Zwei

 

Glauben Sie ernsthaft, dass die halbe Galaxis auf Nute Gunrays Seite stünde, weil all diese Planeten, all deren Bewohner böse sind? Davon abgesehen – was bedeutet »böse« überhaupt? Wie können so viele Lebewesen einfach… böse sein? Für jeden intriganten Politiker der Handelsföderation, der da draußen herumläuft und die Republik vernichten will, gibt es Billionen von Lebewesen, die echte Gründe haben, das Regime von Coruscant zu hassen. Sie haben nur auf einen Anführer gewartet, der ihnen einen Vorwand liefert, etwas dagegen zu unternehmen.

Cormen A’Lanti, politischer Analyst, HNE

 

 

SENATORIN AMIDALAS APARTMENT, REGIERUNGSBEZIRK, CORUSCANT

 

Padmé liebte Überraschungen. Und jetzt stand ihr auf jeden Fall eine bevor.

Anakin Skywalker balancierte zwei Stockwerke über ihrer Wohnung auf der Brüstung und maß die Entfernung für den Sprung, den er machen musste, um auf dem Geländer ihres Balkons zu landen und dann durch die Türen aus Transparistahl zu schlüpfen, ohne dabei von jemandem gesehen zu werden. Natürlich würde die Aufzeichnung der Überwachungskamera gelöscht werden müssen – mithilfe der Macht war das schnell und diskret erledigt –, aber mittlerweile war er ziemlich gut darin. Ihm war klar, dass Politiker in einem Krieg wie diesem geschützt werden mussten. Aber seine eigene Frau musste man nicht vor ihm schützen.

Das ist verrückt. Das sollte nicht so sein.

Er ließ den Blick über Galactic City schweifen. Bei Nacht hatte die Stadt etwas Magisches, wirkte selbst schon wie ein Sternenhimmel; winzige Punkte in allen Regenbogenfarben, Zentren mit strahlend hellem Licht, Nebeleffekte beim Schild eines Tapcafés, das von Dampfschwaden aus einer Rauchabzugsöffnung umhüllt wurde. Und trotz all des Lichts, trotz all des Lebens über, unter und um ihn herum war er unsichtbar. Keiner bemerkte einen Mann in einem dunkelbraunen Mantel aus Banthawolle, der mit den Schatten und Unebenheiten eines Gebäudes verschmolz, das tausend Meter in den Nachthimmel ragte.

Herrlich.

Anakin atmete tief ein, hielt die Luft an und sprang.

Der Wind verfing sich in seinem Mantel und verlangsamte ihn, aber er bremste den Sprung ohnehin mithilfe der Macht ab. So hatte er auch nicht das Gefühl zu fallen, sondern empfand es eher als eine Beschleunigung seiner Umgebung. Als seine Stiefel fünfzehn Meter weiter unten auf dem Permabeton aufsetzten, fragte er sich angesichts des abgedämpften Aufpralls, wie es wohl für normale Lebewesen war, aus so großer Höhe zu fallen.

Schmerzhaft. Tödlich. Weiß ich eigentlich überhaupt, wie Gefahr von anderen Lebewesen empfunden wird?

Nein, das tat er nicht und das ließ ihn aufs Neue darüber staunen, dass gewöhnliche Menschen, seine Truppen, ihm in Situationen folgten, die für ihn durch die Macht nur ein Spaziergang waren, für sie aber nicht. Er hoffte, dass er immer daran denken würde.

Vorsichtig öffnete er die Seitentür und schlüpfte hinein. Er wappnete sich immer noch, unter Umständen einen Blasterschuss abwehren zu müssen, sollte er sie aufschrecken. »Ich bin wieder da«, rief er. »Padmé?«

Die Schlafzimmertür sprang auf und sie trat ins Wohnzimmer. Ihr Gesicht war mit einer dicken weißen Paste bedeckt und sie hatte ein Handtuch fest um den Kopf geschlungen.

»Du hättest auch vorher Bescheid sagen können…«, erklärte sie, wobei sich ihre Lippen kaum bewegten. Sie klang wie einer dieser Bauchredner, der seinen Akk-Hund so erscheinen ließ, als könne er sprechen. »Tu nichts, wodurch das hier bricht. Ich muss es eine Stunde lang drauflassen.«

Anakin versuchte, sie so zu umarmen, dass er dem Zeug auf ihrem Gesicht nicht zu nahe kam. Es schien so fest wie Gips zu sein. »Du brauchst so etwas nicht. Du bist auch so schon schön genug.«

»Auch eine Senatorin hat ein Anrecht auf einen Beautyabend zu Hause, an dem sie es sich mit einer Gesichtsmaske und einer Holozin-Ausgabe gemütlich macht.«

»Ich kann auch an den Äußeren Rand zurück, wenn du möchtest…«

»Wage es ja nicht!«

»Kennst du schon den Witz von dem Trandoshaner, der in ein Tapcafé geht?«

»Bring mich nicht zum Lachen.«

»Also, der Trando geht zum Barkeeper und sagt…«

»Lass das.«

»… er sagt: ›Ich nehme vier Krüge mit…‹«

»Nicht!« Padmé erstarrte einen Moment lang und brach dann in ein lautes Kichern aus, das sie zu unterdrücken versuchte, indem sie die Hände auf den Mund presste. Als sie sie wieder wegnahm, fielen Teile der Maske wie bei einer bröckelnden Fassade herunter. »Oh, ich habe sie zerbrochen… na toll. Das ganze Warten umsonst. Jetzt kann ich es noch einmal auftragen.«

»Nein, das tust du nicht«, sagte er und nahm ihre Hand. »Komm schon. Ich habe mir ein paar Tage freigenommen und die verbringen wir jetzt nicht mit Schönheitsanwendungen…«

Padmé folgte ihm zur Badtür. » Tage? Wo ist Ahsoka während der Zeit?«

»Ich habe sie bei Rex gelassen.« Anakin drängte sie sanft in den Raum hinein. »Spül dir dieses Zeug herunter. Na los.«

Padmé drehte den Hahn auf und spritzte sich Wasser ins Gesicht. »Du bürdest Rex ganz schön viel Verantwortung auf, Ani. Sehr viel Verantwortung.«

»Er wird damit fertig.« Anakin beobachtete, wie die weißgesichtige Fremde sich wieder in seine Frau zurückverwandelte. Er verbrachte so wenig Zeit mit ihr, gestohlene Zeit, die sie sich heimlich holen mussten, dass sie sogar diese albernen Momente intensiv erlebten und als etwas Kostbares empfanden. »Ahsoka mag sich vielleicht so anhören, als wäre sie der Großadmiral der Flotte, aber sie respektiert Rex. End ich habe den leisen Verdacht, dass ihr manche Lektionen leichter fallen, wenn sie sie bei ihm lernt anstatt bei mir.«

