|7|Vorwort

Die Kelten sind unter uns – wie kein anderes frühgeschichtliches Volk nördlich der Alpen füllen sie mit ihrem archäologischen Erbe die Schlagzeilen und wirken darüber hinaus erstaunlich gegenwärtig. Denn obwohl ihre Kultur auf dem europäischen Festland vor 2 000 Jahren verschwand, blühte deren Vermächtnis noch lange am westlichen Rand des Kontinents auf den Britischen Inseln und in der Bretagne. Und das, was unterging oder verdrängt wurde, scheint sich in vielerlei Gestalt wieder zu zeigen – gleichsam wie die Elfen Irlands, die von der Erde vertrieben wurden und in den alten Grabhügeln eine neue Behausung fanden. Derart vermischen sich wissenschaftliche Erkenntnisse und poetische Fantasie zu einem Bild der Kelten, das immer mehr Menschen in seinen Bann zieht.

Zu den Tatsachen gehört die Feststellung, dass unter unseren Füßen die Reste einer rätselhaften Kultur ruhen: Die Kelten haben vor mehr als 2 000 Jahren von Spanien bis in die Türkei Spuren hinterlassen: Grabhügel mit prächtigen Beigaben, Reste von Siedlungen mit einst mächtigem Mauerwerk und Opferplätze, die auf bizarre Bräuche schließen lassen. Für Deutschland seien stellvertretend für die nicht abbrechenden Funde die sensationellen Ausgrabungen von Hochdorf und vom Glauberg genannt, für die Schweiz die der Keltenstadt von Basel, für Österreich die der Salzherren von Hallstatt und Hallein und für Frankreich die der heiligen Opferstätten aus der Picardie und den Ardennen – wobei sich diese Aufzählung mühelos fortführen ließe.

In Museen und Austellungen erweisen sich die keltischen Handwerker als virtuose Meister einer filigranen Kleinkunst: Nur zu oft eröffnet sich erst dem zweiten Blick eine Miniaturwelt voller Monster und Dämonen, die die Realität regelrecht auf den Kopf stellt. Zu entdecken sind wirklichkeitsnahe Menschenköpfe und fantastische Mischwesen inmitten goldenen und bronzenen Blattwerks, deren Bedeutung ungewiss ist. Denn die Kelten verzichteten bewusst und weitgehend auf den Gebrauch einer eigenen Schrift und lassen deshalb den modernen Betrachter mit seinen Fragen allein und ratlos. Ihre kleinen Meisterwerke, ihre scharfen und gefürchteten Eisenschwerter und ihre wiederum seltsamen Steinmonumente veranschaulichen eine Kultur, deren Führungsschicht sich anscheinend |8|zwischen den immensen Einkünften geschäftstüchtigen Handels und der esoterischen Aura geheimnisvoller Magie bewegte.

Ihren antiken Nachbarn galten die keltischen Krieger als barbarische und gefürchtete Feinde, deren Gebaren unverständlich und unmenschlich schien. Der Grund dafür lag vor allem in der geradezu fanatischen Jagd nach gegnerischen Köpfen, die in der Geschichte ihresgleichen sucht. So manche archäologische Ausgrabung sieht sich bis heute mit den makabren Überresten dieser Sitte konfrontiert. Wenig verwunderlich also, dass den Kelten seit zweieinhalbtausend Jahren alle möglichen »Schandtaten« nachgesagt werden: Kannibalismus, schaurige Opfermassaker und viele mehr.

Trotzdem hat sich in Europa ein ganz anderes, sympathischeres Bild dieses frühgeschichtlichen Volkes und seiner Kultur durchgesetzt: Danach verkörpern seine Menschen den weisen Umgang mit der Natur, deren Geheimnisse sie angeblich kannten und zu nutzen wussten. Im modernen Bewusstsein wurden deshalb die Kelten zu den Freunden der Tiere und zu den engsten Vertrauten uralter Bäume.

Außerdem glaubt man im ersten namentlich bekannten Volk Mitteleuropas die frühesten Europäer erkennen zu können, deren Kultur als Vorreiter des modernen Einigungsstrebens gilt. Neben den gegenwärtigen keltischsprachigen Völkern der Iren, Schotten, Waliser und Bretonen entdecken deshalb immer mehr Europäer ihre vermeintlichen keltischen Wurzeln respektive deren Kultur und Historie als Bestandteil der eigenen Geschichte.

Sinnbildlich für Weisheit und Naturwissen stehen die Druiden, deren ausdrücklich geheiligte Pflanzen die Eiche und die Mistel waren. Die keltischen Weisen wurden über 2 000 Jahre hinweg zu Archetypen, die für den humanen Magier und Zauberer, den Gelehrten und Priester stehen. Aus ihrer Tradition entwickelte sich die Gestalt des mittelalterlichen Merlin zu einer der populärsten Figuren der Weltliteratur – und mit ihm der ganze Sagenkreis um König Arthur mit seinen Rittern und der Suche nach dem heiligen Gral, die allesamt im höfisch-mittelalterlichen Gewand eine Fülle keltischer Überlieferungen enthalten.

Auf diese Weise reicht die Welt der Kelten über Jahrtausende bis in die Gegenwart, wo sie überall präsent ist: mit ihren frühgeschichtlichen Funden und Ausgrabungsstätten; in Museen und Ausstellungen; in den prachtvollen irischen Handschriften des frühen Mittelalters; in den Märchen der keltischen Völker; in der Musik und auf der Bühne; in zahlreichen Verfilmungen des Arthur-Stoffes und der Geschichten von Elfen, Kobolden und Monstern bis hin zu Literaturbestsellern wie den Nebeln von Avalon und dem Herrn der Ringe. Sogar der schnell um sich greifende Brauch des aus Amerika importierten Halloween-Festes wird auf die Kelten zurückgeführt.

|9|Dieser überraschenden Präsenz trägt das vorliegende Buch Rechnung, indem es nicht nur auf die spektakulären Funde der Archäologen und auf die antiken Berichte über die keltischen Wanderungen eingeht, sondern ebendiesen Spuren der Kelten bis in die Gegenwart folgt. Es präsentiert außer den historisch greifbaren Kelten der Vergangenheit diejenigen Vorstellungen, die man sich seit mehr als 200 Jahren von ihnen macht. Dementsprechend entsteht vor den Augen des Lesers eine bunte, oftmals bizarre und rätselhafte Welt, deren Darstellung gleichwohl auf aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert. Die Kelten erweisen sich nicht nur als historisches Volk – sie entpuppen sich auch als ein Ideal der fernen Vergangenheit, mit dem der moderne Mensch seine Wünsche, Sehnsüchte und Fantasien verbindet.

 

Arnulf Krause im August 2004