gegen einander er uns als Drama, Epos, Roman u.s.w. vorführt. Je regelrechter, je streng naturgesetzmäßiger die Darstellung seiner Charaktere dabei ausfällt, desto größer ist sein Ruhm; daher steht Shakespeare obenan. – Der hier gefaßte Gesichtspunkt entspricht im Grunde dem Geist, in welchem Goethe die Naturwissenschaften trieb und liebte; wiewohl er sich der Sache nicht in abstracto bewußt war. Mehr noch, als dies aus seinen Schriften hervorgeht, ist es mir aus seinen persönlichen Aeußerungen bewußt.

Wenn wir den Willen da, wo ihn Niemand leugnet, also in den erkennenden Wesen, betrachten; so finden wir überall, als seine Grundbestrebung, die Selbsterhaltung eines jeden Wesens: omnis natura vult esse conservatrix sui. Alle Aeußerungen dieser Grundbestrebung aber lassen sich stets zurückführen auf ein Suchen, oder Verfolgen, und ein Meiden, oder Fliehen, je nach dem Anlaß. Nun läßt eben Dieses sich noch nachweisen sogar auf der allerniedrigsten Stufe der Natur, also der Objektivation des Willens, d a nämlich, wo die Körper nur noch als Körper überhaupt wirken, also Gegenstände der Mechanik sind, und bloß nach den Aeußerungen der Undurchdringlichkeit, Kohäsion, Starrheit, Elasticität und Schwere in Betracht kommen. Auch hier noch zeigt sich das Suchen als Gravitation, das Fliehen aber als Empfangen von Bewegung, und die Beweglichkeit der Körper durch Druck oder Stoß, welche die Basis der Mechanik ausmacht, ist im Grunde eine Aeußerung des auch ihnen einwohnenden Strebens nach Selbsterhaltung. Dieselbe nämlich ist, da sie als Körper undurchdringlich sind, das einzige Mittel, ihre Kohäsion, also ihren jedesmaligen Bestand, zu retten. Der gestoßene oder gedrückte Körper würde von dem stoßenden oder drückenden zermalmt werden, wenn er nicht, um seine Kohäsion zu retten, der Gewalt desselben sich durch die Flucht entzöge, und wo diese ihm benommen ist, geschieht es wirklich. Ja, man kann die elastischen Körper als die muthigeren betrachten, welche den Feind zurückzutreiben suchen, oder wenigstens ihm die weitere Verfolgung benehmen. So sehn wir denn in dem einzigen Geheimniß, welches (neben der Schwere) die so klare Mechanik übrig läßt, nämlich in der Mittheilbarkeit der Bewegung, eine Aeußerung der Grundbestrebung des Willens in allen seinen Erscheinungen, also des Triebes zur Selbsterhaltung, der als das Wesentliche sich auch noch auf der untersten Stufe erkennen läßt.

In der unorganischen Natur objektivirt der Wille sich zunächst in den allgemeinen Kräften, und erst mittelst dieser in den durch Ursachen hervorgerufenen Phänomenen der einzelnen Dinge. Das Verhältniß zwischen Ursache, Naturkraft und Willen als Ding an sich habe ich § 26 des ersten Bandes hinlänglich auseinandergesetzt. Man sieht daraus, daß die Metaphysik den Gang der Physik nie unterbricht, sondern nur den Faden da aufnimmt, wo diese ihn liegen läßt, nämlich bei den ursprünglichen Kräften, an welchen alle Kausalerklärung ihre Gränze hat. Hier erst hebt die metaphysische Erklärung aus dem Willen als Dinge an sich an. Bei jedem physischen Phänomen, jeder Veränderung materieller Dinge, ist zunächst ihre Ursache nachzuweisen, die eine eben solche einzelne, dicht zuvor eingetretene Veränderung ist; dann aber die ursprüngliche Naturkraft, vermöge welcher diese Ursache zu wirken fähig war; und allererst als das Wesen an sich dieser Kraft, im Gegensatz ihrer Erscheinung, ist der Wille zu erkennen. Dennoch giebt dieser sich eben so unmittelbar im Fallen eines Steines kund, wie im Thun des Menschen: der Unterschied ist nur, daß seine einzelne Aeußerung hier durch ein Motiv, dort durch eine mechanisch wirkende Ursache, z.B. die Wegnahme seiner Stütze, hervorgerufen wird, jedoch in beiden Fällen mit gleicher Nothwendigkeit, und daß sie dort auf einem individuellen Charakter, hier auf einer allgemeinen Naturkraft beruht. Diese Identität des Grundwesentlichen wird sogar sinnenfällig, wenn wir etwan einen aus dem Gleichgewicht gebrachten Körper, der vermöge seiner besondern Gestalt lange hin und her rollt, bis er den Schwerpunkt wiederfindet, aufmerksam betrachten, wo dann ein gewisser Anschein des Lebens sich uns aufdringt und wir unmittelbar fühlen, daß etwas der Grundlage des Lebens Analoges auch hier wirksam ist. Dieses ist freilich die allgemeine Naturkraft, welche aber, an sich mit dem Willen identisch, hier gleichsam die Seele eines sehr kurzen Quasi-Lebens wird. Also giebt das in den beiden Extremen der Erscheinung des Willens Identische sich hier sogar der unmittelbaren Anschauung noch leise kund, indem diese ein Gefühl in uns erregt, daß auch hier ein ganz Ursprüngliches, wie wir es nur aus den Akten unsers eigenen Willens kennen, unmittelbar zur Erscheinung gelangt.