»Rex kann sehr charmant sein, wenn er will.«

Instinktiv stieg Verärgerung in Anakin hoch, aber gleich darauf kam er sich deshalb töricht vor. »Er kann sie auch ziemlich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen holen, wenn es notwendig ist.«

»Dann haben wir also ein paar Tage.«

»Und wir können wohl nicht nach draußen gehen, wo man uns unter Umständen sieht, oder?«

»Ich ahne, was du meinst.« Sie grinste, während sie sich das Gesicht trocknete und dann das Handtuch, das sie sich um den Kopf gebunden hatte, aufwickelte. »Diskretion… Du weißt doch, diese Stadt lebt von Klatsch und Tratsch. Wir können also gar nicht vorsichtig genug sein. Würdest du bitte Kaf machen, Liebling? Ich mache mich in der Zeit fertig.«

Wir können gar nicht vorsichtig genug sein.

Das hatte sie schon früher gesagt. Und er wusste es selber auch, ärgerte sich aber jeden Tag mehr darüber. Die Vorstellung, einfach auf Coruscant oder irgendeiner anderen Welt herumzuspazieren, erinnerte ihn daran, dass sie nicht die trivialen Dinge tun konnten, die für jedes andere Paar selbstverständlich waren: ein Spaziergang im Park, ein Kaf in einem Tapcafé, ein Theaterbesuch. Manchmal haderte er mit der Wut, die ständig in ihm brodelte, und in anderen Momenten fragte er sich, wie er seine Berufung zum Jedi überhaupt ernst nehmen konnte, wenn er nicht nur den Jedi-Rat, sondern auch Obi-Wan hinters Licht führte.

Wenn ich glaube, dass der Orden Unrecht hat in Bezug auf Bindung – was werde ich dann noch ablehnen? Wo wird es aufhören?

Der Krieg war die einzige klar umrissene Sache in seinem Leben, die er getrennt von Padmé führte. Es gab einen realen, greifbaren Feind, der versuchte, ihn umzubringen, und er liebte Padmé so sehr, dass Übelkeit erregende Angst bei dem Gedanken in ihm aufstieg, man könnte sie ihm nehmen. Das waren die beiden Dinge in seinem Lehen, die völlig sicher waren. Und deshalb kämpfte er und liebte – denn er wusste, wie man beides tat.

Aber Philosophie war viel schwerer zu fassen als ein Lichtschwert.

»Ani, bist du etwa auf Charra gewesen, um den Kaf selbst anzubauen?«

Aus tiefen Gedanken gerissen, schaute Anakin auf. Er hielt den Behälter mit dem Kaf in der Hand, aber sein Becher war immer noch leer. Padmé schwebte angetan mit einem ihrer eleganten Kleider in die Küche. Strahlend blauer Satin, der sich türkisfarben in der glänzend weißen Oberfläche der Küchenschränke spiegelte.

»Nein, ich habe nur nachgedacht«, sagte er.

Padmé stieß einen theatralischen Seufzer aus. »Heutzutage ist es so schwer, gutes Hauspersonal zu bekommen.«

Sie nahm ihm die Dose mit dem Kaf ab und fing an, ihn selber zuzubereiten. Ja, das ist ein ganz alltäglicher Moment. Eine Senatorin, eine Königin, eine Frau, die das Schicksal der Galaxis verändern kann, bereitet Kaf zu, wie eine ganz normale Hausfrau Coruscants. Warum nicht? Ist das nicht das Leben? Anakin wusste nicht, wie lange er die Heimlichtuerei noch aufrechterhalten konnte. Er fragte sich, ob Obi-Wan nicht spürte, was da vor sich ging. Wie konnte ihm der Aufruhr und die Leidenschaft in der Macht, direkt vor seiner Nase, entgehen?

»Hast du schon das Neuste von Senator Herbin gehört?« Padmé hielt sich die Kafdose unter die Nase und atmete tief ein. Sie versuchte nicht, von irgendetwas abzulenken. Anakin wusste, wann sie versuchte unbeteiligt zu wirken. »Sie bringen es überall auf HNE. Er trifft sich mit dieser schrecklichen Holovid-Schauspielerin aus Die Republik-Klinik. Die, die immer wegen des Krieges so viel rumprotestiert.«

»Ich kenne Herbin nicht«, sagte Anakin. »Mich interessiert dieses Getratsche nicht. Da draußen ist ein Krieg.«

»Ich will damit sagen, dass Politiker anfällig für Gerede sind.«

»Na, worum geht es denn bei diesem Skandal?« Anakin holte die Becher heraus – aus durchscheinendem Porzeplast von Naboo –, die noch mit der Königskrone versehen waren. »Dass er ein verheirateter Mann ist, dass er sich mit einer Kriegsgegnerin trifft oder dass er in Bezug auf Holovids offensichtlich einen lausigen Geschmack hat?«

»Du weißt, was ich meine. Wir müssen vorsichtiger sein. Uns muss einfach ganz klar sein, dass die Leute Dinge bemerken. Wie du mich in der Öffentlichkeit ansiehst, die Art, wie wir miteinander reden. All die winzigen Zeichen.«

Sie hörte sich gar nicht nach Padmé an. Zunächst einmal war sie sonst nicht so nervös gewesen. »Hat irgendjemand etwas zu dir gesagt?«

»Nein, überhaupt nicht. Ich bin einfach nur unruhig. Ich sehe, wie man Herbin im Nacken sitzt, und ich frage mich, was für Auswirkungen es für dich hätte, wenn der Jedi-Rat es herausbekommen würde.«

Anakin hatte sich eigentlich noch gar keine Gedanken darüber gemacht, ob die Enthüllung Padmés Ruf Schaden zufügen würde. In diese Richtung hatte er noch keine Überlegungen angestellt. Denn es war ja nicht so sehr ein Beruf, den sie ausübte, sondern eher eine nicht enden wollende Folge von Verpflichtungen. Deshalb konnte er sich gar nicht vorstellen, dass sie sich Sorgen machte, man könnte sie zwingen zurückzutreten. Wenn es also nur um den Zorn des Rates ging, war das etwasganz anderes. Damit würde er sich befassen, wenn es so weit war.

Das wird nicht immer so bleiben.

