|165|7. Druiden, Kopfjäger und Grauen erregende Opferplätze – Besonderheiten der keltischen Kultur

Die Druiden – Priester, Richter und Universalgelehrte

Seit der Antike galt die Priesterkaste der Druiden als typisches Kennzeichen der keltischen Religion und Kultur. Caesar behauptete sogar, der Unterschied zwischen Kelten und Germanen zeige sich vor allem darin, dass die Ersteren das Druidenamt kannten, während es den Letzteren überhaupt nichts bedeutete. Deshalb sind die Kelten bis heute ohne ihre geheimnisvollen Priester nicht denkbar. Wenn auch – wie erwähnt – der Zauberer Merlin von König Arthurs Hof weit und breit als ihr berühmtester Vertreter angesehen wird, hat er doch außer einigen blassen Spuren wenig mit den historischen Druiden gemein.

Weit mehr als ein Jahrtausend vor den Erzählungen um König Arthur berichtet der sizilianische Gelehrte Diodor, ein Zeitgenosse Caesars, eine Fülle über die keltischen Priester und die Bräuche und Sitten der Barbaren im Norden. Ihmzufolge galten die in der Gesellschaft hoch Geehrten als Philosophen, also Männer der Weisheit, und Theologen, also Gotteskundige. Sie wussten um die Geheimnisse der Gottheiten und verstanden gleichsam deren Sprache. Darum stellten sie die Verbindung her zwischen den Menschen und den jenseitigen Mächten, denen man aus Dank opferte und von denen man sich Wohlergehen erbat. Für das eigentliche Ritual waren allerdings die Wahrsager zuständig, die aus dem Flug der Vögel und der Opferhandlung an den geweihten Tieren die Zukunft voraussehen konnten. Bei besonders wichtigen Fragen, von denen das Schicksal des ganzen Stammes abhing, pflegten sie einen weiteren Brauch, den Diodor »merkwürdig und unglaublich« nennt: »Sie weihen nämlich einen Menschen als Opfer und stoßen ihm ein Messer über dem Zwerchfell in den Körper; wenn das Opfer getroffen niedersinkt, erkennen sie aus der Art des Fallens, den Zuckungen der Glieder sowie dem Ausströmen des Blutes die Zukunft; in diesen Dingen verlassen sie sich fest auf eine alte und langjährige Beobachtungspraxis.« Aber über all dem wachten die Druiden, die entschieden, wie das Opfer von den Göttern aufgenommen worden war.

Laut Caesar, der die umfangreichsten Informationen zu diesem Thema gibt, reichten die druidische Macht und ihre Befugnisse erheblich über das |166|von Diodor Gesagte hinaus. Zwar gehörte es zu ihren Aufgaben, über die religiösen Zeremonien zu wachen, die Opfer des Stammes wie des Einzelnen auszurichten und die entsprechenden Vorschriften richtig zu interpretieren. Aber weiterhin versammelten die Druiden um sich eine große Zahl von jungen Männern zum Unterricht, und standen überhaupt bei den Galliern in großen Ehren. Denn sie entschieden in der Regel in allen staatlichen und privaten Streitfällen. Wenn ein Verbrechen begangen worden oder ein Mord geschehen war, wenn der Streit um Erbschaften oder um den Verlauf einer Grenze ging, fällten sie das Urteil, setzten Belohnungen und Strafen fest. Hielt sich ein Privatmann oder das Volk nicht an ihre Entscheidung, untersagten sie die Teilnahme an den Opfern. Diese Strafe galt als die schwerste, denn die, denen die Teilnahme untersagt war, galten als Frevler und Verbrecher, alle gingen ihnen aus dem Weg und mieden den Umgang und das Gespräch mit ihnen, damit sie nicht durch ihre Berührung Schaden erlitten. Wenn sie etwas beanspruchten, wurde ihnen kein Recht zuteil, und alle Ehrenstellen waren ihnen verschlossen – zumindest gemäß Caesars Schilderung im Bellum Gallicum.

Als oberste Priester und Rechtsgelehrte verfügten die Druiden in den keltischen Stämmen über außerordentliche Macht. Zudem erwiesen sie der Bedeutung ihres Namens – »sehr Weiser« oder »Eichenweiser« – alle Ehre. Als Lehrer der jungen Adligen umfasste ihr Wissen wahrscheinlich fast alle Kenntnisse ihrer Welt. So kannten sie nicht nur die vielzähligen Götter und die Bräuche, wie ihnen zu opfern sei und wie man sich ihnen zu nähern habe. Sie lehrten ihre Schüler die Grundlagen des Kosmos, sein Werden und Vergehen, die Bewegungen der Gestirne und die Wirkungen von Pflanzen. Als »Naturwissenschaftler« wussten sie von den Krankheiten der Menschen und deren Heilung. Ebenso führten sie ihre Zöglinge in die Geheimnisse der menschlichen Seele ein, was sie nach dem Tod erwartete und wie man sein Leben moralisch zu führen hatte. Außerdem musste ein führender Mann der Oberschicht die von den Druiden tradierten Heldensagen seines Stammes kennen, dessen Mythen und die Herkunft der Ahnen. Darüber hinaus waren den Druiden die praktischen Hilfsmittel der Magie nicht fremd, sodass sie sich und anderen mit den passenden Zaubersprüchen zu helfen wussten.

Ob alle Keltenstämme derart druidische Universalgelehrte kannten, ist genauso ungewiss wie ihre Herkunft und das erstmalige Auftreten. Seit Caesars Zeit waren sie unter den Galliern und in Britannien bekannt. Über allen gallischen Druiden stand ein Mann, der den höchsten Einfluss unter ihnen genoss. Wenn er starb, folgte ihm entweder derjenige nach, der unter den Übrigen das meiste Ansehen besaß, oder aber sein Nachfolger wurde von den Druiden gewählt, falls mehrere über ein gleich hohes Ansehen verfügten. Nicht selten wurde dann – laut Caesar – auch mit Waffen um die |167|leitende Stelle gekämpft. Außerdem tagten die Druiden zu einer bestimmten Zeit des Jahres an einem geweihten Ort im Gebiet der Karnuten, den man für das Zentrum ganz Galliens hielt. In diesem heiligen Wald mutmaßlich in der Gegend von Orléans kamen von überall her auch alle die zusammen, die einen Streitfall auszutragen hatten, und unterwarfen sich den Urteilen der Druiden.

Obwohl die keltischen Priester demnach großen Einfluss ausübten, hinterließen sie in Gallien nur zweifelhafte Spuren. Immerhin erwähnt Caesar mit dem Haeduerführer Diviciacus den einzigen namentlich verbürgten historischen Druiden. Aber ausgerechnet er entpuppte sich entgegen vieler Klischees als enger Verbündeter der Römer und ihres Statthalters Caesar.

Die Eichen verehrenden Mistelsammler

Das populärste Druidenbild verfasste der 79 nach Chr. ums Leben gekommene römische Gelehrte Plinius der Ältere. Nach seinen Worten halten sie »nichts für heiliger als die Mistel und den Baum, auf dem sie wächst, wenn es eine Steineiche ist. Schon um ihrer selbst willen wählen sie Steineichenhaine und sie verrichten keinen Kult ohne deren Laub und daher scheinen sie auch nach der griechischen Bezeichnung benannt worden zu sein«– also »Eichenwissende«. »Denn alles, was daraus hervorwächst, halten sie für vom Himmel gesandt und für ein Zeichen, dass der Baum vom Gott selbst erwählt sei. Die Mistel ist jedoch ziemlich selten zu finden, und wenn sie gefunden wird, so wird sie mit großer Feierlichkeit geerntet, insbesondere am sechsten Tag des Mondes – womit bei ihnen die Monate und Jahre beginnen – und nach dem dreißigsten Jahr eines Zeitabschnitts, weil sie dann Kräfte im Überfluss hat und nicht nur die Hälfte. Sie nennen sie in ihrer Sprache Allheilmittel. Nach dem Ritus bereiten sie unter dem Baum ein Opfer und Opfermahl vor und führen zwei weiße Stiere herbei, deren Hörner bei dieser Gelegenheit das erste Mal bekränzt werden. In weißem Kultgewand besteigt der Priester den Baum und schneidet die Mistel mit einer goldenen Sichel ab. Man fängt sie in einem weißen Wolltuch auf. Endlich schlachten sie die Opfertiere, wobei sie beten, dass der Gott seine Gabe jenen, denen sie zu Teil wird, zum Glück ausschlagen lasse. Sie glauben, dass durch Mistelabsud jegliches unfruchtbare Tier fruchtbar werde und dass er ein Gegengift gegen alle Gifte sei.«