Auf eine ganz andere und großartige Weise kann man zu einer intuitiven Erkenntniß vom Daseyn und Wirken des Willens in der unorganischen Natur gelangen, wenn man sich in das Problem der drei Körper hineinstudirt und also den Lauf des Mondes um die Erde etwas genauer und specieller kennen lernt. Durch die verschiedenen Kombinationen, welche der beständige Wechsel der Stellung dieser drei Weltkörper gegen einander herbeiführt, wird der Gang des Mondes bald beschleunigt, bald verlangsamt, und tritt er der Erde bald näher, bald ferner: dieses nun aber wieder anders im Perihelio, als im Aphelio der Erde; welches Alles zusammen in seinen Lauf eine solche Unregelmäßigkeit bringt, daß derselbe ein wirklich kapriciöses Ansehn erhält, indem sogar das zweite Keplerische Gesetz nicht mehr unwandelbar gültig bleibt, sondern er in gleichen Zeiten ungleiche Flächen umschreibt. Die Betrachtung dieses Laufes ist ein kleines und abgeschlossenes Kapitel der himmlischen Mechanik, welche von der irdischen sich durch die Abwesenheit alles Stoßes und Druckes, also der uns so faßlich scheinenden vis a tergo, und sogar des wirklich vollbrachten Falles, auf erhabene Weise unterscheidet, indem sie neben der vis inertiae keine andere bewegende und lenkende Kraft kennt, als bloß die Gravitation, diese aus dem eigenen Innern der Körper hervortretende Sehnsucht derselben nach Vereinigung. Wenn man nun, an diesem gegebenen Fall, sich ihr Wirken bis ins Einzelne veranschaulicht; so erkennt man deutlich und unmittelbar in der hier bewegenden Kraft eben Das, was im Selbstbewußtseyn uns als Wille gegeben ist. Denn die Aenderungen im Laufe der Erde und des Mondes, je nachdem eines derselben, durch seine Stellung, dem Einfluß der Sonne bald mehr, bald weniger ausgesetzt ist, haben augenfällige Analogie mit dem Einfluß neu eintretender Motive auf unsern Willen und mit den Modifikationen unsers Handelns danach.

Ein erläuterndes Beispiel anderer Art ist folgendes. Liebig (Chemie in Anwendung auf Agrikultur, S. 501) sagt: »Bringen wir feuchtes Kupfer in Luft, welche Kohlensäure enthält, so wird durch den Kontakt mit dieser Säure, die Verwandtschaft des Metalls zum Sauerstoff der Luft in dem Grade gesteigert, daß sich Beide mit einander verbinden; seine Oberfläche bedeckt sich mit grünem, kohlensauerm Kupferoxyd. – Nun aber nehmen zwei Körper, welche die Fähigkeit haben, sich zu verbinden, in dem Moment, da sie sich berühren, entgegengesetzte Elektricitätszustände an. Daher wird, wenn wir das Kupfer mit Eisen berühren, durch Erregung eines besondern Elektricitätszustandes, die Fähigkeit des Kupfers, eine Verbindung mit dem Sauerstoff einzugehn, vernichtet: es bleibt auch unter den obigen Bedingungen blank.« – Die Sache ist bekannt und von technischem Nutzen. Ich führe sie an, um zu sagen, daß hier der Wille des Kupfers, durch den elektrischen Gegensatz zum Eisen in Anspruch genommen und beschäftigt, die für seine chemische Verwandtschaft zum Oxygen und Kohlensäure sich darbietende Gelegenheit unbenutzt läßt. Er verhält sich demnach gerade so, wie der Wille in einem Menschen, der eine Handlung, zu der er sonst sich bewogen fühlen würde, unterläßt, um eine andere, zu der ein stärkeres Motiv ihn auffordert, zu vollziehn.

