36. Kapitel

18. Februar 2010

New Orleans

11.17 Uhr

Gut gelaunt goss Ondragon sich Espresso aus dem italienischen Kocher in die Tasse. Der Fall war gelöst. Ebenso wie das Rätsel um die Zombies. Auch wenn es ihn über holperige Umwege geführt und seine schillernde Patina dabei deutliche Abnutzungsspuren davongetragen hatte, aber die Aufgabe, die Rod ihm gestellt hatte, war zufriedenstellend gelöst. Mit ein wenig Hochglanzpolitur in Form von ein paar Tagen Urlaub im Anschluss sollte er das Ganze gut überstanden haben, zumal er alle Beweise seines unfreiwilligen Drogentrips sorgfältig vernichtet hatte.

Ondragon nahm einen Schluck von dem starken Kaffee. Sie saßen in der Küche der Madame und genossen ein spätes Frühstück. Rod saß neben Green und war gleichfalls bester Dinge. Er lobte die Haushälterin Camille für ihre vorzügliche Kochkunst, während die Madame von ihrem Croissant mit Marmelade abbiss und lächelnd zu ihm, Ondragon, herübersah.

Und bei aller Unbill der vergangenen Tage war das womöglich der erfreulichste Lohn für die Strapazen – ein versöhnlicher Waffenstillstand zwischen zwei so unterschiedlichen Personen wie ihnen beiden. Ondragon war froh, mit der Madame endlich eine Ebene gefunden zu haben, auf der sie gut miteinander zurechtkamen. Zwar war es eine rein professionelle Ebene, aber dadurch nicht weniger prickelnd. Er erwiderte ihr Lächeln, und zum ersten Mal senkte die Madame verlegen den Blick. Warmes Wohlbehagen durchfloss ihn. Vielleicht würden sie eines Tages doch noch ein Pa… Nein! Das würden sie nicht! Es würde alles verderben. Besser, sie blieben bloß Freunde. Er wandte die Aufmerksamkeit seinem Handy zu, das ein Piepen von sich gegeben hatte. Es war eine Mail von Charlize. Er rief sie auf und las sie.

Hey Chef,

es ist alles so gelaufen, wie du es geplant hast. Ich habe mich von den Kerlen vor meinem Hotel gefangennehmen lassen, und sie haben mich in ein Motelzimmer außerhalb der Stadt verschleppt und ausgefragt. Sie wollten wissen, weshalb ich hier herumschnüffeln würde und was ich schon alles herausgefunden hätte. Ich habe so getan, als mache ich mir vor Angst fürchterlich in den Rock und habe ihnen die Geschichte von der Rechtsanwaltsgehilfin aus St. Louis aufgetischt, die für ihren Chef nach Zeugenaussagen von Opfern forscht. Ich sagte ihnen, mein Chef plane eine Sammelklage gegen Darwin Inc. wegen der Kryptokokkose-Fälle in Oregon. Die Typen – echte Amateure übrigens – drohten mir, mein hübsches Gesicht zu zerschneiden, wenn ich meine Recherchen nicht sofort einstelle. Einfach lächerlich, aber ich ging darauf ein, heulte wie ein verlassener Teenie und versprach, alles zu versuchen, um meinen Chef davon zu überzeugen, die Sache zu vergessen. Ich führte ein gefaketes Telefonat und gab vor, mein Chef wäre einverstanden. Die Kerle entließen mich mit der Warnung, mich überall zu finden und zu töten, falls irgendwann einmal eine Klage bei Darwin Inc. ins Haus flattern sollte, bei der es um die Kryptokokkose ging. Ich versicherte ihnen, dass das nicht passieren würde. Eines der Schweine grabschte mir daraufhin an die Brust und sie entließen mich einfach auf die Straße. Ich hätte dem Dreckskerl am liebsten die Finger abgeschnitten! Und ich schwöre dir, sollte er mir nochmal über den Weg laufen, wenn ich Charlize Tanaka und keine hilflose Rechtsanwaltsgehilfin bin, dann werde ich es tun!

Ich bin jetzt auf dem Flughafen von Portland. Fliege mit einem Umweg über St. Louis zurück nach L.A., für den Fall, die Spinner verfolgen mich.

Wir sehen uns dann im Büro.

Sayonara, Charlize

Ondragon grinste. Offensichtlich hatte der Trick funktioniert, den er sich in der letzten Nacht ausgedacht und seiner Assistentin mitgeteilt hatte. Von Charlize alias der Rechtsanwaltsgehilfin sollte von nun an keine Spur mehr nach L.A. zu ihm oder seiner Firma führen. Darwin Inc. hatte also keine Ahnung, wie gut er über DWIN 411-Crypt und die hässlichen Machenschaften in Verbindung mit dem Genmais Bescheid wusste. Das würde ihm erst einmal Sicherheit vor etwaigen Repressalien von Seiten des Konzerns geben. Sollte Darwin Inc. eines Tages doch dahinterkommen, dass Material aus dem Labor in Haiti in fremde Hände gelangt war, so hatte er eine zweite Lebensversicherung in der Tasche. Er würde das Material in einer Schweizer Bank lagern und dem Konzern drohen, dass es im Falle eines unnatürlichen Ablebens seinerseits automatisch an eine große Zeitung in Deutschland weitergeleitet werden würde. Die Deutschen waren bekannt dafür, dass sie im Hinblick auf schmutzige Geschäfte mit Gentechnik am wenigsten tolerant waren. Sie würden in der Presse kurzen Prozess mit Darwin Inc. machen. Es wäre seine Rache aus dem Jenseits.

