|121|5. Die Kelten der Britischen Inseln

Die geheimnisvollen Zinninseln

Als viele keltische Stämme von den reichen und fruchtbaren Ländern des Mittelmeers angelockt wurden, zog es den griechischen Gelehrten Pytheas in die entgegengesetzte Richtung. Er begab sich um das Jahr 325 vor Chr. von seiner Heimatstadt Massalia aus auf eine gefahrvolle Schiffsreise, die ihn in die Länder des Nordens führte. Sein Ziel war ihm nicht gänzlich unbekannt, weil es wagemutige Händler immer wieder dorthin gezogen hatte, wo nach ihrem Weltbild der Rand der Erdscheibe nahe war. Aber die Fahrt zu den ständig verregneten und in dichtem Nebel liegenden Inseln lohnte sich, auch wenn antike Historiker auf die Widerwärtigkeiten ihres Klimas hinwiesen. Denn die dortigen Barbarenstämme beuteten reiche Zinnvorkommen aus, jenes Metallerz, das für die Bronzeherstellung unverzichtbar war. Dieses begehrte Handelsobjekt verband Nord und Süd und trug bekanntermaßen zum Reichtum der frühen Keltenfürsten wie der vom Mont Lassois bei, weil sie als Zwischenhändler auftraten.

Den wissensdurstigen Pytheas lockte es also in das ferne Herkunftsland des Zinns; seine Reiseroute führte durch die Straße von Gibraltar über den offenen Ozean und an der spanischen und französischen Küste entlang nordwärts. Für ihn wurden alle diese Gebiete einschließlich der geheimnisvollen und nebligen Zinninseln von Kelten bewohnt, jenem Barbarenvolk, das er auch aus der Nachbarschaft Marseilles kannte. Über die Einzelheiten seiner Expedition ist nichts bekannt, und seine Beobachtungen und Berichte sind umstritten. Gewiss ist, dass der Grieche viele Inseln kennen lernte, die er insgesamt als »Bretanike«, Britannien, bezeichnete. Die größten Inseln waren Albion (die britische Hauptinsel) und Ierne (Irland), womit Pytheas wahrscheinlich keltische Eigenbezeichnungen wiedergab. Denn die Bewohner der Britischen Inseln einschließlich Irlands sprachen überwiegend keltische Sprachen und bildeten einen Teil der großen Keltenwelt.

Seit jeher spielten die unzähligen großen und kleinen Eilande zwischen Ärmelkanal und meerumbrandeten Orkney- und Shetland-Inseln sowie zwischen Nordsee und offenem Atlantik eine Sonderrolle, der ein Hauch des Geheimnisvollen nachgesagt wurde. Ihn begründen bis heute solche |122|imposanten vorgeschichtlichen Steinbauten wie die südenglische Kultstätte Stonehenge und das Hügelgrab von Newgrange in Irland. Von ihnen und anderen monumentalen Relikten der Jungsteinzeit erzählten sich schon die Kelten Mythen und Sagen, in denen sie diese zu Behausungen überirdischer Wesen machten. Dabei ist völlig ungeklärt, wie die Kelten selbst auf die Britischen Inseln kamen. Da diese weder als deren Heimat gelten noch ein Ziel großer Einwanderungen waren, scheint sich die alteingesessene Bevölkerung regelrecht keltisiert zu haben. Aus letztlich unbekannten Gründen nahm sie die keltische Sprache und Kultur an, die ihr durch den Handel mit dem Festland und kleinere Einwanderergruppen vermittelt wurden.

Daraus entwickelte sich eine Gesellschaft von zahlreichen Stämmen, die neben den Neuerungen weiterhin alte Traditionen pflegten und darum in einer spezifisch britannischen Kultur lebten. Wie die Kelten auf dem Kontinent kannte man keine großen Städte, sondern wohnte auf dem Land, das man bearbeitete. Darüber herrschten die Häuptlinge in den so genannten Hillforts, die im Süden und Westen Englands besonders häufig zu finden waren. Wie die größte Anlage, Maiden Castle im südenglischen Dorset, bestanden diese befestigten Höhensiedlungen aus einem von Wällen und Gräben geschützten Areal, das im Innern dicht bebaut war. Außerdem entstanden auch in England stadtähnliche Oppida, deren Zahl jedoch viel geringer war als in Gallien. Überhaupt gab die spätkeltische Stadtkultur auf den Britischen Inseln nicht den Ton an. Deren Stämme blieben ihren Traditionen treu und lebten in einer bunten Vielfalt, was den Römern als Kennzeichen besonderer Urtümlichkeit und Wildheit galt. Gleichwohl unterhielten die Keltenstämme enge Beziehungen über den Kanal, die unter anderem von den seeerfahrenen Venetern der Bretagne gepflegt wurden.

Als erster römischer Autor geht Caesar im Bellum Gallicum näher auf die Verhältnisse Britanniens ein. Vom Landesinneren weiß er nur zu berichten, dass sich dessen Bewohner der Insel selbst entsprossen glaubten. An der Küste lebten dagegen Stämme der Belger, die in jüngster Vergangenheit herübergekommen seien, um Krieg zu führen und Beute zu machen. Sie trügen fast alle noch die Stammesnamen, die auch aus dem Nordosten Galliens bekannt seien. Nach ihren Kriegszügen seien sie im Land geblieben und hätten begonnen, es zu bebauen und Vieh zu halten. Als Währung benutzten sie Kupfer- und Goldmünzen oder Eisenbarren, die ein bestimmtes Gewicht hätten. Caesar fällt auf, dass sie es als Frevel ansehen, Hasen, Hühner oder Gänse zu verzehren; deswegen hielten sie diese Tiere nur zum Vergnügen. Überhaupt seien die bei weitem zivilisiertesten Britannier die Einwohner Kents, deren Bräuche sich kaum von den gallischen unterschieden.

Über andere Kelten der Britischen Inseln weiß Caesar dagegen ganz |123|Ungewöhnliches und für ihn Exotisches zu berichten: »Die Bewohner des Innern bauen kein Getreide an, sondern leben von Milch und Fleisch und tragen als Bekleidung Felle. Alle Britannier aber reiben sich mit Waid ein, einem Färbemittel, das eine Blaufärbung bewirkt, wodurch sie im Kampf noch schrecklicher aussehen. Sie lassen ihre Haare lang wachsen, sind aber bis auf den Kopf und die Oberlippe am ganzen Körper glatt rasiert. Sie haben je zehn oder auch zwölf Frauen gemeinsam, vor allem unter Brüdern, aber auch unter Vätern und Söhnen. Wenn eine Frau ein Kind zur Welt bringt, gilt dieses als das Kind desjenigen, dem die Mutter als Jungfrau zugeführt wurde.«

Spätere Geschichtsschreiber wie Tacitus vermitteln gleichfalls das Bild einer unübersichtlichen und barbarischen Welt, in der die Fremden selten zu unterscheiden vermochten, welche Stämme seit uralten Zeiten hier lebten und welche erst später eingewandert waren. Zu den Britanniern gehörten die Kaledonier in Schottland, deren gewaltige Glieder und rötliches Haar an Germanen erinnerten, während die walisischen Siluren dunkle Gesichter und krauses Haar wie die Spanier hatten. Einig war man sich stets darin, dass sie alle erheblich mehr Wildheit als die Gallier aufwiesen. Zum Glück Roms seien sie genauso zerstritten wie jene und würden »unter der Führung ihrer Häuptlinge von Parteikämpfen und Eifersüchteleien hin und her gerissen.« Darum kämpften die Stämme zumeist einzeln und würden »allesamt besiegt«.

Caesar in Britannien

Die engen Beziehungen zwischen britannischen und gallischen Keltenstämmen boten Caesar den triftigen Grund, um im Jahr 55 vor Chr. den Feldzügen in Gallien vorübergehend den Rücken zu kehren und eine militärische Expedition ins wilde Britannien zu wagen – denn von dort unterstützten angeblich Hilfstruppen die aufständischen Gallier. Dem müsse Einhalt geboten werden, auch wenn man nur sehr geringe Informationen über die Gallien gegenüberliegenden Küstengebiete habe. Daraufhin versammelte er die Flotte, die erfolgreich gegen die Veneter gekämpft hatte und schließlich knapp hundert Lastschiffe sowie zusätzliche Kriegsschiffe umfasste. Auf ihnen setzten zwei römische Legionen etwa auf der Höhe von Dover über. Ihren Feldherrn begleiteten Gesandte von britannischen Stämmen, die deren Unterwerfung angeboten hatten – zumindest in Caesars Interpretation. Einige Stämme hatten wahrscheinlich ihre guten gallischen Informationsquellen genutzt, um einen potenziellen mächtigen Verbündeten in den innerbritannischen Stammeskämpfen zu gewinnen.

|124|An den Steilküsten Ostkents mussten die Römer allerdings feststellen, dass sie nicht willkommen waren; denn auf den Anhöhen hatten sich offensichtlich feindlich gesinnte Truppen aufgestellt, die den Strand mit Wurfgeschossen bombardierten. Sie verhinderten mit ihren Reitern und schnellen zweirädrigen Kriegswagen, dass man die Schiffe verließ: »Sie waren mit der Gegend wohlvertraut, befanden sich im Trockenen oder waren nur wenig ins Wasser vorgerückt, sodass sie alle ihre Glieder frei gebrauchen konnten. Sie schleuderten kühn ihre Wurfgeschosse und trieben ihre Pferde an, die an diese Kampfesweise gewöhnt waren.« Unter den ersten an Land gegangenen Soldaten brach Panik aus – noch eroberten sie keinen Fuß englischen Bodens.

Caesar bekam also schon während der Landung einen Vorgeschmack auf die eigentümlichen britannischen Verhältnisse. Doch er wusste diese Situation zu meistern, indem er die Feinde von seinen Kriegsschiffen aus mit Schleudern, Bogen und schweren Geschützen beschießen ließ. Dann ermutigten sich die Soldaten gegenseitig, sprangen von Bord und stürmten gegen die Britannier. Aber eine gewohnte Schlachtordnung konnte nicht aufgebaut werden, und die flinken keltischen Reiter umzingelten etliche Gruppen der Römer, die zudem durch ihr Gepäck behindert waren. Andere Feinde schleuderten Wurfgeschosse auf sie. Als Caesar die erneute prekäre Lage seiner Soldaten erkannte, schickte er weitere Männer an Land. Mit ihrer Hilfe wendete sich das Kriegsglück, und die Britannier zogen sich zurück. Da sich die römische Reiterei jedoch noch auf den Schiffen befand, konnten sie nicht verfolgt werden. Dies sei, so Caesar, das Einzige gewesen, was zu seinem bewährten Kriegsglück gefehlt habe.