Im ersten Bande habe ich gezeigt, daß die Naturkräfte außerhalb der Kette von Ursachen und Wirkungen liegen, indem sie die durchgängige Bedingung, die metaphysische Grundlage derselben, ausmachen und sich daher als ewig und allgegenwärtig, d.h. von Zeit und Raum unabhängig, bewähren. Sogar in der unbestrittenen Wahrheit, daß das Wesentliche einer Ursache, als solcher, darin bestehe, daß sie die selbe Wirkung, wie jetzt, auch zu jeder künftigen Zeit hervorbringen wird, ist schon enthalten, daß in der Ursache etwas liegt, das vom Laufe der Zeit unabhängig, d.h. außer aller Zeit ist: dies ist die in ihr sich äußernde Naturkraft. Man kann selbst, indem man die Machtlosigkeit der Zeit, den Naturkräften gegenüber, ins Auge faßt, von der bloßen Idealität dieser Form unserer Anschauung gewissermaaßen sich empirisch und faktisch überzeugen. Wenn z.B. ein Planet, durch irgend eine äußere Ursache, in eine rotirende Bewegung versetzt ist; so wird diese, wenn keine neu hinzukommende Ursache sie aufhebt, endlos dauern. Dem könnte nicht so seyn, wenn die Zeit etwas an sich selbst wäre und ein objektives, reales Daseyn hätte: denn da müßte sie auch etwas wirken. Wir sehn also hier einerseits die Naturkräfte, welche in jener Rotation sich äußern und sie, wenn ein Mal angefangen, endlos fortsetzen, ohne selbst zu ermüden, oder zu ersterben, sich als ewig oder zeitlos, mithin als schlechthin real und an sich selbst existirend bewähren; und andererseits die Zeit, als etwas, das nur in der Art und Weise, wie wir jene Erscheinung apprehendiren, besteht, da es auf diese selbst keine Macht und keinen Einfluß ausübt: denn was nicht wirkt, das ist auch nicht.