In der Tat weiß man heutzutage von dieser immergrünen Schmarotzerpflanze, dass sie über heilwirkende Eigenschaften verfügt: Sie kräftigt das Herz, senkt den Blutdruck und soll sogar bei der Tumorbekämpfung von Nutzen sein. Diese Tatsache wirft ein bezeichnendes Licht auf die Kenntnisse |168|der druidischen Mediziner, die als Meister der Naturbeobachtung bekannt waren. Außerdem griffen sie auf alte Überlieferungen zurück, nach denen sich die Mistel seit langem eines besonderen Ansehens erfreute. Immerhin wurden die großen Steinskulpturen wie die des Grabhügels von Glauberg bereits ein halbes Jahrtausend früher mit Blattkronen geschmückt, deren Vorbild wahrscheinlich das Mistelgewächs war. Unbekannt ist, welche Rolle der Pflanze im Weltbild und in der Mythologie der Kelten zukam. Druiden und andere Naturkenner waren sicherlich von deren Eigenart beeindruckt, ihre zähen Lebenskräfte aus einem mächtigen Baum zu gewinnen. Ihr immergrünes Äußeres dürfte zudem als vitales Symbol während der kalten und dunklen Winterzeit gegolten haben.

Solch einer Ehrfurcht gebietenden Pflanze durften sich selbst die Druiden nur unter bestimmten Ritualen nähern. Deren Höhepunkt bildete die Mistelernte, die vermutlich im Oktober und November durchgeführt wurde und wie oben geschildert mit einem Stieropfer verbunden war. Die Szene von den weiß gewandeten Keltenpriestern, die mit goldenen Sicheln die Eichen erklettern, ist das bekannteste Bild, das man sich von den Druiden macht. Darin offenbaren sie sich als anscheinend zutiefst mit der Natur und ihren Kräften verbunden. Doch dieser Eindruck ist nur ein Aspekt ihres vielfach schillernden Wesens.

Die Meister des gesprochenen Wortes und zwanzig Jahre Studium

Wiederum ist es Galliens Eroberer Caesar, der sie auch als Lehrer beschreibt: Die Druiden nähmen in der Regel nicht am Krieg teil und zahlten auch nicht wie die Übrigen Steuern. Sie leisteten keinen Kriegsdienst und seien auf jedem Gebiet von der Abgabepflicht ausgenommen. Diese großen Vergünstigungen veranlassten viele, sich aus freien Stücken in ihre Lehre einweihen zu lassen, oder ihre Eltern und Verwandten schickten sie zu den Druiden, wo sie, wie es hieß, eine große Zahl von Versen auswendig lernten. Daher blieben einige zwanzig Jahre lang im Unterricht. Sie hielten es für Frevel, die Verse aufzuschreiben, während sie in fast allen übrigen Dingen im öffentlichen und privaten Bereich die griechische Schrift benutzten. Das hätten sie aus zwei Gründen so geregelt: Einmal wollten sie nicht, dass ihre Lehre allgemein bekannt werde, zum andern wollten sie verhindern, dass die Lernenden sich auf das Geschriebene verließen und ihr Gedächtnis weniger übten. Denn in der Regel geschehe es, dass die meisten im Vertrauen auf Geschriebenes in der Genauigkeit beim Auswendiglernen und in ihrer Gedächtnisleistung nachließen.

|169|Aus diesen Worten spricht der pragmatische Römer Caesar, der als Hauptgrund für die Druidenlaufbahn die Freistellung von Kriegsdienst und Abgaben sieht. Wer sich jedoch für die Priesterkaste entschied, der wählte den Weg einer langen und mühsamen Lehre, die zu einem Amt voll Macht und Verantwortung führte. Außerdem ist fraglich, ob die Druiden wirklich derart »pazifistisch« auftraten; Caesar selbst berichtet von Streitigkeiten im Karnutenhain, die auch mit Waffen ausgetragen wurden.

Nachvollziehbarer sind seine Vermutungen über die druidische Ablehnung der Schrift. Das nur von Mund zu Mund mitgeteilte Wissen blieb tatsächlich den Eingeweihten vorbehalten – die Weitergabe an andere wurde wahrscheinlich streng bestraft. Dass Wissen Macht ist, wussten ohne Zweifel auch die Druiden, die beides sorgsam hüteten. Darum verließen sie mit ihren Schülern die Stammesgemeinschaft und zogen sich in die Wildnis von Höhlen und entlegenen Wäldern zurück. Für weiter gehende Studien ging mancher sogar nach Britannien, woher nach Caesars Angaben die Druidenlehre angeblich stammte. Dass außerdem die fehlende Möglichkeit schriftlicher Notizen die Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses stärkt, ist eine noch heute geltende Weisheit.

Aber die Ursachen für das regelrechte Schriftverbot der Druiden scheinen noch tiefer gelegen zu haben und zu den Quellen keltischer Religion und Kultur zu führen. Caesars Informationen und archäologische Funde machen deutlich, über welche Schriftkenntnisse zumindest die Gallier verfügten. So entdeckte man an der unteren Rhône Fundstücke aus dem 3. Jahrhundert vor Chr., auf die man offensichtlich gallische Wörter mit griechischen Buchstaben geschrieben hatte. Und über 100 Jahre später versahen auch nördlichere Kelten ihre Münzen mit den verschriftlichten Namen von Häuptlingen und Stämmen, die man beispielsweise in Alesia und Bibracte fand. Dort schrieben die Kaufleute und Stammesbeamten Verträge, Rechnungen und Einwohnerlisten in den Schriften der Mittelmeerkulturen nieder, die man teilweise schon seit dem 6. Jahrhundert vor Chr. kannte – etwa aus dem griechischen Massalia. Demnach hatten die Kelten ein halbes Jahrtausend intensive Kontakte mit Schriftkulturen, ohne dass sie deren Alphabete in allen Lebensbereichen übernahmen oder ein eigenes Schriftsystem erfanden. Diese Tatsache verwundert umso mehr, wenn man sich die gleichzeitigen Entwicklungen und Schöpfungen in der Metallverarbeitung, im Kunsthandwerk oder beim Aufkommen der stadtähnlichen Oppida vor Augen führt. Dagegen genügten den weitaus weniger entwickelten Germanen einige Jahrzehnte, um nach dem Vorbild italischer Alphabete die Runenschrift zu erfinden.

Die Kelten verzichteten augenscheinlich von Anfang an auf die Verwendung einer Schrift für religiöse und poetische Bereiche, bis schließlich die Druiden strenge Hüter dieses Verbots wurden. Über dessen Begründung |170|kann nur gemutmaßt werden: Möglicherweise hatte man durchaus ein System von Zeichen in Gebrauch, das seinen bis heute faszinierenden und rätselhaften Ausdruck in der La Tène-Kunst fand. Sie verwendet bevorzugt irreal anmutende Motive von Pflanzen-, Menschen-, Tier- und Dämonendarstellungen, deren Übergänge fließend sind und sich auf die reiche mythische Glaubenswelt beziehen, von der keine schriftlichen Nachrichten überliefert wurden. Nach dem keltischen Glauben mögen sich die göttlichen Wesen und ihre Geschichten von den Ursprüngen der Welt eine feste Fixierung verboten haben. Ihre Niederschrift war tabu, damit das Heilige nicht seine ihm innewohnende Kraft verlor. Darum behielt auch die Sprache ihre magische Kraft und wurde zum alleinigen Medium der Mythen und des Wissens über Kosmos und Welt. Die Druiden sahen sich als die Pfleger und Wächter dieses Wissens, das ihre Macht begründete und sicherte.