Die widerspenstigen Stämme Kents waren anscheinend zu der Überzeugung gelangt, es mit einem starken und mächtigen Gegner zu tun zu haben, den man nicht ohne weiteres besiegen konnte. Deshalb versuchten sie es mit bewährter Stammesdiplomatie und schickten Gesandte zu Caesar, die ihre Bereitschaft erklärten, Geiseln zu stellen und alle seine Forderungen zu erfüllen. Nach ihnen trafen auch erste Häuptlinge ein, die ihre Friedensbereitschaft bekundeten. Noch bevor Caesar einwilligen konnte, wendete wiederum ein Besonderheit der Britischen Inseln das Blatt. Ein starker Sturm und alles verschlingende Springfluten vernichteten einen Großteil der römischen Flotte.

Die Stammeshäuptlinge schätzten die neue Situation dementsprechend ein: Caesar fehlte es an Reitern, er hatte seine Schiffe verloren, war damit vom Festland abgeschnitten und verfügte darüber hinaus über keine ausreichenden Proviantvorräte. Deshalb entschieden die Britannier, den Kampf wieder aufzunehmen und bis zum Winter fortzusetzen. Auf diese Weise sollten die Römer zermürbt und schließlich vollständig besiegt werden. »Sie vertrauten fest darauf, dass in Zukunft niemand mehr nach Britannien |125|übersetzen würde, um dort Krieg zu führen, wenn das römische Heer geschlagen oder ihm der Rückweg abgeschnitten sei.«

Caesar musste in dieser prekären Situation zuallererst für das Überleben seiner Soldaten sorgen. Deshalb ließ er im Umland Getreide von den Feldern ins Lager schaffen und befahl, alle noch einsatzfähigen Schiffe eiligst auszubessern. Auf ihnen sollte man notfalls Britannien wieder verlassen. Zunächst kam jedoch eine eher friedliche Stimmung auf, in der die Legionäre mit den einheimischen Bauern auf den Feldern arbeiteten und viele Britannier sogar das Römerlager besuchten.

Wie trügerisch dieser Eindruck war, bewies eine Meldung, die Caesar in aller Eile gemacht wurde: Die wachhabenden Soldaten hatten eine ungewöhnlich große Staubwolke am Horizont gesichtet, dort wo ihre Kameraden mit der Ernte beschäftigt waren. Caesar ritt sofort in diese Richtung und sah, wie seine Männer aufs Härteste bedrängt wurden. Britannische Krieger hatten sie aus den nahen Wäldern überraschend mit Speeren und anderen Wurfgeschossen angegriffen und dann ihre stärkste Waffe eingesetzt – die Reiter und die Streitwagenkämpfer. Während die gallischen Stämme sich dieser für die Kelten typischen Kampfgefährte nicht mehr bedienten, galten sie auf den Britischen Inseln noch lange als hervorragendste Waffe der besten Krieger. Caesar schildert ihren Furcht erregenden Einsatz, der dem Feind große Verluste zufügen konnte:

»Der Kampf von diesen Streitwagen aus verläuft folgendermaßen: Zuerst fahren die Britannier nach allen Richtungen über das gesamte Schlachtfeld und schleudern Wurfgeschosse, wobei sie meist schon durch den Schrecken, den die Pferde verbreiten, und den Lärm der Räder die feindlichen Reihen in Verwirrung bringen. Sobald sie in die berittenen Einheiten eingedrungen sind, springen sie von den Wagen und kämpfen zu Fuß weiter. Währenddessen fahren die Wagenlenker etwas aus dem Kampfgebiet heraus und stellen sich so auf, dass sie den Ihren, falls sie von einer feindlichen Übermacht bedrängt werden, eine gute Möglichkeit bieten, sich ungehindert zu ihrem Heer zurückzuziehen. So zeigen sie im Kampf die Beweglichkeit von Reitern und die Standfestigkeit von Fußsoldaten. Durch Gewohnheit und tägliche Übung haben sie es dabei soweit gebracht, dass die Wagenlenker sogar auf abschüssigem, steilem Gelände die Pferde in vollem Lauf aufhalten, in kürzester Frist bändigen und schwenken lassen können. Ja, sie laufen sogar über die Deichsel und stellen sich auf das Joch der Pferde, um sich von dort wiederum in größter Geschwindigkeit auf die Wagen zurückzuziehen.«

Nach Caesar kam noch hinzu, dass die Feinde nie in dicht geschlossenen Reihen, sondern in großem Abstand voneinander kämpften und überall kleinere Einheiten aufstellten, die die Kämpfenden wieder aufnahmen, um die ermüdeten durch unverbrauchte neue Krieger zu ersetzen. Diese für sie |126|völlig ungewohnte Kampfweise verwirrte die römischen Soldaten sehr. Nur mit Mühe gelang es Caesar, sie ohne größere Verluste ins Lager zurückzuführen. Denn eine offene Schlacht schien ihm unter diesen Umständen zu gefährlich. Daraufhin zogen sich auch die Britannier zurück, hatten sie doch ihr Ziel erreicht und die Legionäre vollständig verunsichert. In den nächsten Tagen tobten heftige Herbststürme, was weitere Kämpfe zunächst verhinderte.

Inzwischen versammelten sich immer mehr britannische Krieger in der Nähe des Römerlagers. Die Aussicht auf reiche Beute hatte selbst entfernter siedelnde Stämme dazu veranlasst, sich auf den weiten Weg zu machen und alte Streitigkeiten untereinander ruhen zu lassen. Schließlich rückten sie in großen Scharen mit Reitern, Streitwagen und Fußkämpfern vor und forderten Caesar zum Kampf heraus.

Dieser nahm die Herausforderung an und stellte seine Legionen zur Schlacht auf. Über den Verlauf der ausbrechenden Kämpfe schweigt sich Caesar im Bellum Gallicum aus. Er gesteht jedoch ein, dass man den Feind nicht entscheidend schlagen konnte. Denn die Britannier zogen sich nach Verlusten und bei großer Bedrängnis schnell zurück und wichen den Legionären aus. Da keine Seite den Sieg erringen konnte, kam es erneut zu Verhandlungen. In ihnen erklärten sich die Kelten zur Stellung von Geiseln bereit, die sie später aufs Festland schicken wollten. Aber Caesar hatte es mit dem voranschreitenden Jahr eilig, nach Gallien zurückzukehren.

Die zweite Britannien-Expedition – Caesar contra Cassivellaunus

Der römische Statthalter Südfrankreichs, dessen Ambitionen mittlerweile bis nach England reichten, musste mit seinem Zug gegen die Britannier völlig unzufrieden sein. Denn außer einigen Geiseln – wenn er sie überhaupt empfing – hatte er nichts erreicht; nicht einmal eine kleine Besatzungstruppe konnte er auf der Insel zurücklassen. Deshalb trieb ihn wohl mehr der Ehrgeiz als eine sachliche Notwendigkeit, im folgenden Jahr eine zweite Militärexpedition nach Britannien zu unternehmen. Dieses Mal wollte er den großen und alles entscheidenden Schlag gegen die Kelten auf der Insel führen: In der Gegend um Calais stach eine Flotte von angeblich 800 Schiffen in See, unter denen allerdings nur wenige Kriegsschiffe waren. Caesars fünf Legionen und 2 000 Reitern hatten sich nämlich unzählige Händler und Privatleute angeschlossen, die auf gute Geschäfte in einem eroberten und von Rom kontrollierten Land hofften.

Doch so weit kam es vorerst nicht, weil dieses Mal die Britannier jede |127|Schlacht vermieden und sich sogar außer Sichtweite hielten. Wenn die römischen Soldaten am Strand martialische Kelten erwartet hatten, wurden sie also enttäuscht. Also sah sich Caesar gezwungen, weiter ins Landesinnere vorzustoßen. Die Probleme des Vorjahres wiederholten sich: Der Feind verschanzte sich in den Wäldern, und wenn es zum Kampf kam, gerieten die römischen Soldaten wegen der geschilderten Kampfweise der Britannier in Schwierigkeiten; außerdem beschädigte aufs Neue ein Sturm die meisten Schiffe der Flotte.

Der Vormarsch der Römer provozierte zudem bisher unbekannte Feinde zum Kampf. An ihrer Spitze tat sich ein Häuptling namens Cassivellaunus hervor, der den nördlich der Themse siedelnden Stamm der Catuvellauner beherrschte. Ihm gelang es, von vielen Stämmen als Oberbefehlshaber eines vereinigten britannischen Heeres anerkannt zu werden. Caesar wollte gegen diesen offensichtlichen Hauptgegner die Initiative ergreifen und beschloss, ihn in dessen eigenem Gebiet anzugreifen. Dazu musste er jedoch seine Soldaten über die Themse führen, die in der Nähe nur an einer Stelle durchquert werden konnte. Dort warteten am anderen Ufer die britannischen Truppen, die Ufer und Flussbett mit spitzen Pfählen fast unpassierbar gemacht hatten. Mühsam kämpften sich Caesars Reiter und Legionäre durch die Hindernisse, bis sie den Feind unmittelbar attackieren und in die Flucht schlagen konnten. Daraufhin ließ sich Cassivellaunus auf keine weitere Schlacht mehr ein und zog seine Krieger zurück. Die meisten von ihnen schickte er heim zu ihren Stämmen. Nur seine schlagkräftigste Waffe behielt er – 4 000 Streitwagenkämpfer, die die römischen Truppen immer wieder überraschend angriffen und damit erreichten, dass weder Reiter noch Legionäre weiter im Land umherstreiften.

Caesar befand sich wiederum in einer Situation, in der er keinen entscheidenden Sieg erringen konnte. Einen Vorteil verschaffte ihm zumindest die Rivalität unter den britannischen Stämmen, die der Lage in Gallien vergleichbar war. So gelang ihm ein Bündnis mit den Trinovanten, die als Nachbarn der Catuvellauner in Essex und Suffolk lebten. Angeblich hatte Cassivellaunus einst ihren König getötet und dessen Sohn mit dem Tod bedroht. Dieser hatte deshalb bei Caesar Schutz gesucht und für seinen Stamm die Stellung von Geiseln und die Lieferung von Getreide versprochen. Daraufhin schickten auch andere Stämme Gesandte mit Friedensangeboten. Von ihnen erfuhr Caesar die Lage des Hillforts, in dem sich Cassivellaunus mit vielen Menschen und deren Vieh verschanzt hielt. Obwohl dieses Befestigungswerk von den Römern eingenommen wurde, konnten die meisten Kelten entkommen. Und ihr Häuptling zeigte sich keineswegs entmutigt – er hatte inzwischen ein Bündnis mit mehren Stämmen aus Kent geschlossen. Doch auch gegen diese Koalition waren Caesars Truppen erfolgreich, und letztendlich soll Cassivellaunus um |128|Frieden gebeten haben. Der römische Feldherr machte ihm nach eigenen Worten strenge Auflagen: Geiseln sollten gestellt und jährliche Steuern an Rom entrichtet werden. Der Keltenfürst selbst blieb ungeschoren und musste lediglich erklären, gegen die Verbündeten der Römer nicht vorzugehen.