Wir haben einen natürlichen Hang, jede Naturerscheinung wo möglich mechanisch zu erklären; ohne Zweifel weil die Mechanik die wenigsten ursprünglichen und daher unerklärlichen Kräfte zur Hülfe nimmt, hingegen viel a priori Erkennbares und daher auf den Formen unsers eigenen Intellekts Beruhendes enthält, welches, eben als solches, den höchsten Grad von Verständlichkeit und Klarheit mit sich führt. Indessen hat Kant, in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, die mechanische Wirksamkeit selbst auf eine dynamische zurückgeführt. Hingegen ist die Anwendung mechanischer Erklärungshypothesen, über das nachweisbar Mechanische, wohin z.B. noch die Akustik gehört, hinaus, durchaus unberechtigt, und nimmermehr werde ich glauben, daß jemals auch nur die einfachste chemische Verbindung, oder auch die Verschiedenheit der drei Aggregationszustände sich wird mechanisch erklären lassen, viel weniger die Eigenschaften des Lichts, der Wärme und der Elektricität. Diese werden stets nur eine dynamische Erklärung zulassen, d.h. eine solche, welche die Erscheinung aus ursprünglichen Kräften erklärt, die von denen des Stoßes, Druckes, der Schwere u.s.w. gänzlich verschieden und daher höherer Art, d.h. deutlichere Objektivationen jenes Willens sind, der in allen Dingen zur Sichtbarkeit gelangt. Ich halte dafür, daß das Licht weder eine Emanation, noch eine Vibration ist: beide Ansichten sind der verwandt, welche die Durchsichtigkeit durch Poren erklärt, und deren offenbare Falschheit beweist, daß das Licht keinen mechanischen Gesetzen unterworfen ist. Um hievon die unmittelbarste Ueberzeugung zu erhalten, braucht man nur den Wirkungen eines Sturmwindes zuzusehn, der Alles beugt, umwirft und zerstreut, während dessen aber ein Lichtstrahl, aus einer Wolkenlücke herabschießend, so ganz unerschüttert und mehr als felsenfest dasteht, daß er recht unmittelbar zu erkennen giebt, er gehöre einer andern, als der mechanischen Ordnung der Dinge an: unbeweglich steht er da, wie ein Gespenst. Aber nun gar die von den Franzosen ausgegangenen Konstruktionen des Lichts aus Molekülen und Atomen sind eine empörende Absurdität. Als einen schreienden Ausdruck derselben, wie überhaupt der ganzen Atomistik, kann man einen im Aprilheft der Annales de chimie et physique von 1835 befindlichen Aufsatz über Licht und Wärme, von dem sonst so scharfsinnigen Ampère, betrachten. Da besteht Festes, Flüssiges und Elastisches aus den selben Atomen, und aus deren Aggregation allein entspringen alle Unterschiede: ja, es wird gesagt, daß zwar der Raum ins Unendliche theilbar sei, aber nicht die Materie; weil, wenn die Theilung bis zu den Atomen gelangt sei, die fernere Theilung in die Zwischenräume der Atome fallen müsse! Da sind dann Licht und Wärme Vibrationen der Atome, der Schall hingegen eine Vibration der aus den Atomen zusammengesetzten Molekülen. – In Wahrheit aber sind die Atome eine fixe Idee der französischen Gelehrten; daher diese eben von ihnen reden, als hätten sie sie gesehn. Außerdem müßte man sich wundern, daß eine so empirisch gesinnte Nation, eine solche matter of fact nation, wie die Franzosen, so fest an einer völlig transscendenten, alle Möglichkeit der Erfahrung überfliegenden Hypothese halten und darauf getrost ins weite Blaue hineinbauen kann. Dies ist nun eben eine Folge des zurückgebliebenen Zustandes der von ihnen so sehr vermiedenen Metaphysik welche durch den, bei allem guten Willen, seichten und mit Urtheilskraft sehr dürftig begabten Herrn Cousin schlecht vertreten wird. Sie sind, durch den frühem Einfluß Condillac's, im Grunde noch immer Lockianer. Daher ist ihnen das Ding an sich eigentlich die Materie, aus deren Grundeigenschaften, wie Undurchdringlichkeit, Gestalt, Härte und sonstige primary qualities, Alles in der Welt zuletzt erklärbar seyn muß: das lassen sie sich nicht ausreden, und ihre stillschweigende Voraussetzung ist, daß die Materie nur durch mechanische Kräfte bewegt werden kann. In Deutschland hat Kants Lehre den Absurditäten der Atomistik und der durchweg mechanischen Physik auf die Dauer vorgebeugt; wenn gleich im gegenwärtigen Augenblick diese Ansichten auch hier grassiren; welches eine Folge der durch Hegel herbeigeführten Seichtigkeit, Rohheit und Unwissenheit ist. – Inzwischen ist nicht zu leugnen, daß nicht nur die offenbar poröse Beschaffenheit der Naturkörper, sondern auch zwei specielle Lehren der neuem Physik dem Atomenunwesen scheinbar Vorschub gethan haben: nämlich Hauy's Krystallographie, welche jeden Krystall auf seine Kerngestalt zurückführt, die ein Letztes, aber doch nur relativ Untheilbares ist; sodann Berzelius' Lehre von den chemischen Atomen, welche jedoch bloße Ausdrücke der Verbindungsverhältnisse, also nur arithmetische Größen und im Grunde nicht mehr, als Rechenpfennige sind. – Hingegen Kants, freilich nur zu dialektischem Behuf aufgestellte, die Atome vertheidigende Thesis der zweiten Antinomie, ist, wie ich in der Kritik seiner Philosophie nachgewiesen habe, ein bloßes Sophisma, und keineswegs leitet unser Verstand selbst uns nothwendig auf die Annahme von Atomen hin. Denn so wenig ich genöthigt bin, die, vor meinen Augen vorgehende, langsame, aber stetige und gleichförmige Bewegung eines Körpers mir zu denken als bestehend aus unzähligen, absolut schnellen, aber abgesetzten und durch eben so viele absolut kurze Zeitpunkte der Ruhe unterbrochenen Bewegungen, vielmehr recht wohl weiß, daß der geworfene Stein langsamer fliegt, als die geschossene Kugel, dennoch aber unterwegs keinen Augenblick ruht; eben so wenig bin ich genöthigt, mir die Masse eines Körpers als aus Atomen und deren Zwischenräumen, d.h. dem absolut Dichten und dem absolut Leeren, bestehend zu denken: sondern ich fasse, ohne Schwierigkeit, jene beiden Erscheinungen als stetige Continua auf, deren eines die Zeit, das andere den Raum, gleichmäßig erfüllt. Wie aber dabei dennoch eine Bewegung schneller als die andere seyn, d.h. in gleicher Zeit mehr Raum durchlaufen kann; so kann auch ein Körper specifisch schwerer als der andere seyn, d.h. in gleichem Raume mehr Materie enthalten: der Unterschied beruht nämlich in beiden Fällen auf der Intensität der wirkenden Kraft; da Kant (nach Priestley's Vorgang) ganz richtig die Materie in Kräfte aufgelöst hat. – Aber sogar wenn man die hier aufgestellte Analogie nicht gelten lassen, sondern darauf bestehn wollte, daß die Verschiedenheit des specifischen Gewichts ihren Grund stets nur in der Porosität haben könne; so würde diese Annahme noch immer nicht auf Atome, sondern bloß auf eine völlig dichte und in den verschiedenen Körpern ungleich vertheilte Materie leiten, die daher da, wo keine Poren mehr sie durchsetzten, zwar schlechterdings nicht weiter komprimabel wäre, aber dennoch stets, wie der Raum, den sie füllt, ins Unendliche theilbar bliebe; weil darin, daß sie ohne Poren wäre, gar nicht liegt, daß keine mögliche Kraft die Kontinuität ihrer räumlichen Theile aufzuheben vermöchte. Denn, zu sagen, daß dies überall nur durch Erweiterung bereits vorhandener Zwischenräume möglich sei, ist eine ganz willkürliche Behauptung.