»So ist der Tod die Mitte eines langen Lebens«– Druiden und Seelenwanderung

Nach den Berichten antiker Autoren gehörte zum Wissen der Druiden die Lehre von einer Seelenwanderung und Wiedergeburt, für die der Tod nur eine kurze Übergangsstation darstellt. Nach Lucan bleibt der Geist, die  |171|Seele, gleich, um in einer neuen Gestalt Platz zu finden. Danach ist der Tod nicht mehr als »die Mitte eines langen Lebens«. Andere Zeugnisse sprechen von dem keltischen Brauch, bei der Verbrennung von Toten Briefe auf den Scheiterhaufen zu werfen, die an verstorbene Verwandte gerichtet seien. Dahinter stehe die Annahme, die Toten könnten in einer anderen Welt und als Wiedergeborene solche Post empfangen. Diese Verwendung der Schrift scheint demnach erlaubt gewesen zu sein. Wieder andere Quellen behaupten, dass man wegen der Unsterblichkeit der Seele die Rückzahlung von Krediten und alle Arten von Geldgeschäften auf das nächste Leben verschieben könne. Dagegen betont Caesar den kriegerischen Aspekt dieses Glaubens: »Der Kernpunkt ihrer Lehre ist, dass die Seele nach dem Tod nicht untergehe, sondern von einem Körper in den anderen wandere. Da so die Angst vor dem Tod bedeutungslos wird, spornt das ihrer Meinung nach die Tapferkeit ganz besonders an.«

Während so mancher Geschichtsschreiber der Mittelmeerwelt verwundert dergleichen Anekdoten erzählte, schwiegen sich die Druiden natürlich darüber aus. Zwar scheinen sie wie alle Kelten an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt zu haben, aber die genaueren Vorstellungen dieser Lehre sind unbekannt. Schon die Zeitgenossen des Fürsten von Hochdorf, der um 550 vor Chr. starb, bereiteten ihrem Herrn die oben beschriebene prächtige Grabkammer, die er offensichtlich als neue Wohnstätte nutzen sollte. Kritische Fragen nach dem Nutzen solcher prächtigen Beigaben, wo der Tote doch sowieso in der Welt wiedergeboren würde, dürften zu stark |172|der modernen Logik verpflichtet sein. Die gläubigen Kelten sahen die Grabkammer möglicherweise als luxuriöse Zwischenstation an. Andere Bestattungsbräuche wie die Totenverbrennung stehen dagegen auch logischen Erklärungen nicht im Weg und könnten sogar von den Druiden gefördert worden sein.

Anschauliche Darstellungen, wie man sich die Wanderung einer Seele und ihre Wiedergeburt vorgestellt haben könnte, bieten erst irische Erzählungen, die mehr als 1000 Jahre nach der Eroberung Galliens entstanden sind. Sie wortwörtlich mit der Lehre der Druiden gleichzusetzen wäre vermessen, denn das Christentum und viele Märchenmotive haben im frühen Mittelalter auch in irischen Geschichten deutliche Züge hinterlassen. Dennoch vermitteln diese Texte einen fantasiereichen Eindruck ferner Erinnerung, woran die Druiden geglaubt haben könnten.

In der Erzählung von Túan mac Cairill – Túan, dem Sohn Cairills – gibt der Held als »alter ehrwürdiger Gottesmann« seine Lebensgeschichte wieder, die sich über viele Jahrhunderte hinzog. Sie handelt von den zahlreichen Einwanderungen, die Irland im Mittelalter angedichtet wurden. Eine von ihnen überlebte Túan als Einziger seines Geschlechts. Lange irrte er in dem öden und menschenleeren Land umher, von Hügel zu Hügel, von Klippe zu Klippe und stets wachsam vor den Wölfen. Im Lauf der Jahre wurde aus dem Mann ein dürrer Greis, dem die Kraft zum Umherziehen fehlte und der sich in der Wildnis auf Felsen und in Höhlen einen Unterschlupf suchte.

|173|Als neue Siedler an der Küste landeten, versteckte er sich aus Furcht vor ihnen. Aber eines Nachts erblickte er im Schlaf sich selbst, wie er die Gestalt eines Hirsches annahm. Wieder jung und fröhlich sprach er die Worte: »Ein stolzes Geweih entwächst meinem Haupt, mit 60 Sprossen zu meiner Verteidigung, zu grauem Hirschfell wird meine Haut, ich werde stark, bin ungeschwächt vom Alter.« Als Hirsch wurde er das Leittier aller Hirschherden Irlands und zog durch das Land. Dann starben die Einwanderer aus, Túan alterte wieder und wurde uralt.

Erneut gingen die Jahre über den Greis hinweg. Da wurde ihm eines Tages am Eingang seiner Höhle bewusst, dass er ein weiteres Mal die Gestalt wechselte und zu einem Eber wurde. Diesmal zog er als junger starker Fürst aller Eberherden herum und durchlebte alternd die Jahre. Nach langer Zeit kehrte er alt und grau zu seiner Höhle heim, um sich wiederum zu verwandeln. Lange vegetierte er in seinem Versteck und erlebte abermals die Ankunft neuer Siedler. Da wurde aus ihm ein riesiger Seeadler, jung und stark. In dieser Gestalt flog er über das Land und erlebte Werden und Vergehen der Geschlechter. Dann verwandelte er sich in einen Lachs, den die Fischer eines Königs fingen. Er wurde geröstet und der Königin als Mahl serviert. Auf diese Weise gelangte er in ihren Bauch, wo er als Kind heranwuchs und geboren wurde.

Damit endet die Geschichte des irischen Helden Túan mac Cairill nach viele Seelenwanderungen durch Tierkörper mit seiner Wiedergeburt in menschlicher Gestalt. Jeden Gestaltwechsel erlebte und überstand er mit wachem Geist, der immer der Gleiche blieb. So oder ähnlich haben sich möglicherweise auch die gallischen Druiden des Festlandes die Ereignisse der menschlichen Seelenwanderung vorgestellt.

|170|Die Kelten und der Tod

Der Umgang der Kelten mit ihren Toten stellt einen der rätselhaftesten Aspekte ihrer Kultur dar.Die befremdlich wirkenden Opferbräuche, wie sie sich in nordostfranzösischen Funden offenbarten, wurden an anderer Stelle ausführlich geschildert. Sie wurden nur zeitweise betrieben und stellen darum lediglich ein einzelnes Phänomen dar.

Ansonsten zeichnete die keltische Bestattungsweise im Laufe der Jahrhunderte eine Vielfalt aus, die für den modernen Menschen ungewöhnlich ist, für frühgeschichtliche Völker aber durchaus üblich war. Denn sie zeigten sich gegenüber äußeren Einflüssen erstaunlich offen und übernahmen oft derenTotenbräuche.Wenn sie diese auch erst nach Generationen wechselten, ist man doch versucht, von modischen Trends zu sprechen. Dabei neigte man je nach Zeit und Ort einmal mehr zur Bestattung des Körpers,ein anderes Mal mehr zu dessen Verbrennung. Letztere war gegen Ende der Bronzezeit unmittelbar vor der Epoche der Kelten üblich gewesen, weshalb man diese Zeit als Urnenfelderzeit bezeichnet.

Die Fürsten der späten Hallstattzeit und der sich anschließenden Jahrhunderte wurden hingegen unter hoch aufragenden Grabhügeln in holzverkleideten Kammern |171|beigesetzt – wofür das Grab von Hochdorf das beste Beispiel gibt. Allem Anschein nach sollte sich darin der edleVerstorbene so wohl fühlen wie in seiner schönsten irdischen Behausung, was die Fülle wertvoller Grabbeigaben verdeutlicht. Die Belegzahlen derartiger Grabhügel schwankten zwischen Einzel- und Mehrfachbestattungen, wobei sich manchmal ein Paar die Grabkammer teilte. Genauso schuf man in einem bestehenden Grabhügel zusätzlichen Raum für Verstorbene. Anstelle dieser berühmten künstlichen Erdaufschüttungen kamen anschließend in der La Tène-Zeit die unscheinbareren Flachgräber auf.

