Damit stürmte er aus der Zentrale und eilte die Gitterstufen einer Wendeltreppe hinauf in das obere Stockwerk der Station. Die Freunde hörten seine Schritte auf den Metallböden, dann überwanden sie auch schon ihr Erstaunen und folgten ihm.

Als die fünf Bischof schließlich einholten, trafen sie ihn in einem Raum über der Kommandozentrale an, wo er gerade einen patronenförmigen Gegenstand in die Öffnung eines kompliziert aussehenden, mechanischen Apparates steckte. Das Gerät hatte Ähnlichkeit mit dem hinteren Teil einer Kanone – ein langes Stahlrohr, dessen vorderes Ende in einem Gewirr aus Kabeln und Lichtern in der Wand verschwand.

Bischof sprang in den Sessel einer Steuerkonsole. Seine Fingerspitzen tanzten über Schalter und Knöpfe.

»Was ist das?«, fragte Nils.

Der Wissenschaftler gab keine Antwort. Er war angespannt und hochkonzentriert, während sein Blick den Bewegungen des Hais auf einer Monitorzeile oberhalb der Konsole folgte.

Statt seiner antwortete Professor Rabenson:

»Wahrscheinlich so eine Art Harpune.«

»Er will den Hai einfach abschießen?«, fragte Lisa.

»Nein«, presste Bischof hervor, ohne sich umzudrehen. »Mit diesem Gerät ist es uns möglich, Tiere zu markieren – so ähnlich, wie man es oben mit Wild und Vögeln macht. Ein winziger Sender gibt Signale ab, die wir auf dem Monitor verfolgen können. So wissen wir in jedem Moment, wo das Tier sich aufhält.«

»Und was soll das bringen?«, fragte Chris.

»Der Hai wird bald das Interesse an uns verlieren. Dann wird er weiterziehen. Wenn der Professor oder wir alle zusammen die Station verlassen wollen, können wir auf diese Weise wenigstens sicher gehen, dass das Vieh nicht mehr in der Nähe ist.«

Kyra blickte über Bischofs Schulter auf die Konsole. Deutlich sah sie in einer der vielen Digitalanzeigen den Schriftzug 18 Meter. Die Sensoren an Bord der Kapsel hatten sich also nicht getäuscht. Dieser Hai war größer als alle seine bekannten Artgenossen, und er hielt sich in Untiefen auf, deren Wasserdruck einen gewöhnlichen Fisch hätte zerquetschen müssen wie eine Gummiente.

Bischof drückte in rascher Folge eine Kombination von Knöpfen, und einen Augenblick später ertönte aus dem Inneren des bizarren Harpunenmechanismus ein kurzes Summen. Gleich darauf war auf den Monitoren deutlich ein helles Aufblitzen zu erkennen, als die Signalpatrone auf den Hai zuraste – und traf.

Das gewaltige Wesen zuckte, peitschte einmal mit der Schwanzflosse, schwamm dann aber unbehelligt weiter.

Bischof las Werte von einer Anzeige ab.

»Getroffen!«, jubelte er und sprang auf. »Los, zurück nach unten!«

Wenig später saßen sie in der Zentrale um einen runden Tisch, dessen Platte aus einem einzigen großen Glasmonitor bestand. In der Mitte befand sich ein rotes Licht – der Standort der KARTHAGO, der von einem zweiten, kleineren Leuchtpunkt umkreist wurde.

»Es funktioniert«, flüsterte Kyra beeindruckt.

»Ich gebe ihm höchstens noch eine halbe Stunde«, sagte Bischof, »dann wird er begreifen, dass es hier für ihn nichts zu holen gibt. Er wird einfach weiterziehen –«

»Und der Weg zum Wrack ist frei«, beendete Professor Rabenson den Satz.

Kyra schenkte ihm einen besorgten Seitenblick, aber ihr Vater lächelte ihr nur aufmunternd zu. »Es wird schon alles gut gehen.«

Sie schüttelte seufzend den Kopf. Ihr war klar, dass sie ihn niemals würde umstimmen können. Er war eben Wissenschaftler durch und durch. Vor Sorge stieg ihr das Blut in den Kopf, ihr wurde warm und sie schob die Ärmelbündchen ihres weißen Overalls bis zu den Ellbogen hinauf.

Als sie die Hände erneut auf den runden Monitortisch stemmte, fiel ihr Blick beinahe zufällig auf das, was sich auf der Haut ihres Unterarms abzeichnete.

Sieben Male. Sieben fremdartige Hieroglyphen.

»Die Siegel!«, stöhnte Lisa, als sie die Zeichen entdeckte. Sie und die beiden Jungs begutachteten blitzschnell ihre eigenen Arme – und da waren sie. Bei allen vieren waren die Sieben Siegel sichtbar geworden. Sie waren das Erbe, das Kyras Mutter ihrer Tochter und deren drei Freunden vermacht hatte. Die Siegel warnten ihre Träger vor den Mächten des Bösen – aber sie zogen sie auch an.

»Das … das kann aber nicht wegen des Hais sein«, stammelte Nils. »Ich meine, vorhin war doch noch nichts zu sehen – und da war er noch viel näher an uns dran!«

Bischof musterte die Zeichen auf den Armen der Freunde. »Meine Tochter ist auch so verrückt nach diesen Tattoos. Aber seid ihr vier nicht eigentlich schon ein bisschen zu alt dafür?« Er hatte keinen blassen Schimmer, was das Erscheinen der Siegel zu bedeuten hatte.

Professor Rabenson tupfte sich Schweiß von der Stirn, sagte aber kein Wort und schaute sorgenvoll von einem zum anderen.

Kyra sammelte sich und stemmte entschlossen die Hände in die Hüften.

»Wenn du da rausgehst«, sagte sie zu ihrem Vater in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ, »dann komme ich auf jeden Fall mit dir!«