Caesar schien sehr froh zu sein, Britannien endlich auf Nimmerwiedersehen zu verlassen. Ob sich Cassivellaunus an Caesars Befehl gehalten hat, ist nicht bekannt. Geiseln und Tributzahlungen sind jedenfalls nie weder in Gallien noch in Rom eingetroffen. Die beiden Feldzüge über den Ärmelkanal zählen zu den seltenen militärischen Unternehmungen Caesars, denen letztlich kein Erfolg beschieden war. Außer unverbindlichen Zusagen hatte er nichts erreicht. Kein einziger römischer Legionär vertrat Roms Macht auf den Britischen Inseln. Tacitus urteilte später treffend über Caesars Leistung, »er habe Britannien der Nachwelt nur gezeigt, nicht übergeben«.

Die langsame Eroberung eines fast vergessenen Landes

Nach Caesars missglückten Eroberungszügen schien man in Rom die fernen Zinninseln für mehr als 90 Jahre vergessen zu haben. Der gallische Aufstand, die brutalen Bürgerkriege und der lange Kampf gegen die germanischen Stämme hatten Britannien aus dem römischen Bewusstsein fast verdrängt. Darum blieben dessen keltische Stämme sich selbst überlassen. Aber auch ohne römische Besatzungstruppen zeigten sich die Einflüsse von Roms Macht und Kultur, die immerhin bis an die gallische Nachbarküste vorgedrungen waren. Besonders im Süden Englands wusste man so manches von den Veränderungen jenseits des schmalen Meeres. Viele britannische Adlige nahmen sich Rom zum Vorbild – einige besonders ehrgeizige eroberten sich kleine Reiche und führten eigene Münzen ein. Gleichzeitig befehdete man sich heftig untereinander und schreckte nicht davor zurück, den Kaiser im fernen Rom um Hilfe anzurufen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser die Gelegenheit ergreifen und auf den Spuren des ruhmreichen Caesar wandeln würde.

Nachdem sich unter dem Imperator Caligula die Soldaten geweigert hatten, nach Britannien zu gehen, gelang es dessen Nachfolger Claudius, in Südengland Fuß zu fassen. Unter dem Oberbefehl des Aulus Plautius setzten im Jahr 43 nach Chr. vier Legionen über den Ärmelkanal – und waren nach der Landung erstaunt, weil sich keiner der angeblich so schrecklichen Feinde sehen ließ. Diese waren in der Tat von der Invasion überrascht worden und hatten sich in Sümpfe und Wälder zurückgezogen, |129|von wo sie nach traditioneller Kampfweise den Römern zusetzen wollten. Doch ihre Taktik erwies sich nicht mehr als so erfolgreich wie zu Caesars Zeiten. Das mochte unter anderem daran liegen, dass die Machtzentren der größeren Stammesbünde verhältnismäßig schnell eingenommen werden konnten. Zu ihnen zählte Colchester nordöstlich Londons, das die Römer unter dem Namen Camulodunum zu ihrem Hauptsitz machten. Unter Aulus Plautius siegten sie in etlichen Schlachten, und schließlich erschien Kaiser Claudius selbst mit Kriegselefanten in Britannien, um die Unterwerfung der Keltenstämme entgegenzunehmen. Sein Unternehmen glückte: Britannien wurde römische Provinz, deren Eroberung der Imperator zwei Jahre später in Rom aufwändig feiern ließ. Die neu gegründete Siedlung Londinium sollte bald Hauptstadt werden und bis heute die Metropole Englands und Großbritanniens bleiben.

Abbildung I Die Mehrzahl der Gallier lebte auf Bauernhöfen, in Dörfern und in befestigten Burgen der hier rekonstruierten Art. Darin residierte eine große Adelsfamilie, die von diesem Zentrum über ihr Land herrschte. Auf derartigen Keltenburgen entfaltete sich keine höfische Pracht – auch sie wurden vom bäuerlichen Leben geprägt. Der Wache stehende Krieger im Vordergrund verdeutlicht, dass in der keltischen Vielstämmewelt stets mit Überfällen und Kämpfen gerechnet werden musste.

Abbildung II Die so genannte Chi-Rho-Seite, mit der im Book of Kells das Matthäus-Evangelium beginnt, ist eine der kompliziertesten Darstellungen der irischen Buchmalerei des frühen Mittelalters. Die griechischen Buchstaben XP des Christusmonogramms sieht nur der Eingeweihte und um den filigranen Schmuck zu erkennen benötigt man eine Lupe: Dann zeigen sich zwischen ineinander verschlungenen geometrischen Mustern menschliche Figuren und Tiere, u. a. Schmetterlinge, Katzen und Otter. Die Mönche der Britischen Inseln erwiesen sich damit als späte Meister der La Tène-Kunst.

Abbildung III So könnte das Ende der Heuneburg ausgesehen haben:von keltischen Feinden belagert, in Brand gesetzt und schließlich erobert und zerstört. Damit endete um 480 vor Chr. die mehr als 100 Jahre währende Blütezeit des mächtigen Fürstensitzes und seiner Herrscher. Als Jahrzehnte später Herodot von der Stadt Pyrene an der Donau sprach,meinte er möglicherweise die schon längst untergegangene Heuneburg. Archäologen fanden hier Gefäßscherben aus Oberitalien und Griechenland sowie etruskischeWeinamphoren. Deren Händler brachten offenbar auch das Haushuhn mit in den Norden.

Abbildung IV Die im gleichnamigen Keltenmuseum rekonstruierte Grabkammer des Fürsten von Hochdorf stellt einen Höhepunkt archäologischer Forschung dar. Sie lässt die zweieinhalb Jahrtausende alte Pracht wieder auferstehen und in neuem Glanz erstrahlen. Davon war in dem 1978 entdeckten Grab nicht viel mehr übrig geblieben als ein unansehnlicher Haufen von Knochenresten, Gold-, Bronze- und Eisenteilen, Stofffetzen, Steinen und anderem, das man vereinfachend als Dreck bezeichnen könnte. Erst mit Hilfe modernster wissenschaftlicher Methoden undTechniken gelang es, sage und schreibe 2000 einzelne Objekte zu identifizieren, deren Analyse den Sensationsfund von Hochdorf als einzigartig erwies.

AbbildungV Das Kultbäumchen von Manching wurde im dortigen Oppidum gefunden, wo es wahrscheinlich um 200 vor Chr. hergestellt worden war. Die erhalten gebliebenen 70 cm sind vergoldet und zeigen einen von Efeu umrankten Eichenast samt Eicheln.Der kostbare Gegenstand lag ursprünglich in einem vergoldeten und reich geschmückten Holzkasten.Vermutlich führte man ihn auf Prozessionen mit und er oblag der Pflege der Druiden. Das Kultbäumchen dürfte ein herausragendes Zeugnis der keltischen Baumverehrung sein.

AbbildungVI Seit man 1996 am Glauberg die lebensgroße Sandsteinstatue fand, hat die Welt der frühgeschichtlichen Kelten ein unverwechselbares Gesicht bekommen. Die Ausgrabungen gelten zu Recht als sensationell und einzigartig. Sie lassen für die Zukunft auf weitere Entdeckungen dieser Art hoffen.

AbbildungVII Der Kessel von Gundestrup wurde in einem Moor im dänischen Nordjütland gefunden. Dorthin, zu den germanischen Kimbern, hatte es die keltische Arbeit verschlagen. In den letzten Jahrhunderten vor Chr. stellte ein Schmied die Silberplatten mit ihrem reichen Figurenschmuck her – mutmaßlich im östlichen Europa unter thrakischen und anderen Einflüssen. Die Darstellungen zeigen eine Fülle von göttlichen Wesen, Menschen und Tieren, deren einzelne Bedeutung umstritten ist. Auf der rechten Innenseite der Abbildung glaubt man jedenfalls den Gott Cernunnos im typischen Buddhasitz zu erkennen, in einer Hand eine Widderkopfschlange, in der anderen einen Torques-Halsring. Die Darstellung links innen lässt sich als Opferkessel oder als Kessel der Wiedergeburt interpretieren.

AbbildungVIII Die 7 Meter hohe Statue des Vercingetorix schmückt seit 1865 den Mont Auxois im nördlichen Burgund und erinnert an die entscheidende Schlacht des Jahres 52 vor Chr., in der die Gallier vor Caesars Legionen kapitulieren mussten. Seit dem 19. Jahrhundert galt der unterlegene Arvernerhäuptling in Frankreich als Freiheitsheld.

Abbildung IX Seit der Antike beschäftigte die Phantasie der Geschichtsschreiber und Künstler, wie sich Vercingetorix dem siegreichen Feind Caesar unterworfen habe. Dieser geht im Bellum Gallicum schweigend darüber hinweg, während spätere Autoren verschiedene dramatische Szenarien entwarfen. So soll der stolze Arverner mit seinem reich geschmückten Pferd Caesar umrundet und anschließend seine Waffen auf den Boden geworfen haben. Daran scheint der französische Maler Lionel Royer (1852–1926) auf seinem Gemälde anzuknüpfen, indem er selbst den besiegtenVercingetorix noch als Helden darstellt.

Abbildung X Das Poster zu J.R.R.Tolkiens Fantasy-Bestseller The Lord of the Rings erfreute sich in den Jahren um 1970 großer Beliebtheit und verdeutlicht die weltweite Popularität dieses Epos, das reichlich aus keltischen und germanischen Überlieferungen schöpft. Dreißig Jahre später sorgte die Filmtrilogie des Neuseeländers Peter Jackson für einen Herr-der-Ringe-Boom bis dahin unbekannten Ausmaßes.

Abbildung XI Wie unterschiedlich das neuzeitliche Bild der Kelten ist, belegt die Darstellung eines piktisches Kriegers auf dem Aquarell von John White, das um 1590 entstand. Sie entspringt der Fantasie des Künstlers und bedient sich gleichwohl verschiedener Motive der antiken Historiker, so der Nacktheit, des Tätowierens des Körpers und der Kopfjagd. Ähnliche Bilder dieser Zeit zeigen sogar tätowierte Kriegerinnen, die ein farbenfrohes Blumenmuster schmückt.

Abbildung XII Die 42 Zentimeter große Bronzestatue von Bouray südlich von Paris stellt offensichtlich einen Gott dar. Dafür sprechen der Buddhasitz, der Torques-Halsring und die in Hirschhufen endenden Beine. Die Figur entstand wahrscheinlich nach der römischen Eroberung. Welcher Gott aus dem vielköpfigen keltischen Pantheon dargestellt ist, bleibt ungewiss.