»Aber wir sind nicht Herbin und diese Wie-immer-sie-heißen-mag«, erwiderte er. »Wir sind verheiratet. Wir betrügen niemanden. Da ist nichts Schändliches dran.«

»Okay, dann lass es mich so ausdrücken.« Das Kafwasser kochte mittlerweile, sodass Wasserdampf aufstieg, der die Fenster beschlug. Padmé nahm die Kanne und schenkte ein. »Was würdest du tun, wenn Meister Yoda herausfände, dass wir verheiratet sind und dir sagt… Nun, was würde er dir eigentlich sagen? Dass du dich von mir trennen sollst?«

»Er würde mich zwischen dir und dem Jedi-Orden wählen lassen.« Würde er das? Anakin wusste es eigentlich gar nicht. Wenn er es sich so recht überlegte, hatte er im Grunde immer nur bis zur Diskussion gedacht, die entbrennen würde, sobald es herauskam, und sich die strengen Ermahnungen vorgestellt, die Yoda aussprechen würde, wohin Bindungen führen würden. Er hatte nicht das getan, was jeder General tun sollte – was er getan hätte, wenn dies ein echter Kampf und nicht nur ein Streit um Jedi-Ideologien gewesen wäre: Er hatte nicht gefragt, was im schlimmsten Fall dabei herauskommen würde. »Und ich werde dich niemals aufgeben. Niemals.«

Das war keine Antwort. Das wusste Anakin. Er wollte sagen, dass er Yoda erklären würde, er weigere sich zu gehorchen, aber er wusste nicht, welche Konsequenzen das für ihn als Jedi haben würde. Könnte er dann überhaupt einer bleiben? Natürlich konnte er. Das war ja nicht wie beim Senat und mit Parteibündnissen, wo man Politiker aus ihren Parteien warf, wenn sie ihre Stimme nicht für die richtige Sache abgaben. So etwas wie ein Jedi-Parteibuch gab es nicht. Seine Fähigkeit, in der Macht zu sein, sie benutzen zu können, lag ihm im Blut, war in seinen Zellen verankert.

Padmé nahm die Becher und drängte ihn in Richtung Wohnzimmer. »Ich werde dich auch niemals aufgeben. Ani. Aber lass es nicht auf eine Konfrontation mit dem Jedi-Rat ankommen. Noch nicht.«

Anakin spürte, wie Unmut, Zweifel und Verwirrung in ihm aufstiegen. Er streckte sich auf dem Sofa aus und legte seinen Kopf in Padmés Schoß, während er an eins der Mitglieder des Rates der Jedi dachte.

Ki-Adi-Mundi hat Frauen. Nicht nur eine. Sondern fünf. Und viele Töchter. Das ist ganz normal für einen Cereaner. Aber für einen Jedi?

Der Cereaner wirkte nicht so, als wäre er durch Bindungen negativ beeinflusst. Keiner sprach davon. Also konnten Jedi doch heiraten, ohne dass die Galaxis unterging. Eine Sache, die zwar alle sehen konnten, aber über die niemand sprach, als ob es nicht da wäre und um jeden Preis ignoriert werden musste.

Nur weil die Cereaner eine niedrige Geburtenrate und zu wenige männliche Nachkommen hatten, mussten sie sich Frauen nehmen. Und deshalb konnte Ki-Adi-Mundi ein Jedi bleiben, dem Rat dienen und eine Familie haben. Plötzlich ergab das für Anakin alles keinen Sinn. Die Situation auf Cerea hatte damit nichts zu tun. Entweder waren Bindungen etwas Schlechtes für die Jedi oder nicht.

Na schön. Wie Ihr wollt, Meister Yoda. Ich habe keine Schuldgefühle, wenn ich die Regeln beuge, weil ich damit meinem Herzen folge, während Ihr die Regeln beugt, um irgendwelchen Spezies entgegenzukommen. Oder weil es zweckdienlich ist. Oder sonst was.

»Man sagt, die Liebe lasse einen Jedi sich der Dunklen Seite zuwenden«, meinte er schließlich. »Ich kann nicht erkennen, wie Liebe das verursachen soll. Aber wenn man jemanden zwingt, sich herumzuschleichen und zu lügen – das ist dann der Nährboden für Probleme. Sieh dir dagegen Ki-Adi…«

»Du wirst dich deshalb doch nicht mit Meister Yoda streiten, oder Ani?« Padmé strich ihm übers Haar. »Bitte nicht.«

»Nein. Ich verspreche es.«

»Gut. Lass uns das Beste aus diesen paar Tagen machen.«

»Hat auch wirklich keiner etwas zu dir gesagt? Du wirkst sehr unruhig.«

Padmé nahm ihren Kaf, sodass er von unten auf den schönen, antiken Becher schaute, dessen Transparenz das Licht durchließ.

»Die Sache mit Herbin hat mich nur etwas aus der Fassung gebracht«, erwiderte sie. »Heitere mich auf.«

Anakin würde alles tun, um was sie ihn bat. Er war völlig vernarrt in sie und wusste, dass er das auch immer bleiben würde. Aber er fühlte sich nicht weniger als Jedi, nur weil er sie so sehr liebte.

»Das werde ich«, sagte er.

 

 

REPUBLIKANISCHES ANGRIFFSSCHIFF LEVELER, BEIM ÜBERHOLUNGS-CHECK, DANTUS-SEKTOR

 

Pellaeon rutschte die letzten paar Meter die Leiter zum tiefer liegenden Maschinenraum hinunter. Dabei knallten die Stiefel gegen die polierten Trittstufen und bei seiner Landung stoben mehrere Kadetten auseinander. Sie salutierten, während ihm der Geruch von versengter Farbe in die Nase stieg und ein Kratzen in der Kehle auslöste. Es gab die guten neuen Gerüche auf einem überholten Schiff und die Besorgnis erregenden. Dieser Geruch gehörte der letzteren Kategorie an.

»Stang noch einmal! Lammin, was ist mit diesen Dämpfern los?« Er fing niemals an zu laufen, außer das Schiff ging in Stellung, aber er konnte in Rekordgeschwindigkeit durch die Gänge eilen. Er stürzte durch die Luke in den Hauptantriebsbereich. »Lammin? Das Schiff schwankt jedes Mal wie ein Betrunkener, wenn wir zum Hyperraumsprung ansetzen.«

»Ich glaube, dass wir immer noch einen zu geringen Druck haben, Sir.« Lammin, der Chefingenieur, klemmte zwischen zwei Schotts, wo er gerade versuchte, einen widerspenstigen Bolzen zu lösen. Er fluchte ausgiebig und streckte wie ein Chirurg seiner Krankenschwester, von der er ein Skalpell haben wollte, die Hand einem Ingenieur hin, der geduldig mit einer Sammlung von Werkzeugen wartete. »Ollo, reichen Sie mir den Weequay-Servoschlüssel. Hier muss Präzisionsarbeit geleistet werden.«

Ollo nahm den größten Hammer aus der Kiste, reichte ihn Lammin und steckte sich die Finger in die Ohren. Lammin lehnte sich so weit, wie es der Raum zuließ, zurück und schlug auf etwas, das Pellaeon nicht sehen konnte. Das metallische Dröhnen war so laut, dass es schmerzte.