Auf dieseWeise wechselten immer wieder die Bestattungsbräuche, die darüber hinaus je nach der gesellschaftlichen Schicht des Toten unterschiedlich sein konnten. So pflegten die Keltiberer in Spanien die gewöhnlichen Toten zu verbrennen, während man die Überreste der gefallenen Krieger für die Geier liegen ließ. Unter den Galliern war es gegen Ende ihrer Unabhängigkeit wieder üblich geworden, die Toten zu verbrennen. Davon berichtet Caesar auch im Gallischen Krieg: »Die Begräbnisse sind imVerhältnis zur sonstigen gallischen Lebensweise sehr prächtig und aufwändig. Alles, was dem Toten vermutlich lieb war, werfen sie auf den Scheiterhaufen, auch Tiere und bis vor kurzem noch Sklaven und Clienten, von denen feststand, dass der Tote sie geliebt hatte. Nach den feierlichen Beerdigungsriten werden |172|sie zusammen mit dem Verstorbenen verbrannt.« Schon die antiken Zeitgenossen der Kelten taten sich mit deren Bestattungsbräuchen schwer und unterstellten ihnen teilweise sogar Kannibalismus – was prinzipiell nicht zu verneinen ist, aber archäologisch auch noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Menschenopfer, wie Caesar sie beschreibt, und Formen der Witwentötung hat es wahrscheinlich gegeben – wie in anderen Kulturen auch. Für die meisten Missverständnisse sorgte ein teils sorgloser,teils zuerst unverständiger Umgang mit den Toten, wie er sich auch in den Heiligtümern Nordfrankreichs nachweisen ließ. Denn bis heute weiß man zwar viel über die Beisetzungen der Häuptlingsschicht, während oft noch unklar ist, was mit denVerstorbenen der Masse der Bevölkerung geschah. Jedenfalls fand man menschliche Knochen sogar in Abfallgruben. Ebenso seltsam wirkt die andernorts beschriebene Sitte, Tote gewissermaßen zwischenzulagern und dann ihre Gebeine fein säuberlich nachArten zu ordnen.Über die dahinter stehenden religiösenVorstellungen kann wegen des Fehlens sonstiger Quellen nur spekuliert werden. Aber wie sollte der Kommentar eines Griechen oder Römers von Nutzen sein, dem derartige Sitten der Kelten ebenso unverständlich blieben wie den Archäologen der Gegenwart.

|173|Herkunft und Wesen der Druiden

Die Priester der Kelten entpuppen sich als mehrgestaltig und nur schwer greifbar. Denn einerseits gibt es keinen Zweifel an ihrer Existenz und ihrem mächtigen Einfluss – aber andererseits gibt es keine archäologischen Spuren, die mit absoluter Gewissheit auf die Druiden weisen. Am ehesten glaubt man ihnen Diademe und Kopfschmuck aus Bronzeblech sowie Lanzen und Szepter als Symbole ihres Amtes zusprechen zu können. Der Fund einer Opferstätte an einem See auf der Insel Anglesey gilt als Beleg druidischer Opfer, zu denen Schwerter, Speere, Schilde und ganze Streitwagen gehörten. Die Insel war, wie erwähnt, unter dem antiken Namen Mona ein berühmtes Druidenzentrum der Britischen Inseln, dessen Eroberung durch die römischen Truppen Tacitus anschaulich geschildert hat.

|174|Überhaupt sahen die antiken Geschichtsschreiber die keltischen Priester als barbarische Vollstrecker blutiger Rituale an, aber auch als weise Gelehrte, die sie mit den griechischen Philosophen verglichen. In Athen und Alexandria behauptete man sogar, philosophische Studien seien zuerst von den Barbaren betrieben worden. Dazu wurden neben persischen und babylonischen Magiern sowie den weisen Männern Indiens auch die gallischen Druiden gezählt. Diese Auffassung findet eine gewisse Bestätigung bei Marcus Tullius Cicero, der als Zeitgenosse Caesars einer der führenden römischen Politiker und Intellektuellen war. Als sich der schon des Öfteren genannte Haeduerfürst und Druide Diviciacus im Jahr 61 vor Chr. in Rom aufhielt, stattete er auch dem einflussreichen Cicero einen Besuch ab. Dabei ging es anscheinend nicht nur um die gallischen Stammesquerelen, sondern ebenso um philosophische Fragen. Denn der Römer schreibt, Diviciacus habe ihm erklärt, dass ihm die Erforschung der Natur der Dinge, von den Griechen Physiologa genannt, bekannt sei. Auch behauptete er, die Zukunft vorauszusehen, sei es durch Vorzeichen, sei es, dass er sie erahne.

Manchen griechischen und römischen Gelehrten erinnerten die Druiden an die ursprünglich in Süditalien beheimatete Philosophenschule des Pythagoras. Auch deren Angehörige umgaben sich mit dem Schleier des Geheimnisvollen und glaubten an eine Seelenwanderung nach dem Tod. Zudem zogen die so genannten Pythagoräer weit herum und gewannen in Teilen der Mittelmeerwelt viele Anhänger. In der griechischen Kolonie Massalia und in ihrer Nachbarschaft hätte schon um 500 vor Chr. die Möglichkeit bestanden, Vertretern der keltischen Oberschicht die Lehren aus dem Süden zu vermitteln.

Aber in den Druiden nur Ableger einer griechischen Philosophenschule zu sehen, scheint ihnen nicht gerecht zu werden – genauso wenig wie das Klischee der Misteln erntenden Naturpriester. Gleichwohl bildete beides einzelne Facetten des bunten Bildes, das von ihnen überliefert wird. Wie in der gesamten keltischen Kultur traf sich in ihrem Amt Altes mit Neuem und Fremdes mit Eigenem. Die Druiden sahen sich in einer langen Tradition stehend, die in Einzelheiten vielleicht sogar auf fernes vorgeschichtliches Schamanenwissen zurückzuführen war. Sie kannten ohne Zweifel viele Geheimnisse der natürlichen Mächte. Darin mögen sie die Nachfahren der frühkeltischen Herrscher von Hochdorf oder Vix gewesen sein, die nicht nur als Fürsten, sondern auch als Priesterkönige angesehen wurden. Nach der Entmachtung dieser Häuptlingsschicht könnten die Druiden deren Wissen und die religiösen Aufgaben übernommen haben. Auch sie waren weltoffen und nahmen Einflüsse der südlichen und östlichen Kulturen auf, etwa der Griechen und Etrusker oder der Skythen aus den eurasischen Steppen. Doch trotz aller wissenschaftlicher und spekulativer Bemühungen |175|ist es ihnen bis in die Gegenwart gelungen, in einem Nebel voller Geheimnisse verborgen zu bleiben.

Kopfjagd und Schädelkult – Die Passion keltischer Krieger

Wie weit die Druiden am ausgeprägten Schädelkult der Kelten beteiligt waren, ist nicht bekannt. Allerdings wurde er in erster Linie von den Kriegern gepflegt, wie der Historiker Diodor zur Zeit der Eroberung Galliens berichtet. Nach seiner Schilderung war es für einen keltischen Kämpfer eine Ehrensache, einem besiegten Feind den Kopf abzuschlagen. Eine derartige Trophäe genoss umso mehr Wert, je größer Ruhm und Tapferkeit des Gegners gewesen waren. Dessen Kriegsbeute band man sich an den Sattel und kehrte damit voller Stolz auf seinen Hof oder in das Oppidum zurück. Dort nagelte man den Schädel an den Hauseingang, damit er allen von der Ruhmestat des Bewohners kündete. »Gerade so, als ob sie auf der Jagd Wild erlegt hätten«, wie der antike Gewährsmann mit Abscheu feststellt. Die Köpfe der vornehmsten Feinde wurden einbalsamiert und sorgfältig in einer Truhe aufbewahrt. Auf den vielen Gelagen zeigte sie der Gastgeber seinen Gästen und brüstete sich damit, dass für diesen Kopf einem seiner Vorfahren, seinem Vater oder auch ihm selbst viel Geld geboten worden sei, sie es aber nicht genommen hätten. Manche prahlten damit, selbst Gold im gleichen Gewicht hätten sie für einen solchen Kopf nicht angenommen.