Abbildung XIII »So hielt er seinen Einzug im Hain und war froh unter den Eschen verborgen zu liegen; und er staunte über die wilden Tiere, die in den Lichtungen weideten … Er nährte sich von den wilden Kräutern und ihren Wurzeln, er genoss die Früchte der Bäume und die Beeren des Dickichts; er wurde ein Waldmensch, gleichsam ein den Wäldern Geweihter.« (Geoffrey von Monmouth.Vita Merlini) In der obigen Illustration aus einer französischen Handschrift des 13. Jahrhunderts tritt Merlin in Hirschgestalt vor den König, was an uralte keltischeVorstellungen erinnert.

Abbildung XIV Dem Toten vom Glauberg wurde diese über 50 Zentimeter hohe bronzene Schnalbelkanne mit ins Grab gegeben. Das ursprünglich mit Met gefüllte Gefäß zeichnet sich durch filigrane Ornamente und figürlicheVerzierungen aus. Auf dem Henkel fällt eine Figurengruppe auf: Ein jugendlicher Mann im Buddhasitz, den zwei Fabelwesen anblicken.

Abbildung XV Dieser bronzene Gürtelhaken vom Glauberg, 8 Zentimeter lang,verdeutlicht die hervorragendenTechniken der keltischen Kunstschmiede. Aus dem Beschlag ragt ein Raubtierkopf hervor, der in seinen Zähnen einen Männerkopf hält. Dessen Bart bildet den Haken, was auf das Können und denWitz der Kelten hinweist, wie auf ihreVorliebe für Monster und Menschenköpfe.

Abbildung XVI Der von den Römern seit 122 nach Chr. errichtete Hadrianswall sollte den zum Imperium Romanum gehörenden, südlich davon gelegenenTeil der Britischen Hauptinsel vor Überfällen der Kaledonier und anderer Stämme schützen. Einige Jahrzehnte später verschob man die Grenzlinie mit dem Antoniuswall oberhalb Glasgows und Edinburghs beträchtlich nach Norden, was allerdings nur wenige Jahre zu halten war. Aber trotz der häufigen Kämpfe Roms mit denVölkerschaften Schottlands gab es auch intensive Handelsbeziehungen.

Abbildung XVII Dem Stein Fál von Tara sagt die irische Überlieferung magische Kräfte nach. Einstmals sollen ihn die Tuatha Dé Danann auf die Insel gebracht haben, wo er als flacher Trittstein oder als phallusartiger Stein aufschrie, wenn ihn Irlands rechtmäßiger König berührte. Der Fál hatte an einem heiligen Ort wahrscheinlich die Bedeutung eines »Nabels der Welt«, was sein Standort in der historischen Provinz Mide (»Mitte«) deutlich macht. Derartige Mittelpunktsteine, die auch mit Fruchtbarkeitsriten verbunden wurden, finden sich vor allem in Teilen der Britischen Inseln und in der Bretagne.

|129|Die römischen Überraschungserfolge stellten lediglich den Beginn dar, dem viele Jahre der systematischen Eroberung großer Teile Britanniens folgten. Erst während dieser Kämpfe lernten die Römer die zahlreichen Stämme mit ihren ungewöhnlichen Bräuchen und Sitten kennen. Mit den schnellen keltischen Kampfwagen hatte man zwar umzugehen gelernt. Aber die Insel barg eine Welt voller Seltsamkeiten – Königinnen herrschten über die Stämme, Krieger stellten sich mit grell bemalten Körpern zum Kampf, die Druiden schienen hier besondere Macht zu besitzen, man munkelte sogar von amazonengleichen keltischen Kämpferinnen.

Mit der Zeit erschlossen die Legionäre das besetzte und von loyalen Stämmen bewohnte Land mit Kastellen und Veteranensiedlungen, in denen aus dem Dienst entlassene Soldaten einer zivilen Tätigkeit nachgingen. Gleichzeitig marschierten die Truppen west- und nordwärts Richtung Wales und Schottland, um Stämme wie die Siluren und Briganten unter römische Kontrolle zu bringen. Immer wieder erhoben sich Gruppen, derer man sich sicher geglaubt hatte, oder man stieß auf bis dahin unbekannte Völkerschaften, die heftigen Widerstand leisteten. Ein landesweites Zentrum der Feinde Roms schien sich auf der Insel Mona zu befinden, dem heutigen Anglesey vor der nordwestwalisischen Küste. Dort vermutete man die Kultstätten der Druiden, in denen diese – aus römischer Sicht – barbarische Opfer vollzogen und gegen die neuen Herren zum Kampf aufriefen.

Deshalb schlugen sich die Legionäre im Jahr 60 nach Chr. dorthin einen Weg frei, um den Widerstand endgültig zu brechen. Der Historiker Tacitus hat in seinen Annalen eine beeindruckende Schilderung von der Einnahme gegeben. Nach ihr bereitete der Befehlshaber Suetonius Paulinus den Angriff auf Mona vor, indem er die Legionäre auf flachen Schiffen übersetzen ließ, während die Reiter durch eine Furt nachfolgten oder in tieferem Wasser neben ihren Pferden schwimmend herüberkamen. Dabei bot sich ihnen das folgende Bild: »Da stand am Gestade die gegnerische Kampffront, eine |130|dichte Reihe von Waffen und Männern; dazwischen liefen Frauen herum, die nach Art von Furien im Leichengewand mit herabwallenden Haaren Fackeln vorantrugen; die Druiden ringsum stießen grausige Verwünschungen aus, die Hände zum Himmel erhoben. Dieser ungewohnte Anblick versetzte die Soldaten in Bestürzung, sodass sie sich, gleichsam an den Gliedmaßen gelähmt, unbeweglich der Verwundung aussetzten. Als dann aber der Feldherr sie anfeuerte und sie sich selbst Mut machten, doch nicht vor einem Haufen rasender Weiber in Angst zu geraten, gingen sie zum Angriff über, warfen alle nieder, die ihnen entgegentraten, und trieben sie in das Feuer der eigenen Fackeln. Eine Besatzung wurde anschließend auf die besiegte Insel verlegt, und man zerstörte die Haine, die den Riten eines wilden Aberglaubens geweiht waren; denn vom Blut von Kriegsgefangenen die Altäre dampfen zu lassen und aus menschlichen Eingeweiden den Willen der Götter zu erfragen hielten sie für heiliges Recht.«

Mit der Eroberung Monas schien das wichtigste Widerstandsnest zerstört worden zu sein. Aber darin irrte man sich, denn im selben Jahr brach ein furchtbarer Aufstand aus, der die Römer an den Rand der Niederlage brachte.

Der Aufstand der Königin Boudicca

Nach den Worten des Tacitus, der die Ereignisse überliefert hat, war dieser Aufstand durch das Verhalten der Römer gegenüber eines Stammes verschuldet worden, der nicht einmal als romfeindlich galt. Die ostenglischen Ikener hatten sich bis dahin eine gewisse Unabhängigkeit bewahren können. Ihr König Prasutagus war für seinen Reichtum berühmt; er hoffte, ihn und die Selbstständigkeit zu erhalten, indem er Rom seine Ergebenheit ausdrückte. Deshalb bestimmte er nicht nur seine beiden Töchter zu seinen Erben, sondern auch den römischen Kaiser. Doch diese Hoffnung erwies sich nach seinem Tod als vergebens; sein Reich wurde wie eine feindliche Macht verwüstet: »Gleich zu Beginn wurden seine Gattin Boudicca misshandelt und seine Töchter geschändet; alle vornehmen Ikener wurden, als hätte man das ganze Gebiet zum Geschenk erhalten, von ihren ererbten Gütern vertrieben, und die Verwandten des Königs behandelte man wie Sklaven. Infolge dieser Schmach und aus Furcht vor noch drückenderen Maßnahmen, da ihr Land bereits in die Form einer Provinz übergegangen war, griffen sie zu den Waffen.«

Von den Ikenern sprang der Aufstand auf andere Stämme über, die sich zusammenschlossen, um Herrschaft und Ausbeutung der Römer abzuschütteln. Dabei scheint der Königswitwe Boudicca eine herausragende |131|Rolle zugekommen zu sein. Gemäß Tacitus sprach dafür nicht nur, dass sie aus einer königlichen Familie stammte, sondern auch, dass bei den Britanniern eine Frau das Heer befehligen konnte.

Besonders verhasst waren den Aufständischen die römischen Veteranen, weil sie zum Beispiel in der Kolonie Camulodunum die keltischen Einwohner aus ihren Häusern und von den Feldern verjagten und diese wie Kriegsgefangene oder Sklaven behandelten. Die Soldaten unterstützten die Veteranen noch bei ihrem Tun. Darum richtete sich der Zorn der Menschen vor allem gegen Camulodunum. Dessen Kaisertempel galt als Zwingburg der Tyrannei, und angeblich vergeudeten seine Priester das ganze Vermögen des Volkes. Da die Siedlung über keine Befestigung verfügte, schien es den Aufständischen nicht schwierig, gegen sie und die verhassten Veteranen vorzugehen. Die britannischen Krieger umzingelten die Stadt, die zudem nur von wenigen Soldaten geschützt wurde. Dann griffen sie an, plünderten die meisten Stadtteile und legten sie in Schutt und Asche. Den Tempel, in dem sich die römischen Soldaten verschanzten, belagerte man zwei Tage lang und erstürmte ihn schließlich. Anschließend zogen die keltischen Krieger der 9. Legion entgegen, die unter ihrem Legaten Cerialis eigentlich Entsatz bringen sollte. Aber die Britannier stürmten |132|derart wild auf sie ein, dass niedergemacht wurde, wer nicht sein Heil in der Flucht fand. Der Legat selbst entkam nur mit Mühe in ein befestigtes Lager.

|131|Die Keltinnen

Die keltische Gesellschaft war patriarchalisch geprägt, denn ihre Führungsschicht hob das männliche Kriegerideal ausdrücklich hervor. Die Frauen mochten nach dem Bekunden antiker Quellen noch so groß und angeblich den Männern sogar an Stärke gewachsen sein – rechtlich hatte der Mann die Verfügungsgewalt über Frau und Kinder. Dies betont unter anderem Caesar mit einem drastischen Beispiel: Demzufolge hätten die Männer gegenüber ihren Frauen ebenso wie gegenüber ihren Kindern Gewalt über Leben undTod. Wenn das Oberhaupt der Familie aus hohem Stande gestorben sei, versammelten sich seine Verwandten und verhörten die Ehefrauen wie die Sklaven, falls an demTod etwasVerdacht erregte. Stellte sich der Verdacht als begründet heraus, würden sie die Frauen verbrennen, nachdem sie sie auf alle mögliche Art gefoltert hätten. Mehr als ein Jahrtausend später bestätigten irische Rechtstexte die deutliche Benachteiligung der Frau, weil sie vor Gericht kein Zeugengewicht hatte und nicht eigenständigVerträge abschließen durfte.