Die Annahme der Atome beruht eben auf den beiden angeregten Phänomenen, nämlich auf der Verschiedenheit des specifischen Gewichts der Körper und auf der ihrer Kompressibilität, als welche beide durch die Annahme der Atome bequem erklärt werden. Dann aber müßten auch beide stets in gleichem Maaße vorhanden seyn; – was keineswegs der Fall ist. Denn z.B. Wasser hat ein viel geringeres specifisches Gewicht, als alle eigentlichen Metalle, müßte also weniger Atome und größere Interstizien derselben haben und folglich sehr kompressibel seyn: allein es ist beinahe ganz inkompressibel.

Die Vertheidigung der Atome ließe sich dadurch führen, daß man von der Porosität ausgienge und etwan sagte: alle Körper haben Poren, also auch alle Theile eines Körpers; gienge es nun hiemit ins Unendliche fort, so würde von einem Körper zuletzt nichts, als Poren übrig bleiben. – Die Widerlegung wäre, daß das übrig Bleibende zwar als ohne Poren und insofern als absolut dicht anzunehmen sei; jedoch darum noch nicht als aus absolut untheilbaren Partikeln, Atomen, bestehend: demnach wäre es wohl absolut inkompressibel, aber nicht absolut untheilbar; man müßte denn die Theilung eines Körpers als allein durch Eindringen in seine Poren möglich behaupten wollen; was aber ganz unerwiesen ist. Nimmt man es jedoch an, so hat man zwar Atome, d.h. absolut untheilbare Körper, also Körper von so starker Kohäsion ihrer räumlichen Theile, daß keine mögliche Gewalt sie trennen kann: solche Körper aber kann man alsdann so gut groß, wie klein annehmen, und ein Atom könnte so groß seyn, wie ein Ochs; wenn es nur jedem möglichen Angriffe widerstände.

Denkt man sich zwei höchst verschiedenartige Körper durch Kompression, wie mittelst Hämmern, oder durch Pulverisation, aller Poren gänzlich entledigt; – würde dann ihr specifisches Gewicht das selbe seyn? – Dies wäre das Kriterium der Dynamik.