Für die Römer war dies ein barbarischer Brauch, den sie nur mit Widerwillen zu schildern vermochten. Von Reisenden ins Keltenland wird berichtet, wie unerträglich und Ekel erregend die Relikte dieses Schädelkultes für sie gewesen seien. Die römische Feindschaft gegenüber den Kelten machte sich neben deren traumatisch empfundener Einnahme Roms 387 vor Chr. besonders an der Kopfjagd fest. Ihr waren während der Kämpfe in Italien auch einige edle Römerköpfe zum Opfer gefallen. So erbeuteten die keltischen Boier im Jahr 216 vor Chr. den Schädel des römischen Feldherrn Lucius Postumius, den sie präparierten, in Gold fassten und anschließend als wertvolles Trinkgefäß verwendeten. Dass Kopfjagd auch noch zu Caesars Zeit üblich war, belegt die keltische Münze, die den Haeduer Dumnorix mit einem erbeuteten Kopf in der Hand zeigt. Caesar verschweigt im Bellum Gallicum diese Sitte, die in Rom Zweifel hätte aufkommen lassen an der vermeintlichen Zivilisierbarkeit des Landes. Bezeichnend war, dass das Verbot der Kopfjagd zu den strengsten römischen Einschränkungen unter den eroberten Galliern gehörte. Und sogar dieses Verbot wurde nicht immer befolgt: Anscheinend konnten manche keltischen |176|Hilfstruppen Roms im Kampfrausch nicht von dem alten Brauch ablassen und schnitten ihren Feinden wie gewohnt die Köpfe ab.

Dabei zeugte diese Sitte beileibe nicht von einer Missachtung des Besiegten. Denn der Schädel galt als Sitz seiner besten Tugenden, etwa seines kriegerischen Wagemuts. In ihm wohnte magische Kraft, die ihn zu einem besonders mächtigen Objekt machte. Deshalb durfte er nicht in die Hände der Feinde fallen. Nagelte man ihn über die Haustür oder an einen Pfosten, brüstete man sich nicht nur mit seinem Erfolg als Krieger. Ein solcher Kraftschädel konnte auch Unheil von seinem neuen Besitzer abwehren. Vorstellungen dieser Art pflegten die Kelten in besonders starkem Maße, sodass man sich schon an eine regelrechte Schädelmanie erinnert fühlt. Der Einzelne trug Splitter eines Schädelknochens als Talisman stets bei sich, und im Keltenland musste man immer gewärtig sein, auf menschliche – genauer gesagt männliche – Köpfe zu stoßen: an Hauswänden und Pfählen, in Heiligtümern und an Toren zu den Oppida. So schmückten Schädel etwa das Osttor der großen Keltensiedlung von Manching.

In der Kunst stellten abgschnittene Köpfe eines der Lieblingsmotive dar, das sich in keltischen Ländern sogar noch an christlichen Kirchenfassaden findet. In Irland hatte sich die Kopfjagd selbst nach der Einführung des Christentums noch länger erhalten. Dort kämpften die Krieger bis ins Mittelalter um ihre Köpfe, deren Trophäen man an den Sätteln oder auf Lanzenspitzen mit sich führte. Ihre Heldengeschichten zeugen zudem von der poetischen Vorliebe für die Kopfjagd, die in den Dichtungen der grünen Insel allenthalben auftaucht.

Dementsprechend sitzen auch in den Erzählungen um CúChulainn, Irlands berühmteste Heldenfigur, die Köpfe der Krieger stets locker. Um dies zu veranschaulichen, sei die Episode von Etarcumul wiedergegeben, einem fröhlichen und übermütigen Jüngling: Gemeinsam mit CúChulainns Pflegevater Fergus sucht er dessen kampfstarken Pflegesohn auf, der zwar erst wenige Lebensjahre zählt, den aber seine Wutanfälle zu einem gefürchteten Gegner machen. Darum ist es unvermeidlich, dass sich der junge Held von Etarcumuls herausfordernden Blicken provoziert fühlt. Allein die Begleitung des Fergus gewährleiste ihm Sicherheit. »Sonst, ich schwöre bei meinen Göttern, die ich anbete, wenn es nicht wegen Fergus’ Ehre wäre, würden nur deine zerkleinerten Knochen und deine zerstückelten Glieder wieder in das Lager zurückkommen!« Doch Etarcumul will keine Schonung, sondern sucht hitzköpfig den Kampf. Daraufhin verabreden sich die beiden am nächsten Tag zum Zweikampf. Als der Herausforderer seinen – typisch keltischen – Streitwagen besteigt, reizt ihn sein Wagenlenker, den Kampf sofort zu suchen.

Dies lässt sich der jugendliche Krieger nicht zweimal sagen: »Lenk uns den Wagen wieder zurück, Bursche, denn ich schwöre bei den Göttern, die |177|ich anbete, nimmermehr werde ich zurückkehren, bis ich nicht den Kopf jenes jungen Wilden zur Schau stellend mit mir bringe, den Kopf Cú-Chulainns!« An einer Furt kommt es zum Kampf, in dem sich Etarcumul als der bei weitem Schwächere erweist und von seinem Gegner geradezu der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Doch CúChulainn schont sein Leben, bis sich Etarcumul weigert, den Kampf aufzugeben: »Ich werde nicht gehen, wir wollen weiter miteinander kämpfen, bis ich deinen Kopf und den Sieg über dich und den Ruhm über dich davontrage, oder bis du meinen Kopf und den Sieg über mich und den Ruhm über mich davonträgst!« Da versetzt ihm CúChulainn einen gewaltigen Hieb quer durch den Kopf bis zum Nabel und durchtrennt seinen Körper mit einem zweiten Querhieb, »sodass auf ein Mal seine drei geteilten Stücke auf die Erde fielen«. Auf diese Weise starb Etarcumul; dass sein Schädel zweigeteilt wurde, muss der dichterischen Ausschmückung zugeschrieben werden.

Eine andere Erzählung bietet ein Beispiel dafür, wie unter den irischen Geschichtenerzählern des Mittelalters sogar das Thema der Konservierung bekannt war. In der Dichtung vom Tod Conchobars, des Königs von Ulster, wird der folgende bizarre Brauch geschildert: »Zu jener Zeit war es bei den Männern von Ulster Sitte, jedem Helden, den sie im Zweikampf getötet hatten, das Gehirn herauszunehmen, es mit Kalk zu mischen und harte Bälle daraus zu formen. Wenn sie dann über ihre Kriegstaten stritten, wurden ihnen die Bälle in die Hand gegeben.« Ein derartiges Heldengehirn stiehlt Cet mac Mágach, der zu den mit Ulster verfeindeten Connachtern zählt. Als es zwischen beiden Reichen zur Schlacht kommt, legt er die steinharte Kugel in seine Schleuder und schießt sie auf Conchobar. Sie dringt in dessen Kopf ein und bleibt darin stecken. Sieben Jahre lebt der König von Ulster mit dem Gehirn eines anderen im Schädel. Schließlich geschieht, was er nach ärztlichem Rat stets vermeiden muss: Er erregt sich und wird derart wütend, dass die fremde Hirnkugel nebst seinem eigenen Gehirn aus dem Kopf springt. Das bringt ihm den Tod.

Die irisch-keltische Literatur überliefert etliche Geschichten und Episoden dieser Art, die auch den Erzählungen der Waliser nicht fremd waren. Über sie fanden sie Eingang in die Sagen um König Arthur und die Ritter der Tafelrunde. Noch in dem oben erwähnten Werk des Sir Thomas Malory bevorzugen es die edlen Kämpfer, ihren Feinden die Köpfe abzuschlagen. Sie stellen eine ferne Erinnerung an keltische Kriegersitten dar. Kopfjagd und Schädelkult gab es in der Geschichte der Menschheit zu allen Zeiten und in vielen Kulturen – die Kelten haben diesen Brauch möglicherweise bei den Skythen der östlichen Steppen kennen gelernt und von ihnen übernommen. Aber nur selten wurde er derart intensiv gepflegt und überliefert wie unter den keltischen Stämmen des europäischen Festlands und der Britischen Inseln.

|178|»Barbarische Riten, grässliche Opfer und Menschenblut«

Das Heiligtum von Roquepertuse gibt der Forschung seit dem 19.Jahrhundert Rätsel auf. So auch der Porticus und die kopflose Sitzstatue in Buddhahaltung, die als Attribut einer Gottheit angesehen wurde.