Ondragon schaltete das Handy ab und trank seinen Espresso aus. Er stellte die leere Tasse zurück und erhob sich. „So schön ich es finde, hier mit euch zu sitzen und zu plaudern, aber ich muss mich leider verabschieden.“ Da sprach der wohlerzogene Diplomatensohn.

Die Madame und die anderen beiden erhoben sich ebenfalls. Ondragon nahm die Hand der Voodoo-Priesterin und hauchte formvollendet einen Kuss darauf. Sie schmeckte nach Marmelade und karibischem Geheimnis. Er warf ihr einen schalkhaften Blick zu und sagte: „Auch wenn es nicht so aussehen mag, aber es war mir eine Freunde, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, Madame Tombeau.“

„Mari-Jeanne, bitte, Monsieur Ondragon.“

„Gern, dann aber auch Paul für Sie.“

Die Madame schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das nur von ihrer unmöglichen Brille getrübt wurde. „Es war mir gleichfalls ein Vergnügen, Paul. Ich werde Ihre ewige Skepsis vermissen.“

„Damit das nicht passiert, engagiere ich Sie vielleicht mal für einen Fall. Arbeiten Sie auch auf Honorarbasis?“

„Für Sie immer!“

„Hervorragend!“ Er löste sich von ihrer Hand. „Sie werden sich um den Reverend kümmern?“

Bien sûr. Seine Tage in New Orleans sind gezählt!“

Ondragon schmunzelte bei dem Gedanken an ein magisches Duell zwischen dem Reverend und der Madame, und zu gerne würde er dabei Zuschauer sein.

„Ich erzähle Ihnen, wie es war“, sagte die Madame mit einem Augenzwinkern, als hätte sie wiederholt in seinen Gedanken gelesen.

Ondragon grinste und gab Rod ein Zeichen, dass er ihn draußen verabschieden würde. Mit einem Lächeln der Kategorie ‚Man-sieht-sich-immer-zweimal‘ verabschiedete er sich von Alejandro Green und verließ die Küche. Kurz vor der Tür drehte er sich noch einmal um und sagte: „Natürlich werde ich mich auch um mein Versprechen kümmern, sobald ich in L.A. bin.“

Merci beaucoup et au revoir“, rief ihm die Madame mit graziös erhobener Hand nach.

De rien!“, erwiderte Ondragon und trat durch die Tür in dem Flur, wo sein Gepäck schon bereitstand. Er nahm die beiden Taschen und ging mit Rod an der Seite hinaus auf die Veranda. Dort stellte er das Gepäck wieder ab und schloss seinen Freund in eine herzliche Umarmung.

„Mach’s gut, alter Haudegen!

„Du auch, Ecks.“ Sie lösten sich voneinander.

„Bleibst du noch ein wenig hier?“, fragte Ondragon.

„Nein, nicht lange. Ich fliege noch heute mit Green in die UAE. Schließlich muss ich den Maulwurf aufspüren und ihm kündigen.“

„Das hast du aber nett ausgedrückt. Ich hoffe, du kriegst ihn. Ich schick dir Dietmar vorbei, falls es nicht klappt.“

„Danke, gerne.“

„Schon gut“, entgegnete Ondragon und sah seinem Freund in die eisblauen Augen. „Es war mir eine Ehre, mit dir unterwegs zu sein, Spider!“

Der Brite zog ein ernstes Gesicht. „Nein, die Ehre war ganz auf meiner Seite.“ Er schlug ihm auf die Schulter. „Du bist der verflucht beste Mann, den ich kenne!“

Nun war es an Ondragon, verlegen zu Boden zu sehen. Das Kompliment des Älteren rührte ihn.

„Ist im Übrigen auch verdammt anständig von dir, dass du Mari-Jeanne versprochen hast, dich um einen neuen Pass für Christine zu kümmern“, schob Rod noch hinterher. „Gut, dass es der Kleinen schon bessergeht. Sie wird es bald überstanden haben. Hier in ihrem neuen Heim wird es ihr gut ergehen. Mari-Jeanne wird eine hervorragende Ersatzmutter sein. Weißt du, Ecks, ihr zwei seid euch auf beängstigende Weise ähnlich!“

Ondragon sah auf. „Was? Ich und die Madame?“

Rod grinste. „Ihr seid mindestens einer so stur wie der andere!“

Erleichtert atmete Ondragon auf. Ach, das meinte sein Freund. Er gab ihm ein letztes Mal zum Abschied die Hand.

„Sehen wir uns irgendwann mal in Dubai?“, fragte Rod.

„Ich würde sofort mir dir fliegen, um dir zu helfen, den Maulwurf zu enttarnen, aber ich habe noch etwas Dringendes zu erledigen.“

Rod tippte sich mit einem Finger an die Stirn und sagte: „Verstehe.“

Ondragon warf ihm einen letzten Blick zu, nahm dann seine Taschen auf und ging durch den kleinen Garten zum Tor hinaus auf die Straße.