Lammin hieb noch ein paarmal auf den widerspenstigen Bolzen – oder was immer es war – ein. Man hatte das Gefühl, im Innern einer andoanischen Klosterglocke zu stehen, die von den Mönchen geläutet wurde. Pellaeon spürte bis in die Nebenhöhlen, wie seine Zähne vibrierten.

»Ah, jetzt rührt er sich…«, meinte Lammin frohlockend.

»Ich bin erleichtert, dass Sie kein Chirurg sind, Chief.«

»Nun, dann hätten meine Patienten wenigstens nie lange Schmerzen, Sir.« Lammin zwängte sich aus dem engen Spalt und schaute auf die im Schott angebrachten Messgeräte. »Ich habe da irgendetwas gelöst. Wir überprüfen lieber, was das genau ist. Ich hasse nämlich Geheimnisse.«

»Machen Sie weiter«, sagte Pellaeon. Er öffnete sein Komlink und setzte sich mit seinem ersten Lieutenant in Verbindung. Jeder einzelne Fehler wurde aufgenommen und der Flotte gemeldet, damit er an die Abteilung für Materialbeschaffung und von da bestimmt gleich an die Finanzabteilung weitergeleitet wurde, damit dort über die Kosten gestritten werden konnte. »Nummer Eins, nehmen Sie bitte eine weitere Meldung auf. Die Druckentlastungsventile der Dämpfer…«

»Entschuldigung, Sir, dass ich Sie unterbreche, aber die Langstreckensensoren haben gerade im angrenzenden Sektor, jenseits von Tangar, Bewegungen registriert. Eine Flottille der Separatisten ist aus dem Hyperraum aufgetaucht und gleich wieder verschwunden.«

Im Geiste rief Pellaeon sich eine dreidimensionale Karte der Region vor Augen und überschlug die Entfernung. Wenn etwas passierte, musste er wissen, ob die Leveler darauf reagieren konnte und wenn, wie schnell.

»Behalten Sie das Ganze im Auge, Rumahn«, sagte er. »Sind irgendwelche Verbündeten in Reichweite?«

»Nur wir befinden uns in diesem Sektor, Sir. Es ist einsam und dunkel hier draußen.«

Schiffsüberholungen mussten dieser Tage in abgelegenen oder gut geschützten Gegenden durchgeführt werden, weil ein Schiff, das nicht voll einsatzfähig war, einen Angriff geradezu provozierte. Und es brachte nichts, jedem Separatistenschiff hinterherzujagen, das sich mal kurz zeigte. Manche Kommandanten fühlten sich aus irgendeinem fehlgeleiteten Profilierungswahn vielleicht dazu verpflichtet, doch stellte Pellaeon Besonnenheit über allzu großen Enthusiasmus. Er passte lieber den rechten Augenblick ab.

»Dann wollen wir mal hoffen, dass sie für uns nicht überraschend zu einem unausweichlichen Ziel werden«, meinte er. »Ich möchte, dass das Schiff voll einsatzbereit ist. Wir haben immer noch einige Probleme.«

Er überließ die Techniker ihrer Arbeit und setzte seinen Rundgang auf den unteren Decks fort, wobei er die einzelnen Positionen auf seinem Datapad abhakte, während er jede Sektion aufsuchte, um zu sehen, wie weit die Leveler war. Er hätte die Leiter der Sektionen auch alle zu sich rufen und sich nur ihre Berichte anhören können. Aber das war nicht Gil Pellaeons Art. Er musste die Dinge sehen. Er musste nie fühlen. Er musste die Geräusche des Schiffes hören. Und er musste die Männer und Frauen sehen, die daran arbeiteten, dass das Schiff weltraumtauglich und einsatzbereit war.

Sich all die vielen kleinen Systeme, die diesen riesigen Koloss aus Durastahl in eine Kampfmaschine verwandelten, mit eigenen Augen anzusehen, ließ sich durch nichts ersetzen.

Außerdem war ein Schiff ein Zuhause. Es war eine Gemeinschaft. Kein Zivilist konnte erfassen, wie wichtig ein Schiff denjenigen war, die darauf dienten. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie Klone oder Nicht-Klone waren. Das ganze Schiff bildete eine Gemeinschaft, und er würde nicht zulassen, dass das irgendwie anders gehandhabt wurde.

Ich wünschte nur, ich könnte sie besser auseinanderhalten…

Aber er hatte da so seine Methoden.

Die Gruppe von Klonen, die alle ihren Helm aufhatten, ging an ihm vorbei. »Sir«, grüßte ihn einer und nickte ihm dabei höflich zu.

Pellaeon hatte seine Mütze abgenommen, sodass keine förmliche Begrüßung erforderlich war. Er sah auf den Scanner, der anhand der Uniformen die Identität des jeweiligen Klons feststellte. Es erschien eine Liste mit Namen auf der winzigen Anzeige.

»Unteroffizier Bren«, sagte er. »Ist die Unterbringung zu aller Zufriedenheit?«

»Es gab ein kleines Problem mit dem Wasserdruck im Waschraum von A-sieben-zwei, Sir, aber das wurde behoben.«

»Hervorragend.« Pellaeon machte sich eine weitere Notiz, die er in sein Datapad eingab. »Weitermachen!«

Ich brauche jemanden, der mich über alles in Kenntnis setzt. Jeder Kommandant eines Schiffes dieser Größe braucht so eine Person. Es ist wichtig, dass jedes einzelne Crew-Mitglied weiß, dass es wichtig ist.

Er ging weiter und wurde einen Moment lang von dem Gedanken abgelenkt, wo Hallena jetzt wohl sein mochte und was sie von der Leveler halten würde. Ja, er würde sie mal an Bord nehmen und ihr alles zeigen. Tratsch machte ihm nichts aus. Außer Schlachten hatte er jetzt nichts mehr zu verlieren.