Doch scheint dies nur eine Seite der historischen Wahrheit zu sein, die letztendlich nur annäherungsweise aufgeklärt werden kann. Denn wiederum Galliens Eroberer Caesar weiß von einer bemerkenswerten frühgeschichtlichen Zugewinngemeinschaft zu berichten: »Die Männer lassen, wenn sie von ihren FrauenVermögen als Mitgift erhalten haben,ihr eigenesVermögen schätzen und legen einen gleich großen Wert mit der Mitgift zusammen. Über dieses Gesamtvermögen führen sie gemeinsam Buch und sparen den Gewinn; wer von beiden länger lebt, erhält den  |132|beiderseitigen Anteil mit dem Gewinn, der mit der Zeit hinzugekommen ist.« Spätere Quellen erwähnen das Recht der Frau, ihren Güterbesitz zu vererben, ohne dass ein männlicher Vormund darauf uneingeschränkt Zugriff hätte nehmen können. Zählt man zum Recht, über sein Eigentum zu verfügen, noch die Nachrichten über eine freie Gattenwahl und eine recht offene Sexualität, so scheint die Keltin doch zumindest teilweise über relativ große Freiheiten verfügt zu haben.

Archäologische Funde vermitteln sogar das Bild einer Schicht reicher, mächtiger und verehrter Frauen.Dazu gehörte die so genannte Fürstin vonVix, für deren Bestattung man um das Jahr 500 vor Chr. nahe des Mont Lassois an der Seine einen mächtigen Grabhügel aufschüttete. Darin bahrte man inmitten einer hölzernen Grabkammer die zweifelsohne adligeTote auf – inmitten von Beigaben, die teilweise ihresgleichen suchen. Außer einem vierrädrigenWagen, Trinkgeschirr, Fibeln und Schmuckringen sowie diversen Gefäßen, die vom Mittelmeer kamen, brachte man ein bronzenes Mischgefäß in das Grab. Es stammte von den Griechen, war 1,6 Meter hoch,wog über 200 Kilogramm und hatte ein Fassungsvermögen von 1100 Litern – heute ist es das größte antike Metallgefäß, das bisher gefunden wurde. Ein derartiges Prunkstück kam nur für eine Person in Frage, die für die Stammesgemeinschaft von herausragender Bedeutung gewesen war und noch imTod höchsteVerehrung genoss. Mutmaßlich wurde der Toten am Fuße des Fürstensitzes auf dem Mont Lassois eine lebensgroße Skulptur errichtet, die sie sitzend mit einem langen Gewand und einemTorques-Halsring zeigte.Deshalb wurde viel über den Rang der edlen Dame vonVix gerätselt: Als Fürstin darf sie sicher bezeichnet werden, möglicherweise  |133|war sie eine Priesterin oder eine frühe mächtige Druidin. Gewiss ist allein ihre herausragende Stellung.

Diese nahm auch jene reiche Fürstin ein, die etwa 180 Jahre später in Waldalgesheim bei Bingen auf den Hunsrückhöhen beigesetzt wurde.Wie der Dame von der Seine errichtete man ihr einen mächtigen Grabhügel, der eine Fülle kostbarer Beigaben enthielt – Importgut aus dem Süden und von keltischen Meisterhandwerkern gefertigt. Sie schufen mit ihren ornamentalenVerzierungen und Figuren sogar einen neuen Stil, der als so genannter La Tène-Stil typisch für die keltische Kunst wurde. Die Keltin vom Mittelrhein verfügte über Reichtum und Macht – und über weit reichende Beziehungen ins Mittelmeergebiet, in die Champagne und die Ardennen.

Die Stammesherrscherinnen von Vix und Waldalgesheim stehen nicht allein, sondern hatten viele andere mächtige Frauen zur Seite, wie etliche Prachtgräber von Rhein und Saar, aus Lothringen und anderen Gebieten bezeugen. Dass Keltinnen als Fürstinnen und Königinnen auftreten und ihrenVätern und Ehemännern auf dem Thron folgen konnten, zeigen neben den archäologischen Funden die römischen Geschichtsschreiber wieTacitus.Er schildert das Schicksal der britannischen Ikenerkönigin Boudicca, die als Stammesherrin den Römern erbitterten Widerstand leistete. Dementsprechend hielt sich in den irischen Heldenerzählungen die Tradition mächtiger Königinnen und furchtloser Kriegerinnen.

Frauen spielten in der Nachfolge der Fürstin vonVix eine bedeutende Rolle als Priesterinnen und Seherinnen, Magierinnen und Druidinnen.Dies bestätigen Nachrichten |134|antiker Gewährsmänner über religiöse Bräuche in Gallien. Auf Poseidonios geht eine Schilderung zurück, nach der gegenüber der Loire-Mündung eine kleine Insel liege, die allein von Frauen bewohnt sei.Sie seien von Dionysos besessen.Kein Mann dürfe die Insel betreten, aber die Frauen segelten zum Festland und hätten dort Beziehungen zu den Männern. Einmal im Jahr werde das Tempeldach abgetragen und am selbenTag wieder neu gedeckt. Jede Frau müsse Baumaterial herbeibringen. Diejenige, die es fallen lasse, werde von den anderen in Stücke gerissen. Dann trügen sie die Leichenteile so lange um den Tempel, bis ihr Wahnsinn nachlasse. Diesen Worten zufolge opferten die Priesterinnen eine der ihren, um einen Fruchtbarkeitsgott zu verehren.

Dieses Zeugnis steht nicht allein;noch zur Zeit der römischen Herrschaft hörte man von einer anderen Insel, die als berühmte gallische Orakelstätte galt. Dort sollten neun heilige Jungfrauen mit ihren Zauberliedern Wind und Meer in Bewegung versetzen, zudem konnten sie sich in jedes beliebigeTier verwandeln und Prophezeiungen sprechen. In derartigen antiken Berichten lag eine Quelle für dieVorstellung der mythischen Insel Avalon, die in den Sagen um König Arthur und den Zauberer Merlin eine wichtige Rolle spielte.

Trotz dieser zahlreichen Zeugnisse von Frauenmacht lebten die Keltinnen und Kelten in keiner matriarchalischen Gesellschaft. Aber nach Berichten und Funden blieb doch eine Fülle von Einflüssen, die durchaus weibliche Macht ermöglichte.Die Keltinnen spielten viele herausragende Rollen – und sei es als Göttinnen und Feen der Sagenwelt der Britischen Inseln.

|132|Ein zweites römisches Heer gab die Stadt Londinium auf, die durch die Zahl ihrer Händler und Handwerker von großer Bedeutung war. Man entschied sich, mit den Waffenfähigen gegen die Feinde zu ziehen, während diese schon mehrere Orte mit reichen Versorgungslagern ausgeplündert hatten. Tacitus nennt 70 000 Römer und Bundesgenossen, die dabei umgekommen seien: »Denn die Britannier machten oder verkauften keine Gefangenen noch trieben sie sonst einen im Krieg üblichen Handel wie Austausch oder Lösegeld, vielmehr mordeten und hängten, verbrannten und kreuzigten sie in aller Eile, gleich als wüssten sie, dass sie die Todesstrafe zur Vergeltung erleiden würden, jedoch erst nach inzwischen vorweg geübter Rache.«

Inzwischen hatte der Statthalter Suetonius Paulinus 10 000 Bewaffnete versammelt, mit denen er dem Feind entgegentreten wollte. Die Legionäre stellte er in dichten Schlachtreihen auf, die leicht Bewaffneten folgten auf beiden Seiten, ganz außen die Reiter. Die Truppen der Britannier – angeblich 120 000 Mann – schwärmten dagegen in Haufen und Gruppen umher, |133|angefeuert von ihren Frauen, die von Wagen aus dem Geschehen zuschauten. Boudicca hatte ihre Töchter bei sich auf dem Wagen und fuhr zu jedem Stamm, dessen Krieger sie ansprach und anfeuerte. Sie galt als britannische Oberbefehlshaberin und stimmte die Krieger auf die Schlacht ein. Der Historiker Cassius Dio beschreibt diese Situation eindringlich und glaubwürdig, auch wenn er manches kräftig ausgemalt haben mag. Nach seinem Bericht stieg die Königin auf ein Tribunal, das aus Erde aufgeschüttet war. Sie selbst war hoch gewachsen und in ihrer Erscheinung Furcht erregend. Ihre Augen blitzten, und sie besaß eine raue Stimme. Dichtes, hellblondes Haar fiel ihr bis zu den Hüften herab, um den Nacken trug sie eine große goldene Kette. Ihr Gewand war bunt und wurde teils von einem dicken, durch eine Nadel zusammengehaltenen Mantel bedeckt.

Mit einer Lanze in der Hand appellierte sie an ihre Krieger: Sie verwies auf den Unterschied zwischen Freiheit und Sklaverei. Besser sei es allemal, arm in der britannischen Freiheit als wohlhabend in der römischen Sklaverei zu leben. Aber die Britannier seien ja selber schuld, indem sie den Römern nicht die Eroberung der Insel verwehrt hätten. Nun könnten sich die Krieger als geeinte Britannier erweisen, die den Römern in Helmen, Brustpanzern und Beinschienen allein durch ihre Tapferkeit überlegen |134|seien. »Nachdem Boudicca so gesprochen hatte, bediente sie sich einer Art Zukunftsdeutung und ließ aus dem Bausch ihres Gewands einen Hasen entwischen. Der rannte nun auf die Seite, die sie für die günstige hielten, worauf die Masse in Jubelrufe ausbrach. Boudicca hob nun ihre Hand zum Himmel und rief die Göttin Andraste an.«

Die keltische Göttin war den Britanniern offenbar nicht hold, denn am Ende der Schlacht hatten die meisten den Tod gefunden. Genaue Schilderungen des Kampfgeschehens sind nicht überliefert; jedenfalls konnten die Kelten nicht ihre gewohnte Taktik des Überraschungsangriffs und eines schnellen Rückzugs anwenden. Die Legionäre warfen zuerst ihre Speere auf die feindlichen Reihen, dann rückten sie in Keilform mit Schwert und Schild vorwärts. Die Reiter brachen mit ihren eingelegten Lanzen jeden Widerstand. Weder die britannischen Krieger noch ihre Frauen wurden bei dem folgenden Massaker geschont. Schließlich sollen 80 000 tote Britannier das Schlachtfeld bedeckt haben, während nur 400 Legionäre fielen. Über das Schicksal Boudiccas berichten die römischen Geschichtsschreiber Unterschiedliches: Entweder bereitete sie selbst mit Gift ihrem Leben ein Ende oder sie starb geraume Zeit nach der Schlacht an einer Krankheit und wurde von Stammesangehörigen prunkvoll beigesetzt.

|135|Nach dem großen römischen Sieg wurde der Aufstand endgültig niedergeschlagen; Britannien sollte unterworfen und befriedet werden. Darum schickte der Kaiser neue Truppen auf die Insel, die in Winterlagern stationiert wurden und jede Revolte im Keim ersticken sollten. Sie verwüsteten die Gebiete aufsässiger Stämme, was dort zu Hungersnöten führte, weil die Felder nicht bestellt werden konnten. Rom zeigte brutale Härte angesichts der Gefahr, die für seine Herrschaft in Britannien bestanden hatte. Noch heute zeugen ausgegrabene Brand- und Schuttschichten römischer Siedlungen von der Gewalt der großen britannischen Erhebung.