Caesar hebt hervor, dass die gallischen Stämme ein sehr religiöses Volk seien – eine Aussage, die mit Sicherheit für alle Kelten zutraf. Dafür spricht nicht nur die Bedeutung der Druiden, sondern auch die Vielzahl der Plätze, an denen man Gottheiten verehrte und ihnen Opfer darbrachte. Der römische Dichter Lucan beschreibt ein heiliges Waldstück, das einstmals in der Nähe Massalias große Verehrung genoss: »Dort existierte ein Hain, der seit undenklichen Zeiten nicht entweiht worden war. Die ineinander verflochtenen Zweige umhüllen trübe Luft und kalte Schatten, indem sie dem Sonnenlicht den Zugang verwehren. Das ist kein Hain eines ländlichen Pan oder des Waldgottes Silvanus oder der Nymphen, vielmehr ein Ort der Kulte von Göttern barbarischer Riten, von Altären, die mit grässlichen Opfergaben versehen sind, und jeder Baum ist mit Menschenblut geheiligt … Die Vögel fürchten sich, auf diesen Zweigen zu sitzen, die wilden Tiere fürchten sich, in diesem Dickicht zu lagern. In diesen Wald ist kein Windstoß noch ein Donnerkeil aus schwarzen Wolken hineingefahren. Von selbst bebt das Laub, obschon es keine Brise rührt. Wasser ergießt sich aus schwarzen Quellen. Die schrecklichen und kunstlosen Götterbilder stehen da wie gestaltlose Baumstämme. Erstaunlich sind der Verfall und die Weiße des verrottenden Holzes. Das Volk, das Götter in gewöhnlicher Gestalt verehrt, fürchtet sich nicht so; vielmehr lässt die Unkenntnis der Götter, die es fürchtet, deren Schrecken wachsen|179|. Gerüchte gehen, dass unterirdische Höhlen im Erdbeben grollen, dass Eiben stürzen und sich wieder erheben, dass Flammen in den Bäumen erscheinen, ohne dass sie in Feuer stehen, und dass sich Schlangen um die Stämme ringeln. Das Volk sucht diesen Ort nicht zu Alltagsriten auf, sondern lässt ihn den Göttern. Wenn die Sonne im Mittag steht oder die schwarze Nacht die Himmel beherrscht, dann wagt sich auch der Priester nicht in die Nähe, aus Angst, den Herrn des Hains zu überraschen.«

Auch dieser Doppelkopf wurde auf dem Areal von Roquepertuse gefunden. Nach neuesten Erkenntnissen ist er im 5. Jahrhundert vor Chr. entstanden. Zwischen den Köpfen Reste einer Blattkrone.

Dieses eindrucksvolle und Schrecken erregende Szenario lässt die folgenden Worte des Dichters durchaus glaubwürdig erscheinen. Danach befahl der Krieg führende Caesar, die Bäume zu fällen, weil er Bauholz benötigte. Doch seine ansonsten stets tapferen Legionäre zeigten eine solche Scheu vor dem grauenvollen Hain, dass der Feldherr persönlich die ersten Axthiebe anbringen musste. Auch wenn Lucan das Schaurige dieses Ortes dichterisch ausgeschmückt hat, so bringt er doch das Fremdartige und Bedrohliche des Hains glaubhaft zum Ausdruck. Verglichen mit den lichten und erhabenen Tempeln der Griechen und Römer schien er eine völlig andersartige Welt zu repräsentieren, die selbst in den Hainen Pans und der Nymphen ihresgleichen suchte.

Schon 200 Jahre vor der Zerstörung des heiligen Hains fanden sich in der Provence Heiligtümer, die den Einfluss keltischer Kultur und Religion verdeutlichten. Das bekannteste, auf dessen Überreste man in Roquepertuse bei Aix-en-Provence stieß, lag im Gebiet der Ligurer. Sie waren ein seit langem dort siedelndes Volk, das viele Elemente benachbarter Kulturen wie der Gallier und Etrusker aufnahm. Sie kannten schon frühzeitig Steinbauten und waren meisterliche Steinmetze, deren Skulpturen die Gestalten ihrer religiösen Vorstellungen darstellten. In Roquepertuse errichteten sie unterhalb einer befestigten Siedlung, auf einer felsigen Anhöhe gelegen, eine offensichtlich heilige Stätte. Deren Mittelpunkt, ein steinernes Gebäude mit bemalten Wänden, betrat der Besucher durch eine breite Öffnung, die drei Pfeiler stützten. Statuen stellten einen Raubvogel dar, weiterhin im so genannten Buddhasitz thronende Gottheiten und |180|mindestens eine Figur, deren zwei voneinander abgewandte Köpfe an den römisch Gott Janus erinnerten. Die Wände schmückten Bilder von Pferden, Schlangen und Fabelwesen. Fiel dann der Blick nach draußen, blieb er an den Innenseiten der Pfeiler haften. Denn in ihnen hatte man Nischen angebracht, aus denen mehrere Totenschädel den Betrachter anstarrten. Spätestens da mochte sich ein Römer mit Grauen abwenden und erkennen, dass er in eine barbarische Welt vorgedrungen war.

Doch als die Provence erobert und römische Provinz wurde, lag das Heiligtum von Roquepertuse schon lange in Trümmern. Um 200 vor Chr. war es zerstört worden und in Flammen aufgegangen. Wer dies aus welchen Gründen tat, ist nicht bekannt; die antiken Geschichtsschreiber schweigen sich darüber aus. Die Ereignisse jenseits ihrer Grenzen erweckten noch nicht ihre Neugier – so nah Marseille auch lag. Der keltischligurische Tempel fiel wahrscheinlich einem der vielen Stammeskämpfe zum Opfer, deren Krieger nicht einmal vor heiligen Orten Scheu zeigten. Denn sie lebten in einer Welt ständigen Wandels, in der religiöse Gepflogenheiten nicht unantastbar waren.

Tempel, Haine, heilige Plätze … und Menschenopfer

Die Kelten kannten eine Vielzahl verschiedener Heiligtümer und heiliger Orte, an denen sie die Gottheiten und numinosen Mächte verehrten und ihnen Opfer darbrachten. Dazu gehörten seit alters her und überall, wo sie siedelten, Höhlen, markante Anhöhen, Berge, Quellen und Gewässer ebenso wie heilige Haine. Einen solchen Wald bezeichneten sie als Nemeton und übertrugen den Namen auf Tempel und deren Bezirke, die aus Holz und Fachwerk bestanden.

An diesen heiligen Plätzen opferten sie wie etwa in La Tène am Neuenburger See alle Arten von Waffen, aber auch ganze Streitwagen, prächtige Schilde und Schmuck. Eifrig gepflegt wurden darüber hinaus Tieropfer, wozu unter anderem Pferde, Schweine und Hunde gehörten. Schließlich besteht kein Zweifel daran, dass die Kelten auch Menschenopfer vollzogen, um die Götter gnädig zu stimmen. Diese Tatsache sowie seltsame, heute schwer zu verstehende Bestattungssitten riefen bei den Römern ungläubiges Kopfschütteln hervor. Dementsprechend schilderten ihre Autoren die für sie wahrhaft barbarischen Bräuche in geradezu bluttriefenden Bildern.

Gemäß Caesars Ausführungen im Bellum Gallicum weihten die gallischen Stämme einem Gott alles, was sie im Krieg zu erbeuten hofften. War der Sieg dann ihrer, opferten sie ihm alle erbeuteten Lebewesen, während |181|sie das Übrige an einer Stelle zusammentrugen. Deswegen konnte man bei vielen Stämmen Hügel in der Nähe geweihter Orte sehen, die sie aus diesen Beutestücken errichtet hatten. Es geschah nur selten, dass einer sich gegen die Religion verging und Beute bei sich versteckte oder aber wagte, Weihegeschenke wegzunehmen, wenn sie schon niedergelegt worden waren. Auf diese Tat stand als Strafe härteste Folter und Tod.

Wer von schwerer Krankheit befallen war oder sich in Krieg und Gefahr befand, opferte, so fährt Caesar fort, Menschen anstelle von Opfertieren oder gelobte solche Opfer. Die Druiden führten diese Opfer durch, denn die Gallier glaubten, der Wille der unsterblichen Götter könne nur besänftigt werden, wenn für das Leben eines Menschen ein anderes eingesetzt würde. Auch in offiziellen Stammesangelegenheiten pflegten sie Opferbräuche der gleichen Art. Einige Stämme besaßen Opferbilder von ungeheurer Größe, deren Glieder durch Ruten untereinander verbunden waren, die sie mit lebenden Menschen ausfüllten. Dann wurden laut Caesar die Götterbilder angezündet, sodass die Menschen in den Flammen umkamen.