Insgesamt hatte man in der Werft wie immer alles sehr schnell erledigt, sodass in Pellaeons Augen dabei mal wieder Pfusch herausgekommen war, während alle anderen der Ansicht waren, der Auftrag wäre effektiv erledigt worden. Es gab immer irgendwelche ständigen kleinen Probleme, die ihn nervten. Häufig handelte es sich dabei um kleine, aber potenziell hochgefährliche Versehen, wie zum Beispiel frisch aufgetragene Farbe, die Ventile verstopfte, auf den ersten Blick nicht zu erkennende Kabelfehler oder schlecht sitzende Dichtungen zwischen Zylinderblöcken, die jeden Moment anfangen konnten zu lecken. Das waren die kleinen Mängel, nach denen er suchte. Größere Schäden konnte jeder Volltrottel aus zehn Metern Entfernung erkennen. Er konnte das zumindest.

Bisher hatte er jedoch nur festgestellt, dass es Probleme mit den Dämpfern und den Steuerungssystemen gab. Bei Letzteren waren laut der Techniker nur Einstellungsänderungen an der Software vorzunehmen. Das will ich sehen.

Er kletterte die Leiter zu einem der Schächte hoch, wo die Erschütterungsraketen untergebracht waren, und blickte plötzlich Rex entgegen, der sich von oben über die Kranbrücke lehnte. Rex war auch ohne seine blau-weiße Rüstung, durch die man ihn als Angehörigen der 501. identifizieren konnte, leicht zu erkennen. Er hatte seinen Helm am Gürtel befestigt und trug zur Abwechslung mal einen neuen Haarschnitt. Statt glatt rasiert wie beim letzten Mal, als Pellaeon ihn gesehen hatte, war sein Schädel jetzt mit kurzen, blau gefärbten Stoppeln bedeckt, in die ein Streifenmuster geschnitten war.

»Mal was… ganz anderes. Rex«, meinte Pellaeon.

Ahsoka beugte sich neben Rex über die Brüstung, wofür sie sich allerdings auf die Zehenspitzen stellen musste. Sie schüttelte ihre gestreiften Lekku. »Mit Streifen ist nichts verkehrt, Sir.«

»Fürs Bolo-Ball-Finale«, erklärte Rex. »Ich bin ein Fan von Athletik Byllurun.«

Pellaeon hatte keine Ahnung, wie Rex – der auf Kamino ohne das normale ethnische oder geografische Zugehörigkeitsgefühl großgezogen worden war – entschied, für welche Mannschaft er war. Byllurun war eine Mannschaft von Sullust. Aber die meisten Mannschaften hatten Anhänger, die sich noch nicht einmal auf zehn Parsec deren Heimat genähert hatten, und manche konnten auch nicht dieselbe Atmosphäre atmen. Somit war das Ganze vielleicht sogar…normal.

Stang, er ist wie jedes andere Lebewesen. Ein ganz normaler Mann. Ein Mensch. Dieses Bedürfnis, sich zu verbünden und irgendwo hinzugehören, ist in uns allen tief verwurzelt.

»Na, Rex, was halten Sie von den Neuerungen?«

Rex setzte seinen Helm wieder auf. »Die neuen Erschütterungsraketen kann ich noch nicht beurteilen. Dafür muss ich erst sehen, wie damit eine Stadt oder ein großes Schlachtschiff angegriffen wird. Doch ich bin nicht davon überzeugt, dass die verbesserte Lasernachladezeit die Ausgabe wert war.«

»Das ist das Problem der Geldgeber.«

»Mag sein, aber trotzdem…«

Rex hielt inne. Pellaeon hörte das Kom-Signal im gleichen Moment wie der Klon-Commander. Es war ein nasaler Ton, der aus dem kleinen Transmitter im Komlink, das an seinem Gürtel befestigt war, kam.

»Einsatzkräfte an Pellaeon. Feindliche Schiffe gesichtet, die im Fath-System den Hyperraum verlassen. Bleiben in Bereitschaft.«

»Das ist ein paar Stunden von hier entfernt«, meinte Ahsoka. »Was machen die da?«

Pellaeon kletterte die Leiter hoch und ging zum nächsten Einsatzraum, um nachzusehen, was die Sensoren anzeigten. Fath lag in der Nähe einer Hyperraumroute. Ansonsten war das nur der schmuddelige hintere Bereich des Äußeren Randes… nichts Besonderes. Kamen die Separatisten nur deshalb aus dem Hyperraum heraus, um wichtige Mitteilungen empfangen zu können und dann gleich wieder zum Hyperraumsprung nach sonst wohin anzusetzen, oder wollten sie tatsächlich in dieser speziellen Gegend irgendwohin?

»Wie viele Schiffe sind es?«, fragte Rex. »Ich kann von meinem HUD nicht zur Einsatzanzeige umschalten. Ein weiterer Eintrag für die Mängelliste.«

»Sechs.« Pellaeon entschied, dass es nichts schadete, die Flottille im Auge zu behalten. »Kom-Zentrale, fangen Sie Signale auf?«

»Nur außerhalb maximaler Reichweite, Sir«, schaltete Rumahn sich ein. »Ein weiteres Problem, das wir gefunden haben.«

»Na schön. Nehmen wir mal an, wir hätten noch einen Antrieb. Nummer Eins, können wir uns dann innerhalb der Reichweite bewegen?«

»Ich würde lieber erst wieder springen, wenn die Dämpfer instand gesetzt sind, Sir.«

»Dann schlendern wir mal mit Unterlicht-Antrieb in deren Richtung.«

Pellaeon vertraute seinem Bauchgefühl genauso sehr wie Sensoren, und seine internen Alarmglocken hatten angefangen zu läuten. Die Mannschaft wusste das. Denn je entspannter sein Tonfall, desto besorgter war er. Rex stand neben ihm und schaute ebenfalls auf die Anzeige des Scanners – zumindest sah es so aus, als würde er in die Richtung sehen. Wenn Rex seinen Helm aufhatte, konnte man nicht erkennen, ob er ansah, was vor ihm war, oder ob er sich gerade auf das konzentrierte, was auf seinem HIT) geschah. Ahsoka drängte sich dichter an sie heran.

»Ich spüre es«, sagte sie zögernd.

»Was, meine Liebe?«, fragte Pellaeon.