Das römische und barbarische Britannien

Trotz des römischen Sieges konnte Britannien noch lange nicht als befriedet und erobert gelten. Auch wenn Rom mit vielen Stammeshäuptlingen Bündnisse schloss und ihnen Ehrentitel wie »Freund« oder »Bundesgenosse« verlieh, mussten seine Soldaten mit Erhebungen und Überfällen rechnen.

Zwanzig Jahre nach dem Aufstand der Boudicca versuchte Julius Agricola ein gerechter Statthalter zu sein, der gleichzeitig gegen unbotmäßige Stämme energisch vorging. Dieses Bestreben lenkte seinen Blick weit in den Norden, nach Schottland, wo keltische und andere Völkerschaften für Unruhe sorgten. Mit ihrer wilden Kampfbereitschaft taten sich besonders die Kaledonier hervor; sie ließen sich selbst von einer Niederlage gegen die römischen Truppen nicht abschrecken, weiter Widerstand zu leisten. Zu diesem Zweck bewaffneten sie die jungen Krieger, versteckten die Frauen mit den Kindern und bekräftigten auf Versammlungen und durch Opferfeiern ihr Bündnis gegen Rom.

Dessen Statthalter entsandte eine Flotte, die die schottische Küste unsicher machen sollte. Gleichzeitig führte er seine Soldaten auf beschwerlichen Landwegen durch die Highlands, wo es schließlich an einem unbekannten Ort zur Entscheidungsschlacht kam. Ein weiteres Mal trafen die Legionäre auf Krieger, deren Erscheinungsbild ihnen befremdlich und barbarisch schien – was auf viele Stämme der Britischen Inseln zutraf. Oft trugen diese nämlich überhaupt keine Kleider, sondern schmückten ihre Körper und Nacken mit Ringen aus Eisen und hielten dies für einen Schmuck und ein Zeichen von Reichtum. Ihren Körper tätowierten sie mit bunten Zeichnungen und verschiedenen Bildern von Tieren. Oftmals verzichteten sie auf Gewänder, damit die Körperzeichnungen nicht verdeckt waren. Die römischen Geschichtsschreiber charakterisieren sie als streitbar und mordgierig: Sie seien nur mit einem Kurzschwert und einer Lanze gerüstet |136|und trügen das Schwert um den nackten Körper gegürtet. Der Gebrauch eines Brustpanzers oder Helms sei ihnen unbekannt, ja, sie hielten solche Bewaffnung für eine Behinderung beim Durchqueren der Sümpfe.

In Schottland standen mehr als 30 000 derart bewaffneter und geschmückter Krieger den Römern gegenüber und hörten die anfeuernden Worte ihres Befehlshabers. Als dieser geendet hatte, erklangen die Kriegstrompeten, rauer Gesang ertönte und mit lautem Geschrei rief man die Götter an. Dann bildeten sich die Heerhaufen, die Verwegensten preschten mit blitzenden Waffen vor, um sich, den eigenen Kämpfern und dem Feind ihren Mut und ihre Todesverachtung zu beweisen. Schließlich begann die Schlacht, die dem bekannten Muster vieler Kämpfe zwischen römischen Legionären und keltischen Stammeskriegern folgte. Den Kaledoniern gelang es nicht, mit ihren ungestümen Angriffen die Römer und ihre Verbündeten zu verwirren und in die Flucht zu schlagen. Sie erlitten eine bittere Niederlage, nach der sie sich zurückzogen. Tacitus schildert die Szenerie des folgenden Tages: Ödes Schweigen herrschte überall, die Hügel waren verlassen und in der Ferne erblickte man rauchende Hütten. Die ausgesandten Kundschafter trafen auf keinen Menschen, nur unbestimmte Fluchtspuren waren zu sehen. Daraufhin machte sich Agricola mit den Truppen wieder nach Süden auf. Die Kaledonier aber zogen sich in die unzugänglichen Berge und Sümpfe zurück, um in den nächsten Jahrhunderten ihre angestammte Kultur weiter zu pflegen. Schottland wurde niemals von den Soldaten Roms eingenommen und blieb als barbarisches Britannien sich selbst überlassen.

England und Wales wurden dagegen endgültig römische Provinz. Hier entstanden Städte wie London, Bath, Lincoln und York, wo man Straßen anlegte und steinerne Bauten errichtete. Britannier und Römer ergingen sich auf dem Forum, handelten auf den Märkten und gaben sich in luxuriösen Bädern dem Wohlleben hin. In den zahlreichen Tempeln opferte man seinen Göttern, wozu man immer häufiger die Toga des zivilisierten Römers trug. Die alte Stammesaristokratie erkannte die günstigen Zeichen der neuen Zeit; denn Rom belohnte auch hier Ergebenheit reichlich. Außerdem brachte die fortschreitende Romanisierung ein friedliches Leben in satter Muße. Die Söhne der Oberschicht genossen eine römisch geprägte Bildung und Erziehung. Sichere und komfortable Straßen durchzogen das Land und verbanden die vielen großen und kleinen Städte. Handel und Wandel gediehen. Britannien wurde ein Teil des Imperium Romanum, an dessen Entwicklung und Geschicken es von nun an teilnahm.

Damit dies so blieb, schützten die römischen Kaiser ihre nördlichste Provinz. Seit 122 nach Chr. ließ der Imperator Hadrian einen Verteidigungswall anlegen, von dem aus die angriffslustigen Stämme Schottlands |137|abgewehrt werden sollten. Über 120 Kilometer zog sich der so genannte Hadrianswall vom Norden der Irischen See quer durch Nordengland bis zur Nordseeküste bei Newcastle. Dieses System von Mauern, Wällen, Gräben, Wachttürmen und Kastellen schirmte das romanisierte Britannien fast drei Jahrhunderte ab. Weder konnten die Legionäre im Inneren Schottlands Fuß fassen, noch stellten die Angriffe und Raubzüge von Stämmen wie den Pikten eine grundlegende Gefahr dar.

Die Britannier südlich des Hadrianswalles akzeptierten letztendlich die Herrschaft des römischen Kaisers. Und wie andere Kelten pflegten sie unter der römischen Oberfläche weiterhin Teile ihres kulturellen Erbes, wie die Verehrung alter Gottheiten und die Verwendung traditioneller Schmuckornamente belegen. Sie sahen darin keinen Widerspruch, und die Römer tolerierten Sonderwege innerhalb des Imperiums, solange ihre Herrschaft unangetastet blieb. Als sich Rom später von den Britischen Inseln zurückziehen musste, erlebten die keltischen Traditionen eine zusätzliche Renaissance.

Irland – Die grüne Insel am Rand der Keltenwelt

Als Agricola, der römische Statthalter Britanniens, in der Zeit um 80 nach Chr. Feldzüge nach Wales und Schottland unternahm, sah er am Horizont des westlichen Meeres eine ferne Küste – Irland. Diese Hibernia genannte Insel war für die Römer keine Terra incognita, denn sie hatten im Laufe der Zeit einiges über sie erfahren. Nach dem Bericht des Tacitus erstreckte sie sich zwischen Britannien und Hispanien (Spanien) in einer Ausdehnung, die geringer als die der britischen Hauptinsel war. Allerdings sei sie größer als die Eilande des Mittelmeeres und läge verkehrsgünstig für den Seehandel. Folglich seien auch ihre Häfen und Zufahrten den römischen Kaufleuten gut bekannt. In der Natur des Landes und der Art ihrer Bewohner sei sie Britannien sehr ähnlich. Auch hier herrschten zahlreiche Häuptlinge, die sich gegenseitig bekriegten und um Macht und Einfluss kämpften. Ein von Rivalen vertriebener Stammesfürst suchte sogar den Statthalter Roms auf und versuchte ihn möglicherweise zu einer militärischen Intervention zu überreden. Agricola erhielt auf diesem Weg viele Informationen über Irland, von dem er angeblich glaubte, es mit einer Legion und einigen Hilfstruppen erobern zu können. Doch dazu kam es nicht, weil der Römer aus Britannien abberufen wurde und die Kaiser in Rom genug mit der anderweitigen Sicherung ihres Riesenreiches zu tun hatten.

So blieb Irland sich selbst überlassen und wurde niemals Teil des Imperium |138|Romanum. Völlig isoliert war die Insel am Rande Europas trotzdem nicht. Zwischen Iren, Britanniern und Römern bestanden etliche Kontakte sowohl kriegerischer als auch friedlicher Natur. Vor allem durch den Handel übernahmen die Iren vielerlei Einflüsse; nach dem Vorbild des lateinischen Alphabets entwickelten sie zum Beispiel eine eigene Schrift, das Ogam. Aber im Großen und Ganzen lebte man länger als ein Jahrtausend, ohne sich fremder Invasoren erwehren zu müssen.

Die in der einheimischen Sprache Ériu genannte Insel konnte auf eine lange Geschichte zurückblicken, als sie wahrscheinlich im Laufe des 4. Jahrhunderts vor Chr. keltisiert wurde. Wie in Britannien ist auch hier ungewiss, auf welche Weise die Iren zu Kelten wurden – durch Einwanderung oder durch Übernahme der keltischen Kultur und Sprache. Jedenfalls blieben sie von fremden Eroberern bis ins frühe Mittelalter verschont, als die skandinavischen Wikinger ihre Küsten angriffen.

Dies hatte Konsequenzen, die Irland heute zum keltischen Land schlechthin machen. Denn während die Gallier und die anderen Stämme des Kontinents |139|romanisiert wurden und auch die Zahl der freien Kelten in Britannien zusammenschrumpfte, bewahrten sich die Iren ihre Selbstständigkeit. Fernab der welthistorischen Ereignisse wie Caesars Gallienkrieg lebten sie in den Traditionen der La Tène-Zeit, denen sie ein eigenes Gepräge gaben. Seit dem frühen Mittelalter schrieben christliche Mönche und Gelehrte die Überlieferung nieder – Mythen, Sagen, Legenden und Geschichtswerke. Sie sind die einzigen schriftlichen Quellen der frühen irischen Geschichte. Da sie Historisches mit Fantastischem vermischten, entstand jene zauberhafte Darstellung keltischer Geschichten, die heute die irische Mythen- und Sagenwelt so populär macht.