Anderen Zeugnissen zufolge wandte man unterschiedliche Opfermethoden an, entsprechend der Gottheit, der der Mensch geweiht werden sollte. Danach war der Gott Teutates nur zufrieden, wenn ein Mensch kopfüber in einen gefüllten Bottich gesteckt wurde, sodass er darin erstickte. Für Esus musste das Opfer so lange an einem Baum aufgehängt werden, bis sich seine Glieder in eine blutige Masse aufgelöst hatten. Dagegen verbrannte man dem Taranis einige Menschen in einem hölzernen Behältnis. Außerdem schoss man auf bestimmte Opfer mit Pfeilen, man kreuzigte sie in den Tempeln oder errichtete ein riesiges Gebilde aus Stroh und Holz, stellte allerlei Haus- und Wildtiere sowie Menschen hinein und veranstaltete dann ein Brandopfer. Der bereits erwähnte Diodor aus Sizilien bemerkt in prägnanter Kürze zu diesem Thema: »Ihre Verbrecher halten sie fünf Jahre lang gefangen, bringen sie dann auf Pfähle gespießt den Göttern dar und verbrennen sie mit vielen anderen ausgewählten Opfergaben, wofür sie riesige Scheiterhaufen errichten. Sie schlachten auch ihre Kriegsgefangenen wie Opfertiere zu Ehren der Götter.«

Es überrascht nach dieser Galerie des Schreckens kaum, dass den Bewohnern auf den Britischen Inseln sogar Kannibalismus nachgesagt wurde. Aber diese Schreckensbilder schienen doch überwiegend der Fantasie antiker Geschichtsschreiber zu entspringen, die mit den so völlig andersartigen Sitten und Bräuchen der vermeintlichen Barbaren nichts anzufangen wussten. Sie schufen mutmaßlich ein Arsenal von Klischees, hinter dem das historisch reale Volk der Kelten kaum noch erkennbar war. Deshalb hoffte man auf archäologische Funde, deren Analyse der geschichtlichen Wahrheit gerechter zu werden versprach. Auf ihren Erkenntnissen basieren die folgenden Rekonstruktionen.

|182|Die Wache der kopflosen Krieger

Im Nordosten des alten Gallien, fast schon im Grenzgebiet zu den Belgern, hatten die einheimischen Stämme mehrere große Heiligtümer angelegt. Obwohl sie zur Zeit der römischen Eroberung längst aufgegeben worden waren, hätten sie Reisende und Händler vom Mittelmeer auch früher aufsuchen können – wenn man den Fremden einen Besuch überhaupt erlaubte. Die Eindrücke, die man etwa in dem Nemeton von Ribemont-sur-Ancre gewinnen konnte, waren selbst für einen Römer schwer zu verdauen – von einem modernen Mitteleuropäer ganz zu schweigen.

Man ging auf ein Areal zu, das auf einem Abhang oberhalb eines kleinen sumpfigen Flusses gelegen war. Eine übermannshohe Palisade und ein Graben schützten das Innere und verbargen es vor neugierigen Blicken. Den Zutritt gewährte nur ein mächtiges hölzernes Eingangsportal, an dessen Galerie und Pfosten man menschliche Totenschädel angebracht hatte. Wenn der Besucher durch dieses makabre Spalier hindurchgeschritten war, erblickte er ein System von Einfriedungen, die wiederum aus Palisaden und tiefen Gräben bestanden. Dahinter lagen Heiligtümer, Opferplätze und überdachte Bauwerke. Darüber hinaus bot sich einem Fremden ein völlig ungewohnter Anblick, den er im dort herrschenden Gestank intensiver Verwesung kaum zu fassen vermochte.

Denn an den hohen Holzwänden sah man menschliche Überreste, die offensichtlich als Trophäen zur Schau gestellt wurden: einzelne Knochen, etwa von Arm und Bein, aber auch vollständige Körperpartien, die aus der unteren oder oberen Körperhälfte bestanden. Dass diese Skeletthälften noch mit Waffen versehen waren, erwies sie als Reste keltischer Krieger. An anderen Stellen des Heiligtums hatte man menschliche Langknochen mit denen von Pferden genau geordnet und säuberlich zu einem ziemlich gleichmäßigen Viereck von 1 Meter Höhe geschichtet. Gleichzeitig sah man Männer, die andere Knochen peinlich genau reinigten, zertrümmerten und schließlich verbrannten.

Woher diese menschlichen Gebeine kamen, zeigte dem Betrachter eine Art Halle, die keine Seitenwände hatte. Dort erblickte man in mehreren Metern Höhe ein Podest, das nach allen Seiten geöffnet war. Auf ihm hielten 60 keltische Krieger regelrecht Wache – mit ihren vollständigen Ausrüstungen, die Schwerter umgegürtet, die Schilde vor sich und die Speere hoch erhoben. Aber alle Kämpfer waren tot und ohne ihren Kopf. Ihre Körper befanden sich im Zustand der Mumifizierung, und viele von ihnen hatten schon einzelne Gliedmaßen verloren.

Allem Anschein nach brachte man gefallene Krieger in das Heiligtum von Ribemont-sur-Ancre, um ihre kopflosen Überreste einem langsamen und vollständigen Auflösungsprozess auszusetzen und ihn durch gewisse  |183|Eingriffe sogar zu befördern. Vorher hatte man den Getöteten den Kopf als wertvollste Kriegstrophäe abgetrennt. Die übrigen Körper hielten dann im vollen Kriegerornat ihre bizarre Wache, bis die Leichen auf ihrem luftigen Podest austrockneten und mumifizierten. Allmählich verfielen sie und wurden schließlich von aller Haut und den Sehnenresten bis auf den blanken Knochen befreit. Am Ende stand die bereits erwähnte Verbrennung der Reste.

So stellt man sich das Gebäude mit den kopflosen Kriegern von Ribemont-sur-Ancre vor. In vielen Teilen der Keltenwelt pflegte man zeitweise einen ungewöhnlichen Umgang mit den Toten.Es war üblich, dieToten zu zerstückeln – nicht aus Grausamkeit oder mangelnder Ehrfurcht, sondern um bestimmten Ritualen Genüge zu tun.

Die Leichen mehrerer hundert enthaupteter Krieger waren diesen Weg gegangen. Sie stellten mit ihrer Ausrüstung nebst den Waffen eine reiche Opfergabe dar – für eine Gottheit, die man sich wahrscheinlich in der Erde oder in den nahen Sümpfen dachte. Dass diese Sitte überall unter den Kelten gepflegt wurde, ist unwahrscheinlich. Im nördlichen Gallien kam sie jedenfalls um 100 vor Chr. außer Gebrauch. In der heiligen Kultstätte wurden noch in der gallo-römischen Zeit die Götter verehrt – allerdings mit weniger gespenstischen Ritualen, die das Imperium Romanum tolerieren konnte.

Im benachbarten Gournay-sur-Aronde stand ein ähnliches Heiligtum, ebenfalls in der Nähe eines versumpften Flussufers. Dort opferten die Bellovaker massenhaft Rinder, Schweine und Schafe, deren Kadaver und  |184|Knochen in etlichen Gruben deponiert wurden. Auch sie lagerten und zerstückelten die Leichen feindlicher Krieger, deren Überreste und Waffen sie als Trophäen innerhalb der Kultstätte aufstellten. Dazwischen war das Allerheiligste den Priestern vorbehalten, während sich die Männer und Frauen der benachbarten Siedlung wahrscheinlich an besonderen Festtagen zum Opfermahl versammelten. Der Verwesungsgeruch und die unmittelbare Nähe menschlicher Überreste dürften sie nicht gestört haben; offenbar verbanden sie die Nähe des Todes nicht nur mit Unterweltsgöttern, sondern auch mit Gedanken an Fruchtbarkeit und Wiedergeburt.

Rekonstruktion des Heiligtums von Gournay-sur-Aronde aus dem 2. Jahrhundert vor Chr. Bei den Tieropfern bevorzugte man wie bei Menschen bestimmte Skelettteile. Besonders Rinderschädeln schrieb man eine Unheil abwehrende Bedeutung zu und befestigte sie deshalb am Porticus.