»Eine Erschütterung in der Macht.« Sie streckte die Hand aus und hielt sie dicht vor den Bildschirm, ohne ihn jedoch zu berühren. »Viel… Leid, das in Wut umschlägt.«

Pellaeon tat nützliche Informationen nie einfach ab. Aber er zog konkrete Positionen, Koordinaten und Entfernungen eben vor, sodass ihn Jedi nervten. Besonders störten ihn dabei die jüngeren, wie zum Beispiel diese kleine Togruta – ein aufsässiges Gör, das ihn über ihren kurzen Rock in eine Diskussion verwickelte, um sich im nächsten Moment vor seinen Augen in ein urtümliches, archaisches Wesen zu verwandeln, das mit etwas in Verbindung stand, was er nicht sehen konnte. Ein Kind mit so einer Gabe zu bedenken, schien ihm schon ein sehr großes Geschenk des Universums zu sein. »Ihr erkennt das, indem Ihr den Bildschirm berührt, nicht wahr?«

»Nein, Captain, es hilft mir nur, mich zu konzentrieren, wenn ich den Blick auf ein Bild richte.«

»Dann ist es also eine Gefahreneinschätzung?«

»Das letzte Mal, als sie das sagte«, murmelte Rex, »war das Nächste, was wir hörten ›Wir werden angegriffen‹.«

Pellaeon war davon überzeugt, dass sein Bauchgefühl fast genauso verlässlich war wie die Sinne eines Jedi. »Dann betrachte ich das mal als eine fundierte Frühwarnmeldung.«

»Ich werde meine Männer zusammentrommeln«, sagte Rex.

Es bestand immer die Möglichkeit, dass es ein blinder Alarm war. Dieser Tage gab es viele Unruheherde in der Galaxis, und wenn man Ärger voraussagte, war man immer auf der sicheren Seite. Doch Pellaeon wusste, dass er nicht so viel Glück haben würde.

Er öffnete sein Komlink. »Lammin«, sagte er. »Informieren Sie mich, sobald Sie die Dämpfer instand gesetzt haben.«

 

 

EIN TAPCAFÉ IM METALLARBEITERVIERTEL, ATHAR, JANFATHAL: ETWAS SPÄTER AM ABEND

 

Hallena war fest davon überzeugt, dass sie ihre Arme nie wieder würde anheben können.

Zwölf Stunden. Zwölf Stunden hatte sie dieses Dreckloch von Fabrik gefegt und geschrubbt. Es gab einfach so viel zu tun, dass überhaupt keine Zeit blieb, müßig herumzustehen, sondern sie am Schluss auch noch alle Waschräume putzte. Ihre ganze Kleidung roch nach Desinfektionsmitteln.

Sie stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und starrte ihre Hände an. Die Fingerspitzen waren immer noch ganz verschrumpelt, weil sie den ganzen Tag mit Wasser in Berührung gekommen waren.

»Sie haben das sehr gut abgepasst«, meinte Merish. Shil stellte zwei Becher Bier vor sie hin und zog sich einen Stuhl heran. »Wer hat Sie rausgeholt?«

Hallena musste sich jetzt durch eine Unterhaltung lavieren, die in Sieg oder Tod enden konnte. Zumindest war sie erschöpft genug, um überzeugend mürrisch zu reagieren. »Das geht Sie nichts an.«

»Stimmt.« Der Blick der Frau war weiterhin auf die Türen gerichtet. Sie wirkte eher triumphierend denn nervös. »Vielleicht entdecken Sie heute Abend ja ein paar bekannte Gesichter unter den Leuten, die noch zu uns stoßen werden.«

Ich hoffe nicht. Denn es gibt keine.

»Was wollen Sie jetzt also von mir?«, fragte Hallena.

Direkte Fragen, misstrauisch gestellt. Mehr konnte sie nicht machen. Der örtliche Geheimdienst hatte sie offensichtlich nicht über alles informiert. Kein Wunder, dass man Unterstützung von der Republik angefordert hatte. Hier schaffte man es gerade, die Bürger zu bespitzeln, wenn es um kleinere Dinge ging… Leute, die mit den Zuständen unzufrieden waren und ihren Unmut äußerten.

»Wenn sich die Lage ändert, brauchen wir Leute, denen wir vertrauen können«, erklärte Merish. »Leute, von denen wir wissen, dass sie nichts mit dem alten Regime zu tun gehabt haben.«

»Und da passe ich rein.« So zu tun, als wäre sie eben frisch aus dem Gefängnis entlassen worden, entschuldigte Hallenas Zögern und ihre Ahnungslosigkeit. »Schön. Danke.«

»Sie waren in der Gewerkschaft. Sie wissen, wie man Leute organisiert. Wir werden das schon sehr bald brauchen.«

»Vergessen Sie’s«, meinte Hallena. Nein, nicht. Lass sie kommen. »Ich habe genug davon. Ich ertrage die Vorstellung nicht, Jahr für Jahr mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, ohne dass sich dadurch irgendetwas ändert.«

»Oh, es wird sich was ändern, Genossin. Früher als Sie denken.«

»Ja, ja. Schon klar.«

Merish sah glückselig aus. Anders konnte Hallena es nicht beschreiben. Während immer mehr Leute in das Tapcafé strömten, um sich am Ende des Tages mit einem Bier zu belohnen, und es immer lauter wurde, ließ sie die Türen nicht aus den Augen. Der Mief von Schweiß und Spice lag in der Luft. Exotische Klänge – dissonante Halbtöne, nicht unangenehm, nur etwas fremd – kamen aus einer alten Anlage, die zu ihrer Rechten an der Wand stand. Die um sie herum geführten Unterhaltungen sorgten zwar mit für den recht hohen Geräuschpegel, aber trotzdem konnte man ihnen schwer folgen, als hätten alle Gäste im Tapcafé sich daran gewöhnt, in einer Art und Weise zu sprechen, mit der man keine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Seitdem sie hier auf dem Planeten angekommen war, hatte sie fast keinen einzigen Droiden gesehen… Der Bürodroide in der Fabrik war eine bemerkenswerte Ausnahme. Als sie den Hals reckte, um durch die offenen Türen in die Küche des Tapcafés zu schauen, konnte sie auch dort keine Droiden entdecken, obwohl sie sicher gewesen war, dass man an diesem Ort auf jeden Fall die mechanische Hilfe annahm.

Sie konnte nicht fragen, warum es so wenige Droiden gab. Schließlich gab sie vor, eine Einheimische zu sein.

»Kein einziger verkriffter Droide«, meinte sie mit ausdrucksloser Stimme. Das hätte alles bedeuten können. Sie meinte: Jemand soll mir endlich ein Stichwort zuwerfen.

»Nein, zumindest damit sind sie hier noch nicht so weit«, sagte Merish. »Fleisch und Blut sind immer noch billiger. Und die meisten Leute sind immer noch gefügiger, wenn man sie den ganzen Tag beschäftigt.«

Danke, Merish.

Es gab immer alle möglichen Dinge, die einem Agenten bei Geheimdienstbesprechungen nicht gesagt wurden. Aber das waren genau die Dinge, die sie gern wissen wollte: Sie wusste gern über Einstellungen Bescheid. Das Warum war für sie interessant.