Die geschichtlichen Fakten sind dagegen karg: Die irische Gesellschaft war in bis zu 150 kleine Stammesreiche zersplittert, zu denen selten mehr als 3 000 Menschen zählten. An der Spitze der Zwergstaaten standen Könige, die sich zumeist heftig befehdeten. Trotzdem schloss man sich auch zu lockeren Reichen zusammen, aus denen sich die Provinzen Ulster, Munster, Leinster, Connacht und Meath entwickelten. Deren Oberkönige genossen |140|ein höheres Ansehen, ohne allerdings große militärische Macht zu besitzen. Als Ideal pflegte man die Vorstellung eines irischen Hochkönigs, der über die gesamte Insel herrschte. Aber erst um das Jahr 1000 nach Chr. gelang es, dieses höchste Amt in die Tat umzusetzen – wenn ihm auch auf Dauer weder Erfolg noch Beständigkeit beschieden waren.

Die Iren siedelten als Bauern in einem Land, das weder Städte noch Dörfer und feste Straßen kannte. Die einzelnen Gehöfte umgab man mit einem runden Erdwall, der den Großfamilien, ihrem Gesinde und dem Vieh Platz und notfalls auch Schutz bot. Der Reichtum zeigte sich vor allem in der Größe der Rinderherden, deren Tiere als wichtigstes Tauschmittel dienten. Man verwendete kein Geld und brachte deshalb auch keine Münzen in Umlauf. Als Wertmaßstab wurden Rinder und Sklavinnen verwendet. Wie andere Kelten kannten die Iren nämlich Sklaven als unterste Bevölkerungsschicht, über die sich die Masse der freien Bauern erhob.

Über allen herrschte der Adel mit einem König an der Spitze. In seinen Kreisen pflegte man noch lange die keltische Kriegerherrlichkeit, für die |141|wie früher auf dem Kontinent der stolze Streitwagenkämpfer mit seinen erbeuteten Feindesköpfen bestimmend war. An den Herrschersitzen und unter der Gefolgschaft genoss eine Schicht von Gelehrten und Dichtern Verehrung und Beliebtheit. Zu ihnen gehörten die Druiden, deren Traditionen sich lange hielten, und diejenigen Poeten, die als Lobsänger den König verherrlichten.

Außer den Abertausenden von runden Bauernhöfen, die man archäologisch nachgewiesen hat, und den befestigten Königssitzen kannten die irischen Stämme Orte von besonderer Bedeutung. Dazu zählte Tara nordwestlich des heutigen Dublin, wo der irische Hochkönig seinen Sitz nahm. Inmitten ausgedehnter Wallanlagen auf einer Hügelkuppe wurde der König in sein Amt eingeführt. Diese geheiligte Zeremonie begleitete ein großes Fest, zu dem die Menschen von nah und fern kamen. Noch heute erhebt sich in diesem Areal der so genannte Stein Fál, der nach der Legende aufschrie, wenn ihn der rechtmäßige Herrscher berührte. Ein anderer Platz, der mit zahlreichen Mythen und Sagen verknüpft wurde, ist Navan Fort in der Provinz Ulster, wo angeblich die mächtigen Herrscher des gleichnamigen Königreichs ihren Sitz hatten. Bis heute bestimmen solche Orte das Landschaftsbild der grünen Insel. Sie erinnern die Menschen an ihre keltische Vergangenheit und weit darüber hinaus. Denn häufig legte man religiöse und rituelle Anlagen dorthin, wo schon die Inselbewohner der Jungsteinzeit mächtige Grabbauten und Großsteindenkmäler hinterlassen hatten. Die Historiographen des Mittelalters schrieben diese Bauten geheimnisvollen und dämonischen Wesen der Vorzeit zu.

Über viele Jahrhunderte stand die Welt der Stämme mit ihren Fehden und Kriegen, aber auch mit ihren Feiern und Ritualen im Mittelpunkt der irischen Geschichte. Sie wurde allenfalls von den Zügen irischer Seeräuber unterbrochen, die britannische Küstengebiete verunsicherten und in Wales sogar Kolonien gründeten. Erst die christlichen Missionare sorgten im 5. Jahrhundert für eine deutliche Zäsur. An ihrer Spitze stand der heilige Patrick, der »Apostel Irlands«, der mit anderen frommen Männern den kriegerischen Stämmen den christlichen Glauben brachte. Und, seltsam genug, es gelang dies, ohne dass nur ein einziger Missionar den Märtyrertod erlitt. In der Nachfolge Patricks entstand eine Vielzahl von Klöstern, die sich zu neuen Mittelpunkten Irlands entwickelten. In ihrem Umfeld traf man auf Märkten zusammen, während die asketischen Brüder in ihren Mönchszellen prächtige Bücher schrieben und zum Lobe des Herrn mit wunderbaren Illustrationen schmückten. In Irland rotteten die Mönche das keltische Heidentum nicht mit Stumpf und Stiel aus, sondern sie übernahmen wichtige traditionelle Vorstellungen in die neue Religion. Damit bewahrte man bei allen zeitbedingten Veränderungen eine Vielzahl keltischer Relikte, für die die irische Kultur berühmt ist.

|138|Mönche, Missionare und heilige Frauen – Das Christentum in Irland

Irland, die abgelegene Insel am Rand Europas, entwickelte sich im frühen Mittelalter zu einem christlichen Land, dessen Missionare in vielen Teilen des Abendlandes tätig wurden. Das Festland ehrte das letzte keltische Refugium mit dem Titel der »Insel der Heiligen und Gelehrten« – was auf den ersten Blick durchaus befremdlich wirkt. Denn die grüne Insel stellte bekanntlich keine »Insel der Seligen« dar, sondern erwies sich als zersplitterte Stammesgesellschaft, in der Krieg an der Tagesordnung war.Trotzdem gelang es den ersten christlichen Sendboten, Fuß zu fassen und ihren Glauben unter den rauen Kelten durchzusetzen.

Der Mann, der damit den entscheidendenAnfang machte, war der heilige Patrick, bis heute hoch verehrter Apostel und Schutzpatron Irlands. Der Sohn einer romanisierten britannischen Familie wurde als 16-Jähriger zu Beginn des 5.Jahrhunderts ein Opfer der politischen Verhältnisse. Nachdem Rom seineTruppen von den Britischen Inseln abgezogen hatte, nutzten irische Seeräuber die Chance, ungestraft auf Beutezug zu gehen. Dabei fiel ihnen der junge Patrick in die Hände: Er wurde nach Irland verschleppt und musste als Sklave Schafe hüten. Nach einigen Jahren gelang ihm die Flucht.Der Legende nach hatte er später dieVision, Irland für das Christentum zu gewinnen. Im Auftrag des Papstes kehrte er als Missionsbischof um 435 auf die Kelteninsel zurück und gründete in deren Norden die Kirche und das Erzbistum vonArmagh, das zum kirchlichen Zentrum Irlands werden sollte.Wenn Patrick auch sicherlich nicht der erste Christ auf der Insel war, so verhalf er der neuen Religion doch zum Durchbruch.

Der Erfolg der irischen Geistlichen hing offensichtlich mit ihrer Anpassung an die gegebenen Verhältnisse zusammen. Denn das keltische Heidentum nahm ein |139|schnelles Ende,und an seine Stelle traten die Priester mit ihren Lehren. AllerWahrscheinlichkeit nach lösten sie die Druiden ab und übernahmen deren Aufgaben in der Stammesgesellschaft. Jedenfalls wurden die christlichen Kleriker von den Clanchefs und Kleinkönigen akzeptiert – keiner von ihnen musste den Märtyrertod erleiden.

Darüber hinaus nahm die irische Kirche ganz eigene Formen an, indem an die Stelle der Bischofssitze Klöster traten, die sich bald über die ganze Insel verteilten. Ihre Äbte, häufig eng mit den Häuptlingen versippt, stellten zunehmend eine gewichtige Macht dar.Weil es keine städtischen Siedlungen gab, nahmen die Klöster die Bedeutung wirtschaftlicher Zentren an, in denen der Handel gedieh.Schließlich wurden sie zu Eigentümern immer größerer Ländereien, die zu ihrem anwachsenden Reichtum beitrugen. Davon legten Klosterschätze wie der von Armagh ein beredtes Zeugnis ab.

Allerdings wirkte sich dieser Reichtum vorerst nicht auf das vorherrschende Mönchsideal aus, das im Gegenteil von einem Zug asketischer Strenge geprägt wurde.Wer gegen deren Gebote verstieß, musste mit strengen Bußen rechnen. Viele Brüder gingen noch weiter und suchten als Eremiten die völlige Weltabgeschiedenheit, die sie oft auf den kleinen felsigen Eilanden vor der Küste fanden und die einige mit ihren Booten bis nach Island trieb. Der berühmteste jener frommen Reisenden wurde der heilige Brendan, der nach der Sage übers Meer ins Land der Verheißung kam – was an die Fahrten in die Anderwelt erinnert.

Seit dem 6.Jahrhundert suchten irische Mönche zuerst die Britischen Inseln und dann das Festland auf, um dort GottesWort zu verkünden. Als erster dieser emsigen Missionare gilt Columban, der die schottischen Pikten christianieren wollte und dafür auf der Hebrideninsel Iona ein Kloster gründete. Ihm folgten Gründungen |140| in Schottland und England, die den wachsenden klerikalen Einfluss der Iren verdeutlichten. Schließlich entstanden auch auf dem Festland immer mehr der so genannten Schottenklöster – nach der damals üblichen Bezeichnung für die Iren. Zu den bedeutendsten gehörten Luxeuil in Burgund und Bobbio in der Lombardei, deren Gründer ein jüngerer Columban war. Aus der Vielzahl irischer Missionare seien zudem der im Schweizer St. Gallen wirkende Gallus und der in Würzburg verehrte Kilian genannt. Sie verdeutlichen heutzutage die fortbestehende Erinnerung des irisch-christlichen Erbes in Europa.Dass die Mönche von der grünen Insel zu den gebildetsten Europäern ihrer Zeit gehörten, belegt außerdem die Tatsache ihrer Beliebtheit am Hofe Karls des Großen. So mancher Lehrer der berühmten Aachener Hofschule stammte aus Irland.