Zu welchen rätselhaften Ritualen der keltische Toten- und Opferkult jener Zeit führte, zeigt ein Beispiel aus den Ardennen. Dort hatte ein gallisches Dorf in Acy-Romance sein Nemeton bei einem uralten Grabhügel errichtet, der aus der vorkeltischen Bronzezeit stammte. Die Menschen sahen in ihm im 2. Jahrhundert vor Chr. vermutlich ein Denkmal der Vorfahren oder göttlicher Mächte.

Um ihre Gunst zu gewinnen, zwängte man die Leichen junger Männer derart in Holzkisten, dass der Einzelne zusammengekrümmt darin saß und den Kopf zwischen den Beinen hatte. Auf diese Weise wurde er längere Zeit in einem trockenen Brunnenschacht gelagert, bis sein Körper alle Flüssigkeit verloren hatte und die Kleider verrottet waren. Nach einer weiteren Austrocknungszeit an einem luftigen Ort setzte man den Leichnam in seinem »Buddhasitz« endgültig bei. Einem anderen Mann fesselte man die Hände, zwang ihn, sich niederzuknien, und tötete ihn mit einem Axthieb. |185|Sein Skelett wurde nach mehr als 2 000 Jahren in einer Vorratsgrube gefunden.

Derartige Funde scheinen die keltischen Opfermassaker zu bestätigen, die von antiken Geschichtsschreibern mehrmals geschildert wurden. Dabei ist die unbestreitbare Tatsache, dass unter den Kelten Menschenopfer möglich waren, nur ein Teil der historischen Wahrheit. Zahlreiche Missverständnisse und Klischees der Römer wurzelten in einem völlig andersartigen Umgang mit den Toten. Ihre herausragende Behandlung, wie sie in den erwähnten Fällen beschrieben wurde, kann nämlich auch von besonderer Hochachtung zeugen. Wo es üblich war, die meisten Leichen einer Siedlung zu verbrennen oder sie achtlos verwesen zu lassen, kam einer langjährigen und arbeitsintensiven »Behandlung« eine Bedeutung zu, die wohl nur dem Stammesadel gebührte. Nur seine Angehörigen hatten wahrscheinlich ein Recht auf das Ritual der Austrocknung. Doch ob feindlicher Krieger, unschuldiges Opfer oder angesehener Aristokrat – der keltische Umgang mit den Toten ist dem Europäer des 21. Jahrhunderts genauso rätselhaft und abstoßend wie dem Römer 2 000 Jahre früher. Und dennoch: Für etliche Stämme der Kelten stand hinter diesen Ritualen der adäquate Umgang der Menschen mit den Göttern.

Überall im nordöstlichen Gallien endeten derartige Bräuche um das Jahr 100 vor Chr. – mutmaßlich wegen vordringender römischer Einflüsse. Wo Menschenopfer gepflegt worden waren, trat jetzt die verstärkte Opferung von Haustieren an ihre Stelle. Dabei konnten während einer Zeremonie bis zu 150 Schafe abgeschlachtet werden – auch ihrer bedurfte es anscheinend viele, um die Götter zufrieden zu stellen.

Bei aller Ungewissheit über die genaue Bedeutung solcher Opfer gilt es als sicher, dass eine Priesterschicht notwendig war, um die zahlreichen Rituale entsprechend den göttlichen Geboten auszuführen. Wer außer den Druiden hätte die Zeremonien veranstalten können? Kein Schritt durfte falsch getan und kein Wort unnütz gesprochen werden, denn davon hingen das Gedeihen und die Existenz der Stammesgemeinschaft ab. Die Druiden allein verfügten über das komplizierte Wissen. Und sie hatten Kenntnisse von der Anatomie des Menschen, die bei dessen ritueller Zerstückelung angewandt wurden.

Im Umfeld der großen Kultplätze ist man auf Gräber einzelner Männer gestoßen, in denen man Angehörige der Druidenkaste zu identifizieren glaubt, weil zu deren Grabbeigaben Äxte und große Messer gehörten, mit denen Tier- und Menschenopfer durchgeführt wurden. Kleine Bronzepfannen dienten der rituellen Reinigung und wurden mit Scheren und anderen Werkzeugen ergänzt. Auch die Kriegerausrüstung hatte man den Toten mitgegeben, wobei allerdings die Schwerter wie üblich unbrauchbar gemacht worden waren.

|186|Wo blieben die Druiden?

Wie oben dargelegt, kam mit Caesars Eroberungsfeldzug in Gallien das Ende der Druiden. Auch wenn der erwähnte Haeduer Diviciacus als sicherer Verbündeter Roms galt, war die gesamte Priesterkaste den neuen Herren suspekt. Ihr begründetes Misstrauen gegen deren politische Einflüsse führte letztendlich zu deren Verbot. In den Tempeln, in denen der Imperator, die Stadt Roma oder der Göttervater Jupiter verehrt wurden, war kein Platz mehr für die Druiden – und ebensowenig in den Umgangstempeln der gallo-römischen Mischgottheiten. So verschwand der Name der alten gallischen Priester aus den schriftlichen Zeugnissen und tauchte nicht wieder auf.

Nach einiger Zeit wurden im römischen Gallien Männer und Frauen erwähnt, die verdächtige Ähnlichkeit mit den untergegangenen Druiden aufwiesen. Zwar führten sie keine verbotenen Menschenopfer durch, was ihnen die römische Obrigkeit immer wieder vorwarf, und sie hatten zweifelsohne nicht die politische Macht wie unter den freien Stämmen. Allerdings scheinen sie druidische Traditionen in gesellschaftlichen Nischen weiter gepflegt zu haben, die unverdächtig waren. Ob dazu Hexen und Magier gehörten, sei dahingestellt. Hinweise deuten darauf, dass die Nachfolger der Druiden als Wahrsager tätig waren und zudem einen Teil der gallischen Intelligenz bildeten.

Ein Zeugnis dafür bot im 4. Jahrhundert der Grammatikprofessor Decimus Magnus Ausonius, dessen lateinisches Gedicht über die Mosel noch heute bekannt ist. Er rühmte seinen Großvater mütterlicherseits als einen Mann, der die himmlischen Zahlen und die schicksalsbestimmenden Gestirne kannte. Aber er habe diese Wissenschaft im Verborgenen ausgeübt. Auch habe er um die Zukunft seines Enkels gewusst und diese Weissagungen auf versiegelten Täfelchen niedergeschrieben. Angeblich sah sich dieser gelehrte Mann als Druide an. Außerdem berichtete Ausonius von zwei Professorenkollegen aus Bordeaux, die auf ihre druidische Abstammung stolz waren. Der eine kam aus der Bretagne, wo er Wächter im Tempel des keltischen Gottes Belenus gewesen sein soll.

Manches deutet also darauf hin, dass in den letzten Jahrhunderten römischer Herrschaft die Tradition der Druiden eine Wiedergeburt erlebte. Sie führte zur Entdeckung keltischer Wesenszüge, auf die sich viele Gallier besannen. Erst das Vordringen der germanischen Franken und die erstarkende christliche Religion scheinen all dem ein endgültiges Ende bereitet zu haben.

In dem von den Römern nicht besetzten Irland bewahrten die Druiden erheblich länger ihre alte Bedeutung. Erst mit dem sich rasch ausbreitenden Christentum verloren die traditionellen keltischen Priester ihren Einfluss |187|– an ihre Stelle traten die Mönche, von denen mancher ein bekehrter Druide war. Die große Fülle der druidischen Aufgaben teilten die Angehörigen der Bildungsschicht unter sich auf.

In vielen irischen Sagen und Heiligenlegenden treten noch im Mittelalter Druiden auf. Darin sind sie – ähnlich ihren historischen Vorbildern – Berater, Weissager, Rechtsgelehrte, Zauberer und Erzieher von Fürstensöhnen. Ihr berühmtester Vertreter ist Cathbad, der weise Ratgeber des Königs Conchobar von Ulster. Die literarischen Druidenfiguren der irischen und walisischen Dichtungen führten schließlich nicht nur zur Gestaltung Merlins, sondern ebneten auch der Renaissance der keltischen Priester in der Literatur und in den bildenden Künsten den Weg.