Aber man hatte ihr nur erzählt, dass die Regimegegner in Athar in regelmäßigem Kontakt mit Agenten der Separatisten standen. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, sich ein Bild von dem Netzwerk zu machen, so viele Namen wie möglich herauszubekommen und diese Informationen dann weiterzugeben, um dann…

Um dann was? Zu observieren. Zu zerstören. Zu verhaften. Vielleicht sogar, um falsche Informationen und Doppelagenten ins Netzwerk einzuschleusen.

Shil war so ruhig, dass Hallena sich fragte, ob er überhaupt reden durfte, wenn Merish da war. Sie beobachtete ihn aus dem Augenwinkel und versuchte, nicht zu neugierig zu wirken, während sie überlegte, warum er immer wieder den rechten Ärmel über sein Handgelenk zog. Zuerst dachte sie, es wäre vielleicht nur eine blöde Angewohnheit, aber dann fragte sie sich, ob er vielleicht einfach nur versuchte, eine Waffe zu verbergen. Erst als er die Hand nach seinem Bier ausstreckte und dabei ein durchgeweichtes Tischset zu Boden fiel, begriff sie, was er zu verstecken suchte. Als er sich nach unten beugte und seine Hand nach dem Tischset ausstreckte, glitt sein Ärmel zurück, und sie sah die Narben.

Sie waren nicht zufällig dort hingekommen.

Es waren alte Schnittwunden. Nicht die unregelmäßigen Narben, die man bei einem Unfall davontrug, oder saubere, chirurgische Schnitte, sondern ein gleichmäßiges Netz aus Linien, als hätte jemand versucht, seine Haut mit einem Muster zu versehen, wie man es von den Lederwaren der Emori kannte. Ihr Blick saugte sich eine ganze Sekunde lang an den wulstigen Narben fest. Sie wusste ohne zu fragen, dass es sich weder um irgendeine Form von Körperschmuck noch um eine aus anderen Gründen freiwillig zugefügte Veränderung handelte. Einige der Linien waren nicht ganz gerade, als hätte er sich bewegt, während geschnitten wurde, sodass man noch einmal neu hatte ansetzen müssen.

Es war schon seltsam, wie sich ein Bild so unvergesslich ins Gehirn brennen konnte, obwohl man es nur ganz kurz gesehen hatte. Sie würde diese Narben nie wieder vergessen. Als Shil sich wieder aufrichtete, begegnete er kurz ihrem Blick, dann zog er den Ärmel wieder herunter.

»Um für die anderen ein Exempel zu statuieren«, sagte Shil leise. »Auch für Angst muss wie für jede andere Ware geworben werden; denn wer kauft sie einem sonst ab?«

Und das war der Grund, warum er sie versteckte. Nicht aus Scham; nicht aus Verlegenheit. Er wollte noch nicht einmal damit prahlen, dass er gefoltert worden war und trotzdem noch frei, noch immer aufsässig herumlief. Er verweigerte seinen Peinigern einfach nur das, was sie damit hatten bewirken wollen. Keiner sollte sehen, was man ihm angetan hatte, oder annehmen, dass es gelungen wäre, ihn einzuschüchtern.

»Ich verstehe«, sagte Hallena.

Ja, das tue ich wirklich. Aber ich darf es eigentlich nicht.

Merish, die einen Moment lang abgelenkt war, streckte die Hand aus und strich Shil übers Haar, dann richtete sie den Blick wieder auf die Tür, während sie an ihrem Bier nippte. Ihre andere Hand ruhte im Schatten des Tisches auf seinem Bein.

Hallena war dazu ausgebildet worden, die Drecksarbeit zu machen. Eine der ersten Lektionen, die sie gelernt hatte, besagte, dass es keine klare Trennlinie zwischen Freund und Feind gab, und wenn sie nach einem suchte, würde sie dadurch nur vergessen, warum sie da war. Sie würde, hatte ihr Vorgesetzter beim Geheimdienst erklärt, Feinde kennenlernen, die sie mochte, und Verbündete, die sie hasste. Es war nicht ihre Aufgabe zu entscheiden, wer es mehr wert war, Unterstützung zu erhalten. Ihre Pflicht bestand nur darin, der Republik zu dienen, weil sie gar keine Vorstellung von dem großen Bild hatte, in dem sie nur kleine Bereiche ausfüllte.

Manchmal wird es sehr schwer sein, Hallena.

Trotz des Stimmengewirrs im Tapcafé hatte sie den Klang seiner Worte noch im Ohr.

Du bist nicht immun gegen Gut und Böse. Du bist nicht auf der falschen Seite. Du gehst nur über kleinere Komplikationen hinweg, die dem großen Plan im Wege stehen.

Gil Pellaeon nannte das Kollateralschäden. Manchmal wollte sie mit ihm darüber reden, wie er damit umging, dass er Schmerz und Tod über Leute brachte, die ihm in die Quere kamen, wenn sein Schiff auf dem Weg zu größeren Zielen war. Doch sie hatte nie den rechten Moment gefunden, um ihre Gründe zu nennen und all die Dinge zu enthüllen, die sie getan hatte.

Bin ich ein schlechter Mensch? Warum kann ich diese Frage nicht beantworten?

»Und was haben sie Ihnen angetan?«, fragte Merish schließlich.

Hallena sah sie nicht an. »Das, was mich am schnellsten in den Wahnsinn treibt. Sie haben mich in Einzelhaft gesetzt.«

Sie konnte nicht behaupten, dass man sie körperlich gefoltert hätte. Sie saß hier neben Leuten mit echten Narben, und wenn irgendetwas schiefging, konnte man ihr schnell nachweisen, dass sie gelogen hatte, wenn man sie untersuchte. Aber Wahnsinn – Wahnsinn war unsichtbar. Wahnsinn konnte sie spielen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie den Anschein aufrechterhalten musste, aber sie war sicher, es eine sehr lange Zeit zu schaffen.

»Sie werden uns wohl erst vertrauen, wenn wir uns Ihnen gezeigt haben, nicht wahr?«

Es war so schrecklich einfach. Am Anfang war das Schuldgefühl und dann, wenn ein Spion Gefallen daran fand, clever zu sein, wurde es von gefühlloser Selbstgefälligkeit abgelöst. Und wenn dann das Alter und bittere Erfahrungen diese Schicht wieder abgetragen hatten, kehrten Schuldgefühle und Abscheu zurück.