Asketische Frömmigkeit und Gelehrsamkeit sind zwei Aspekte des Christentums irischer Art; ein anderer ist die Umdeutung heidnisch-keltischer Motive, die unter der Bevölkerung beliebt waren. Ihr herausragendstes Beispiel bietet dieVerehrung Brigits, der berühmtesten Heiligen Irlands. Ihr wurde die Gründung des südostirischen Klosters Kildare nachgesagt und der damit verbundene Kult verbreitete sich später auch auf dem Festland. Hier wie dort rief man sie bevorzugt als Schutzheilige des Ackerbaus und desViehs an, was sich an ihrem Festtag zeigte – dem 1. Februar. An diesem Tag feierte man nach dem alten irischen Kalender Imbolc, den Frühlingsanfang. Der Brigitkult knüpfte dementsprechend an die vorchristlichen Bräuche an. Er nahm zudem Züge einer gleichnamigen heidnischen Göttin auf, die als Tochter des Gottes Dagda galt. Derart verknüpfte sich der christliche Glaube mit zahlreichenTraditionen der alten Religion. Die Iren konnten sie weiter pflegen und trotzdem rechtgläubige Christen sein.

|142|Das dunkle Zeitalter

Britannien war wie viele römische Provinzen im 4. Jahrhundert zunehmend Überfällen und Raubzügen fremder Völker und Kriegerscharen ausgesetzt – die Iren landeten an der Westküste, die schottischen Pikten fielen im Norden ein und schließlich die germanischen Sachsen im Südosten Englands. Die Herrschaft Roms geriet überall ins Wanken, weil Wirtschaftskrisen und Kämpfe zwischen kaiserlichen Thronanwärtern das Reich von Innen schwächten, während das Reitervolk der Hunnen und unzählige germanische Stämme gegen seine Grenzen anrannten. Die Teilung in West und Ostrom besiegelte das Ende des alten Imperiums, zu dessen eigentlichen Herrschern germanischstämmige Kriegsherren wurden. Kaiser Honorius, der oberste Herr des Westens und damit auch der Provinz Britannien, verließ sogar die Hauptstadt Rom und bezog in Ravenna seine Residenz, wo er sich inmitten der Sümpfe des Po-Deltas sicherer fühlte.

Wie konnte ein derart geschwächter Imperator den Menschen jenseits des Ärmelkanals Hilfe gewähren, als sie ihn verzweifelt darum baten? Denn die Überfälle der Iren und Pikten hatten immer bedrohlicher zugenommen, je mehr römische Truppen von der Insel abgezogen wurden. Der britannische Geschichtsschreiber Gildas schildert die Not seiner Vorfahren folgendermaßen: »Aufgrund der Angriffe und der schrecklichen Verwüstungen schickte Britannien Gesandte nach Rom, die unter Tränen um die Entsendung einer bewaffneten Schutztruppe baten und dafür eine unverbrüchliche und von ganzem Herzen kommende Unterwerfung unter die römische Herrschaft versprachen, wenn es nur gelänge, die Feinde in größerem Abstand zu halten.« Doch auf Dauer konnte ihnen Rom respektive Ravenna keine Legionäre oder Hilfstruppen mehr schicken. Man sah sich sogar gezwungen, die Provinz Britannien militärisch aufzugeben, und zog um das Jahr 410 die letzten Legionäre ab. Kaiser Honorius schrieb Briefe an die britannischen Städte, in denen er sie aufforderte, für sich und ihre Sicherheit künftig selbst Sorge zu tragen.

Wohl kein anderes römisches Gebiet wurde so abrupt und drastisch jeden Schutzes beraubt. Ein Land, das über Jahrhunderte tief von der römischen Zivilisation geprägt worden war, sah sich vor dem Abgrund des Chaos und der Anarchie. Damit begann auf der britischen Hauptinsel eine Epoche, die man wegen des Fehlens schriftlicher Quellen als dark age, das »dunkle Zeitalter«, bezeichnet. In den folgenden 200 Jahren gab es nur wenige Informationen über die Ereignisse in der im Stich gelassenen Provinz. Umso mehr sollten sich die Nachfahren jener Zeit annehmen und in ihr die Quelle für Mythen, Sagen und Legenden sehen.

Die historischen Fakten sind dünn: Anscheinend »rüsteten sich die Männer aus Britannien, setzten ihr eigenes Leben ein und befreiten die |143|Städte selbst von der Bedrohung durch die Barbaren« – wie es einer der wenigen zeitgenössischen römischen Autoren schildert. Demzufolge nahm die römisch-keltische Provinzbevölkerung ihr Schicksal selbst in die Hand und baute sich eigene Staatswesen auf. In London soll sogar ein König gewählt worden sein, der eine Regierung bildete und die Herrschaft über das Land beanspruchte. Während man in den Städten versuchte, das römische Leben, so gut es ging, zu pflegen, wurden in vielen Gebieten Britanniens wieder einheimische Traditionen aufgegriffen. Entsprechend alter Überlieferungen und des irischen Vorbilds etablierten sich keltische Fürsten, die an ihre ferne Vergangenheit anknüpften. Sie zogen zu den Überresten der seit langen Zeiten ungenutzten britannischen Hügelbefestigungen, bauten sie wieder auf und nutzten sie als Herrschaftssitze. Ebenso griff man auf vorrömische Wirtschaftsformen zurück; man gab die Geldwirtschaft wieder auf und betrieb stattdessen den traditionellen Tauschhandel. Wie in Irland zählten von nun an Rinder und Sklavinnen als Werteinheit.

Britannien teilte sich in eine Vielzahl von Herrschaften auf, von denen manche eher römisch, andere traditionell keltisch und noch andere als Mischung beider Kulturen existierten. Sie richteten sich in den neuen Verhältnissen ein, und nicht alles in dieser Zeit erschien den Menschen als finster. Doch da gab es weiterhin die Bedrohung durch die Pikten und die Skoten, wie die Iren damals genannt wurden (erst später bezeichnete der Name die heutigen Schotten). Um sich ihrer zu erwehren, kam – nach späteren Quellen – ein britannischer Fürst Vortigern auf die Idee, germanische Krieger zu Hilfe zu rufen. Er bot den jenseits der Nordsee in Jütland siedelnden Angeln und Sachsen Land an, wenn sie die barbarischen Stämme zurückschlugen. Damit beging er in den Augen späterer keltischer Geschichtsschreiber einen verhängnisvollen Fehler: Die angesprochenen Stämme ließen sich nicht zweimal bitten. Sie wanderten in den Jahrzehnten um 450 massenweise in Britannien ein und eigneten sich willkürlich das Land der Britannier an.

Diese wurden in ihrer eigenen Heimat zu Vertriebenen, die letztlich dem Ansturm nicht widerstehen konnten. Die so genannten Angelsachsen bestimmten seither die Geschicke der meisten britischen Gebiete. Sie gaben nicht nur England seinen Namen (»Land der Angeln«), sondern lieferten mit ihren germanischen Dialekten auch die Grundlage des Englischen. Die Sachsen hinterließen ihre Spuren in den Namen von Sussex, Wessex und Essex, wo sie später einige ihrer Reiche gründeten. Die keltischen Britannier wurden dagegen zu Fremden im eigenen Land, was die ursprüngliche Bedeutung von Wales ausdrückt (»Land der Fremden«). Sie zogen sich in die westlichen Randgebiete zurück, nach Wales und Cornwall, wo die keltische Sprache und Kultur erhalten blieben. Einige Gruppen entschlossen sich, ihrer Insel völlig den Rücken zu kehren. Sie wanderten auf die |144|Halbinsel im nordwestlichen Gallien aus, die von den Römern Aremorica genannt wurde und später Bretagne (»kleines Britannien«) hieß. In dem – erst in der Neuzeit so genannten – Großbritannien sollten in Zukunft die Angelsachsen die Macht behalten.

Doch bevor dies geschah, leuchtete im »dunklen Zeitalter« noch einmal ein heller Hoffnungsstrahl für die Kelten auf. Denn sie gaben sich noch nicht geschlagen und leisteten den Angelsachsen erbitterten Widerstand. Unter ihren Häuptlingen ragte einer hervor, der später als König Arthur grenzenlosen Ruhm genießen sollte. Er brachte den germanischen Kriegern mehrere schwere Niederlagen bei und konnte damit ihren Vormarsch für einige Jahrzehnte aufhalten. Die Geschichte von Arthur und seinen Kämpfern ist so stark von Legenden und Sagen umrankt, dass ihr an anderer Stelle mehr Aufmerksamkeit gebührt (siehe Kapitel 6); denn sie ist vor allem Ausdruck keltischer Dichtung und Fantasie.

Kelten, Angelsachsen, Wikinger

Im frühen Mittelalter konnten sich also außer den Bretonen der Bretagne nur noch die Kelten auf den Britischen Inseln ihre Selbstständigkeit bewahren – in Cornwall, Wales, Schottland, auf der Insel Man und in Irland. Deren keltischsprachige Bevölkerung nahm das Christentum an und war teilweise vorzüglich mit der spätantiken Bildung vertraut – exemplarisch hierfür stehen vor allem die irischen Mönche. Besonders in den Künsten, der Dichtung, der Buchmalerei und dem Kunsthandwerk schöpfte man zudem aus den keltischen Traditionen, die ihren Ursprung in der La Tène-Zeit hatten.

Die Jahrhunderte nach 800 wurden von Zügen der skandinavischen Wikinger bestimmt, von denen überwiegend Dänen und Norweger die angelsächsischen Königreiche Englands und die keltischen Stämme angriffen. Um 835 fassten norwegische Krieger an der irischen Küste Fuß, von wo aus sie Raubzüge zu den reichen Klöstern im Landesinnern unternahmen. Gleichzeitig gründeten sie mehrere Handelsplätze, aus denen die ersten irischen Städte hervorgingen: Dublin, Cork, Waterford und Wexford. Überall entstanden Wikingerreiche, die aber zumeist ein buntes Durcheinander von Dänen, Norwegern, Angelsachsen und Kelten bildeten. Koalitionen während der häufigen Fehden waren nicht an ethnische Zugehörigkeiten gebunden, sondern richteten sich nach den Machtinteressen der einzelnen Gruppen, Stämme und ihrer Anführer. So kam es auch zu fruchtbaren Verbindungen der Kulturen, etwa zwischen Irisch-Keltischem und nordgermanischen Einflüssen der Skandinavier.

|145|Nach dem Ende der unruhigen Wikingerzeit entstanden in den keltischen Gebieten Königreiche, die zunehmend Anschluss an den Kontinent fanden. Sie alle wurden von der wachsenden Macht Englands bedroht und fielen ihr schließlich zum Opfer. Damit endete die Unabhängigkeit der letzten Keltenreiche. Das Keltische fand sich seitdem mit seinen Besonderheiten in vielen Elementen der Kultur und Kunst wieder. Ein ausgeprägtes keltisches Selbstbewusstsein sollte jedoch erst viele Jahrhunderte später neu entstehen.