»Nein«, sagte Hallena und nutzte die Wahrheit, um ihre Lüge glaubwürdig klingen zu lassen. »Schauen Sie doch mal… Ich kenne Sie überhaupt nicht, und Sie kennen mich nicht. Warum sollten wir einander überhaupt trauen?«

»Ach, wir wissen viel über Sie. Der Bürodroide ist sehr kooperativ bei der Weitergabe von Ausweisinformationen, wenn man weiß, wie man ihn nett und freundlich fragt.«

Die auf der gefälschten Chipkarte zur Person gespeicherten Informationen hatten auf Hallena ziemlich langweilig gewirkt – eine längst vergessene Person aus einer Stadt, die von der Landkarte getilgt worden war –, aber für Merish und Shil waren sie wohl wichtig.

»Dann beweisen Sie mir, dass Sie nicht die sind, die mich zum Narren halten, um mich wieder einzubuchten.«

»Warum sollten die das tun wollen?«

»Weil die Abschaum sind«, erklärte Hallena, »und weil es das ist, was kleine Leute mit zu viel Macht tun.«

Merish sah ihr einen Moment lang ins Gesicht, als würde sie nach Ungereimtheiten in der Geschichte suchen. »In einem Tag oder so wird das eh keine Rolle mehr spielen.«

Aha. Es gibt also einen Zeitplan. Für was?

Die Tür des Tapcafés ging wieder mit einem leisen Seufzer auf, sodass weitere schäbig gekleidete Fabrikarbeiter und ein Schwall feuchter Nachtluft, der mit Abgasen veralteter Landgleiter vermischt war, hereinkam. Die alle Frau hatte mit ihrer Regenwettervoraussage Recht gehabt. Hallena fragte nicht, warum ein Tag einen so großen Unterschied bedeutete. Sie wartete darauf, dass man es ihr sagte.

»Varti«, rief Merish plötzlich und reckte den Hals. »Sieh mal, da ist Varti.«

Ein kleiner Mann mit Glatze, der so aussah, als stünde er kurz davor, in Ruhestand zu gehen, schob sich an den anderen Gästen vorbei und kam auf den Tisch zu. Hallena dachte zuerst, dass sein Schädel einfach nur glänzte, doch als er unter einer Deckenlampe hindurchging, konnte sie sehen, dass seine dunkle Haut vom Ohr bis zum früheren Haaransatz mit weißen Mustern tätowiert war. Wenn es außer Dreck und beiläufiger Brutalität einen weiteren bleibenden Eindruck gab, den sie von diesem Ort mitnehmen würde, dann war es das Gefühl der Umkehr, von negativen Holo-Bildern, wo die hellen und dunklen Bereiche vertauscht waren.

Nun, das passt ja bemerkenswert gut, denn ich kann wirklich nichts eindeutig Weißes und Schwarzes in dieser Situation erkennen.

Varti lächelte sie an und wirkte leicht verwirrt. Er legte den Kopf zur Seite. Draußen auf der Straße heulten die Hörner, als mehr als nur ein Polizeigleiter vorbeiraste. Mehrere Männer, die an der Bar standen, hielten inne und schauten aus den Fenstern.

»Ich erinnere mich nicht an Sie, Orla«, sagte er und hielt Hallena eine schmale, mit hervorstehenden Adern überzogene Hand hin. »Aber Nuth ist schließlich auch nur noch Erinnerung, und Erinnerungen sind etwas Vergängliches.«

Oh verdammt… Haltung bewahren. Vermassel es nicht.

»Ich hätte auch gedacht, dass ich mich an Sie erinnern würde«, erwiderte sie und zeigte auf die verschlungenen Muster der weißen Tätowierung.

»Damals hatte ich noch Haare.«

Der Straßenlärm, der von draußen hereindrang, wurde allmählich ohrenbetäubend, und Hallena fiel es schwer, ihn zu verstehen. Merish nahm nur einen weiteren Schluck von ihrem Bier. Shil drehte langsam den Kopf zu ihr um und lächelte, als würden sie sich Witze erzählen, die keinen anderen im Raum etwas angingen.

»Ich bin ein bisschen mehr Ruhe gewöhnt.« Hallena war jetzt voll in ihrer Rolle der mürrischen, aufgeschreckten Orla Taman, die Feststellungen machte, um Antworten zu bekommen. »Wo wollen die denn alle hin?«

Shil wandte den Blick von Merish ab.

»In Richtung Veränderung«, sagte er. »Sie sind auf dem Weg zur Energiestation, nehme ich an, wenn alles nach Plan läuft.« Er legte den Kopf zur Seite. »Ist das nicht ein schönes Geräusch?«

Und dann gingen alle Lichter aus. Die Bar war in Dunkelheit getaucht.

Hallenas Hand fuhr zu ihrem Blaster, ohne dass sie auch nur eine Sekunde darüber nachdachte. Lauter Jubel brandete durch die Menge im Tapcafé: Nach den ein, zwei Sekunden, die ihre Augen brauchten, um sich an das schummrige Licht der leicht rauchenden Öllampen zu gewöhnen, mit denen Ungeziefer getötet werden sollte, sah sie metallisch schimmernde Bewegungen und hörte das Klicken von Sicherungen, die gelöst wurden. Die Leuchten von aktivierten Blastern flammten rot, blau, grün und gelb auf.

Ein Hinterhalt.

Shil kicherte. Noch mehr Hörner heulten draußen vor der Tür, und ihr Klang veränderte sich beim Vorbeifahren. Hallena konnte das Vibrieren der Wände spüren.

Ein Hinterhalt…

Plötzlich ging im Tapcafé wieder das Licht an. Ein geisterhaftes Grün, das von einem Notfallaggregat erzeugt wurde.

Alle Gäste in der Bar hatten Blaster in der Hand und manche auch Seitengewehre. Sie sahen nicht verängstigt aus. Eher von Hochstimmung erfüllt. Im ganzen Tapcafé war es still, als würde eine Armee auf Befehle warten. Ein Hinterhalt…

»Revolution«, sagte Shil. Er hatte jetzt genau wie Merish ein Blastergewehr in der Hand. »Jetzt fängt es an. Jetzt fängt es an, Genossen und Genossinnen. Jetzt holen wir uns zurück, was uns gehört.«

Die Jubelschreie waren ohrenbetäubend. Sie übertönten den Lärm des Rettungskonvois, der durch die Stadt raste. Hallena zog automatisch ihre Blasterpistole. Ihr blieb keine andere Wahl, als der Menge zu folgen.

Die Revolutionäre von Athar hatten mobil gemacht. Sie befand sich mitten in einem Staatsstreich.

Als sie sich der Menge anschloss, die durch die Türen nach draußen in die Nacht strömte, fühlte sie sich belebt, aber sie war sich nicht sicher, ob aus den richtigen Gründen.